Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 02, 1899, Image 9

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    ine 2adfjbrt auf Tod und
itbcn.
i
Tki;!k an Canada, f on Ifj(uit.
Irohbrm ick in VeUen steift von
Kops bis zu Füßen, fror ich erbärmlich
innern Über die eisharte Schneekruste
gleitenden Schlitten. Vor acht Wochen
noch in den Tropen in Singapur, wo
ich fünf Jahre geweilt hatte, und jetzt.
Mitte Januar, im Nordwesten Eanabas!
Kein Wunder, daß es mir schwer wurde,
mit der grimmiqen Kalte mich adzu
finden. Ich hatte den Besuch bei
Schwager und Schwester auf den Som
mer verschieden sollen, wie e auch mein
Arzt mir dringenb ang.eratd.en hatte,
oder der gerade so lange entbehrte nur
bische Winter hatte mich unwiderstehlich
gelockt. Ta war ich nun in ber spärlich
ngksiedelten Wildnis? auf bei Heim.
Wege nach unserer Farm, bie ich am
Morgen verlassen hatte, um an einem
Festessen theilzunehmen, zu bem ein
etliche Kilometer entfernt wohnender,
bcfreunbeter Nachbar mich eingeladen
hatte.
In Träumereien versunken fuhr ich
in ber hercinbrechenben Dämmerung
bahin. als plötzlich das Pferb scheute,
einen Scitensprung machte und stürzte.
Der leichte Schlitten wurde heruinge
schleubert. prallte heftig gegen einen
über ben Schnee herausragcnben Baum
stumpf, und ich flag von meinem Sitze.
Zu Schaden war ich nicht gekommen
und rasch auf den Beinen. Die alsbald
vorgenommene Untersuchung ergab,
jjasj Ajax" ben linken Borderfuß über,
'treten hatte, und baß bie eine Schlit
tenkufe entzweigegangen war. Pferd
unb Schlitten unbrauchbar, und bis
nach Hause noch gute drei Kilometer
nette Lage bas!
Ich schirrte baS Pfcrb ab unb zog.
den Schlitten stehen lassend, bas hin
kende Thier am langen Zügel hinter
mir her. Das Marschircn in den dicken
schweren Kleibern brachte mein Blut in
raschen Umlauf, und die kalte machte
sich nicht mehr so fühlbar als vorher.
Endlich trat ich aus dem Walde her
aus auf bie heimische Lichtung, unb
mein lauter Anruf brachte Pcter, den
Knecht, aus bem nahen Stallgebüube
herbei. Als er erfahren hatte. vas sich
ereignet, fing er an zu jammern: Was
wird der Herr dazu sagen. (5in halbes
Dutzendmal schon hat er nach Ihnen
ausgeschaut und mir eingeschärft, mich
bereit zu halten, abzufahren, sobald
Sie kämen."
Was ist denn los?" fragte ich. Wo
sollen Sie denn in der Nacht hin?"
Zum Arzt, Herr, das Kind ist krank
geworden."
Ich eilte dem Wohnhause zu, so rasch
meine Pelzvcrmummung mir baS ge
währte. v Gott fei Dank, baß du da bist.
Fred!" begrüßte mich Schwager Max.
Wir haben uns schon schwer geäng.
stigt. Peter muß sich sofort auf den
Weg machen, ich glaube, Annie hat die
Diphthcritis."
"7Max mochte übertreiben, er mochte
sictz irren in seiner Voraussetzung, mög
lich aber war's immerhin, baß er recht
hatte. Was blieb mir übrig, als zu
beichten.
Jedes Haar hätte ich mir einzeln aus
reißen mögen, als ich sah, wie meine
Mittheilung ihn berührte, den armen
Kerl. Erwachte mir keine Borwürfe
über Verspätung und nachlässiges Kut
schircn, wie ich's verdient hätte, er that
sich großen Zwang an, äußerlich ruhig
zu erscheinen, aber daß er nahezu ver
zweifelte, war unverkennbar.
Höre. Max," versuchte ich zu trösten,
die Sache ist vielleicht nicht so schlimm,
&tAfl Z,4 iittt oitt ottif iliö
UHU yUUUtll (tuj um uuv t,iti!.ivyv
Halsentzündung. Annie hat ja schon
ein paar Tage über Schlingbeschwerden
geklagt, war aber ganz munter und bei
Appetit."
Aber im Lause des Tages hat sich
ihr Befinden beständig verschlimmert!"
rief mein Schwager. Jetzt fiebert sie
heftig, der Hals ist stark entzündet, und
du weißt, wie schnell es bei der Tiph
thcritiS geht. Wenn Anuie stürbe es
wäre auch der Tod meiner Frau. Und
jetzt keine Möglichkeit, den Doktor schnell
herbeizuschaffen!"
Wenn cs so steht, beruhige dich,"
versetzte ich entschlossen, der Arzt soll
herbei."
A Tu willst ihn holen, Fred ?" frug
er erstaunt. Möchte wissen, wie du
das machen willst? Wenn man zu Fuß
nach der Stadt könnte bei Nacht und
diesem Wetter, wäre ich schon selbst gc
laufen." Sei unbesorgt." lachte ich etwas ge
zwunqen. ich gehe nicht zu Fuß. die
Sache läßt sich viel einfacher einrichten:
ich mache die Fahrt auf meinem Rade
und zurück komme ich mit dem Tottor
in dessen Schlitten."
Auf deinem Rase!" erwiderte er.
Hm, möglich wär's, über den fcstge
frorcnen, stcinhartcn Schnee. Aber bei
dieser Bärenkälte solch eine nächtliche
Fahrt zu wagen, wäre Tollkühnheit."
Ganz und gar nicht. Tu weißt
nicht, was ein guter Fahrer leisten kann.
Zwanzig Kilometer! Bah, eine Klcinig
seit! Bin geschwinder in Ncwburry als
mit dem Schlitten; und was die Kälte
anbelangt, so wird mir das Pedaltrctcn
schon warm machen. Also, ängstige
dich nicht um mich."
Meine Frau würde es nie zugeben,
sie 'kennt die Gcsahr.
f t,i,i ihr niiftä hillirm."
yiuii, u ' ,",
Max überlegte eine Weile. Gut",
meinte er schließlich, ich will schweigen.
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Jahrgang 11).
Beilage zum Nebrasla Ztaats-Anzeiger.
Ro. 3"
Klara soll nichts erfahren von deinem
Vorhaben. Ich werbe ihr sagen, wenn
sie nach bir fragen sollte, bu seiest rnübe
von der Fahrt und sofort schlafen ge
gangen." Er setzte sich an's Pult und schrieb
ein paar Zeilen, während ich in aller
Eile das für mich aufgetragene Abend
essen verzehrte. Damit fertig, zog ich
mein !)iad aus der Kammer, in der es
seit vierzehn Tagen unberührt gcstanben
hatte. Die Maschine war erst ein paar
Mal benutzt worden, sie war so gut
wie neu unb bas Werk einer bekannten
Fabrik. Ich putzte und ölte zehn Mi
nuten daran herum und wußte, daß ich
mich jetzt auf die Leistungsfähigkeit des
Stahlrosses verlassen konnte.
Tann legte ich Mokassins an. ein
dicht wattirtcr Wams und darüber den
Pclzrock. Als ich bie Bibcrkappe auf
fetzte und bie Ohrlappen unterm Kinn
befestigte, trat der Schwager, ber in
zwischen nach bem Kinbe gesehen hatte,
gerabe wieder in die Wohnstube.
Es ist die höchste Zeit, daß bu auf
brichst, Fred," sagte er voller Angst.
Annie liegt im Fieber unb phanta
sirt." Bin schon fertig," versetzte ich.
Apropos, wo ist der Revolver, den du
mir gestern gezeigt hast? Ich möchte
ihn mitnehmen, 's ist immer gut,
eine verläßliche Waffe zur Hand zu
haben."
Gewiß, gewiß! Nimm ihn nur.
Geladen ist er. Und, nicht wahr,
Fred, bu sorgst bafür, baß Toktor
Brown nicht zögert !"
Verlaß bich barauf, Schwager, ich
bringe ihn ungesäumt." Tainit hatte
ich die Maschine vor's Haus gestoßen,
ein kurzer Anlauf, ein Sprung!, und
leise knirschend rollten die Räder über
ben harten Schnee.
Doktor Brown war ein Freund der
Familie, öfters schon hatte er uns be
sucht seit meiner Ankunft und ich ein
halbes dutzcndmal, bciTag und Nacht,
ihn begleitet nach Newburry. Tcn
2veg dorthin kannte ich also; keine Ge
fahr lag vor, mich zu verirren. Zuerst
kamen sechs Kilometer offene Ebene,
dann eine gewaldete Hochflüche mit
sanft auffallenden Böschungen, nachher
die breite Thalsohle des Flusses, und
von der diesen überspannenden Brücke
noch drei Kilometer bis zu den ersten
Häusern des Städtchens.
In zehn Minuten war die Ebene
durcheilt und die Auffahrt begann.
Schwerer mußten die Bcininuskeln
arbeiten als bisher, aber der Fall der
Hügcllchne war ein gleichmäßiger und
nicht steil genug, meine Schnelligkeit
erheblich zu verringern.
Aufwärts, höher und höher! Ter
Wald nahm mich auf. Tie schnee
bcladcnen Acste der mächtigen Tannen
reckten sich über den Weg hinaus und
zeichneten schwarze, scharf markirte
Schatten auf den weißen, im Mond
scheine glitzernden und glänzenden Un
tcrgrund. Wir wurde ttmrttr; ich öffnete ein
paar Knöpfe des Pclzrockes und meine
Hand berührte den Kolben des Revol
Vers, Warum hatte ich den eigentlich
mitgenommen? Ja, richtig! Bei dein
Festessen war von Wölfen die Rede ge
wcsen, einer der Gaste hatte berichtet,
daß nach Norden zu ein großes Rudel
sich gezeigt habe. Mir war's auf ein
mal gar nicht mehr recht geheuer.
Scheu' blickte ich nach rechts und links,
aber nichts regte sich. Stille, Todes
schweigen ringsum, nichts vernehmbar
als das Knistern des Schnees unter den
rollenden Rädern.
Ta! Was war das? Ein durch die
reine, frische Luft zitternder Laut, aus
den !-Waldcstiefen kommend von weit
her. Und jetzt wieder und wieder, wie
das Klagen einer erwachenden, über die
Wipfel hinstreichcnden Windcsbraut.
Ich schaute aufwärts: unbeweglich,
wie aus Stein gemeißelt, ragten die
Tannen himmelwärts, nicht das ge
nngste Anzeichen einer Wetteränderung
wahrzunehmen.
, Gott sei Tank, daß die Steigung
bald überwunden, die Hochflüche bald
erreicht war. Tort, rechts vor mir,
tauchte ja schon die verödete Rodung
auf, wo vor ein paar Jahren noch das
niedergebrannte Gehöft gestanden hatte.
Als ich meine Blicke über die in den
Wald einschneidende Blöße fliegen ließ, j
drang von neuem der unheimliche Laut
an incin Ohr. Näher als vorhin,
langsam anschwellend und wieder er
sterbend. Vom jenseitigen Ende der
Lichtung tönte es zu mir herüber, aber
zu sehen war dort nichts.
Weiter sauste ich auf der Maschine
und nicht länger bergan. Tie offene
Stelle war nahezu passirt, zum letzten
mal spähte ich forschend drüber hin und
diesmal sah ich etwas, sah vom dunklen
Rande des Forstes dunkle Punkte sich
lösen und über den weißen Grund
huschen.
Einen Augenblick schien das Blut zu
stocken in meinen Adern, die Beine
wollten den Dienst versagen, aber einen
Augenblick nur. im nächsten raste ich
weiter.
Wölfe! Kein Zweifel mehr, die dunk
lcn Punkte waren Wölfe. Sie hatten
mich gespürt, sie jagten auf mich los.
sie fetzten hinter mir her.
Ich hatte schon Tüchtiges auf dem
Rade geleistet, aber so wie an jenem
Abend war ich vorher sicherlich noch nie
gefahren. Die Strecke war eben und
hart, die Räder schnurrten darüber hin
mit kaum vcrspürbarer Reibung. Mir
kam's vor. wie wenn ich still stünde, und
die Tannen vor mir vordeischwebten
wie Gespenster.
Weiter, weiter! Rascher, rascher! Kein
anderer Gedanke.
Ich wußte, daß ich verfolgt werde,
und bald merkte ich auch, daß meine
Verfolger mir auf den Fersen waren,
daß der Zwischcnraum zwischen uns sich
verringerte, langsam aber sicher. Schon
konnte ich sie hören: ein kurzes, heiseres
Keuchen und Schnaufen, das Trappeln
der Pfoten auf der Schneekruste.
Ich biß die Zähne aufeinander und
strengte jeden Nerv an. Gern hätte ich
einen Blick nach rückwärts geworfen,
aber ich wagte es nicht, die Augen vom
Wege abirren zu lassen. Nur vorwärts
mit' aller Kraft!
Aber die Thiere waren doch schneller
als ich. Mir zur Rechten tauchte plötz
lich ein Schatten auf, eine spitzige
Schnauze, ein aufgesperrter Rachen,
aufgerichtete Ohren.
Der Schatten wurde länger: zu den
Obren gesellte sich ein Hals, gesträubte
Schultcrhaare und in regelmäßigem
Takte eilig sich bewegende Beine.
So blieb's eine' Weile; wir flogen
nebeneinander hin, der Schatten und
ich, bis die Straße einen Bogen machte,
dann schmolzen in dem Moment, da die
Maschine, dem Truck auf die Lenkstange
gehorchend, nach rechts sich brchtc, ber
Schatten und der jetzt sichtbar werdende
schattenwerfende Körper zusammen.
Ich sah die geifernden Kiefer, die glän
zcnden Fänge, die zwischen ihnen her
aushängende rothe Zunge, die unter
zottigen Brauen wie glühende Kohlen
leuchtenden, mordgierigen Augen.
Ich hatte kaum Zeit dieses Bild in
mich aufzunehmen, da sprang der Wolf
auch schon auf mich zu, aber rasch
schwenkte ich nach links ab, und er
sprang zu kurz. Mit einem scharfen
Schnapp schlug der Rachen zu, keine
drei Zoll von meinem Unterschenkel.
Ich riß ben Revolver aus dem Gür
tcl, ließ die nach dem Sprunge ein
paar Meter zurückgebliebene Bestie
herankommen, bis ihre Schnauze fast
mein Knie berührte, unb als ich er
kannte, daß sie zum neuen Sprunge
sich zusammenraffte, feuerte ich.
Die Kugel hatte gut getroffen. Laut
los brach ber Wolf zusammen, und ich
raste weiter.
Ein Blick über die Schulter zeigte
mir, wie das nachsetzende Rudel über
den gefallenen Führer sich stürzte, und
für mich war eine kostbare Minute ge
Wonnen. Aber viel mehr als eine Minute
war's auch nicht. Rasch hatten sie auf
geräumt, die hunrigen Raubthicre,
und nur noch gieriger als zuvor jagten
sie wieder hinter mir her.
Lange konnte ich es nicht mehr aus
halten, das war mir klar, und die Ver
zwciflung begann mich zu packen.
Meine Beine arbeiteten nur noch auto
inatisch, ängstlich schielte ich nach rechts
und links in Erwartung eines zweiten
Schattens. Aber keiner tauchte auf,
bas Keuchen und Schnaufen drang
schwächer und schwächer an mein Ohr,
das Trappeln der Pfoten war gar nicht
mehr vernehmbar.
Ah! , es ging bergab, erst jetzt wurde
ich mir dessen bewußt, und mit diesem
Bewußtsein hielt die Hoffnung wieder
Einkehr.
Rascher und rascher rollte nun die
Maschine, getrieben burch bie Schwer
kraft, und meine erschöpften Muskeln
konnten sich erholen.
Ich näherte mich dem Flusse, der in
seinem reißenden Laufe der Macht des
Frostes bisher getrotzt hatte. Schon
hörte ich ihn rauschen und tosen, ich
sah, wie die Mondstrahlen in den
mächtigen, von den Brücken -Jochen
herabhängenden Eiszacken glitzernd sich
brachen.
Ich schaute rückwärts Die Wölfe
hatten die Verfolgung nicht aufgcgc
bcn, aber sie schienen erschöpft; über
eine lange Strecke waren sie zerstreut,
und die nächsten etliche hundert Meter
von mir entfernt. Ich überflog mit
den Augen den jenseitigen Aufstieg.
Konnte ich den glücklich überwinden,
dann war ich gerettet.
Blitzgcschwind schoß ich über die
Brücke, unb bann sing ich an die Pedale
zu treten mit aller Kraft, die ich noch
besaß. In Strömen lief mir der
Schweiß über das Gesicht, und meine
Knöchel brannten, wie wenn sie in
geschmolzenes Metall getaucht worden
wären.
Endlich endlich war ich oben, und
mich halb umwendend, gewahrte ich
den vordersten Wolf gerade über die
Brücke dreschend.
Wieder zog ich den Revolver und
schoß, dreimal rasch nacheinander. Das
Glück hatte mich begünstigt, auch dieser
Verfolger stürzte und wurde von den
Kameraden zemllen.
Vor mir tauchten die ersten Lichter
in den Häufern Ncwburry's auf. In
der nächsten Minute war ich zwischen
ihnen und sah menschliche Gestalten sich
bewegen.
Das Rad rollte weiter, ich hatte die
Kontrolle darüber verloren. Alles schien
sich im Kreise uin mich herumzudrehen.
Ich wußte, daß ich fiel, ich konnte nicht
abspringen, aber starte Arme fingen
mich auf, und ich hörte aus dem mich
umschwirrenden Stimmengewirr den
tiefen Baß Toktor Bromns heraus.
Sie!" rief er. Mensch, wo kom
men Sie her? Sind Sie toll? Was
fällt Ihnen ein, bei Nacht und bei die-
fer Kalte?"
Doktor wir haben Sie
nöthig daheim", keuchte ich müh
sam. Ich bin gekommen, Sie zu
holen."
Eine halbe Stunde spater saßen
Brown und ich im leichten, mit zwei
famosen Trabern bespannten Schlitten
und fuhren, begleitet von einigen mit
gackeln versehenen und bewaffneten
Männern zu Pferde, unserem Ziele zu.
Von den Wölfen war nichts mehr zu
sehen, sie scheuten das Licht und den
Lärm unseres Zuges.
Ich brachte den Toktor, wie ich's ver
sprachen, und ich brachte ihn gerade zur
rechten Zeit. Annie hatte in der That
bie Tiphtheritis und der Arzt mußte
all seine Geschicklichkcit aufbieten, ehe
die Rettung gelang. So war benn
wenigstens meine furchtbare Rabfahrt
nicht vergeblich gewesen.
Lritz der höfliche.
Sine tragikomische Geschichte von Süaxl
Rudolf Wilhelmi,
Mit dem Fritz Mertens war schlech
terbings kaum noch auszukommen, und
seine Freunde schüttelten die Köpfe über
ihn, denn er war aus dem besten Wege,
ein ganz unleidlicher Patron zu werden.
Sein Chef freilich schätzte ihn feiner ge
dicgenen Kenntnisse wegen hoch, und
da Fritz auch eine recht ansehnliche Per
sönlichkcit damit verband und ihm
gegenüber stets ein bescheidenes Wesen
zeigte, so wurde er zu ben Gesellschaften
bieses Finanz-Barons stets hinzugczo
gen. Das war ihm aber in bie Krone
gestiegen. Er hielt sich nun allen sei
ncn Eollcgcn für weit überlegen und
war nahe baran. in eitler Selbstübcr
Hebung wahre Freundschaft zu opfern,
wenn sich nicht etwas ereignet hätte,
das ihm den Spitznamen Fritz der
Höfliche" einbrachte.
Die Tochter jenes Eisen-Fürstcn hei
rathete nämlich einen Angehörigen der
hohen Aristokratie, und zu dieser Hoch
zeit war Fritz Mertens nicht nur ein
geladen, sonbcrn man hatte ihn auch
beauftragt, der Damen Gesundheit
auszubringen. Das war natürlich
Wonne für seine Eitelkeit. Alles was
Rang und Namen hatte, war natürlich
auf dieser Feier vertreten, und die Vor
nchmhcit der Gesellschaft, die Pracht
der Toiletten und Uniformen und der
blendende Reichthum des Hauses, der
hierbei entfaltet wurde, versetzte ihn
fast in einen Rausch des Entzückens.
So kam es, daß Fritz bei der Tafel
den schweren Weinen, die in reichster
Abwechselung gereicht wurden, hastiger
und reichlicher zusprach, als sonst seine
Art war und daß dieselben ihre Wir
kung nicht versagten, und noch ehe der
Braten scrvirt wurde, hatten mitleidige
Hände den Acrmstcn schon in einem der
Nebenzimmer auf ein Sofa bcförbcrt,
und ihn sammt seinem zündenden
Damen - Toast vorlaufig kalt stellen
müssen. Hier schlief er nur den Schlaf,
den man oft fälschlicherweise den des
Gerechten nennt, bis ihn die Stimme
eines Eollcgcn daraus entriß, und in
die rauhe Wirklichkeit zurückführte.
Aber Mertens, Mensch, wie lange
wollen Sie denn hier noch schlafen, Sie
Mnrinclthicr?"
Er fuhr schlaftrunken auf. Der
Tamentoast ist's soweit?"
Damcntoast Na, den sparen Sie
sich nur auf bis zur nächsten Hochzeit,
denn diese ist zu Ende. Soeben gehen
die letzten Gäste fort, und in der
Garderobe ist nur noch eine Dame.
Mensch, wie konnten Sie nur so unvcr
nünftig Wein trinken, wenn sie ihn
nicht vertragen können! In Bier stellen
Sie doch Ihren Mann !"
Flitz saß da wie ein Häufchen Wind.
Ich habe mich wohl ganz entsetzlich
benommen ?"
Na, baß Sie sich gerabe mit Ruhm
bedeckt hätten, kann ich nicht sagen".
meinte der Andere. Aber," fügte er
mitleidig tröstend hinzu, es kommt
wohl eine Gelegenheit, wo Sie es wett
machen können."
Ja. das werde ich ! Verlassen Sie
sich darauf, das werde ich !"
Er fuhr in Hut und Paletot und
stürzte zur Daincngardcrobe. Eine ver
mummte und verschleierte weidliche Ge
statt kam ihnen auf der Schwelle ent
gegen. Fritz zog ehrfurchtsvoll seinen
Hut.
Meine Gnädigste, darf ich die Ehre
haben, Sie nach Hause zu begleiten k
Ader Mertens !" flüsterte ihm der
Freund in s Ohr sind tote verrückt
Fritz hob den Kopf statt aller Ant-
wort nur noch höher, reichte der Dame
ben Arm, ber mit einem leise gcnustcr
tcn: Sie sind zu freunblich." angc-
nommen wurde und schritt mit ihr da
von.
Hinter ihm aber klang es wie müh
sam unterdrücktes Lachen.
Der erste Dämmerungsschein des
beginnenden Tages lag in den Straßen.
als Fritz mit seiner Dame heraustrat.
Finden Sie nicht auch, mein gna
diges Fräulein, baß bas fahle Morgen
grauen, verglichen mit dem zauber
haften Glanz bes Festsaales, wie die
nüchterne Wirklichkeit selbst ist im
Gegensatz zur Phantasie?" begann Fritz
aus der Stimmung seines Innern her-
aus.
Ach ja. Und wie freunblich von
Ihnen, mich noch nach Hause bringen
zu wollen.
Meine Gnädigste, sprechen Sie nicht
lo. Sie ahnen gar nicht, welche Gunst
Sie mir damit gewähren, und welch
ein Bedürfniß eS für mich ist. mich
einer schönen Seele auszusprcchcn.
Sehen Sic, mein Fräulein, cs giebt
im Menschenleben Augenblicke Augen
blicke, wo die Hand sinsterer Mächte
uns den Abgrund zutreibt. Ich weiß
nicht, ob Sie mich verstehen "
Ein leises Ja" ertönte von ihren
Lippen.
Nun wohl, solch' ein Dämon brachte
mich zu Falle."
Sind Sie gefallen? O ! Haben Sie
sich 'was verletzt?
Mein Fräulein, o wie danke ich
Ihnen dieses Zartgefühl. Ja, es giebt
Engel schon hier auf Erden, die den
Verirrten aufrichten durch sanften Trost!
Und ein solcher Engel sind Sie mir
gemorden!" ,
Er ergriff die Hand, die auf seinem
Arme ruhte, und drückte sie mit zarter
Inbrunst in der seinen. Sie war un
bedeckt. Sonderbar, wie rauh und
hart sie sich anfühlte. Er sah genauer
darauf nieder.
Breit, sehnig und abgearbeitet sah
sie aus. Auch der Aerrnel, der auf
diese Hand fiel, sah so so sonderbar
aus, und die ganze Gestalt, die er nun
scharf in's Auge faßte, machte denselben
merkwürdigen Eindruck. Es fuhr ihm
plötzlich etwas kalt über den Rücken
hinab.
Darf ich mir die Frage erlauben,
wie Sie sich aiuüsirt haben, gnädiges
Fraulein?"
Ach, von ainüsiren ist bei uns nicht
viel die Rede," antwortete seine Bcglei
tcrin mit einem tiefen Seufzer. Wenn
man auch Anfangs ganz gern mal
burch die Thür sieht, unb sich an den
Toiletten erfreut, auf bie Dauer ist das
Zugucken doch langweilig. Da möchte
man schon lieber im warmen Bette
liegen. Freilich, die gute Einnahme !
Wenn man nicht darauf angewiesen
wäre !"
So sind Sic so haben
Sie "
Ja, ich habe die Garderobe dort im
Hotel schon seit zwanzig Jahren. Da
kennt man den Rummel und hat die
Geschichte satt."
Es war dem guten Fritz plötzlich.
als habe die Erde keinen Winkel für
der tief genug wäre, ich dann m
verkriechen."
Thatsache war aber, daß Frik Mcr-
teils nach dieser Geschichte wirklich das
wurde, wie man ihn nannte, nämlich:
orntz der Höfliche."
dison's erste und letzte (krsindung
Der große anierilaniscke Erfinde,- i
bekanntermaßen ein abgesagter Feind'
aller Jntcrvicws. Nichtsdestoweniger
soll es einem findiacn Vertreter hii'tVr
Gilde gelungen sein, den verschlossenen
Amerikaner gründlich zu interviewen.
In einer größeren Gesellschaft traf
unser Reporter mit Edison zusammen.
ai Gespräch war in heiterem Gange
und bewegte sich um Edison und sei?
Erfindungen. Die Gelegenheit bc-
nueno, wirst unser Pcnny a Lincr"
die Frage auf: Welche Erfindung war
wohl Ihre allererste, Mr. Edison?
st.
Edison, der sich bisher lebhaft an der
Unieroaliung belhnligte. merkle bis
Absicht und war verstimmt. Keine
Antwort. Der Reporter hatte aber
nur zu gut mit der Neugicr ber Ameri
kanerinnen gerechnet, und bem Einsiur
men berkelbrn konnte Edison nicht lau
ger Stand hallen und begann endlich:
Als armer Newsboy Zeitungsjunge)
hatte ich meine kleinen Zeitungen an
der Straßenecke verkauft und ging, den
Kopf voller Jbeen, die Taschen aber
ziemlich leer, sinnend über bie Straße.
Ich halte in meinen Zeitungen gelesen,
daß bei dem reichen Bankier . unsere
Stadt in ben letzten Tagen verwegene
Einbrüche in seine einbruchsichercn"
Kassen gemacht wurden, und baß dieser
überaus reiche Mann darüber ganz ver
zweifelt fei. baß seine Schatze keine
Sicherheit vor berartigcn Angriffen
fänden. Ter kann Dir helfen, bachte
ich. unb eine kurze Weile spater stanb
ich vor dein Bankier, der mich staunend
um mein Begehr frug. Mister, ich
habe von Ihrem Unglücke gehört, ich
habe eine Ersinbung gemacht, die jeden
frevelhaften Kasscnbied binnen wenigen
Stunden in Ihre Hände liefert."
Ah! Und was verlangen Sie für
Ihre Erfindung?"
Nichts weniger als die Hand Ihrer
einzigen, durch ihre Schönheit berührn
tcn Tochtcr!"
Unmöglich! Ich sctze Ihnen 10,000
Tollars als Preis für Ihre Ersinbung.
vorausgesetzt, baß Sie mir den Bc
weis von ber Wirksamkeit Ihrer Erfin
dung liefern."
Das soll geschehen, doch bie Hand
Ihrer Tochter muß mir bann gewiß
sein!"
Topp, es gilt", erwiderte der Ban
kicr, wenn meine Tochter damit ein
verstanden sein wird.
Mit dieser Hoffnung machte ich mich
an die Arbeit. Nach zwei Tagen be
gab ich mich wicber zum Bankier. Ich
fand ihn im Bctte. Mister, Sie ha
ben gestern nach acht Uhr Abenbs sich
an Ihren Kassen zu schaffen gemacht."
Jawohl!"
Sie erhielten beim Berühren des
Schlosses einen elektrischen Schlag, blie
bcn infolge dessen bis heute früh acht
Uhr bewußtlos und befinden sich derzeit
schon wohl?"
Ja, aber.. .."
Ja, verehrter Herr, das ist meine
Ersinbung; Jeder, ber unberufen Ihre
Kassen nach Eomptoirschluß anrührt,
bleibt, so lange Sie nur wollen, vor
bcnsclben bewußtlos liegen auch für
immer, wenn Sie wollen!"
Das war meine erste Ersinbung".
schloß Edison. Und die Tochtcr?"
fragte dcr ncugicrige Reporter.
Ist bekanntlich nicht meine Frau."
Und welches ist nun die letzte Ihrer
Erfindungen?" fragte dcrJnterviewer."
Die eben erzählte G e
schichte...."
Der Vzar als Tenor.
Zu den Lieblingsbeschäftigungen des
Kaisers Nikolaus des Zweiten gehört
bekanntlich die Musik, mit ber er sich,
ebenso wie seine Gemahlin, bie freie
Zeit zu vertreiben pflegt. Der Ezar
ist ein sehr guter Klavierspieler. Wcni
ger bekannt ist die Thatsache, daß der
mächtige Selbstherrscher aller Rcußen
auch dem Gcsanae eracben ist und seit
Jahren sehr intime Gesangsstunden
nimmt. ir besitzt, wie der M. Z."
geschrieben wird, eine hübsche Tenor
stimme, die zwar keinen großen Um
fang, aber einen sehr anmuthenden
Klang ausweist und den Kaiser insbe
sondere in den Stand setzt, Romanzen
gut zu singen. Während des Aufent
Haltes der kaiserlichen Familie in
Livadia fand kürzlich eine intime Hof
soiree statt, der außer den Mitgliedern
des Kaiserhauses auch die obersten Hof
chargcn und die Minister des Aeußeren
Graf Murawiew beiwohnten. Nlöklick
erhob sich dcr Ezar, setzte sich an's Kla-
vier und begann zwei Romanzen, näm
lich die bekannten Stances" von Fle
gier und das reizende Licd Mignonne,
vlscei l'Avril aus dem Passant" von
Massenet vorzutragen. Ter Kaiser
sang mit innigem Gefühle und erntete
natürlich großen Beifall. Er verneigte
sich vie ein mit Beifall übersitiütteter
Konzertsänger und sagte lächelnd zur
.yofgefellfchaft: Meine Gegner spre
chen mir in der Regel alle Eigenschaften
ab, die sie selbst zu besitzen glauben.
Aber in einem Punkte bin ick ihnen
doch überlegen. Keiner vermag eine
!i!omanze mit so viel Gefühl zu singen
wie ich."
Gut gesagt.
Gelegentlich einer Insviziruna leat
koinmandirende General dem Lieute-
nant von Schläaer einiae taktische Tinu
gcn vor, welche sofort beantwortet wer
den, jedoch weist Se. Excellenz in cini
gcn scharfen kritisirenden Benierkinrnen
darauf hin, daß er doch den Erwagiin-
gen ailycimgabe, ob nicht die Anlwor
ten hätten anders ausfallen müssen.
Ein Jahr spätcr wurde Lieutenant von
Schläger während des Manövers dem
Stäbe des Koiiimaildircndcn zugetheilt
und am ersten Taac voracstcllt. ' Ereel-
lenz (Schläger wiedererkennend): Wo-
ourcy wurden wir doch früher schon ein-
mal vciannt, mein Herr Lieutenant?"
:in vorigen alirc batte ick die
Ehre, mit Eurer Excellenz einmal vcr-
ia)ievcner Ansicht zu sein."
Unangenehme Pflichten sind wie
Brcnncsscln greift man sie herzhaft
an, fühlt man ihre Tücken nicht.