Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, June 23, 1898, Image 9

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    (Ein: unheimliche L.i!'r:.
HumoieSk? r?n I.'. 2'..'-: :'
)
L dsrf eint Minute. Ttt Zuzl
hält. i
- Ter Schaffner öffnet die Thür, und!
S) steige aus. noch einen wehmüthigen!
Blick hinter mich auf die weichen Pzifter,
werfend. Draußen empfangt mich ein
Sturm, der mir beinahe den Hut en:
führt und mir den Äezen ii'.Z Gesicht
peitscht. Mit einer H.ind mein (Mepil
aufgreifend und mit der anderen mei
nen Hut festhaltend, eile ich ins Sta
tionZhauZ. Hier in dem kalten un
freundlichen Wartezimmer seufze ich tief
auf. Ich habe gute Ursache dazu, denn
dsr mir liegt noch eine Pofisahrt von
nahezu 5 Stunden, durch Nacht und
Sturm über aufgeweichte Chausseen
und holprige Straßen. Meine einzige
Hoffnung besteht noch darin, den Post,
wagen leer zu finden, um eZ mir darin
so bequem wie möglich zu machen.
Jedoch auch diese ist vergeblich, denn der
Postillon bemerkt mir. daß schon ein
Passagier im Wagen sitze, und ein son
derdarer Kauz scheint er zu sein." fügt
er hinzu, denn er hat a'.Z Gepäck nur
zwei Papierblindel bei sich, und diese
hat er sogar mit in den Wagen genom
men." Tann öffnet er die Thür, um
mich einsteigen zu laffen.
Um Vergebung." sage ich. in den
mehr wie halbdunklen aum steigend
und beinahe über die Beine meineZ Ge
geniiberS stolpernd. Mein Reisegefährte
machte mir Platz, und während ich
meine Ecke aufsuche, bemerke ich. daß der
Fremde sich zum Postillon beugt und
leise eine Frage an diesen richtet. Mit
dem Schnellzuge von 23." antwortet
dieser laut und schlügt die Thür zu.
damit weitere Fragen abschneidend.
Was für Gründe der Fremoe haben
mochte, sich fo eingehend nach mir zu
erkundigen, denn die Frage betraf cf
fenbar mich, blieb mir verborgen, aber
eZ befriedigte mich, daß er keine Aus
kunft erhalten hatte. Denn so standen
wir unS gleich, er war mir so unbekannt
wie ich ihm.
Ein schauderhaftes Wetter," begann
ich ein Gespräch einzuleiten, alZ der
Wagen die holprigen Straßen der llei
nen Stadt verlaffen hatte und auf der
etwas ebneren Ehauffee fuhr.
.Miseradel," antwortete er kurz an
gebunden.
Und ein unsichere? Fahren auf der
Chauffee dazu." bemerkte ich wieder,
denn der Postwagen holperte aus einem
Loch in daS andere und schwankte wie
Schiff auf hoher See.
Deshalb trage ich auch stets Waffen
mit mir," antwortete mein Gegenüber.
Und zu gleicher Zeit hörte ich den Hahn
einer Pistole knacken. Höchst erstaunt
über diese räthselhafte Antwort, beschloß
ich eS aufzugeben, mit diesem sonderba
ren Menschen eine Unterhaltung anzu
knüpfen und lehnte mich in meine Ecke
zurück, um zu schlafen.
Bitte sich nicht auf mein Packet zu
legen," sagte da der Fremde wieder und
zog Unter meinem Ellbogen eines von
den Papierbündeln hervor, von denen
schon der Postillon gesprochen hatte.
AIS ich mich auf die ziemlich barsch ge
stellte Bitte halb erhoben hatte,
damit er daS Packet vorziehen
konnte, fiel auZ meiner Ueberrocktasche
ein Taschenpiftol, welche? ich auf mei
nen Reisen stets bei mir trug, gerade
auf die Kniee meine! Gegenübers.
Ah," sagte er erschrocken, Sie find
auch bewaffnet."
Natürlich," antwortete ich, ein
Mann meineZ Stande? reift nie ohne
einen solchen Begleiter."
DaS dachte ich mir, " sagte der Fremde
mit einem kleinen Seufzer.
Warum er dies dachte, und waZ er
überhaupt dachte, bekümmerte mich nicht
weiter, ich setzte mich wieder in meine
Ecke, zurück, um einzuschlafen. Ich
hatte die Augen geschloffen und fing an
zu träumen, als ich durch ein Stöhnen
meines Nachbars wieder aufgeschreckt
wurde.
Sind Sie krank?" fragte ich be
sorgt. -.
Wie können Sie fragen," antwor
tete er. wenn Sie wüßten, wer ich bin,
aber vielleicht haben Sie schon genug
von mir gehört, ohne mich bis jetzt ge
fehen zu haben."
Dieses Vergnügen hatte ich aller
ding? noch nicht," sagte ich, aber eS
würde mir leid thun. Sie krank zu
wiffen."
Vielleicht, vielleicht," murmelte der
Fremde bedeutsam vor sich hin. Ha.
ben Sie nie von HanS Berner gehört?"
Nicht daß ich wüßte.
Na, der bin ich." sagte er einfach.
eS ist doch in allen Zeitungen, ich war
17 Wochen im Hospital und 4 Wochen
im Irrenhaus, und doch bin ich nicht
kurirt. Aber Sie sind vielleicht ein
Fremder, sonst müßten Sie in B. davon
gehört haben."
Sie haben Recht." antwortete ich.
ich war nur zwei Stunden in B."
Ach so, das ist der Grund, aber ich
weiß, Sie würden nicht mit mir zufam
men fahren, wenn Sie wüßten, wer ich
bin."
?!a. aber ich wußte doch nicht, daß
i das Veranüaen baden würde, mit
bnen ,u fahren."
Ein Vergnügen nennen Sie eS, aber
schließlich würden Sie eS nicht so nennen,
wenn Sie gesehen Hütten, wie ich Rud.
MertenS Daumen abbiß."
Sie biffen eines MammeZ Daumen
ab?" fragte ich erschreckt.
Ja," lachte er ingrimmig in sich
hinein, w einem Biß. Ich möchte.
swr
si) 5
oh ii . 0-ii?i
Jahrgang 1!).
Beilage zum Ncbraöka Ttaatö-Anzeiger.
No.
Sie Hütten gesehen, wie ich die konfu!
tirenden Aerzte auseinanderjagte, sie
warteten nicht einmal auf daZ Ho
Notar."
Na. dachte ich. daZ ist mir ein netter
Reisegefährte.
Dürfte ich Sie vielleicht fragen."
sagte ich mit leiser. beruhizenderStimme,
wie Sie zu dieser seltsamen Anewohn
heit gekommen sind?"
Ja. daZ ist eS. mein Lieder," ant
wortete er, mir vertraulich die Hand
aufs Knie legend, das ist eZ ja eöen.
sie bringen eZ nicht heraus ; der Eine
sagt, eS sitzt im Gehirn, der Andere der
muthct eZ in den RückenmarkZ'Nerllen.
und der Tritte sucht die Ursache in den
Muskeln; meine Anficht ist: sie wiffen
überhaupt nicht! davon."
Hat man denn keinen Namen für
diese Krankheit?" fragte ich weiter.
Natürlich hat man einen Namen
dafür.
Und dürfte ich fragen "
Na. ich dächte, Sie frügen lieber
nicht, denn Sie würden sich in der
Nacht darüber beunruhigen, ich würde
eZ ja nicht thun, wenn ich irgend hülfen
könnte; aber wenn ich einen Anfall be
komme, stehe ich für nichts."
Einen Anfall," stotterte ich erschreckt,
aber ihre Angehörigen würden Sie doch
nicht in einer öffentlichen Postkutsche
allein fahren laffen, wenn so etwas zu
befürchten stände."
Ja, wenn die eZ wüßten, wohl
nicht." antwortete er, sie würben eZ
wohl nicht dulden; aber ich bin erst diese
Nacht entflohen. eS wird einen tüchtigen
Aufruhr in der Anstalt geben, wenn sie
in der Frühe merken, daß ich fort bin.
Rudolph MertenS wird um diese Zeit
wohl schon bellen."
Rudolph MertenS bellen, wie meinen
Sie das ?"
Alle Gebissenen bellen nach einigen
Tagen, namentlich wenn sie von einem
Hund gebissen werden."
Sie sprechen doch nicht etwa von der
Tollwuth ?" fragte ich. und die Haare
auf meinem Kopfe fingen an sich zu
sträuben.
Natürlich," antwortete er, Sie ha
ben eS errathen."
Und Sie haben die Krankheit. Sie
sind von einem tollen Hund gebissen ?"
fragte ich zitternd.
ES ist heute gerade der neunte Tag.
feit ich angefangen habe zu beißen,"
erwiderte er ernst; dabei schien er gar
nicht zu merken, welchem fürchterlichen
Eindruck diese Worte auf mich machten.
Und mit dieser schrecklichen Krank,
heit behaftet wagen Sie in einem öffent
lichen, dem Verkehr deZ Publikums di
nenden "
Bitte, schreien Sie nicht fo laut."
unterbrach mich der Unheimliche ruhig,
denn wenn ich gereizt werde, um fo
schlimmer für Sie."
Ader," sagte ich eingeschüchtert, eZ
ist doch sehr unklug von Ihnen, in Jh
rem Zustand eine Reise zu unterneh.
men."
Ja," antwortete er mit einem tiefen
Seufzer, aber seit einigen Wochen ist
die Jagd bei unS aufgegangen, und ich
denke schon feit drei Wochen an nichts
weiter; zwar bin ich zweifelhaft, ob
meine Nerven das Gebell der Meute er
tragen werden."
An diesem Tage würden mich keine
zehn Pferde auf die Jagd bringen,
dachte ich.
Ich hoffe," begann er wieder, daß
sich hier in der Nähe kein Waffer beftn
det, fast gegen AlleZ kann ich mich be
herrschen, nur Waffer muß ich vermei.
den, fließende? Waffer."
Ich begriff sehr wohl. waS er mit die.
sem letzten Satz meinte, und kalter
Angstschweiß trat auf meine Stirn, als
ich daran dachte, daß wir in ungefähr
einer Stunde an eine Brücke kämen,
welche über einen sehr breiten Fluß
führte. Natürlich verhehlte ich diese
Thatsache vollkommen und betheuerte,
daß sich im Umkreise von 10 Meilen
weder Fluß noch Bach befände. DieZ
schien ihn sehr zu beruhigen ; denn er
versank in träumerisches Sinnen, wel
cheZ nur durch einige unartikulirte Laute
unterbrochen wurde, eS hörte sich an,
als ob er sich selbst spräche. Was er
sagte, verstand ich nicht, und ich hielt
eZ für daZ Beste, ihn nicht zu stören.
Wie precär meine Situation war,
brauche ich wohl nicht zu schildern.
Vis-a-vis einem bewaffneten, mit der
Tollwuth behafteten, aus dem Irren
hauZ entsprungenen Menschen, welcher
selbst gestanden hatte, daß, wenn ein
Anfall ihn packte, er sich nicht zu be.
zwingen wüßte. Und dazu in stocknn
sterer Nacht, in einer engen Postkutsche,
wo absolut kein Platz war. sich zu der
theidigen und keine Aussicht, zu fliehen.
Wie sehnte ich mich nach meiner war
men Stube zu Hause, ja selbst der Platz
auf dem Bock neben dem Postillon, in
Sturm und Regen, erschien mir der
lockend. Durchnäßt bis auf die Haut
würde ich ja werden, aber Gott fei
Dank war ich noch nicht wasserscheu wie
mein unheimlicher Geführte. Halt,
waZ war das, klang daZ nicht wie ein
Tchnarchen? Ist eS möglich, daß er ein
geschlafen ist. hoffentlich ist eZ doch nicht
ein beginnender Anfall; aber min. da
ist eZ wieder, er ist eingeschlafen. Jetzt
ist eZ Zeit zu fliehen, jetzt oder nie.
Diese Worte vor mir hinmurmelnd,
versuche ich mich der Thür zu nähern,
vorsichtig ziehe ich meine Beine an mich,
hörbar klopfte mir daS Herz in der
Brust. Jetzt bin ich am Fenster, mein
Gegenüber athmet ruhig, leise lasse ich
daS Fenster herunter und strecke meinen
Arm nach dem Thürdrücker aus. Dieser
wird langsam umgedreht, die Thür Öff
net 'sich, und ich springe hinaus, die
Thür wieder zuschlagend und den Po
stillon anrufend. Ich klettere zu ihm
hinauf, und er macht mir bereitwillig
Platz.
Dann versuchte ich ihn aufzuklären,
warum ich daS immerhin geschützte In
nere deS WagenS mit diesem naffen
Platz vertauscht habe, aber der Wind
nimmt mir die Worte vom Mund weg.
und ich gebe den Versuch auf. Ich
hüllte mich so gut eS ging in meinen
Mantel, zog den Hut tief ir.S Gesicht,
um mich so viel wie möglich zu schützen.
Ter Wagen rollte seine einsame
Straße weiter, und so beruhigte mich
daZ Bewußtsein der Sicherheit, daß ich
trotz Sturm, Regen und Kälte fest ein
schlief und nicht eher erwachte, als bis
der Wagen über das holprige Pflaster
unsere? Reiseziels schwankte und vor
dem weißen Schwan" stillhielt. Da
saß ich nun durch und durch naß und
steif und lahm und vor Kälte mit den
Zähnen klappernd. Die Kellner und
Knechte des Hotel? machten erstaunte
Gesichter und konnten sich kaum da;
Lachen verbeißen. Schlimm genug mag
ich ausgesehen haben, denn der Regen
hatte die schwarze Farbe meines HuteZ
aufgelöst und hatte über mein Gesicht
hübsche Streifen gebildet, und so mag
ich einem Indianer auf dem KriegZpfad
garnicht so unähnlich gewesen sein.
Jedoch so ungemüthlich ich mich auch
in meinen nassen Kleidern befand, zu
erst mußte ich doch nach meinem Reue
geführten sehen, der mich in diesen Zu
stand versetzt hatte. Ehe ich jedoch im
Stande war mich aufzurichten und vom
Bock zu klettern, sah ich einen kleinen
dicken Herrn, in einen großen, grauen
Mantel gehüllt, in der Thür des HotelZ
verschwinden. Halt an. guter Freund."
rief ich laut und sprang trotz meiner
lahmen Beine in einem Satz vom Bock
und rannte, so schnell ich vermochte,
hinter dem Grauen her inZ Frühstück?
zimmer.
Als ich eintrat, war er gerade im
Begriff seinen Mantel auszuziehen, feine
beiden PapierBündel hatte er auf den
Tisch vor dem Ofen gelegt, jetzt schnallte
er seine Gamaschen ab. Auch ich warf
meinen völlig durchnäßten Uederrock ab,
und wie ich mich nach meinem Mann
umdrehe, blicke ich in daZ joviale Ge
ficht meineZ Schwager?, welche? sich in
zwischen behaglich vor dem warmen
Ofen niedergelassen hat. Ich war vor
lauter Stauuen keines Wortes mächtig.
Tu Harri), Du bist eZ, Schwager!"
rief ich endlich aus. Ja. ist e? denn
nur möglich? Warft Du wirklich der
Reisende in der Postkutsche?"
Natürlich war ich eZ. und Du, warft
Du vielleicht auf dem Bock?"
Tann zum Henker, was war das
mit der verwünschten Geschichte von Tei
ner Tollwuth und dem Abbeißen deZ
Daumens und dem anderen Unsinn?"
Hier unterbrach mich mein liebenZwür.
diger Schwager mit einem solchen un
bändigen Gelächter, daß ich ihn vor
lauter Wuth hätte erdrosseln können.
Und nur um Dir einen Witz zu lei
sten und mich lücherlich zu machen, hast
Du diese Geschichte componirt?" fragte
ich weiter, ganz außer mir.
Aber nicht im Geringsten," ächzte
jetzt Harrq. sich die Augen trocknend,
welche ihm vom übermäßigen Lachen
thränten, wenn ich nur eine Ahnung
gehabt hätte, daß Tu e? seift, hätte ich
überhaupt nie die Tollwuth gehabt,
aber um die Wahrheit zu sagen, warft
Du nicht der einzig Geängftigte. Du
hast mich tüchtig erschreckt."
Ich Dich erschreckt?" fragte ich ganz
erstaunt.
Na. sieh her." fing er an zu erzäh.
len, als er sich von einem abermaligen
AuSbruch erholt hatte, die Sache der
hält fich fo: Ich mußte gestern nach B.
zur Bank, um dieses Geld zu holen,
denn in diesen Packeten befindet sich
Geld, viel Geld, nämlich 300.00 M.,
in jedem 150.000 M.. welches zur Erb.
schaftZmaffe der Familie Simons ge
hört, deren Sachwalter ich. wie Du
weißt, bin, und dieses habe ich heute
hier am Gericht zu deponiren. Schon
um halb zehn Uhr war ich von B. mit
dem Personenzug gefahren und hatte
mich eben vor Ankunft deZ EilzugeS in
den Postwagen gefetzt, um den besten
Platz zu erwischen, wenn noch mehr
Panaziere kommen sollten. Tu kamst
mit dem Eilzug. der Postillon hatte
mir inS Ohr geflüstert, daß Du in Dei
ner Brusttasche einen Revolver trügft.
nun bekam ich Angst und dachte. Du
wärst mir gefolgt und mit dem Eilzug
gekommen, weil Du wußtest, daß die
Soft den Zug noch abwarten muß.
Nun dachte ich mir. als Du einstiegst,
Räuber find auch Menschen und ziehen
jedenfalls da? Gehenktwerden der Toll
wuth vor. Während ich meine Ge
schichte erzählte, stand mir der Angst
schweiß auf derjStirn, und jede Minute
glaubte ich. Du würdest Tich auf mich
stürzen. Ich war schon im Begriff Tir
die Hälfte deS Geldes anzubieten, um
mein Leben zu retten. Aber jetzt verzied
mir und laß Dich vor allen Dingen inS
Bett packen, denn wie ich sehe, bist Du
doch ziemlich naß geworden, und ohne
einen tüchtigen Schnupfen wird eZ wohl
nicht abgehen."
Mit diesen tröstenden Worten hatte
er mich auf mein Zimmer dezleitet und
mich ausgekleidet, nur mit Mühe feine
Lachluft bewältigend. Nachdem er mir
noch einige Taffen heißen Thee mit
Rum eingeflößt hatte, ließ er mich end
lich allein. Aber kaum aus der Thür,
hörte ich. wie er wieder einen Lachlrampf
bekam.
Einen gerade nicht besonders from
men Wunsch, meinen Schwager betref
send, vor mich hinmurmelnd, schlief
ich ein.
Das Rreuz von Ebenholz.
Eine mahle eschichre von P. dc i;ourgoing.
Ans dem Französischen.
EZ war am 22. September 1870.
Der Eisenring, der Pari; vier Monate
lang umgeben sollte, war zwar drei
Tage endgiltig geschlossen, drängte uns
aber noch nicht bis auf die Fortlinie
zurück. In der Richtung auf Saint
TeniZ, la Briche, wo mein Mobilgar
denbataillon kasernirt war, hielten wir
Epinay besetzt und meine Kompagnie
befand sich an dem Tage auf Vorposten.
ES waren unZ RecognoZzirungcn ge
meldet worden, welche daZ vierte
preußische Armeekorps bis nach Saint
Gratien und Deuil unternommen hatte,
auch hatte ich meinen Wachtposten an.
befohlen, mich zu benachrichtigen, sobald
sie irgend etwas Auffälliges, waZ eS
auch sei, bemerkten. Ter Tag war
ohne Zwischenfall vorübergegangen,
eine Nachtronde hatte mir nichts ge
meldet, ich konnte mich also auf einer
Matratze ausstrecken.
Ich schlief seit kurzer Zeit, als einer
meiner Soldaten mich weckte. Herr
Lieutenant, ich habe in den Feldern ein
von rechts nach linkZ sich bewegendes
Licht gesehen."
Ter Mann, ein Gärtnerbursche auZ
Auteuil, war einigermaßen aufgeregt;
eZ mochte ihm zur Entschuldigung die
nen, daß dieS seine erste Wache war so
nahe am Feinde. Außerdem hatten die
Leute die Gewohnheit, überall Preußen
zu sehen, und die Stunde, die er allein,
im Dunkel, zugebracht hatte, sogar ohne
zu seiner Sicherheit pfeifen zu dürfen,
hatte seine Einbildungskraft mächtig
arbeiten laffen.
Ach geh'! Du bist wie die Anderen!
Uederall die Teutschen! Gesteh' nur, daß
Du Dich gefürchtet haft und gar nicht
böse warft, ein lebendiges Welen zu er
blicken, um Dich ablösen zu laffen. Tu
wirft irgend einen Marodeur oder Kar
toffelsammler gesehen haben, der mehr
Angft gehabt hätte als Du, wenn er
Dich erblickt hätte. Kehre wieder auf
Deinen Posten zurück. Ich führe Dich
hin. Geh' voran!"
Wir waren vielleicht zweihundert
Meter von den letzten Häusern ange
langt, als der Soldat plötzlich stehen
blieb.
Dort hinten, Herr Lieutenant,"
sagte er; sehen Sie da? Licht?"
Und durch da? Dunkel der Nacht be
merkte ich in der That ein Licht, daZ sich
unregelmäßig, wie einer Laune ge
horchend, bewegte und etwas Sprung
hafteS, Phantastisches, Aberwitziges an
sich hatte. Kam eZ auf unS zu oder
entfernte eZ sich? War eZ nah oder fern?
Unmöglich, daZ in der Tunkelheit zu
erkennen.
Da nur meine Unerfahrenheit in
kriegerischen Dingen konnte mich ent
schuldigen vergaß ich die Folgen,
welche ein ohne Grund bei den Vor
Posten abgegebener Schuß haben kann;
ich öffnete, vielleicht um meinen Muth
zu zeigen, daS Futteral, in dem mein
Revolver steckte. DaZ Licht sprang
immer noch hin und her, t? kam, eZ
ging, bald nach oben, bald nach unten,
dann, auf einmal, schien eS auf einer
Stelle, hin und herschaukelnd, stehen
zu bleiben. Diesen Augenblick ergriff
ich. uin auf gut Glück darauf zu zielen.
Der Soldat hatte meine Bewegung
errathen, denn ich fühlte, wie er sich
dicht an mich drängte, furchtsam wie ein
Mensch, der zum ersten Male einen
Schuß hö:t. DieZ Gefühl. daZ bei die
sem improvifirten jungen Krieger wohl
begreiflich war. wurde durch die Tunkel.
heit. daS Geheimnißvolle der Lage, den
Selbsterhaltungstrieb noch verbrppelt
und verdreifacht.
Ter Schuß krachte, mit seinem kurzen,
trockenen Klang die tiefe Stille durch
schneidend. TaZ Echo sandte ihn mir
noch zweimal zurück und dann sah ich
nur noch daZ Dunkel.
Sie hatten Recht. eZ war nur ein
Marodeur." murmelte mein Begleiter.
Na, nun stell' Tich wieder auf Tei
r.en Posten!"
Ter Schuß hatte die Feldwache ge
weckt, und alZ ich wieder in Epina?
war, fand ich die Leute dabei, Zorniger
und Mantelfack umzuschnallen. Sie
umringten mich und richteten tausend
Fragen an mich. Meine Auskunft be
ruhigte sie. ich schickte fie zur Ruhe und
schlief dann selbst bald wieder, ohne an
daZ Licht und meinen Revolver mehr zu
denken. Jugend hat so guten Schlaf !
Mit TageZgrauen war ich auf.
Am Horizont hoben sich die Pro
fillinien de? Mont Valerien scharf von
dem rosig schimmernden Himmel ad, zu
meinen Füßen verschwand die Seine
unter einem leichten und durchsichtigen
Nebelhauch, der wie ein Gazeschleier auf
der Wasserfläche schwebte und auf den
Sonnenstrahl wartete, der ihn vertrei
ben würde. Unbekümmert um die sie
umgebenden Ereignisse, erwachte die
Natur in milder Ruhe auZ ihrem
Schlummer und eZ war. als läge schon
etwas von dem Schweigen deZ TodeS
auf ihr. Allmühlig wurden die An
zeichen deZ Lebens vernehmlicher, ein
Hahn krähte. daS war daZ Signal zum
Ettoachen.
In diesem Augenblicke kamen eben
abgelöste Posten an mir vorüber.
Nichts Neue??" fragte ich den Ser
geanten.
Nichts, Herr Lieutenant, außer, daß
Sie Ihren Mann, den Marodeur nicht
gefehlt haben diese Nacht. Er liegt
unter einem Brombeerstrauch, der ihn
zur Hälfte bedeckt, neben der dicken
Pappel, lin'Z von der Straße.
Ich rief einige Mann herbei, die zur
Seine hinab wollten, und wir begaben
ur.Z nach dem angegebenen Ort. EZ
war kein Marodeur, sondern ein preußi
scher Soldat, der dort ausgestreckt lag,
das Geficht nach der Erde zu. die Arme
nach vorn.
Sein Gewehr, das durch die Heftig
keit des Sturzes einige Meter weit fort,
geschleudert worden war. trug eine La
terne, die an der äußersten Spitze de?
Bajonett? befestigt war, eine jener klei
nen Laternen auZ Messing, wie sie in
unseren Dörfern die Krämer verkaufen.
Ich nahm daS Gewehr an mich und
meine Leute hoben die Leiche auf und
trugen sie in das nächste HauZ, wo fie
auf einen Tisch gelegt wurde. EZ war
ein großer Bursche mit einem rothblon
den. weichen und lockigen Bart, der
Holdein ober Dürer hätte zum Vorbild
dienen können. Da ihm der Helm ab
genommen war, konnte man sehen, daß
meine Kugel uuter der Schläfe ein und
oben auZ dem Schädel wieder heraus
gedrungen war. Ein Streifen geron
nenen Blutes bildete eine rothe Linie.
die sich in dem weit offenen, mit weißen
breiten und auZemanderftehenden Zäh
nen, gesozmuiien Munoe verlor, xit
Augen, die, wie man errathen konnte,
im Leben ganz blau gewesen sein muß.
ten. hatten eine unbestimmte, melancho
lische Färbung angenommen und schie
nen nach dem Jenseits dem Unsichtbaren
zu suchen. Die Mobilgardiften konn
ten ihrer Neugier nicht widerstehen und
beugten sich schweigend über den Leich
nam. Dann öffnete Einer den Man
tel, den Waffenrcck. durchsuchte die
Taschen und zog aus diesen ein ganz
kleines Kruzifix aus schwarzem Eden
holz und einen Brief. Ich nahm Bei
deS an mich.
Ich entsinne mich deS Inhaltes, wel
chen der aus Elberfeld datirte Brief
hatte :
Lieber Kar! ! Wie diel Thränen der
Angft weinen wir. wenn wir von einer
neuen Schlacht hören, aber wie viel
Freudenthränen auch, wenn Teine
Briefe ankommen und uns beruhigen I
Du fagft, eS geht Tir gut, wir sollen
UNS nicht fürchten, Gott behütet Tich,
ich glaube eS. aber nur wenn ihr vor
Paris angelangt sein werdet und der
Friede dann unterzeichnet ist, werde ich
beruhigt sein können... Tann wirft
Du zu unS zurückkehren, dann haft Tu
dem Baterlande Deine Schuld adgeira
gen und wirft unS nicht mehr verlas,
sen. . Vater, Mutter umarmen Tich. .
Teine Schwefter Laura."
Ich barg den Brief getreulich wieder
in der Rocktasche, aber ich behielt das
Kruzifix. Die Leiche wurde mit dem
Gewehr und der verhüngnißvollen La
terne in eine schnell gegrabene Grube
I gelegt und deren Stelle durch zwei in
!Kiezs?rm befestigte H.'!zstucke dcj'ich.
j nct. Eine Stunde später rief ein Be
I fehl unZ uach de;n Fett la Bliche zurück.
Am 21. Dezember fand die Schlecht
bei Le Bourget statt. LuZ meinen dei
Beginn der Belagerung fo ängstlichen
Mobilgardiften waren wirkliche Solda
ten geworden, die sich muihig tödten
ließen, ihnen zur Seite die Marine
Füsiliere, mit denen fie von HauS zu
HauS gegen einen immer stärken wer
Senden Feind ankämpften. AuZ Schieß
scharten, Fenstern, Kellerlöchern krach
ten unaufhörlich die Schüsse und wir
wurden buchstäblich aus nächster Nähe
füfilirt. Plötzlich fühlte ich einen ent
fetzlichen Stoß an meinem Kopfe; in
demselben Augenblick durchzuckte der
Gedanke, daß ich sterben würde, mein
Hirn, in dem alle meine Jugenderinne
rungen durcheinander zu wirbeln be
gannen. Tann erschien daZ Bild de?
Preußen aus Epinay vor mir mit fei
nen hellblauen Augen und einem
Lächeln, daZ mir daZ Mark in den
Knochen erstarren machte, und ich fiel
zu Boden.
AIS ich in dem im Paläste der Ehren
legion eingerichteten Lazareth wieder zu
mir kam. bemerkte ich sofort das kleine
Kreuz auZ Ebenholz, daS ich immer ge
tragen und daS eine der barmherzigen
Schwestern an der Wand, meinem
Bette gegenüber, befestigt hatte.
Hatte eS mich wohl beschützt?
Tie Einen werden sagen: daS ist
Zufall. Die Anderen werden denken :
Warum ihn und nicht den Anderen?
Wie dem auch fei... ES hat mich
seitdem nicht mehr verlaffen.
2tr Xitb alS GtNtleman.
Vor einigen Tagen hatte in London
eine Lehrerin, Miß Reave, die ihr Ge
halt einkasfirt hatte, die Hälfte deffel
ben, 5 Pfund Sterling, in einen Brief
gelegt, um fie der Mutter zu senden.
Ten Brief hattS fie verschlossen, aber
keine Adresse auf'S Couvert geschrieben
und ihn so in'S Portemonnaie gesteckt.
Eine Stunde später hatte ihr ein Ta
schendieb daZ Portemonnaie gestohlen.
Verzweifelt lief fie nach dem nächsten
Polizeibureau, wo man sie mit einigen
leeren, tröstenden Redensarten abfand.
Als sie nach Haufe zurückgekehrt war,
fand fie dort zu ihrer Ueberrafchung ein
kleines Packet vor, welches ein Unbekann
ter dort abgegeben hatte. Das Packet
enthielt das Couvert mit den 5 Pfund
Sterling, daZ nicht geöffnet war, ver
fchiedene andere Papiere und folgendes
Schreiben:
LiebeZ Fräulein!
Mein Gewerbe hat mich genöthigt,
mir soeben Ihr Portemonnaie anzueig
nen, in welchem ich mit einer Summe
von 60 Sh., die ich behalte, einige
Paviere mit Ihrer Adresse finde. Ich
möchte Ihnen vor Allein daS beiliegende
unbeschriebene Couvert zurückerstatten,
welches mir meine Diskretion zu öffnen
verbietet. Wenn eine junge Dame so
mit einem unbeschriebenen Couvert her
umspaziert, so muß dieses einen Liebes
brief enthalten und die Adfenderin ei
nen günstigen Augenblick abwarten, um
ungesehen darauf die Adresse ihreS An
beterZ schreiben zu kirnten. Ich will
Ihrem Liebhaber nicht der hübschen
Sachen und der Küsse berauben, die
Sie für ihn bestimmt haben, und eZ
betrübt mich allzusehr, die Absenkung
dieses "Billet doux" verzögert zu ha
ben. Seien Sie glücklich, liebes Fräu
lein, mit dem. den Sie fich erwählt ha
ben und genehmigen Sie die Verftche
rung der vorzüglichen Hochachtung Jh
reZ ergebenen TienerZ "
Ein richtiger Gentleman, dieser Pick
hocket!
Tie Macht des Gesanges.
Unter dieser Spitzmarke läßt sich daS
Hoyaer Wochenbl." folgenden Vorfall
aus Barendurg berichten: Die Sau
eines LandwirtheZ im nahen Dorfe K.
brachte kürzlich einen Zuwachs in den
Schweineftall. Leider erwies sich die
Sau als eine schlechte Mutter, denn sie
schickte fich an. ihre Nachkommenschaft
aufzufressen. Ter Bauer, der im Geiste
schon den verlockenden Klang der 20
Mark'Stückchen für jede? 'Ferkelchen
klingen hörte, gerieth in große Angst.
alZ er daZ gewahrte. In feiner Noth
stieß er einen langgezogenen Klageruf
aus. Tie Sau stutzte und ließ das
Ferkelchen. daZ sie schon im Maule
hatte, fallen. Heureka ! Der Zkie
Macht soll das Vieh zähmen, dachte un
ser Freund, und so sang er. daß eZ von
den Wänden deZ SchweineftallZ wieder
hallte. Wo man singt, da laß Tich
ruhig nieder u. s. w." Und o Wun
der! Aller Kannibalismus der Sau
war verschwunden, wie hypnotifirt legte
sie sich nieder und säugte ihre Ferkel.
Nach einer Pause zeigten sich verbreche
rische Rücksälle. Ader nun kannte man
ja das Mittel zur Beruhigung. Die
ganze HauZbesißerfamilie sammelte sich
im Schweineftall und vierstimmig er
schallte in kräftigen Akkorden ein schö
neZ Lied nach dem andern; immer
ruhiger wurde die Sau, immer behag
i licher grunzte sie und die kleinen mun
tern Ferkel durften ihren Appetit in
aller GemüthZruhe stillen !
Ein nnvcrsäiämter Ponsbcrr.
Herr Fips, ich muß Sie dringend
ersuchen, jetzt endlich einmal den rück
ständigen Miethzins zu bezahlen !"
Ja. waZ füllt Ihnen denn ein ! ! . .
Wenn man bei Ihnen 'n Zins zahlen
muß. nacha zieh' ich lieber aus !"