Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, June 16, 1898, Image 9

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Zalirgang 11). Beilage zum Ncbraska taatöÄnzcigcr. No. 4.
Die aranoiV'rinneii.
Von 1 1. nail c. i i 1 r i ' v.
Xft ßficultfanif Umschwung, welcher
sich auf b Jnfri (uda gegen die fva
itiicht LkZpo!n'.mird!cht!,t vorbereitete,
bat NkuerdinZ die Augen der ganzen
p.ebildtien Welt in erhöhtem ftirade euf
die Perle der Antillen gelenkt, und so
wollen wir heute auf Grund unserer
Tagebuch Auszeichnungen einen Blick
auf den Naturcharalter der Landschaft
von Havana und auf deren Bewohner
werfen, unter welchen, wie faft in allen
Kulturländern der Erde, die Frauen
daZ reizendste und lieblichste Element
bilden.
Echon Alexander v. Humboldt hebt
unter den Vorzügen des lklimnZ von
Havana den Umstand hervor, daß man
dort selten GlaZfenster findet und gleich
wohl nicht daZ geringste Verlangen nach
einem Kaminfeuer verspürt. Die Ta
geStemperatur zwischen der Morgen
und Mittagsstunde fchmankt in den
Monaten Dezember, Januar und
Februar bei vorherrschendem Nordwinde
zwischen 18 und 24 Grad GelftoS, der
tiefste Thermometerftand, welchen wir
während unseres dortigen Winterauf
enthalteS beobachteten, war 14 Krad
Celsius, der höchste 20 rad Celsius.
Die mittlere Temperatur war im
Januar 19 Grad, im Februar 19.5
Grad Celsius. Die Schwankungen find
üußerft gering, und die Hitze ist im
Winter nur ausnahmsweise bei Süd
winden während der Mittagsstunde
drückend. Weder in den Vereinigten
Etaaten noch auf dem europäischen
Feftlande haben wir einen Punkt ken
nen gelernt, besten Winterllima sich
mit jenem von Havana vergleichen
liehe. Nur die Lufttemperatur der
Insel Madeira und der Tafellandschaf'
ten von Softarica, Guatemala und
Mexiko zeigen ähnliche Resultate. Nichts
Lieblicheres als eine helle Fedruarnacht
in Havana, wo nebst den Gestirnen des
Nordens bereits diele Sternbilder des
südlichen Himmels sichtbar werden und
aus dem klaren, blauen Zropenäther
leuchten !
Der Naturcharalter der Landschaft
von Havana ist zwar nicht großartig
und imponirend, wohl aber heiter und
lieblich. Auf keiner anderen Insel der
Antillen, sowie an keinem anderen
Punkte deS tropischen Festlandes von
Amerika dominirten die Palmen so sehr
wie hier, und ihr edler Schmuck bildet
die reizendste Zierde aller ttalkhügel und
Scrpentinfelsen, welche sich ringS um
daS Hafenbassin der Stadt und dem
Meergeftade entlang bis tief in das
Innere der Insel gruppiren. Die
EocoSpalme ist hier die zahlreichere, die
Palma Real oder Königspalme
(Oreodoxa regia) aber der edlere dieser
gekrönten Bäume. In den Urwäldern
deS Orinoco und am Amazonenftrom
giebt es allerdings höhere, stolzere und
prachtvollere Palmenarten, aber keine
einzige, welche zum Schmucke eines
ParkeS oder PromenadeplaßeS Vortheil
hafter sich eignen würde, als die
Oreodoxa regia. (Wir haben die
.Oreodoxa Regia" nur noch im bota
Nischen Garten in Rio de Janeiro in
gleicher Pracht und Großartigkeit auf
treten sehen, wo sie in hundert schlan
ken, himmelragenden Individuen wohl
die imposanteste Baumallce auf der gan
z?n Erde bietet.) Die Größe und Ma
jeftüt der tropischen Flora deS amerika
nischm Festlandes darf man überhaupt
auf den Antillen nicht suchen. Hier
empfängt daS Auge deS Reifenden lein
so erhabenes Gemälde wie wir es in der
primitiven Waldwildniß am Rio San
Juan de Nikaragua oder am Monta
guaftuß in Guatemala zu bewundern
das Glück genossen. Ader der Palmen
reichthu-n, die verschiedenen, bald dusch
förmigett:chhZ!d baumartigen Cacteen,
die Mangoö und Anonen (die edelsten
der Früchte, wie sie Humboldt nennt),
die Orangen und Limonenbäume, die
Sagoten und Brotfruchtbäume, die
Granat und Oleanderdüsche, sowie
diele andere Kulturpflanzen der war
men Zone geben der Umgebung von
Havana einen ganz eigenthümlichen
bunten Schmuck, welcher durch den un
gemein milden Hauch der Atmosphäre
noch gehoben wird. Und dazu denke
man sich daS herrliche, blaugrüne und
fischreiche Antillenmeer, dessen branden
des Wogenspiel am Campo de la Punta
einen ebenso luftigen als prächtigen
Anblick gewährt ; den herrlichen Hafen
von Havana mit seinem schaukelnden
Wald von Masten und bunten, luftig
flatternden Flaggen, das große Häuser
gewirre, die Citadellen und FortS,
welche alle Hügel 'in der Nähe deS Ha
fenS krönen, und darüber die tiefblaue
Kuppel deS Tropenhimmels, mit leich
ten Wölkchen drapirt. fo wird man die
Anmuth eines BildeS begreifen, welches
zwar nicht mit Rio de Janeiro oder
Konftantinopel vergleichbar ist, wohl
aber unzweifelhaft die glänzendste aller
Stüdte.Ansichten Weft.JndienS bildet.
Havana ift durch die breiten Alleen
seiner PaseoS oder Promenaden in zwei
große Hälften getheilt. Die äußere
Stadt ist jünger und luftiger, hat drei
tere Straßen und bequemere TrottoirS,
während die innere Stadt älter und be
lebter ift, weil sich daselbst daS geschüft
liche Leben konzentrirt. Der Mammon,
welcher die Welt beherrscht, zeigt auch
dort seine Macht. Ansehen. Einfluß
und Lebenscomfort sind in Havana
noch ausschließlicher alS anderswo an
Reichthum gebunden. Man ift schon
etmaS genirt, wenn man kein eigenes
komfortables HauS hat. und man leidet
wirklich, wenn man nicht seine Polante
besitzt. daS heißt einen kleinen Wagen
ohne Kutschirdock, mit zwei Rädern und
einem gewandten Neger vorne auf dem
Sattel deS Pferdes. Die TrottoirS
sind in der alten Stadt so schmal, daß
zwei Personen ohne geschickte? Drehen
nicht einander ausweichen können. Nie
haben wir einen Aal um feine Glätte
und Geschmeidigkeit mehr beneidet als
in Havana ! Die Volantefahrer sind
unendlich besser daran. Hochsitzend und
schnell vorwärtskommend, sehen sie auf
die armen Fußzünger, welche zu beiden
Seiten sich drehen und wenden, mit
einem wohl begründeten Gefühl deS
Mitleids herab.
Damen der vornehmen Gesellschaft
erscheinen öffentlich fahrend, und man
cheS zierliche Füßchen soll daS Straßen
Pflaster niemals berührt haben. Nicht
einmal in die Kaufläden treten die
SenoraS und SenoritaS ein. sondern
bleiben vor denselben im Wagen sitzen
und lassen sich Putzwaaren oder was
sonst ihr Herz begehrt. auS dem In
nern zur Ansicht auf die Straße
bringen.
Schöne Häuser, glänzende Kaufläden
und Schaufenster, Equipagen und Spa
ziergünger findet man wohl in allen
großen Städten der nvilifirten Welt,
aber eine so bunte und brillante Blu
mcnlese von geputzten Damen, wie man
sie an Sonn und Feiertagen auf den
PaseoS der Havana sieht, trifft man
nicht einmal in den ersten Hauptstädten
Europas. Diese SonntagSPromenade
ift daS große Rendezvous aller hübschen
Damen der wohlhabenden Stünde.
Reichthum. Mode und Putzliebe entfal
ten dort die buntfarbigfte Pracht der
Toiletten. Die Lieblichkeit des Klimas
gestattet auch im Winter unter freiem
Himmel die nämliche leichte Form de?
KleideS, wie auf den Bällen deS Nor
denS in wohlgeheizten Sälen. Faft alle
SenoraS der Havana sind, wenn sie
öffentlich erscheinen, ganz ähnlich koftü
mirt, wie bei unS nur die jüngsten Da
men, wenn sie zu Walzer oder Polka in
den Reigen treten.
In unabsehbarer Doppelreihe fahren
dann die VolanteS. Die zu Fuß gehen
den Caballeros bilden in den verschie
denen Alleen Spalier und betrachten
wohlgefällig die kutschirende Gesellschaft.
Der leichte, malerische, aber durch seine
Länge etwas unbequeme Wagen blitzt
in üdersilberter Garnitur. Der Neger
auf dem Pferdesattel hat seine schönste,
mit Gold und Silberbortcn reich der
zierte Jacke an. Seine hohen, engan
schließenden, mit Silber beschlagenen
Reiterftiefel haben eine pittoreske Form,
welche noch aus der fpanifch-mittelalter
lichen Mode stammt. Die Damen fitzen
in zurückgelegten offenen Wagen, ge
wöhnlich zu Drei in pyramidaler Erup
pirung. Die jüngste und schönste Se
norita bildet die Spitze dieser Phra
mide. Wir hatten zwar auch ander
weitS Gelegenheit, die Schönen der
Stadt in größerem Vereine zu sehen,
wie zum Beispiel im prachtvollen Thea
ter Tacon oder auf den Bällen dcS
GeneralKapitünS. Aber so günstig,
großartig und eigenthümlich ift die Er
scheinung der Kreolinnen fast nirgends,
wie bei der sonntäglichen Paseofahrt,
wo an Schmuck und Geschmeide, an
wundervollen Blumen und flatternden
Bündern in den Haaren, an rauschen
den AtlaS und Seidenkleidern in den
hellften und schimmernften Farben eine
Toilettenpracht zur Schau gestellt wird,
welche selbst auf den Boulevards von
Paris nicht ihresgleichen findet. Da
die VolanteS, dcS großen Wagenge
drüngeS wegen, meift sehr langsam
fahren und die Abficht, den vollen An
blick ihrer darinsitzenden Schönheiten
und ihrer eleganten Toiletten dem
ganzen spazierenden Publikum zu gön
nen, von Niemandem verleugnet wird,
so hat man hier die günstigste und an
genehmste Gelegenheit, die ganze Creme
deS schönen edlen Geschlechts von Ha
vana wie lebende Bilder einer Theater
Vorstellung an fich vorüberziehen zu
lassen.
Die Kreolinnen von Havana haben
meift eine sehr reiche Fülle glänzend
schwarzer, prächtiger Haare, schöne
schwarze Augen, eine edle Stirn, einen
feinen Mund und ein Kolorit, welches
unter der Beihilfe von Kunst meift
blendend weiß erscheint. Wo durch den
Einfluß deS Klimas der Teint eine gelb
liche Farbe angenommen hat, da der
steht ein feiner Stoff, die CaZcarilla de
Merida, Rath zu schaffen, welche in
Havana in beträchtlichen Quantitäten
konsumirt wird. Die Profile find zwar
nicht immer tadellos, erinnern jedoch
merklich an die edle caftilische oder anda
lufische Abkunft. Der vorherrschende
Zug der Ruhe in den GefichtSzügen er
höht die Schönheit, obschon er den
Ausdruck von Geist und Anmuth zurück
drängt.
Die Lebensgewohnheiten der Kreolin
nen find von einer Einförmigkeit, welche
gegen den zivilistrten Norden traurig
absticht. Die jungen Mädchen erhalten
nur die nothdürftigfte Bildung. HüuZ
liche Arbeiten werden von wohlhaden
den Damen für unwürdig gehalten und
find faft ausschließlich den schwarzen
oder farbigen Dienerinnen überlassen.
Man lernt dafür etwa- lesen und un
orthographisch schreiben, ein wenig
Stickerei, etwa? Musik und ein wenig
Französisch. Die Erziehung deS weid
lichen Geschlechtes geht nur selten so
weit, um Liede und Hang zu poetischer
Lektüre, zu erhebenden Versen oder
interessanten Romanen zu erwecken.
Das Lesen selbst nützlicher Werke ift
vom Tagewerk der Frauen fast gänzlich
ausgeschlossen, indem Bücher in Havana
alS der entbehrlichste LuxuS betrachtet
werden. ES kommen mindesten zwei
hundert wohlassertirte Mademagazine
auf einen ärmlich ausgestatteten Buch
laden!
Wo Intelligenz und Phantafle keine
Nahrung finden, kann auch die geistige
Anmuth, selbst wenn die allgütige
Natur fle verliehen hätte, nicht glänzen
und beglücken. Eine gewisse äußere
Grazie vermißt man bei dem schönen
Geschlechte von Havana allerdings nicht.
Imposante Haltung, majestätischen
Gang und Würde im Benehmen zeigen
die Krcolinen überall, wo fie öffentlich
erscheinen, gleichviel ob eS auf der Straße
oder im Theater, im Ballsall oder im
Cirkus bei den Stiergefechten ift. Aber
eS liegt in dieser kreolischen Grazie
etwaS Künstliches, Angelerntes, Etu
dirteS. Grazie deS Geistes ist ihnen
völlig fremd, und wo fie Gott gegeben,
da wird fie durch den erschlaffenden
Einfluß der Erziehung der Gewohnheit
und der Umgebung erstickt.
Die Konversation der Havaneserinnen
ift ebenso langweilig und platt in der
Form, alS leer im Inhalt. Selbst jene
leichte Unterhaltung, welche in den all
täglichsten Dingen des LcbenS feine Züge
zu beobachten und den gewöhnlichsten
TageSerscheinungen eine reizende Seite
abzulauschen versteht, welche nicht die
Tiefe des Verstandes herausfordert, fon
dern mehr das heitere Spiel der frohen
Laune offenbart sogar dieses moderne
Genre von Unterhaltung fehlt in Ha
vanna gänzlich.
Wie man in einer so monotonen
Weise, faft ohne irgend welche andere
Beschäftigung, als jene der Toilette,
der Tafel und einigem Pianogcklimper,
den langen Tag ohne quälende Lange
weile hinzudringen vermag, wird nur
begreiflich, wenn man erwögt, welche
versöhnende Macht die Gewohnheit übt.
Auch stimmt da? Klima von Havana
gleich jenem der Tropenlünder zum
süßen Nichtsthun, zur gedankenlosen
Träumerei und zu einer tiefen Apathie
der Seele.
ES ift eine Eigenart der Bauart der
Häuser in Havana. daß man daS Le
den und Treiben der meisten Familien
auch von der Straße au? beobachten
kann, gewissermaßen beobachten muß.
Man wohnt nämlich in Folge der häu
figen Erdbeben ziemlich allgemein zu
ebener Erde. Die großen vergitterten
Fenfterbalkone reichen faft bis auf den
Boden deZ TrottoirS, haben keine GlaS
scheiden und sind, der frischen Luft we
gen, faft immer geöffnet. Wer also
nicht der Gefahr deS Ueberfahrenwer
denS Trotz bieten will, muß sich daher
auf den schmalen Fußwegen dicht an
den Häusern halten und kann somit bei
aller Diskretion kaum verhindern, einen
Blick seitwärts durch die weit offenen
Fenster in den erleuchteten Salon zu
werfen, wo er ganze Familiengemälde
gewahr wird. Geputzte SenoraS und
Caballero?, mit den reizendsten Kindern
an der Seite, wiegen fich auf den
Kocking chairs und öffnen nur selten
den Mund zur Rede. Auch in ihrem
Hause find Frauen und Fräulein so
ballmüßig gekleidet wie auf der Pro
menade und scheinen noch mehr Vergnü
gen daran zu finden, gesehen zu werden,
als Andere zu sehen.
Der Kontraft, welcher in den politi
schen Institutionen, sowie im sozialen
Leben zwischen den Hispano-Amerikanern
und den Anglv'Amerikanern sich kund
giebt, erscheint am augenfälligsten im
Familienleben und im sozialen Verhält
nisse der Frauen. In Nordamerika
will Niemand sein häusliches Leben und
fein Familienglück der öffentlichen Schau
preisgeben. Das Theuerste und Hei
ligfte im Leben würde man dadurch ent
weiht glauben. Man liebt bei sich das
Ungenierte und außer dem Hause die
Freiheit ohne Etikette und Modezwang.
In der eigenen Wohnftube ballmäßig
sich zu putzen, bloS dem vorbeispazieren
den Straßenpudlikum zuliebe, kommt
in Nordamerika Niemandem in den
Sinn. Die Kavalier-Begleitung ift da
nicht nöthig, um einer Lady den Respekt
deZ Publikums zu sichern. Ueberall
findlt fie den Schutz, dessen sie bedarf.
Da? Schicksal und die Behandlung der
Frauen ist vielleicht der sicherste Höhen
messer der verschiedenen EivililationS
stufen und so kann man die Thatsache
nicht leugnen, daß noch keine Nation der
Erde der besseren Hülste deZ Menschen
geschlechteZ mehr Freiheit gönnte alS die
Nordamerikaner. daß keine wie diese eS
verstanden hat, die Frauen zu ehren.
DaZ FraueN'Jdeal in den romani
schen Ländern ift noch immer die äußere
Schönheit, die Eleganz der Manieren
und eine künstliche Grazie. Um dieses
Ideal hat der Norden jene nicht zu de
neiden. Er fordert Andere? von dem
Weibe und stellt in seinem Ideal die
Anmuth deS Gemüthes noch über die
üutzere Form. EZ find andere, solidere
Elemente deZ Glückes damit verschwi
ftert, welche in romanischen Staaten nur
alZ Ausnahme erscheinen: die wahre
Weiblichkeit, das innige Familienleben
und die dauernde Liede!
Stelldichein im Sdrnunenbcuis.
?ikAprlgesch!chie. i'on Marie ctatjl.
C - ach!
Heinz von Zrenken schielte nach feiner
Cousine Melanie hinüber und seufzte
seit einer Viertelstunde alle zwei Minu
ten ganz jämmerlich.
.Was fehlt Dir. Heinz, haft Du
Magenweh?" fragte die reizende Mela
nie spöttisch, die mit einem fesselnden
Roman auf dem Divan lag.
Heinz saß rittlings auf dem Sims
deS geöffneten FenfterS. daS nach dem
wohlgepflegten Gürtchen der kleinen
Villa hinaussah.
Im Garten blühte der Frühling und
auch der kleine Salon MelanieS war
voll Veilchen und Maiblumenduft,
fruchtwarme, schwüle Treibhausluft des
Lenzes machte daS junge Mädchen schlä
seng, und in einem Zustand zwischen
Traum und Wachen vergaß fie den
Vetter auf dem FenfterfimS und versank
mehr und mehr in ein sanftes Drufeln.
Sie sah ganz entzückend aus mit den
von Schläferigkeit geröiheten Wangen,
die jungen, schlanken Glieder in lässiger
Ruhe gelöst, im hellen, weichftießenden
FrühlingSgewand.
Heinz verschlang fie mit den Blicken
und plötzlich war er mit einem katzenar
tigen Satz im Zimmer und lag vor sei
ner Cousine auf den Knieen und drückte
mit wilder Inbrunst den Mund auf
ihre halb geöffneten Lippen.
Mit einem leisen Schrei fuhr Mela
nie auf.
.Melanie! einzige, süße, himm
lische Melanie! Ich liebe Dich, ich
ich liebe Dich rasend!"
Mit wilden Küssen fiel er über fie
her, aber energisch schüttelte ihn seine
Cousine ab.
Du Schulbub! Bist Du toll?"
O, warte nur. in kurzer Zeit bin ich
kein Schulbube mehr!"
Einstweilen steck' nur die Nase in
Deine Bücher."
Du bist grausam Du hast kein
Herz. Melanie!"
Für Kinder unter 16 Jahren aller
dingS nicht. Und wenn Du Dich nicht
gleich männlich benimmst, wie eS Dir
zukommt, verklage ich Dich bei Papa!"
Heinz erhob fich jetzt von den Knieen
und gab feine Cousine frei, die er immer
noch mit den Armen umschlungen und
festgehalten hatte.
Ift daS Dein letztes Wort, Me
lanie?" Er nahm eine düstere, drohende
Miene an.
O nein, wenn Du eS gerne hören
willst, sage ich Dir noch, daß Du ein
dummer Junge bift, über den ich
lachen würde, wenn ich mich nicht
ärgerte I"
DaS wirft Du bereuen I" schrie
Heinz wüthend. Ich weiß wohl,
nach wem Tu schmachtest l" Aber das
sage ich Dir, wenn Du den Lieutenant
nimmst, wenn Du "
Schweig' und mach', daß Du hin
auskommst !" befahl Melanie, glühend
roth vor Zorn.
.Ich gehe ja schon, aber Du wirft an
mich denken !"
Mit diesen Worten zog fich Heinz
durch das Fenster zurück. Lanzsam
schlenderte er durch die Stadt nach
Hause und grübelte unaufhörlich auf
dem Wege, wie er fich rächen könne.
Endlich lächelte er zufrieden, er hatte
einen Plan.
Zum Donnerwetter ! Kann man
nicht 'mal seine Nachtruhe haben? Wer
klingelt denn da mitten in der Nacht?"
Die elektrische Klingel der Hausthür
hatte den alten General a. D. Archi
bald von Wildleder aus dem ersten,
besten Nachtschlaf geweckt, der bei ihm
schon um neun Uhr AbendS begann.
Er horchte eine Weile gespannt.
AlleS blieb still; dann klingelte eS hef
tiger. ungeduldiger.
Bis der General fluchend in feine
Schlafpantoffel gefahren war und den
alten Militärmantel umgeworfen hatte,
um mit dem Lichte in der Hand
zornentbrannt nach der Thüre zu fiür
zen, klingelte eS noch mehrere Male.
.Tonnerwctter.Bomdenelement! Wer
untersteht fich, zur nachtschlafenden Zeit
meine Klingel abzureißen?"
Mit diesem freundlichen Willkom
mensgruß sprang der General dem un
willkommenen Störenfried entgegen,
seine Wuth wandelte fich aber in Schreck,
als er den Telegraphenbotcn erkannte,
der ihm eine Depesche vor die Nase
hielt.
Der alte Krieger hatte manch' eine
Schlacht schlagen helfen und ohne
Wanken im Feuer gestanden, aber eine
Depesche fiel ihm ftetS auf die Nerven
und verursachte ihm nervöses Zittern,
wie eine MauS einem hysterischen Back
fisch.
In der Verwirrung drückte er dem
Boten das Licht in der Hand, statt
eines Trinkgeldes, suchte dann derzwei
felnd nach dem Portemonnaie in den
vermeintlichen Taschen seines Nachthem
deS, schwitzte vor Angst, schimpste laut
auf den Esel, den Wilhelm, seinen
alten Diener, den selbst ein Kanonen
donner nicht aus seinem Hamfterschlaf
zu wecken vermöchte, wenn er einmal
mit Schnarchen losgelegt, und fand
schließlich in einer Tasche seines Solda
tenmantels eine verkrümmelte Mark, die
er dem Boten schenkte, und ihm die
Thüre vor die Nase zuwarf, um ihn
schnell loS zu sein.
Mein Gott, mein Gott. waS ist
denn da wieder pasftrt? Vielleicht ift die
arme Klementine gestorben, oder
Lothar, der Teufelsjunge, hat fich den
Hals gebrochen, oder "
Mit schlotternden Knieen wankte er
in sein Schlafgemach zurück und begann
nach seiner Brille zu suchen.
Ach. diese Brille! Etwa? Heim
tückischeres gab es nicht ! Der General
mußte sämmtliche Taschen sämmtlicher
Civil und Uniformröcke umkehren,
unter das Bett und unter das Sopha
kriechen, wobei er fich den Schädel hef
tig anrannte, ein Wasserglas umstürzte,
und feine LiedlingS-TabakSpfeife auf
den Boden warf und zertrümmerte, bis
fich die gesuchte ganz harmlos unter der
Zeitung auf dem Nähtisch fand.
Endlich!"
Er riß daS Telegramm auf, ohne die
Adresse zu beachten und laS :
Länger bezwinge ich nicht deS
Herzens Sehnen. Erwarte Sie
morgen 3 Uhr Goldfischteich
Kaiserbuche. E."
Daß Du die Motten kriegst!"
stöhnte der alte Herr, dem das Blatt
aus der Hand fiel, vor Erstaunen.
Er nahm eS wieder auf, las noch
einmal, eS war kein Irrthum, er
träumte auch nicht, nein, er war ganz
wach!
Welches verrückte Frauenzimmer
wollte ihn denn auf feine alten Tage
zu solch' einem Abenteuer verleiten?
Ei? wer konnte daS sein? Elise?
Die Landräthin hieß Elise ! Nein, daS
war unmöglich ! Elise ! Fräulein
von StachuS etwa? Sollte die eS auf
feine Wittwerfchaft abgesehen haben?
Heutzutage kann man den Frauensleu
ten AlleS zutrauen l
Jetzt wandte er daS Blatt und las
die Adresse, um eS gleich darauf mit
einem kräftigem Fluch auf den Tisch zu
schleudern.
Der Wisch war ja an seine Tochter
adresftrt.
Da soll doch gleich der Henker drein
fahren. Ein Rendezvous für meine
Tochter! Freilich, E. daS war der
GraSaffee. der Lieutenant Edwin von
Zehren, na, dem wollen wir'S aber
eintränken! Ift das eine Art, eine
Dame hinter dem Rücken deS VaterS zu
einem Rendezvous zu bestellen eine
Dame, wie meine Tochter !"j
Die Wuth deS alten Herrn war gren
zenlos, um feine Nachtruhe war es ge
fchehen.
Seine einzige Tochter, fein Stolz,
fein Augapfel das mußte doch exem
plansch bestraft werden I
Lange Zeit ging er ruhelos in feinem
Zimmer auf und ab. Seiner Tochter
wollte er kein Wort sagen, er selbst
würde fich zur bestimmten Stunde an
den Ort deS Rendezvous begeben, na,
und er wollte dem Unverschämten einen
gehörigen Denkzettel mit auf den Weg
geben, der seines Herzens Sehnen ein
wenig abkühlen sollte !
Edwin von Zehren hatte fich den
ganzen Winter hindurch ledhaft um
seine Tochter beworben und Melanie
gab ihm, wie eS schien, vor Anderen
den Vorzug. Er selbst hatte den Jun
nen gern gemocht uud ihm daS Beste
zugetraut, aber jetzt war er doch ganz
gründlich enttäuscht I
Bereits um halb drei Uhr am folgen
den Nachmittag faß Heinz von Trenken
wohlverborgen im SchwanenhäuSchen
am Goldfisch'Teiche.
Von diesem Beodachterpostcn konnte
er nicht nur die aiscrbuchk. sondern
den ganzen Göldstfch'Teich übersehen,
und er zitterte vor schadenfroher Er
Wartung, seine vousine Melanie kom
men und vergeblich auf den Geliebten
warten zu sclien.
Wenn er fie eine geraume Weile hatte
zappeln lassen, würde er auS dem Hin
tcthalte hervorbrechen. Und wie würde
er sie auslachen, ebenso erbarmungslos,
wie fie fich neulich gegen ihn gezeigt
hatte.
Wie würde fie sich vor dem Schul
bilden" gedemttthigt fühlen und aus
Angst, daß er sie verrathen und vor An
deren bloßftellen könnte, gewiß Alle?
thun, waS er von ihr verlangte!
Die Minuten im SchwanenhäuSchen
wurden ihm zu Ewigkeiten vor freudi
ger Erwartung. Er zweifelte keinen
Augenblick, daß sie in die Falle gehen
würde. War sie doch bis über die
Ohren in diesen albernen Lieutenant
verschossen, und um die Sache recht
dringend zu machen, hatte er eine De
pesche geschickt. Hätte er einen Brief
an fie gesandt, würde die Handschrift
die Fälschung verrathen haben.
Plötzlich sah er. unangenehm über
rascht. seinen Onkel, den General da
herkommen.
Was will denn der alte Knabe hier?
Ter hält doch sonst Mittagsschläfchen
um diese Zeit? Gut, daß Melanie
noch nicht da ist! Er wird wohl in
seinen Club gehen.
Aber zu feinem Entsetzen sah er den
Onkel unter der Kaiserbuche Halt
machen und dort auf der Bank Platz
nehmen. WaS bedeutete das?
Fiebernd vor Erwartung betrachtete
er den General. ES war bald kein
Zweifel niehr möglich, derselbe war an
Stelle seiner Tochter zum Rendezvous
gekommen!
Jetzt wurde eS Heinz in seinem Ver
steck unbehaglich zu Muthe.
Himmel! wenn der Onkel dahinter
kam. daß er fich diesen Scherz mit seiner
Tochter erlaubt.
An die Möglichkeit, daß die Depesche
dem Onkel in die Hände fallen könnte,
hatte er gar nicht gedacht. Oder rr
hatte fich in seiner Couflne abermals
verrechnet. Vielleicht hatte fie das er
halten? Telegramm dem Vater gezeigt?
Der General fing jetzt an unter der
Buche auf und abzugehen und vor fich
hin zu raifonniren. Seine Miene wurde
immer drohender, umwölkter.
Heinz schwitzte vor Angst. Plötzlich
verschwand die Sonne hinter den Wol
ken und ein Aprilregen rauschte in die
Baumknospen, gegen dessen kalte? Naß
kein Schirm und kein Ueberziehcr schützte.
Der General schimpfte laut. Er sah
fich nach einem Schutz um, da fiel sein
Auge auf das Schwanenhaus, das zum
Schmuck der Landschaft wie ein Echwei
zerHäuschen aus Barke und Stämmen
gezimmert, den Regen wohl aushielt.
Heinz sträubte sich das Haar zu
Berge, der Onkel eilte im Laufschritt
auf sein Versteck zu, stieß das Thürchen,
das er von innen zuzuhalten strebte, so
gewaltsam auf, daß er daS Gleichge
wicht verlor, hinpurzelte und den Ein
dringling mit zu Boden riß.
Ter General war zuerst sprachlos
vor Schreck, dann versetzte ihn der An
blick seines Neffen in maßloses Stau
nen.
ES dauerte jedoch nicht lange, so
ging ihm ein Licht auf. Er kannte
den Schlingel und seine Streiche nur
zu gut.
Warte. Du GraSaff! ich will Dich
lehren. Deinen Onkel um Nachtruhe
und Mittagsschlaf zu bringen!"
Er machte ruhig die Thüre des
SchwanenhüuSchenS hinter sich zu und
was nun folgte, das ließ Heinz später
beschämt einen großen Bogen um den
Goldfisch.Teich, al? dem Schauplatz
einer unliebsamen Erinnerung, herum
machen.
Zu feinem allergrößten Verdruß er
fuhr er auch noch, daß er den Onkel
zum Rendezvous gelockt und fich selbst
in das SchwanenhauS gesperrt hatte,
damit Lieutenant von Zehren unter
dessen Melanie allein zu Hause finden
und ihr recht ungestört seine Liebe er
klären konnte.
Heinz schickte sobald nicht wieder Je
mand in den April.
Tchnell gefaßt.
Der hessische Dichter H. v. Waldun
gen verfocht in einer Gesellschaft mit
großem Eifer die Behauptung, daß der
Kartoffelgenuß daS Gedächtniß schwäche.
Er esse deshalb keine Kartoffeln und
lasse fich auch nicht täuschen, wenn man
ihm solche in irqend einem Gerichte vor
setze, wo fie nicht gleich wahrnehmbar
fei. Bei Tisch wurde gleich darauf ein
feiner Kartoffelkuchen herumgereicht,
und Wildungen atz mit Behagen von
dem Gebäck, daS er für eine Art BiScuit
gehalten. Die Frau deS Hauses be
nahm nun seinen Irrthum, und die
ganze Gesellschaft brach in ein lauteS
Gelächter aus. Aber der Dichter half
fich schnell auS der Klemme. Da
haben wir gleich die Bestätigung meiner
Behauptung," rief er. Die Kartof
feln find dem Verstände schädlich.
Kaum habe ich den Kartoffelkuchen im
Magen, so weiß ich schon nicht mehr.
waS ich gegessen habe!"
indlich.
Mama (zur kleinen Anne, die erft feit
kurzem französisch treibt): Nun. weißt
Du auch schon, waS Ochs und Esel
heißt?"
Anne: Nein, Mama! Bei den
Schimpfwörtern sind wir noch
nicht !"