Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 13, 1899, Image 10

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    wahnsinnig?
9uS btn
ist.
.'iftfn (int Untft'iittungs Nich
i'cn a. v . 8 I o u j m o n .
1.
sictiircn Tie noch dickn Brief.
Scidcl. stecke Sie ihn hier in dcn
Umschlag, und nchmcn -ik ihn mit zur
Post. Tann können -ik das Bureau
schlicken."
.Jawohl. Herr Walter. Ich werde
die Schlüffcl des Bureaus wie immer
in Ihrer Wohnung abgeben.
ut! Auf Wiedersehen!'
Nach diesen legten Worten verließ
der Fabrilbcsitzer Walter sein Pomp
toir. in dem er dcn ganzen Nachmittag
angestrengt mit seinem Buchhalter,
Kassircr und Korrespondenten Seidel
gearbeitet hatte. Ta auf dem Fabrik
grundstuck auch das villenartige Wohn
haus des Besitzers" lag, so betrat er
schon einige Minuten später seine Woh-
nung. wo er von seiner jungen Frau I
mit einem herzhaften Kusse begrüßt
wurde.
.Tu siehst so vergnügt aus. Walter
sagte sie. Tu hast gewitz eine gute
Nachricht bekommen."
Jawohl, mein Schzß, eine sehr gute
Nachricht. Eine große Sorge ist von
mir genommen worden. Ich habe den
Prozeß um die sechzigtausend Mark in
letzter Instanz gewonnen."
piott fei gedankt!" erklärte Frau
Walter. Dieser Prozeß hat Tir große
Sorgen gemacht. Ich habe es Tir an
gesehen, wie bekümmert Tu in letzter
Zeit stets warst."
Ja. mein liebes Kind, es ging mir
auch an den Kragen. Wenn ich den
Prozeß verloren Hütte, währe ich wahr
scheinlich bankerott gewesen. Ich habe
starke Verpflichtungen: das baare Geld
' steckt im Geschäft und ist nicht ohne
Weiteres herauszuziehen; ich wäre in
Zahlungsschwierigkeiten gerathen, be
sonders da in den nächsten Wochen
Wechsel fällig sind. Tas ist jetzt Alles
gehoben. Die letzte Instanz hat zu
meinen Gunsten entschieden, die Zah
lung muß binnen einigen Tagen erfol
gen, und wir sind aus allen Schwierig
leiten heraus. Nun kannst Du aber
auch einen Wunsch äußern, einen recht
großen Wunsch; es soll mir Freude
machen, ihn Dir rückhaltlsos zu er
füllen." Es klingelte draußen, und das
Dienstmädchen brachte die Schlüssel
des Comptoirs, die Scidcl abgegeben
hatte.
Letzterer war ein alter, im Dienst der
Firma ergrauter Mann, schon in den
fünfziger Jahren. 'Walter hatte Seidel
von dem früheren Besitzer der Fabrik,
als er diese kaufte, mit übernommen
und ihn als gewissenhaften und fleißigen
Arbeiter schätzen gelernt.
Seidel ging, wie jeden Abend, wenn
er aus dem Geschäft kam, nach einem
Bierlokal, wo er als Junggeselle seinen
Stammtisch hatte. Als er das Lokal
betrat, sah er bereits drei ältere Herren
an dem bekannten Platze sitzen. Er be
grüßte sie, nahm sodann ebenfalls Platz
und sah still in fein Glas.
Ein viertes und fünftes Mitglied
des Stammtisches kam, die unterhalb
tung wurde sehr lebhaft. Nur Seidel
blieb still und starrte mit finsterem Ge
ficht fortwährend vor sich hin. Er war
fönst ein guter Gesellschafter gewesen
seine Schweigsamkeit mußte deshalb
auffallen.
Was haben Sie denn Seidel?'
fragte ihn ein Mitglied des Stamm
tischcs. Ist Ihnen ein großer Acrgcr
pafsirt, oder haben Sie irgend ein Un-
glück gehabt?"
Nein," erklärte unwirsch Seidel
Lassen Sie mich iu Ruhe! Ich leide
an fürchterlichen Kopfschmerzen, schon
seit längerer Zeit, so daß ich beinahe
rasend werden möchtX Das hämmert
und pocht m meinen Schläfen und oben
am Scheitel, daß ich manchmal glaube,
mein ganzes Gehirn beginnt zu gähren,
ungefähr wie Brodtciq. wissen eie
Ich fühle, wie das Gehirn emporsteigt
und die Ächüdclmandung durchbrechen
will."
Aber, Scidcl, was find das für
Ideen!" agte einer der anwesenden
Freunde. Es gährt ja manchmal in
dem Kopf eines Menschen, aber dann
sind es doch nur die Gedanken, nicht
das Gehirn selbst."
Seidel antwortete nicht, sondern sah
wieder finster vor sich hin. Nach unge
rayr einer naiven 'feiunoe Horchte er
plötzlich auf. Der Name Fischer war
am Tisch genannt worden.
leidet lachte laut auf. Es war ein
eigenthümliches erzwungenes Gelächter.
Jis.'r!" sagte er dann. Ich habe
ihn brüte Nachmittag, als ich nach dem
Geschäft ging, genossen."
Am Tisch entstand allgemeines Er-
staunen.
Ich meine dcn Kanzlcirath Fischer,
fuhr Scidcl fort. Ein ncttcr, alter
Herr; er hat sich gar nicht verändert."
Die anderen Mitglieder des Stamm-
tischcs sahen sich erschrocken an. Einer
von ihncn lcgte seine Hand auf Seidel's
Arm und sagte: Lieber Freund, Sie
irren sich wohl. Sie wissen doch, daß
Kanzleirath Fischer vor sechs Wochen
begraben worden ist."
Das weiß ich. das weiß ich." ver
fetzte Scidcl. Aber trotzdem habe ich
ihn heute getroffen. Das war ja das
Originelle. Gleich hinter dem Stadt
thore stand er in der Ecke und winkte
mir mit der Hand. Er schien nicht bc
fonders vergnügt zu sein." I
Scidcl blickte wieder vor sich hin und
schien gar nicht zu wissen, was um ihn
vorging. So bemerkte er wohl auch
nicht die sonderbaren Blicke, welche die
(laste und Stammtischgcnosscn mitcin
ander austauschten, vs ent iand eine
peinliche Stille. Seidel trank fein
Bier plötzlich aus. stand auf und er.
klärte: Ich muß gehen. Zu Hause
wartet wahrscheinlich mein Vater auf
mich. Er ist auch todt. Aber die Todten
kommen jetzt Alle, das geht schon scit
acht Tagen so. Bald sehe ich dort einen
Todten, bald da einen. Ich fürchte
mich nicht. Ich habe ihnen ja nichts
aetban. Wenn sie nur reden wollten!
Aber es ist eine unheimlich stille Gesell
chaft.
Dann bezahlte er. nahm Hut und
Stock und entfernte sich.
Die Thür hatte sich kaum hinter ihm
geschlossen, als sich der Alp löste, dcr
auf der Stammtischacscllschaft lag.
Der Mann ist vcrruckt geworden!"
DoS scheint er wirklich zu fein."
..Er sah schon so verstört aus. wie. er
kam." ..Und die Kopsschmeri.cn. die
er schon seit Wochen hat !" so ging c
durcheinander, und daran schloß sich
eine Erörterung über die Geisteskranl
bcit Seidel's im Besonderen und den
Wahnsinn im Allgemeinen.
Seidel aber schritt nach seiner Woh
nung, legte sich hier einige Bogen Pa
Pier zurecht und schrieb eifrig bis gegen
Mitternacht.
9
brennt es. Mir thun sie nichts mehr
die Ba.illcn."
Der Bürgermeister hatte inzwift
ikiilesaegcnwart genug Messen, die
Wasserflasche zu ergreifen, die in dem
Comptoir stand, und sie in den Ofen zu
gieße. Und während Seidel noch
inimer in dem Comptoir herumtanzte
und schrie: ie sind verbrannt. ie
sind verbrannt, sie nnd verbrannt
Typhus. Eholcra. Diphthrritis. Pocken.
Allcs verbrannt!" zoqcn die beiden
Männer die nasse Asche aus dem Ofen,
in der Hosinung. noch Neste dcr ver
brannten Scheine zu finden. Allein
vergebens.
Mühsam suchte Walter nach Worten.
Er tastete nach einem tuhl: dann
wankte er wie vernichtet hinaus. Dcr
Bürgermeister folgte ihm. er fürchtete
eine Katastrophe.
meidet aber schien plötzlich eincii
neuen WahNqcdanicn zu haben, denn
er stürzte barhäuptig zur Thür hinaus.
3.
Es waren drei Tage vergangen, und
die sechzigtausend Mark waren mit den
?msen bei Walter eingelaufen. Die
ganze Summe betrug etwas über ein
undsechzigtausend Mark, und mit einen,
gewissen Gefühl der Befriedigung legte
der Fabrikbesitzer am Nachmittag das
Geld in den feuer- und diebessicheren
Gcldschrank. Er wollte es nicht erst
nach der Bank schaffen, da doch m den
nächsten Tagen schon Zahlungen fällig
wurden.
Walter und Seidel arbeiteten in den
Vormittagsstunden gemeinsam in einem
Zimmer.
Es kam ein Wechsel, der bezahlt wer
den mußte. Walter öffnete den Geld
schrank, nahm die erforderliche Summe
heraus und ließ dann den schrank offen
stehen, wie er es immer that, wenn er
im Comptoir war.
Eine Viertelstunde darauf kam dcr
Portier und sagte Walter leise in das
Ohr, der Bürgermeister fei draußen
und wünsche ihn ohne Zeugen zu
sprechen.
Dieser Besuch war sehr auffallend
und erschreckte den Fabrikbesitzer. Er
eilte hinaus und ließ, wie gewöhnlich,
wenn er nur in die Fabrik ging, dcn
Schlüssel im Schloß des Geldschrankcs
stecken.
Er traf auf dem Hof den Bürger
meistcr, und dieser begann nach dcr
ersten Begrüßung: Ich komme in aller
Elle u -Tönen, um Sie au warnen.
Von verschiedenen Seiten geht mir die
Mittheilung zu, daß Ihr Buchhalter
Seidel Nicht richtig im Kppfe fei. Ich
habe schon vorgestern von einem Herrn
der Gesellschaft, in der er verkehrt, die
Nachricht gehört, daß er Zeichen von
Verrücktheit gebe, aber ich habe nicht
daran geglaubt. Heute früh war auch
die Frau bei mir, bei welcher Scidcl
schon seit einigen Jahren wohnt. Sie
erzählte mir, daß der Mann vollständig
aus Rand und Band gerathen sei. Er
schreibe die Nächte hindurch; dann halte
er laute Reden in seinem Zimmer und
fange Nachts an zu singen, habe sogar
einmal den Versuch gemacht, Möbel zu
demoliren, kurzum benehme sich wie ein
Wahnsinniger."
Ich bin Ihnen jedenfalls fehr dank
bar, Herr Bürgermeister," erklärte
Walter. Ich werde den Unglücklichen
scharf beobachten."
Haben Sie denn selbst noch nichts
an ihm gemerkt, Herr Walter?"
Nein, Herr Bürgermeister. Er hat
soeben erst zwei Briefe geschrieben.
Bitte, kommen Sie doch mit in das
Comptoir, und sehen Sie ihn sich ein-
mal an."
Als die beiden Herren in das Comp
toir eintraten, bot sich ihnen ein son
derbarer Anblick. Trotz des Sommers
brannte in dem eisernen Ofen bei
Comptoirs Feuer. Die Thür der Feuo
rung fiano offen, uns vor dem Ofen
tanzte Seidel auf und ab.
Mensch, was machen Sie denn?"
fragte Walter überrascht.
Seidel grinste, stieß dann ein qe
zwungenes Lachen aus und sagte: Da
brennen sie, -da brennen sie, die Bocil-
lcn! Typhus, Cholera, Diphthcritis.
Pocken, Allcs muß vcrbrennen, Alles
muß vcrbrennen!"
Er zeigte einen Hundertmarkschein,
dcn er in dcr Hand hielt und im n
stcn Augenblicke m das Feuer warf.
Da, da brennt er! Das ganze Geld
ist verbrannt, Allcs, was da im Schrank
lag. Ich habe es gelesen, es sind Ba-
killen auf dem Papiergeld, die müssen
vernichtet werden.
Mit einem lauten Schreckcnsschrci
eilte Waltcr nach dem Gcldschrank und
riß dic Thür auf. Das Packct mit dcn
einundscchzigtausend Mark in Bank
noten war weg.. Er stürzte auf dcn
Buchhalter zu, packte ihn an dcn Schul
tcrn und rief: Mensch, Sie haben das
Geld verbrannt !"
Scidcl lachte nur grell auf: Ja, ich
habe es verbrannt. Es war die höchste
Zeit. Die Bacillen kamen aus dem
chranle heraus. Reihenweise, in qan-
zcn Kolonnen, kamen sie marschirt. Ich
habe die Feuerzange genommen und
das Packct dort in den Ofen geworfen,
ein Streichholz angezündet, und da
Am Nachmittag wurde Scidcl. als er
eben wicdcr in seine Wohnung zurück
kehren wollte, istqenommcn. Er wehrte
sich verzweifelt, schlug wüthend um sich,
aber man band ihn und brachte ihn
nach der Jrrenabthcilung des städtischen
Krank, nhauscs.
Man nahm dasclbn eine Leibesvisi-
tation Seidel's vor und steckte ihn, da
er tobsüchtig war, in eine Zwangsjacke.
In einer Rocktasche Seidel s fand man
einen Bricf an das Gericht, welcher Bc-
schuldigungcn gcgcn unbckanntc Per
fönen enthielt.
Der Bürgermeister veranstaltete eine
Haussuchung in dcr Wohnung des
Seidel, und hier fand man mehrere
Dutzend Bogen, beschrieben mit An
klagen unsiniqstcr Art gegen verstorbene
Personen odcr gänzlich unbekannte
Individuen.
Tas Gerücht von der Bcrrückthcit
Scidcl's und dem kolossalen Schaden,
den er seinem Chef durch Verbrennung
der Banknoten zugefügt hatte, ver
breitete sich natürlich in der Stadt,
und von allen Seiten kamen jetzt
Leute nach dcr Polizci, wclche Mit
theilung davon machten, daß sie in dcr
letzten Zeit Anzeichen von Irrsinn bei
Seidel bemerkt hätten. Es war kein
Zweifel: Scidcl war unzurechnungs
fähig, er litt offenbar an Verfolgunqs-
Wahnsinn.
Für dcn Chefarzt des Krankenhauses.
Doktor Stein, war der Fall äußerst
interessant wegen dcr Plötzlichkeit, mit
wclcher bei Seidel der Wahnsinn zum
Ausbruch gekommen warGeradc Ver
folgunqswahnsinn zeigt sich sonst qe-
wohnlich längere Zeit vor dem Aus
bruch; das Gehirn des Patienten
dcgcnerirt lanqfan, bevor es zum wirk
lichen Wahnsinn kommt. Bei Scidcl
aber waren zwischen dcn ersten An
zeichen, die er von Gciftesgestörthcit
gab. bis zum vollen Ausdruch des
Wahnsinns nur wenige Tage vev
gangen.
Kurze Zelt, nachdem man cidcl in
die Zwangsjacke gesteckt hatte, beruhigte
er sich. Er führte zwar noch verwirrte
Rcdcnsartcn. schwatzte, sehr viel, wollte
überall Gestalten sehen, die ihn 0er
folgten; zeigte aber dic anderen Merk
male des Verfolgunqswahnsinns nicht
die sich sonst gerade in diesem ersten
Stadium einzustellen pflegen.
Mit die cn Merkmalen l t es eine
eigenthümliche Sache. Ter Laie sieht
sie nicht, selbst dem Arzte, dcr nicht
speziell auf diesem Gcblct sich Mchäs
tiqt hat, werden lie nicht ohne Weitere
auffallen. Wohl sieht sie aber dcr
kundige Jrrcnarzt.
Toktor Stcin war erstaunt, sie nicht
zu nndcn.
Er ließ Seidel in eine Zelle bringen
welche in dcr Wand, versteckt hinter
einem Ventilationsgittcr, eine Ocfsnung
hatte, durch welche man den Insassen
auf das Genaueste beobachten konnte
ohne daß dieser eine Ahnung davon
hatte. Diese Zelle lag direkt neben
dem Arbeitszimmer des Chefarztes, und
an dem Loch, durch welches er die Zelle
veidel s überblicken konnte, saß stcin
jetzt stundenlang mit jener Geduld, die
man nur bei dem Forscher findet, der
flch ganz und gar m einen interessanten
Fall vertieft.
Nach einer zweitägigen Beobachtung
betrachtete Doktor Stcin dcn Jrrsiniii
gen mit ganz anderen Augen als
früher. So lange Seidel in seiner
Zelle allein war, so lange er sich unbe-
odachtct glaubte, gab er sich inert
würdigcrweise durchaus vernünftig. Er
erschrak nicht, er zuckte nicht zusammen.
er sah nicht scheu' in die Ecken; er saß
ganz ruhig an seinem Tische und las.
sein ganzes Gebühren war das dc;
geistig vollständig normalen Menschen.
obald aber die Thür geöffnet wurde.
veränderte sich fein Benehmen. Dann
zeigte er einen kläglichen Gcsichtsaus
druck, lief schcu im Zimmer auf und
ab, deutete entsetzt nach den Ecken,
klagte über fortwährende Belästigung
durch Geister und dunkle Gestalten.
und erzählte von Kämpfen, die er mit
Ungeheuern gehabt haben wollte.
Am dritten Tage wußte Toktor
tcin ganz genau, daß er in Scidcl
einen imulantcn vor jich habe, dcr
feine Sache nicht einmal besonders qe-
schickt machte. Für ihn war Seidel jetzt
nicht mehr dcr intcrcsi'ante Fall, an
einem Schwindler warcn lcinc tudicn
zu machen. Tas Interesse des Arztes
verwandelte sich jetzt in Zorn über dcn
frechen Gauner, dcr die Absicht hatte,
auch ihn, dcii Mann dcr Wissenschaft.
... 11. .X X. ;(,, h... !
ja muu;ui. uiiu i'u um i'uiull lui),
Klarheit über die Motive zu bekommen.
auS denen Seidel Wahnsinn hcuchc)tk,
machte er einen eingehenden Bericht an
dic Polizci nnd an den Untersuchung?
richlcr.
Gar schlimm sah es inzwischen bei
dcm Fabrikbesitzer Walter aus. Der
Verlust dcr cinundscchzigtauscnd Mark
hatte ihn ruinirt; er stand vor seinem
Koiikursc.
Es war acht Tage nach dcm Vorfall
mit Seidel, Waltcr faß wicdcr in fei
nein Comptoir und ardcitctc. alZ unver
muthct dcr Bürgcrmeistcr eintrat.
Ich habe zweimal geklopft. Herr
Waltcr." sagte er. ohne daß Sie mich
gehört habcn. Wahrscheinlich sind Sie
sehr beschäftigt. Abrr ich muß Sie
stören; ich bringt Ihncn cine ange
nehme Nachricht."
Seien Sie willkommen, Herr Bür
qcrmeister. Ich kann angenehme Nach-
richten brauchcn."
Tcr Bürgcrmcistcr sctztc sich und fuhr
mit freundlichen! Lächeln fort: Was
meinen Sie wohl, lieber Walter, wenn
das Geld nicht verbrannt wäre; wenn
eidcl nur simulirtc und nicht gcistcs-
krank wäre? Ich sehe schon. Sie ver
stehen mich nicht. Na, Sie werden
wohl nicht vor Freude um dcn Vcr
stand kommen! Hier habcn Sie Ihre
einundscchzigtausend Mark wieder.
scidcl ist ein Gauner, er hat einen
rafsinirten Betrug versucht, aber er hat
sich eine zu schwere Aufgabe gestellt und
ist gescheitert. Außerdem spielt eine
jener Zufälligkeiten mit. welche oft
dic schönsten Kombinationen eines Gau
ners über dcn Haufen werfen. Na,
wollen Sie sich nicht endlich diese Brief
taschc ansehen? Sie finden darin ein-
undsechzigtausend Mark. Ich bitte mir
allerdings einen anständigen Finder
lohn aus. nicht für mich, sondern für
einen armen Teufel, der heute früh bei
mir war und mir diese Tasche abgc
liefert hat."
Ich ich vcrstchc nicht," stotterte
Waltcr ganz verblüft.
Es ist ein Taglöhner," erklärte dcr
Bürgcrmcistcr. Der Mann licß sich
hcute früh bci mir mcldcn und erzählte
mir Folgendes: tonn zwölfjähriger
ohn hütet Vich außcrhalb dcr Stadt
auf dein Geineindeanger. vor acht
Tagen, nachdem dcr Gaudicb Seidel
hier die Verbrcnnungskomödie ini
Bureau uns vorgcmacht hatte, trieb er
sich auf dem Gemcindcangcr herum.
Ter Hirtenjunge sah dcn baarhäupii-
gcn, aufgeregten Hiann kommen, uno
natürlich fiel ihm diese Erscheinung auf.
Er blieb hinter dem Busche, hinter dem
er lag, ganz ruhig und sah darauf, wie
Seidel anscheinend zwecklos sich in dcn
Weidengcbüschcn am Bach herumtrieb ;
es entging dcr Aufmerksamkeit des
Knaben auch nicht, daß Scidcl einen
Gegenstand in eine hohle Weide hinein
steckte. Als sich dann Seidel entfernt
hatte, um in einem großen Bogen um
die Stadt nach seiner Wohnung zurück
zukehren, untersuchte der Hirtenknabe
die Weide, konnte aber in ihr Inneres
nicht eindringen. Am nächsten Tage
erfuhr der Junge von dcr Vernichtung
des Geldes und von der Unterbringung
Seidel's in einer Irrenanstalt, und
nun machte er seinem Vater Mitthei
lung. als dieser Abends von der Arbeit
kam. Tarauf hat nun dieser Taglöh-
ncr cine Untersuchung dcr Wcidc ange-
stellt, und durch Hincinfchlagcn eines
Loches dicht über dcm Erdboden gelang
es ihm. in den unteren Theil des höh
len Stammes hineinzufassen. Torthat
er die Brieftasche gefunden."
V 4
Im Opcrationssaal des Kranken-
Hauses waren alle Vorbereitungen zu
einer fchwcren peranon genossen.
Fertig zur Aufnahme des Patienten
tand dcr große Opcratlonstiich: Aus
einigen kleineren milchen lagen oie
Instrumente ausgebreitet, die mit ihrem
blankpolirtcn Stahl und ihrer Man
niqfaltigkeit selbst einem starknervigen
Menschen beim Anschauen ein Grauen
einflößen konnten. Waschbecken mit
Wasser. Schwämme, Tücher, lagen bc-
reit. Dic vier Hilfsärztc und der Chef
arzt. Toktor Stcin, trugen schwarze
Schürzen mit langen, bis an das
Handgelenk reichenden Aermeln aus
Gummistoff. Eine Anzahl handfester
Wärter war im Saale aufgestellt, dann
auch einige Zuschauer, dic man wohl
ausnahmsweise zugelassen hatte: dcr
Bürgcrmcistcr, dcr Untersuchungsrich
ter und noch einiqc Herren au der
Stadt.
Auf einem Wink des Chefarztes
wurde der mit einer Zwangszacke bc
kleidcte Scidcl in den Opcrationssaal
gebracht. Man setzte ihn auf einen
Stuhl in dcr Nähc dcs Opcrations
tischcs, und man sah es ihm an, wie
unheimlich ihm zu Muthc war.
Wenn es sich aber um wichtige tfauc
handelt, find ja die Aerzte bekanntlich
gefühllos. So schien auch Toktor Stcin
dcn Mann in der Zwangsjacke gar nicht
beachten. Er wandte sich an die
Aerzte und an die anwesenden Gaste
und sagte: Meine Herren, wir haben
hier mit einem ivall von Waynssnn
zu thun, dcr durch krankhafte Verande
runa dcs Gchirns entstanden ist. Lassen
wir dcn Mann wie bisher weiter leben.
o wird der Wahnsinn beständig zunch-
inen, und ein valoigcr ji.oo wno ci-
von seincm Leiden erlöftn. i.c
Wissenschaft kann aber nicht unthätig
zuschcn; sie muß vmuchcn, das Uebel
beicitigen, und o Haben wir un
denn entschlossen, mit dem Mann da
einer Operation zu machen, die aller-
ding höchst gefährlich ist. Tik Statist
belehrt uns darüber, daß von fünfund
zwanzig Opcrirten kaum Einer 1
dem Leben davonkommt. Ta aber im
anderen Falle der Patient doch unrett
bar verloren ist. so muß die Operation
gewagt werden. Es ist die letzte Hoff
nung. 'Wir werden jetzt den Patienten
chloroformiren, werden ihm dann dcn
Schädel öffnen, so daß di? erkrankte
Stelle des Gehirn bloß liegt, und
werden dicke entfernen. Tas Erpcri
ineiit ist für die Wiffcnscha't von hoch
stcr Wichtigkeit."
Dann wandte er sich zu den Wär
tcrn: Brinqcn 8ic dcn Patienten
hierher!"
Lcichcnblaß war daS Gesicht Seidel'
wahrend der Rede des Chcsarztcs gc
worden. Sogar jene Anwesenden, die
nicht Acrztc waren, fahrn wohl, daß
Scidcl das Verständniß für die Rede
keineswegs fehlte, und konnten deutlich
das Entsetzen beobachten, das nch au
seinem Gesichte widerspiegelte. Als
sich die Wärter Scidcl uähcrtcn. war
dicscr kaum im Stande, sich zu er
hcbcn.
..Vorwärts! Vorwärts!" saqte dcr
Chcfarzt. lcqcn Sic ihm dic Chloro
kormmaske an."
Tie Assistentürzte griffen gleichzeitig
nach dcn Sägen und dcn andcren In
strumcntkn und schicncn bereit, sich an
das unglückliche Opfer der Wissenschaft
zu stürzen.
Da verlor Seidel seine Fassung
Widerstand wäre vergeblich gewesen.
da er in dcr Zwangsjacke steckte. Eine
Flucht war nicht möglich, denn die
Wörter hielten ihn rechts und links an
den Armen fest. Er warf sich also
plötzlich vor dcm Chcfarzt auf die Kni
und lammcrte: Um Gottcswillcn.
opcriren Siö mich nicht! Ich bin ja gar
niait verrückt!"
Ueber das Gesicht dcs Arztcs flog ein
grimmiges rachcln. ..tcycn feie
auf," sagte er. Wir wissen da
bcffcr. ein Wahnsinniger giebt zu.
daß er geisteskrank sei. Allerdings ist
1a eine merkwürdige Besserung mit
Ihnen vorgegangen. Als ich gestern
bei Ihnen in der Zelle war,, verstanden
ic mich nicht und schwatzten unge
reimtcs Zeug. Heute habcn Sic nicht
nur vcrstandcn, was ich sagte, sondern
Sie scheinen auch ganz vernünftige
Ideen bekommen zu haben. Ich lasse
mich aber dadurch nicht täuschen. Vor
würts. legen Tie ihn auf dcn Opcra-
tionstisch!"
Jetzl vcgann ciocl um iquc zu
schreien und auf einen Wink dcs
Chcfarztcs waren die Wärter ron ihm
zurück.
Tcr Untcrsuchungsrichtcr erhob sich
und sagte: Seidel, diese Brieftasche,
die sich früher in Ihrem Besitz befand,
ist mit einem Inhalt von einundsechzig
tausend Mark in einer bohlen Weite
auf dem Gcmeindcanger gefunden wor
dcn. Sie haben Ihren Wahnsinn
simulirt, um sich in dcn Bcsitz dcs
Geldes zu setzen. Tie sehen, Sie sind
entlarvt. Wollen Sie ein Gcständniß
ablegen?"
Seidel licß dcn Kopf auf dic Brust
sinken und sagtc: Ja."
Dann können wir das Protokoll so
fort hier aufnehmen," erklärte dcr Un
tcrsuchungsrichtcr.
Dcr Protokollführcr, dcr sich in seiner
Begleitung befand, faß im nächsten
Augenblick an dcm Operationstisch, an
dcm man die furchtbare Manipulation
mit Seidel angeblich hatte vornehmen
wollen, und nach kurzem Zögern ent
schloß sich Seidel zu einem vollen Gc
ständniß.
,,ch yavc, tagic er, ,.cil meine
Lebens gewünscht, einmal Geld zu be
kommen. Ich habe viel mit mir g?
kämpft, bis ich mich dazu entschloß
einen wichen Schwindel in tozcnc zu
setzen. Ich wußtc, daß die cinundscch
zigtauscnd Mark, die Herr Waltcr im
Prozeß gewonnen hatte, ankommen
würden, und in ihren Bcsitz wolltc ich
mich sctzcn, ohne mich zu gefährden
Ich überlegte Folgendes: Wenn ich mich
wahnsinnig stellte, mich in dcn Bcsitz
der cinundftchzigtauscnd Mark brachte.
und fo that, als ob ich sie vcrbrannt
hättc, so konnte mir gar nichts wcitcr
gcschchcn. Man steckte mich dann in
ein Irrenhaus, und aus diesem entließ
man mich wahrscheinlich nach einiger
Zeit, wenn ich wieder vernünftig gc
wordcn zu sein schien. , Als Wahnsin
nigcr konnte ich gerichtlich wegen meiner
Handlungsweise nicht belangt werden
Ich wollte mich dann noch eine Zeitlang
hier in dcr Gegend aufhalten und wenn
aller Verdacht geschwunden, mit dcm
Gelde mir jenseits dcs Meeres oder im
europäischen Auslande eine neue Zu-
kunft gründen. Ich habe nur einen
Hundertmarkschein wirklich angezündet,
dic anderen Papiere, dic im Ofcn
brannten, warcn Makulatur."
Tcr verunglückte Schwindel Seidel's
fand seine Bestrafung Seitens dcs
Schwurgcrichtcs. Ter Taglöhner da-
gegen, dcr das Geld aufgefunden und
abgeliefert hattc, erhielt von Waltcr
eine reichliche Bclohunng, die Gläubiger
dcs Fabrikbcsitzcrs ihr Geld, und die
Kriminalgcschichte wurde um einen in
tcrcssantcn Fall reicher.
Ergötzliches aus dem englischen
Unterhaust.
In einer englischen Revue erzählt
ein alter Parlamentarier allerhand er
götzlichc Geschichten aus dcr Zcit seiner
dreißigjährigen Thätigkeit im englischen
Unterhauie. Keiner einzigen Sitzung,
behauptet er, habe er beigewohnt, in
der sich nicht Stoff zum Lachen geboten
it Halle. Ein ständiger Anlaß zur itcr
seit wird durch dcn Hut gegeben. Der
unersahrenc Abgeordnete, dcr zum erst,
Male das Hans betritt, weife gur mA)t,
was er mit ihm machen soll: aber es
pafsirt auch noch alleren Mitgliedern
des Hauses, daß sie sich über die vieln
Vorschriften, die sich an die Kopfdc
dcckung knüpfen, nicht recht im Klaren
sind. Das HuM'idetz" ist nämlich
sehr kouiplizirk. Zunächst muß man
ohne Hut zu seinem Sitze gehen, darf
aber dann dcn Hut wicdcr aufsetzen.
Wehe abcr dem, dcr mit dem Hute sich
von seinem Sitze erhebt! Als einmal
ein neuer Parlamentarier sich erhob,
ohne dcn Hut vorher abzunehmen, be
kam er von allen Seiten des Hauses
lebhafte Zurufe. Er blick stehen und
bemühte sich vergeblich, dahinter zu
kommen, was es gäbe. Da ging Tr.
Taillier auf ihn zu, nahm ihm den
Hut ab und drückte ihn mit höflicher
Verbeugung in die Hand. Es ist auch
vorgekommen, daß Tir William Hai
court und Mr. Chaniberlain am
Schlüsse einer höchst wirkungsvolle
Rede sich auf ihren Hut setzten und so
dic ganze Wirkung ihrer Reden unter
dein aUgciiicinen Gelächter zerstörten.
Ein Mitglied war lange Zcit bekannt
als der Mann, dcr auf seinem Hute
saß"; man behielt den Fall so gut im
Gedächtniß, weil ein irisches Mitglird
damals, als er das Mißgeschick be-
merkte, aufgestanden war und gesagt
hattc: Herr Präsident, erlauben Sie
mir, dcm vcrchrtcn Mitglied? zu gra
tulircn, daß. während er auf feincin
Hute saß, sein Kopf nicht darin
war." Niemand darf stehend
mit dem Hute angetroffen werden, auch
wenn er sich nur erhoben hat, um mit
einem Mitgliede in leiner Näbe ju
prechen. Auch der sitzende Parlamen
tarier muß ihn manchmal abnehmen.
0 z. B. wenn ein anderer auf feine
vrage antwortet oder feinen Namen
erwähnt. Ist er zufällig in diesem
Moment ohne Kopfbedeckung, so er
greift er seinen Hut, setzt ihn auf und
nimmt ihn sofort wieder ab. Oft
kommt es dabei vor. daß Mitglieder
sich in der Eile einen falschen Hut auf-
enen. 0 ergrin wac tone einmal
einen Hut. der ihm viel zu klein war.
was große Heiterkeit hervorrief. Sehr
kölnische Szenen ereigneten sich zu
Zeiten, wenn es die schwierigste Sache
von der Welt war, im Unterhaus?
etwas zu essen zu erhalten und die
hungrigen Parlamentarier in Schaaren
das Speisezimmer bestürmten. Tas
ereignet sich immer, wenn auf eine
wichtige Rede eine uninteressante folate.
Jedermann stürmt zum Büffet und der
Wirth ist bald am Ende seines Wikes.
Bei Nachtsitzungen ist das natürlich
noch schlimmer. Vor ein oder zwei
Jahren war es. da mußte der Leiter
des Restaurants während einer Nacht
tzung schleunigst in einer Troschke
neue Eßvorräthe holen. Er kam zurück,
beladen mit Butter, Käse, Eiern. Brod
und anderen guten Sachen. BMd
mußte aber noch einmal geschickt wer-
den. In jener Nackt sollen 2000
Spiegeleier und 000 Scheiben Butter
konsumirt wordcn scin Bcschci-
dcnhcit gehört nicht zu den Tugenden
des Parlamentariers. Umsomchr vcr
dient dcr Fall bci einem Mr. Smith
Erwähnung. Jemand sprach von ihm
im Verlauf feiner Rede als dem sehr
ehrcnwcrthcn und gelehrten Mann"
eine Phrasc, die auf Advokaten häufig
angewendet wird. Nun paßte dieser
Titel aber rechtmäßig nicht auf Mr.
Smith. Es wäre indessen gewiß Nie
mandem eingefallen, zu widerivrechen.
Mr. Smith 'aber sprang sogleich auf
und rief: Ich bitte dcn schr ehren
werthen Herrn um Entschuldigung,
aber ich bin nicht aclcbrt."
Eine ständige komische Figur im
Hause war lange Zcit hindurch ein
kürzlich verstorbener Abgeordneter, der
fünfzig Jahre lang inimer und immer
wicdcr versuchte, eine Bill durck,n-
bringcn, durch dic verboten werden
sollte, hochgclcgcnc Fenster von außen
zu reinigen. Jahr sur Jahr hatte er
seine Bill eingebracht, und zuletzt, als
er sein letztes Stündlein nahen fühlte,
verließ er das Parlament mit einem
seltsamen Schlußcssckt. An seiner Ab-
chicdsiede crst erkannten Alle, daß sie
seine Bill stets mil;vcrstaden hatten
Er erklärte, nicht an das Geschick der
Fenstcrrcinigcr habe er gedacht, sondern
an das Publikum darunter, aus das
ic fallen könnten."
Auch schön."
Kaiser Wilhelm I., damals noch Kö-
nig von Preußen, sah eines Tages, auf
einer teinvank dcr .karlsbader Pro
rncnade sitzcnd, einen Ungarn aus sich
zukommen, welcher ruhig dcn Sitz ne
den ihm einnahm und rauchte, ohne sich
um ihn zu bekümmern. Wer ist denn
er?" fragte dcr König, ein wcnia
vcrdrosscn über diesen achtlosen Gleich
muth. Bin N. Odry, ungarischer
Komitats-Vizegespan."
chon." antwortete dcr König mit
gedämpftem Unmuth.
Nach kurzer Weile hob Odrn an:
Und wer ist denn er ?"
Tcr König von Preußen."
A u ch s ch ö n," bemerkte dcr unqa
schc Komitats-Viceqcspan. qlcichailtig
weiterranchend.
Vtr Dachdasc,
Gast : Sie. Kellner, ist Pas uien
braten?"
.Kellner (gchrimnißvoll): Fast!"
r