Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 27, 1898, Image 9

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    Jahrgang 11). Beilage zum Ncbraska Ztaats-?ln;eiger. Ro. 23.
Kort ihn dc d .
Hovkll.i'k von .rki'iaun ,iv7rz
Alle in der Slnif.c kannten Jette
Balz. Das mittelalterlichf Haus, in
br in sie und ihre ältern wohnten, laa,
nach dein Hase, und bei (zutem fetter
stand allezeit die Hausthür zivischen den
rntt tu u mm deicht,- zwei parterre
Fenstern offen, und man ial) Jette, die
dir tjohac Töchterschule beiuckjt hatte,
bet vor keiner "Arbeit sich scheute, aus
bm gros'.en. altmodischen, mit Schran
krn versebeneii Flur hantiren, Wasche
steifen, platten, glatten und zu Hausen
legen.
Hinter dein Hause lag ein weitläufig
sich ausdehnender Warten; ilm hatte ihr
Bater. der ttunstgariner Balz, gepach.
trt, und war dort mn's tagliche Brot
bkschüstigt. Jette und ihre Mutter,
insbesondere aber Jette, betrieben eine
einwäscherci und halfen cruf diese
Weise miterwcrbcn. was sür's Leben,
für Miethe, Steuern und so vieles An
bne erforderlich war.
Jeden Morgen. Mittag und Abend
schritt ttarl Schramm vorüber, und je
oesmal rief errette ein Scherzwort lcr
über, machte einen Witz oder zog eine
lächcncrwcckcndc Grimasse. Immer
mußte er spotten und selbst die ernst
haftcstcn Dinge in's lächerliche oder
lkomifcke ziehen. Aus dieser Ursache
sahen ihn auch Viele als einen innerlich
nicht wirklich gkscpicn Mann an, viel
mehr nur als einen begabten, das Leben
aber fluchtig nehmenden Menschen.
Doch versah rr Lovtsendienstc beim Kon
sul und Rhcder Harms am Hafen und
wurde von diesem als eine äußerst zu
verlüsfige und wie kein Zweiter mit dem
Fahrwasser vertraute Persönlichkeit ge
schätzt. Alle nannte ihn ftorl üm de Ei".
So hatte man ihn schon als ttnabe ge
tauft, und florl iim de Ed" hieß er
noch heute, wahrend er inzwischen doch
in der Marine gedient, grofic Reisen
gemacht, fremde Länder gesehen und
das bcirathsfahigc Aller längst erreicht
hatte.
Lop nah .Oorl iim de Eck!" sagten
die Nachbarn, falls es sich um schwierige
Dinge handelte. Rathschläge in See
und Schifssangclcgenhcitr ,zii ertheilen
waren, der Sturm boshaite Launen
gehabt hatte, ei Tieb an den .ragen
z packen war, oder am Hafen Abends
in den Wirthshäusern Streit entstand.
Korl iim de Eck" hier und Korl iim
de Ed" dort ! Ohne ihn n-ctr die Hafen
gegrnd garnicht denkbar, und wenn er.
was neuerdings leider häufiger einmal
vorkam, einen Über den Turst trank,
dann rcgistrirtcn die Leute das blos
mit den Worten:
He harr mal weddcr sin Tour!"
Sie nahmen es ihm bei seiner einmal
vorhandenen Toppclnatur nicht iibcl,
und wollte wirklich gelegentlich Jemand
gegen ihn das Wort nehmen, so wurde
er bald durch Ziarls lustige Satire ent
waffnet. Gleich um die Ecke, wenn man in die
Pastorenstraße einbog, wohnte er mit
seiner Mutter, einer Wittwe. Dort
hatte die Familie Schramm,' die jetzige
und die Vorfahren dieser, in ihrem
eigenen kleinen Trcieckgcbäude seit
Mcnschengedcnken gesessen und sich
schwierig, aber allezeit ehrlich durchge
schlagen. Heute habe sie ihre Augen aber
wieder mal blitzblank geputzt, Fräulein
Jette!" sagte Karl an diesem Morgen,
als er vorüber und zum Konsul Harmö
auf Arbeit ging.
Jette, ein schlankes, feines Mädchen
in einem ungemein sauberen, hellpunk
tirten Waschkleide mit engen Aermeln,
nickte, hob das Plütteisen vom eisernen
Untersatz ab, benetzte es erst prüfend
mit dein naßgemachten Finger, begann
dann zu bügeln und sagte, ohne empor
zusehen: Kann sein. Herr Schramm. Jeden
falls seben Ihre Augen mal wieder
nach sehr viel heißem Abendgrog aus"
Irren ist menschlich, Fräulein Jette.
So verüble ich Ihnen auch Ihren Irr
thum nicht. Gestern hab' ich nicht 'mal
ein Glas Wasser getrunken. Den gan
zen Abend hab' ich meiner Mutter aus
Büchern vorgelesen "
Wenn iie so sprechen. Herr
Schramm! Sie spotten über Alles."
Ich stell' mich blos so, Fräulein
Jette"
Jette bewegte den Kopf, als ob sie
sagen wollte: Ja. ja. viele Reden hast
Du immer! Aber meine Meinung
änderst Du doch nicht."
Gleichzeitig griff sie in den großen
Wäschekorb, ' nahm einen Damen
Spitzenrock heraus, bespritzte ihn mit
Wasser und setzte dann ihre Arbeit fort.
Fräulein Jetic! " betonte Karl.
Hcrr Schramm !" warf Jette
unintcrcssirt hin.
Wissen Sie. weshalb ich eigentlich
heute mein Bcinwerk fo lange bei Ihnen
gestoppt habe?"
Im Räthfclrathen war ich immer
schwach. Herr Schramm "
Soll ich es Ihnen denn sagen?"
Ja, wenn es Ihnen einen Spaß
macht "
Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht
meine Frau werden wollten "
Karl Schramm sprach diesmal in
einem ernsten, weichen Tone.
Jette fuhr zusammen, wurde dunkel
. roth und reckte den mit Amidam gc
steiften Untcrrock, daß es schier zu reißen
Gefahr lief.
Nc! stieß sie dann heraus. Alles
in der Welt, blos das nickt "
Zuerst trat ein finsterer Ausdruck
von wildzorniger Entrüstung in Karls
v'Züge.
Dann aber überflog sein Blick ihre
schlanke Gestalt, das zartdlaise. feine
Angesicht, das braune Haar, dasqlatt
gekämmt an den blaugcadcrtcn Schlä
fcn lag. und die gewohnte übermüthige
Miene erschien wieder in seinem Antlitz.
Wissen Sie, daß ich eben fünfzig
Mark gewonnen habe, Fräulein Jettes"
warf er spottisch ein.
Was heißt das nun wieder? Ich
verstehe nicht "
Dann hören Sie, Fraulcin Jette!
Vorgestern Abend wettete ich im
Anker" mit Eapitan Clkrg von der
Marie". Ich behauptete, daß Sie
grade so antworten würden, wie Sie es
thaten. lr wettete, daß Sie bei einem
Atr.ig ja" sagen würden. Also
bitte, so war e? blos .zu nehmen und
gemeint !"
Schon wahrend Schramm gesprochen,
hatte sich Jettes Angesicht verändert.
AIs er aber geendigt hatte, da sagte
sie, ihn verächtlich von oben bis unten
musternd:
Wahrhaftig unerhört ist es, Herr
Schramm, daß Sie Ihren Wirthshaus
Handel noch sogar erzählen, sogar Der
erzählen, die sie ziiin (Gegenstand Ihrer
frivolen Scherze machen. Wieder ists
ein Beweis, daß Sie ein Korl iim de
Eck" bleiben, und wenn Sie noch so alt
werden. Wieder ist's ein Beweis, daß
eigentlich ei ehrbares Mädchen schon
Solarien nimmt, wenn sie sich anch nur
mit Ihnen in ein Gespräch einlaßt.
Immer nur Ihre dummen Witze be
schiiftigen Sie. Würde Ihre Mutter
nicht sonst hungern, würden Sie sicher
niemals arbeiten. Früher waren Sie
wenigstens stets nüchtern. Neuerdings
sprechen Sie auch noch der Flasche zu.
Wenn Ihr Antrag vorher ernst gewesen
wäre und Sie hätten mich wegen meines
Nein gefragt, so hätte ich Ihnen ge
sagt: Werden -ie erst ein Mann, der
zeigt, daß ihm das Leben keine bloße
Spielerei ist, sondern der es wirklich
ernsthaft nimmt, Erwerbe Sie sich
erst die Achtung, die Ihnen, wo Ihr
Name genannt wird, wegen Ihrer "
Noch een Würd un ick griep an de
Mur un schütte! dat Steenwerk wer
Ehren Kopp hendal " preßte der er
regte Mann heraus, und faßte sich, um
die ungeheure Leidenschaft zu dampfen,
an das gestreifte Wollenhemd unter der
offenen Seemanns-Joppe. Und dann
bohrte er gleichsam seine Blicke in ihr
Angesicht, ' trat auf den Flur in ihre
Nähe und fügte, heiser mit bebenden
Lippen und nun wieder hochdeutsch re
dend, hinzu:
Wenn ich mich gab, wie ich mich
gab, so war'S, weil ich meine Gefühle
gegen Sie verstecken ivollte, weil ich es
so nur aushalten konnte, es Ihnen nicht
schon lange zu sagen, mie lieb ich Sie
hatte. Wenn ich das Trinken anfing,
so wars, weil ich nur so vergessen
konnte. Ich sprach eben so ernsthaft,
wie nur ein Mensch ernsthaft sein kann.
Da Sie mich aber durch Ihre Antwort
behandelten, als ob ich ein verächtlicher
Taugenichts wäre, erfand ich die Ge
schichte von den fünfzig Mark, ich erfand
sie, weil ich es nicht wahr haben wollte,
daß ich im Ernst gesprochen hatte.
Mein Stolz kletterte in die Höhe wie
eine Eichkatze. Ich hätte meinen Mund
verfluchen mögen, daß ich gesprochen,
nachdem ich eine solch Antwort erhalten
hatte. So, nun wissen Sie Alles, und
nun denken Sie darüber nach, ob man
I immer nach dem Schein urtheilen, sich
selbst als etwas Besseres und Andere
als Unsaubere hinstellen darf! Gott be
fohlen, Jungfer mit den französischen
Vocabeln, dem Hochmuth und dem
Plütteisen. Sicher sind Sie, daß Korl
üm de Eck" bei Ihnen nicht wieder ein
guckt "
Sprachs und schritt mit seiner breit
brüstigcn Gestalt und dem wetterfesten
und gebräunten Antlitz die Straße
hinab.
In der Folge sah man Schramm
kaum je mehr den Weg an dem Balz
schcn Hause vorübernehmcn. Er machte
einen großen Umweg durch die Pastoren
Straße und begab sich dort durch die
Tonischnlgasse an den Hafen.
Der Eonsul Harms besaß noch ein
großes Holz-, Kohlen- und Bau
Materialien - Geschäft, und hier war
Korl ihn de Eck," sofern er nicht
Lootsen-Dicnste versah, als Lagcrauf
scher thätig.
Aber von diesem Tage an machte sich
auch eine große Veränderung in seinem
Wesen und Verhalten bemerkbar. In
den Hasenwirthshäuscrn war er selten
zu sinken; das Spötteln und Witzeln
hatte er verlernt, stets sah man ihn
nüchtern, und eines TagcS, er war fünf
Monate später, hieß es in der Hafen
straße, daß der Eonsul Harms ihn nach
Fortgang seines bisherigen ersten Be
aniten den Posten eines Lagcrinspcltors
übertragen und Schramm pekuniär
äußerst günstig gestellt habe.
Er erhielt sortan seine Wohnung in
dem Hause, wo sich das Lagrrkomptoir
befand. Dorthin folgte ihm auch seine
Mutter, und seltsamer Weise nannte
ihn in der Folge Niemand mehr Korl
üm de Eck." Nun tttulirte ihn alle Welt
Hcrr Inspektor!"
Als der Sommer sich seinem Ende
zuneigte und sich der Herbst, wennschon
noch mit warme Tagen, leise in's
Land schlich, wurde in der Hafeustraßc
bei dem reichen SchipShandler" Kon
rad Zornchlscn eine Hochzeit gefeiert.
Die blonde Sophie, die älteste Tochter
und beste Schulfrcnndin von Jette, ver
heirathete sich mit dem Eapitän von
dem Dampfschiff Augusta", das neben
zahlreichen anderen Fahrzeugen dem
Eonsul Harms gehörte. Und der Eon
sul und seine Fr.ni und seine .zwei T öch
ter und zwei Söhne erschienen eben
falls, und außer den zahlreichen Perfo
ncn, die mit der Kornchlfeuschen und
Harmscnschen Familie bekannt und be
freundet waren, auch Jette Balz und
Karl Schramm.
Einen rührenden Anblick gewährte
es. als slaxi feine alte, an der Gicht
leidende Mutter in den Feftraum führte,
so sorgsam und aufmerksam um sie
war. und überhaupt an den Tag legte,
wie sehr er sie ehrte.
Prächtig sah er selbst aus. Der Bart,
den er neuerdings trug, umrahmte in
zarter, blonder Farbe fein Uiitcrgesicht,
die etwas gekrümmte Nase hob den cha
rakteristischen Ausdruck in seinen Öli
gen, und ans den Augen strahlte Kraft,
Energie und Gesundheit,
Als er Jette sah, machte er eine sin
slerc steife Verbeugung, und während
des Essens und während des Taii'ens
sah er sich wohl die anderen schmucken
Mädchen an, würdigte aber Jette kei
ncs Blickes. Endlich, bei einer Fran
aise konnte er ihr aber doch nicht aus--weichen.
Sie kamen einander gegenüber zu
stehen, und als das Eommando die
Paare in rasches Tempo brachte, verlor
Jette auf dem glatten Fußboden das
Gleichgewicht und fiel zu Boden.
Und der sie aufhob mit hurtiger, gc
schicktcr Bewegung, war doch nun der
ritterliche Karl Schramm, lind für
Secunden lag sie ihm mit ihrem rasch
klopfenden Herzen wie ein rosenrothcr
Schmetterling an der Brnst.
Denn roscnroth war sie gekleidet,
und schöner als eine eben aufgeblühte
Rose sah sie aus.
Zum Schluß wurde von den tanzen
den Paaren ein Knäuel gebildet. Eines
blieb in der Mitte stehen, und die Ucb
rigen flogen in langer Kettcnreihc um
dasselbe herum, bis der Ring geschlossen
war.
Und da geschah es, daß Karl
Schramm und Jette Balz fast Brust
an Brust zusammengepreßt wurden und
sich ansehen mußten, wenn schon sie
nicht wollten.
Und da flüsterte Jette, alles seit Mo
naten qualvoll Zurückgedrängte in diese
Worte zusammenfassend :
Sind Sie noch immer böse, Herr
Schramm? Bitte, seien Sie es nicht.
iJ-"
Doch in diesem Augenblick wurden
sie bei der Wicdcrabwicklung des
Knäuels so rasch fortgezogen, daß Jette
nicht aussprechcn und Schramm nicht
antworten konnte. Auch fand sich keine
Gelegenheit zu einer abermaligen An
Näherung, da die alte Frau, von Mü
digkcit und Abspannung belästigt, nach
Hause verlangte, und der Sohn wenn
auch wohl nicht leichten Sinnes auf ein
ferneres Vergnügen verzichtend be
reitwillig mit ihr das Haus verließ und
nicht wiederkehrte.
Und abermals verflogen Wochen, und
in der Hafcnstraße und am Hafen ging
die Sonne auf und unter mit roth
glühenden Lichtern, und ein Tag war
tete schon auf den andern, um in dessen
abgestreifte Schuhe zu schlüpfen.
Und an einem dieser Tage geschah
es, als Jette von einem Gang aus der
Stadt zurückkehrte, daß ein heftiges Ge
witter ausbrach, und daß sie, voii einem
wahren Sturzregen überrascht, in jenes
Haus flüchtete, das Karl und seiner
Mutter früher als Wohnung gedient
hatte und das auch noch in ihrem Be
fitz sich befand.
Die Hausthür stand sperrweit offen,
weil Handwerker zur Zeit darin be
schäftigt waren. Eine Wittwe, die es
nach Schrammö Fortzug gemiethet
hatte, war eben gestorben.
Nun sollte das Haus für neue Be
wohner in Stand gesetzt werden.
Während noch Jette wartete und von
hier den mit schweren Tropfen auf die
Straßenstcine herabprassclndcn Regen
beobachtete, vernahm sie hinter sich ein
Geräusch, und einen Handwerker ver
muthend, wandte sie sich arglos um.
Aber nicht ein solcher wars. sondern
Karl Schramm, und das junge Mäd-
chen erschrak in solcher Weise, daß ihr
die ctniee schwankten.
Er aber trat mit herrischer Miene
auf sie zu und fragte, was sie wünsche.
Nichts nichts. Ich suchte
hier blos Schutz" kam es halb be
troffen, halb in Auflehnung ob solcher
Begegnung aus ihrem Munde.
Sie wußten wohl nicht, daß Sie
sich hier im Hause von tforl üm dc
Eck" befanden, Fraulein?"
Doch ich wußte es." cntgcgnete
sie schroff gereizt.
Und dennoch kamen Sie? Sie frag
ten neulich nur dem Ball ob ich Ihnen
noch böse wäre? Meine Sie, daß ein
Mann das vergessen kann, was Sie
iliin gesagt haben?"
Ja. das meine ich. wenn cr wirk
lich gut war wenn er nicht blos eine
unpassende Wette gemacht hatte." ent
geanete Jette, plötzlich sanft einlenkend.
Dann weiß er "
Nun stockte sie.
Was weiß er?" drängte Karl
Schramm verändert und weich wie ein
Wind, umsaßte, ohne zu fragen, den
schlanken Leib des schönen Mädchens
und zog sie, während der letzte Donner
draußen verhallte, tiefer in den Flur.
3ie antwortete nicht, sie zitterte am
ganzen Körper.
Bitte" drängte Karl. Oder ists
doch noch wie damals. Bin ich noch
immer für Sie ein Korl iim dc Eck?"
Nun sah sie ihn an. Nie erhob viel
leicht ein Wcib mit gleichem hin
gebenden Ausdruck das Auge zu einem
Manne.
Tu sagtest damals : Alles in der
Welt, blos das nicht, Jette"
Erst blickte sie ihn nochmals demüthig
flehend an. dann schmiegte sie sich, tief
Athem holend, an seine Brust und flii
sterte :
Alles in der Welt missen, nur Sie
nicht, Karl !"
O, meine Jette, meine einzige
Jette !" sprach der Mann, und als eben
nach völliger Besänftigung des Wetters
ein Regenbogen, das göttliche Bundes
zeichen, in wunderbar herrlichen Farben
am Himmel erschien, da schlössen auch
sie einen Bund und küßten sich, und
noch einmal in stürmischer Liebe.
Gclieims Kräfte.
(sine heilere Skizze von Wilh. Verbat.
Ich war der letzte Sommergast
vielmehr schon Hcrbstgast.
Das Dörflein entsann sich seiner selbst
wieder; es kam nach dem Fremdentau
mel zu sich. Die Anpreisungen von be
quemen Sommerwohnungen, zu jeder
Tageszeit warmer Kuhmilch u. s. w.
verschwanden allmälig von Fenstern
und 'Wäden der stocktaube Bettler,
der außen am Torfcingangc die Leute
angehalten hatte, genas von seinem
Ohrcnlcidcn und kehrte zu der arbeit
samcn Rolle, des Kegeljungen zurück
der Wirth welcher den Sommer über
seine Bauern mit einer gewissen Re
serve behandelte und erst gegen Regie
rungsräthe kollegial zu werden schien,
that jetzt wieder dem Hiesl, Scpp und
Jackl Bescheid, und auch die Frau
Wirthin zog ihr Seidenes aus, nahm
den vornehm lächelnden Zug von den
Mundwinkeln und schimpfte und wet
terte wie ein Obrrknccht in Küche und
Stall.
Ich war schon Monate lang im Orte.
Die Leute zählten mich schon halb zu
den Ihren und hatten keine Scheu vor
mir.
Ich kannte jedes Kind.
Und doch seit einigen Tagen sah
ich etliche Gesichter im Torfe, die ich
vorher nie wahrgenommen hatte.
Zuerst einen Burschen in den Dreißi
gern mit dummschlauem Gesichte.
Der stand am Sonntag, als ich aus
versteckter 2öirthslaube das Treiben der
Leute belauschte, mitten im Gastgarten
auf einem Tisch eine Menge Men
schen jeden Alters um ihn her, die sich
köstlich bei seinen Faxen unterhielten.
Jetzt spitzte er die Lippen und krähte
in der höchsten Fistel: Arthur! Ar
thur!" Nach einer halben Minute gab er
denselben Ruf nur ctwaS gedämpft
und verschwommen zurück: Arthur!
Arthur!"
Arthur, liebst Du mich?" krähte er
dann wieder unter dem dröhnenden Gc
lächtcr der Bauern.
Kein Zweifel mehr, es war die täu
schend nachgeahmte, dünne Stimme der
Baronesse Laura, die liier mit ihrer
Familie und mit ihrem Bräutigam sich
aufgehalten und durch ihre schwär
mcrischcn GefühlSausbrüche für den
Letzteren Manchen erheitert hatte.
Arthur, liebst Du mich?" krähte der
Bursche eben wieder zurück. Jetzt
kommt der Münchener Privatier!" sagte
er dann.
Bicrfaßl ! Bierfaßl !" tönte es im
tiefsten Baß, der aus einem Keller her
aufzukommen schien.
Bierfaßl ! Bierfaßl !" gab er dann
denselben Ruf wieder.
Hör' mal. Loni," frug ich die
hübsche Kellnerin, wer ist denn der
fidele Tropf da?" .
Sie sah mich ein wenig verlegen an
dann schmunzelte sie: Wissen S',
der is unser schön'S Echo droben an der
Weistcrwand wo die Fremden alle
weil fo gern 'neinrufcn! Da hockt erden
-ommer über auf eine, Baum und
wenn einer ruft, giebt er's z'rück! Los
hat er's schon wie a Komödiespieler
der Loder!"
Ich nahm gelegentlich den Wirth ein
wenig auf die Seite und fühlte ihm
vorsichtig ans den Zahn, ob vielleicht
noch mehr solche .lusendkünstlcr da
waren.
Er rückte sein Käppchen auf's andere
Ohr, blinzelte mich von der Seite an
und meinte: Da können S' schon noch
Etliches inne werden! Wissen Sie, man
muß dem Gefch,ack der Fremden etwas
entgegenkommen jetzt, wo die Saison
aus is, lassen sich die verschiedenen Leu
teln, die dazu bestimmt sind, allinahlig
wieder im Dorf seh'i, das sind unsere
geheimen Kräfte der Natur!"
Die nächste Natnrkraft. die ich keimen
lernte, war der Irrwisch".
Ein putziges altes Kerlchcn voll Hu
inor. Schalkheit und Laune. Er pflegte
Abends im Schloßsnmpf" draußen
am Fuß der Burgruine zu sitzen.
Wenn die heimkehrenden Dame in
etwas gruselhafter Stimmung waren,
traf es sich famos, wenn plötzlich mitten
im Sumpf der Alte mit seiner mäch
tigcn Glimmpfeife als Irrlicht auf
tauchte, hin und hcr gaukeltc und plötz
lich verschwand.
Auch ein ganz junger zu Winters
Zeiten als Ganshirte geschätzter
Bursche tauchte auf der Guckczcr"
genannt.
Was ist denn das?" frug ich ihn.
Warum heißt Du denn so?"
Woaßt' denn nit," antwortete er
und sah mich treuherzig an. der
Guckezer dcS is der Vogel, der im
Wald draußen alleweil Kuckuck schreit."
Ah. da bist wohl Du der Vogel?"
Ja freili'," lachte er, im Buchen
waldl. woaßt'! Da dcrfst Dich gleich oft
heiser schreien sonst schimpfen die
Fremden: Heut' hört man wieder gar
keinen Kuckuck!" Woaßt'. wann fo a
Liebespaar! kommt und fragt: Wie
lang haben wir uns noch lieb?"
nachher mußt' glei' a halbe Stund' un
unterbrochen schreien sonst ist alles
aus! Wann aber einer ruft: Wann
stirbt meine Erbtante?" und Du schreist
nur einmal, nachher ist der Kerl ganz
auseinand' vor Freud'!"
Ich that noch einen tiefen Blick in die
linfchuldsblauen Augen des Jungen
dann wandte ich mich schaudernd ab.
So viel List in einer 5?indesseele!
Eines Abends hatte ich einen sclt
samen Anblick.
Ich kehrte von meinem Spazjergange
in's Dorf zurück. Auf einmal gewahrte
ich auf einer Wiese ein sonderbares
Thier. Es war kein Keisbock und doch
auch kein Wild ich trat eben näher,
um das Naturwunder genau zu besuch
tuten, als ein Mann ans einer bcnach
beuten Hütte sprang und das Thier
rasch in den angebauten Stall scheuchte.
Als ich meine Beobachtung dem
Wirth erzählte, lachte er laut: Dös
glaub' i, daß ihnen der Gamstoni seine
Gams net sehen laßt !"
Eine Gemse? Eine wahrhastige
Gemse ?"
Er schüttelte den Kopf.
Sie wissen doch," sagteer, daß wir
oben auf der Veranda ein Perspektiv
en Fernrohr aufgestellt haben! Damit
kann man in die Stcinwand hinauf
schauen und wenn man Glück hat, sieht
man oft eine oder mehrere Ganis dro
den! Aber allemal, wenn gerad' ein
Fremder eine Garns sehen möcht', kann
man keine hcrpfeifen, und wenn er keine
sieht, schimpft cr und ist unzufrieden!
Da hat denn der Gamstoni, um dem
abzuhelfen, einen sehr g'scheidten Geis
bock ein wenig drcssirt und mit der
Schccr' und mit dem Anstreiche ein
bisscl nachgeholfen, das das Thicrl m
weitem einem Ganisbock täuschend ähn-!
lich sieht. Die zwei Hausen im Som
wer da droben auf der Wund in einem
Hüttl! Da liegt denn der Toni auf der
Lauer und wenn er Jemanden auf der
Veranda bemerkt, pfeift er dem Bock.
Der springt nachher auf den Fclsvor
fprung 'raus und macht die Ganis. Die
Fremden sind ganz närrisch vor Freud'.
Da müssen Sie hingehen," heißt'S,
prächtige Jemse jeschen!"
Ich schüttelte den Kopf er zuckte
vergnügt die Achseln dann lackten
wir beide.
Andern Tags rief mich ein Eilbrief
heim; sonst hätte ich wohl noch mehr ge
heime Naturkräfte entdeckt.
TU Ri,stnpudins ttr ZUht
Paignton.
Dieser I.;ge erlebten die Bewohner
des englischen Stadtä?es Paigiiton die
seltene Wiederkehr eines a!thrwürdigen
lump!:ddiiig,'!es. Es ist dort na,'
'.ich seit langer, langer Zeit 2ilie, alle
fünfzig ,V.bre z.i irgend einem besonder
ren Ereignisse einen riesigen Pflaume
oder vielmehr Rosinenpudding zuzube
reiten und unter die arme Bevölkerung
zu vertheile. Der größte Pudding,
der je das Licht der Welt erblickte, ent
stand im Jabre ls:,H anlaßlich der Er
öffnungsfeier der durch Paignton süh
renden Eisenbahnlinie. Dieses Riefen
geback wog nicht weniger als M) Eentner
und kostete der Stadt 4." Pf. Sterling.
Zur Verwendung kamen s7:i Pfund
Mehl, ll'l Psuud geriebenes Brot, 382
Pfund ausgekernte Rostnen, Pfd.
Eorinthen, !!S'J Pfund gehacktes Rin
dertalg, 9', Pfund Zucker,' 17'. Eier und
3ii0 Liter Milch. Naturlich kochte man
diesen Ehampion-Piidding in verschie
denen Theilen, dir dann zu einem Gau
zen ausgebaut" wurden. Der im
ahre lW zu Staude gekommene
Pluiiipudding wog nur !' Eentner.
konnte aber, obwohl er drei Zage und
drei Nachte in einem großen Brauer
kcssel gekocht hatte, nicht gegessen werden,
da man ihn zertheilt gelassen und er '
deshalb zu teigig" geblieben war. Der
diesjährige Pudding, der einen Theil
des Programmes eines großen Wohl-thatigkeils-Bazars
bildete, wies nur das
bescheidene Gewicht von 2.t) Pfund auf.
Dafür war er aber auch um so besser
gerathen. Das bezeugte jeder, der f,'
glücklich war, bei der nach dem frier
lichen Umzüge durch die Straße statt
findendem Vertheilung ei Stückchen des
schwärzliche Gebäckes zu erwischen.
Xic unst zu pumpen.
Ueber den Besitzer des Goettietheaters
in Berlin, den in Untersuchungshaft
befindlichen Maler Professor Wilhelm
Tworak. wird in Berliner Blättern
Folgendes mitgetheilt:
Zu den intimeren Freunden Two
rat's in Berlin gehörte der ach Paris
und von dort nach N.w ort auSgewan
derte Rechtsanwalt Tr. Fritz Fried
man!!. Beide verkehrten mit mehreren
Vertretern des literarifche Jung
Teulschlauds im Hause eines inzwischen
verstorbenen Bankiers, dessen Gast
frrundfchaft fast sprichwörtlich war.
Hier wiedertholte sich nun in reget
mäßigen Intervallen folgender Vor
gang: Herr X., ein allgemein bekannter
Dichter, nahm Dworak beiseite und legte
ihm die Gcwisscnsfragc vor: Ach, lie
bcr Professor, können Sie mir nicht
fünfzig Mark pumpen, ich bin in
scheußlicher Verlegenheit?" Tworak
bedauerte, selbst kein ijcld zu besitzen,
versprach ihm aber, dennoch die Summe
zu schaffen. Er wendet sich deshalb an
Dr. Fritz Friedman mit der Bitte:
Lieber Doktor, da ist 'n talentvoller
junger Literat, er braucht halt 'n paar
hundert Mark, lieben Sie es ihm."
Fritz Friedinann hatte aber auch, wie
gewöhnlich, leere Taschen. Rasch ent
schlössen, gab er feinem Freunde, dem
Bankier, einen Wink, mit hinaus zu
kommen. Draußen eröffnete er ihm
dann, daß der hochbegabte Maler Pro
fessor Dworak in Verlegenheit sei und
nothwendig ein paar tausend Mark
gebrauche. Der gutmüthige Bankier
gab das Darlehen, das nun nach dem
Grundsatz: Jedem das Seine" zur
Vertheilung gelangte.
s-in oldcner uhpfad von Kon
stantinopel nach London.
Die sorgfältige Schützung der auf
der Erde vorhandenen Goldmünzen
stellt deren Werth auf 3.5.94 Millionen
Dollars fest. Diese gewaltige Summe
würde in Gold einen Raum von 33
Fuß Länge, 30 Fuß Breite und 20 Fuß
Höhe beanspruchen. Die Aufstapelung
der einzelnen Goldstücke in einem derart
tigern Raume würde einen unglaub
lichcn Aufwand von Zeit und. Geduld
erfordern. Beispielsweise würde ein
Mensch, wenn er mit acht Jahren sich
dieser Ausgabe unterzöge und täglich
acht Stunden arbeitete, seinen 80.
Geburtstag erleben, ehe das letzte Stück
aufgestapelt wäre. Zur Fortschaffung
dieser Geldmasse würde eine Kraft von
4000 Pferden erforderlich sein, die eine
Last von 119,020 Eentncrn zu bcwälti
gen haben dürften. Auf dem Boden
neben einander ausgebreitet, würden
die Goldstücke einen Flüchenraum von
4000 Acres bedecken, und wenn man sie
in eine Reihe Rand an Rand legte,
würden sie London und Konstantino
pel mit einem goldenen Fußpfad ver
binden. Der ehrgeizige Weidmann.
A: Was sagen Sie dazu: Dem
Doetor Malberg ist sein werthvoller
Jagdhund, sein Fcldmann durchgcgan
gen?" B: Finde ich ganz begreiflich, das
kluge Thier hat eben die erbärmliche
Schießerei seines Herrn nicht mehr mit
ansehen können!"
Zu viel verlangt.
Herr (zu einem ihn anhaltenden
Bettler): Was, Sie verlangen eine
kleine Unterstützung? Sie bekommen
nichts, Sie riechen ja schon von Wei
tem, wie eine gefüllte Schnapsflasche!"
Bettler: Aber lieber Herr, entschul
digcn Sie nur, ich kann doch nicht von
den paar Pfennigen, die ich mir fo zu
sammenbcttle. etwa nach Ehampagncr
riechen!"