Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 19, 1899, Image 10
Cin JllJsftMtfcji. .'iPüfUf sn -1 i'fttma: cdcr To- ' A var.ity fair! Tcr Konigl. Hcslhcatcrarzt. Ix. nb. A. Bertram, wird z:i dem am IM. b. M. im Königl. HoMieatcr flailjin dmdcn l'lslstcnksic befohlen. Bcainn dcs Balles: 8 Uhr A,iz:!q: Haraktcrmac-Zc miiio. Hannover dc ten Konigl. Obcrhosmarschall a. von MalcrU", so lautete die Einladung zum Hos- und Maskenbälle, die Tottor Bertram, djc lebte 5iand an seine Toilette legend, noch einmal mechanisch mit den Augen überflog. Leine Stellung als Arzt des önial. ostwatcrs. die er seit einigen Monaten bekleidete, hatte ihm teese Einladung eingetragen. Als r nun dem an der KkorgSstraßc mit breiter Freitreppe sich erhebenden übeatereikbaude schritt, in dem diese arrken Feste aesciert wurden, durch strömte ilm jenes Gefühl srohcr Erwar tung und tritischer Neugicr, wie es uns beim Eintritt in einen uns bisher ver schlofZcncn Gesellschaftskreis zu, über kommen pflegt. Im Ankleidczimmcr. wo die geladenen Herren Domino und Maske anzulegen hatten, stand ein Ka valier vor dem großen Pscilcrfpicgel, dessen Gestalt ihm bekannt vorkam, ob wohl er sich des Mannes nicht erinnerte. Sein Kammerdiener hielt Maske und Umhang bereit: nun gab er diesem in herrischem Ton eine Weisung, und beim Klänge der Stimme siel dem Arzt auch der Name des aristokratisch aussehenden Herrn wieder ein. Sich ihm vorfiel lcnd, fagtc er mit formeller Licbens Würdigkeit: Ich glaube, Herr Kam nicrhcrr von Wcffcmb, wir sind uns nicht fremd. Wir haben vor acht Iah ren nicht nur in Gottingcn zusammen studirt, sondern auch aus mancher Mcn sur in der Landwehr" neben einander gestanden." Der Angeredete mns; ihn mit einem flüchtigen Blick, indem der hochmuthige Zug um feinen Mund sich vertiefte: Ich wüßte nicht in der That ich erinnere mich nicht" sagte er kühl, den Arzt nochmals vom Kopf bis zu den Füßen musternd: Friedrich, meinen Domino! Dann heißt es sich beeilen! den Wagen auf 2 Uhr!" und da mit verließ er eilig die Garderobe, ohne stch nach dem Arzte noch einmal umzu wenden. (5m spöttischer Zug umkräu selte dessen Lippen; er reckte sich in sei ner vollen geschmeidigen Höhe empor und trat dann, mit Maske und Domino versehen, in den Fcstsaal, wo der Ball schon begonnen und einen großartigen Anblick darbot. Das ganze Theater war. von der Bühne her die Parkcttreihen übev deckend, bis an die Logen des ersten Ranges zii einem einzigen großen Saale umgewandelt, zu dein man von der Königsloge auf einigen Stufen hinabschriit. Prachtvolle Draperien in malerischer Farbenpracht, große Palmen und Pflanzcnqruppcn, Statuen und Springbrunnen "gaben dem weiten Raum ein herrliches Aussehen. Bon der kugelförmig gewölbten Decke her verbreiteten große Kronleuchter strahlende Helle und übergössen die hm und her fluchende Menge der phan tastisch gepikten Masken mit blenden dem Licht. Nicht nur der Adel dcs Landes. Offiziere aller Waffcngattun gen und die Beamten dcs Hofes hattcn Einladungen erhalten, auch die bcdcu tcndstcn Kräfte der Oper und dcs Schaufpicls warcn zugegen. Die stilvollen Kostüme der Frau von Bärcndorf, Amalie Weiß (nachmals Frau Joachim), dcs Ehepaares Nie mann, Tevricnt, Sontag. Adele Gran zow überstrahlten nicht selten an Ge schmack und Kostbarkeit die Toiletten der haute vol und bildeten in ihrer fesselnden Eigcnartigkeit und Pracht noch wochenlang nachher das Stadt gesprüch. Die königliche Familie sah von der großen Königsloge herab dem fesseln den Bilde, wie es sich in immer wech selndcr Gcstaltung darbot, zu. Erst nach Mitternacht begann dcrRundgang der Majestäten. Pagen in mittelalterlich kleidsamer Tracht die jugendlichen Gestalten warcn für dicscn Abend dem Kadetten korps entnommen eröffneten den Zug. Se. Majestät erschien im Pur purmantel dcs Königs Artus, die Kö nigin als die sagenumwobene Fürstin Gincvra, die Prinzessinnen Fricdcrike und Mary liebreizend in Weißen Gc wandern, glitzernde Sterne in den ge lösten, schonen Haaren. Das Gefolge schloß sich in der farbenreichen Tracht jener Tage an. Die hohen Herrschaften bewegten sich nur langsam vorwärts, hier und da ihre Gäste durch freundliche Anrede auszcich nend oder auch in ein längeres Gespräch verwickelnd. Die dienstthuenden Kam merherren zogen durch leichte Handdcu tung die gewünschten Personen der sie umwogenden Mcnschcnmasse hervor, die maskenfröhlich, mitgrößcrcrUngczwun genhcit, wie bei sonstigen Hoffcsten, sich in unmittclbarcr Nähe der hohen Herr fchaftcn aufhielt. Auch für Dr. Bertram hatte der König ein freundliches Wort, fast schon im Wcitcrschreitcn. Eine geistvolle Wendung, eine vielsagendere Antwort, als der hohe Herr sie von dem Angeredeten erwartet, ließen ihn vcr weilen, und rasch entspann sich in Rede und Gegenrede eines jener Gespräche, wie nr eilen gesuyr: lrnrcn, rann uvei in kurzen Augenblicken ein uintpatm ich,- Band der Geister f.ir's Leben bil-den. Ueber eine halbe Stunde stand der Monarch mit dem Theatcrarzt in leb haftem Gesprüch, und als er ihn dann verließ, geschah es mit einem herzlichen: auf Wiedersehen." Ader das kurze Wort hatte genügt, um den bürger lichcn Mann mit einem -chlagc aus seiner einsachen Lebenchellunz empor- zuhcben. und ihn hoffähig" zu maeyen. Dr. Bertram konnte bald merken, wie dies Ercigniß. immer weitere Kreiie ziehend, im Saale besprochen wurde und ihn zum Gegenstand lebhafter Be achtung und, mancher liebenswürdigen Anrede machte. Auch auf Herrn von Wcsicmb's Ge düchtniß hatte es vortrefflich gewirkt. Gestatten Sie. verehrter Herr Tot tor." sagte der Kanimerhcrr, indem er. feine Braut am Arm, auf ihn zutrat, daß ich meine Bergeßlichkcit von vorhin wieder gut mache. Sie müssen vcr zeihen, daß Ihr Nme und Ihr Gesicht mir entsaften, Sie wissen ja die Fülle der Geschäfte in unserer Lebens stellung allein ich innen mich jetzt sehr wohl, daß wir in Göttingen " Nicht doch," erwiderte der Arzt, in dem er seine klugen klaren Augen scft auf das Gesicht dcs Sprechers richtete, ich habc um Entschuldigung für mei ncn Irrthum zu bitten; ich weiß jetzt bestimmt, daß wir niemals mit einan der studirt haben." Und mit kurzer Verbeugung gegen die Dame und ihren Kavalier wandte er sich um und verlor sich im Gedränge. Ein leichter Jächerschlag berührte sei ncn Arm. Ncbcn ihm stand die alte Gräfin G., die trotz ihrcr weißen Haare noch eine der schönsten Ballcrschcinungcn dcs hcutigen Abends war. Man fagtc, daß sie dem seligen Könige nahe gcstan den habe, und Dr. Bertram hatte schon als Knabe, wo er in der Nachbarschaft ihres Stammschlosses aufwuchs, manche Freundlichkeit von der hohen Dame, die den aufgeweckten schönen Knaben gern mochte, zu verzeichnen. Auch jetzt fühlte er die Güte ihrer Gesinnung, als sie scherzend zu ihm sagte: Nun, mein Herr Doktor, es ist Ihnen ja eine schone Mitternachtssonne aufgegangen, wie ich zu meiner Freude gesehen. Aber neh Sie sich in Acht. Es ist hier ebenso glatt, ebenso kalt und gefährlich wie droben am Nordpol, wo sie zu scheinen pflegt." Er beugte sich dankbar über ihre schmale Hand: Ich weiß es, Ex cellenz! Aber ich werde mir Mühe geben, dem Hcimathlande Euer Excel lenz, das auch das meine ist, Ehre machen, und auf festen Füßen und mit warmem Herzen es hier schon aushal ten." Sie grüßte lächelnd, und er blieb, dem Tanze zuschauend, an einen Pfeiler gelehnt, stehen, um das wech sclnde prächtige Bild vor sich zu be trachten. Wie manchen in dieser fluihcndcn, geputzten, sich amüsirendcn Gesellschaft hatte der vielbeschäftigte Arzt in der All täglichkeit gesehen, des Flitterstaates cnt kleidet, in Krankheit, in Schmerzen, in Noth! Wie Manchen hatte er mit dem allstündlichcn Eßlöffel voll" zugleich Ruhe und Trost für die toene einflößen müssen! Ruhc von dcn Stürmen dcs anklagenden Gcivisscns, Hülfe gcgcn die begangenen Fehler! Wic klein, wie zag haft, ja wic erbärmlich in seiner eng- herzigen Selbstsucht steht da der Mensch oft vor dem Arzt! Und wenn der Kranke dann genesen, wic rasch ist Alles vergessen; die Schmerzen und ihre Hei lung, die Angst und die Todesfurcht, und Jeder lebt und tanzt toll weiter! A varnty i&irl Ein Lackai trat fragend heran: Herr Doktor Bertram?" Nach bejahender Kopfbeweaunq: Ein Knabe wartet im Vorzimmer und bittet dringend, den Herrn Doktor zu sprechen, er will nicht abweisen lassen." , Schon eilte der Arzt dem Ausgangs dcs Saalcs zu und fand den Knaben, der, reinlich in seiner freilich zu kurzen Jacke und geflickten Hose, ihm bekannt vorkam. Herr Doktor möchte doch gleich zu meiner Schwester kommen, sie ist sehr krank und hat so viele Schmerzen. Sie wissen, Herr Doktor, es ist die Alma Körne- mann von der O ter straszc, die Balle- teuse, wiffen Sie, die vor einigen Mo naten in der Oper Udine" zu Schaden kam, und die der Herr Tottor damals so rasch wieder gesund gemacht hat. Mutter meint, wenn der Herr Doktor käme, könnte er der Alma auch diesmal wieder helfen ach. Hcrr Doktor, und wenn die Alma stirbt, was sollcn Mut tcr und ich anfangen? Mutter ist fast blind, und ich habc ja das lahme Bein, und die Alma giebt uns alles Geld, ttas sie beim Theater kriegt." Nun, nun, mein Junge, so schlimm wird's hoffentlich nicht sein! Gewiß, ich komme gleich mit." Rasch dcn To mino mit dem Mantel vertauschend, schritt er neben dem Knaben durch die Straßen. Er erinnerte sich dcs Vor falles in der Undine", von dem der Knabe gesprochen, noch genau; er war kurz nach seiner Anstellung am Theater passirt. Im letzten Akte der Loitzinq schen Oper hebt sich der Palast dcs Wasser- gottcs Kühlehorn aus dcn Wcllcn. Karyatiden tragrn das hcrrlichc blitzcndc und flimmcrndc Gebälk dcs krystallenen xsr.o ..s. A oailUlK, unv nun imm .Hinyuuuiii, wer blühend schönen I7jährigcn Bal- letschülerin, war durch Stockung der Maschinerie eine schwere Eiscnstange auf die Schulter gcschlagcn und hatte sie erheblich verletzt. Er erinnerte sich noch recht gut. wie er dcn bcn'ußilokcn warmen Körper des schonen Kindes in sein hinter der Bühne belegcncs Kran- kenzimmer gctragcn und die start bin tcndc Wunde an dem weißen Arm vcr bunden und einen Riß in der Seite vcr nälit hatie. Der Knabe hielt an einem der alleren Häuser an Osicrstraße still. Turch eine seitliche Einfahrt, dic durch eine Stall- latcrne matt erleuchtet war, lief er vor aus. Turch einen langen dunkeln Hof. dort am Ende im Hiuterhausc eine Thür öffnend. Nun eine schmale, in allen Stufen knarrende Treppe empor, und der Lichtschein fiel aus einer kleinen Stube dem Arzt entgegen. Ein Ltübchcn nahm ihn auf, rein lich, abcr hciß und dumpfig. Neben dem eisernen Ofen kauerte eine alte Frau mit welken, arbcitSmüdcn Hän dcn, faltigem, vor der Zeit gealtertem Gesicht kind trüben Augen. Da nebenan liegt dic Alma," fagtc sie furchtsam; sie hat mich fortgeschickt, sie sagte. eS wäre da zu kalt für mich." Tcr Arzt nahm freundlich antwortend dic trüb brennende zinnerne Ocllainpe, wehrte die Alte zurück und trat in dcn kleinen Bcrfchlag ein, der eben die Bcttskclle und den Stuhl zu erfassen vermochte, und hob die Lampe leuchtend über das Gesicht der Kranken. Er erkannte sie sosort wieder; frei lich. aus dem schlanken Mädchen war rasch ein voll erblühtes Weib geworden, und aus dcn zerwühlten Kissen dcs Lagcrs, aus dcm wirren Gclock der gol digcn Haare sah ein schönes schmcrzvcr zerrtes Gesicht zu ihm auf. Tcr Arzt fuhr zurück, schloß rasch die Thür und sagte hastig : Tie haben Gift genommen, Arsc nik !" Ja, Herr Toktor," stammelte sie. ich mußte, ich konnte nicht nicht weiter leben ; ich konnte die S.chandc. die kom mcn wird, nicht auf mich nehmen." Er riß ein Blatt aus der Schrcibtafel. schrieb ein Paar Worte mit fliegender Hand darauf und hieß es dcn Jungcn rasch nach dcr Apotheke tragen. Tcr Knabe lief die Treppe hinab: man hörte, wie er dcn nachtstillen Hos durch lief, indem fein lahmer Fuß schwer auf den Stcinflicscn nachschleifte. Ter Mann wandte sich wicdcr zu dem Mäd chcn. Armes Kind." sagte er sanft, ganz im Gegensatz zu seiner vorherigen Hcf tigkcit, wir wollcn Allcs thun, um Sie zu retten. Allein cs wäre unrecht, wollte ich Jhncn vcrhcimlichcn, daß es fraglich ist. ob es uns gelingt. Es kann sein, daß Sie in wenigen Augcn blicken vor Gott stcken. Machen Sie Frieden mit ihm ! Warum thaten Sie das Furchtbare? Warum kamen Sie nicht zu mir? Ich hatte Jhncn doch vielleicht hclfen können." Nein, Herr Toktor, das konnten Sie nicht," sagte sie, dic Schauer, die durch ihrcn Leib rannen, und die furchtbaren Schmerzen unter drückend. Mir konnte Nicmand mehr helfen ! Er hat mich so lange hingchal ten mit Bcrsprcchungen, mir immer wicdcr gclobt, daß cr mich doch noch hcirathcn wollc und mir meine Ehre wiedergeben, bis cs zu spät war. Nun schreibt cr mir hcutc, daß cr sich mit einer vornchincn Tamc verlobt habe und mir blieb nun nichts mehr übrig als zu sterben. Ich will auch nicht leben, Herr Tottor, Sie sollen mich nicht retten, abcr, lieber Herr Toktor, können Sie cs dcr Mutter und dcm Brudcr nicht vcrhcimlichen, wie ich gc storbcn bin? Können Sie mir nicht hel fcn, da,ß ich wenigstens meinen guten Namen mit in's Grab nehme, und können Sie nicht für Mutter und Karl sorgen, wenn ich nicht mehr bin?" Er saß am Rande ihres Bettes, und sie las in seinen schönen ernsten mit lcidsvollcn Augen, daß er ihre Bitte verstand und sie auch nach dcm Tode schützen würde. Sie legte ihre zittern dcn todcsschwcißbcdccktcn Händc in dic feinen, und cr hielt sie fest, in dem nutz losen Bemühen, ihre erkaltenden Glie- der zu erwärmen. Wie ein Gebet, aus beider Herzen emporsteigend, sagte cr leise : Gott erbarme sich !" Die kleine Ocllampe flackerte mit un- ruhigem Schciu, die Zuckungen und das Röcheln wurden schwächer da klang vom Hofe herauf dcr hinkende schritt dcs Knabcn, er rannte die Treppe herauf, riß die Thür auf, hielt dcm Arzt athcmlos das Glas hin. chon warcn die Zähne dcs Mädchens im Todcskrampf zusammengepreßt; dcs Arztes Hand zwang stc auseinander und flößte das Gegengift ein. Allein cs war zu spät: die braune Flüssigkeit sickerte seitlich hernieder, nicht mehr auf genommen von dcn vcrsagcndcn Orga ncn noch ein letzter Kampf, und Allcs war vorübcr. Er lcqtc, ihrc Lidcr schließend, sie sanft in die Kissen zurück, deckte das Gewand und dic Tcckc übcr dic jungen Glieder und wollte die Hände dcr Tod ten in einander falten. Tic Linke hielt einen Gegenstand umkrampft ; er oste vorsichtig die Kluger ; es war ein Fläschchen und ein zerknitterter Brief, die er beide in seiner Brusttaschc barg. Nun noch dcr alten Mutter und dem Knabcn dic traurigc Botschaft sagen. ic saßcn zusammengekauert am Ofen; stumpf, hilflos in ihrcm Schmcrz, dcm das Bcwuktskln dcr LcbcuSnoth schon bcimischtc. Er tröstctc das arme Weib und den zitternden, schluchzenden Knaben, versprach, dafür sorgen zu wollcn, daß dic Theaterkasse das Bc gräbniß übernehmen und vielleicht auch dcr Mutter eine kleine Pension bczahlc. da ..doch die Zrchter wohl damals bei dein Unfall in der Undine" verletzt sei und ihr Ende dadurch bcrbcigcsübrt 'ein tonne." In der Zhat übernahm dic Kafic beides, nachdem ein eigenhändig vom König untcrznchnctes Schreiben eingc laufen war. Tcr König war der Ein zige, dcr dic wahre Todesursache erfuhr, und in seinem milden gütigen Herzen hatte nur das Mitleid Raum für das arme junge Geschöpf er war es. dcr ihrcn Wunsch wic ein heiliges Vermacht niß erfüllte und sowohl für dic Mutter wie für eine tüchtige Ausbildung des Knabcn dauernd Sorge trug. Ziellos schritt der Arzt durch dic Straßen, in dcr Einsamkeit und dcr Stillc dcr Nacht, dcr Erschütterungen der letzten Stunde Herr zu werden. An der Laterne der Lcincbrückc hiclt er an. Er zog das Fläschchcn aus dcr Tasche, prüfte cs und warf cs zcrschellcnd über das Brückengeländer. Tann zog cr den Brief hervor ; er war kaum zu cnt Ziffern, viele Worte waren durch Zhrü nenspur'ii und dcn Tocsschwciß dcs Mädchens verwischt. Nur einzelne Worte unmöglich Wort halten Schulden halber gezwungen thut mir namenlos leid verzage nicht Tich nicht verlassen und dann die Unterschrift August von Wcssemb". Tüftcr starrtc dcr Leser das Blatt an. Tollte er dcn Elenden zwingen mit dicscm furchtbaren Zeugniß, sein Unrecht wicdcr gut zu machcn, wcnig stcns an dcr Muttcr und dcm Brudcr? Lange kämpfte cr. doch nein, das wolltc cr dcr Todtcn nicht anthun. Aus fol chcn unrcincn Händcn sollte dic HüHc für die Ihrigen nicht kommen, dic sie in dcr Todcsstundc noch erficht hattc. Er zcrriß dcn Bricf und warf ihn in dcn dnnklcn untcr ihm dahingleitenden Fluß. Tann wandtc cr sich langsam wicdcr dcm neuen Stadttheil zu. Er trat durch das erleuchtete Vestibül dcs Thca tcrs ein, durchschritt die Reihen dcr wartcnden fchwatzcnden Ticncr, nahm den Tomino aus den Händcn dcs La kaicn in Empfang und wolltc eben, in dcn Saal eintretend, eine Halbmaske vor's Gesicht zielten, als ein spöttischcs Lachcn ncbcn ihm ertönte. Aufsehend bemerkte cr dic Baroncß Arnheim am Arm ihres Verlobten vor sich stehen, dic cbcn nach bccndctcm Rundgangc mit vcrschicdcncn Herren vorübcrschrittcn, um sich zum Büffet zu begeben. Wie sind Sie zerstreut, Hcrr Toktor", sagte sie lustig, daß Sic sich bemühen. Ihre Maske noch einmal vor's Gesicht zu ziehen. Sehen Tic denn nicht, daß wir alle längst dcmaSkirt sind?" Tic haben recht, gnädigste Baroncß, ich war in Gcdankcn! Ich kommc cbcn von cincm Ttcrbcbettc, von einer Tod ten. einer Ballctcufc, Namens Alma Körncmann cr bctontc jcdc cinzclnc Silbc , und an cincm Todtcnbcttc fällt manche dichte schwere Maske, dic cin Mensch lebenslang gctragcn, her untcr. Ta kann man wohl dies Ting aus tzme und spitzen cr schon cs zerknitternd in dic Taschc darüber vcrgcsscn. Und den bis an dic Lippen crblci chcndcn Kammcrhcrrn mit cincm durch dringenden, tiefen Blicke messend, sagte er, sich förmlich verneigend: Haben Sic die Güte, Hcrr Kammcrhcrr von Wcssemb, falls Tc. Majcstät gcruhcn solltc, nach mir zu fragen. Allerhöchst demselben mitzuthcil..:, daß ich in mei nein Bcruf anderweitig in Anspruch genommen bin." Er schritt dic brcitc Freitreppe dcs Theaters hinuntcr. Ein Strom von Licht und dic weichen verlockenden länge eines Walzers folgten ihm in in dcr Tnnkclheit nach, wic cr gcgcn dic Stadt zuschritt, dic schwcigcnd, mcnschcnlccr und nachtumfangcn vor ihm lag. Abcr im stcn lichtete cs sich schon; cin hcllcr Schcin lag auf dcm Horizont, und darüber stand dcr Morgcnstcrn, klar, lichtumflossen und himmlisch tröstend! ihn noch dcr blaue Himmel mit dcn weißen Wölkchen, durch die trüben Tchciben lachte ihm noch immer dic Tonne zu. aber cr tonnte jetzt nicht hin aus, er mußte bleiben bei feinen Listen und Reklamationen, bei seinen Zahlen und dcn slaubicn Papieren. Tcr alte Boic stand dabei und solgic verdutzt feinen Blicken. Mit cincm Male sing er mahnend an: Hcrr Ralk. cö ist schon glcich ;chu! Tic Herren Alluarc werden glcich da sein!" Brcunicke sah sich um. Tagen Tic ihnen, sie sollen sich heute gedulden! Es wurde etwas spater weiden." Herr Rath ". Tcr Bote stand mit offenem Munde, erstaunt vor ilim. Tas war ja doch noch nie " es miiB avcr vcuic icni, .'Jinucr, cs muß! Hören 2ic! ie sehen, ich bin nicht ganz wic sonst ." Tcr alte Bote wandte sich iopischüt telnd zur Thür. Tcr Rath abcr schautc mit wch mütkigcm Blick zum Festcr. Früh- ling draußcn, Frühling in dcr ganzcn Wclt und nur in seinem Herzeil Wintcr! Kein Aufblühcn mehr, nur leises Schlafengehen! Tcufzcnd stützte cr dcn ergrauten Kopf in dic dürrcn, runzcligen Finger. To sing das große Abschicdiiehmcn an, das allc Hoffnung fahren, allcs Wün- schcn schwindcn läßt, so ging das Hcrz zur Ruhc. Er fühltc es heute zum ersten Mal! Am Morgen war feine alte, treue Wirthschaften!, gekommen, die mit ihm all' die Jahre ausgehalten: und auch sie wollte jetzt von ihm! Fast mit gefalteten Händen hatte sie es ihm gesagt. Tie Zeit dcs Tparcns. dcr Arbcit und dcr Abhängigkcit ist vorbci. Hcrr Rath, jctzt kaun ich wic- dcr zurück in mcinc Hcimath, in meine Halbe, wo nichts die groz;c, groyc stille stört. Jctzt kann ich ruhcn, ausruhcn von mcincin ganzcn Lcbcn, und ach das Herz wird mir noch einmal jung!!" Er hattc still dazu gclächclt. Tic ung dic oocy iccys Jahre noch alter i Vc'm großen Abschicdnchmcn, 2?on 21. ä irft ein. Tcr alte Kanzleirath Brennicke kam heute etwas später in's Bureau. Zur richtigen Zeit war cr zwar von Hause fortgegangen, abcr dann untcrwcgs auf dcr Straßc. da war mit cincm Malc dic Sehnsucht über ihn gekom mcn. auch dcu srischcn. juugcn Tag mit dcn blinkcudcn Thautropfcn und dcm wärmcndcn Tonucnschcin zu gc- nicßcn, und da war cr abgcwichcn von dcm alten, wohlbckanntcn Wcg und langsam und still bedächtig an dcm grünenden Park vorbeigegangen zu seinem Bureau, das er nun siebcnund zwanzig Jahre hindurch tagtäglich auf suchen mußte! Es war zwar nur etwas übcr eine Viertelstunde, dic cr spät als sonst kam, abcr sein alter Botc, dcr ihm beim Rangircn und Fortpackcu dcr Aktcn nun auch schon bald ein Viertel jahrhundcrt half, schüttcltc dcn Kopf. Tcr Hcrr Rath wcrdcn unpünkt lich," murmcltc cr vor sich hin, dann abcr, als gchörtc cs zu scincm Lcbcn. fing cr auch ohne dcn Rath an. dic Schubkästcn aufzuzichcu. Papicrc zu ordnn? und Fcdcrhaltcr zurccht zu lcgcn. Ihm schicn das zu seiner ganzcn Thä tigkeit unumgänglich nöthig. 'Trnrn öffnete sich dic Thür Hcrr Kanzlcirath Brcnnickc schob sich hinein. Guten Morgen." sagte cr wic in ticfstcm Sinnen und legte still bedächtig Hut und Mantel ab. Turch das große Bogenfenster grüßte war als cr Als cr sic dann abcr nähcr bctrach tctc, wic sie in dcr Morgcnsonnc an dcm wcit gcöffncten Fenster stand und dic Freude über das große, hcißcrschntc bilück ihr dic Röthc wicdcr in dic Wan gcn trieb, da hatte er's nicht nur ge sehen, da hatte er's gefühlt, daß auf einmal wieder späte Jugendlichkeit in die Seele zog, und etwas wie Neid war über ihn gckommcn. Ihm winkte solches Schicksal nimmer mehr. Er wußte wenigstens nicht, woher. Grübelnd darüber hatte er dann sei ncn Gang gewagt, abcr was cr suchte, nicht gesunden. Tic alte Ruhc, dic Glcichmäßigkcit scincs Hcrzschlagcs kam hcutc nicht wicdcr. Er hätte denn dic Tonnc vcrfinstcrn, dcn Himmcl trübcn und dic Lust vcrschärfcn müssen. Tcr Frühling abcr ließ sich nicht mchr vcrtreibcn, und sicgrcichcr noch als andcrSwo klammerte cr sich an scin ge guältcs Hcrz. Als dcr altc Botc zurückkam, fand cr seinen Rath mit feuchten Augen. Er sah ihm lauge kummervoll zu, cbe cr zu sprcchcn sich gctrautc, als abcr Minutc auf Minutc verrann, als dcr Blick noch immcr ununtcrbrochcn hinaus in's Frcic schwciftc, als dic Aktcn unbcrührt auf dcm Tisckc licgcn blieben, und die Fcdcr sich nicht füllen wolltc, da ttipttc er ihn leise an. Herr Rath cs wird nun doch Zcit! Tic Hcrrcn .... können nicht warten wollcn wir nicht anfanqcn? Und Kanzlcirath Brcnnickc drchtc sich um und tcufztc tief. Wenn es denn scin ntußtc in Gottcs Namen! Wa so lang gcgangcn war, das mnßtc hcutc auch qchcn Und willig begann cr seine Arbeit, die nun fcit sicbcnundzwanzig Jahren sast die gleiche war! Abcr cr war nicht rccht bci dcr Tachc, dic Gcdantcn fchweistcn immcr ab und als seine Vorgesetzten am nächsten Tage dic Aktcn durchsahcn, da entdeckten sie Fehler und Vcnchen, die wirklich nicht angenehm und leicht waren Tcr altc Brcnnickc wird doch auch schon alt," saqtc dcr Eine zum An deren. Man kann sich auf ihn nicht mehr verlassen. Wie wär's " Er sprach nicht aus, aber dcr Andcrc vcr- stand ihn doch. Nahclcgcn na ja, das könnte man s ihm doch!" Und man rief den armen Alten von seinem Pulte wcg und lcgtc ihm s nahc, das Abschicdnchmcn nämlich und das Jnvcnttongchcn! Er war doch nun bald scchzig Jahrc. Er sah die beiden Herren verwundert au. Wirtlich, Herr Gchcimrath, wirk- lich?! Ja, was soll ich dann thun?" Tcr ilopftc ihm an dic Tchultcr. Abcr lieber Kanzlcirath, ausruhcn sollcn Tic sich von Ihrcr langen Arbcit! Na la und ausleben und wicdcr jung werden ja " Ich jung werden?!" Abcr natürlich, gcwiß jctzt wo's Frühling wird!" Tcr altc Kanzlcirath schüttelte dazu dcn wackcligcn Kopf. Tazu dürste cs wohl doch zu spät sein!" Tann wankte cr aus dcm Zimmer. Nach drci Tagen erhielt cr seinen Bricf. Mit voller Pension entlassen wegen vorzüglicher Führung! Er stccklc ihn cin und ging seiner Wege. Tcr altc Botc, dcr Müller, mit ihm. Meinen Tic nicht, Hcrr Rath.. ..'i Toll ich nicht auch i" fragte er ihn. Er halte sich immer etwas daraus zu guic gethan, daß cr im gleich, Alter stand wic sein Hcrr Rath. Nur drcj Monate Unterschied! Tie war er junger. p Herr Rath wir sind doch gleich?. , im Alter sast und sast im Ticnst!" Tas thut nichts, Müller, das thut nichts! Für etwas leben muß doch der Mensch, und weuii's auch nur sür sein traurig Amt ist." Tkill und nachdenklich ging er weiter seinen Weg. Er dachte hcutc nicht an Essen und Trinken, nicht an dcn gc wohnten Tckilaf am Nachmittag.... nur ciue Wittwe siel ihm ein, der er von Amts wegen" versprochen halte, ihrc Ttcncrlafl zu erleichtern. Zn dcr ging er hin. Tcin Einfluß war ja zwar vorübcr, helfen konnte er ihr nicht mehr, aber er wollte sic nicht unnütz in Hoffnung wie gcn. cr wolltc ilr wcnigstcnS rathen, sie an seinen Nachfolger wciscn vielleicht daß der Aber wer konnte das wissen! Leise schlich er zu ihr dic Treppen hinauf. Tic erkannte ihn nicht einmal im ersten Moment. Erst als cr gesagt hattc, wcr cr war, nd weshalb er kam! Aber nicht einmal cin Klagen kam über ihrc Lippen. Nun denn in Gottes Namen," sagtc sie blos, wcnn's scin soll .... " Auf einmal that er, der altc Kanzlci rath. ihr so furchtbar lcid. Mein Gott, was wollen Sie denn nun blos thun? So früh schon in Pension!'" Sic ries's in ehrlichem Bedauern. Er abcr schüttelte wehmüthig das Haupt. Ausruhcn," sagtc er' blos, es ist ja Zeit wic dic Herren sagen." Tann ging er wicdcr langsam durch dic Alice, auf großen Umwegen in scin altcs Heim. Tic Wirthschaften,! sah ihn mit Kummer an. So spät Hcrr Rath?" Er iiicktc nur. Man muß sich gc wohnen!" Am nächsten Morgen schlief er bis gegen elf Uhr, abcr als cr aufstand, warcn seine Wangcn wie vom Fieber geröthet. In Hast tricb er die alte Wirthschaf- ' terin an. Machen Sie, gute Frau, machen Sic! Packcn Sie Ihrc Sachcn uud zichcn Sie fort in die altc, stille Haidc Sic wissen nicht, wie kurz das Leben ist!" Sie verstand ihn nicht. Aber Herr Rath, fo eilig?! Wollcn dcr Hcrr Rath dcnn auch fort " Er ficl in sich zusammen. Ja doch, ja! Wenn einmal das große Abschied nehmen kommt, dann soll cs sein, ganz und wic mit cincm Schlagc!" Abcr wohin wollcn der Hcrr Rath?" Wohin? Auch fort, auch in die Haidc, wo cs wundcrsam stille ist." Und och einmal ging er am klaren Frühlingstage durch Wald und Aue, durch Wiesen und Felder, und noch ein mal kostete er Jugend! Jugend in ir Natur, in dcr Luft und ini hcimlichcn Wachsen dcr Wälder dann ward cr müdc uud ging zurück, dcn Abschicd von allem im wehen Herzen! Am Abend waren ihm dic Glicdcr seltsam schwer, cr konnte sie kaum dcwc gcn. Tic Luft hatte sic erdrückt. Aber doch brachte cr die altc Gc- fährtin noch hin zur Bahn, doch gab cr ihr dcn lctztcn Scgcnswunsch noch mit auf dic. Rcisc, dann kehrte cr schwer fällig in feine Wohnung zurück, wo ihm dcr altc Bote, der Müller, nun den llcbcrgang erleichtern solltc. Als dcr am andcrcn Morgcn kam, fand cr seinen Rath im Bett. Tic Glicdcr warcn stcif und kalt und wch müthig zusammcn gckniffcn lag dcr blciche Mund. Tic blinkende Tonne spielte darüber hin Tcr Frühling hattc das Wintcrlichc hinwcg gcräumt, hatte den alten Herrn zur Ruhe gebracht, beim großen Ad schicdnchmcn Xic Haarlocke. Adolar liebte sein junges Weibchen bis zum Wahnsinn, und war in Folge dessen furchtbar eifersüchtig. Tie rei zeude Frau wich jeder Gelegenheit aus, die geeignet gewesen wäre, den Arg wohn des Gatten zu erregen. Eines Tages fand Adolar ein goldenes Me daillon, welches seine Frau mit Vorliebe trug, und welches eine braune Haar lotse enthielt. Eine braunc Haarlocke! Er hatte hellblondes Haar und ihrc ganze Familie erfreute sich schwarzen Haares. Ta mußte also ein Geheim niß dahinter stecken. Tausend Zweifel zermarterten Adolar's Gemüth uud die Verstimmung seines Wesens mußte sei ner Gattin ausfallen. Sic forschte nach dem Grund. Mit tragischer Haltung forderte cr Aufklärung, was es mit dcr Lockc für ciuc Bcwandtniß habe. Ta erröthctc dic juugc Frau ticf und flü stcrtc ihm lächelnd in das Ohr: So sahen meine Haare aus. bevor ich dic- clbcn blond färbte!" Gemüthlich. Kunde: Kannst Tu denn auch schon rasiren?" Barbicrlchrling st'crtrauliaj): I bc- wahre, abcr ich will dcm Elicf einen Schabernack spielen, damit cr seine Kundschaft verliert!" Uibrl;cit. Tas ist nun so im Weltgetriebc: Tic Mitgift regulirt dic Liede.