Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, June 09, 1898, Image 9

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An unsermStammtisch in derPrinzen
ftraße, Berlin, pflegte seit ein paar Iah
n kin sehr diftinguirter, aber ebenso
schweigsamer Herr von einigen sechzig
Jahren ftch einjur.nfcsn, der stille Eom
pagnon unseres freunde? HanS Hanisch
Ter alte Herr kam an einem oder zwei
Abenden in der Woche, trank eine halbe
Flasche Larose. lächelte über die finef
boten und Witze, die zum Besten gege
den wurden und entfernte sich in der
Siegel schon gegen els Uhr. wenn eS
eben anfing, gemüthlich zu werden. Er
hieß Frank Eoldau und war, odschon
deutscher Abkunft, nordamerikanischer
Burger. Ueber seine persönlichen Ver
Hältnisse ist unS nur wenig bekannt,
Er führte ein komfortables Junggesel
lenleden, machte im Eommer große
eisen und schien keinen Anhang zu ha
den. Ab und zu nur hatte man ihn in
Begleitung einer sehr schlanken, schwarz
gekleideten und tief verschleierten Tame
gesehen.
EineS TageS bereitete unS der sonft
so schweigsame Herr Eoldau eine Ueber
raschung: er wurde gesprächig. Die
Unterhaltung drehte sich um die Ver
Wendung von Eavallerie im Etrafzen
kämpf, und im Verlauf der Diskussion
kam auch die strategisch interessante
Frage auf'S Tapet, ob eS Kürasftre oder
Ulanen waren, die im Jahre 1343 am
Mittag deS 18. Mürz. vor dem könig.
lichen Schlöffe zur Säuberung des
Platzes von den zudringlichen Volks
Haufen verwandt wurden. Die Majo
ritüt deS Stammtisches war entschieden
für die Kürasstre, weil aber weder ein
Augenzeuge noch ein SpezialHistoriker
unter unö war, so wäre der Streit un
entschieden geblieben, wenn nicht auf
einmal Herr Frank Soldau das Wort
genommen Hütte.
.Nicht Kürafftre waren es," sprach
er, und auch nicht Ulanen, denn eS
standen überhaupt nur Dragoner an
der Stechbahn. Ich sehe noch, wie sie
plötzlich abschwenken unter allgemei
nem Jubel, weil AlleS denkt, daß sie
abrücken wollen und wie sie dann
auf einmal unS nach der Kurfürsten
brücke drängen, gerade in die Bajonette
der Franzer, die vom Schloßhof aus
vorgingen."
Wir sahen ganz verdutzt auf den
Alten : waS wollte unS dieser Amerika
ner aufbinden?
Ich war nämlich selbst dabei. fuhr
Frank Soldau fort, und ich hoffe, Sie
werden mich darum nicht schelten. Sie
müssen wissen, daß ich ein echter Spree
athener bin, in der Roßstraße geboren.
Wenn eS mich hier forttrieb, weit hin
aus in die Welt, so ist der Achtzehnte"
daran Schuld auch ich bin eins sei
ner Opfer. Er hat mir das Leben ge
lassen, aber er hat mich deS Liebsten
beraubt, das ich in diesem Leben beses
sen: meiner unvergeßlichen Mutter.
Aber ich langweile Sie da mit senti
mentalen Erinnerungen.
Wie sich entschuldigend, ließ er seinen
Blick über unsere Tafelrunde hinschwei
sen ; allein e8 bedürfte keiner Entschul
digung, wir hingen Alle wie gebannt
an seinem Munde.
.Ich war zwölf Jahre alt. fuhr
Frank Eoldau fort .und besuchte die
Quarta des Kölnischen Gymnasiums.
Mein Vater war ein penfionirter Ofsi
zier, hatte eine Anstellung beim Steuer
amt und kam täglich zur Mittagszeit
aus feinem Bureau hinter dem Gieß
Haufe heim. Damals, am Achtzehnten,
hatten wir ihn abgeholt ich und
mein älterer Bruder Konrad, ein hoff
nungsvoller Sekundaner.
ES war ein milder, sonniger Früh
lingStag. Am königlichen Schlosse stau
ten ßch dichte Menschenmassen. Die
Einen waren im schlichten Arbeitskittel,
Andere im Leibrock und Binde, mit
weißen Stäben in der Hand. ES wa
ren, wie mein Vater mich belehrte,
Mitglieder der BUrgerdeputation, die
dem König den Dank für die gewährten
Konzessionen überbringen sollte. Diese
Männer waren freudig bewegt, um
armten sich auf offener Straße und
weinten Freudenthrünen die Andern
aber, die in den Kitteln und schlechten
Röcken, mit den verhärmten Gesichtern
und den harten, schwieligen Händen,
blickten finster drein und schienen immer
noch auf irgend etwas zu warten.
.Aber so freut Euch doch und geht
heim, Ihr lieben Leute", hörte ich einen
würdigen alten Herrn zu einer Arbei
t.igruppe sagen, Se. Majestät haben
voch AlleS bewilligt l"
i .Gar nichts hat man bewilligt,"
wurde ihm erwidert. .Das verstehst
Du einfach nicht, Alter."
WaS wußte ich damals von Revolu
tion ich, ein guter preußischer, in
strammer Gesinnung erzogener Solda
tenjungel Daß eS schon die ganze
Woche hindurch, vom Montag an, Rei
düngen und Zusammenstöße gegeben
hatte ja, daS wußten wir wohl.
Wir hatten auch die Kürassire und Ula
mn einhauen sehen und die ersten
Schüsse gehört, die am Donnerstag
Abend vor dem Zeughause auf die
Volksmenge abgegeben wurden. Das
Alles erregte natürlich unsere unreife
Einbildungskraft Sie können sich
denken, daß eS unS lebhafter interef
sirte, als unser Cornelius NepoS.
Wir drängten unS mühsam durch die
dichtgeftaute Menge an der Stechbahn.
In den Eingängen zum Schloßhof sah
man Bajonette blitzen, und die Etra
ßen ringsum waren von Kavallerie be
fetzt. ES waren Dragoner, wie ich
M
Sonn
agsgast
Jahrgang 10.
Bcilagc jnrn Ncbraska 2taats-?ln;cigcr.
No. 3.
schon früher gesagt. DaS war nicht
Friede und Versöhnung. waS man da
in den Eoldatengcstchtern sah. sondern
bitterböse Feindschaft. Plötzlich ging
eS wie ein dumpfes Grollen durch die
Menschenmaffen, und auS zehntausend
Kehlen tönte eS zu den Schloßsenftern
hinauf : .Militär fort !"
Wie ein längst erwartetes Signal
wirkte dieser Stuf. Sie Kavallerie setzte
sich in Bewegung, und mit geschwun
genem Säbel, in scharfem Trabe, jag,
ten die Reiter in die dichte Menge,
WildcS Schreien ringsum: Hilfe!
Hilfe! Verrath!" und wüfteS Stoßen
und Drängen.
Wir suchten so rasch als möglich die
Breitcftraße zu erreichen, allein e? war
nicht möglich, wir mußten mit den An
deren nach der Kurfürflendrücke. Auf
einmal hörte ich dicht hinter mir einen
schmerzlichen AuSruf. Ich drehe mich
um und sehe meinen Vater mit blut
überströmtem Gesichte, durch einen SS
belhieb verwundet.
Es ist nicht schlimm." sagte er.
seht nur zu, daß ihr nicht abgedrängt
werdet."
Tann krachten ein paar Schüsse
das bekannte Mißverständnis; und die
Garden gingen zurück. Alles stob blind
auseinander, dahin und dorthin, denn
man erwartete weiteres Feuern. Ich
erreichte an des VaterS Seite die Breite
ftraße; als wir uns aber nach Konrad
umsahen, war der spurlos verschwunden.
WaS sollten wir beginnen? In der wild
daherfluthenden Menge gab eS keine
Umkehr, wir konnten nur vorwärts,
immer weiter vorwärts."
Verrath! Barrikaden! Zu den Was
fen! tönte es ringsum. Der Menschen
ström trug unS weiter, am Kölnischen
RathhauS vorüber nach der Roßftraße
zu. Hier machten wir Halt und schau
ten noch einmal zurück: von Konrad
keine Spur. Schon begann man daS
Straßenpflafter aufzureißen, schon tru
gen sie Balken, Kisten und Fässer zu
sammen zum Barrikadenbau, schon
tauchten Gruppen von Bewaffneten auf.
Ein wildes Durcheinander von Schreien,
Fluchen und Fragen, Jeder erzählte
dem Anderen das Schreckliche das ge
chchen.
Wir wohnten in einem der ersten
Häufer der Roßftraße, im oberen Stock
werk. Am Hofbrunnen wusch der Vater
sich daS blutüberströmte Gesicht, aber
immer von Neuem quoll die rothe Fluth
aus der frischen Stirnwunde. Wir
wollten die Mutter nicht erschrecken, die
ab.'r hatte uns schon von oben her be
merkt und rief unS erschrocken an. waS
eS denn gäbe. Da gingen wir hinauf
und erzählten ihr AlleS so schonend wie
möglich. AIS sie aber das rothe Blut
niederrieseln sah und vernahm, daß
Konrad nicht mitgekommen da brach
sie mu einem Aufichrei zusammen und
blieb ohnmächtig liegen.
Wir holten einen Arzt und eine kluge
Frau, denn meine Mutter war guter
Hoffnung. Drei Stunden später hatte
ch em Schweflerchen unter Kanonen
donncr und Sturmgeläut war es gedo
ren. wohl einen Monat zu früh.
Unsere ylnim aber sollte nicht mehr
genesen. Sie hatte schon lange gekrän
kelt, und die kleine Schwester war ein
Spätling gewesen, den man nicht mehr
erwartet hatte. Bleich und kraftlos lag
die Arme aufjihrer Lagerstatt, während
die Sonne hell zum Fenster hereinlachte,
und auf den Straßen Berlins der Völ
erfrühling sproßte.
Wir hatten sie in dem Hinterzimmer
gebettet, aber auch hierher drang der
wilde Lärm deS Kampfes. Der Arzt
ging und kam wieder, wohl zwei, drei
mal am Nachmittag, und immer ernster
wurde fein Geficht. Wir standen an ih
rem Bett und weinten, sie aber hatte nur
noch einen Wunsch: Konrad. ihren Ael
testen, den Liebling ihreS Herzens, noch
einmal zu sehen.
Konrad wo blieb er nur ? WaS
wc.r mit ihm geschehen ? Da war er nun
ganz allein draußen in dem tobenden
Aufruhr und hier starb sein armes
Mütterchen, das er so sehr liebte. Aber
vielleicht war er selbst schon todt, von
den Hufen der Rosse zerstampft
welch' ein furchtbarer Tag!
Jetzt wandte Mütterchen langsam den
Kopf nach unS. Die großen dunklen
Augen schweiften suchend durch daS
Zimmer.
Bringt mir Konrad her.. ich möcht'
ihn noch einmal sehen "
Da faßte ich einen kühnen Entschluß:
ich wollte Konrad suchen. Schon längst
war die Sonne untergegangen, und die
volle Scheibe deS Mondes stand über der
wild erregten Stadt. Ohne dem Vater
ein Wort zu sagen, schlich ich mich auf
die Straße hinaus, vielleicht, daß ein
glücklicher Zufall mir den Gesuchten ent
gegenführte.
Ich erkannte meine alte Roßstraße
nicht wieder: überall Barrikaden, drei,
vier, fünf hinter einander, und hinter
ihnen bewaffnete Menschen, die einen
mit Büchsen und Säbeln, die anderen
mit Acxten. Brunnenschwcngeln. Ei
senftangen. da und dort Bivoualfeuer
und gackeldrände, und junge Burschen,
die für die Barrikadenstreiter Kugeln
gössen, und Mädchen, die ihnen Kaffee
bereiteten. Die Dächer, die BalkonS,
die Kellerlöcher, alles war von Menschen
dicht besetzt, die zum äußersten Wider
stand entschlossen schienen.
Man wollte mich am Vordringen hin
dern. aber so oft ich sagte: Meine
Mutter stirbt, ich suche meinen Bru
der!" ließen sie mich unbehelligt gehen.
So kam ich langsam vorwärts und rief
immer nur: Konrad! Konrad Sol
dau!" Der Eine oder Andere nahm den
Namen auf und half mir, aber kein
onrad meldete sich.
Langsam war ick so bis ,ur firnin
Barrikade am RathhauS avancirt. Hier
herrichte eme ganz kriegsmüßlge, kam
pfeSfreudige Stimmung. Der erste An
griff der Garde war abgeschlagen toor.
den, die Zuversicht der Barrikadenmün,
ner war müchtia aewacklen.
Wieder begann ich laut Konrad zu
rufen, allein ein großer, bärtiger Mensch
hielt mir grob den Mund zu. Laute
Trommelwirbel rollten durch die Nacht
sie verkündeten daS Herannahen der
Truppen.
Mein Freund, der Grobian, drängte
mich hinter eine große, mit Steinen
und Erde gefüllte Tonne hinter der er
selbst Pofto faßt. Eine Salve knatterte
ich hörte deutlich das Pfeifen und
Einschlagen der Kugeln. Ein paar
Verwundete wurden vom Platze getra
gen. Die Barrikadenmänner erwider
ten daS Feuer es war ein heißer
Kampf. Ich hockte in einem Winkel,
wie vom Fieber geschüttelt. Mein
Nachbar schoß auS einer Kugelbuchse
lud, zielte und schoß immer wieder von
Neuem. Plöklick wandte er cd iu
mir um und sagte :
Da. willst auch 'mal schießen?"
Ich richtete mich auf und sah ihn un
alüubia an er läcdelte so Mfam.
Und da war eS mir auf einmal, als
ob S mich m:t Gewalt nach dem eisernen
Rohre zöge; ich drückte den Kolben fest
an die Schulter und zielte.
Auf den dort!" sagte mein Nach
bar, die Büchse richtend und wies auf
einen Grenadier, der in einiger Ent
fernung an einem HauSeingang stand.
Ich schoß und sab den Mann wanken
ich hatte ihn getroffen. WildeS
Feuer lohte in meinen Adern. Ich hatte
alles, alles veraeffcn meine sterkend
Mutter. Konrad und das Schwester
chen. Ich sah nur noch daS Schloß
drüben und die Soldatentruvvs, die
im Halbdunkel der Mondnacht gegen
die Barrikaden anrückten. Noch ein,
zweimal schoß ich da? Gewehr ab.
as signai zum Rückzug ertönte die
Garden aaben den Angriff auf. AK?r
sie kamen wieder, diesmal mit Kano
nen. Ge,cyog aus beschoß schlug in die
Barrikade ein, deren Vertheidiger sich in
die Seitenhäuser zurückgezogen. Zer
brochene Waffen, verkohlte Holzscheite,
mächtige Stücke MauerwerkS lagen um
her. Große dunkle Blutlacken färben
daS Pflaster eS hatte diesmal auch
Tome gegeben.
Mein bärtiger Mentor hatte mich in
die Tbür deS RatbbauseS aeinnen. nn
dessen Fenstern der Kampf gegen die
Gruppen sortgeietzt werden sollte. Da,
als ich eben mit einer Schaar vonMän
nern die Treppe zum Oberstock emvor.
steige, höre ich eine bekannte Stimme :
es in mein Bruder Konrad, den ich
suche. Unser guter, alter Gymnasial
direktor. der im Ratbbause wobnte.
hatte ihn von der Straße hineingeru
fen und bei sich behalten, daß ihm in
dem wilden Treiben kein Leid geschehe,
säetet erst besann ick mick Mieder. ms.
halb ich denn weggegangen war. In
auer van erzählte ,q ttonrad. was mit
der Mutter geschehen, und wir suchten
eiligst fortzukommen.
Durch ein emae cklaaeneS ftenster ne
langten wir auf die Straße mitten
unter die erregte Menge, die mit ihren
Leidern den Straften ßinnatm heift.
Wohl eine halbe Stunde brauchten wir,
um aus dem Knäuel herauszukom
men und unser HauS zu erreichen. Wir
stürzten die Trevde ernvnr und ttn
leise in'S Krankenzimmer ach, da
lag MUllercyen Ichon mit gebrochenem
Auge. lelloS und kalt, wie die Todten
draußen an der Barriekade.
Das. meine Herren." schloß Frank
Soldau seine Erzählung, war mein
achtzehnter Man. Unser Vater fnfnt
der Mutter bald nach. Wir Jungen
gingen später nach Amerika, wo Kon
rav ais vspzier der Nordftaaten in der
Schlacht bei Bull Run gefallen ist.
Meine Schwester ober lebt 8 ist hi
Dame in Trauer, mit der Sie mich
wohl schon gesehen haben. Sie ist
taubstumm geboren."
Ein Loth Glück wiegt mehr als ein
Pfund Verstand.
Der Linbreer.
Humoreske von 4i i l h 1 1 rn e x b t r t.
Rolf Echmitt war seit einem halben
Jahre Rcchlsanwalt.
Seine reizende schwarzäugige Frau,
die er als Referendar kennen gelernt
und beiaubert hatte, wollte nicht all
die Führlichkeiten abwarten, die der
heiße Kampf um eine Staat-stel
lung mit sich bringen konnte: sie wollte
bald mit ihrem geliebten Rolf vor dem
Altar stehen, und da ihre Mitgift ihm
eine freie Berufswahl gestattete, war
er in die Fußftapfen StceroS getreten
und hatte sich eine Rode, ein Sammt
barrett und ein elegantes Messingschild
gekauft, auf welch' letzterem seine Würde
in einladender Form unten am Hause
angeschlagen war.
Nun wartete er auf den ersten Klien
ten.
Anfänglich ruhig und fiegeZgewiß
dann mit unmuthigem Erstaunen über
dessen langes Ausbleiben zuletzt mt
nervöser Verbitterung.
Sein ganzes Geistesleben cencentrirte
sich um den einen Punkt. Ob er
Nachts träumend im Bette lag, ob er
mit feiner allerliebsten Frau in der
Op?r faß oder mit ihr eine Spazier
fahrt unternahm, immer finnirte und
grübelte er dem Unbarmherzigen nach,
der da nicht kommen wollte dem ersten
Klienten.
Er versuchte verschiedene ftandcsge
mäße Reklamaformen, er knüpfte auf
den Gerichtsgüngcn in leutseliger Weise
Gespräche mit Personen an, die vertre
tungSbedürftig oder Vertheidigung?
werth aussahen. Alles umsonst. ES
war gerade, als wären die Civilprozesse
wie mit einem Schlage verglichen und
die Strafdelikte abgeschafft worden.
Naturgemäß litt auch Frau Hermine
entsetzlich unter der ungestellten Sehn
sucht ihres Mannes. Sie, die noch
vor einem Jahre von der Streitsucht
der Welt und von ihrer Schlechtigkeit
nichts gewußt hatte, erblickte jetzt mit
Vorliebe in den harmlosesten Menschen
Prozeßhansel" oder gar Verbrecher,
nur damit diese bei Rolf Schmitt die
Klingel ziehen und eines der vielen
unbenutzten Vollmachtsformulare hät
ten unterzeichnen können ; sie las fast
nur mehr die Lokalnotizen, freute sich,
wenn wo eingebrochen war, weil sie
schon ihren Mann mit einer fulmi
nanten Rede die Einbrecher heraus
hauen sah ; ja, zuletzt ertappte sie
sich gar über den Gefühlsentartung,
daß sie es heimlich in tiefster Seele ganz
gern gesehen Hütte, wenn plötzlich ein
Raubmörder in den Salon getreten
wäre und gefragt hätte: Bitte, kann
ich vielleicht Herrn Dr. Schmitt fpre
chen?"
Verwandte und Bekannte blieben
natürlich nicht uneingeweiht in den
Jammer der Dynastie Schmitt. Die
Einen lachten laut, die Anderen leise;
die Besten darunter zuckten die Achseln
und ein gutmüthiger Onkel erklärte
kürzlich beim Gehen mit freundlichem
Schmunzeln: Wißt Ihr, Kinder. eS
ist ja sehr nett bei Euch daS kleine
Frauchen kocht sogar, waS ganz wider
die Mode ist. ausgezeichnet aber
Eines ist doch recht unbequem: Um bei
Euch gern gesehen zu werden, müßte
man mindestens immer unterwegs
Einen todtgeschlagen haben und für die
beste Portion Rehschlegel oder Forellen
ist mir eben doch meines Nächsten armes
Leben nicht feil! Also gehabt Euch
wohl, ich komme erst wieder, wenn Ihr
mal einen dauerhaften und leistungs
fähigen Klienten besitzt!"
Die Sache war noch immer erträglich
gewesen, so lange Dr. Müller. Schmitt's
Jugendfreund, der sich gleichzeitig als
Arzt niedergelassen, keinen Patienten
hatte. Getheiltes Leid ist halbes Leid
und eS that dem Schmitt'schen Ehepaare
außerordentlich wohl, wenn eS der Lei
denschaftlichkeit lauschen konnte, mit der
sich die Müller'schen Leutchen gegen die
boshafte Gesundheit der heutigen Gene
ration äußerten.
Nun war aber auch hier daS Entsetz
lich-, lange Gefürchtet? eingetreten: Ein
unglückseliger Leberleidender hatte sich
zu Dr. Müller verirrt und war dort
mit auSge'uchtefter Höflichkeit aufge
nommcn worden. Dr. Müller machte
ihm nach halbstündiger begeisterter Un
terfuchung die freundliche Eröffnung,
daß eS auch um feine Milz bedauerlich
und um seine Nieren nicht zum Besten
stünde, daß er aber an die rechte Schmiede
gekommen sei und auf Heilung unbe
dingt rechnen könne, daß übrigens min
bestens ein halbes Jahr dahin gehen
müsse. Nun kannten sich Müller's na
türlich vor Hochmuth nicht mehr aus.
Frau Dr. Schmitt llhlte sich auf'S
Blut gepeinigt, fo oft sie mit denselben
zusammenkam, und warf sich eines
Dienstag Abends nach einem Kaffee
krünzchen schluchzend an ihreS Mannes
Brust und stöhnte: Rolf, ich Halt'S
nicht mehr aus nun hat sich auch
noch eine Köchin, die sich im Mörser
den Finger quetschte, die Wunde bei
Müller'S verbinden lassen die kleine
arogante Person redet jetzt schon von
zunehmender Praxis und wir haben
noch immer keinen Klienten eS ist
unsäglich!"
.O!" knirschte er. AlS ob sich das
Schicksal gegen mich verschworen Hütte!"
Da. am anderen Morgen geschah das
Ungeahnte.
Frau Dr. Schmitt schrieb eben einen
Jammerbrief an ihre Mutter, worin
sie dieser ihr Leid in den lebhaftesten
Farben schilderte. Plötzlich ging die
Thüre auf und ihr Mann stürzte herein
kirschroth im Gesichte.
Ich hab' ich hab'" rief er.
nach Luft schnappend.
Um Gotteswillen, Du wirst doch
keine Stahlfeder verschluckt haben?"
stammelte sie entsetzt.
Einen Klienten hab' ich!" rief er
jubelnd, ra da"
Sie bekam Herzklopfen vor Ent
zücken und Stolz. Na warte. Frau
Müller! Dann eilte sie mit ihm an's
Fenster. Wo wo?"
Dort!"
Aber eS geht ja Niemand auf der
ktraßel"
.Niemand?" wiederholte er im Tone
schwersten VorwurfS. .Ist mein erster
Klient Niemand?"
Ader dieser abgerissene, herunterge
kommene Mensch kann doch nicht '
murmelte sie, als sie jetzt bei scharfem
Zusehen ein wenig Vertrauen erwecken
deS Individuum an den Häusern hin
schleichen sah.
Und daS ist Dein erster Klient?"
fragte sie sehr betreten. Den hab' ich
mir allerdings ganz anders vorgestellt!"
Ja. Kind." lachte Schmitt. Kom
merzienrüthe werden nicht als Einbrecher
verdächtigt!"
Er ist also ein Einbrecher?" frug sie
interesfirt und betrachtete ihren Mann
schon mit einer gewissen Bewunderung.
Und was für Einer!" fuhr es die
sem heraus. DaS heißt." setzte er so
fort hinzu, er wird eines höchst kecken
Einbruchs bezichtigt, den er aber zwei
felSohne nicht begangen hat o. ich
sage Dir, daS wird eine großartige Ver
Handlung eine , , cause celebre ' '
ich werde eine glänzende Rede halten
ich werde den StaatSanwalt vernich
ten!"
Und Du hältst ihn also wirklich für
unschuldig?" fragte sie und ihre Wan
gen begannen sich lebhaft vor Freude zu
röthen.
Unschuldig?" rief er. Für einen
Ehrenmann halte ich ihn. für eine brave
Seele durch und durch! Meine Hand
lege ich für ihn in'S Feuer! O, ich sage
Dir. wir haben ein Alibi zusammenge
macht "
Zusammengemacht? Du wirft doch
nicht "
Du mißverstehst mich!" meinte er
ärgerlich. Der Klient der unerfah
rene Mann auS dem Volke ist natürlich
unbewandert, unbeholfen im Kriminal
man muß ihm an die Hand gehen
man muß aus der Masse dessen.
was er vorbringt, das Treffende, das
Einschlagende auSlesen und aneinander
reihen "
Wie Du daS AlleS verstehst!" rief
sie jetzt in heller Begeisterung. Ich
gratulire Dir, Rolf, zu unserem Ein
brecher! Aber jetzt muß ich fort! Ich
muß zu Müller! Die werden eine Wuth
haben!"
Er nickte ihr freudig zu.
Wir gehen mitsammen!" sagte er.
Ich will doch auch im Vertrauen mit
ein paar Freunden über den Fall fpre
chen! Ein Menschenleben darf man
nicht so auf die leichte Schulter neh
m:n!"
Mittags kam er spät mit den deut
lichen Spuren eines animirten Früh
schoppenS beim. Ader Hermine verzieh
ihm jetzt AlleS.
Die nächsten Wochen verflogen im
Taumel der Freude. Der große Tag
rückte heran. Ein ausgewähltes Audi
torium füllte den Gerichtssaal. Schmitt
stand vorne am Vertheidigertisch nach
außen triumphirend, stegeZgewiß, inner
lich auf's Aeußerfte beunruhigt; denn
seit gestern war ihm das Konzept seiner
Rede auf spurlose Weise verschwunden;
er beherrschte sie auch nicht mehr im
Gedächtniß aber sei'S d'rum, die In
spiration, die Begeisterung für die gute
Sache würde sicher die Gedächtnißlücken
leicht ausfüllen lassen! Seine Frau faß
bei ihrer besten Freundin Frau Dr.
Müller in der ersten Reihe; na. was
die Müller heute ausstehen mochte!
Hundert Leberkranke wogen ja doch
einen Einbrecher nicht auf.
Nun trat der Gerichtshof ein.
ES wurde feierlich still.
Angeklagter, treten Sie vor!" sprach
der Präsident.
Da zeigte sich plötzlich, daß der Ange
klagte fehlte.
.Mein Klient wird sicher erscheinen!'
betheuerte Schmitt. Er war noch
gestern bei mir!"
.Man hätte den Verbrecher gleich
verhaften sollen!" bemerkte der Staats
anwalt.
Schmitt fuhr auf.
.Die Ehre eines Unschuldigen "
rief er.
Da wurde dem Vorsitzenden ein
Schreiben überreicht.
Dieser winkte.
.Soeben." sagte er. .empfangt ich
einen Brief des Angeklagten, den ich
hiermit verlese : .Werther Herr Ge
richtZhof l Die schlechten Erfahrungen,
welche ich schon mehrmals bei Sie ge
mackt bade. Verbindern mir am herffln
lichen Erscheinen ich sehe mich die
kache lieber aus sicherer Ferne an, wo
mir der hochgeschätzte Herr Staatsan
walt auch nickt nnden wird! Dem
Herrn Vertheidiger seine Rede habe ich
gelesen; icy sano ne in dem Ueverzieher.
den ich gestern, als ich ihm besuchte, aus
Verseben anzoa! Die Rede bat mir sebr
gerührt, weshalb ich sie ihm anbei zu
ruaienoe; oen ueoerzieyer rann iq leider
nicht beilegen, weil der Brief sonft
Strafporto kosten würde. Mit den
höflichsten Grüßen Simon Schlauberger,
Einbrecher."
.Herr Vertheidiger." sagte der Vor
sitzende, bitte, hier ist Ihre Rede!"
In einem Augenblick Millionär!
Nur wenigen Menschen ist eS ver
gönnt, zu entdecken, daß sie auf einem
Edelftcinlager von fabelhaftem Werthe
stehen. DiefeS seltene Glück widerfuhr
unlüngft einem Bergsachverftündigen,
T. E. Bassett, den fein scharfes Auge
und ein glücklicher Zufall vom armen
Manne zum Herrn von Millionen
machten. Bassett, der bei einer Berg
werlS'Gefellfchaft in Südamerika ange
stellt ist, befand sich zu kurzem Besuche
bei Verwandten in Ealifornien, wo er
auf den Gedanken verfiel, einen Theil
seiner Zeit zum Goldsuchen zu verwen
den. Bei feinen Wanderungen kam er
auch nach dem sogenannten .Thale deS
TodeS", wo er eines Tagcs, um die
Umgebung besser Überblicken zu können,
eine kleine kegelförmige Anhöhe erstieg.
Schon im Begriff wieder hinunter zu
gehen und seinen Weg fortzusetzen,
fesselte ein bläulicher Strich am Erd
boden plötzlich seine Aufmerksamkeit.
Bassett'S Herz begann stürmischer zu
schlagen, denn sein geübtes Auge er
kannte sofort, daß der Schein von dem
sogenannten Blauen Fluß" herrührte,
der ein sicheres Zeichen für das Vorhan
densein von Türkisen im Boden ist. Er
besteht in der That aS nichts Anderem,
als einer Mischung von Quarz und
Türkisen, die durch vulkanische Wärme
bei sehr hoher Temperatur zusammen
geschmolzen ist. Bassett verlor keine
Zeit, sich ein Abbaurecht auf jene Stelle
zu sichern und war mit Spitzaxt und
Schausei bald an der Arbeit. Da
wurden auch seine kühnsten Erwar
tungen überboten, denn in der Tiefe
von zwei Drittel Meter stieß er auf eine
reiche Ader, die dicht von den schönsten
Steinen durchsetzt war. Je tiefer er
grub, desto herrlicher wurden die Edel
steine, und binnen 14 Tagen konnte er
nach San Francisco zurückkehren, be
laden mit über 30 Kilo der glänzendsten
und fleckenlosesten Türkisen, die bisher
je gefunden wurden.
mnt hübsche Sittengeschichte
passtrte in dem Dörfchen D. unweit
Salzwedel. Ein dortiger Bauer fand
am Wasser ein Nest mit Wildenten
Eiern. Er nahm sie mit, legte sie einer
Glucke unter und die brütete die Eier
auch aus. Nachdem die Enten ziemlich
flügge waren, verkaufte er dieselben an
einen Landmann aus einem benachbar
ten Dorfe.
Als dieser seiner Verwunderung AuS
druck gab über daS eigenthümliche Aus
sehen der Enten, gab ihm der Verkäufer
den Trost : De Ollen hewen ok so ut
sehn!" (die Alten haben auch so auSge
sehen), und befriedigt zog der andere
mit feinen Enten von bannen.
EineS TageS nun den Enten waren
inzwischen die Flügel tüchtig gewachsen
hoben sie sich in die Lüfte und ließen
dem Bauer daS Nachsehen. Betrübt
kommt er zum ersten Besitzer, um ihm
sein Leid zu klagen, dieser tröstet ihn
abermals mit den Worten: De Ollen
hewen dat ok so makt!" (die Alten
haben daS auch so gemacht).
Zarte Rücksicht.
AlS nach dem Jahre 1843 die Be
ziehungen zwischen Preußen und Ruß
land besonders eng waren, wurde einem
russischen Censor in Warschau ein Lehr
buch der Chemie vorgelegt, daS auch
den früher üblichen Ausdruck: Acidum
Borufftcum" (Preußische Säure) ent
hielt. Der Ausdruck mußte getilgt
werden, denn," so sagte der Bescheid,
eö ist durchaus unstatthaft, ein Gift
mit dem Namen eines Staates zu be
zeichnen, der mit der Regierung Sr.
Maieftät des Zaren so lnmg befreundet
ist."
Das eiserne Inventar.
Gast: .Ich kann daS Huhn nicht
essen. Herr Wirth. eS ist ja so hart wie
Leder."
Wirth: WaS? sowaS soll bei mir
pasfiren, bei mir. dem renommirteften
Gastmirth der Stadt? Als ich vor
fünfundzwanzig Jahren dieses Geschäft
übernahm "
Gast: Da haben Sie wohl diese?
Huhn mit übernommen?"