Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 07, 1899, Image 10

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    Die erste 2lcc.
Ion '. H i l I i g e r ft;lim.
Soeben sah ich Baron Prägers Wa
gen vor Eurer Villa. Aline! Er ist
mein gefährlichster Rivale, denn er hat
alle Ehancen sür sich. Glaubst Tu wirk
lich, daß sür Trine ehrgeizige Mutter
e ne Wab in ffraae lommt jwi ajen
dem Baron und mir, dem einfachen
Ingenieur?"
.Und zweifelst Tu etwa an meiner
Treue. Viktor? ffiir otchcn revc.
sollte ick Tick eiaentlick strafen! Aber
sieh, mein Herz schlägt so heiß sür Tich,
dak ick Tir Liebes erweisen muß. auch
wenn Tu mir, wie soeben. Schmerz
bereitest! Hier, nimm diese beiden
Rosen, die eine weiß, die andere dunkel
glühend sie sind symbolisch für meine
Empfindungen! Und nun sage selbst:
wer so rein, so stark liebt, wird doch
festhalten an seinem Glück!?"
Viktor Seger küßte die Rosen und
dann verstohlen einen der dunklen
Zöpfe, die schwer, in gesundem Glanz
über Alinen'S Nacken hinabhingen.
All die tiefe, unbeschreibliche Zärtlich
keit. die er für dieses schöne, reiche
Mädchen hegte, lag in seinem Blicke
und in der Bewegung, mit der er fast
schüchtern, als berühre er ein Heilig
thum. über ihre sammetwciche Wange
ft"ch. . r w
Dann schritte sie Hand m Hand
tiefer in die grüne Dämmerung des
Zhicrgartens hinein. Nur eine Viertel
stunde war ihnen zu diesem heimlich
beglückenden Beisammensein vergönnt.
Tu liebst die Rosen sehr?" fragte
Viktor endlich, verstohlen in Alines
vornehmem Antlitz forschend.
Sie antwortete nicht sogleich. In
ihre blauen Augen drang ein feuchter
Schimmer. .Rosen," sagte sie dann
leise, haben sogar eine bestimmte Be
deutung für mich, besonders die mit
der tiefrothen Farbe."
Dann knüpft sich eine besondere
, Erinnerung für Dich an die Blumen
kör.igin?" Allerdings, und zwar an die erste
Rose, die mir von einem jungen Manne
verehrt wurde."
Von jenem, welcher Tir zum ersten
male von Liebe sprach?"
O Tu bist der einzige Mann,
dem ich bisher gestattete, mir von Liebe
zu sprechen. Nein, sicher nichts der
gleichen. Es handelt sich um eine rüh
rende. halbveraeffene Geschichte, an die
ich aber seltsamerweise gerade in der
letzten Zeit oft erinnert werde."
Ein leises Lächeln umspielte Viktors
geistvollen Mund. Tu machst mich
neugierig, Geliebte "
Sie sah ihn zärtlich beruhigend an
Ich habe Dir längst verrathen, daß
mein Väter nicht immer den stolzen
Titel eines Barons führte. Ich müßte
also hinabsteigen zu den simplen, bür
gerllchen Teselers. wenn ich Dir mein
Erlebniß erzählen wollte. Aber wie
gesagt, es ist mir nicht mehr gegenwär
tig. Ich könnte glauben, der ganze
Vorgang beruhe auf Einbildung, wenn
meine wohl behütete Rose nicht einen
greisbaren Zeugen bildete."
Wie, die Rose haft Tu aufbe
wahrt?" Nicht eigentlich ich, sondern Mama.
Später habe ich die sorgfältig gepreßte
Blume dann in meinem Raritäten
schränkchen geborgen."
Deine Mutter ?"
Aber schnell, dunkel erglühend, un
terbrach sie seine Worte, die so starken
Zweifel ausdrückten: Tu darfst Mama
nicht für herzlos halten, nein, nein.
Du thust ihr Unrecht damit! Sie ist
eitel, hoffärtig, zugegeben! Reich
thum und Titel sind ihr ein wenig in
den Kopf gestiegen, aber im Gründe
besitzt sie ein treues, biederes Herz, an
das ich sicher nicht vergeblich appelliren
werde!"
Und Tu, Aline? Gelten Tir Rang
und Name so wenig?"
Jedenfalls nicht genug, um ihnen
mein Glück, meine Ideale' zu opfern.
Ich bin sogar entschlossen, noch heute
der Heimlichkeit ein Ende zu bereiten,
und mich Mama anzuvertrauen."
Halte treu und fest zu mir. Aline.
auch in Stürm und Kampf! Tu bist
ja mein alles, meine Hoffnung, mein
einziger Stern."
Erschüttert schmiegte das schlanke
Mädchen sich enger an seine Seite. So
lieb hast Tu mich." flüsterte sie ticfbe
glückt, .nun lerne es noch, mich ganz
zu verstehen, dann wirst Tu nie mehr
an mir zweifeln."
Baron Präger war von der Baronin
Tescler empfangen worden.
Willkommen, bester Baron, be
grüßte die kleine Tame ihn mit der
traulicher Herablassung, wie wird
meine Tochter, die leider nicht daheim
ist, es bedauern "
Oh glauben Gnädigste?" machte
Präger moquant, Komteffe lustwan
delt heute wie täglich mit dem Inge
nieur Seger im Thiergarten Tie Be
gcgnungcn sehen verabredeten Zusam
menlünftcn verzweifelt ähnlich Kom
tesie kompromittirte sich."
Tie Baronin rang nach Athem.
Tas thörichte, verblendete Kind! Ge
loben Sie Schweigen bei Ihrem Man
neswrrt. lieber, verehrter Baron!
Das hat mein Mann nun von seiner
Menschenfreundlichkeit! Er schützt in
Seger einen tüchtigen, talentvollen Ar
beiter 'und hat ihn mehrfach dadurch
ausgezeichnet, daß er ihn in unser Haus
lud "
Den Knaben aus der Fremde," er
günzte Präger gecizt, Niemand kennt j
die Vergangenheit dieses Seger. oder
vielmehr, die Wenigen, die etwas wif
scn. hüllen sich in absolutes Cchmei
acn. Aa meinem Erstaunen hat er
Aufnahme in unserem Klub gefunden.
der dunkle Ehrenmann, ich aber prophe
zeie, daß er eines Tages hinausfliegt
fliegt, versichere ich Sie, meine aller-
gnädic'ste Frau!"
Sie behaupten. Baron, man kenne
die Vergangenheit des Ingenieurs nicht!
Welch' eine Bcwandtniß mag es damit
haben? Längst schon drängte ich mir
die Vorstellung auf, als sei ich Seger
bereits vor langen Jahren begegnet.
Bei welcher Gelegenheit aber? Auf
diese Frage soll er selbst mir die Ant
wort geben! Ich werde Aline von ihrer
romantischen Anwandlung gründlich
kuriren!"
Und darf ich hoffen, gnädigste Ba
ronin, daß Sie meine Fürsprecherin
sein werden bei Komteffe?"
Ich verspreche es Ihnen hoch und
heilig!" rief die Baronin pathetisch,
und Prager verabschiedete sich in der
sicheren Hoffnung, daß der Fang des
kapitalen Goldfisches" zweifellos ge
lingcn müsse.
Als die Baronin eine Stunde später
bei ihrer Tochter eintrat, lehnte diese
träumend in einem Schaukelstuhle.
Ein paar Sonnenstrahlen verloren
sich in der dunklen Haarpracht, die
Alines schön geformtes Köpfchen
schmückte, ihre blauen Augen aber
strahlten wieder von jenem Feuer, das
aus der heiligen Tiefe des Herzens em
porflammt. Der Anblick dieser blühenden Wan-
gen und des gluaverllärten Antlitzes
gemahnte die Mutter recht unbequem
an die eigene Jugend, wo sie Vettern
und Basen zum Trotz dem Einen Treue
gehalten, der sie hoch emporgetragen
hatte über .den ganzen Vcrwandtenkreis,
welcher ihr zu danken wußte durch ein
Leben voll Pflichterfüllung und uner
müdlichcm Fleiß.
Aline eilte der Mutter entgegen.
Ach. Mama, liebste Mama. komm.
setze Tich in meinen kleinen Lehnstuhl,
und dann schließe die Augen, so. wie
Tu es früher machtest, wenn ich Tir
etwas anzuvertrauen hatte "
Die Baronin wollte strenge sein, und
sie war es. Tu bist kein Kind mehr,
Aline," sagte sie tadelnd, und müßtest
doch bedenken, daß ein erwachsenes
Mädchen ihren Eltern Kummer bereitet,
wenn es den Leuten Anlaß zu mäßigem
Geschwätz giebt."
Aline wollte antworten, die Baronin
aber fuhr schnell fort: Wie durftest Tu
einem Menschen Tein Vertrauen schcn-
kcn, der jedenfalls alle Ursache hat, feine
Vergangenheit in ein gchcimnlßvolle
Dunkel zu hüllen."
Der unerwartete Angriff betäubte
das junge Mädchen fast, aber ihr Stolz
und die Liebe gaben ihr schnell die Gci-
stcsgegenwart zurück.
Man hat Viktor und mich bei Dir
angeschwärzt, Mama!" rief sie, fest cnt-
schlössen, sich serner durch nichts beirren
zu lassen, wie willst Du es aber der-
antworten, wenn Du über jemand den
Stab brichst, dessen Vertheidigung Tu
nicht gehört hast! Ich liebe Viktor und
glaube an ihn, oder ich müßte denn
aus seinem eigenen Munde erfahren
daß er meines Vertrauens unwcrth ist."
Gut," 'sagte die Baronin, ich nehme
Tich beim Wort! Ich werde Seger in
meinem salon empfangen, und Tu
magst, ohne ihm Deine Gegenwart au
verrathen, Zeugin unserer Unterredung
sein."
Ich habe doch wohl kein Recht, mich
auf eine so wenig würdige Weise in
Viktors Geheimnisse zu drängen," mur
melte das junge Mädchen beklommen,
der bestimmte Ton der Baronin äng
stigte und verwirrte sie. Ader ebenso
schnell schüttelte sie die dumpfe Furcht
ab, wie ein lästiges Gewand, ihr Auge
blickte klar, ein Leuchten ging über ihr
schönes Antlitz.
so mag mein festes Vertrauen Dei-
ncm Mißtrauen gegenüberstehen." ent-
schied sie ruhig, was Tu auch mit mei-
nem Verlobten zu verhandeln haft, ich
bin überzeugt, seine Ehre geht sieghaft
aus dieser Prüfung hervor."
Dein Verlobter ich bitte Tich,
Aline"
Tie Baronin eilte an's Telephon.
Viktor befand sich, wie es ihr erwünscht
war. im Klub. Sie bat ihn höflich,
er möge sogleich zu einer Unterredung
zu ihr kommen. Er versprach, ihrem
Wunsche zu willfahren.
In bangem Herzklopfen verbrachte
Aline die nächste Viertelstunde. Endlich
aber war auch sie überstanden. Das
junge Mädchen vernahm die Stimme
des Geliebten. Sie schlüpfte auf ihren
aucherposten.
Der Diener meldete und gleich darauf
auftrat der Ingenieur ein.
Handelt so ein Ehrenmann?!" rief
die Baronin entrüstet, nachdem sie den
jungen Mann sehr oberflächlich begrüßt
hatte, wir öffneten Ihnen unser Haus,
und Sie lohnen durch schnöden Undank
unser Vertrauen, indem Sie unsere ein
zige Tochter kompromittiren!"
In den Augen der Welt habe ich ein
Unrecht begangen, wenn ich mit Ihrer
Fräulein Tochter einige Tage nachcin
ander ein Zusammentreffen verab
redete," entgegncte Viktor ernst und in
nig. aber ich bitte, entziehen Sie mir
deshalb nicht Ihr Vertrauen, gnädigste
Frau. Die Ungleichheit unserer Ver
Hältnisse allein ist schuld, wenn Aline
und ich uns nicht vor allen Dingen
Ihres Segens zu unserem Bunde, sowie
der Einwilligung des Herrn Barons
versicherten."
Und anstatt der Komtesse dieser Un
gleichheit der Verhältnisse wegen fern zu
bleiben, bethörten Sie das lelchtglüu
bige Mädchen "
.Diesen Vorwurf weise ich entschieden
zurück. Ich habe Ihre Tochter, die ich
anbete, weder bcthört, noch auf ihre
Leichtgläubigkeit spckulirt "
Nicht? So haben Sie Aline Ihre
Vergangenheit offenbart?"
Eine pcinlicke Ueberraschung ver-
ricth sich bei dieser Frage in den Zügen
des iunqen Mannes. Nein, das
habe ich nicht gethan " antwortete er
zögernd.
Aha! Jetzt kommen wir Ihren
Heimlichkeiten schon auf die Spur! Ich
bin Ihnen übrigens bereits früher ein
mal begegnet sehen Sie. wie verlegen
sie werden, sicher willen sie ganz
genau, wo wir vor langer Zelt einmal
zusammengetroffen sind, leugnen Sie
es, wenn Sie können!"
Ich vermag es nicht zu beftreiten "
Tie Baronin triumphirte. So! Nun
kommen Sie doch einmal meinem Ge-
dächtniß zu Hilfe. Verehrter, ich entsinne
mich nämlich trotz angestrengten Nach-
dcnkens nicht mehr "
Jetzt befreite sich der Ingenieur encr-
gisch von einer Pein, die seine Gesichts
züge so deutlich verriethen. Ich bitte
Sie. gnädigste Frau, mir diese Auf
klärung einstweilen noch zu erlassen,"
bat er in einem Ton, der mehr einer
stolzen Forderung glich, der Herr Ba-
ron kennt mich als einen strebsamen
Arbeiter und hat stets meinen Leistun
gen die beste Anerkennung gezollt.
Mag vorläufig doch die Vergangenheit
ruhen "
Tas ist feige." sagte die Baronin
mit vernichtender Stimme, und mag
ein Mensch das Aergste begangen haben,
so versagt man ihm eme gewisse Achtung
nicht, wenn er den Muth der Wahrheit
besitzt "
Wenn ich zu schweigen wünlche, so
geschieht es Ihretwegen, Frau Ba
ronin, um Sie zu schonen!" ries nun
auch Viktor unbedacht, mit erhobener
Stimme.
Sind Sie denn wahnsinnig? Sie
wollen m i ch schonen, mich, die Baronin
Teseler? Ich befehle Ihnen, zu sprechen,
ich will wissen, ob ich in Ihrer Schuld
bin. ob Sie mir je einen Ticnst erwie
sen haben, für den ich Sie nicht gelohnt
hätte!"
Ich bitte, ich beschwöre Sie, Frau
Baronin "
Es traf ihn nur ein Blick eisiger Per
achtunq.
Viktor zögerte noch einige Sekunden,
dann sagte er ruhig:
Als ich vor Jahren, es war uch an
einem solch blüthenreichen S mmer
abend, die Fricdrichstraße hinabfuhr,
bemerkte ich eine einfache, junge Frau,
die fast ohnmächtig am Pfeiler eines
Miethpalaocs lehnte. Es begannen sich
bereits Neugierige um sie zu sammeln,
so daß in kurzer Zeit ein Auflauf ent-
stehen mußte. An die Kleider der halb
Bewußtlosen klammerte sich ein kleines
Mädchen, dessen blasses Gesichtchen und
erschreckte Augen mich besonders tief be
wegten. Ich sprang aus dem Wagen,
verscheuchte die Zudringlichen und
schenkte der Kleinen, da ich im Moment
nichts anderes hatte, die Rose, die ich
im Knopfloch trug. Von der
jungen Frau erfuhr ich noch, daß sie
auf der Durchreise begriffen und das
Opfer eines Gaunerstreiches geworden
sei. Man hatte ihr nicht nur ihre
Effekten, sondern auch das Baargcld ab
genommen. In ihrer gänzlichen Un-
crfahrenheit war die Aermste der Ver
zweiflung nahe "
Der sie durch Ihre thatkräftige
Hilfe, denn außer der Rose spendeten
Sie noch fünf blanke Goldstücke, ent-
rissen wurde," ergänzte die Varonin
mit brennenden Wangen. Das Geld
ist uns zum Segen geworden, aber nie
mals konnte ich meinen Dank oder die
Schuld abtragen, denn Sie nannten
damals einen Namen, dessen Träger
nicht zu ermitteln war!"
Graf Seger Landsberg "
Ah ganz recht! Aber wcs
halb?" Meine theure, gnädige Frau, das
Leben führt uns oft seltsam verschlun
gene Wege. Damals besaß ich einen
Titel und Vermögen und .Sie waren
unbemittelt, und heute ist das Umgc
kehrte der Fall. Ich bürgte für einen
Freund und verlor durch dessen Leicht
sinn mein Kapital, und da ich nicht von
den Unterstützungen meiner Standes
genossen leben wollte, so legte ich den
mir lästigen Grafentitel ab und begann
zu arbeiten. Erst feit dem heutigen
Tage, wo Aline mir die rührende Ge
schichte ihrer ersten Rose andeutete,
wurde mir zur Gewißheit, was ich vor
her nur vermuthete."
Tie Baronin war eine von den
prächtigen Frauen, die begangenes Un
recht einsehen. Auch auf ihren Wan
gen brannten jetzt dunkle Rosen die
Gluth einer ehrlichen Schani.
Verzeihen Sie," bat sie schlicht und
herzlich, wahrhaftig. Sie haben qe-
handelt wie ein echter Edelmann! Da
das Schicksal unsere Lebenswege nun
aber vereinigt, so dürfen Sie sich auch
den Luxus gestatten, Rang und Titel
weiter zu führen!!"
Sobald ich mir durch angestrengten
Fleiß ein entsprechendes Kapital erwor
ben habe, gnädigste Frau."
Dabei blieb es..
Aline verrieth es dem geliebten
Manne niemals, daß sie Zeugin dieser
Unterredung gewesen war. Sie er
kannte, daß sie ihre Mutter nicht noch
tiefer demüthigen durfte.
Die Geschichte der ersten Rose wurde
nie erörtert zwischen den jungen Gat
ten. Es giebt auch Geheimnisse, die
man ehren muß, denn sie sind berufen.
Segen zu stiften ohne Ende.
Auch eine yisrnarcf - rin
ncnuuV.
Nach Minhkiluiigcn kinks deuijchkn riegers
von A. C o 1 1 w a l b.
Eine der köstlichsten Erinnerungen
meines SoldatenlcdenS verdanke ich
dem Umstände, daß meine engeren
Kameraden im Siebziger Kriege mich
scherzweise Blsmarck" zu nennen pfleg
ten. Wie ich zu dieser schmeichelhaften
Benennung gekommen bin. weiß ich
heute selbst nicht mehr recht. Man
nannte mich, wie ich glaube, nur des
halb so. weil ich schon damals ein
glühender Bismarck-Vcrehrer war und
bei jeder Gelegenheit meiner Schmar
merei für den Mann in jugendlich-
enthusiastischer Weise Ausdruck gab.
Ich machte den Feldzug als Unter
Offizier im hanseatischen Infanterie-
Regiment mit. Es war an einem schö
nen März-Morgen. als unser Bataillon
auf der Heerstraße von Rouen nach
Tieppe marschirte.
Tie Friedenspräliminarien waren
unterzeichnet und die frohe Aussicht,
nach so vielen Strapazen und Gefahren
bald die liebe Heimath wiederzusehen.
rfüllte alle Herzen mit beschreib-
lichem Jubel.
Nachdem wir das schöne schloß Fon-
taine le Bourg passirt, rückten wir mit
Tritt gefaßt" mit klingendem Spiel
in den Flecken Arques ein, der sich in
einem Thalkessel malerisch hindehnte.
Ich wurde beim Pfarrer des Ortes
einquartirt und erfreute mich der lic-
benswürdigsten Bewirthung. Beim
Kaffee lenkte ich das Gespräch auf die
Naturschönheit der Gegend und erfuhr,
daß die Ruine auf dem Berge da dro-
ben einst ein Schloß gewesen, worin
König Heinrich der Vierte an der Seite
seiner Gabriele die schönsten Tage sei
nes Lebens verbracht. Ich beschloß, die
Ruine gleich in Augenschein zu nehmen.
Schon hatte ich mich dem Fuße der
Anhöhe genähert, als lauter Wortwech-
sei aus dem nebcnliegcnden Bauern-
hause meinen Schritt hemmte.
Eine unserer Requisnionspatroulllen
hatten dort ein Stück Rindvieh entdeckt
und wollte dasselbe gegen die übliche
Bestätigung wegführen. Es war die
letzte Kuh der armen Leute, das konnte
ich nicht zugeben. .
Gut," entschied mein Duzbruder
Schmied, der Patrouillenfuhrer war.
lassen wir den armen Ludersch die
Kuh, wenn's der Bismarck so haben
will. Adieu. Bismarck!"
Tie Patrouille entfernte sich.
Mir fiel auf. daß die Bäuerin und
ihre Tochter, ein wunderschönes, schwarz
äugiges Kind der Normandie, mich nach
den Worten Schmiedet s: Adieu Bis
marck!" aus respektvoller Entfernung
mit offenem Munde wie etwas Unge
hcuerliches anstarrten.
Das Mädchen gewann zuerst die
Fassung wieder.
Ah. Sie sind Bismarck?"
0ui! Je suis si libre!" erwiderte
ich höflich.
Da mein freundliches Verhalten sie
zutraulich machte kam sie zu mir und
drückte mir innig die Hände..
Mille graces, Monsieur Bis
marck, veras nous avez rendu un
erancl service!"
(Taufend Tank, Herr Bismarck, Sie
haben uns einen großen Gefallen er-
wiesen.")
Frie, prie, mon belle eniant,
wehrte ich ob, cela sest passe
volontiers!"
(Bitte, mein schönes Kind," wehrte
ich ab, das ist gern geschehen!")
C, wie können wir Ihnen danken.
mein Herr Bismarck!" laucyzte, nocy
feuchten Auges, das Mädchen.
Ich wies icden Tank ab und bat
ne, mir nur den Weg zur Ruine zu
zeigen.
Sie erklärte sich sofort dazu bereit
und wir schritten gemeinsam der
Ruine zu.
Sie erzählte mir, lie heiße Gabriele,
sei erst achtzehn Jahre alt und habe
schon drei Bewerber ausgeschlagen, den
Henri Roauet. Henri Millard und
Henri Poisard.-
Ich bemerkte scherzend, daß' ich auch
Heinrich heiße, was dasselbe sei wie
Henry, ich sei also für sie Heinrich der
Vierte, ob sie meine Gabriele sein wolle k
Sie klatschte in die Hände vor Freude
über dies mich selbst frappirendc Zu
sümmcnstimmen der Namen, ohne die
Frage zu beantworten. Alles an ihr
war köstliche Naivetät.
Wir traten aus dein Waldesdunkcl
in den hellen Sonnenschein.
Ein prächtiger Rundblick bot sich
von hier dem Auge dar.
In der That, Heinrich der Vierte
hatte, eines der schönsten Plätzchen in
seinem schöben Frankreich zu seinem
nick d'amour" (Licbesneste) erwählt!
Wir setzten uns nebeneinander auf
die steinerne Bank im Erker der
Ruine.
Gabriele war wieder ernster gemor
den; sie schien sich daran zu erinnern,
daß der mächtige Bismarck. der größte
Feind ihres Vaterlandes, neben ihr
sitze.
Nicht wahr, meine Heimath ist ein
schönes Land!" rief sie. auf das Herr
liche Panorama vor uns deutend.
Und doch" ihre Augen füllten sich
mit Thränen ein so unglückliches
Land! Ter Krieg hat uns so viel ge
tostet, an Menschenleben und an Hab
und Gut. alles haben wir verloren und
man sagt, 5 Milliarden Kriegskosten
seien noch aufzubringen. 5 Milliar
den! C, Monsieur Bismarck" ich warf
mich im Gefühl meiner Würde stolz in
die Brust und bemühte mich, möglichst
ftaatsmannisch auszusehen. .O.
Monsieur Bismarck." fuhr Gabriele
fort und warf sich in einem Ausbruch
leidenschaftlicher Aufwallung schluch
zend über mich hin. können Sie wirk
lich so hart sein? Fünf Milliarden für
das arme Land!"
Aha! Nnu merkte ich. worauf die
Kleine hinauswollte! Tas schlaue Ting
wollte mir etwas von der Kriegslon
tribution herunterhandeln. Tarauf
konnte ich als kluger Staatsmann unter
keinen Umständen eingehen. Jsnich!"
war ich im Begriff zu rufen, da hatte
sie das 'Köpfchen meinem Gesicht ge
nähert und blickte mich, init der rechten
Hand meine Wange liebkosend, mit
der linken meinen Schnurrbart zivir
beliid. so treuherzig flehend an. daß ich
eine höchst undiplomatiicye AUyrung
nicht zu unterdrücken vermochte. j
Ich will Sie auch recht lieb haben
eher Monsieur Bismarck," bat sie
sich zärtlich an meine Schulter schnne
gend.
Donnerwetter! Es überlief mich bald
heiß, bald kalt. Ein Beben, wie ich es
in keiner Schlacht gefühlt, erschütterte
mich bei der sanften Berührung dieser
schönen Feindin.
AIs ich noch zauderte, brach sie von
neuem in Thränen aus. Tas hielt ich
nicht mehr aus. Ter Diplomat in niir
machte kläglich Fiasko vor dem Unter
offizier Heinrich Schulze, der mit seinem
leicht entzündlichen Naturell im Frie
den vor so mancher Schürze kapitulirt
hatte.
Na." beschwichtigte ich, nicht wei
nen, Kind, man hat ja auch kein Tiger
herz im Leibe. Darüber läßt sich ja noch
reden!
Mir fiel in diesem Augenblick ein
Vers ein, den unser Einjähriger
chwarz gestern auf ein Papier qe
schrieben und in seiner Duselei natüv
lich verloren hatte.
Wohl nenn ich meine Feinde Frank
reichs Söhne',
Weil ihre Waffen unser Land bedroh-
ten,
Doch um so mehr lieb ich die fränk'sche
schöne
Mit ihren Aeuglein süß, dein Mund,
dem rothen."
Ich will ja gerne eine Milliarde
heruntergehen, mein Schätzchcn," er
klärte ich dann wohlwollend, wenn
Tu mir einen recht hübschen Kuß
giebst. Eine helle Gluth ergoß sich über
ihre Wangen.
Sagen Sie zwei Milliarden, lieber
Bismarck, eine ist trop peu."
Nichts da, zwei Milliarden ist mir
trop viel für einen Kuß. Unser
Kriegs-Reglement schreibt feste Preise
vor."
sie tchlang ihre Arme um meinen
Hals, spitzte ihr Mündchen und
schmatz! war eine Milliarde weg.
Leider war mein Verlangen nach die-
scn rosig frischen Mädchenlippen damit
noch nicht gestillt. Ich riskirte noch eine
zweite Milliarde, dann auch die dritte,
vierte und fünfte, so daß binnen einer
Viertelstunde die ganze Kricgs-Kontri-
bution zum Kuckuck war.
Wer weiß, ob ich nicht noch weitere
Konzessionen an den Feind gemacht
hätte, der in so lieblich lockender Ge
stalt neben mir faß und mit dem Feuer
seiner zärtlichsten Blicke meine Position
bedrohte: ich besann mich aber noch
rechtzeitig, daß ich meinem Namen keine
Schande machen dürfte, und erhob
mich, indem ich erklärte, daß ich die
Verhandlungen für abgeschlossen hielt;
weitere Zugeständnisse seien unmöglich,
da ich auf tein:n Fall Schulden auf die
Kricgskassc machen dürfte.
Ter selige König Heinrich der Vierte
hatte wohl kaum geahnt, daß an der
stillen Stätte feines Liebesqlücks der-
einst der Unteroffizier Heinrich der
Vierte. Schulze aus Lübeck mit einer
anderen Gabriele über das Wohl und
Wehe Frankreichs unterhandeln werde.
Am Waldessäume verabschiedete ich
mich von dem Feinde noch mit einigen
herzhaften Küssen, die mir ohne jeden
metallischen Beigeschmack kostenfrei zu
gebilligt wurden, da die Kleine offen
bar eingesehen hatte,' daß jeder Ver-
uch, mich auch noch zum Verzicht auf
Elsaß-Lothringen zu bewegen, an mei-
ncr Festigkeit gcichcltcrt wäre.
Gabriele schärfte mir noch ein. ia
mein Versprechen bezüglich der Kriegs-
entschadigung zu halten, und Iprang
dann in muntern Sätzen die steile Höhe
hinab.
Tie zwischen mir und der niedlichen
Gabriele auf dem Luftschlossc Heinrich
des Vierten geschlossenen riedensbe
dingungcn wurden bekanntlich durch
den wirklichen Bismarck später wcsent-
ich modisizirt.
Wir verblieben bis zum Friedens-
chluß in Tieppe. dann ging es endlich
zur Heimath zurück.
Ein glücklicher Zufall fugte es. oatz
die Marschroute unseres Heimweges
wieder durch Arques führte.
Tie kurze Marschrast war nur äußerst
willkommen: ich flog mehr, als ich ging,
nach dem Haufe Gabriclcns zu. Tie
alte Mutter, freudig überrascht, mich
wiederzusehen, theilte mir mit. Gabriele
sei in den Wald, um Holz zu holen.
Ich schlug den Weg nach der Ruine
ein. zu der es mich mächtig hiiiwg.
Meine Hoffnung, sie dort zu treffen,
täuschte mich nicht. Als sie meiner a:
sichtig wurde, siel ihr vor Freude ihr
Bündel Holz vom Arm. Sie ließ es
liegen und eilte mir mit ausleuchten
dem Blick entgegen. Auf einmal schien
sie sich auf etwas zu besinnen i sie ließ
die Arme, die sie zärtlich um meinen
Hals schlingen wollte, wieder sinken
und reichte mir statt jeder wärmeren
Begrüßung nur zögernd ihr Hündchen.
Sie haben mich getäuscht. Herr
Bismarck. mir werden doch die Milliar
den bezahlen müssen."
Ich suchte sie zu trösten, so gut ich
konnte.
ES ging wirklich nicht. Kind!" ver
sicherte ich aus vollster Ueberzeugung.
Tu glaubst nicht, was mich der Krieg
selber gekostet hat! Damit Du ahcr
siehst daß ich kein unehrenhafter Feind
bin. will ich Dir die Küsse alle rollzäh
lig wiedergeben!"
Sie war mit dieser Lösung der Ent-
schädiglingsfrage sichtlich zufrieden.
Bald verließen wir unter den rau
schenken Klängen der Musik das lieb
liche Arques. Ich mußte noch einmal
zur Ruine hinaufblickrn. da wehte mir
ein weißes Tuch vom Erkcrstübchen den
Abschicdsgruß zu.
Berkehrtt Welt.
Tie Pariser Gesellschaft amüsirt sich
über einen ergötzlichen Vorfall, der sich
zwischen der Gräfin de Fontenay und
ihrer Küchenfee abspielte. Die Gräfin,
besaß seit drei Jahren eine unvcrglcich-
liche, aber unausstehliche Köchin, den
Launen und Bosheiten sie nur ihrem
Feinschmecker von Gatten zu Liebe er
trug. Vor Kurzem verreiste der Graf,
und nun wurde Mlle. Louise so unvcr
schämt, daß der Gräfin endlich die Ge
duld riß und sie ihr kündigte. Am
anderen Morgen triumphirte die Köchin,
daß sie von der Baronin Z). angestellt
werden würde, deren Gemahl ebenfalls
ein großer Epikuräer ist und der Gräfin
manche Schmeichelei über ihr borzüg
liches Effen gesagt hatte. Madame."
schloß Louise ihre Mittheilung, wer
den mir, bitte, ein Zeugniß ausstellen.
Nicht über mein Kochen das ist be
kannt genug aber über meine Ehr
lichkcit und alles Andere." Mlle.
Louise ist nun ohne Frage vollendet im
Zubereiten herrlicher Saucen, aber sie
kann Gedrucktes nur mühsam entziffern
und geschriebene Buchstaben sind für sie
Hieroglyphen. Ohne das Papier, das
ihr die Komtesse gab, auch nur eines
Blickes zu würdigen, begab sich die
Küchenfee damit in das Haus ihrer
künftigen Herrin. Wie erstaunte sie,
als die Baronin, nachdem sie das
Zeugniß" gelesen, in lautes Lachen
ausbrach und mit abwehrender Hand
bcwegung sagte: Meine Liebe, ich
fürchte, daß Sie für mich nicht zu ge
brauchen find!" Tas Schreiben aber
lautete: Ich. Comtesse de Fönten.
bestätige hiermit, daß ick drei lanae
Jahre hindurch im Tienst der genial?.
Köchin Mlle. Louise Girot gestanden
habe, und daß ich stets mein Möglich
stes that, um sie in allen ihren An
fordcrungen zufrieden zu stellen. Es
hat mich geschmerzt, als ich erkannte.
daß mit ihrem eigenartigen Tempera
ment nur schwer fertig zu werden war;
versuchte ich immer von Neuem.
mich gut mit ihr zu stellen, da ihre
aucen. die Monsieur le Comte so sehr
liebt, in der That ausgezeichnet sind.
Ich würde gern in Mlle. Girots Ticn-
ten geblieben sein, obwohl meine Börse
und meine Geduld beständig in An.
pruch genommen werden. Bezüglich
ihrer Ehrlichkeit enthalte ich mich jeder
Bemerkung. Zu weiterer Auskunft
gern bereit. Eomtcsse de Fontenay."
Die Gräfin ist von der höchlichst ent-
rüsteten Köchin zwar verklagt worden
und hat auch ein kleines Reugeld zahlen
müssen, aber ihren Spaß hat sie doch
gehabt.
5s gelang.
Ter Bursche eines Offiziers in Tilsit
klopft vor der Thüre Hosen und Rock
eines Herrn aus. Ein vorübergehen-
der Langfinger betrachtet mit Wohlgc-
allen die schönen Beinkleider. Er tritt
an den Bur chcn ycran, chreibt auf
einen Zettel einige Worte, steckt ihn in
ein Eouvcrt und übcrgicbt dasselbe denn
Burschen mit der Bitte, es doch sofort
dem Herrn Leutnant zu bringen. Ter
Bursche geht und läßt die Kleidungs
stücke unten. Ter Offizier liest die
äthsclhaficn Worte: Gelingt es. ist es
gut; gelingt es nicht, ist es auch gut"
und schickt den Burschen hinunter, den
fremden Herrn zu fragen, was er denn
eigentlich wolle, er möchte doch hinauf
kommen. Aber der Fremde war in
dessen verschwunden, und weinend
kommt der Bursche zurück mit den Wor
ten: Herr Leutnant, es ist ihm ge-
lungen. Er ist mit Hosen und Rock
davongegangen."
Wahrheit.
Hast Tu ein krummes Bäumlein draus.
Bieg's mit Gewalt;
Hast Tu ein böses Bübchen z' Haus.
Zieh' es fein bald.
Hat erst das Bäumlein Reis und Propf,
Biegst Tu es schwer.
Wuchs Dir Tein Büblein über'n Kopf,
Ziehst Tu's nicht mehr.
l'cshcit.
Herr (zu einem Plagiator): Sagen
Sie mal von wem war denn Ihr
Gedicht in der heutigen Morgenzei-hing?"