Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 29, 1898, Image 10

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    Sie nucM ihr Testament.
CuaMiniij von Jcnnq Hirsch.
Tcr 3!fd)tünivalt Toktor Lula
'Jiollrath nnir in der arrüni 2cc und
ni n ki-fl ab t, in ber er geboren war
und die er mir während feiner Uniwr
fitatojatjrr für längere Zeit verlassen
iirtjubt, besonders als Notar geschaht
und viel beschäftigt. Man rühmte
ihn, nach, daf; er sich bei allen Allen
drr freimilliaen Gerichtsbarkeit, die er
aufnahm, der rotten Vorsicht, Klar
beit ,id Bestimmtheit befleißige. Auch
der geriebenste d'Hicaneur fand in cmcin
Kontrakt, der bei Vollrath ge,a,ioen.
kein Hiiitcrtliürchcn. durch das rr zu
entfchüvfen vermochte : ein Testament
das cr abgefaßt hatte, war. wie scharf
man aiiiti' nach einer schwachen teile
spähen inochlc. unangreifbar.
Tas (iiifmnmeii, das dem Toktor
aus feiner Berufsthätigkeit floß, war
unter diescii Umstünden ein rccht an-
sehnliches und wäre mehr als aus
reichend gewesen, weitgehende Ansprüche
z befriedigen: Bollrath war jedoch
darauf allein nicht angewiesen. (5r
hatte von seinem Bater, einem ange
scheuen Kaufmann, das stattliche
5aus. iu dcm cr wohnte, sowie ein
nicht unbedeutendes Bermögen geerbt.
das er als guter Hauöhaltcr nicht nur
zu erhalten, sondern auch zu vermehren
verstand. Er war keineswegs geizig,
nahm gern seinen Antheil fln allen
guten Ximi.ni des Lebens und hatte
auch für Andere eine offene Hand, aber
kS lag in seiner ganzen Natur etwas
Ruhiges. Beherrschtes, was ihn in
allen 'Tingen zum Maßhalten veran-
takte.
Zn diesem gewiß recht schäpens
werthen Eigenschaften gesellte sich eine
stattliche, ansprechende Erscheinung,
ein liebenswürdiges, gefälliges Wesen,
eine vielseitige Allgemeinbildung und
eine brillante Unterhaltungsgabe, vcr
mögc welcher cr auch als Gesellschaft
in ' hohem Grade beliebt war. Es
braucht daher kaum erst noch erwähnt
zu werden, daß Toktor Bollraih für
eine ganz vortreffliche Partie galt und
der Gegenstand mehr oder weniger stil-
lcr Wünsche, mehr oder weniger gefchick
ter Bemühungen von Müttern und
Töchtern war oder gewesen war
Tcr Beginn der Jagd aus das kost
bare Wild lag nämlich schon minde
stcns um fünfzehn bis zwanzig Jahre
zurück, denn Bollrath war jung zur
Advokatur gekommen und befand sich
jetzt bereits im fünfundvicrzigstcii
Jahre. Er hatte mit mehreren Ge
ncratioucn jugendlicher Ballschviicn ge
tanzt, war bci Tomiucraiisflügcn und
Schlittcnparticn, beim Eislauf und
sonstigen gcmcinschaftlichcn Bcrgnügun
gen der Jugend beiderlei Geschlechter
nie cin piclvcrdcrbcr gewesen, hatte
den Hof gemacht und berechtigt oder
unbcrcchtiqt, das blcibc dahingestellt
manche Hoffnung erweckt, ohne je eine
zu erfüllen. Wohl oder übel war end
lich darauf verzichtet worden, ihn cinzu-
fangen. Allmählich hatte er aufgc
hört, Tänzer und was damit zufam
menhängt zu sein, und war in die
Reihen der älteren Herren, die es sich
, am Spieltisch und im Rauchzimmer
bequem machen, eingerückt.
Ta man seine Ehescheu mit seinem
sonstigen Wesen gar nicht in Einklang
zu bringen vermochte, so hatte sich ein
Sagetreis gebildet. Man erzählte sich
daß er ein von ihn schwärmerisch gelied
teö Madchen unter höchst tragischen Um
ständen durch den Tod verloren und ihr
auf dcm terbcbctt das Besprechen
unwandelbarer Trcuc gegeben habe ;
Andere wollten wieder wissen, die llu
treue einer Braut habe es ihm ein für
alle Mal verleidet, in ein näheres Ber-
hültniß zu einem weiblichen Wesen zu
treten.
Ein Weiberfeind war er aber keines
Wegs oder doch nur in einer Beziehung'.
er hatte mit grauen in geschäftlichen
Beziehungen sehr ungern zu thun. Er
behauptete, sie wären sehr schwer zu
belehren, kamen, wenn man sie über-
zeugt zu haben glaubte, immer wieder
auf ihr vorqetattc Meinung zurück.
wären Bernunftgründen nicht zugäng
lich, betrachteten die Tinge immer vom
subjectiven Standpunkt u. f. w. Wo
es iraend angängig war. suchte er
sich daher auch der weiblichen Klienten
zu erwehren und machte denen, die sich
nicht abweisen ließen, den Verkehr mit
ihm keineswegs leicht.
So war es auch einer Tarne ergan-
gen, von der er einen Brief erhalten
hatte, durch den sie ihn sehr höflich
aber kurz und geschäftsmäßig ersucht.
sich zu ihr zu bemühen, da sie ihr Testa-
inen! zu machen wun?cye.
Mit einem halb spöttischen, halb
ärgerlichen Lachen hatte er seinen,
Schreiber das auf starkem gelbwcißcn
EIfcnbcinpapicr in einer festen, klaren
Handschrift geschriebene Briefchen hin-
geschoben und gelagt :
Schreiben Sie der Frau Eveline
Timmcndorf. geborene Bodeck, daß ich
mir im, Falle schwerer Erkrankung ein
Testament in der Behausung des
Testircuden aufnehme, wo aber eine
solche Behinderung nicht vorhanden.
für derartige Alle an jedem Bormittag
von VIS II lll)r mtiiiim niuiiu
ZU finden fei.
Schon nach wenigen Stunden hielt
Bollrath einen dem ersten der äußeren
fronn nach völlig ähnlichen Brief in
der Hand, er enthielt nur die Worte :
Iran Eveline Timmcndorf, ge
borenc Bodeck. wird sich morgen, Ton
neistag. den 15. April d. I., Bormit-
tags l Uhr im Bureau des Herrn 1oU
tor Bollrall, cinnndeii.
Tcr Ratiisanwalt machte cin rccht
verdutztes Gesicht, als cr diele feilen
überlas.
Tic alte Tarne ist kurz angcbundcn.
murmelte rr. ..und halt mich beim
Wort, denn da ich ihr schreiben ließ.
daß ich jeden Bormittag Tür den gc
dachten '.weck anwesend bin. kann
ich nun weiter keine Ausflucht machen.
C meine schone Zeit! Tenn erstens
wird sie nicht um neu n kommen.
denn welche Frau warc jcmals püntt-
lich lind zwcitcns wird sie mich stun
denlang aushaltcn. Tas vcrtügt übcr
ich mich irre, aber ich glaube, einen
gewissen Zweifel in Ihren Mienen zu
lesen."
Sie haben rccht gesehen, meine gnä
digste Frau, doch nein, Zweifel ist nicht
der richtige Ausdruck, sagen wir lieber
raschung."
ie sah ihn mit ihren grossen Augen
fragend an und bemerkte lächelnd
Wodurch habe ich Sie so sehr über
rascht ?"
Turch Ihre Persönlichkeit: ich ich
erwartete, eine alte Tarne bei mir ein
treten zu scheu."
ie lachte. Es war ein so glocken
heiles. mclodiMics rächen, wie er nie
jedes Schmuckstück einzeln, hat Katzen zuvor gehört zu haben glaubte.
und Hunde zu vcrsorgcn und tausend
Borbchaltc zu machen. T heitt es
sich in Geduld fasten.
In nicht sehr rosiger Stimmung saß
cr am nächsten Morgen ein Bicrtel vor
neun Uhr in seinem Sprechzimmer am
Schreibtisch.
Bor zehn Uhr wird die Altc nicht
koiumcii. murmelte er. das kennt mau.
Er las in seinen Akten.
Um neun Uhr hob der Regulator zum
Schlagen aus. gleichzeitig öffnete sich
die Thür und Friedrich erschien mit der
Meldung :
(Yran Zlinmendorf
V.iH fiiiii-it hiifc fif tifrfrnihi't-t fri '
" . .
fiel ihm Tr. Bollrath in's Wort.
Nicht doch. Herr Toktor. Frau Tim
niciidorf istdraußcn," antwortctc, schncll
die Thür hintcr sich zuziehend, der nicht
mehr iiinge Tiener
aqen le der altcn .ume, ich
laste bitten.
Friedrich schaute sehr verwundert auf
und öffnete den Mund, um eine Beiner-
kunq zu machen, unterließ es aber und
entfernte sich schweigend
Bollrath drehte sich auf fernem tuhlc
um, lim cincn vixa aus dcn hmtcr ihm
übcr dcm Sopha bcsindlichcn Spicgcl
zn wcrfcn.
Tic slnchtigc Mustcrunq bcfricdiqtc
ihn, das dunkle Jucket, in dcm cr seine
Bureaustunden abzuhalten pflegte, faß
gut, die Wäsche war von tadelloser
Weiße, und das noch volle, dunkelblonde
Haar über der hohen Stirn sorgfältig
gescheitelt. Er nickte seinem piegcl
bildc zu, wandtc sich dann abcr, bc-
schämt nbcr dicsc Rcgnng dcr Eitclkcit,
schnell wieder in und seinen Akten zu.
Tic Eintrctendc sollte nicht den Ein
druck empfangen, als ob cr sie erwartet
hätte.
Roch eine Sekunde verharrte er in
dieser Stellung, nachdem hinter seinem
Rücken die Thür sich geöffnet und wie-
der geschlossen hatte, dann wandte er
sich um, erhob sich und blieb wie ange
wurzelt, für ein paar Augenblicke völlig
sprachlos, stehen.
Tie Tarne, die auf dem das ganze
Zimmer bedeckenden, weichen braun-
rothen Teppich einige Schritte unhörbar
näher gekommen war, hatte den Mantel
im Borzimmer abgelegt und stand nun
vor ihm in einem hochheraufgehcnden
Kleide aus schwerer schwarzer eide,
dcffcn liniier Kragen von echten Spiken
durch eine Nadel mit einer einzigen
graben crie gcscruoncn war. xtx
cinfachc, nbcr die Herkunft aus einem
der ersten Ateliers verrathende Schnitt
des Klcidcs brachtc ihrc Formen in dcr
vorteilhaftesten Weite zur Geltung.
und cö floß in fchöncn Falten an der
niittclqroftcn, schlanken Gestalt herab.
Tcr mit hclllila Bluiucn und Schleifen
verzierte tuctste Kopothut ließ das vorn
gewellte, hinten zu einem Knoten auf-
gesteckte, reiche aschblonde Haar in fci
ncr ganzen Fülle sehen, das schmale
Geficht war blaß, hatte aber durchaus
nichts Krankhaftes, und die großen
grauen Augen waren von einer Klav
heil, als könnten sie Jedem, aus den sie
sich richteten, aus dcn Grund dcr Scclc
schauen. Sic schlug sie jetzt zu dem sie
immer noch betroffen anstarrenden An
walt empor und sagte, während ein
freundliches und doch ein klein wenig
spöttisches Lächeln ihren blühenden,
wohlgcformtcn, abcr nicht ganz kleinen
I'iunb umspielte:
Ich habe eic zunächst um Ber-
zeihung zu bitten, Herr Toktor, wcgcn
dcr Ihnen gestellten Zumuthung, sich
zu mir zu bemühen. Ich glaubte
Er ließ sie nicht ausreden, eine tiefe
Beschämung wegen des kurzen, beinahe
unhöflichen Tones, in dem er ihren
Brief hatte beantworten lasten, bemäch
tigte sich seiner, und beinahe stammelnd
wehrte er ab.
D, meine gnädigste Frau, an mir
ist es, um Entschuldigung zu bitten.
Meine meine Zeit ist so sehr in An-
sprnch genommen, ich kann mit dem
besten Willen keine Ausnahme machen!
Und wie wären Sie auch dazu qe-
kommen, dies für eine Unbekannte zu
thun r entgequete ste. Lauen cic
uns nun auch gar keine Zeit verlieren.
Ich hoffe, alles Erforderliche mitgebracht
zu haben
Sie streifte den Handschuh von einer
schmalen, aber nicht kleinen, weißen
charaktcristisch ausgcbildctcn Hand, öff-
netc eine Mappe aus dnnkelrothem
Juchtenleder, die sie bisher darin gehal
ten. entnahm derselben einige Papiere
und sagte, sie dem Anwalt reichend:
Ueberzeugen Sie sich, daß ich Tie-
lenige bin, für die ich mich ausgebe,
und daß ich das Recht habe, frei über
das Bermögen. über das Sie hier eben
falls alles Nähere finden, zu verfügen."
Er legte die Papiere auf den Schreib-
tfm riii-ftc .mn 'Ttntm.Mihnrt rinrti
Sessel zurecht und bat sie Plan zu neh
men. ytHilircno nc tich meberlier., wie
derholte sie ihr Ansuchen mit dem Zu-
laß: Ich bitte um Berzeihung. wenn
Warum hielten Sie mich sür alt ?"
Weil Sie Ihr Testament machen
wollten."
Thun das nur alte Leute?"
Wenigstens selten so junge wie die
gnädige Frau."
Wieder vernahm er ihr bestrickend
Lachen. Sie sind allzu gütig. Herr
Toktor! Ich bin f ünsuiiddreixig Jahre.
Ihre Offenheit, die nicht eine Spur
von Koketterie hatte, berührte ihn ganz
eigenthümlich. Er nahm ekt tn dem
ihr gegenüberstehenden Sessel Platz und
sagte:
Tas ist für das Tcstaincntniachcn
noch schr iiing, zumal bei einer Taiue
cind grauen weniger vorlorglich
als Mäinicr?" fragte ste, und ihrc
Miene erhielt etwas Kampflustiges, das
ihr vortreNlich stand.
Er lic seine Blicke mit Bewunderung
aus ihrem ausdrucksvollen Gesicht ruhen
und antwortete: Ich habe fie iin Allge
meinen immer weniger vordenkend qe
funden, indeß giebt es auch Männer
genug, die nicht dazu kommen, bei
guten Jahren ihr Testament z machen.
Ich selbst muß mich dieser Bersüuinniß
anklagen und bin doch volle zehn Jahre
alter als ie, gnadige Frau."
Tas Geständnis leinen ste zu be
lustigen, und im leichten Gefprächston
warf sie hin: Sie werden das nicht
nöthig haben, Ihre Brüder und Schwe
stcrn, Nichten und Neffen find Ihnen
gleich Heb.
Ich besitze von allcdem nichts. Ich
war das einzige Kind meiner Eltern
Wie eigenthümlich! Ich befinde mich
im gleichen alle."
Und trotzdem wollen Sie ein Testa-
uient machen f
Eben deswegen."
Wollen Sie milde Stiftungen bc-
dcnken?? Stipcndicn für studircudc
Fraucii bcgründcn?" fragtc cr mit
leisem Spott.
Warum nicht? ist es Ihnen
gleichgiltig, was nach Ihrem Tode aus
hrem ererbten und erworbenen Ber
mögen wird?"
Apres rnoi le dehige! könnte ich
antworten," erwiderte er mit leichtem
Achselzucken. Ich Hatte mich indeß
vorlausig an ein anderes geflügeltes
Wort, kommt Zeit, kommt Rath",
und hätte nicht übel Lust, Ihnen das-
selbe zu cmpfchlcn."
Hcrr Rcchtsanwalt !" Sie sprach den
Titel mit einer Betonung, die er nicht
mißverstehen konnte, und er beeilte sich
denn auch, zu sagen:
Berzeihung. meine Gnädigste, ich
vergaß "
Ta; wir uns nicht im Salon befin-
dcn und Konvcrfation machen. Wir
gehen unverantwortlich verschwenderisch
mit Ihrer kostbaren Zeit um."
Er glaubte, seine Zeit noch nie besser
angewendet zu habcn, als im Gcsprüch
mit dicscr Frau, dic ihm von Minute
zu Minute interestanter wurde, und
hätte ihr das sehr gern gesagt. Tvch
cr zwang sich in dcn Ton und dic Hai-
tung dcö Anwalts und Notars zurück
und sagte nur noch mit einer Ver
beugung: Ich habe dicsc Stunde für
ie refervirt, gnädige Frau, und da
ie überraschend pünktlich gekommen
find "
Ueberrafchend! Sie haben der alten
,ame vic e Punitiicyicit nielit zuac-
traut? Odcr zmciscln Sic überhaupt
an ocr Punktlichkcit der Frauen?"
viaeh, meinen bishcr gemachten Qx
sahrungen thue ich dies allerdings."
ir wurde verlegen geworden fein.
wenn sie ihm nicht so überaus anziehend
erschienen wäre. Um seine Berwirrung
zu verbergen, griff er ach den Pa
Pieren, sah sic durch und sagtc, zu Frau
Äimmendors, die leinen Bewegungen
mit großer Ausmertsamkeit gefolgt
war, gewendet:
Ich mache Ihnen mein Koinpli-
mcnt. gnädige Frau. Sie haben in der
That allcs mitqcbracht, was wir für
unlcr wichatt brauchen. Ich nnitj gc
stchcn. daß nur das nicht häufig vor-
kommt. Ich bcwundcrc Ihre Gcichüsts-
kenntni, gnädige Frau!"
olltc die Ihnen in Ihrer Prans
bet grauen noch o wenig vorgekommen
eink fragte ie.
Er gestand, daß er sich geschäftlichen
Verhandlungen mit Frauen meistens
zu entziehen gewußt habe.
C, da uiu ich Ihnen ja als ein
wahrer Störenfried erschienen fein!"
Wie können Sie das glauben?"
Im Gegentheil, Sie machen mich sehr
gnialich mitte er beinahe getagt, er
besann sich abcr und fügte hinzu: '..Im
Gegentheil, cs ist mir eine Freude und
Ehre."
Ich will mich wenigstens bemühen.
Ihnen ihre Aufgabe so leicht wie mög-
lich zu machen." versprach sie. Und
nun begann sie. ihm die Verhältnisse
zu erklären, dic sie zu dem von ihm an-
genauuien oruavcn georacrn, jaivu
jetzt ihr Testament zu machen.
Eveline Timmcndorf war die Tochter
eines Giminasialproscssors in einer dcr
thüringischen Residcnzstadtc. Sic hatte
durch ihren Bater eine vvrtrenliche Aus
ditdung atniltni, o daß ste, vtine e
eine höhere Töchterschule odcr ein Leh
reriniienscininar besucht zu haben, doch
lehr wohl befähigt zum Unterrichten
war: sie war jedoch fiir's Erste nicht da-
zu gekommen, da sie durch die Pflege
dcr kränllichcn Eltcrn Jahre hindurch
vollständig in Anspruch gcnoiicn gc
wescn. Nach dem schnell hintcr cinan
dcr crsolgtcn Todc Beider war sic von
einer in Richmond am Kap der guten
Hoffnung lebenden deutschen (vamilic
die fich besuchsweise in der Heimath
aufgehalten, als Lehrerin und Er
zieherin der Kinder initgenomnicii wor-
dcn. Nachdem sic diesem Berns ein
paar Jahre vbgclcgcu, hatte sie die Be
kaniilfchaft eines Herrn Tiiniueudorf,
eines schon seit vielen Jahren in Bic
toria ansässigen Hamburgers, gemacht
und den viel ältere, aber sehr rüstigen
und liebenswürdigen Mann qeheirathet.
Frau Timiiiendors gab sich in ihrer
einfachen Erzählung durchaus nicht den
Anschein, als habe eine große, schwör-
merifche Liebe zwischen ihr und ihrem
malten qcvcrrfcht. wohl avcr praeh stc
mit hoher Anerkennung von seinen vor-
trefflichen Eigcnfchastcn und schilderte
mit Wärme die stille, friedliche Ehe, die
sic mit ihm währcnd der sechs Jahre
gefuhrt hatte.
Nach mehrwöchentlichcr Krankheit
hatte ihn, noch in dcn besten Jahren
dcr Tod hinweggcrafft, und er hatte sie
und ihr einziges Kind, einen damals
süiifjührigen Knaben, im Besitz eines
recht auschulichcu Bcruiögcns zurückgc
lassen, obwohl cs laiigc nickt so groß
war, wie es von den Verwandten ihres
verstorbcncn Manncs noch hcute ange-
nonimen werde.
Und sie machten sich schnell daran,
Ihnen die Hinterlassenschaft zu bestrei-
ten!" fiel hier Bollrath ein.
.las tonnten ste nicht, da mein
Sohn, mein Alfred, lebte und dcr Erbe
eines Batcrs war." cntgcqnctc stc
Zwei Jahre später frcilich. als ich das
Unglück hatte, den Knaben zu vcr-
licrcn " Sie brach in Thränen au
Tie Hände vor das Gesicht legend
fügte sie hinzu: Er war mein einziges
Glück, die Sonne meines Lebens, mit
ihm ist Alles, Alles sür mich dahinge
funken!"
:ie schwieg ein paar Minuten, und
Bollrath ließ mit der innigsten Theil
nähme seine Blicke auf der in fich zu-
famuieugcfunkcncn Gestalt ruhen
Welch' cin Geqcnsak zwischen verklären,
beherrschten vrau, dic cr bishcr vor sich
gesehen, und dtcfcr graniqcbcuqtcn
Mutter, und doch wußte cr nicht, in
wclchcr Gestalt sic ihm anzichcndcr,
Iicbcnswcrthcr crschicn.
Bcrzcihcn ie mir, ich durste mich
so nicht hinrcifzcn lasten! Was werden
ie von mir qcdacht habcn V
Taß Sic in Ihrem Schmerz heiliq
vcrchrungswürdig sind, daß Sic mir
in dcr rückhaltlosen Hingabe an Ihrc
Gefühle noch viel licbcnswcrthcr cr-
chicncn, als " Bon seinen Empfin
dungen fortqeriven, hatte er ihre beiden
Hände ergriffen und, währcnd cr lcidcn-
chaftlich auf stc einsprach, an feine
Brust gedruckt.
Jetzt hielt er verwirrt inne, als ste
ich frei machte und ihn mit einem
großen, fragenden Blick ansah. Toch
fchon reichte ie ihm die Hand von
Aeucm und aqic, letzt wieder ganz
auft und ruhig:
Habcn ic Tank für Ihrc Zhcil-
nahiuc, stc hat nur schr wohl qcthan,
lassen Sie mich jetzt schnell zu Endc
kommen!
i) kann es mir denken, Sie haben
sich mit den Habgierigen herumschlagen
muffen, bemerkte er. ie haben
hncn abcr wohl nicht vicl anhabcn
könncn?"
Nein, das Gesetz war vicl zu klar
für mich, immerhin gab cs Acrgcr und
Wcitlauftgkcitcn, antwortctc stc, gc
wistcrmaßcn hatte ich Jenen aber dafür
dankbar zu fein: ich wäre in meinem
Schmerz vergangen, wenn ich in dem
Kampf mit Jenen nicht eine Ableitung
gefunden hätte. Ich fragte mich, was
mein Gatte gesagt haben würde, Hütte
cr erfahren, ich habe das, was er durch
feinen tfleiß erworben, zu besten Ber
walterin er mich bestellt, schwächlich
preisgegeben.
Wieder zeigte sich ihm die Frau.
deren Wangen sich jetzt höher gefärbt
hatten, und deren Augen leuchteten, in
einem neuen Lichte. Wie originell war
diese Auffassung, an deren vollster
9lnTir!isitttnfVtt turnt 5ii snirttrlii iiiir'
Ich begreife jetzt, weßhalb Sie ein
Testament machen wollen," sagtc cr.
Sic wollcn dic Möglichkeit abwenden.
daß jene Verwandten je in den Besitz
Ihres Vermögens gelangen: es bedarf
aber dazu keines Testaments, das Erbe
würde jetzt an Ihre Angehörigen sal
lcn." Tas weiß ich," antwortctc sic. und
cbcn das will ich vermeiden."
Wieder sah cr sic verwundert an.
Wie bewandert sic in den Gesetzen war.
Er wurde etzt ordentlich gespannt, was
noch weiter kommen würde.
Ich habe Bettern und Basen, mit
denen ich nur in sehr losen Bziehungen
stehe." sprach sie weiter. ..Ich würde
ihnen aber im Falle meines Todes
meine Hintcrlasieufchait herzlich gern
gönnen, und l',e tonen aua, uir ueii
haben, aber nicht Alles, die weitaus
groucrc Haltte mim an die Angehöri
gen meines Mauncs fallen."
Wic Sie wollten !" riet er, iiber-
rafcht cinponckiielleud.
Ich muß!" war ibre scste. ruhige
Antwort. Ich bin das dcr Gerechiig
Zeit wicderum sckuldig. Und nun. ver
clirtcr Herr Toktor. bittc ich: machen
Sie mein Testament!"
Tie letzten Worte wurden mit einem
Aiiflug von chelrncrci gclprochcn
dann entnahm sie dcr Mappe ein Blatt
Papier und diklirlc dcm Toktor. dcr
cincn Stift griffen hatte und fich aus
einem Blatt Notizen machte, eine ziem
lich lange Reihe von Namen und bei
jedem die Summe, die sie sür den Be
treffenden bestimmt hatte.
Es ist Keiner vergesse." sagte sie
iiackdem ste geendet, und noch eine
größere Summe siir etwa eintretende
Fälle übrig gelassen. Nicht wahr. Sie
mache,, nun das Testament recht bündig
und kurz?"
Wie Sie befehlen, gnädige Frau!
Es klang, als sei Bollrath mit seinen
Geturnten nicht recht bei dcr cackjc.
Und die Angelegenheit kommt bald
zur Erledigung"
Heute, morgen, so bald Sie wollen
Auf eins muß ich Sie aber aufmerksam
machen, im Falle Jhrcr Wicdervcrhci
rathung "
Ich werde mich nicht wieder verhei
rathen!" fiel ste ihm in s Wort.
Sie find noch so jung!"
ES kommt nicht immer aus die
Jahre au."
Bei Ihrem Gerechtigkeitssinn
Was hat damit mein Gerechtigkeit-:?
stnn zu schaffen?"
Müssen Sie einsehen, daß es sehr
ungerecht wäre, wenn Sie alle die
Ihnen verliehenen Borzüge, so sehr ge
eignet, einen Mann zu beglücken, einem
solchen vorenthalten wollten."
Man hat Sie nur nicht umsonst al
einen sehr gewandten Anwalt gerühmt
Herr Toktor!" sagte ste, sich erhebedn
Tnrste ich mein eigener Anwalt
ein!" Er war aufgesprungen und er
griff lebhaft ihre Hand.
Herr Toktor!" ie trat erschrocken
einen Schritt zurück.
Berzeihung!" Er hob zitternd die
Hände. Gehen cie nicht im Unwil
len von mir, gnädige Frau! Ich wollte
-ie nicht beleidigen. Was mich er-
griff, ist keine fluchtige Laune, kein
plötzliches Aufwallen, ich bin kein
ungling mehr, sondern ein reifer
Mann und bin doch zum ersten Mal im
Leben der Frau begegnet, von der ich
weiß, da); sie die einzige ist, die ich
wahrhaft liebe, die mich dauernd be-
glucken kann!
Erlösen ie mich vom chickfal eines
alten Hageljtolz, das mir entsetzlich er
scheint, seit ich Sie kenne!" fügte er
treuherzig hinzu.
Was wurden zk von mir denken,
wenn ich Ihren Bitten sofort nach
gäbe?" fragte sic, sich zu dcm in gc-
bnckter Haltung vor ihr stchcndcn Toi-
tor ncigend.
Taß Sie die anbetungswürdigste
und vernünftigste rau stnd!" rief cr,
emporschnellend.
Anbetungswürdig und vernünftig!
lächcltc sic. Laffen Sie mich das letz-
tere sein und gönnen cte mir Zeit."
Er zog ihre Hand an seine Lippen
und bcdcckte ste mit Küssen.
Gemach, gemach!" wehrte sie. Noch
habe ich nichts versprochen. Bor allen
Tingen setzen sie mein Testament auf!"
Tarf ich Ihnen den Entwurf brin-
gein
Ei, Sie haben doch keine Zeit, zu
Klienten in deren Wohnungen zu
gehen:
Ach!" seufzte er mit einem betrüb-
ten und doch glücklich lächelnden Geficht
Es ist in dieser stunde mit mir eine
solche Umwandlung vorgegangen, daß
von meinen Anschauungen und Gcpflo
genheiten nicht mehr vicl übrig gcblic
bcn ist. Räumen Sie auf mit dem
:,cst!"
An dcm Entwurf, dcn Toktor Boll-
rath schon am nüchstcn Tage in die in
einer Borstadt mitten im Garten bele-
gene Wohnung von Frau Eveline Tim
mendorf brachte, mußte wohl noch
mancherlei zu ändern sein, denn er
nahm ihn nnvollzogen wieder mit, und
es war bei den weiteren Besuchen, die
er der Tante machte, nicht mehr davon
die Rede.
Tas nächste Schriftstück, das Beide
mit einander verfaßten, war die An
zeige, da toltor Lukas Bollrath.
Rechtsanwalt und Notar, sich mit Frau
Eveline Timmendorf. geborenen Bodeck,
verlobt habe, und woliin dic qoldum-
rundete Karte kam. schlug sie wie eine
Bombe ein.
Nun waren die Meinungen getheilt.
Bon der einen Seite behauptete man.
dic Frau Timmcndorf fci arm wie cinc
Kirckenmaus. und die ganze Testa-
mciltsgefchickte nur von ihr erfunden,
um in geschickt Weise an den vermo-
gendeu Notar heranzukommen und ihn
zu kapern: von der anderen erklärte
man. der Reichthum, den die Tante in
ihrem Testament an lackende Erben zu
vertheilen gedachte, bade Vollrat!, der
gestalt verblendet, daß er sick ohne Be
sinnen unter das Ehejoch gebeugt.
inior ouratv uno leine Gannt
denn das ward Eveline Timmendorf
einige lochen spater. liefen fick von
all' diesem Gerede wenia an'elcii.
ie braiickien die Welt nicki. denn ste
waren einander genug, bekanntlich n--
de aber gerade solche Leute am meisten
gejuckt und besitzen eine große Anzahl
guter sviciinde.
Als dem Toltor nack Jahresfrist fei
Erstgeborener in die Arme gelegt ward,
da beugte er sich zu der dleick und selig
in den schnccweißen Kiste liegenden
Gattin nieder, druckte einen Kuß auf
ibrc Stirn und flüsterte: Jetzt ist das
Testament gemackt."
?dnorm, iljf in früherer Zeit.
Im Jahre 027 war die Warme in
Teutfchland und Frankreich so stark,
daß viele Quellen versiegle und eine
große Anzahl Menschen in Folge 'Was
serniangels verschmachtete: 7i mußten
die Feldarbeiten der Hitze halber lan
gere Zeit eingestellt werden. In, Jahre
I"" trockneten dic kleinen Flusse aus.
die Fische faulten, Epidemien cminiM:
den. die Jahre lang andauerten, ljr.o
fiele wahrend der Schlacht auf dem
Marfchselde (Niederlage der Ungarn
unter Bela mehr Soldaten durch H,p
schläge al durch die Waffe. l:io::
waren Rhein. Toiiaii. Seine. Loire
und zahlreiche andere Flüsse zum jlnil
ausgetrocknet: viele Menschen und
Thiere kamen durch die Hitze um, die
Ernte verbrannte. 14X war die Elbe
so seicht, daß man an etlichen Stelle
mit Wagen hindurchsahren tonnte.
Tie Sommer von I',. I.'.ni! ,,d
!'!" waren ebenfalls heiß, im nächsten
Jahrhundert die Sommer von I '!,',,
liili und lti7!i. Im Jahre 1715 reg
liete es vom Mai bis Oktober nur ive
lüge Male, das Getreide verbrannte, die
Flüsse trockneten ans, Wälder nitzmi
deten sich, zahlreiche Menschen und
Thiere starben in Folge der Hitze und
des Wassermangels. Im Juli 17!;l nun
die Hitze so stark, daß die Pflanzen ver
dorrten, die Bauiiifrüchtc vertrockneten
und Fleisch innerhalb einer Stunde
faulte. In dem gcgcuwärtigcii Jahr
hundert zeichnete sich besonders der
Sommer 1811 durch Hitze und außer
ordentliche Tiirre aus: in Berlin stieg
die Temperatur auf 3.', Grad E.. (lu-l
Gr. F.), in Paris sogar auf 40 Grad.
Ein schöner Komet stand eine Zeit laug
glänzend am Nachthinimel: dcr Wein
gcricth ausgezeichnet (berühmter Ko
mctcnnicni"). 1832 war die Hitzc von
dcr Eholcra bcglcitct, die namentlich in
Westdeutschland und Frankreich viele
Qpfer forderte, in Paris allein 2",",,.
Tenkwürdig trockene und heiße Svin
mer brachten ferner die Jahre 18-lti,
18..7, 18,,... 1874 und 18' '2 tt'holera
in Hamburg).
Tcr eingemauerte Derwisch.
Eine ergötzliche Geschichte, die mit der
Art und Weise zusammenhängt, wie in
Persien schulden und Almosen emkas-
strt werden, weiß der in Tiflis erfchci
nende Kantafiisbote" zu erzählen.
Wenn der persische Gläubiger entfchlvf-
fen ist. fein Geld zu bekommen, mahnt
er einen Schuldner in aller Früh und
entfernt fich nicht eher, als bis er be
friedigt ist. Er bringt feinen Teppich
in das Hans mit sich, fetzt fich im
Schlafzimmer feines Schuldners nieder
und ißt, trinkt, raucht und schläft dort
so lange, bis er bezahlt ist. Bor einer
Reihe von Jahren hatte ein Perser eine
-chuldsorderunq an das enqlilche Aus-
wärtige Amt odc.r bildcte fich wenigstens
ein, eine solche zu haben. Eines Tages
reiste er von Teheran ab. und nachdem
er viele Abenteuer bestanden hatte.
langte er glücklich in London an, rollte
feinen Teppich zusammen und begab
fich in aller Gentüthsruhe nach dem
Foreign Office" das er sür eine Per-
son hielt, um die Befriedigung seiner
Schuld zu ersitzen. Lord Palnierston
nahm die Sache in gutem Humor ans,
aber Mr. Hämmernd, der Staatssekre
tär, schickte nach einem Polizisten. Aus
viel originellere Weise ist neuerdings
cm ruisischcr Tiplomat ,n chcran,
Graf Kolomeifoff, mit der cigcnartigen
,'erfonllcken citk fertig geworden.
Gelegentlich eines großen Festtages be
suchte ihn ein Bettel-Terwifch und ver
langte eine ziemlich hoch firirte Summe
als Almofen: das Geld wurde ihm aber
von dem Schuldner", so sehr er fich
durch die hohe Einschätzung geschmeichelt
fühlte, verweigert. Ganz' gemüthlich
ließ fich nun der Terwi'ch vor dem Ar
beitszimnier des Tiplomatcn nicdcrund
crhob unzählige Malc am Tagc. abcr
auch dcs Nachts, cin gräizlichcs Gcschrc,
und blics noch dazu auf einer Trom
pete, als ob der jüngste Tag erschienen
fei. Ter Graf, der fich Anfangs in
feiner Ruhe nicht stören ließ, beschloß
schließlich doch, sich des Terwifchs, ohne
Zuhilfenahme dcr unzuverlässigen Per-
tchcn Polizei zu entledigen. Ange-
rührt dars der Mann nicht wcrdcn.
Tcr Graf ließ daher Maurer kommen
und den hculcndcn Bettler mit cinrr
Mauer umgcbcn. Anfangs sah der
selbe gelassen zu. wie die Mauerwuchs:
als er aber beincrktc. daß dic Sachc un
gemüthlich wurde, sprang cr übcr den
niedrigste Zbcil der Mauer und rannte
wie ein Besessener davon. Ter Graf
ist wahrscheinlich dcr erste Europäer,
der übcr cincn Tcrwifck als Gläubiger"
den Sieg davontrug.
?cr Kartoffclordcn.
Rock wenig durste die Thatsache be
sannt fein, daß die Kartoffel, wela
beute als Nahrungsmittel unentbehrlich
ist. einst Veranlassung zur Sii'tung
eines Ordens gegeben bat. Ties ge
schad im Jahre 142 durck den Kaiser
von Rußland. Terfelbe wußteZ kein
wirksameres Fvrdcrungsmittcl für die
Verbreitung der Karto"eln. als daß cr
jedem feiner Unterthanen, welcher den
Kartoffeldau mit Auszeichnung betrieb,
eine besonders hierzu geprägte Medaille
gab. welche man den Kartof'elorden
nannte.