Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 04, 1898, Image 10

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Reben einem icbttnlaft war er ge
brltet treiben bei seinem Eintritt in die
Wett, und fein erster Schreihatte fein
eingettungen in den UfUn Seufzer fei
ner Mutter. Verzwkiselte Thränen
und wilde Verwünschungen hatten sein
Kommen begleitet, und glühenden Hak
hatte der Vater ,hm als Willkommen
grüß entgegen gebracht. Ader noch
kehrte er sich nicht daran, der Pracht
junge mit seinem Gewicht von zehn
Pfund und den Handen und Füßen
eine Zweijährigen. Ahnungslos
schlummerte er seinem trostlosen La
sein entgegen.
Mit finsterem Blick und zusammen
gepreßten Zähnen stand der Bater vor
seinem Lager. DaS junge Geschöpf
streckte sich behaglich und daS dicke. kredS
rothe Geftchtchcn verzog sich zu allerlei
kuriosen Grimassen.
.Tollpatfch !" knirschte der Mann,
und im grimmigen Schmerz packte feine
Hand den Wagen und schüttelte ihn. so
daß der Kleine in ein gräßliches Geschrei
ausdrach. Der Schmerz um da
Verlorene machte den sonst so beson
nenen Mann ungerecht und grausam.
.Ouülen! Qualen!" ächzte er.
.Ach, leiden sehen, wie ich leiden muß !
Mit einem vorwurfsvollen Blick
wehrte die junge Schwester der Ver
ftorbenen diesem unsinnigen Thun.
Sie beugte sich schützend über daS
weinende Kind.
.Nimm ihn fort ! Ich kann ihn nicht
sehen l" schrie der unglückliche Mann.
.KlauS, eS ist Tein Kind und eS ist
ja schuldlos !" schluchzte daS Mädchen.
.Er ist der Urheber meines Elen
des ! Ich werde ihm nie Liebe geben
können! Niemals! Nimm ihn fort,
sage ich Tir !" rief er drohend. Und
weinend gehorchte sie.
.HanS Joachim" hatte man ihn ge
tauft, aber Tollpatsch wurde er ge.
nannt, und bald hörte er nur noch auf
diesen Namen. Wie daS gekommen
war. wußte Niemand. Nur einmal
batte der Vater ibn so genannt, in
im Stunde der Verzweigung, als
sein junges Weib kalt und bleich neben
dem Neugeborenen lag.
..Kleiner süßer Tolldatsch !" nannte
kosend die Tante den dicken Burschen
der mit einem Jahr schon so groß und
klug war. wie ein Zweiianrige?. uno
.Dummer, unaenoaener Tollpatsch!
schalt die alte, brummige Magd, wenn
er sich an ihre Kleider hängte und
dann in stürmischer Weise ein Verlangen
kund aab.
AIS Hans Joachim vier Jahre alt
geworden war. verheirathete sich seine
iunae Tante, und eine Fremde kam
in's 5aus. fnlfloS war der Kleine
der Willkür dieser rohen jähzornigen
Person preisgegeben. Niemand war
da, der ihm stützte. Sein Vater, ein
finsterer, menschenscheuer Mann, hielt
fest an dem Gefühl, daS er dem Kinde
bei seiner Geburt entgegen gebracht
batte.
Ebenso wie körperlich war der Knabe
auch geistig seinen Altersgenossen vor
aus. Bald begann er zu begreifen,
daß er in diesem Hause gehaßt wurde,
und der sonst so lebhafte Junge wurde
still und scheu. Wie ein geprügelter
Hund verkroch er sich vor dem Vater,
und wenn einmal eine Begegnung doch
nicht zu vermeiden war, dann blickte er
mit rührender Angst zu dem strengen
Mann auf und ein : Vergieb mir.
daß ich auf der Welt bin 1" war in den
bangen Kinderaugen zu lesen.
Die Jahre vergingen, und eS kam
eine Zeit, wo der Vater feine dumpfige
Trauer abstreifte, wo feine Stimme
minder heftig durch das HauS scholl,
und wo er sich nicht mehr so ängstlich
von dem Verkehr mit Menschen ab
schloß, und dann kam ein Tag. an
dem die alte Haushälterin mit mürri
schern Gesicht ihre Sachen packte, um
daS HauZ zu verlassen.
.Morgen kommt Deine neue Mut
ter. Tollpatschi" fuhr sie den Knaben
barsch an. Die kann sich dann mit
Dir unnützen Rangen abquälen ! Ich
bin froh, daS ich'S nicht mehr nöthig
babe !" Am andern Morgen stand der
Kleine dann vor einer blutjungen zar
ten Frau, die ihm die Hand gab und
ihn HanS Joachim nannte. DaS war
seine neue Mutter.
DaS Kind spürte nicht viel davon,
daß eS jetzt eine Mutter hatte, denn sie
kümmerte sich ebensowenig um ihn wie
der Vater. Nur bessere und reichlichere
Nahrung bekam er und nicht mehr so
viel Püffe und Schläge und rohe
Schimpsmorte für jeden zerrisienen
Strumpf und jeden Fleck im Kiltelchen.
Aber daS war ja schon so Viel für den
armen Tollpatsch, ein Himmel gegen
die Hölle der verflossenen Jahre.
Wohl sehnte sich sein kleines Herz
nach Liebe mit jenem heißen stürmischen
Verlangen, wie eS vernachlässigte Kin
der nur kennen. Aber er war ja so
vernünftig, der dicke häßliche Bursche.
Wie ein kleiner Held zwang er jedes
Begehren nieder, denn er fand eS ja
natürlich, daß man ihn verstieß. Wer
mochte ihm, dem dummen Tollpatfch.
dem Taugenichts, dessen Dasein daS
Leben der Mutter gefordert hatte, wie
ihm die alte Magd fest täglich vorpre
digte, wer mochte ihm wohl Liebe
geben?
Eines Morgens, als er aus der
Schule kam, tönte ihm aus der Eltern
Schlafzimmer ein feincS Stimmchen
entgegen. Betroffen horchte er auf.
Ader er durfte ja nicht neugierig sein ,
und ft:ll sitzte er sich an sein Spieleck
chcn. Komm mit. Tollpatfch! Du sollst
mal da? kleine Schwcstnchen fedrn, da?
heute Morgen angekommen ist !" sagte
das Mädchen und nahm den Knaben
tu der Hand.
r. M,,, ieuAHiert rtiif
4.1? tflilltl? uw. v .. .
.Ich hab' ein Schwesterchen be
kommen?' fragte er staunend.
.Ja. Du dummer Tollpatfch. Ader
tu darfst eS nur mal ansehen, nicht
anrühren. ES ist so fein und zart;
tu würdest eS mit Deinen großen Hätt
den noch zerdrücken."
Sie führte den Kleinen zu einem,
mit blauer Seide gefütterten Korb neben
dem Bett der Mutter und ließ ihn hin
einsehen.
.Ach. wie süß. wie schön !" flüsterte
HanS Joachim, und er tippte behüt
sam mit der Spitze des Zeigefingers an
das dunkle Köpfchen des schlafenden
KindeS.
Bleich und erschöpft ruhte die junge
Mutter in den weißen Kissen. Nach
denklich streifte ihr Blick daS Gesicht deS
Knaben, auf welchem sie zum ersten
Male, feit sie ihn kannte, ein glückliches
Lächeln sah. und ein seltsames Gefühl
stieg in ihr auf. Sie dachte an das
Kind, dem sie heute daS Leben gegeben,
und daran, wie eS wohl fein würde,
wenn sie von ihm gehen müßte. So
verlassen, so arm an Liebe wie jene?
fremde, würde dann vielleicht auch ihr
eigenes fein. Wie ein Stein am Wege,
den man achtlos mit dem Fuß bei Seite
stößt. Sie richtete sich halb auf und
blickte mit banger Sorge hinüber zu ih
rem Kinde, und da traf ihr Blick die
Augen des Kleinen, diese reinen Kinder
äugen, in denen jetzt ein zärtlicher
Schimmer lag. Und jetzt ergriff sie ein
inniges Erbarmen mit dem armen ver
nachlässigen Kinde, an dem sie die Mut
terpflichten so schlecht erfüllt hatte, und
etwa? wie Reue stieg in ihr auf.
.Komm einmal her zu mir, HanS
Joachim !" rief sie.
Scheu und zögernd trat der Gerufene
an das Bett. Da umschlang sie das
Kind mit ihren Armen, drückte da?
blonde Köpfchen an ihre Brust und
küßte feine Stirn. Wie verzaubert
starrte der Junge sie an und als sie ihm
zulächelte, fo zärtlich, da überwältigte
ihn schier die Freude, das Glück. Er
stieß einen Laut aus, der halb wie
Jauchzen, halb wie Weinen klang, und
mit wilder Zärtlichkeit drückte er feine
Lippen aus Mund und Wangen der
Stiefmutter, als wollte er sie mit seinen
Küssen ersticken. Dieser stürmische Ge
fühlZauSdruch deS sonst so scheuen Kin
deS flößte ihr Schrecken ein ; erbleichend
drängte sie ihn zurück. In diesem Au
genblick trat der Vater in's Zimmer.
.Nimm ihn fort," flüsterte die junge
Frau, .er ist so wild; ich fürchte mich
vor ihm!"
Zornig packte der Mann den Knaben
beim Arm. Bengel, willst Du mir
noch einmal mein Glück vernichten?"
knirschte er und schleuderte den Kleinen
von sich, so daß er gegen die Wand
taumelte.
Langsam erhob HanS Joachim den
Kopf und sah den Vater an. Ein großes
unverstandenes Leid, der Jammer des
gequälten Thieres lag in den Blick der
Kinderaugen. Aber auch etwas wie
Haß glomm darin auf. Jetzt zum er,
ften Male sah er seinem Vater ähnlich,
Sitill ging er hinaus.
In der Nacht erwachte der Kleine
durch ein lauteS Poltern auf dem Gange.
Er fetzte sich im Bettchen auf und
lauschte. Da hörte er die Stimme fei-
neS Vaters, aber sie erschien ihm so ver
ändert, fo fremd.
Lassen Sie mich!" schrie der Mann,
ich will ihn tödten, den Buben den,
Mörder!"
Förster, so feien Sie doch vernünf
tig!" sagte eine andere Stimme, das
Kind trügt keine Schuld. Die zarte
Frau ist an Erschöpfung gestorben, nicht
vor Schreck, wie Sie sich einbilden. Ich
als Arzt muß die Todesursache doch am
besten kennen!
Voll Entsetzen sprang HanS Joachim
aus dem Bett und stieß die Thür auf.
Da sah er seinen Vater mit wirrem
Haar und blutunterlaufenen Augen von
den Armen deS nefenflarken Arztes um
fchlungen, mit denen er rang wie ein
Wahnsinniger. Sein Blick traf da?
zitternde Kind und mit wilder Kraft
strebte er vorwärts. Doch im letzten
Lugenblick wurde HanS Joachim zurück
geriffen und die Thüre seines Zimmers
verriegelt.
Na Junge, diesmal hab' ich Dich
gerettet!" sagte daS alte Mädchen, nun
komm' ihm man blos lieht unter die
Finger! Er schlägt Dich wohl sonst noch
rein todt! WaS bist Du aber auch für
ein Tollpatfch. für ein UnglückZbengel I
Nun ist die neue Mama auch todt und
Xu bist schuld daran I"
Ader ich that ihr ,a doch Nichts."
schrie da daS Kind auf. ich wollte sie
a nur lieb haben, ach so lieb!"
Na. ja. mit Deinem dummen Lieb
haben haft Du ihr einen solchen Schreck
eingejagt, daß sie todt blieb! Für sol
ches Liebhaben dank' ich! Junge!
Junge!" seufzte sie dann, und wie im
plötzlich erwachten Mitgefühl fuhr sie
ihm mit der Hand über das blaffe Ge
sicht. Für Dich wäre eS am Besten
gewesen, wenn Du damals mit Deiner
Mutter gleich mitgeftorben wärest! Was
willst Du UnglückSwurm noch auf der
Welt ?"
DaS Kind nickte ernsthaft. Er begriff
eS ja : Für ihn wäre eS schon das Beste,
wenn er da draußen auf dem Pillen
Friedhof neben seinem tojicn Mütter
chen liegen könnte.
Tage lang mußte HanS Joachim sich
vor dem Vater verborgen halten, und
erst als der erste große Schmerz deS
schwergetroffenen ManneS sich gelegt
hatte, durste der Knabe fein Zimmer
derlgn,.
Der Schmerz über den Verlust seiner
zweiten Frau hatte aus KlauZ Förster
einen anderen Menschen gemacht. Der
sonst so ruhige, solide Mann wurde
ausschweifend. Mit fast krankhafter
Gier stürzte er sich in den Strudel deS
GroßstadtlebenZ, um Vergeffen zu fu
chen. Ganze Tage und Nächte verbrachte
er außer dem Haufe, und bald wurde
eS dem heranwachsenden Sohn klar, wo
der Vater weilte. Wein und Karten,
daZ waren die Mittel, mit denen er sich
zu betäuben, seinen Schmerz zu stillen
suchte. Selbst nicht die abgöttische Liebe
zu seinem Töchterchen hielt ihn von dem
wunen reden zurua. &x war einer
jener schwachen Menschen, die sich wehr
los von dem Sturm des Schicksals
knicken laffen und die haltlos in das
Verderben geben. Schon nach einigen
Jahren sah KlauS Förster sich gezwun
gen, daS alte, solide Geschäft. daS er
von feinem Vater geerbt hatte, aufzu
geben. Tiefer Umstand fiel in eine
Zeit, wo HanS Joachim nach kurzer
Lehrzeit einen Platz als Buchhalter in
einem bedeutenden Hvlzgefchäft ange
nommen hatte. Nun wäre der alte
Förster vollends gesunken, wenn nicht
gute, treue Freunde sich seiner ange
nommen hätten. Noch war seine Lei
denschaft für Spiel und Wein in Ge
schüftSkreisen nicht so bekannt geworden,
und eS gelang den Freunden, ihm eine
Stelle als Kassier in einem Bankge
schäst zu verschaffen. Dieses Geschüft
stand mit demjenigen, worin HanS
Joachim arbeitete, in Verbindung.
KlauS Förster hatte noch immer
einen Rest von seinem alten Ehrgefühl.
Er machte seinen Gönnern keine
Schande. Während der Geschäftszeit
nahm er sich zusammen. Er blieb
nüchtern und arbeitete mit Besonnen'
heit, aber die Nächte gehörten ihm und
seiner Leidenschaft. Sein Körper litt
unter diesem aufreibenden Leben. Kaum
fünfzig Jahre alt, glich er einem müden
GreiS.
Hans Joachim verließ da? Vater
haus, fo bald er das erste selbst ver
diente Geld in der Tasche hatte. Seine
Schwester, ein liebliches, dunkeläugiges
Mädchen, die er über Alles liebte, be
suchte er nur, wenn der Vater nicht da
heim war. Diesen sah er nur. wenn
er in dem Bankgeschäft von Gebrüder
Hartmann Etwas zu besorgen hatte,
was manchmal vorkam. Vater und
Sohn verkehrten dann wie Fremde mit
einander.
Eines Abends, unmittelbar vor Ge
schäftsfchluß, trat der junge Mann in
das Komptoir von Gebrüder Hartmann,
um eine größere Summe einzuzahlen.
Der alte Förster faß noch arbeitend hin
ter dem Schalter, während die übrigen
Angestellten sich zum Fortgehen anfchick
ten. Wortlos schob HanS Joachim den
Betrag in Gold und Papnr dem Vater
hin. Dieser- hob den Kopf und der
Sohn erschrak über sein Aussehen. Die
Lugen mit dem düsteren Blick lagen
tief in ihren Höhlen, das graue Haar
hing ihm wirr an die Stirn, das Ge
stcht war &elb und eingefallen. Wie
Wetterleuchten zog eS plötzlich über daS
müde Antlitz des ManneS. als sein
Blick daS Gels streifte. Mit einer fast
wilden Haft überzählte er die Summe
und strich sie dann ein, und mit zittern
der Hand füllte er das OuittungSfor,
mular au, welches er dem Sohn dann
hinschob.
Bitte. Vater, den Stempel!"
mahnte dieser leise.
Ein räth elha ter Blick, halb Angst.
halb Zorn, traf den jungen Mann,
dann wurde sein Begehren erfüllt.
Betroffen schaute HanS Joachim auf
daS Papier. Er kannte die sonst fo
schöne, feste Handschrift serneS Vaters
nicht wieder. ES war, als babe ein
Fremder die Worte und Ziffern ge
schrieben, so verschwommen und unle
ftrlich standen sie vor ihm auf dem
Schein, und auch der Stempel war nur
mangelhaft aufgeprägt. Ein uner
klärlicheS Angstgefühl stieg plötzlich in
ihm auf und voll banger Ahnung ver
ließ er das Lokal. Die Quittung nahm
er, da er diese Besorgung aus dem
Heimwege gemacht hatte, mit nach
Hause. Sein Chef, der ein unbegrenz
teS Vertrauen in ihm fetzte, hatte ihm
Dieses gestattet.
Der andere Tag war ein Sonntag
und HanS Joachim schlief länger IS
gewöhnlich. Er war eben mit seines
Toilette fertig, als plötzlich stürmisch
die Thür seines Zimmers aufgeriffen
wurde. Bleich und verstört stürzte feine
junge Schwester in das Gemach.
Erschrocken eilte er ihr entgegen.
Ach, HanS Joachim, der Vater!"
schluchzte das Mädchen auf, O, hilf
ihm doch ! O. bitte, bitte !"
.Sprich. Ruth, was bat sich zugetra
gen? Und wie kann ich helfen?" forschte
der junge Mann athemloS.
.Ach. Bruder, ich habe Schreckliches
erlebt!" weinte sie. Sieh. Diese?
habe ich dem Vater soeben aus der
Hand geriffen! Ich kam gerade zur
rechten Zeit I"
Sie zog aus der Tasche einen kleinen
Revolver. HanS Joachim nahm die
geladene Waffe an sich.
.Der Bater hat mir AlleS gestan
den!" schluchzte das Mädchen. Er
hat in der vorgestrigen Nacht eine große
Summe verspielt. Spielschulden!
tilgen
Ehrenschulden !" lagt er. und da er
nicht d,e i'Mttl de'aß. sie zu
da "
Die Hände vor das Gesicht schlagend
brach sie ad.
.Da wurde er zum Betrüger I So ist
eS doch. Ruth?" sagte der junge Mann
mit seltsam harter Stimme.
Nein, nein ! Er halte ja den ehr
lichen Willen, die Summe, die Du
gestern bei ihm einzahltest, zurück zu
erstatten. Er hoffte, daß er in dieser
Nacht gewinnen würde, aber er verlor
wieder, immer wieder. Und morgen
muß er das Geld abliefern, und wenn
er eS nicht vermag, dann C HanS
Joachim !" schrie sie dann aus. Er
ist ein alter kranker Mann und er ist ja
auch Dein Vater I atz ihn nicht ganz
elend werden ! Rette ihn l
DaS vermag ich nicht, Kind ! Ich
bin ja nicht im Besitz einer so großen
Summe! Meine ganzen Ersparnisse
sind ein paar Hundert Mark, also kaum
so viel, wie der kleinste Theil deS ver
spielten Geldes l"
.Ach. daS weiß ich ,a. Bruder, und
so meine ich eS auch nicht. Du müß
teft Sie vermochte nicht, eö auszu,
sprechen, aber er errieth, waS sie ver
langte, und daS häßliche Geficht nahm
plötzlich einen harten, finsteren AuZ,
druck an.
.Du forderst von mir, daß ich meine
Ehre für die deS VaterS opfern soll?
fragte er drohend.
Sie schwieg. Doch plötzlich hob sie
den Kopf und in den verweinten Augen
blitzte eS auf wie e:n HoffnungSfchlm
mer.
.Nein, nein, ich weiß einen AuS
weg!" rief sie erregt. .Du mußt sagen.
Du habest daS Geld verloren, oder eS
sei Dir geraubt."
Du thörichtes Kind, Niemand
würde mir dieses glauben. Ich hätte
I dann schon gestern Abend mich mtv
nein Prinzipal offenbaren und eine An,
zeige bei der Polizei erstatten müssen.'
Sie rang verzweiflungsvoll die Hände,
.Aber Du darfst ihn doch nicht vev
derben lassen. Du mußt ihn retten !"
jammerte sie. .Ach. HanS Joachim.
ich bitte ja für keinen Fremden. Auch
Du bist ja fein Kind."
Ja fein verachtetes, gehaßtes, miß
handeltest" sagte der junge Mann
bitter.
In ihrer Herzensangst schien sie seine
vorwurfsvolle Klage zu überhören, und
die Liebe zu ihrem Viter und daS Ver,
langen, ihn zu retten, machte sie fast
grausam gegen den Bruder.
Hilf ihm," bat sie, nimm die
Schuld auf Dich. Du bist noch jung und
Dir steht die ganze Welt noch offen ! Tu
kannst fliehen und Dir wo anders ein
neues Glück gründen I Unser Vater aber
ist alt und krank. Er kann kein neues
Leben mehr beginnen. Er würde in
der Fremde sterben!"
Sie griff nach feiner Hand, aber er
zog sie zurück, und fein blaffeS Gesicht
nahm einen harten, trotzigen Aus
druck an.
Du forderst Unmögliches von mir.
Ruth, ich kann eS Dir nicht gewähren.
sagte er. Ach, Kind, hättest Du meine
elende, trostlose Kindheit gekannt, hüt
teft Du alle die Qualen und Schmerzen
gesehen, die mir dieser Vater geschaffen,
Du würdest mich verstehen und meine
Härte begreifen. AlleS hat er mir ge,
nommen, waS die Kindheit schön und
sonnig macht, sogar den Glauben an
mich selbst, denn als kleiner Junge hielt
er mich für einen erbärmlichen Tauge
nichts, für einen Mörder, und ich war so
unglücklich, wie ein Kind nur sein kann.
Aber mein wahres Elend begann erst
mit dem erwachten Bewußtsein, daß ich
schuldlos so gehaßt, so verstoßen wurde.
Und ihm. der mir AlleS nahm, soll ich
daS Höchste opfern, WaS ich besitze: meine
Ehre? Nein, Kind. daS darfst Du nicht
fordern, das ist unmenschlich."
Er wandte sich ab, doch sie umklam
merte feinen Arm.
.O. HanS Joachim," flehte sie, .wenn
Du mit dem alten Mann kein Mitleid
haft, so habe eS mit mir. Auch mein
Glück vernichtest Du ja durch Deine
Härte! Ich liebe!" sagte sie dann im
leisen innigen Ton und trotz der Schwere
deS Augenblicks flog ein liebliches Roth
in ihre Wangen. Aber mein Geliebter
ist so stolz und sein Name fo rein und
makellos. Er weiß, daß ich arm bin
und er hat mich doch gewählt, weil er
m'ch liebt. Aber wenn sich zu meiner
Armuth auch noch die Schande und ein
befleckter Name gesellen, dann wird er
mich aufgeben, und dann werde ich ganz
arm, ganz verlassen sein."
Hanz Joachim zuckte schmerzlich zu
sammen.
Denke daran, Ruth, daß ich Dein
Bruder bin und daß auch ich den Na
men Förster trage. Ob nun der Vater
oder der Bruder, dem Mann Deiner
Liebe wird daS wohl gleich fein."
Sie starrte ihn fassungslos an, dann
brau sie wie vernichtet zusammen.
Ja, Tu haft recht," murmelte sie,
so und so. Mein Glück geht in Scher
den. Der Traum muß ausgeträumt
sein. Armer Vater!" schluchzte sie
dann auf. Ich kann Dich nicht retten!
Ich kann nichts weiter, als mit Tir
sterben."
Tief erschüttert blickte der junge
Mann auf seine Schwester, wag all ihr
heißeS Flehen, war ihr Verzweiflung?
volles Jammern nicht vermocht hatten,
das that ihr wehrloses Sichfügen, das
stille Verzichtleiften auf ihr junges
Glück.
Weine nicht mehr. Ruth! sagte er
weich, ich will ja thun, wo Du be
?
aux wenigsten will ich
aus
am
dcZ
gchrft! Den
Tir retten!"
Sie rührte sich nicht. Er zog
der Tasche die Quittung, die er
vorigen Abend erhalten halte.
.Hier halte ich das Schicksal
VaterS in meiner Hand. Ader ich will
von meinem Recht keinen Gebrauch
machen! Ich will nicht!"
Er sagte eS so fest und bestimmt, als
wollte er mit seinen Worten jeden Wi
derspruch seines HcrzenS tödtm.
ES ist ganz still in dem kleinen Zim
mer. Auch das leise Weinen deS Müd
chenS ist verstummt. Nur die raschen
schweren Athemzüge deS Mannes hallen
durch die Stille. Da faßt er den Zettel
mit beiden Händen, als gehöre die
Kraft eimS Riesen zu diesem kleinen
Vernichtungswerk. Noch ein kurzer.
schwerer Kampf, dann ein Ruck, und
in Fetzen zerrissen liegt daS Papier zu
seinen Füßen.
.!" agte er dann mit emem
tiefen Athemzug, damit habe ich mich
elbft vernichtet!"
Langsam erhebt sich Ruth und tritt
zu dem Bruder bin. Ihre Arme um
schlingen ihn fest und innig.
Mein Bruder!" Mein lieber, lie,
der Tollpatsch!" flüsterte sie an seinem
Halse.
Dieses sind die einzigen DankeSworte.
die sie ihm für fein Opfer gibt. Er
lächelt wehmüthig. Er versteht sie
Tollpatfch!" Der Name seiner Kind
heit! Wie lange hat er ihn nicht mehr
gehört. So nannte einst daS kleine
Mädchen den großen Bruder, wenn eS
ihm einmal so recht seine Zärtlichkeit,
seine Liebe beweisen wollte
Er sieht mit einem langen, traurigen
Blick aus sie nieder, dann macht er sich
sanft von ihr loS und drängt sie zur
Thür.
So, nun geh , und sage Deinem
Vater, seine Schuld sei theuer bezahlt
Für seine Schmach, die Ehre seines
ohneS!"
Aber Du, HanS Joachim, was wirst
Du thun?" fragt sie besorgt.
WaS ich muß!" sagt er mit schwe,
rem Ernn. Nun aber geb zu dem
Vater!"
Ja. ich gehe, aber ich komme wie,
der! Ich muß sehen, wo Du bleibst
Ich darf in dieser schwersten Stunde
Deines Lebens nicht fern von Tir
fein!"
Die Thür schließt sich hinter ihr. Er
ist allein. Einen Augenblick verharrt
er regungSloS ; dann schlägt er sich mit
der geballten Faust an die Stirn.
O. Ihr! Ihr!" schreit er auf
Ihr fordertet zu viel! Ihr nahmt
mir AlleS!"
Wie gebrochen sinkt er aus einen
Stuhl vor dem Schreibtisch.
Und was nun?" fragt er. .Ja,
was nun!" lacht er dann schneidend
auf. Einsam sterben! WaS weiter?
Mit meiner Ehre auch mein Leben!
Sem Blick fällt aui den Revolver.
den Ruth ihm gegeben. Er nimmt ihn
auf, doch schaudernd legt er ihn wieder
hin.
Nein, daS nicht!" murmelt er. Auf
so waS versteh ich mich nicht! Hab noch
nie solch Ding in der Hand gehabt
Wer bürgt mir dasür, daß ich auch sicher
treffe. Gewiß, diesmal würde ich dem
Namen meiner Kindheit Ehre machen.
Wie ein Tollpatsch würde ich mich zum
Krüppel schießen und mußt dann doch
in'S Gefängniß! Nein, ich weiß eine
bessere TodeSart. Aber ich will bis zum
Abend warten. Solche Wege geht man
am sichersten im Dunkeln!"
Er lehnt sich zurück und ver Sllt in
dumpfes Hinbrütcn. Wie lange er so
gesessen, er weiß eS nicht. Er überhört
eS, daß die Thür geöffnet wird, und er
steht erst auf, als Ruth vor ihm steht,
bleich und verfallen.
Du brauchst nun mcht mehr zu
fliehen, HanS Joachim." sagt sie ton
loS. Der Vater ist gegangen, für
immer!"
Der junge Mann ist tief erblaßt.
.Du kamst zu spät. Ruth?"
Nein, ich habe ihm AlleS erzählt,
und er nahm die Mittheilung, daß Du
Dich für ihn opfern wolltest, mit tiefer
Rührung auf. Dann ersuchte er mich,
ür ihn eine kleine Besorgung zu
machen. Ich blieb kaum eine Stunde
ort, und als ich wiederkam, da war es
geschehen. Er hat Gift genommen."
Sie sprach das Alles in so müdem
Ton, als erzähle sie eine ganz gleich
giltiqe Geschichte.
Und dieftn Brief ließ er für mich
zurück!" Sie reichte ihm daS Schrift
stück und er laS:
Mein Kind! So tief gesunken ist
Dein Vater doch noch nicht, das Opfer
anzunehmen, das ihm fein gehaßtes,
verstoßenes, verlassenes Kind bringen
will. Nur für einen einzigen kurzen
Augenblick kam die Versuchung über
mich, meine Schuld auf Deinen Bruder!
zu wälzen. DaS war, als ich mit ver
stellt Hand die Quittung schrieb.
Aber gottlob, ich unterlag nicht. Ich
habe meinen Sohn gehaßt seit seinem
ersten Athemzuge, aber der nahende Tod
löscht alle Leidenschaften aus. auch den
Haß. In dieser Stunde segne ich ihn.
Tich. mein Kind, laß' ich in guter Ob
Hut zurück. HanS Joachim ist treu und
stark und gut. Er wird Dich schützen.
Tu wirft nicht verlassen sein. Nun
lebet wohl, Ihr meine beiden Kinder
und verzeihet
Eurem unglücklichen Vater."
Schweigend faltete HanS Joachim
den Brief zusammen. Er ift naß von
seinen Thränen. Tann tritt er zu der
Schwester hin. Seine große Hand
gleitet sanft über daS gesenkte Köpfchen.
D'iS Mä-chen n-hl mit einen müden
Blick zu ihm auf.
Wa? nun?" fragte sie leise.
Tu bleibst nun bei mir!" antirrrtct
er und sie nickt.
.BiS Tich eines TlgcS ein gewisser
emario ocm oummcn 4 0upcnw) eni
führt!" versucht er zu scherzen.
Sie schüttelt wehmüthig den Kopf,
aber ganz leise zieht e? wie ein Hoff
nungsschimmer über daS stille Gesicht.
Er sieht eS. und er ist zufrieden.
Tt (Chemann läge.
itf.iu ln,'drr:ik Cluvt
Habt Erbarmen
Mit mir armen,
Vielgeplagten Ehemann !
Bittres dnld' ich
Ganz unschuldig.
Mehr als ich ertragen kann.
Denn die Weib treiben', ach !
Immer schlimmer heutzutag',
Machen täglich
Unerträglich
UnS das Leben nach und nach.
Meine Modeln
Sämmtlich radeln
Um die Wette, ach wie schön !
Meine Alte
Werd' ich balde
Ebenso mitstrampeln seh'n.
Nur mich selber, ach wie schad' !
Lassen niemals fte aus's Rad :
.Du lernst'S nimmer."
Heißt eS immer,
Trink' Du Bier und spiele Skat."
Meine Jule
Geht zur Schule
Schon so ziemlich dreizehn Jahr.
Und die Grete,
Meine zweete.
Lernt das Geigenfpielen gar.
Meine jüngste Tochter geht
Auf die Universität.
Spricht französisch.
Treibt chinesisch,
Und ftudirt von früh bis spät.
Meine Nichte
Macht Gedichte
Mit unglaublichem Geschick.
Meine Tante,
Die bekannte,
Setzt sie lieblich in Musik ;
Meine Schwiegermutter dann
Singt sie, daß mir armen Mann
Von dem Sänge
Angst und bange
Und ganz elend werden kann.
Doch am meisten
Thun sie leisten
In der Wirthschaft zweifellos.
Zwar im Stricken,
Nähen, Flicken.
Sind sie nicht besonders groß.
Doch im Kochen fehlt eS nie,
Denn sie können ja Ehemie!
In der Küche
Die Gerüche!
Unbeschreiblich, sag ich Sie.
Trotzdem neulich,
'S war erfreulich,
Kam ein Freier o herrjeh !
Leider hat ihn
Meine Gattin
Da behalten zum Diner.
Gerne ließ er eS geschehen,
Aber bald. daS war nicht schön !
Griff voll Muthe
Er zum Hute.
Ging, und ward nicht mehr gefeh'n.
Trumm ihr Männer,
Ich als Kenner
Rath' euch, nehmet euch kein Weib.
Tenn der Ehe
Ach und Wehe
Ist ein schlimmer Zeitvertreib.
Anfangs glaubt ihr wohl eS fei
Ewig eurer Liebe Mai
Macht erst Staat sie,
Fährt erst Rad sie,
Reißt der schöne Wahn entzwei.
A. Herrman Vogel.
Mozart und seine Frau
treten uns recht deutlich vor Bugen in
einer Familienscene, welche sich um daS
Jahr 1781 abgespielt hat. Mozart war
bekanntlich ohne feste Anstellung und
auf den Ertrag feiner Composttionen,
ow:e vereinzelter Konzerte angewiesen.
Konftanze, feine vortreffliche Gattin,
chenkte ihm innerhalb neun Jahre
echS Kinder, vier Söhne und zwei
Töchter. Krankheiten, nothwendige
Badereifen und Todesfälle schmälerten
oft die Mittel für die täglichen Bedürf.
niffe deS Körpers. Allein die edle Kon
stanze war bemüht, eS Mozart nicht
merken zu lassen, sie wußte auszu
gleichen und zu verhüllen, um dem
Genius ihres ManneS die Sorgen, die
sie felbft drückten, möglichst fern zu hal
ten. Wie Mozart aber häusliche Noth,
welche ihm nicht verborgen bleiben
konnte, mit Humor und Ergebung
trug, ift wahrhaft rührend. Der
Hausmeister der Weinwirthfchaft .Zur
silbernen Schlange" in Wien, die
Mozart bisweilen besuchte, hatte von
öfteren Verlegenheiten deS Meisters der
nommen und kam an einem kalte
Wintertage nach Mozart'S Wohnung,
um dort ein paar Flaschen Wein in
Gedanken stehen zu lassen. Ueberrascht
blieb Joseph Deiner, so hieß der
Wackere, auf der Schwelle stehen, den
das Mozart'fche Ehepaar drehte sich
lachend und tanzend im Kreise. Mozart
aber erklärte fröhlich und offenherzig
die Situation, indem er Deiner ge
stand, die Bewegung müsse die Ofen
wärme ersetzen, da augenblicklich kein
Hol, zum Einheizen zu beschaffen fei.