Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 17, 1899, Image 9

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    -
5cnnta5frcu
Aul dem Leben von E Lei.
Die Herbftsonne guckt in das Man
sardenfcnster. ein breiter, aoldiaer
Streifen läuft über den Fußboden,
und in der Sonne fitzt die Heine Line
auf einem Fußbünichcn die Puppe aus
dem -chofz. Sie pickt ihr mit beiden
Fingern in die starren Glasaugen und
kräht mit der hellen, dünnen Kinder
stimme :
Liebes Kindchen. eZ ist wahr.
Wasser macht die Aeuglein klar.
Trum trink nur flink'."
Ter Mann am Schreibtisch hebt den
Kopf. Ja. so fang Marianne, kaum
sechs Wochen sind es her. da hörte er's
noch. Lange sechs Wochen ohne sie. die
feine Stütze, fein Muth, feine Host
nung war. KleiN'Line oat der Mutter
Art. und ein gutes Gedächtniß bat sie
dazu.
Er senkt den Kopf auf die Hand.
Was soll werden was soll werden?
Hundertmal, tausendmal hat er sich die
Frage vorgelegt, feit sie fortgetragen ist
in dem gelben hohen Sarge.
Schlecht war's ihnen hier ergangen,
immer schlechter, seit er sich hatte Der
führen lassen, aus der kleinen thüringi
fchcn Stadt nach Berlin zu ziehen, um
in dem neugegründeten Geschäft eines
Freundes eine Anstellung zu nehmen.
Ten sicheren Posten eines Aktuars beim
Gericht hatte er aufgegeben und sein
kleines elterliches Erbe hineingesteckt in
den Schwindel. Sie war dagegen ge
wescn mit ihren hellen Augen und ihrer
klugen Vorsicht. So kamen sie her.
Er, den Kopf voll romantischer Hoff
nungen, sie praktisch anfassend, was ge
than werden mußte, muthig tragend,
was sich an Widerwärtigkeiten bot.
Sein Stab, feine Stütze!
Und so lieb und gut und schön war
sie. Wenn er daS Linchen ansieht mit
dem keinen blaffen Gl icht, dem ziel
liehen MSchen, den seltsam blitzenden
Muni dem runden rotben Mündchen
aiebts ihm einen Stich sie ist das
iimp llnenbild seines armen Weibes
in heilen Leben er so wenig Helle und
Wärme gebracht hat. Jetzt fühlt er's
Tenn sie. die tapfere Marianne.
mnrh mM unlustig, sie nicht. Sie
nähte für Geschäfte, sie hielt die kleine
Wirth chatt in Ordnung unv pnegie
ihn. wenn die Jschiasschmcrzcn schlimm
wurden.
Durch müssen wir doch!" sagte sie
in ihrer bestimmten Weise. Und sie
übernahm es, zum Hauswirth zu gehen
und um Stundung der uicieiye zu du
teil damit sie nickt das Dach über dem
Kopf verlören. Und sie scheute auch die
demiitbi, Meae auf das Lelbamt mcvt
Laß nur. du paßt nicht dazu!" meinte
sie. Und nie eine Anklage und nie ein
Vorwurf, und sie hatte doch zur rechten
Zeit Heller gesehen. Durch müssen
wir doch!"
Menn er fi iekt nur nicht so iäm
mcrlich verfallen gefühlt hätte trotz der
beiden Kinder, von denen die paar
peilte die isirn ihr Beileid ausaespro
Am, gesagt Hatten: Die bleiben Ihnen
in die werden ?5br Trott sein!.
Durch müssen wir doch!" Wie er
nur durchkommen soll, nein, das weiß
er nickt. Es legt sich wie ein grauer
Nebel über seine Augen, er beißt die
Fcdcr ein. Nein, er darf keine Zeit
verlieren, selbst nicht bei den schmerz
' kicken tsrinnerunaen.
Line hat jetzt einen Lappen erwischt,
mit dem reibt sie krästia über das fahl
gewordene Wachsgesicht der Puppe, die
an und für sich schon ein arm,engcs w
ffhfttif ist denn es seblt ibr der linke
Fuß. und sie hat am Hinterkopf einen
klaffenden Riß.
..Liebes Kindchen, fei nicht dumm.
Ter Schwamm fährt im Gesicht herum,
Macht s rem und sein!"
Nun guckt Ludwig von feinem Buch
auf. Er ist ein blasser, aufgeschossener
Junge von zwölf Jahren. Turch das
Stückchen Weltgeschichte vom Großen
Kurfürsten handelt es klingt's wie die
Stimme der Mutter.
PuMnia kennt die Verschen der Mut
in ml wobl. aber Line ist verwöhnt.
sie will immer neue haben. Und das
können der Vater und er nicht. Auch
ihm beim Ueberhören das thut keiner
tnefci- (Sie sonnte so geschickt mit einem
Wort aushelfen, daß man gleich wieder
drin war.
Er stöhnt leise und nimmt dann
sein Taschentuch und ,cyncuzi liaj ge
nviMslm um den aussteigenden Thrä
nen zu wehren. Er ist doch nun bald
in TOrtnn.
St!" macht Linchen und hebt den
Finger.
t&ni Cinh will scklasen.
Und wenn das Kindchen schlafen will.
- ... n. v r. n:n
tt 8 rings INI Vllus uilv tjauc uu,
Und Englein geben acht, zur Nacht."
Staubatome tanzen in dem Sonnen
strahl. Ludwig sieht plötzlich auch,
,r hornenVtt fiflt. die KoiNM0de llb-
UUD vvvvj,!.. -7 , .
zuwischcn. Staub konnte Mutterchen
nicht leiden, er springt auf und holt
ein Tuch und beginnt die Fläche zu
reiben. '
Tvifc mustert er das Simmer
Leidlich aufgeräumt ist ja. Aber auf
feinem Lager drüben an der Wand,
' -. r m.n f
einem kleinen, lernen xu, nem u!
Hand, auch ein Aktenbündel des Vaters.
DaS hätte Mütterchen nicht gelitten,
et, WoAtSrtnnifllt erlaubt dem ehe,
jii . r
maligen Aktuar, jetzt viel zu Haufe
Der
Jahrgang 20.
anzusertiaen. des sonst unbeaufnch
tigten LinchenS halber. Wenn Ludwig
in der Schule ist. vleitn aier zu
Hause. Eine Nachbarin auf demsel.
den ftlur falls t ibm beim Kochen sie
stand auch gut mit Mütterchen, die ihr
in schwerer Krankheit viel veigeiprungen
war.
?udmia reibt an der Kommoden
platte: der eine Fuß ist wackelig und
kracht dabei.
Ter Vater fährt in die vohe und tragt:
Was giebt's denn?"
Ter Junge weife nicht recht, was er
antworten soll. Wie wund und voll
Heimweh sein Herz nach der Gestorbenen
ist, mag er dem Vater nicht sagen; der
seufzt oft genug.
..Ack. du willst wobl iekt fort in die
Sckule?" meint Vater Tonnies, der
außer seinem großen Schmerz alles letzt
vergißt. Zeit und Stunde. Ja, denn
mach nur dann mach' nur, mein
Sohn."
j'udwia auckt in den Sonnenstrahl.
der um Linens Blondkopf spielt, und
sagt mit seiner dünnen, etwas klagen
den Stimme: Es ist doch heute Sonn
tag, Vater! Hast du das denn ver
aeüen?"
Ter Altuar legt die jeder mn uno
hebt sich mit einiger Anstrengung, wegen
seines schmerzenden Beines, in die voye
An einem Sonntaa Abend hat Ma
rianne das letzte Wort gesprochen, dann
raubten ihr die Schmerzen die spracye
Sie bat ibn bei beiden Händen gehal
ten und ihm in die Augen gesehen; sie
ahnte wohl, daß sie fort von Mann und
Kindern mußte.
Aber nickts von Klaaen und Ab
schied. Fest, fest hielt sie feine Finger
umschlossen. Sie wußte woyl, valz er
ihren Waisen kein starker Schützer, aber
ein treu ausbarrendes öett fein würde.
Sie ließ sich nichts versprechen, nichts
schwören und betheuern.
..Was für ein Tag ist heute?" fragte
sie- .....
..Sonntaa. Marianne!"
, Vergiß nicht mach' ihnen" ihre
Blicke suchten die Kinder ab und zu
eine Sonntagssreude.
n kam ein atbemraudender u
stenankall. reden konnte sie nickt mehr.
und bald war es aus. Ein paar Tage
später ging er, Ludwig an der Hand,
binter dem Sara ber einer nur
folgte noch, sein Hauswirth, obwohl er
ihm Miethe schuldete. Der wußte auch,
welch' eine prächtige Frau sie gewesen
war.
Ter Vater steht auf und fährt mit
der linken Hand über den Schreibärmel,
den er übergezogen hat. Tie Sonne ist
sa ooldia. das Wetter ist wohl kühl.
aber gut. So eine Lust, in der sich
frei athmen läßt. All die Sonntage,
die seit Mariannens ZZortaana kamen
und gingen, hat er ihrem Wugsch nicht
nachgegeben. Er hat gar nicht daran
gedacht in seinem tiefen, dumpfen
Schmerz. Nun mahnt ihn der Junge,
ohne sich vielleicht selber etwas dabei zu
denken. .. .ftast Du das denn veraessen.
Papa?" Ihm ist. als spräche es Ma
rianne nack.
Nein, nein! Sonntag! Ja, und so
schönes Wetter. Ta sollt ihr auch eme
Sonntaasfreude machen, aewiß sollt ibr
das! Gleich jetzt sollt ihr hinaus!" Er
wird ganz hastig, ganz levyast savei.
Willst Du mit uns ausgehen, Wo.
ter?" frao.t Ludwig erstaunt.
..?lck. nein, ick kann nicht ! Tie Ar
beit pressirt ! Der Rcchtsanmalt braucht
die Akten morgen. Äver das geyl
auch ohne mich eine Sonntagssrev.de
Tu bist ia arok und verständig. Lud
wig! Denk' mal nach was ihr thun
könntet. Denk' mal nach, mein lieber
imiat. Mas so eine reckte Sonntags-
freude sein würde! Einen Groschen, den
habe ich schon übrig, den darf s kosten!
Eine Sonntagssreude. das war ja ihr
letzter Wunich!"
Und er sieht Ludwig forschend an,
der aam rotb wird bei dem Nachdenken.
das ihm anbefohlen wird. Tie Kleine
plappert mit ihrem Püppchen weiter.
..Meint Du. Ludwia. nickt Eksacken
Etwas, das man sick sonst nickt leisten
kann. Kinder haben doch so manche
Wünsche!" Er ist auch jetzt unbchilflich,
leibst im Gewayren ves Auizcrgemoyn
lichen.
Ich Hab's!" sagt Ludwig und nickt
wichtig und macht ein paar Schritte aus
den erwartungsvoll dastehenden Vater
i. .Line kostet noch nichts wir
können eine Groschentour fahren und
dann zurückkommen. Das wird schon
sein, sebr sckön! :n der elektrischen."
setzte er fast flüsternd hinzu, als glaube
er noch nicht recht an das Gluck.
..Sebr schön! Gleich, gleich, schnell!"
bastet der ebemalme Aktuar. ..Line
Wo ist umbinden muß sie doch
etwas ?" Er stelzt wieder ratylos ln oem
Stübchen umher.
Mit einem Satz ist Ludwig in der
Schlafkammcr und kommt mit dem
schwarzen Tuchkragen der Mutter wie
Mi
Beilage zum Nebraska
der. Ten bindet die Lme um! iyexn,
fein!"
Ter Kragen bedeckt tast die ganze
kleine Gestalt in dem schädigen blauen
Kleidchen: aus der Rüsche desHalsauS
fchnitts hebt sich das kleine Köpfchen,
wie das einer Henne mit einem Feder
kragen.
Aufzusetzen hat sie freilich nichts."
sagt Ludwig kleinlaut. Sie muß im
Winter eine warme Mutze haben, aber
daS ist jetzt noch zu früh." Und dann
wird er sicherer. Aber sie hat ja so
dicke? Haar und so viele Kinder
gehen ohne Hut.
m! Ja!" Ter Vater , zusrleoen
Wenn er feiner Marianne nur Wort
hält. Es ist eine heilige Aufgabe für
ihn.
Wollt ihr Kaffee V fragte er bann,
Weißbrot ist auch da!"
Hernach, Vater."
Der händigte ihm den Nickel ein.
Nich' verlieren! Ordentlich auf das
Kind aufpassen. Bist ja schon ein
großer Mensch
Ludwig ist mit
daS er immer fest
dem Schwesterchen,
an der Hand hält.
vor die Hausthür gelangt. Ta ist mit
einmal das Gebrause der Großstadt da.
die vielen Wagen, die Radler, die Fuß
gänger, die alle der Sonntag und das
schöne Wetter hinausgelockt hat. Tann
geht er mit Line an die Haltestelle der
Elektrischen.
Sorglich hebt er das Linchen hinein
und folgt nach. Nu geht's los!"
flüstert er ihr freudig zu, und nu
geht's los!" spricht sie nach und lacht
über das ganze Gesicht.
Wie das schwindelnd schnell geht!
Tie Häuser fliegen förmlich vorbei!
Tie Menschen, die damit Schritt hal
ten wollten, müßten Siebenmeilen
stiefeln anhaben! Ist's schön, Line?"
fragt er ganz leise an dem kleinen Ohr
der Schwester. Schön!" sagt der frische
Mund, und in den Augen ist ein Leuch
ten, und die Mäusezahnchen blitzen.
Ter Schaffner kommt. Ganz feier
lich holt Ludwig seinen Nickel heraus:
Wie weit fährt man dafür?"
Bis zum Nollendorfplatz!" Und
dann weist der Schaffner auf den unbe
setzten Platz neben dem Knaben. Denn
Ludwig hat das Kind bisher zwischen
seinen Knien gehalten. Ein Leuchten
geht über das Gesicht des Knaben, als
er Line hinsetzt. Nun fährt es sich noch
einmal so gut.
Es geht wunderbar schnell fast ein
wenig zu sehr, denn ehe man sich s ver
sieht, werden sie am Nollendorfplatz sein.
Was Häuser, was Häuser!" staunt
Line, die noch nicht oft in die Stadt
gekommen ist.
Ja, ja!" sagt Ludwig, die giebt es
viel in Berlin."
Was Bäume, was Bäume!" schwatzt
die Kleine weiter.
Nun wird es voll in der Bahn, sie
muß auf Bruders Schooß sitzen, und er
hält sie sorglich, damit das federleichte
Perfönchcn nicht etwa bei einem Ruck
von seinem Schooß fliegt.
Was Mädchen, was Mädchen!" lacht
Line, als eine Pension in feierlichem
Schritt über den baumgefaßten Mittel
weg zieht.
Und nun noch eine Biegung und eine
Kirche und endlich, ja, da heißt's
Nollendorfplatz!"
Ludwig hebt das Schwesterchen her
aus. Sein Schwesterchen an der Hand,
steht er eine Weile an der Haltestelle am
Nollendorfplatz und sieht dem Ab- und
Zufahren der Wagen zu. dem Ein und
Aussteigen all' der vielen Menschen.
Fahren wir auch wieder?" fragt Line
und hebt sich auf den Zehen.
Er lacht. Kleiner Tummkopf, jetzt
gehen wir nach Haus!"
Kommen wir auch hin?" meint sie
mit ihrem dünnen Stimmchcn.
Immer der Bahn nach!" fagte er.
Hand in Hand machen die beiden
Kinder sich auf den Heimweg und
zu Hause weiden sie dem Vater von
ihrer großen Sonntagsfreude erzählen.
Die zwei Kalender.
(5in Baucrnstück aus Siebenbürgen. Von
Johann Leonhardt.
Wer Originale sucht. Menschen mit
scharf ausgeprägter Eigenart, möge
auf's Torf kommen; da gibt es solche
die Hülle und Fülle. In meiner Um
gebung fesselt mich insbesondere einer
dieser Originalmenschen immer aufs
Neue. Er ist ein Spaßmacher, eine
Art Eulenspiegel, der schon manchen
herben Scherz auf dem Gewissen hat.
mit dem er beschränkte, und abergläu
bische Gemüther in Angst und Furcht
gebracht und zu Thaten verleitete, vor
denen sie sich selbst schämen würden,
wenn sie klüger wären.
Dabei ist unser Mann einer der tüch
tigsten sächsischen Bauern. Nicht nur,
daß er seine Feldgründe mit rührigstem
.f 4r
mm
W
W
Staats-Anzeiger.
Fleiße bebaut, nicht nur, daß er jedem
Fortschritt stets Augen und Ohren
öffnet; er besitzt zähe Ausdauer, mit der
er sich auS sehr dürftigen Verhältnissen
zu ernährendem Besitzthum emporge
arbeitet hat. Mit allein Möglichen
handelte er. mit Hanf. Hafer. Lein
samen, Speck, mit Pflügen und Sen
seit. Die eisernen Pflüge, die heute in
seiner Heimathgemeinde allgemein im
Gebrauch stehen, hat er eingeführt.
Und lag um eine Zeit eine beträchtliche
Schuldenlast auf feinen Schultern, die
sich in Folge von zwei, seine gesammten
Wirthschaftsgebäude ,und Futtervor
räthe einäschernden Feuersbrünsten,
dann durch Viehkrankheiten, die ihn
zweimal seines Gespannes beraubten,
auf ihn niederlenkte, er hat sie getilgt.
Also unser Mann versteht es wohl.
auch den Ernst des Lebens zu packen
Aber, und das ist das Bewunderns
werthe an ihm, traurig und niederge
schlagen sieht man ihn nie. Auf feinem
muntern Antlitz sitzt immer der Froh
sinn, und aus den blitzenden Augen
lugt die Verschlagenheit und der Schalk
heraus.
Es ist nicht meine Absicht, diesmal
allzuviel aus dem Leben unseres Spaß
machers darzubieten. Ich beschranke
mich auf eine einzige Geschichte, die von
zwei Kalendern. In ihr machte er sich
gelegentlich zum Narren, während er
Andere zum Narren hielt.
Unser Spaßmacher hat in seinem
Leben viel in Kronstadt zu thun gehabt.
In feiner Jugend diente er daselbst.
Aus jenen Tagen berichtet er gern und
viel von eigenen Erlebnissen und ge
lungenen Streichen; diesmal aber, als
sich seine Geschichte von den zwei Kalen
dein abspielen sollte, hatte er in jener
Stadt zwei Söhne auf der Lehre. Tiefe
wollte er besuchen und gleichzeitig einiges
in Sachen seines Handels mit Lein
samen, Hanf :c. erledigen.
Als er von Hause schied, ersuchte ihn
seine verheirathete Tochter, ihr von
Kronstadt einen Kalender mitzubringen.
Nachdem unser Mann dann seine wich
tigsten Angelegenheiten in der Stadt
erledigt hatte, begab er sich in das
städtische Verkaufshaus, in welchem alle
städtischen Gewerbe ihre Waaren feil
bieten. Dort fand er auf der Stiege
auch eine ältere Frau mit Büchern und
Kalendern. Er sah sich mehrere von
diesen mit ihren farbigen Umschlägen
an und fragte, einen mit rothem Um
schlag in der Hand: Was kostet dieser
Kalender?" Zwanzig Kreuzer!"
war die Antwort. Nun, dann geben
Sie mir noch einen, Frau, weil die Ka
lender heuer so billig sind, wer weiß,
habe ich übers Jahr noch zwanzig Kreu
zer, um mir dann einen zu kaufen; aber
bitte, einen Kalender mit grünem Um
schlag, fein Inhalt wird mit dem dieses
rothen nicht gleich sein." Tie Frau
lachte und gab dem eigenthümlichen
Käufer auch einen grünen Kalender.
Tiefen hatte er für sich gekauft; der
erste, rothe, gehörte seiner Tochter.
Während dieser Mann in beiden
Büchlein noch andächtig herumblätterte,
bald eines, bald das andere ansah und
dabei eine besondere Freude an den
farbigen Umschlägen zu haben schien,
die seinem Ausspruch zufolge die Ver
schiedenheit des Inhaltes kennzeichnen
sollten, war ein älterer, graubärtiger
Mann hinter ihn getreten. Tiefer hatte
die Worte, warum sich der Bauer zwei
Kalender kaufte, und warum gerade
einen grünen zum rothen, gehört; er
klopfte ihm leise auf die Schulter und
sagte: Freund, gebt diesen zweiten Ka
lcnder zurück; seht, Ihr werft ja für
denselben das Geld hinaus; der rothe
und der grüne sind ja ganz gleich!"
Unser Spaßmacher kehrte sich mit
dem ernstesten Blick um, musterte seinen
Warner und sagte dann ruhig: Was
wissen Sie! Haben Sie denn die Kalen
der schon gelesen? Uebrigens will ich
mir eben zwei Kalender kaufen; denn
jetzt habe ich Geld. Ucbers Jahr, wer
weiß, sind sie so billig."
Mit einem mitleidigen Lächeln ent
fernte sich der fremde Mann und über
ließ den dummen Bauern mit den
zwei Kalendern seinem Schicksal.
Als dieser nächsten Morgen auf den
Bahnhof kam, um mit dem Frühzug in
feine Hcimath zurückzufahren, war's
noch recht dämmerig. Trotzdem man
delte ihn die Lust an. im Coupö wieder
einmal nach seinen Kalendern zu sehen,
und er zog den einen aus der Tasche.
Ein ältlicher, in einen Pelz gehüllter
Mann saß gegenüber. Ah, Sie haben
schon einen neuen Kalender, guter
Mann?" fragte dieser, als er das kleine,
rothe Büchlein erblickte. Tiefer ant
wortcte: Jawohl !" Bitte, erlau
den Sie ihn mir einige Augenblicke!"
bat der Fremde. Unser Spaßmacher
zog den zweiten, den grünen. Kalender
hervor und überreichte ihn. Sie haben
ja sogar zwei Kalender!" rief der
Fremde. Nun, das ist schön! Brauchen
Sie übrigens so viele Kalender in
v
No. 13.
ihrem Hause?" TaS gerade nicht.
gnädiger Herr." erwiderte unser Spaß
macher ernst, wie m Kronstadt, aber
diese Kalender sind heuer so billig, nur
zwanzig Kreuzer einer; und da habe ich
dann auch so üb-rflüssigeS Geld."
Ter fremde Herr lachte, nahm aber
den Kalender und sagte nichts weiter.
auch als er diesen bald darauf wieder
zurückgab. Dafür drängte es einen der
Mitanwesenden im Eoup4, der gerade
auch einen Kalender brauchte, sich in die
Angelegenheit hineinzumischen. Es
war der Notar aus einer der nächsten
Gemeinden des Bezirkes. Gebt mir
einen Euerer Kalender." hob er an,
was wollt Ihr mit zwei Kalendern ?
Ich geb' Euch fünfzehn Kreuzer für ei
nen. Wollt Ihr?" Sie sind ge
scheidt." versetzte unser Spaßmacher,
und ich soll mir übers Jahr vielleicht
wieder einen Kalender kaufen?" Ter
Notar lachte zuerst herzlich, dann deu
tete er auf die gleiche Jahreszahl auf
beiden Kalendern; es gelang ihm aber
weder, unserem Manne klar zu machen,
daß beide Kalender ganz gleiche feien,
noch einen von denselben zu erstehen.
Als er bald darauf abstieg, rief er dem
Unverbesserlichen zu: Gehabt Euch
wohl. Bauer; ich wünsch' Euch Glück
mit Eueren zwei Kalendern!"
Tanke!" war die Antwort. Aber
jetzt hatte unser Mann es mit den zu
rückgebliebenen Mitreisenden zu thun,
die bereits ansingen, sich ungenikt über
ihn lustig zu machen. Nach zwei Sta
tionen stieg der Herr mit dem Pelz aus.
Auch er empfahl sich besonders von un
sercm Spaßmacher mit den Worten:
Ich Wünsch' Euch Glück mit Euren
zwei Kalendern!" Auf der folgenden
Station stieg ein Handwerker des nahen
Marktes aus; der Bauer kannte ihn,
ohne daß er ihm selbst bekannt gewesen
wäre. Als auch dieser ihm beim Aus
steigen den nun bereit? gewohnheits
mäßig werdenden Abschied entgegenrief:
Ich wünsch' Euch Glück mit Euren
zwei Kalendern!" da fragte ihn unser
Spaßmacher: Nun, Herr W ,
kennen Sie mich nicht?" Ter Handwer
ker sah ihn lange an. Ihr habt mir
zwar ein bekanntes Gesicht," sagte er,
aber ich muß gestehen, ich kenne Euch
nicht. Es thut mir freilich leid; denn
so ein Exemplar !" Er empfahl
sich.
Es blieben noch drei junge Männer
zurück. Sie erfrischten sich soeben an
etwas Liqueur. Laßt uns diesem gu
ten Mann auch aufwarten!" riefen sie.
auf daß er wirklich Glück habe mit
seinen zwei Kalendern!" Unser Spatz
macher trank das ihm gereichte Gläschen
mit ebensoviel Geschick aus, als seine
freigebigen Bewitzler. Als er bald
aussteigen sollte, sagte er: Meine Her
ren, Sie haben sich belustigt über mich;
es hat mich sehr vergnügt, Sie haben
mich für einen Narren gehalten ; aber
glauben Sie mir. Sie sind selbst Nar
ren gewesen!" Die Männer waren sehr
betroffen. Ich mutz Sie nämlich jetzt
ansllaren, denn ich bin bald zu Hause,
und es macht mir weiter keinen Spatz,
Sie im Irrthum zu lassen. So wissen
Sie denn, einer dieser Kalender gehört
mir, der andere aber meiner Tochter!"
Jetzt lachten die Fahrtgenossen erst recht
und verehrten dem Spaßmacher noch
ein Gläschen.
Es war im tiefen Winter desselben
Jahres. -Man fing bereits allenthalben
an, die Schweine zu schlachten. Unser
Mann hatte wieder einmal etwas in
der Kronstädter Gegend zu thun und
kehrte beim Schulmeister einer Gemeinde
ein. Dieser Schulmister war unserem
Manne ein alter guter Bekannter. Als
er in den Hof trat, fand er dort eben
den dlei chhauer des Dorfes mit dem
Abschlachten eines Schweines beschäf
tigt. Ter Schulmeister war sehr froh.
als er den guten Bekannten sah, und
rief ihm zu: Es ist gerade gut, daß
Ihr kommt, Freund; helft uns einen
schönen Bachen (Speckseite) machen!"
Unser Spaßmacher wandte sich an den
geschäftigen Fleischhauer mit der Frage:
Was giebt man hier dem Fleischhauer,
daß er Einem eine fette Speckseite
mache?" Ein Stück Wurst und ein
mal zu trinken!" war die Antwort.
Der Fragesteller schüttelte ernst den
Kopf: Das findet man bei uns nicht.
Bei uns giebt man dem , Fleischer ein
fettes Schwein, dann macht er auch ei
nen fetten Bachen!" Selbstverständlich
lachte Alles vergnügt über diese Bemcr
kung.
Beim Mittagessen kam ein Gast zu
Tische, der Schwiegervater des Schul
meisters; er war der bereits bekannte
Notar. Man begrüßte sich; und -als
der Notar, der unserem Mann aus dem
dämmerigen Eoup6 her nicht sofort er
kannte, fragte, woher er sei. und als er
das Torf nennen hörte, da lachteer hell
auf. Ich bin einmal mit Einem aus
Eurer Gemeinde auf der Bahn zusam
wen gesessen," sagte er. aber daS war
ein herzlich dummer Kerl. Wie heißt
man Euch?" Unicr Spaßmacher nannte
seinen Namen. Ter Nötar stutzte. So
hieß ja auch mein Rcisckamerad! Giebt
es mehrere Eueres Namens in Euerem
Orte?" Nein," war die Antwort;
aber es ist auch nicht nöthig für diesen
Fall; denn ich war selbst der dumme
Kerl, Herr Notarius!" Tann klärte er
die Gesellschaft ebenfalls auf über die
Bewandtniß mit den zwei Kalendern.
Ter Notar athmete sichtbar erleichtert
auf. TaZ ist prächtig!" rief er.
Tarauf sollen wir einmal trinken!
Tenn wißt, ich habe mir schon ernste
Gedanken gemacht darüber, daß eS in
unserem sächsischen Volke noch solche
Tölpel geben könne, wie Ihr einer zu
sein vorgabt. Ihr seid ja aber vielmehr
ein ganz gcscheidter Kerl!"
Wie lange die Gesellschaft vergnügt
beisammengesessen dort beim Schweine
schlachten, hab' ich nicht erfragt. So
bald aber scheint sie sich nicht getrennt
zu haben.
Vine Luftfahrt wider Wille.
Man schreibt aus London: Von ei
nem Luftballon entführt zu werden,
ohne daß man etwas von der Luft
schifffahrt versteht, daS grenzt an die
schlimmsten Träume mit Alpdrücken,
die man sich leisten kann, und doch ha
den zwei Bradfordcr Herren, würdige
Mitglieder deS Stadtrathes, kürzlich
die Erfahrung gemacht, was es
heißt, den ersten Aufstieg im Ballon
führerlos zu machen. Ter Ingenieur
und Luftschiffer Bramhall wollte mit
den beiden Herren einen Aufstieg in ei
nem neuen, 28,000 Kubikfuß fassenden
Ballon vornehmen, wurde aber im
Momente der Abfahrt aus der Gondel
geschleudert, und als er sich aus dem
Buschwerk, in daS er glücklicherweise
unverletzt siel, wieder auf die Beine ge
bracht hatte, sah er sein Luftschiff in
schwindelnder Höhe. Eine wilde Panik
bemächtigte sich der Tausende von Zu
schauern, die befürchten mochten, daß
die unfreiwilligen Fahrer sich heraus
stürzen würden. TaS aber fiel ihnen
gar nicht ein. Wie jeder brave Eng
ländcr, der vor unmittelbarer Todes
gefahr steht, dachten sie zunächst an den
inneren Menschen und durchsuchten den
Rock ihres zurückgebliebenen Kapitäns
nach etwas Trinkbareni, was zum Glücke
in der Gestalt einer Flasche Brandy
sichtbar wurde. Nachdem ihre Stärkung
vollzogen war. wurde der einstimmige
Beschluß gefaßt, daß man nichts von
der Sache verstehe, aber jedenfalls, ganz
oder in Stücken, wohl noch landen
werde. Tie Manöver, die die Beiden
anstellten, waren nicht ganz so zart, wie
es der Eigenthümer des Ballons wohl
gewünscht hätte, und der Ballon, der
bald über 0000 Fuß hoch gestiegen war,
sprang jäher hoch oder stürzte plötzlich
tiefer, je nachdem man am Ventil zog
oder Ballast auswarf. Endlich konnte
nach 50 Minuten. 27 Meilen von der
Abfahrtstelle, die Landung in einem
Kornfeld vollzogen werden, und das
Erste, was die beiden kühnen Luftfah
rcr daran erinnerte, wie es auf der Erde
zugehe, war die wüthende Reklamation
des Farmers, der wissen wollte, warum
sie gerade sein Feld und das seines
Nachbarn ausgesucht hätten.
l?i gewissenhafter Maler.
Anekdoten von japanischen Malern,
die charakteristisch sind für die außeror
dentliche Gewissenhaftigkeit, mit der sie
an ihr Werk gehen, finden wir in einer
englischen Zeitschrift. Hier eine davon :
Ein vornehmer und sehr reicher Japaner
lud einen berühmten Künstler in sein
Haus ein, um ein Bild für ihn zu malen,
das eine Anzahl bestimmter Vögel dar
stellen sollte, wie sie bei Vollmond flie
gen. Um ihm zu zeigen, wie wichtig
ihm dieser Auftrag wäre, legte er 1000
Pfund Sterling bei, eine besonders für
die japanischen Verhältnisse erstaunlich
große Summe. Es war der Ehrgeiz
des vornehmen Herrn, gerade von dem
ersten Maler im Kaiserreiche ein Bild zu
haben. Aber er wartete beinahe ein
Jahr vergebens auf eine Antwort des.
Künstlers. Als er dann immer noch
keine bekommen hatte, schrieb er noch
einmal, legte als zarten Wink weitere
1000 Pfund Sterling bei und gab zu
verstehen, daß eine Antwort sehnlichst
erwartet werde. Da schrieb der Künstler
sofort, schickte das gesandte Geld zurück
und theilte mit, seitdem er den freund
lichen Auftrag empfangen hätte, habe
er bei jedem Vollmond nach einer guten
Gelegenheit ausgeschaut, um die erbe
tene Studie nach der Natur machen zu
können, aber es sei ihm noch nicht ge
lungcn. Es wäre unmöglich, zu be
stimmen, wann es ihm glücken würde;
es könnte fünf, zehn, auch 15 Jahre
dauern, auch könnte es sein, daß er nie
eine größere Anzahl solcher Vögel dieser
Art beim Vollmond sehen würbe, so daß
er im Stande wäre, sie richtig darzu
stellen; deshalb schicke er das wunder
schöne Geschenk zurück.
wottspiel.
, A.: Hat Dich denn der Arzt nun
von Deinem Zahnschmerz befreit."
B.: Gott sei Tank, ja. Und es
war gar nicht so schlimm, wie ich be
fürchtete, ich wurde den Schmerz
schmerzlos los."
. Abküblung.
Denken Sie sich, soeben habe ich
Ihren Namen zum ersten Male ge
drutt gesehen."
Dichter: Wirklich! O welche Freude'
Wo denn?"
Im Adreßbuch."