Der Rückzug der großen Urmec. NoeUklie von C. Myiing. Wikviel zeigt Ihre Uhr. CapitänZ fragte dcr -ctrctar dcS (ZabinctZ, Herr Mounier. ES ist jekt nach Ilj! In einer Stunde muffen wir fertig fein, ant ortete der (sapitän Sastellane. Tann nach einer Weile, sich in die Hände hauchelnd: Ruh, ist das eine Kälte! Turch alle Ritzen kommt eS herein! I. schauerlich. Heute Morgen sind uns wieder zwei Schildwachcn erfroren in scböncS Veranüaen. jetzt Schild wache zu stehen. Na. fahren wir fort! Sie sagten: Seine Majestät sprachen kick über den Zustand der Armee be iriediat auZ. Es friert stark. Ter Rückzug auf Wilna wird fortgesetzt. Befriedigt? Alle Hagel! Herr von Narbonne, der thnlnahm los in seinen Pel zurückgesunken dage legen hatte, schlug mit der Hand auf den im. Xt veioen warten tym einen kalten Blick zu. Tas steht hier in dem Entwurf, den nur der Kaiser zurückgelassen hatte sprach Mounier trocken. Es fragt sich nur. ob wir diese Raffung lassen. Wir find vor Europa verantwortlich sür die Form des Bulletins. Man könnte beinahe sagen das Bul letin. das sind wir. Eapitän. machen Sie keine Witze bei 18 Grad unter Null! Sehen Sie lieber nach, ob das Feuer im Ofen nicht aus geht! Ich glaube, es muß gleich ausgehen, wimmerte Herr von Narbonne. Capi iän Castellane erhob sich, legte die Feder hin und warf polternd zwei Scheite in den breiten russischen Kochel ofen. Auf einmal hielt er den Kopf lauschend an die Holzwand. .Was ist , denn das für ein Lärm nebenan? Ich konnte es schon vorhin hören. Tas ist der König von Neapel, dcr nebenan sein Quartier hat. Er flucht und schreit fortwährend, daß der Kaiser ihn nicht mitgenommen hat. Er tauchte die Feder wieder ein. , Herr von Narbonne, sind Sie also damit einverstanden! Ich bin mit allem einverstanden, stöhnte der Hofmann. Macht das Bulletin, wie ihr wollt. Gebt mir nur "die Reinschrift zum Durchsehen. Mein Kopf! Ich habe Fieber! Vor einer Stunde, um 10 Uhr hatte Napoleon Smorgoni verlassen. Er wüßte, daß die Armee verloren war. und er wollte nach Frankreich zurück, um eine neue zu schaffen. Er hatte Dar. Lauriston und einige andere Beamte, die er brauchte, mitgenommen in dem großen Postschlitten. der vor einer Stunde aus dem Hof des Postge bäudes herausgefahren war. Berthier hatte geweint, als er nicht mitkam. Murat geflucht. Es half ihnen nichts, sie mußten bleiben. Gegen Mitternacht soll ein zweiter Schlitten mit Gepäck und Fourage abgehen, der den ersten auf einer bestimmten Station einholen mußte. Es sind die Sachen, die Napo lernt nothwendig gebraucht und den die Fouriere und Piqueure geleiten sollen Der Kaiser hat in der Eile nicht das Bulletin vollenden können das letzte der Armee. Er hat den Entwurf dem Sekretär Mounier zugeworfen, damit er es vollende. Ter Courier wird es nach Wilna bringen, von wo es nach Paris befördert wird. Wir können doch nicht schreiben, der Kaiser hat sich befriedigt gezeigt über den Zustand der Armee, sagt Mounier le,se. Bedenken Sie doch, seit sieben Tagen sind täglich 2000 Men eben er, froren. Tas sieht ja aus wie. . . . Er will nicht sagen: Hohen. Er denkt es aber. Es wird jedoch die Täuschung unter stützen, als ob der Kaiser noch hier sei! wendet Castellane ein. Und daß der Kaiser abgereist ist. das darf weder die Armee noch Europa schon jetzt er- fahren. Mounier nickt. Freilich, das ist sehr richtig. Ueberhaupt, darum ist ja gerade die Fassung des Bulletin so wesentlich. Es darf niemand wissen, daß der Kaiser weg ist. Laffen Sie das vorläufig noch aus! Schreiben wir also: Der "Feind hat große Verluste." Ungeheuer immer stark auftragen! Durch die Kälte und durch die Strapazen. Die Verfolgung der Kosakcn ist schwach." Plötzlich ritz Castellane seine, Uhr heraus und suhr von seinem Stuhle auf: Es ist jetzt zwölf Uhr vorbei, nicht wahr? Ich glaube. Folglich haben wir den 6. Dezember. Aller Wahrscheinlichkeit nach. Tann entschuldigen Sie mich für eine Stunde. Ter Capitän stürzte nun nach seinem Pelz und eilte zu der Thür. V Aber um Gottes willen, Herr Capi tän! jammerte der Sekretär, so bleiben Sie doch! Ich kann doch das Bulletin nicht allein vollenden! Castellane hörte ihn nicht mehr. Er war bereits fort. Das Torf Schorgoni war nicht sehr groß. An der einen breiten Haupt ftraße, die es durchschnitt, lagen die Kirche mit dem daneben liegenden Glockenthurm, die Posthalterei. das Wirthshaus und vier oder fünf Brannt Weinschenken, deren Inhaber jetzt ge flüchtet waren, weil es doch kein Zahlen mehr gab. und weil die Franzosen grundsätzlich alles verbrannten, was sie nicht verzehrten. Castellane wollte quer über die Straße nach der Posthalterei. Er mußte dort Jemand treffen, den er noch am Nachmittag dort gelchen hatte. Wenn man jetzt Jemand zu emem Ehrenhandel haben will, mutz man sich beeilen! murmelte er. sonst ist er mor gen ohne Secundantcn und Zeugen ins jenseits abgereift! Ein paar Schritte über die Strafe konnten einen von dieser Wahrheit überzeugen. Als Castellane aus dem Hause ging, stolperte er über zwe, Leichname, die auf der schwelle lagen ES waren zwei erfrorene westfälische äaer. ihre dicken Mäntel hatten sie nickt vor dieser Todeskälte geschützt Die Luft schnitt wie mit Messern; wer zwei Stunden gehen mußte, taumelte wie ein Betrunkener; nach drei bis vier Stunden fielen die Kräftigsten um Mitten auf der Straye brannte im Schnee ein großes Feuer, eine Gruppe von acht Grenadieren faß darum; wenn man aber acnauer zusah, entdeckte man daß nur drei davon lebten; die Gesichter der übrigen waren wie gelber tcin sie waren schon seit sechs bis acht Stun den todt. Die andern hatten das noch nickt acmerkt. Sn dem Flur eines Haufes. der mit Steinen gedielt war, versuchten zwei Generäle, ein Kammev Herr und ein italienischer Fürst, eine Hundekeule zu rösten, sie konnten sich darüber nickt einiaen und schrieen und zankten aufeinander los. Einer war neidische Blicke auf ein gefallenes Pferd das unweit davon im Schnee lag; dort saßen aber schon ein Maior und ein langer ganz abgemagerter Cuirassicr und versuchten mit dem Pallasch de letzteren Stücke aus dem Fleisch heraus zuschneiden. Ter Cuirassier nahm schließlich seine Finger und Zähne zu Hülfe. Am unzufriedensten schienen die Krähen zu sein, die mit einem heiseren Krah! Krah! die Wintcrnacht durchflogen; sie sahen, daß man ihnen beute aar nichts gönnen würde: die Bestien da unten waren noch viel neidi scher aufeinander als sie. Castellane kümmerte sich nicht um alles dies. Er drang in den Hof des PostHauses ein, wohin er durch einen gedeckten Gang kam. und sah dort mehrere Muschiks und Piqueure in der kaiserlichen Uniform. Man wartete auf den zweiten Schlitten, der noch gepackt und' dem Kaiser nachge andt werben sollte. Eine Menge zerlumpter Solda ten und Offiziere waren um ein großes Feuer gcschaart und schauten etwas stumpfsinnig zu. Der Capitän trat au eine ganz zerlumpte, zusammenge unkene Gestalt zu und schlug ihr aus die Schulter. Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren. Unter dem Shawl. der um den Hals gewickelt war. erkannte man noch die Majors epaulctten und die Abzeichen der Garde Herr Maior Tufresne, ich habe die Ehre. Ihnen guten Abend zu wün schen! Ter Angeredete hob mit Mühe die verquollenen und vom Biwatfeuer ver- brannten Augen: Ach, ete sind es, Capitän!? Hoffentlich erinnern Sie sich noch unseres Rcncontres vor genau 2 Mona ten? Im Theater zu Moskau? Wo Sie einen Platz benutzt hatten, der mir gehörte. Als ich Ihnen Vor stellungen machte, wurden Sie arrogant und behaupteten, die Linie könne sich immer geschmeichelt fühlen, wenn die Garde ihr auf den Fuß träte. Ich nannte Sie daraufhin einen eingcbilde ten Simpel. Welchen Ehrentitel ich Ihnen zurück gab, Capitän. Ganz richtig. Wir verabredeten dann ein Rendezvous. ' Ta Sie aber uner- warteterweise am nächsten Morgen einen Tepeschenritt zum Marschall Victor ins Innere machen mußten So vereinbarten wir, daß das Rcn- dezvous genau nach Zwei Monaten, gleichviel wo wkr auch immer fein mögen, stattfinden sollte. Ich bin dazu bereit, Capitän, betonte Tufresne, sich emporreckend. Gleichviel wo auch immer, betonte Castellane. Ich glaubte also, daß trotz dcr gegenwärtigen Umstände Herr Capitän sprach der Maior. seine magere Gestalt emporreckend, es giebt meiner Ansicht nach keine Um stände, die einen französischen Offizier von dcr Austragung eines Ehrenhan dels abhalten könnten! Laffen Sie uns also gehen. Castellane nickte zustimmend. Hier hinter dem PostHofe ist Platz ekundanten werden wir Aber was ist denn das für ein Spektakel da? unterbrach er sich auf einmal. Ein unerwarteter Lärm zog aller Aufmerksamkeit auf sich. Bor dem chlittcn, der aus dem Postschuppen gezogen wurde, erschien jammernd und fluchend der Kourier, ein trockener Pariser Stallmeistergesicht, und schrie. er sei beraubt worden,, man habe das Gepäck des Kaisers überfallen, einer der Piqueure liege erschlagen im Schup pen. Hinter ihm schleppten Grenadiere den Uebelthäter, einen polnischen Unter- osnzlcr vom Regiment der Weichsel- legion, der den Raubüberfall begangen hätte. Zwei andere waren entkommen. wie es hieß. Tas Gepäck des Kaisers! Proviant ür Seine Majestät, schrie jener immer. Ich bin verantwortlich dafür! Ter pol- Nische Halunke! j -Alles lief zusammen. Die Grenadiere auf Wache, Offiziere, die im Haufe waren, die Soldaten ringsumher. So gar das strenge Gesicht Seiner Turch laucht Alexander Berthicrs, des Fürsten von Ncuschatcl. erschien nun in Pelze! gehüllt unter der Hausthür. Na. mit dem machen cie kurzen Prozeß, brummte Castellane. - TaS Standrecht ist noch in Kraft. Ein Pelton hinter dem Hause und dann niederknallen. Freilich, der arme Teuscl wird schön gehungert haben. Er sah Turfesne an. bemerkte aber zu seinem Erstaunen, wie derselbe ganz bleich geworden war und fortwährend auf den Unteroffizier starrte, ohne für etwas anderes Sinn zu haben. Ich bin nicht schuldig! Ich schwöre, ich bin nicht allein schuldig! schrie der Unteroffizier fortwährend, den man fortzog und der sein Schicksal ahnen mochte. Ich bitte um ein Verhör! Ich habe etwas zu gestehen! Man zog ihn in's Haus hinein Ter Fouricr folgte, immer noch schimpfend. Um Gottcs willen! Ich bin verloren Aber was haben ie nur. Her Major? fragte Castellane, den das Be nehmen Tutrcsnes mehr und mehr Erstaunen versetzte. Er blickte in sein todtenbleiches, verzerrtes Gesicht. Ta begriff er. Major, um Gottcs willen, er trat einen Schritt von ihm zurück abcr ncin, das ist nicht möglich! Sollten Sie?.... Jener Kerl.. Ja. ja, flüsterte jener wie irrsinnig Ich habe ihn angestiftet, den kaiserlichen Schlitten zu überfallen um uns Brod zu verschaffen! Und nun wird er alles gestchen, und ich bin verloren, meine Ehre ist für immer vernichtet ! Ja, aber um Himmels willen, ie em 'l'caior ber-Garoei Wie tonnten ie? Mann, wenn Sie gehungert hätten wie wir, würden ie nicht fragen: Ja ie waren Adjutant, Sie find mit dem Marschall gereist, in feiner Equipage das glaube ich ! Aber ich wurde nie wie ein gemeiner Marodeur das kaiserliche Gepäck über fallen! Jener packte ihn am Arm, schüttelte ihn mit seinen krallenartig abgemagert ten Fingern, in seinen Augen glühte es von Hunger und Wahnsinn, von diesem namenlosen monatclangcn Lci den! Nicht, wahr, Sie sind setzt satt und kommen von einem warmen ofen und haben noch einen ganzen Pelz, wie ich sehe?! Ah, ah. Wie schon musz da sein. Ein irrer Blick ging an ihm her unter, bis er mit ganz leiser Stimme fortfuhr: Haben Sie sich, wie wir, die Nächte auf der Erde gewälzt und chnee in den Mund gcstopst, bis Ihnen die Lippcn brannten? Oder drei Tage von gekautem Helmlcder gclcdt. da wir uns zutheilten? Und das Katz balgen auf den todten Pferden, wo das fleisch zackcnförmlg mit den Fingern herausgerissen wurde! Hu, ich sage Ihnen, Capitän, ich habe bei Orcha drei meiner Leute an einem dicken Flch tcnast sich aufhängcn schen und habe ihnen selbst die Schlinge hinaufgereicht und ihnen gesagt: Kinder, lebt wohl, ihr habts besser als wir! Er hielt sich an der Wand, wankend vor Er chöpfung. Castcllane sprach kein Wort mehr. Er dachte nichl mehr en den Streit, Tuell. Vor diesem Elende em- da Pfand er nur Mitleid, er wollte ihn reiten. Ta sah ich den kaiserlichen Schlitten. fuhr Tufresne finster fort. Er war so ochbepackt mit Wem. mit Brod, mit allen möglichen guten Sachen. Ich agte dem Kerl, dem Polen Aber er tl ungeschickt gewesen, hat sich er wischen laffen. Na, und jctzt ist ver- piclt. Aber um Gottcs willen, man wird mit ihm reden können. Ter Fourier wird ein Einsehen haben und schweigen. Jener schüttelte düfter den Kopf. 'Ich will selbst hingehen, rief Castellane. Vertrauen Sie mir, ich In diesem Augenblicke wurde die Thüre des Posthauscs geöffnet. Es ex schienen darin der Fourier, zwei Ossi ziere Berthicrs und mehrere Feld, gendarmen. Offenbar hatte der Pole Aussagen gemacht. Sie schritten direkt auf Tufresne zu. Castellane war im Begriff, auf sie zuzueilen, sie anzu- reden, da hörte er einen Schuß hinter sich. Blitzschnell hatte dcr Maior die Pistole, die er bei sich trug, hervorge zogen und sich, als er jene kommen sah, eine Kugel durch die Stirn gejagt. Einige uaungen nocy, und er war todt. Man sah sich kaum nach ihm um. . Castcllane war auf den Fourier zu geschritten und überhäufte ihn mit Vor würfen. Tiefer stammelte Entschul-digungen. Aber ,ch mußte doch die Gesund heit Seiner Majestät Wenn er an den Porräthen etwas vermißt ich bin für die Gesundheit und das Wohler gehen Seiner Majestät verantwortlich! wiederholte er beständig. Wieviel ist denn eigentlich geraubt warben k fragte der Eapitan. Ter Fourier ging nach dem Schlitten und untersuchte ihn. Nach einiger Zeit kam er ziemlich kleinlaut wieder zurück und meldete, es feien glücklicherweife" nur zwei Flaschen Wein abhanden ge kommen. Zwei Flaschen Wein?! rief Castel lane. Und alles das für die Gesund heit Eure,r Majestät? Und weit ausholend gab er dem Fourier eine derartige Ohrfeige, daß er j der vange nach in den Schnee kugelte. ' Tann schritt er gelassen über die Straße nach dem Hause zurück, wo der Lekrctür noch an dem Bulletin arbci tcte. Rasch, rasch. Capitän! Wir erwarten Sie dringend! Ter Courier ist schon bereit! Ta die eine Stelle ist immer noch nicht ausgefüllt. Was schreiben wir nur? . . Castellane nahm das Papier und lächelte. Er sah noch die beiden Man ner vor sich, die jetzt todt. dcr eine erschoffen, der andere Selbstmörder. Ich weiß eine pancnde ,orm Schreiben Sie also: .Es friert stark. Der Rückzug auf Wilna wird fortgc, setzt. Tie Gesundheit Seiner Majestät ist nie besser gewesen alS jetzt." Ter Sekretär sann nach. Ja. das ist gut. das ist schr gut Tas wird die Cabinctte beruhigen und die Allianzen sichern. )n letzter stunde. Ein ElMlung aus dem Küni'llerleben von Mar Wundike. Ein trübseliger Märztag neigte sich dem Ende zu. Ter Himmel sah aus. als wollte er sich mit Bleischwere auf die Erde herniedcrlegen. Tämmrlgcr. feuchter Nebcl erfüllte die Luft. Welt und Himmel alles ein Meer von Grau in Grau. So. nun war es zu Ende! Nun war es doch gekommen, vor dem er gczittcrt hatte sechs Jayre hindurch. Was er nie im reden sur möglich gehalten hatte diese Entbehrungen, diese Lei den, diese Erniedrigungen alles, alles hatte er auskosten müssen, und alles, alles war umsonst gewesen! Nun brach das schreckliche Ende über ihn herein, ohne Obdach, keinen Pfennig in der Tasche, nichts in. nichts auf dem Leibe, trostlos alles wie dcr schaucrliche Märztag. Aber sür die Erde kam nach diesen Märztagen der Frühling. für ihn war's vorbei! Vorbei für immer und alle Zeit. Von hier ging's nicht mehr weiter, das fühlte er, und er fühlte auch, wie es brennend in seine Augen emporstieg. Untergehen, unter gehen, jetzt, so dicht vorm Ziel! schrie es in ihm auf. Aber er lächelte nur bitter dazu. Nicht mehr lange, nur wenige stunden noch, bis die Nacht anqe- brechen war. dann würde auch diese Stimme schwelgen, und dann war alles vorbei! Sigmardt Thorscn lehnte sich müde an eine der uralten mustern, die die Landstraße einfaßten. Hint ihm stiegen die bewaldeten Höhen steil empor: vor ihm in bedenklicher Tiefe brodelten die trüben Wasser des Flus- 'es. Wenn zu seiner Rechten ein Wind toß einmal für kurze Augenblicke die wallenden Nebel zertheilte, konnte man die Thürme und die letzten Häuser dcr tadt erkennen. Ta hinten lagen alle feine Hoffnungen begraben, und alle eine Leiden und Erniedrigungen. Em kurzes, hartes, Auflachen, dann chaucrte er fröstelnd zusammen, zog den schäbigen Mantel, dcr ehemals grau gewesen fein mochte, fester um die lange, ausgemergelte' Gestalt und schwankte weiter. Und als wüßten die Gedanken, daß es yculc zu snoe geizt, zauberten sie dem müdcn, fast vierzigjährigen Manne mit dem ungepflegten pechschwarzen Vollbart und dem gelblichblcichen, hageren Gesicht noch einmal die ganze VergMgcnhcit vor die Seele. In seiner norwegischen Hcimath sah er sich ais froylicyes mo, als oen Stolz und die Hoffnung feiner Eltern. einer allen Vauernsamilie von allem Schrot und Korn. Und die prächtige, köstlichen Studienjahre tauchten vor hm auf, als Schüler des Geigenmcistcrs Joachim in Berlin, als Zögling des Konservatoriums in Leipzig. Wie lag damals die Welt so fonnenglänzcnd vor ihm! Die unst seiner Lehrer und ta Große, was man von ihm erwartete weitete feine Brust, die Schätze und Glückseligkeiten der Erde lagen vor sei, nen Füßen! Tann kamen die Jahre dcr ersten Triumphe und seine Anstellung al erster Geiger im Orchester der Opern bühne eines mitteldeutschen Fürsten Wie da alles zusammenströmte, um ihn fast zu erdrücken mit allem, was das Leben Schönes zu bieten hat! Zu dem Glück, das ihm die hehre Kunst ge währte, zu den sonnigen Zukunft, träumen gesellte sich die Seligkeit einer köstlich reinen, thausrischen Jugend liebe. Gelegentlich einer Konzertreise nach Berlin sah er sie wieder, rein zu fällig, du Sigrid Enkson. Wie gros; ui'd schön die kleine Sigrid geworden war, die er in seiner Vaterstadt Frede rikshall oft genug gegen die wilden Buben vertheidigt hatte die Jdealgc- stalt einer Wagner schen Walküre! Und singen, fingen konnte sie! Ihre Aus bildunq als dramatische Sängerin war in Berlin nahezu vollendet, und sig warbt Tborscn war glücklich, ihr die Weae ebnen zu können; er setzte es durch, datz sie von seiner" Bühne enaagirt wurde. Er hatte es nicht zu bereuen; Sigrid Erikson war bald erster Stern an der Rcstdenzoper und ent wickelte sich in kurzcr Frist zu wahrhaft künstlerichcr ohe. Ta fiel der erste Reif in diese Früh- lingsherrlichkeit. In fernem Herzen be gann die Eifersucht und norwegischer Trotz einen erbitterten Kamps. Sigrid wurde umschwärmt und am meisten verhätschelt vom Intendanten, einem reichen, wohlkonscrvirten Wittmer von altem Adel. Ihm schien es. als sck sic nicht empfindlich gcge,l die Aufmcrk samkcitcn des einflußreichen Manncs. Er zog sich grollend zurück und wurde kurz und abstoßend. Bon seiner lei dcnschaftlichen Liebe hätte er jetzt schon gar nicht mehr gesprochen, und Sigrid nun, die schien anfänglich nichts zu merken, dann aber erwachte auch ihr Stolz; die beiden Herzen entfremdeten sich immer mehr, bis dcr Geigenkünst lcr endlich. Gleichgiltigkeit und Kälte heuchelnd, wo er sich in rasender Gluth sast verzehrte, auf und davon ging. Thorscn stand still und fuhr sich mit den abgemagerten Fingern über Stirn und Augen. Wieder lehnte er sich er schöpft an einen Baum. Der frische Abendwind vom Flusse her ließ die zer sranztcn, abgeschabten Kleider um den hageren Körper schlottern. Vor Er schöpfung schloß er die Augen. Wenn zemand hier entlang gekommen wäre und ihn genau betrachtet hätte, dcr hatte wohl gern einen weiten Umweg um diese mehr als fragwürdige Gestalt gemacht. Abcr ob er auch ermüdet innehielt auf seiner trostlosen Wände rung die Gedanken machten nicht Rast bei jener Zeit. Tie Bilder zogen weiter an ihm vorüber, die furchtbaren Bilder allmählichen Sinkens, die in ununterbrochener Kette einander folg ten und deren letztes jctzt das Letzte war! Er war auf Konzertreisen hinausge gangen in die Welt, hungrig nach künstlerischen Erfolgen. Ta fand seine Laufbahn ein jähes Ende; es trat eine Sehnenentzündung deS linken Ring fingers ein, und ließ eine nicht undc deutende Lähmung dieses für Geigen spieler unentbehrlichen Gliedes zurück. Tamit war seine Laufbahn als Violi nist zu Ende. Jetzt regte sich in ihm die lange mühsam zurückgedrängte Schaffenslust, und in der nun folaen den Zeit der Ruhe und Muße entstand feine erste Oper. Aber man hatte fei nen Namen untcrdcß vergessen und die Arbeit wanderte aus einer Direktion die andere. Ta kam dcr große Schlag zu Hause. Ein leichtsinniger Bruder Konkurs Bettelstab, freiwilliger Tod das waren die Hiobsposten, die ihn aus dcr Hcimath trafen. Rastlos begann er an seiner zweiten Oper zu arbeiten Um sein Leben fristen zu können, mußte er -tundcn geben; um welche zu erha ten. mußte er die Konkurrenz unter bieten: es war zum Leben zu wenig zum sterben zu viel. Nach und na, wanderte feine bessere Garderobe zum Trödler; er vermochte nicht mehr, wie o oft von ihm gefordert wurde. Gcscllschaftsabcnde der Eltern seiner chüler durch musikalische Darbietung zu verschönern. Sein äußerer Mensch verlor immer mehr an Eleganz, denn an Ncucrwerbungcn konnte er nichts denken, und so ging es rapide abwärt mit ihm. Ein Zögling nach dem anderen blieb aus; man genierte sich wegen seiner Ar muth und Schäbigkeit.. und schließlich war ihm auch die letzte Unterrichtsstunde verloren. Auch die zweite Oper war fertig, ein Armloses Wcrk voll intimer Reize, das ihm die Herzen derer ge Wonnen hatte, die ihm willig entgegen kamen, das abcr nicht im Stande war, die Geister in feinen Bann zu zwingen Auch dieses trat seine ermüdende, aus sichtlose Wanderung durch die Theater archiqe an. Mit glühendem Eifer war er sich auf eine dritte Arbeit, in der sein Größtes und Bestes bot. Fach männer, die aus Erbarmen seine Ent würfe und Ansätze und Skizziriinqcii prüften, waren voll des aufrichtigsten Lobes ein grandioser Stoff, eine wuchtige, packende Musik von künstlcri scher Vollcndung. Eincr dcr hcrvor raqcndstcn Opernimpresarien dcr mo dernen Musikgeschichte gewann durch Fürsprache Interesse für das Wcrk. Wenn e hält, was es verspricht, dann führe ich es nächsten Herbst auf," schrieb cr. Abcr die Arbeit zu Ende bringen Ja. das war es; Wie? Tie entsctzlichstc Zeit seines Lebens brach an. Alles Entbehrliche hatte er bereits entsetzt oder vcrkaint. sogar von seiner geliebten Geige hatte er sich trennen müssen. Tie Wirthslcutc. bei denen er wohnte, quäl ten und drängten ihn um Zahlung. Man schalt und höhnte den Tagedieb. der nichts arbeitete, man ließ fein Zim mer in Schmutz starren, nahm nicht-dic geringste Rücksicht auf ihn, verweigerte ihm das bescheidene Mittagessen, das er sonst in der kinderreichen Familie mit genonen. dachte nicht mehr daran, ihm den Ofen zu heizen, für Beleuchtung zu sorgen. Und Thorsen war schon glück lich, daß man ihn nicht auf die Straße setzte. Wochenlang war die trockene Frühstückssemmel seine einzige Nahrung den ganzen Tag über, so daß man ihn einmal zusammengebrochen nach Hause transportirte. Und die Wirthin schalt, cr wäre am Ende gar betrunken ! edt hatte auch das ein Ende. Gestern Morgen hatte man ihm erklärt, das Zimmer sei anderweitig vermiethet, und ihm die Schlüssel abgefordert. Gott, ja die Leute hatten auch nichts übrig; aber das war bitter. Ten gan- zcn Tag war er bei Kollegen und Be kannten umhergelaufen: sein Stolz I wo war er geblieben! Aber überall schöne Worte. Achselzucken, verschlossene Taschen! Man suchte den heruntcrgc. kommenen Menschen möglichst schnell los zu werden. Und dann kam dic Nacht, während der cr sich müde und vcrzwcifclt durch die Anlagen schleppte und zuweilen auf eincr Bank rastctc. ihn der feuchte Frost wieder auf jagte. Am nächsten Tage da-'elbe Bild. Nirgends Hilfe, nirgends Ret tunq! Nun war sein Widerstand ge- brochen. dicht vorm Ziel! Er wusste. er datz diese Nacht die letzte seinei Lebens sein würde. DaS Schicksal hatte zu viel von ihm verlangt, jetzt war seine Kraft v dabin. r Wie ein Trunkener schwankte er da bin. Kaum noch spürte er die entsetz licke Müdigkeit, den nagenden Hunger. Es war saft finster geworden. Die Chaussee, die weiter hinaus nach dem fürstlichen Lustschloffe führte, machte eine scharfe Biegung. Eine einsame Pctroleumlatcrne brannte an dieser Stelle. Thorien stolperte über den ge schotterten Fahrdamm. Er sah eS nicht, daß eine Equipage in scharfem Trabe von oben her in dcr Richtung nach der Stadt hcransauste. Kurz vor dcr Equi page taumclte er und fiel schwer zu Boden. Ein silberhelles, aber gcdic terischcs Halt tönte aus dem Innern deS Wagens. Die? schnaufenden Thiere standen. Thorsen hatte sich mit Aufbietung sei ner ganzen Kraft wieder erhoben. Aus der Kutsche, die auf dem Schlage daS fürstliche Wappen trug, beugte sich ein blonder Fraucnkopf. Haben Sie Schaden genommen? .. Um Gotteswillcn .... Eigwardt !" Dcr Musiker lehnte sich gegen den Laternenpfahl, um nicht auf's neue um zusinken. Sigrid.... Tu?" flüsterten die blutlosen Lippen. Sigrid Erikson war auSgcsticgen. lJa, was treibst Du denn? Wie siehst Dn denn aus? Ist Dir nicht wohl? Komm, steig in meinen Wagen. Ich bring Dich nach dcr Stadt zurück "1 und unterwegs erzählst Tu mir " Thorscn sah mit bitterem Lächeln an sich hernieder. Es ist zu spät. Sigrid; mit mir ist's zu Ende. Laß mich!" sagte er. Tie -äiigcrin war dicht an ihn her angetreten. Noch einmal laß ich Tich nicht. Sigmardt Thorscn. Komm mit, wenn Tu mich noch ein wenig lieb haft !" Er sah sie mit großen, brennenden Augen an. Tu sagst Tu, Tu.. .. zu mir?" Gott, sei doch nicht thöricht. Sig warbt! Tu weißt ja in unseren Hcrzcn hat die Lüge nicht Raum. Ich habe Tich immer geliebt und auf Tich gewartet !" Auch damals?" ' Auch damals!" sagte sie einfach und drückte seine Hand. Fast willenlos folgte er ihrem Zuge und nahm im Wagen Platz. Bald hat ten ihre theilnchmendcn Fragen seine ganze Lcidcnsgcschichte aus ihm heraus gclockt. Oh," sagte sic dann und klatschte froh in dic Händc. nun hat es ia keine Noth! Ich habe hcut Nachmittag vor , dem Hofe im Lustschloß gesungen. Ter mxt ist entzückt und wünscht mich h er zu sesseln. Und nun werde ich bleiben. unter der Bedingung, daß man Tir die Opernkapellmeisterstelle übertäat. die in wenigen Tagen vakant wird. Ali. was soll das für ein schönes Leben toei den! Und wenn Du dann Deine letz?e Oper vollendet hast. . . .Aber nicht doch! Tich hab' ich, sigmardt. Tich. und alles das andere es ist ja auch schön. aber daß ich Tich wieder habe, das ist doch das Beste!" Der Kuchen des französischen Präfl denken. Mit dcr Wahl Loubet's zum Präsi denten der Republik hatte die Stadt Montlimar ihren langjährigen Maire verloren, und die Herbheit dieses Per- ustes wurde nur durch den Stolz ae- mildert, daß es eben 1s maire de Montfc'lirnar war, der le pere de la rance würbe. Nun zeigt es sich aber. daß die Erhöhung Loubet's neben dem ideellen auch einen sehr reellen ökonomi schen Gewinn für seine ehemaligen Mitbürger bedeutet. Wie nämlich ge legentlich des ersten offiziellen" Be uchcs Loubet's in Montölimar kon statirt wurdc. ist feit seiner Präsident- chast der Handel eines Produktes nickt unwesentlich gestiegen, durch das Mon- . tlimar sich schon lange eines bedeuten- den Rufes in der Welt erfreute. War dies hauptsachlich auch nur die Kinder welt. so ist doch nicht zu leuguen, daß der in Montlimar erzeugte Mandelkuchen oder Nougat in ganz Frankreich mindc stens ebenso gerne gewühlt wurde, wie V der aus derselben Ttadt hervorgegangen? .'.'tarnt, oen mau oer Republick vorae- tzt hat. Insonderheit aber sind die Bewohner Montlimar's Verehrer ihres Kuchens, und daß Loubet auch jekt. da sein Herz für ganz Frankreich zu schlagen verpflichtet ist. im Innersten doch seinem Heimathsdepartement treu geblieben ist. wurde den Nougat-Erzcugcrn aus dein leckeren Munde des Präsidenten selbst be- tätigt. Tenn als man ihm von dcr bcdcutcnden Steigcruna des Nouaat- oniums seit zwei Monaten Mittbei lung machte, erwiderte Loubet: Man oll nur fortfahren, zu erzählen, daß ich nur von Nougat lebe. Tas wird Euch jedenfalls Gewinn bringen." Monsieur oubet kennt feine Franzosen. Wenn der Präsident der Republick auch über den Parteien stehen soll, in der Mode giebt er doch den Ton an. und warum sollte es nicht auch eine Speisemode gc den? Vald erledigt. Lehrer: ..Sag' mal. kleiner Frtz. Tu bist doch der Sohn eines Schläch ters, wie schreibt man wohl Cervelat wurst ?" Fritz: Die schreibt man nicht, die stopft man!"