Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 09, 1899, Image 12

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    )m Punfol.
f o n 1 1 o Z d)i l i i 11 S-
Ein fciiditfrofiiacr Januar-Abend
Vluf heut fl-plniltinlaltfr ein l'chmutzig
tuau, fettiger, UinijatKr Brei, in den,
die trottenben Hufe mit vorsichtigem
lasten uilm vorwärts schliiiern.
An dkmNreuzuiigSpiinite zweier aupi
Verkehrsadern vrangen sich die hastenden
Menschen. AuS dem igarrenladen an
der Etrakenecke sluthet eine mächtige,
grellgelbe Lichhsstrbe hervor und be
leuchtet einen von der Zeit und der
Witterung hart mitgenommenen ayr
stuhl, in dem ein blinder Mann von
tau, mehr als dreißig Jahren kauert
Er ist in einen abgetragenen Ueber
zieher von unbestimmbarer Farbe ge
hiillt und trägt dicke, wollene Hand
schuhe. Seine tcsichtsziige sind scharf
und eckig, die Augen beständig hinter
großen, starkbcwiinpcrten Lidern der
borgen. Tie Gesichtsfarbe ist blcigrau,
t e Nale arok und mit char er ttrum
mung an der Wurzel. Sein linker
Arin'hängt gelähmt herab, die Finger
der rechten Hand trommeln nervös aus
der schwarzen Ledcrdccke des Wagens.
Ilm den Hals hängt an einem ledernen
Riemen ein alten mit Streichhölzern
Auf der inneren Seite des geöffneten
Teckels liest man in großen, ungelenken
Buchstaben: ..Blind und lahm! Man
bittet, kein Almosen zu geben, sondern
Waaren zu entnehmen. vln der rech
ten Seite des Fahrstuhls ,ist eine
blcchcrnc, mit einem Hängeichloj; der
scheue Sparbüchse angebracht, in welche
die Käufer ihre Nickclstücke hineirnver
fcn. in schmalbäckiges, ärmlich gc
klcidctcs, aus glcichgiltigen Augen um
herschauendes Mädchen von zwölf Iah
ren lehnt dicht neben dcm Blinden gegen
das schwitzende Ladcnfenster. Es ist die
Tochter seines Stubcnwirths, die ihn
täglich dorthin und wicder nach Hause
zurückfahrt.
Die Züge des blinden Mannes der
rathen erwartungsvolle Aufmerksamkeit.
Er horcht. Auf dcm Straszendamm
rasseln die elektrischen Wagen heran.
Er kennt sie, er weiß ganz genau, ob sie
nach dem Alexanderplai) oder nach dem
Schlesischcn Thor fahren. Droschken
rattern vorüber, er unterscheidet, ob sie
erster oder zweiter Klaffe sind. Fuß
gängcr hasten in seiner Nähe hin und
her. Er erkennt sie an ihrem Gange,
an ihrer Sprache, an dem Raufchen der
leider, an dcm Klirren der Sporen
und dem Rasseln des Säbels. Und
feine Kunden erst ! Er witterte sie mit
der Sicherheit eines Spürhundes, an
dem (Geräusch ihres Athems, an dcm
Duft ihrcs Parfüms, an dem Geruch
ihrer Eigarre.
Donnerstag ist sein Feiertag, da hat
er stets etwas Besonderes. Im Som
mcr frische Blumen, im Winter etwas
Tanncngrün oder Jmmortellenranken.
Heute giebts etwas ganz Seltenes für
seine Kunden, Weidenzwcige, mit run
den, sammetweichen, schwellenden Sil
berkätzchcn, vorzeitiges Sproßwerk eines
launischen, marklosen Winters. Heute
muß sie" kommen, die zarte, vornehme
Dame mit dem lcichtfedernden Schritt,
mit der ungcmein melodischen Alt
stimme, mit dcm leise knisternden Sei
dcnklcide, in der dünnen, duftigen
Wollc von Flcur de Lis". Sie ist
allezeit sehr pünktlich. Sie ist kurz nach
Sechs an seiner Straßenecke, wenn sie
aus der Gesangstunde kommt. In den
zwei Jahren ihrer geschäftlichen" Be
Ziehungen hat sie noch nicht ein einziges
Mal gefehlt, ist selten zu spät gckom
wen. Ein Muster von Ordnung und
Zuverlässigkeit.
An diesem Abend ist es schon acht
, Uhr, und sie ist noch nicht dagewesen.
Siehst Tu sie noch immer nicht,
Anna?" fragt der Blinde das fröstelnde
Mädchen an seiner Seite.
Nein, Herr Reuter!" antwortete das
tfiind gleichgültig.
Vielleicht ist sie krank," fährt er
fort, wie zu sich selbst sprechend.
Krank kann sie schon sein," ergänzt
das Mädchen gedankenlos.
Oder der Profcffor ist krank und
kann keine Stunde geben. Meinst Tu
nicht auch?"
Tas kann auch sein," erwidert Anna
mit unveränderter Gleichgiltigkcit.
Biclleicht kommt sie auch noch."
Vielleicht kann sie doch kommen."
Tcr Kranke lehnt sich mit einem
tiefen, schweren Seufzer in seinen Stuhl
zurück. Seine Phantasie arbeitet ge
schüftig und zaubert eine lange Reihe
von lebenswahren, scharf umriffenen
Bildern vor sein Teclenauge. Er sieht
in die Straße einer kleinen Landstadt,
in ein niedriges, schmales, cngrvumiges
Häuschen mit okcrgclbem Kalkanstrich.
Tarin schaltet eine kleine, kränkliche
Frau, mit matten, lcbenssattcn, gram
durchwühlten Zügen seine Mutter.
An dcm cinzigen Fenster des ärmlichen
aber sauberen Zimmers hockt ein lang
anfgeschofsener, zarttnochigcr Knabe,
die Ellbogen auf das Fensterbrett ge
stützt, den Kopf in die schmalen, durch
sichtigen Finger vergraben, mit keuch
tcndcn Augen und fiebernden Wangcn,
bei unsicherem Tämmcrlicht in einem
dickleibigen Buche studirend er selbst.
Tann erscheint ein einfacher, schwarzer
Sarg, in dem engen, fcuchtdumpfcn
Hausflur. Männcr. in ctwas faden
schcinigcn schwarzen Röcken, in alt
modischen hohen Hüten, tragen sie hin
aus, sie, seine einzige Stütze, seine
einzige Freundin, den einzigen Men
fchcn, der ihn versteht, sich um ihn küm
mcrt. Sin anderes Bild! Er lebt in der
Haiiptsiadt. hoch oben, in der Mai.sardc
eines fünfstöckigen Mietshauses, der
Nachbar und Freund zänkischer Taubeu
und schimpfender Sperlinge, ier karg
liche Erlös für das elterliche Erde i!t
fast aufgezehrt, jrofc der Privatstundcn
dic ihm dic besten Stunden zum Stu-
diren rauben und doch nur eine spärlich
sickernde Quelle seines bescheidenen
Haushalts ausmachen. Er sieht den
Zeitpunkt herannahen, langsam, aber
unausivclchbar. wo er vor vcm
Nichts steht. WaS dann? Ta kommt
die Hilfe! Er wird Hauslehrer in einer
vornehmen Familie des Thiergarten
Viertels. Jeden Nachmittag muß er
seinem Zöglinge widmen, einem ver
wähnten, aber im Grunde gutmüthigen
und sehr begabten Schüler, der seinen
ruhigen, klaren, ziclbcwußtcn Erzieher
bald lieb gewinnt. Tie Nacht gehört
ihm, dem Studium.
Und dann kommt der Tag, wo er
sie" zum ersten Male sieht, die Schwc
stcr seines Pfleglings, die eben aus der
Genfer Pension zurückkehrt. Ter
Augenblick steht so lebhaft vor der Seele
des blinden Mannes, als ob es gestern
gewesen wäre, und doch sind schon mehr
als zehn Jahre seitdem vcrfloffcn. Er
wird sie niemals vergessen, die schlanke,
anmuthigc Gestalt, mit dcm goldig
schimmernden Haar, den ni unteren,
schalkhaft blitzenden Augen, den vollen.
wvhlgeformtcii feuchtrothen Lippen,
den schmalen, weißen Handen und den
kleinen, überaus lebhaften Füßen.
Wenn auch alle Bilder im Laufe der
Zeit vor seinem Jnncnblick verblassen,
dieses wird bis an sein Lebensende
nichts an Schürfe und Farbenglanz ver
licren. Tas weiß er.
Da begann für ihn eine neue Zeit,
voll stiller Freuden, heimlichen Glücks.
&ein Lcbcn bekam Bedeutung und In
halt. Er verdoppelte seine Anstrcngun
gen. um so bald wie möglich das
Staatsexamen zu machen. Dann wollte
er ihr sagen, ,oas er für sie fühlte, was
sie ihm war. O. er war schüchtern,
gewiß; aber dazu würde er den Muth
schon finden. Freilich, ob sie ihn liebte?
Daran hatte er damals nicht gedacht,
das war doch selbstverständlich. Er las
es ja am Blick ihrer Augen, er hörte es
am Ton ihrer wundervollen Stimme.
Und endlich kam der Tag, an dem
das Werk gelungen war. Der Weg zu
Ehre und Ruhm stand ihm offen. Er
wollte ihn betreten, auf ihm vorwärts-
stürmen an ihrer Seite. Morgen
wollte er das Wort sprechen, von dem
sein Gluck, sein Leben, scin Alles ab-hing.
Am nächsten Tage gegen Mittag, als
er die Worte wicder und wieder über
legte, die er ihr heute sagen wollte,
hörte er hastende Schritte die ausgctre
tcnen, knirschenden Treppenstufen her
aufkommen. Ein kurzes, flüchtiges
Klopfen an der Thur, sein kleiner Zog-
ling stürzt in's Zimmer, mit geröthetcn
Backen, athemlos vor Hast und Freude.
Papa laßt bitten, heute den Unter-
richt ausfallen zu lassen."
Na, was ist denn los?"
Wir feiern ein Familienfest."
Soso!"
Meine Schwester Martha hat sich
verlobt."
Berlobt! Ein Schleier senkte sich
langsam über seine Augen, die Erde
löste sich unnierklich unter seinen Füßen
und sank hinab, tief, immer tiefer, bis
in die Unendlichkeit. Tann kam das
Nichts, die Bewußtlosigkeit. So mochte
er wohl stundenlang gelegen haben, es
kam ihm vor, als ob es Jahre wären.
Am Nachmittag kam ein Freund und
rüttelte ihn aus der Betäubung auf.
Tu bist überarbeitet. Komm, wir
machen eine Schlittschuhpartie nach
Spandau, das wird Tir gut thun."
Willenlos, gedankenlos, kraftlos ging
er mit. durch die Straßen, hinaus, zu
dcm Flusse, dessen schwarzes Wasser
unter der Eisdecke unheimlich brodelte.
Sie glitten im Fluge dahin. Er spürte
nicht den Frost, der ihm bis in's Mark
fraß, er fühlte nicht den Sturm, der
seine Schläfe umbrauste. er sah nicht
die glitzernden Schneekrystalle unter
seinen Füßen, sein Auge folgte un
verrückt, wie von einer magischen Ge
walt geleitet, V? schmalen, tinten
schwarzen Wasscrrinnc, die sich am
Flußuser entlang zog. wenige Schritte
neben ihm.
Auf einmal war es der Sturm,
war es eine unwiderstehliche innere Gc
walt? Wer konnte es sagen? Er
fliegt gegen den gurgelnden Wasserstrei-
cn heran ein .Krachen ein Rau
schen eiskalte Wogen schlagen
klatschend Über ihm zusammen.
AIs er wieder zu sich kommt, sieht er
sich im Krankenhause, unter den sorgen-
den Händen der stillen, mildcn, warm-
herzigen Krankenschwester. Seine
Schiiierzenszeit beginnt, die bis ans
Ende seines Lebens dauern wird. Als
er das Haus des Leidens verläßt, ist er
ein blinder, gelähmter Greis von zwei
undzwanzig Jahren. Und so wird er
bleiben, freudlos, alücklos, bis sein
Geschick erfüllt ist.
Toch nein! Noch einmal lächelt auch
ihm. dem Elenden, dem Bcttlcr. cin
ckxn dc Glücks, cin ferner, winziger,
aum sichtbarer Stern, aber doch ein
Stern, glitzernd, flimmernd, dessen
milder Schein bis in sein innerstes
Hcrzdunkcl dringt und dort einen
chwachen Glücksschimincr hcrvorzaubcrt.
Es war vor zwei Jahren, als sie" zum
ersten Mal an den Krankcnstuhl des
blinden, lahmen Mannes herantrat
und ihn anredete. Er erkannte sie so-
ort, und eine unsagbare Seligkeit flog
über seine harten, unbeweglichen Züge.
Sie ahnte nicht, wer der Unglückliche
war. der ibr mit zitternder Hand dic
Streichhölzchen, reichte. zo war es gc
blieben. Jeden Tonncrslag lani sie.
Die ganze Wocbc freute er sicy aus den
Augenblick, wo das Rauschen ihres
Kleides an sein Odr schlug, wo er ihre
liebliche Stimme horte, wo ihre kleine.
zarte Hand feine knochigen, unruhig
tastenden Finger streifte. Teshalb war
der Toniicrstag scin Sonntag, sein
Festtag.
Ein einziges Mal war sie mit ihrem
Manne gekommen. Da hatte der
Blinde aufgehorcht, auf den Schritt,
auf den Stimmfall. Beides hatte ihm
nicht gefallen. Tcr Mann war sclbst
süchtig, eigenwillig, hart bis zur Hcrz-
losigkeit und Rohkeit. Die Arme!"
sagte der Kranke nachdenklich zu sich.
Tann hörte er, wie in einiger Ent-
fcrnunq der Mann sagte:
Also, das ist Tein Blinder? Ich
weiß nicht, was Tu an ihm findest."
Ich finde an ihm. baß er unglücklich
ist." antwortete sie. Außerdem erinnert
er mich an einen jungen Mann, der bei
uns Hauslchrcr war."
Vielleicht ist er es selbst. Tu kannst
ihn ja fragen."
Nein," sagte sie, der ist im Kanal
ertrunken. Gerade am Tage als wir
uns verlobten. Ich habe es in der
Zeitung gelesen. Es ging uns sehr
nahe." v
Tcr Blinde erwacht aus seiner Träu
merei. Er horcht aufmerksam. Trip
pclnde Schritte kommen über den Fahr-
dämm. Tas find ihre" schritte.
Nein, sie sind zu klein, zu hastig.
Sie" geht langsamer, ruhiger. Einen
Augenblick später hört er unmittelbar
neben sich eine seine und doch höchst
ausdrucksvolle Kinderstimme.
Sind Sie der blinde Mann, den
Mama immer Tonnerstags besucht
hat?"
Tcr bin ich, mein Kind.
Ta!" sagte die Kleine, indem sie
ein Geldstück in seine geschlossene Hand
zu stecken versuchte. .
Tanke. Warum kommt Mama
heute nicht selbst, mein liebes Kind."
Mama ist todt, antwortete eine
aufschluchzende Stimme.
Todt!" stammelte der Blinde, indem
er wie vom Beylage gcruyri yinien
übersank.
Tie gnädige Frau ist vorgestern
begraben," sagte die Begleiterin des
Kindes. Sie hat noch kurz vor ihrem
Tode den Auftrag gegeben, daß Martha
alle Tonnerstag hierhergeführt wird."
Todt!" murmelte der Kranke mit
leiser, müder Stimme. Tann richtete
er sich mühsam auf, griff mit zittern
den Fingern nach den Weidenzweigen
und preßte sie in die Hand des Kindes.
Bitte! Auf Mamas Grab! Bitte!"
Zwei große, schillernde Thränen roll-
ten unter seinen geschlossenen Lidern
hervor.
Meine Reisegefährtin.
Eine amerikanische Nachtgeschichle.
Es war in einer bitterlich kalten
Januarnacht, einer Nacht, wo der ob
dachlose Wanderer in Gefahr schwebte,
zur Erde niederzusinken, nie wicder auf-
zustehen, als ich den amerikanischen
Eisenbahnzug bestieg.
Einen großen Borzug hat der
Dampf." brummte ein dicker alter Herr.
der in der Ecke des EoupS faß. Wind
und Wetter können ihm nichts anhaben.
Kein Pferd von Fleisch und Blut der-
möchte eine solche Kälte, wie wir heute
Nacht haben, auszuhalten; das eiserne
Roß aber rennt immer vorwärts, mag
das Thermometer auf Null oder auf
dem Siedepunkte stehen."
So fuhren wir m die Winternacht
hinein. In Hardwick, einer nicht un
ansehnlichen Stadt, machten wir zuerst
Halt. Unser Wagen war ziemlich der
letzte des langen Zuges, und es stieg
ein einziger Passagier bei uns ein. Die
scr Passagier war ein schlankes, junges
Mädchen, in einen großen, grauen
Shawl gehüllt und mit einem netten
Reischütchcn auf dem Kopfe. Sie
schien etwas schüchtern zu sein, wie je-
mand. der ans Reisen nicht gewohnt
ist. und setzte sich, nachdem sie sich un
schlüssig im Eoupö umgesehen, in der
Nähe der Thür nieder.
Entschuldigen Sie, mein Fräulein,'
sagte ich; wird es nicht besser sein,
wenn Sie mehr in der Nähe des Ofens
Platz nehmen?"
Tie junge Dame stand wieder auf,
schien einen Augenblick lang unschlüssig
zu sein, folgte aber endlich doch meinem
Rath.
Geht dicscr Zug bis Bayswatcr?"
fragte sie dann mit einer Stimme, deren
lieblicher Ton mich höchst angenehm be
rührte. Ja wohl. Kann ich Ihnen viel
leicht in irgend welcher Weise nützlich
scin?"
Ich danke; nein wenigstens nicht
eher, als bis wir nach Bayswatcr kom
men." Bis dahin werden wir noch drei
Stunden brauchen.
Hält der Zug unterwegs noch ein
mal?" Blos in Ermouth."
Tie junge Tarne seufzte aus anschei
nend erleichtertem Herzen auf und lehnte
sich in die Ecke zurück. Bei dcm Schein
der Lampe, die in ihrem Mcssinggchüuse
gegenüber hing, konnte ich nun das Gc
sicht meiner Reisegefährtin scheu. Es
war das eines lieblichen Kindes; denn
sie zählte, wie es schien, höchstens sechs
zehn Jahre, hatte große blaue Augen,
goldblondes, glatt aus dem 0eiid;t
zurückgestrichenes Haar und einen llei
neu Mund, der einer halb verschlossenen
Rosenknospe glich.
Sie erwarten wohl, in Bauswaker
von Freunden empfangen zu werden,
mein Fräuleins fragte ich nach einer
Weile.
Nein. Sir, ich will eine dortige
Peniioiischulc besuchen."
.lernn werden Sie aber zu einer et
was unpassenden Stunde ankommen
ein Uhr Morgens."
O. das hat nichts zu sagen." ent
gegnete die junge Tame lächelnd. Ich
gebe sofort nach dem -chuIgcbäude."
Tcr Eilzug donnerte weiter mit dem
stetigen unaufhörlichen Pulsfchlag sei
ncs eisernen Hcrzcns und dem schnau
bcnden Athcmzug seiner Ricfenlunge.
Plötzlich gellten die Signalpfeifen,
und der Zug begann, langsam zu geben.
In Ermouth können wir noch nicht
sein." dachte ich. Ich müßte denn
geschlafen und auf den Lauf der Zeit
nicht geachtet haben.
Ich warf einen Blick aus meine
Uhr. Es war erst halb zwölf Uhr.
und ich wußte, daß wir nicht eher als
einige Minuten nach Mitternacht in
Exmouth ankommen konnten. Ich rieb
den Frost vom Fenster und schaute hin-
aus.
Wir hatten an einer einsame kleinen
Station mitten in einer dichten Richten
Waldung Halt gemacht.
Ist dies Ermouth?" fragte die
saufte wohllautende Stimme meiner
mir gcgcnüdcrsitzcndcn. schönen Reise-
gcsahrtin.
Ncin; wie der Ort heißt, weiß ich
nicht; es muß ein ganz besonderes
Signal gegeben worden sein. cie fne
ren wohl. Fräulein? Ihre Stimme
zittert'
Es ist allerdings sehr kalt." sagte
die i junge Tame in kaum hörbarem
Tone, indem sie ihren Shawl fester um
sich wickelte. Ich , wollte, eS ginge
bald weiter. "
Eben fetzt sich der Zug wicder in
Bewegung," antwortete ich. Hören
Sie." sagte ich zu dem Eonduktcur, der
eben durch dcn Wagen ging, warum
haben wir an jener kleinen Station
Halt gemacht!"
Tie Maschine hatte lein Wasser
mehr." entqcqnete der Eonduktcur.
indem er vorübereiltc.
Ich errieth sofort, daß diese Antwort
keine wahrheitsgemäße war. Unser Auf-
enthalt hatte kaum eine halbe Minute
gedauert, und in dieser kurzen Zeit
wäre es nicht möglich gewesen, dcn
Tampfkesscl zu fullcn. Wo sollte ubri
gcns an jenem einsamen Orte mitten
in einem kahlen Fichtenwalde das
Wasser herkommen?
Fünf Minuten später trat der von-
dutteur wieder in den Wagen.
Warum wollten Sie mir nicht die
Wahrheit sagen?" fragte ich ihn in
gedämpftem Tone.
Tie Wahrheit? In Bezug woraus"
entgegnete er in demselben Tone.
In Bczng aus den Grund, warum
Sie vorhin Halt machten."
Ter Eonduktcur lächelte und entgeg-
ncte dann:
Na, ich will Ihnen nur die Wahr-
heit sagen. Wir machten Halt, um
einen einzigen Passagier aufzuneh-
men einen Mann, der uns von
Bayswater bis an jene Station ent
gcgcngckommcn war."
..Um dcs Vergnügens willen, dcn-
selben Wcg wieder zurllckzumachen?"
Ja wohl, um des Bergnugcns
willen in gewisser Gesellschaft zu reisen.
Sie für Ihre Person brauchen sich nicht
zu furchten es lsi ein geyeimer
Polizeioffiziant."
Wie? Ein "
Ich stand im Begriff, die letzten
Worte des Eondukteurs im Tone des
Erstaunens zu wiederholen, mein Nach
bar aber gab mir durch einen Wink zu
verstehen, daß ich schweigen solle.
Was für ein Verbrechen ist denn
verübt worden?" flüsterte ich.
Ein blutiges und furchtbares. Eine
verruchte Hand hat einem Mann nebst
seiner lyrau und zwei kleinen Indern die
Kehle abgeschnitten und dann das Haus
in Brand gesteckt!"
Mein Himmel, welch eine Unthat!"
Tcr Eonduktcur und ich hatten dies
alles natürlich nur ganz leise geflüstert.
Tcr Eonduktcur verließ mich, so daß ich
Zeit bchiclt, die Gesichter meiner Reise
geführten mit einem seltsamen Gemisch
von Scheu und Ncugicr zu mustern.
Unwillkürlich blieben meine Blicke
auf einem Manne haften, der mir
gegenüber saß. Seine Züge trugen
das Gepräge der Rohheit und Gemein-
heit. Sein Bart war struppig und
verworren nnd der Kragen seines zot
tigen, schmutzigen Rockes bis über die
Ohren heraus emporgcschlagen. Ich
fühlte mich immer mehr überzeugt, daß
dieser Mann mit dem vcrthicrten Blick
und der breiten, ticshcrabhangcndcn
Kinnlade dcr Mörder sei, und als ich
verstohlen von ihm hinweg seitwärts
blickte, begegnete ich den großen blauen
Augen dcr schönen jungen Tame.
Tem Impuls meines Herzens sol-
gcnd, erhob ich mich nnd nahm neben
ihr Platz. . . ,
ce horten wohl, wovon wir soeben
sprachen, mein Fräulein?" fragtc ich.
Ja. von cincr Mordlhat o, wie
entsetzlich!"
Furchten Sie sich nicht uns wird
niemand etwas anhaben wollen."
Sie blickt mir mit dem Ausdruck der
vertrauenden Unschuld in's Gesicht.
Unser Aufenthalt war ein nur kur-
zer; doch bemerkte ich. daß während
desselben der wachsame Polizeioisiciant
den Platz gewechselt halte und jetzt in
unmittelbarer Nabe des Mannes mit
dem verthicrten Bücke und dem zoltigcn
Rocke faß.
Sehen Sie," slammclte dic junge
Tame. in Ermouth wurden die Sinnen
drs Wagens vcrschlo'sen; jetzt sckiließt
man sie wieder aus.
Sie hatte Recht.
Wahrscheinlich furchtet man. daß
der Verbrecher wahrend deS Stilldal-
teils dcs Zuges entspringen tonnte,
bemerkte ich in gedämpftem Tone.
Tarf ich Sie bitten, mir ein Glas
'Wasser zu holen?" fragte meine schöne
Nachbar!.
Ich erhob mich und ging nach dem
Wasserbehälter in dcr Nähe der Thur.
obschon mit unsicherem Schritt; denn der
Zug war wieder in rascher Bewegung.
AIs ich den zinnernen Becher in dic
Hand nahm, entdeckte ich leider, daß
derselbe mittels einer dünnen Kette an
dem Brett, worauf er stand, befestigt
war.
Es hat nicht?! zu sagen." bemerkte
die junge Tame. welche dies ebenfalls
sah. mit freundlichem Lächeln. Ich
werde selbst hinkommen."
Ich füllte den Bechcr und hielt ihr
ihn entgegen; anstatt ihn mit aber ab
zunehmen, rannte sie plötzlich an mir
vorbei, öffnete die Thür und stürzte
hinaus auf die schmale Brücke, mittels
deren die einzelnen Wagen miteinander
in Verbindung stehen.
Haltet sie aus! Haltet sie auf!"
schrie der Polizeiossi.ziant, indem er
aufsprang. Eondukteur, haltet sie
auf!"
Tas ganze Innere des Wagens der
wandelte sich sofort in einen Schauplatz
dcr Verwirrung und Bestürzung. Ich
war dcr Erste draußen an der Verbin-
dungsbrückc. sah aber auf derselben
Niemand weiter als einen halbcrfrorc
ncn Schaffner, dcr vor,, Schrecken und
Kälte an allcn Gliedern zitterte.
Wo ist die junge Dame hin?" rief
ich ihn an.
Sie sprang hier zwischen den Wa
gen hinunter, ehe ich eine Hand nach
ihr ausstrecken konnte." stammelte der
Gefragte.
Sie tnirn augenblicklich zu Tode ge-
rädert worden sein," sagte der Eonduk
teur, die Achsel zuckend. Ein solcher
Sprung von einem Eilzuge ist allemal
dcr sichere Tod."
Und dicscr Sprung kostct mir fünf-
hundert Dollars, denn so viel Bcloh
nung war auf die Ergreifung dieser
Verbrechen gesetzt." sagte dcr Polizei
offiziant mit ärgerlicher Miene. Ich
wollte hier unterwegs kein Aufsehen cr-
regen, sondern warten, diS wir nach
Bayswatcr kämcn; abcr es war das
sehr dumm von niir. Ich hätte sie
gleich hier festnehmen sollen."
Mein Himmel." rief ich. Sie wol-
len doch nicht sagen, daß dieses Kind . . "
Dieses Kind, wie Sie diese Person
nennen, entgegnete der )ssclani in
gelassenem Tone, hcißt Alice Burton,
ist eine vcrhcirathcte Frau von sechs
undzwanzig Jahren, hat in der ver
gangcnen Nacht mit kaltem Blute vier
Personen ermordet und suchte nun nach
Eanada zu entkommen. So steht die
Sache."
Der Zug machte infolge des vom
Eondukteur gegebenen Signals Halt,
und der Eondukteur und der Polizei-
offiziant, welchen sich außer mir noch
einige Passagiere anschlössen, gingen
auf dem Gcleise zurück, um das schöne,
junge Wesen zu suchen, dessen Liebens-
Würdigkeit und anscheinende Unschuld
eine so anziehende Wirkung auf mich
geäußert.
Wir mußten infolge der rasenden
Schnelligkeit, womit dcr Zug sich be-
wegt hatte, eine bedeutende Strecke
zurücklegen, ehe wir die Mörderin fan
den. Sie lag dicht neben dem Geleise,
bis zur. Unkenntlichkeit verstümmelt.
Als ich am nächstfolgenden Tage dcn
Bcricht übcr dcn Mord und das tra
gische Ende dcr Mörderin las, dachte
ich an die blauen Augen und dcn
Roscnknospenmund dcr feinen, schlanken
Gestalt und fühlte mein Herz von den
seltsamsten, widerstreitendsten Gefühlen
bewegt.
Ein Bpfer.
Hausfrau: Anna, wo ist denn die
große Leberwurst, die gestern noch hier
hing?"
Köchin: Jott, Madam . die hat
auch der Militarismus verschlungen!"
höchste Sparsamkeit.
Junge Frau: Tie gebrauchten
Zahnstocher dürfen Sie nicht fortwcr-
fcn. Kalhie. die kommen in die Holz
kiste zum Verbrennen."
Protest.
Richter : Sie sind für die Ohrfeige,
die Sie dcm Badcr Schmicrlc gegeben
haben, zu 5 Mark Geldstrafe verur
theilt." Protzcnbaucr: Waas?! Muß i' für
mein' Obrfcig'n blos 5 Mark zahlen?!"
stichhaltiger Grund.
A. : Warum tragen Sie solch' theure
Uhr? Auf einer billigen können Sie
doch die Zeit cbcnso gut crsehcn."
B. : Tas stimmt schon, aber ich
kricgc nicht so viel dafür, wenn ich sie
versetze."
lZcscheidcn.
Vater: Ich glaube, eine ordentliche
Tracht Prügel würde Tir sehr gut
thun."
Sohn: Ich weiß schon, abcr ich muß
ja auch nicht alles Gute haben."
ta änstdiümclti.
Ich bin ein kleines Blitmlctn nur.
Ein GaMcblumelcin,
Ich blüh' lcsckedei! auf der Flur
Im warmen Sonnenschein.
Tie Fruklingssoniie. wenn erwackit.
7a wag' ich mich bavor
Und beb bescheiden und ganz sack,!
Mein Köpfchen flugs empor.
Siehst Tu als erstes Blumlein mich
Nach langer Winterszeit.
Erfreust Tu Tich. denn ich verkünd'
TeS Frühlings Herrlichkeit.
Doch wenn dcr warme Sonnenschein
Tie Schwestern um mich her
Hat wach geküßt beachtet mich
Kein Mensch kein einz'ger mehr.
Tas ist der Lauf dcr Welt doch ich
Will gern zufrieden scin.
Hab' doch crreicht, waS ich gesollt :
Des Menschen Herz erfrcu'n.
verschiedene Anffassiiiigen.
Schauspicler Gast, im Zwischenakt
hinten Vorhang) : Sehen Sie nur
das gespannte Interesse auf dcn G?
sichtern dcr Zuschauer."
Tirektor bürgerlich über die geringe
Anziehungskraft, welche dic Ankün
digung des Gastspiels ausgeübt hat) :
Was hilft das, wenn so viele leere
Bänke gähnen !"
U'ir,
Gattin : ..Da liast Tn's. Emili
Ter Herr Sctretär. dem Tu mich vor
drei Woaien vorstelltest, saate nur beule.
er hätte mich am Hute wicdcrkannt!
Tas ist doch eine Schande !"
)n einem sächsischen pstivagen.
Erlauben Sie gictigt, wie is Ihr
werther Name?"
Werner."
Nee, aber so was, da hccßcn Sie
doch beinah' wie ich : ich heeßc nämlich
Schlammbach."
Auch ein Gnädiger",
Tie Gnädige : Warum wollten
Sie eigentlich Ihre Stelle bei uns s
plötzlich ausgeben?"
Lakai (dem eine größere Erbschaft
zugefallen) : Ich bin jetzt selbst gnädig
geworden !"
Ausgleich.
Wie kommt's nur, daß dcr Baron
statt dcr rcizendcn jüngsten Tochter des
Bankiers, seine abgeblühte Aclteste
nahm?"
Ter Jüngsten hat die Natur am
Meisten mitgegeben und der Nettesten
ihr Vater !"
Mahnung.
Wachtmeister (zu einem Rekruten.
der vom Pferde füllt) : Donnerwetter,
wie oft habe ich Ihnen schon gesagt,
ic sollen nicht so Hals über Kopf das
Pferd verlassen?"
Ligenthiimliches Geschäftsprinzip.
Gast: Sie, Herr Wirth, die Be-
dienung bei Ihnen geschieht zwar sehr
rasch, aber die Portionen sind sehr
klein !"
Wirth: Bitte sehr, es hcißt doch:
doppelt giebt, wer rasch giebt !"
Beehrt.
Hausfrau (zum Studenten) : Sind
v . v t. sj: r,..
e veml in vu)um inujeren iuuuriiere
auch stets die Miethe schuldig geblie-ben?"
Student: Diesem Umstände, liebe
Hausfrau, verdanken Sie ja gerade
mein Hiersein."
irtalitk's Twst.
Warum weinst Du denn Käti?"
Ach, mein Franz ist mir untreu ge-
worden."
Na, tröste Dich; so ein hübscher
Mensch kriegt bald einen andern
Schatz."
Ant Karpfenteich.
Tie Fischlein im Wasser
Wie sind sie so stumm,
's giebt Menschen, die halten
Ties Stummscin für dumm.
Und wissen dabei nicht.
Wie mit solchem Sprechen,
Sie sofort sich selber
Ten Stab damit brechen.
O wären sie lieber
Wie die Fischkin so stumm.
Sie wären für And're
Viel weniger dumm !
!cr stein dcs Anstoßes.
Ein berühmter amerikanischer Geo-
loge -erlaubte seinen Studenten, ihm
vor jeder Vorlesung Proben von Stci-
ncn aus s athcdcr zu legen, deren Na
men er im Vortrage bestimmte. Ein
Student machte sich nun cincs MorqcnS
dcn schlechten Witz, ein Stück Ziegel
stein hinzulegen. Tcr Geologe bemerkte
den Stcin und bcgann ruhig seine Vor
lesung. Ties hier, meine Herren."
erklärte er. ist Vuntsandstcin. das hier
Glimmerschiefer, das ist Quarz und dies
hier er hielt den Ziegel in dic Höhc
ist ein Stück Frcchhcit!"
I?ergügc,i zu l)auc. '
Tame : Sagen Sie mal, Herr B..
man sicht Sie nirgends, nieder im
Theater noch im Konzert. Gehen Sie
nirgends hink
Herr : Nein, ich brauche zu Hause
blos mal meine Alte zu ärgern, dann
habe ich das schönste Theater und Kon
zert und dazu noch alles gratis."