Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 04, 1899, Image 10

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    Eine schreckliche Nacht.
YrMlung von Q. Hildebrandt.
Fräulein Elotilde Rennbach sah an
ihrem Schreibtisch und rechnete innren
Wirthschaftsbüchcrn. als die Thür
schnell aufgerissen wurde und ein
schönes. jungeZ Mädchen mit lachenden
blauen Auaen ins Zimmer türmte
.Tante, liebste Tante, lies doch! Ich
soll ein paar Wochen zu Alice nach ttch
lemtein kommen
Tie Tante nahm den Brief und la
bedächtig. Lichtcnstein ist das nicht
die Bcsivuna des Irrenarztes Toktor
Ebelina?" fragte sie.
Gewiß. Tante. Nicht wahr. Tu
läßt mich gehen?!.
Was bleibt mir denn übrig, als ja
zu sagen? Tu scheinst ja ganz verliebt
in Alice Ebclina'.
tzlse erröthetc. Alice ist meine beste
Freundin von unserer Pension in der
Schweiz her. Ich würde wirklich gluck
lich sein, wenn ich längere Zeit bei ihr
bleiben dürfte. Wir hatten uns sehr
lieb.
Hm, hm! Nun. da kannst Tu gleich
morgen reisen!"
Schon am nächsten Tage traf Elfe
. Rennbach in . Lichtenstcin ein. Tas
Wiedersehen der beiden Freundinnen
war ein äußerst herzliches. Sie hatten
einander so viel zu erzählen und Alice
der Freundin so viel zu zeigen, da
ihnen die Zeit im Fluge verging und
sie sich wunderten, als das Mädchen
kam. sie zu Tisch zu bitten.
Während sie die Treppe hinabgingen,
fragte Elfe:
,33ist Tu denn niemals ängstlich.
Alice, immer so in der Nahe dieser Irr
sinnigen zu sein?"
Ach nein. lachte Alice sorglos
. Die armen Wesen, die wirklich gcführ
lich find, bewohnen den linken Flügel
des Hauses, welcher ganz getrennt von
dem rechten liegt, und in der Mitte des
Gebäudes sind die ruhigen, harmlosen
Kranken untergebracht."
Siehst Tu 'sie manchmal?"
Gewiß. Wenn Papa glaubt, daß
es ant für sie sei. dann läßt er sie mit
uns essen, oder Harry und ich spielen
Tennis mit ihnen."
Tein Bruder Harry?"
Ja. Du erinnerst Tich seiner doch
von Zürich her, als er mich besuchte.
Er hat oft von Dir gesprochen, liebe
Elfe. Schade, daß er noch nicht zurück
ist. Er hat eine längere Vergnügung
reise unternommen. Ta er jetzt noch
nicht da ist. wird er wohl morgen um
diese Zeit kommen!"
Als die beiden jungen Damen das
Speisezimmer betraten', fanden sie Frau
Doktor Ebeling in einem großen Stuhl
am Fenster sitzen, während ihr Gatte
neben ihr stand. ' Beide unterhielten
sich mit einem hochgewachsenen, mili
tärisch aussehenden Herrn; seine Hal
tnng war stolz und aufrecht, die Klei-
dung äußerst elegant, sei Gesicht hatte
einen leidenden, dustern Ausdruck, und
auf der Stirn zog sich eine lange, tiefe
Narbe wie von einem Säbelhieb bis
"dicht an das linke Ange hin. Elfe
meinte, noch nie so dunkle, kühn
blitzende Augen qcichcn zu haben
Bei Tisch hatte sie ihren Platz diesem
Herrn gegenüber, der ihr als Major
Frank vorgestellt worden war. Bon
Zeit zu Zeit sah sie einen seiner for
schenken, langen Blicke auf sich ruhen,
unter denen ihr gar eigenthümlich zu
Muthe ward; im Allgemeinen jedoch
widmete er seine volle Aufmerksamkeit
dem Essen. Seiner Art des Essens nach
zu schließen, konnte man annehmen, er
habe mindestens einen halben Tag
nichts genossen, so hungrigß er. End'
lich war sein Appetit befriedigt und er
begann, sich lebhaft mit Herrn und
Frau Toktor Ebeling zu unterhalten,
wobei er die Konversation zum großen
Theile beherrschte und führte. Er
sprach höchst fesselnd; er war viel in der
Welt herumgereist, hatte Asien, Ante
rika und eiuen Theil Afrikas durch
quert und erzählte die wunderlichsten
Dinge von Ceylon, wo er sich längere
Zeit ausgehalten und enge Freundschaft
mit einem buddhistischen Priester ge
schlössen, der ihn in alle möglichen Ge
hcimnisse eingeweiht hatte, von denen
Wir müssen ihn zum Singen bewegen.
daS beruhigt seine erregten Nerven."
Elle fühlte sich plötzlich recht unbe
haglich bei dem Gedanken, den Abend
in des Majors Gesellschaft verbringen
zu sollen. Seine dunklen Augen flöß
ten ihr heimliche Angst ein. Tiefe
Menschenfreundlichkeit Toktor Ebe
lings seinen Patienten gegenüber ist ja
recht hübsch, aber wenn er Gäste im
Hause hat. sollte er so etwas lieber sein
lassen," dachte sie bei sich.
Nach einer Weile erschien auch der
Major mit dem Hausherrn im Salon.
Seine Blicke suchten sofort Elfe, es lag
ein sonderbarer suchender Ausdruck in
seinen tiefen Augen, als er das junge
Mädchen betrachtete. Er nahm neben
Frau Toktor Ebeling Platz, während
der Irrenarzt sich zu Elfe setzte und leb
haft mit ihr plauderte. Sie hatte
darüber fast alle ihre Unruhe vergessen
Plötzlich hörte sie die Frau des Haufes
sagen: Alice, sei so gut und zünde
die Kerzen an. Ter Herr Maior will
uns etwas vorsingen."
In demselben Augenblick trat dieser
auf Elfe zu und sagte mit feiner soiiO'
ren, wohlklingenden Stimme:
Verzeihen Sie. mem gnädiges Fräu
lein ich verstand vorhin Ihren Namen
nicht. Sie erinnern nüch lebhaft an
an eine Tame, die
Mein Name ist Rennbach!" ant
wortete Elfe in nervöser Hast.
Rennbach?" Er schüttelte den Kopf,
Ter Name ist mu'fttmd. Aber das
Gesicht das kenne ich nur zu gut!
Wenn Sie gestatten, zeige ich Ihnen
morgen das Bild einer Tame, weiche
Ihnen täuschend ähnlich sieht,
Nun, Herr Maior?" ertönte Frau
Ebclings Stimme. Ter Maior ge
horchte sofort, nahm am Piano Platz
und begann zu spielen. Ein traumvev
lorener Ausdruck legte sich über sein
blasses Gesicht, als er die Finger über
dl Tasten gleiten ließ und eine seltsam
milde, klagende Melodie spielte, wie
Elfe sie nimmer zuvor gehört.
Als er abbrach, fragte Alice:
Möchten Sie uns nicht ein Lied
singen, Herr Major?"
Gewiß, gcwi!" versetzte er schnell.
dem jungen Mädchen, mit dem er auf
sehr freundschaftlichem Fuße zu stehen
schien, herzlich zulächelnd.
Einmal im Singen, schien der Major
gar nicht wieder aufhören zu wollen.
Er sang ein Lied nach dem andern, und
wie sang er! Besonders ein Soldaten
lieb, dessen Verse stets mit dem Refrain:
Kameraden mein" endeten, machte
infolge seines fast erschütternden Vor-
träges einen gewaltigen Eindruck auf
Elfe.
chlicßlich legte Toktor Ebeling dem
Major die Hand auf die Schulter.
Sie machen uns die Zeit wie im
Fluge vergehen." mahnte er freundlich.
Aber jetzt müssen wir ans Schlafen
gehen denken. Wenn Harry erst da
ist, müssen Sie uns mit diesem Liede
wieder erfreuen. Sie wissen, er schwärmt
geradezu für: Kameraden mein!"
Ter Maior batte betroffen aufqe
blickt. Tann zog er die Uhr und
sprang auf.
Ach Verzeihung." sagte er hastig.
Ich habe mich beim Spiel ganz und
gar vergessen. Ich hätte längst gehen
müssen. ' Warum haben Sie mich nicht
früher fortgeschickt, Herr Toktor?"
Tann wünschte er iedem Gute
Nacht". Als er zu Elfe kam, hielt er
ihre Hand etwas länger als nöthig in
der feinen und, ihr tief in die Augen
blickend, murmelte er: Wir sehen uns
wieder ganz gewiß wir sehen uns
wieder ich komme zu Ihnen und
bald "
Tann verließ er. von Toktor Ebeling
begleitet, das Zimmer.
Welch interessanter Mann! Er thut
mir furchtbar leid! So klug, so talent-
voll und irrsinnig! Hat er alle die
Lieder, die er sang, wirklich selber kom
ponirt, wie er sagt?" ,
..Oh nein", verctzte Alice. , Von
einigen weiß ich ganz bestimmt, daß es
nicht der Fall ist, aber er hat in der
That einige komponirt "
Er wurde heute ganz ungewöhnlich
erregt." fiel Allices Mutter ein. ..Ich
wünsche von Herzen, daß Papas Hoff-
nung in Erfüllung geht aber heute
zu
im
sie
im
er soeben erzählen wollte, als Frau Abend wollte mir des Majors Zustand
Tvltor Evcnng die Tafel ausmb. garnicht gefallen."
Elfe hatte den wunderbaren Schilde
rungcn des Mannes mit Jntercffe an
gehört und bedauerte es unendlich, die
selben plötzlich abgebrochen zu sehen.
Ter arme Major!" sagte Frau
Doktor Ebeling. nachdem sie in den
aniokcnbcn salon getreten waren
Er wurde zu erregt, so daß Papa mir
emen Wink gab, feinem Erzählen ein
Ziel zu setzen
Und doch hegt Papa in letzter Zeit
so grotze Hoffnung aus seine Vesstrung r
fügte Alice hinzu.
Wie ist's möglich, daß der Ma
jor auch --" fragte Elfe erstaunt.
Ja. liebes Kind!" versetzte die Frau
des Hauses, er ist ein Patient meines
Mannes und noch dazu ein sehr interes
sanier. Er hat bei' einem Säbelduell
eine sehr gefährliche Wunde erhalten,
die das Gehirn verletzte. Seit jener
Zeit ist er geistig nicht normal, obgleich
er im Allgemeinen ganz vernünftig
scheint."
Wird er nicht manchmal gcfähr
lich?" fragte Elfe ein wenig ängstlich.
Ach nein. Im Anfang, als er zu
uns kam, zankte er sich mit allen männ
lichen Personen herum, zu mir und
Alice ist er stets nett und höflich ge
wefcn. Er besitzt eine wundervolle
Stimme und spielt brillant Klavier.
Alice führte die Freundin in das
für sie bestimmte Zimmer. Sie plau
dcrten noch eine Weile zusammen.
Tann wünschte Alice ihr Gute Nacht"
und ging. Als Else sich allein sah,
verschloß sie die Tbür, und als sie unter
dem Schloß noch einen Riegel entdeckte.
schob sie auch diesen vor. Tann blickte
sie noch eine Weile in den vom Monde
hell beleuchteten großen Garten und zog
den Vorhang zu.
Als sie an den Tisch, auf welchem
ein Leuchter stand, zurückkehrte, bemerkte
sie neben, dem Fenster eine Nische, in
welcher sich eine Thür befand. Offen
bar führte diese in den mittleren Theil
des großen Hauses. Else wünschte
plötzlich, Alice gefragt zu haben, wohin
die Thür münde, und ob der Schlüssel
auf der andern Seite im Schloß stecke,
da er sich in Elfcs Zimmer nicht befand.
Sie drückte auf die Klinke die
Thür war verschlossen.
Sicherlich hat Alice den Schlüssel
abgezogen," tröstete sie sich. Wie
dumm von mir, so ängstlich zu sein!"
schalt sie sich dann.
Sie entkleidete sich, löschte das Licht
aus und legte ich zu Bett. Aber ob-
gleich sie sehr müde war, vermochte sie
nicht zu schlafen. Sie schloß die Augen,
ihre Gedanken kreisten unaushör-
lich zu Major Frank zurück, unabläsig
sah sie seine dunklen Augen mit dem
halb forschenden, halb wilden Ausdruck
auf sich ruhen. Eine unheimliche
Furcht vor ihm deschlich sie. Sie ver
suchte, sich Harry Ebeling zu vergcgen
wältigen. TaS gelang ihr zwar sehr
leicht, sie sah ihn im Geiste vor sich,
den eleganten jungen Mann mit dem
hübschen Gesicht und den lachenden
Augen, der immer zu lustigen Streichen
aufgelegt gewesen, so lange sie ihn
kannte: aber obgleich die Erinnerung
an Harry ihr viel lieber war, immer
wieder drängte sich Major Frank 'da
zwischen. . . .
Endlich sielen ihr die Augen
Aber sie schlief unruhig. Selbst
Traum verfolgte sie der Irrsinnige,
fah ihn mit ihrer Tante Schach spielen
und mitten ihm -viel sprang er au
und warf der alten Tame mtt dem
ehrwürdigen grauen Haar die Figuren
an den Koof.
Erschreckt fuhr Else aus dem Schla
empor, mit der Ueberzeugung.
Nebenzimmer oder draußen vor dem
Haufe ein lautes Geräusch vernommen
zu haben. ie horchte auf. Hatte v
geträumt? ie hörte nichts, als das
entfernte Bellen eines Hundes. Wie
lange mochte sie geschlafen haben? Licht
und Streichhölzer hatte ue auf dem
Tische stehen lassen, und eine seltsam
Furcht verhinderte sie, aufzustehen und
beides zu holen.
Tas was war das? Leise, tastende
Schritte draußen direkt vor ihrer
Thür! 'Ihr Herz klopfte zum Zcyprin
gen. Oh Gott, wenn sie doch sort
konnte zu Alice! Aber sie durfte nch
nicht hinauswagen! Ta draußen schlich
sicherlich ein Wahnsinniger herum
Wieder kamen die Schritte vorbei.
Mein Gott, mein Gott." flüsterte Elfe
in Todesangst, wenn das nicht aus
hört, habe ich morgen selber den Ber
stand verloren. Tann kamen fürchtev
liche ekunden. die dem armen Mäh
chen eine Ewigkeit dünkten. Nebenan
wurde eine Thür zugeschlagen Fuß
tritte kamen näher, nicht etwa leise
sondern feste, schwere Schritte unbc
kümmert darum, ob im Nebenzimmer
mer jemand weilte gingen da drüben
auf und ab. Plötzlich gab es einen
Krach verschiedene Gegenstände schie
neu yin- und yerqeworsen zu werden
dann knackte es wie wenn jemand
einen Revolver spanne. Es war furchk.
bar! Während Elfe athemlos ,n mahn
inniger Angst auf ledes Geräusch da
drüben lauschte, sing der Mann plötzlich
an zu pfeifen laut und deutlich
Kameraden mein!"
Ihre Ahnung täuschte sie also nicht
es war der Maior, der Irrsinnige!
Und dieser gefährliche Mensch war ihr
Nachbar! Vielleicht steckte da drüben der
Schlüssel! Jeden Augenblick konnte er
herüberkommen und sie ermorden
erdrosseln! Was sollte sie thun! Un
fähig, sich zu rühren, lag sie da. Tie
Thür nach dem Korridor durfte sie auch
nicht offnen wenn er sie erblickte, würde
er sich auf ue stürzen!
In unbeschreiblicher Furcht schlüpfte
sie aus dem Bett und warf schnell ein
Morgenkleid über. Tann tastete sie
nach Licht und Streichhölzern, aber die
Schachtel glitt ihr aus den Fingern,
und trotz eifrigen Suchens konnte sie sie
nicht wieder finden. Sollte sie um
Hülfe schreien? Nein, nein, 'damit würde
sie ihre Lage nur gefährlicher machen.
Trüben war es plötzlich still geworden.
Tas Hin- und Hergehen hatte aufge
hört, auch das Pfeifen. Ob der
Wahnsinnige eingeschlafen war ? Ein
Hoffnungsstrahl 'zuckte bei diesem Ge
danken in ihrer Brust auf. Sie stahl
sich an die Thür zum Korridor. Wenn
alles ganz still blieb, wollte sie hinaus
und zu Alice flüchten. .
Im nächsten Augenblick fuhr sie zu
Tode erschrocken zusammen. Es donnerte
an die Thür in der Nische, wie wenn
jemand mit Fäusten dagegen schlage.
Else verlor ihre Fassung. . Sie sank in
die Knie und stieß einen markerschüt
tcrnden Hülfeschrci aus.
Tas Tonncrn drüben hatte aufge
hört. Eilende Schritte wurden laut,
sie kamen näher und hielten vor ihrer
Thür an. Dann wurde auf die Klinke
gedrückt, und eine Stimme nicht die
sonore Stimme Major Franks son-
dem eine jugendliche, kräftige Männer
stimme fragte:
Was giebt's? Wer ist hier? Kann
ich helfen?"
Wer wer ist da?" stammelte
Else durch das Schlüsselloch.
Harry Ebeling! Kann ich Ihnen
helfend"
Gott fei Tank. Gott sei Tank!"
hörte er sagen. Bringen Sie mich zu
Alice schnell schnell "
Ocffnen Sie die Thür!"
Und Else. unbekümmert um ihr auf-
gelöstes Haar, ihr thränenüberströmtes
Gesicht, öffnete behutsam die Thür und
stürzte dem draußen stehenden jungen
Mann im Reisckostüm in die Arme, sich
wie schutzsuchend an feine Brust schmic-
gcnv.
Großer Gott! Else! Fräulein Renn-
bach! rief er, sie fest an sich drückend.
Was ist geschehen ?"
Ach. Harry. bringen Sie mich zu
Alice! flehte sie. ihn in ihrer Angst
beim Vornamen nennend, schnell, bc
vor er herauskommt und mich um
bringt!" Umbringt ? Wer denn ?"
Ter Wahnsinnige Major Frank!
Er versuchte die Thür zu meinem Zim
mer zu sprengen. Ich ich "
Major Frank? Er ist ja garnicht
hier! Er ist ja im andern Flügel des
Hauses! Im Nebenzimmer wohne ich!
Im kam heute Nacht von der Reise zu
rück und hatte keine Ahnung, daß neben
meinem Zimmer jemand wohnt. Es
thut mir unendlich leid, daß ich so rück
fichtsloS laut war! Ich ttolperte mit
meinem großen Koffer, daß er gegen
Ihre Thur fiel. Ich bin untröstlich
Verzeihen Sie mir. daß ich Sie er
schreckte! Wie Sie zittern! Bleiben Sie
hier, ich werde Alice holen.
Nein, .rein," entgegncte Elise. der
erst jetzt das Unschickliche ihrer Lage
dem jungen Manne gegenüber er
hielt nämlich noch immer den Arm um
sie geschlungen einfiel. Ich will lie
der zu ihr gehen und bei ihr bleiben."
sagte sie. sich auS seinen Armen los
machend, wenn Sie mich nur hinbrin
gen wollen."
Selbstverständlich!" Er nahm das
Licht, welches er auf den Boden gesetzt,
und führte Elise zu seiner Schwester.
Alice, mach auf." rief er. dort an
gelangt. Fräulein Rennbach will zu
Tir."
Harry. Tu? Mein Gott, was ist
geschehen? rief feine Schwester, die
schnell einen Mantel übergeworfen hatte
und die .Thür öffnete. Um Gottes
willen. Else. liebe Else. was ist Tir ?
Tu siehst aus wie ein Geist!"
Harry gab eine bastige Erkälrung
des Vorgefallenen, während Else sich in
einen großen Stuhl kauerte.
Ach Elle, es thut mir furchtbar leid.
datz ich Tn nicht sagte, daß das Zim
mer "
vaß nur. Alice." wehrte El e. es
Ist ja alles gut ich bin ja so froh,
daß "
Hier brach sie ,n einen erlöicndcn
Thräncnstrom aus.
Geh' zctzt. Harry". sagte feine
Schwester. Wie kam es nur. daß
Tu so spät anlangtest?"
..Ich traf unterwegs einen alten
Studienfreund und blieb auf seine
Bitte ein paar Stunden mit ihm in der
tadt. aa , Alice, kann ich nichts
für sie thun? Sie ist durch mich so
urchtbar erschrocken. Ich mache mir
die bittersten Vorwürfe."
Laß nur gut sein, Harry. Und,
bitte. Harry. wir wollen den Eltern
nichts erzählen.
Am nächsten Tag war Elle, wenn sie
auch etwas bleich aussah und sich recht
still verhielt, ziemlich frisch und munter
Herr und Frau Ebeling erfuhren kein
Sterbenswörtchen. Harry wich nicht
von Eises ceue, er wollte das vurch
hn verursachte Unheil durchaus wieder
gut machen. ' Und es gelang ihm auch
vortrefflich. Tcnn nach Verlaus von
zwei Tagen brachte er Alice trium
phnend die Nachricht. EI e habe ihm
bewiesen, daß sie wieder ganz gut mit
ihm wäre indem sie seine liebe
herzige Braut geworden sei.
Auf Vorposten eingeschlafen.
Ein Bild ans dem spsniich-amerikainjchen
Kriege, Von F e l i x ran in a n n.
die
Kapitän Hcarn war rücksichtsvoll.
Wodl glaubte er den jungen Mann
schuldig, aber um nichts in der Welt
hätte er ihn dies merken lassen. Er
legte seine Hand auf die Schulter des-
selben und sagte freundlich: Mein
lieber Junge, diesmal ist es noch glatt
abgegangen, laß es Tir cme Warnung
sein und nicht wieder vorkommen.
Stirb, wenn es nöthig ist, aber mache
Deinem Regiment keine schände."
Ter ninge Soldat sah seinem vor
gesetzten beredt in die Augen. In sei,
ncn eigenen zuckte es ordentlich. Ich
gebe Ihnen mein Ehrenwort. Herr
avltän." sagte er mit vibrircndcr
timme. dan ich vor dem Krclsgcricht
Wahrheit gesprochen habe. .Ich
würde nicht gelogen haben und wenn
mir das Leben gerettet hatte"
Tann haben Sie also nicht gcschla
en?"
..Ich weiß es nicht." Tie Worte des
iunqcn Soldaten klangen verzweiscii
aber sie waren von einem ernsten Blick
begleitet einer stummen Bitte. Ich
kann es mir nicht erklären."
Kapitän Hcarn fühlte sich erleichtert,
wenn auch nicht ganz überzeugt, ,,'jcim.
reifer ," sagte er leichthin, glücklicher
Meise für Sie war das Gericht selbst im
wcnel. Tcnnoch darf solches nicht
wieder vorkommen. Bedenken sie. da
es für einen Soldaten außer Feigheit
kein größeres Pcrbrechci. giebt, als auf
Posten und noch dazu während eine
Krieges, zu schlafen! Machen Sie also
dem Regiment keine Schande
Lustig pfeifend setzte er feine Ronde
fort. Gräser war höchst erregt und
sehnte eine Gelegenheit herbei, um fei
nein Kapitän sich dankbar erzeigen zu
können. Tie ganze Kompagnie würde
für Hcarn durchs euer gegangen sein,
und Fräser selbst war kein Undank
barer. '
Nach feiner Freisprechung war ihm
die erste bittere Erfahrung zu Theil gc
worden durch die Aufnahme seitens sei-
gestoßen: seine Freisprechung hatte den
wunden Fleck nicht wegwischen können.
Er suhlte jetzt, daß die Freisprechung
mehr aus Muleid. als aus Gerechtigkeit
erfolgt war.
Heute war er nun wieder auf Posten.
Mach dem Regiment keine Schande."
Eine Trosse!, getäuscht durch den Herr
lichen Mondschein am albanischen Hirn
mel und im Glauben, es sei Morgen,
pfiff von der Höhe eines Palmcnbaumcs,
und schien die Abschicdswortc des Kapi
täns zu wiederholen. In kurzer Ent
fernung sah Fräser die Zeltlager im
Mondschein glänzen. Jubel und Ge
sang herrschte. Ter Feind sollte nahe
sein und jenes New Vorker Freiwilligen
Regiment, welches den Ruf eines Elite
Regiments besaß, brannte vor Begierde,
vor den Feind zu kommen
Aber Fraicr auf feinem Posten litt
Höllenaualen. Er war tapfer und
hatte dies schon bewiesen. Früher war
er uchyalkcr vci einer ani geweien
und seine zarten weißen Hände, seine
eleganten Manieren, hatten zuerst die
-pottlust seiner Kameraden erregt
Ader diese ließ nach, als Fräser eines
TagcS während eines heftigen Gefechts
und als die Eompagnie gezwungen war.
sich eines starten Feuers wegen zurück
zuziehen, zurückkehrte und aus einer
Entfernung von mindestens fünfzig
Meter einen schwer verwundeten jungen
Offizier und trotzdem ihn selbst die
Kugeln umpfiffcn, in S cherheit brachte
Es war auch nicht Angst vor einer liicki
scheu Kugel aus dem Hinterhalt, die
ihn jetzt ereilte, nein, er kämpfte gegen
seinen mächtigsten Feind den Schlaf
Tie intensiven Strahlen des Pracht
vollen Monds und die Wärme der 2ro
pcnnacht erfüllten ihn mit einer unwi
dcrstchlichcn Müdigkeit. Tas Rauschen
der Büsche schien ihm zuzurufen:
Bleibe wach. Bleibe wach!" Aus den
Kronen der Palmen, vom Winde hin
und hergcschüttelt. schien es zu tönen
Mache dem Regiment keine Schande."
Fräser richtete sich krampfhaft auf
und die Wange an den kalten Flinten
lauf pressend, schritt er auf und ab.
obwohl er bis an die Knöchel in den
sumpfigen und Malaria ausströmenden
Boden versank.
Seine Augen waren weit geöffnet,
und um seine Lippen zuckte es. Er
dachte an eine schlanke, junge Frau,
welche ihm einen blühenden, kleinen
Knaben zum Abschicdskuß hinhielt.
Wie herzlich hatten ihn diese Kinder
auqcn angelächelt, wie sest hatten ihn
die kleinen Acrmchcn umschlungen.
Augenblicklich war er vollkommen
wach er wußte es. Er konnte jeden
Gegenstand untcrschciöcn. Er fühlte
fein Herz schlagen. Aber wenn er plötz
lich bewußtlos werden sollte, wenn ihm
die Sinne wieder schwinden würden,
wie das letzte Mal, trotz aller Wider-
ftandsvcrsuche Niemand würde ihm
die Geschichte noch einmal glauben. Er
hätte sich furchtlos Hunderten von
blitzenden Bajonncttcn cntqegcnwcrfen
können, aber der "Gedanke an einen
schmählichen Tod von den Händen
seiner Kameraden, machte ihn zum er
barmlichcn Feigling.
Tie Spannung feiner Nerven nahm
zu. obwohl er es selbst nicht merkte.
Tie Einsamkeit, in welcher er sich et
fand, war fchon an und. für ich ein
Fallstrick. Wenn er mit- einem Men
schen hätte sprechen können, ja selbst
nur mit einem Thiere, sein entsetzlicher
Zustand wurde sich sofort verändert
haben. Sein Zustand aber verschlim
mcrte sich, er begann heftig zu zittern
mit) zu sich selbst zu sprechen. Er warf
sein Gewehr auf die linke Schulter und
schlug sich auf die rechte Backe. Er
wagte nicht die Augen zu schließen, aus
Furcht sie könnten geschlossen bleiben
Alle feine Gedanken, jeder Nerv in ihm
war nur auf eins konzcntrirt. nicht auf
ich will nicht schlafen", fondern nur
auf was geschieht, wenn ich wieder
einschlafe?" Stirb, aber mache Tcinem
Regiment keine Schande!" so hatte sein
Kapitän gesagt.
Plötzlich stand Fra,cr still aufrecht
und stramm: dann begann er aber zu
taumeln, wie halb betrunken. Er
knöpfte seine Blouse auf. entnahm aus
einer Zlche ein schweres Enveloppe und
zog eine Photographie heraus da
Bild einer reizenden, mnqen Frau und
eines hübschen Knaben, welcher an ihre
Schulter gelehnt, ihn lachend ansah.
Er betrachtete das Bild lange und liebe
voll eingehend, der prachtvolle Mond
schein erleichterte ihm dies. Tann steckte
er das Bild wieder zurück und schloß die
Blouse. Er fchuttclte sich dann heftig,
wie ein eben dem Wasser entsteigender
Neufundländer Hund und begann mit
großer Aufmerksamkeit und Sorge in
die Umgebung zu spähen.
Aber es half ,hm nichts, er neb sich
die schläfrigen Augen und setzte sich
dann auf einen kleinen Mooshüqcl.
eine Gedanken waren immer noch
von einem fchrecklichen Gefühl einge
nommcn; aber er lächelte ein schmerz
liches, bekümmertes Lächeln. Er nahm
ner Kameraden bei kr' Rückkehr. Er fein Gewehr zwischen die Kniee und fing
batte die aan Bcrbandlung m einer
Art traumhaften Zustandes durchge
macht, ohne sich daher vollauf ganz des
Ernstes seiner Lage bewußt, zu sein.
Jetzt aber, wo er die Zurückhaltung
und das kalte Benehmen seiner Ka
meradcn gewahrte, empfand er diesen
Ernst doppelt. Tie Glückwünsche zu
scinerFreisprechung klangen gezwungen,
und kaum waren sie ausgciprochcn, fo
zogen die ehemaligen Freunde sich auch
zurück. In ihren Worten und in ihrem
Benehmen lag eine tumme Annage.
Er fühlte sich gcbrandmarkt und aus-
an mit einem machen Bindfaden,
welches er feiner Hosentasche entnommen
hatte, zu hantircn.
Kapitän Victor Hearn-war ein ge-
fühlvoller Mensch. Seine Popularität
war auf zwei Ursachen zurückzuführen,
auf feine persönliche Tapferkeit und
Verachtung jeder Gefahr und dann auf
das große Interesse, welcher er dem
Wohlergehen jedes seiner Soldaten
zeigte. Tiefes Interesse war es auch,
welches ihn jetzt veranlaßte, den Kreis
seiner lustig singenden und zechenden
Kameraden zu verlassen und eine Runde
zwischen den Posten zu machen. Er
kannte Fräsers Familie und dachte
daran, daß er wieder auf Posten war.
Sein letztes Vergehen beunruhigte den
Kapitän.
Als Hcarn zu dem Posten kam.
welchem er so großes Interesse entgegen
brachte, gerieth er in Zorn und keinen
Lippen entfuhr ein wüthender Fluch.
Vor ihm. wie ein Gespenst im Mond
schein, saß der Mann, den cr suchte.
Tie Hände umspannten den Gewehr
lauf. Kopf und Brust waren nach
vorn gebeugt und ruhten auf der Waffe.
Fräser war unzweifelhaft wieder einge
schlafen.
Im ersten Augenblick wollte der Ka
pitan in seiner Erregung und seiner
Dienstpflicht gemäß den Mann seinem
Schicksal überlassen, welches er auch un
zweifelhaft verdiente dem Schicksal,
standrechtlich erschossen zu werden.
Tann aber kam eine mildere Regung
über ihn. Er dachte an Fräsers Frau
und an sein Kind. Er entsann sich
auch eines Bildes, das er einst gesehen
und das einen tiefen Eindruck auf ihn
gemacht hatte. Es stellte Napoleon dar,
wie er eine Schildwache schlafend an
trifft und das Verbrechen verzeiht.
Tie verschiedenen Gedanken vereinig
ten sich zu einem gütliche Resultat.,
Nachdem er einige Sekunden still dagc
standen hatte, ging er auf Fräser mit
drohender Faust zu und rief: Wach
auf. Du Idiot !"
Bei den ersten Worten des Kapitäns
leuchtete es auf, ein dumpfer Knall und
der Körper Frasersficl bewegungslos
zu Boden.
Hinterhalt, beim Jupiter," rief
Hcarn. feuerte seinen Revolver ab und
erwartete den Angriff, vielleicht fein
Ende durch eine andere tückische spanische
Kugel.
Die Posteilinie entlang wurden wie
der andere Schüsse als Äntwort abgc
geben, und in der Entfernung konnte
man sehen, daß das Lager alarmirt
war. AIs Hcarn nach dem todten
Posten fah, erregte die besondere Lage
des Gewehrs desselben seine Aufmcrt
amkcit. Blitzschnell nahm er sein
Taschenmesser und schnitt ein Stück
Bindfaden fort, welches das Gewehr
chloß mit dem. tiefel des Postens ver-
band. Schnell auch öffnete er .das
Schloß, warf die leere Hülse heraus
und ersetzte dieselbe durch eine frische
Patrone, welche er dem Posten abgc
nommen hatte. Ich möchte wissen."
murniclte cr während dieser Arbeit, ob
Fräser der größte Feigling oder der
wüthigste Schwächling war. welcher je
mals gelebt hat. Auf alle Fälle ist das
Regiment nicht entehrt !" Als die Pa
trouille kam und das ganze Lager alar
mirt war. half Kapitän Hcarn mit bc-
wundcrnswcrthem Eiicr dkn erbärm
lichen Feigling suchen, welcher Fräser
hinterrücks erschossen hatte.
Und nach New Jork ging die Nach-
richt an die junge Wittwe, daß ihr
Mann, der Freiwillige Fräser auf Vor
Posten in Ausübung feines Dienstes den
Heldentod gefunden habe
Tie Schützlinge der Königin.
Als die Königin Luise während eines
Sommers in dem Jagdschlosse am
Stern" bei Potsdam weilte, begegnete
ihr auf einem Spazicrgange durch die
anstoßenden Felder ein Schlächter
mcistcr, dessen Gehilfe eine Kuh daher
trieb, während er, auf seinem Pferde
sitzend, das Külbchcn derselben quer
über den Sattel gebunden hatte. Mit
lautem Gebrüll wandte die Knh den
Kopf nach ihrem Kalb, und die Köni
gin, von edlem Erbarmen mit dem
Schmerz der instinktiven Mutterliebe
bewegt, vertrat dem Fleischer den Weg.
Ueberlaßt mir die Kuh und das
Kalb," wandte sie sich an den Fleischer-
meistcr.
Fleier, der die schöne Frau nicht
kannte, schüttelte verneinend den Kopf
und sagte: Tas wird sich schwerlich
machen lassen. Madame, drüben im
chloß wird jetzt viel Fleisch gebraucht.
Und was wollte auch so .eine seine
Tame mit 'ner Kuh anfangen!"
Nun denn." minderte Luise. ..ich
bin selbst die Herrin dieses Schlosses,
mag aber nichts von dem Fleifch dieser
beiden armen Thiere. Bestimmt den
Preis und führt die Kuh mit dem Kalb,
nachdem Ihr es vom Pferde herunter
genommen habt, in die Meierei."
Ter Fleischer riß bestürzt feine Mütze
ab und gehorchte. Auf Befehl der
Königin wurde die durch ihr Mitleid
errettete Kuh mit dem Kalbe nach den
Ätallungen der Merem gebracht, wo
die Königin fortan täglich erschien, um
sich von dem Gedeihen ihrer beiden
Schützlinge zu überzeugen. Thatsache
ist es ferner, daß sie der Milch ihrer
Pflegebefohlenen jahrelang den Vor
Zug gab.
Sle-Sh Tepesche von Majestät."
Von einer lustigen Verwechslung er-
zählt in ihrer ' letzten Nummer die
Münchener Jugend": Bei der öoch-
zcitsfcicr eines höheren Offiziers erhält
nach der Tafel Leutnant von Stramm-
bcrg, der in der Scktvcrtilguna schon
Einiges geleistet, den Auftrag, die ein
gelaufenen Glückwunfchdepeschcn zu ver
lesen. Mit gewohnter Schneidiqkcit
kommt er dieser Pflicht nach. Plötzlich,
nachdem er eben wieder ein neues Tclc
gramm geöffnet, schlägt er die Hacken
aneinander und verkündet mit schmct"
tcrndcr stimme: Ae äh Tepcsche
von Malestat!" Lesen. Stramm
berg, lekn!" In alheinloscr Span
nung steht Alles da und Stramm
bcrg liest: Zimmer mit znici Betten
rcservirt. Teutscher Kaiser."
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