Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 28, 1898, Image 10

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    Der iMauc und der Graue.
Nach dkii Zu!zk,chnungkn tmrt Union
i'elnamn. Vta 'MobtU liin.
ES war während b blutigen Eam
K, orthT.s iftsio I kK,rst
fMill Vk'J i"- - " - 1
Woodcock vom 12. MaffachusettSRegi
ment ftch aus einer RttognoZcirungS.
tour befand. Er saß forschend borge,
lehnt auf seinem Siosik und sah durch
seinen Feldstecher auf eine weite Flache
virginischem Tieflandes, das hin und
wieder von recht winkeligen Waldchen
unterbochen wurde, herab. Im grauen
Lichte des JndianersommerZ kamen ihm
jene seebraunen und geldlichen Flecke
wie vorgeschobene Infanterie CareeZ
vor, deren Bajonette sich blinkend im
Abendscheine bewegten.
In Wahrheit dienten jene Gebüsche
Haufen von grau uniformirten Solda
ten zum Versteck, die von Zeit zu Zeit
daraus hervorstürzten, um detachirte
Unionssoldaten zu überfallen, einige
bleierne Jnvectiven über sie auSzuspeien
und dann, gehüllt in leichte Wolken von
Pulverdampf, wieder zu entweichen, doch
selten, ohne einige zuckende, wimmernde
Kameraden auf dem von Rossen zer
trampelten Wiesengrunde zurückzulassen.
Die Uederledenden schienen in diesen
hellfarbigen Flecken wie Gespenster zu
verschwinden. Abtheilungen von Unio
nisten wagten sich allerdings in die Ge
ftrüppe hinein, fanden jedoch nie eine
lebende Seele darin. Kaum waren sie
an der entgegengesetzten Seite wieder
heraus, dann freilich entströmten den
verwünschten Verstecken schon wieder
neue Haufen der Vorhut der Confö
derirten.
Als Oberst Woodcock sein FeldglaS
herunternahm, lag Unmuth ob der ge
schauten Vorgänge auf seinen nachdenk
lichen, wettergebrüunten Zügen.
Capitain," sagte er zu seinem Käme
raden, täuschen wir unS nicht. Diese
Kerle fechten wie der Teufel. Nur
bleibt eS rüthfelhaft. wie sie in den Ein
geweiden dieser Dickichte so spurlos ver
schwinden können. ES soll mich "
Der Satz wurde nicht vollendet. Der
Oberst gab plötzlich seinem Roffe die
Sporen. ES stürmte mit seinem Reiter
in die Niederung hinab, und wo seine
Hufe gegen Kiesel in seiner Bahn don
nerten. da flogen Funken, krachend wie
Pistolenschüsse.
Eine Abtheilung UnionS-Cavallerie
kreuzte in der Diagonale die Bahn des
Kommandeurs. Ihre blauen Uniformen
waren entsetzlich bestaubt. Der Zug
bewegte ftch auf eine Schatten verheißende
Baumgruppe zu. Da sielen plötzlich
zwei der Reiter unter einem Kreuzfeuer,
und gleichzeitig tauchte ein umfang
reiches, weißes Gebäude vor den Blicken
des erstaunten Obersten Woodcock auf.
Wie aus dem Boden gewachsen. ge
spenstisch stand eS da, im letzten Schim
mer des scheidenden TageS. Offenbar
aus der Colonial-Epoche herftammend.
trug eS gleichwohl die Merkmale hoher
moderner Cultur. ES war der Sitz
südlicher Aristokraten; das schien dem
Obersten gleich klar. Ein niedrige?
Gitter, dahinter ein verdorrter Blumen
garten, umfing den rechten Flügel des
Schlosses.
Ein barhäuptiger Flüchtling in grauer
Uniform, mit einer weißen, blutbefleck
ten Binde um die Stirn, strebte auf
diesen Flügel zu, zwängte sich durch eine
Fliederhecke und klomm zu einem hohen
Bogenfenster empor.
Eine schneeweiße Hand ward durch
ein Spalt der Vorhänge fichtbar. Sie
öffnete das Fenster und schloß eS wie
der, nachdem sie dem Grauen" herein
geholfen.
Spaßhaft," murmelte der Blau
rock". Ich glaube, dieser Hansnarr
bildet sich ein, er fei nun so sicher wie in
einem Bankgewilbe. Bah!"
Damit stürmte er, den Säbel in der
Faust, auf den Garten zu, übersprang
das Gitter und durchbrach die Flieder
hecke. Vor dem verhangenen Fenster
machte er Halt. Ein fürchterlicher
Schlag mit der flachen Klinge zertrüm
merte eS dergestalt, daß ein Mann be
quem durchkonnte. Als der Oberst die
GlaStrümmer auf dem Teppich deS Zim
merS dumpf niederkrachen hörte, machte
er eine Pause. Während derselben be
merkte er. daß ihm eine Handvoll seiner
Leute gefolgt war. und so sprang er
nun ohne Bedenken auS dem Sattel
direkt in die Fensternische und von da in
das Zimmer hinein!
Welch ein Bild! Vor einer geschloffe
nen Thür stand eine Dame, jung und
schön, mit bleichem, edlem Antlitz, die
Arme weit ausgebreitet, so daß ihre
Finger die Thürpfosten zu beiden Sei
ten berührten. Sie sah fast aus wie
eine Gekreuzigte, so innig schmiegten sich
ihre weichen Formen an das Kreuz im
Getäfel der Thür.
Betroffen trat der Oberst einen Schritt
zurück und grüßte militärisch. Er der
suchte etwas zu sagen, aber Entschuldi
gungen find oft taktlos, und als er den
noch Verzeihen Sie" stammelte, gerieth
er über die eigene Thorheit so in Ver
wirrung. daß er schnell hinzufügte:
Nein, ich nehme das zurück! Weiß
wohl, daß ich ein Eindringling bin.
aber Krieg ist Krieg! Der Graue",
den Sie verbergen, würde in meinem
Hause, wenn er jemals dahin gelangen
sollte, ebenso verfahren."
Niemals!"
Welche Anmuth lag in diesem entschie
denen Widerspruch, mit so weiblich
füßer, rauher Sprache ungewöhnter
Stimme geliefert! Der Blaue" war
wie verhext. Er gehörte gewiß nicht zu
den Weichherzigen, dieser Bvstoner Club
Mensch, der Frauen kaum anders als
Spielzeug, wenn nicht als eine Strafe
anzusehen gewöhnt war. Aber nun
kam eS über ihn wie eine Offenbarung.
Zum ersten Male im Leben begegnete er
etmaS wirklich Imposantem, Starkem
t,tX sirttiA WiMisrn
uuv t ivy -.' Ms -
Er schwankte, fast war er geneigt,
umzukehren. Da erblickte er eine An
zahl verwunderter Gesichter am Fenster.
Ah! Und lächelten nicht einige cynisch?
TaS war entscheidend. Er drang wie
der auf die stumme Gestalt an der Thür
ein und kam ihr so nahe, daß er den
liedlichen Athem deS blühenden Mäd
chenS auf feiner staubigen Wange
fühlte.
O dieser Athem! Wären nur die
verwünschten Beobachter hinter ihm
nicht gewesen!
Er wünschte sich weit weg. aber er
blieb, und dann kam eS sanft, aber be
stimmt auS seinem Munde:
ES thut mir wirklich leid, aber Sie
müffen bei Seite treten."
Niemals !"
Die merkwürdige Wiederholung klang
dumpf, schien das einzige Wort zu fein,
dessen das arme Wesen noch fähig war.
Verwirrt packte der Oberst nach dem
Säbelgriff, daS Zittern feiner Hand zu
verbergen. Das arme Mädchen mißver
stand die Bewegung. Ein flehender
Blick, der ein Herz von Stein erweichen
konnte, traf den unglücklichen Offizier.
Ich fage Ihnen, wir müssen da!
Haus durchsuchen. Madame: wir sind
im Krieg, und Krieg bleibt Krieg !"
Der Oberst biß die Zähne zusammen.
Wenn einer seiner Untergebenen diese
öde Redensart herausgebracht hätte und
in so sanftem Tone, er würde ihm
einen Stoß versetzt haben. Die abfo
lute Nothwendigkeit, sich vor der eige
nen lächerlichen Sanftmuth zu retten,
trieb den Obersten zu dem Kommando:
Durchsucht das HauS !"
Einige Blauröcke" stürzten inS Zim
mer. auf die stumme, bleiche Gestalt zu.
aber der Säbel deS Obersten fuhr da
zwischen.
Zurück da !" rief er. Giebt eS nicht
noch andere Thüren als diese, Ihr elen
den Narren?"
Die Leute machten Kehrt, beschämt,
wegen dieser Zurechtweisung in Gegen
wart einer so schönen, muthigen Dame.
Da ist eine, Oberst."
Und hier nch eine, Sir."
Schön, so theilt Euch und durchforscht
das Haus von der Dachkammer bis zum
Keller. Gebt Pardon, wenn sie die
Waffen strecken. Ihr zwei Beide da
geht ums HauS herum, aufzupassen,
daß der der Kerl da drinnen nicht
durch ein Hinterzimmer entschlüpft."
Die Leute thaten, wie ihnen ge
heißen. Ihr Kommandeur schien ver
gnügt. Er wollte, wär'S auch nur für
eine Minute, mit der Dame allein sein,
auf deren Antlitz etwas wie frohe Span
nung lagerte.
Der Oberst fühlte das wachsende
Verlangen, für die liebliche Feindin
etwas zu thun. Hütte sie gesagt: Sir,
als Mann von Ehre und Ritterlichkeit
beschwöre ich Sie. retten Sie den
Mann, den ich hier verberge," er würde
Beide zu seinem eigenen Pferde geleitet
und ihnen glückliche Reise gewünscht
haben, selbst auf die Gefahr hin, kasfirt
zu werden, aber sie sagte nichts. Da
stieß er endlich heraus:
Ist der da drinnen Ihr Mann?"
Sie lächelte.
Ein Bruder vielleicht?"
Sie blieb stumm, aber ihr Auge
sagte Nein".
Den Obersten packte Höllenpein:
Dann, dann ist eS der
Geliebte", wollte er eben sagen, aber da
kamen die beiden Kavalleristen von
draußen zurück und meldeten:
ES ist nur ein Fenster da, und das
ist zugenagelt.
Ha! rief der Oberst, Komödie spie
lend. Dann haben wir ihn ja!"
EtwaS wie Rachsucht beschlich sein Herz.
Sein RechtSstnn schien ihm gemiß
braucht worden zu sein. Nicht vn
jenem unschuldigen, liebenswürdigen
Wesen, nein, vom Schicksal. Er war
vierzig Jahre alt geworden, ohne daß
sein Herz auch nur für einen einzigen
Tag einem anderen Herzen angehört
hätte. Schließlich sagte er feierlich:
Zum letzten Msle beschwöre sch Sie,
wenn Sie sein Leben lieb haben und
das Ihrige, fort von dieser Thür, fort!"
Sie warf die Fülle ihrer Locken zurück
und sandte ihm einen langen. Vorwurfs
vollen Blick hinüber, gleich einer Her
ausforderung über eine Kluft.
Niemals!"
Da polterten die von der Haussuchung
zurückkehrenden Unioniften mit der Mel
dung herein:
Nichts zu finden. Keine Seele im
ganzen Haus!"
Ich weiß eS besser!" schnauzte der
Oberst seine Leute an, den Säbel
wüthend in die Scheide stoßend. Hier,"
setzte er hinzu, auf den Kamin deutend,
reißt die Kloben aus dem Feuer! Wir
wollen die Bude in Brand setzen! Her
aus damit!"
Aber auch jetzt schien der Muth der
Dame nocb ungebrochen, wenn auch ihre
Wangen erbleichten, als zwei riesige
Blauröcke" die brennenden Scheite aus
dem Kamin rissen und alles Brennbare
darauf häuften, was sich im Zimmer
vorfand.
Umzingelt das Haus!" kommandirte
dcr Oberst. Nehmt jeden Graurock"
gefangen! Laßt keinen entrinnen! Fort,
fort!"
Die Leute flogen jetzt fort, wie auS
ihrem Neste herausgeräucherte Hornissen.
Der Oberst näherte sich der Dame.
EtwaS Hohes laz in ihrem Blick. Der
Offizier war davon tief ergriffen, aber
gleichzeitig Abrannte Eifersucht in seinem
Innern, wenn er an den verborgenen
Liebhaber dachte.
.Wollen Sie die Thür öffnen!"
sagte er:
' 'Niemals!"
ES war die Stimme einer Märtyrerin.
Oberst Woodcock trat bei Seite. Zum
ersten Male fühlte er sich zusammen
brechen unter dem Eindruck eines der
höngnißvollen Momentes. Sie zurück
lassen in dem feurigen Ofen, damit sie
sich für einen Anderen opkre? Daran
zu denken, war unerträglich. Und Hand
an sie zu legen, wär's auch nur in fünf
ter. überredender Weise, würde eS nicht
Entweihung gewesen fein?
Aber der Rauch verdichtete sich geführ
lich. Eo trat der Oberst noch einmal
an der Dame heran, sein Verlangen zu
wiederholen. Eine Veränderung ging
mit ihr vor. Zwar sank sie taumelnd,
halb erstickt und erblindet fast auf ihrem
Posten zusammen, .aber dennoch blieb
sie entschlossen, zu sterben!
Durch den Rauch selbst nicht wenig
gequält, hielt der Oöerft den Athem an
und. breitete seine Arme noch gerade zur
rechten Zeit aus, um daS sinkende Mäd
chen aufzufangen, bei Seite zu bringen
und auf eine Ottomane niederzulegen.
Dann eilte er zurück und brach die
Thür mit ein paar gewaltigen Fuß
tritten ein.
Komm heraus, Graurock", rief er
in den dicken Oualm hinein. Komm
heraus und renne, was Du kannst !
Ich schieße nicht und schwöre, Dich frei
zugeben. Also, schnell heraus mit
Dir!"
Niemand antwortete. Sehr der
stimmt schlich der Oberst vorsichtig in
daS Zimmer, eS zu durchsuchen. Er
fand eS leer, verlaffen und mit einer
Verwünschung rannte er zurück nach
dem Lager der ohnmächtigen Dame.
Draußen war ein großes Getümmel.
Die Soldaten schrieen zum Fenster her
ein: Kommen Sie heraus, Oberst!
Um Gottes willen, treiben Sie eS nicht
zu weit ! Retten Sie sich ! Noch ist es
Zeit !"
Glücklicherweise zeigte ihm daS Ge
schrei die Richtung zum Fenster, sonst
würde er sich nicht haben herausfinden
können. AlS er sich im Fenster zeigte,
verwandelten sich die Mahnrufe in
Freudengeschrei, daS sich verdoppelte,
als man im Arme des Obersten eine
zarte, weibliche Gestalt sah. Ein Dutzend
Hände halfen ihm heraus, und bald
hatte er die schöne Ohnmächtige, etwas
entfernt vom brennenden Hause, auf
einem weichen Bette von Herbftlaub
niedergelegt.
Endlich öffnete die nach Luft ringende
Gestalt die Augen, große, braune
Augen, die ängstlich und wild hin und
her wanderten.
In diesem Moment schlug über dem
Eckfenster deS Schlosses eine rothe,
flammende Lohe zum Nachthimmel
empor. Sie redete eine fürchterliche
Sprache für die arme Gefangene uud
verwandelte dieselbe in eine Wahn
finnige. Den Feuertod deS Geliebten
wähnte sie zu schauen, und sie gebärdete
sich wie eine rächende Furie. Mit
wildem Geschrei strebte fle, ringend und
kümpfend, sich von ihrer Umgebung
loszureißen, um sich in daS brennende
HauS stürzen zu können. Vielleicht
würde eS ihr auch gelungen fein, wenn
nicht ein Anderer dem Oberst Woodcock
zu Hilfe gekommen wäre.
ES entstand nämlich in der Um
gebung deS gedachten SchloßflügelS
plötzlich ein Zusammenlauf. Zwei
UnioN'Kavalleriften kamen daher, zwi
schen sich ein elend aussehendes Men
schenkind führend und gefolgt von einer
Anzahl anderer Blauröcke, die den Kon
förderirten, diesen ihren einzigen Ge
fangenen, mit lauten Verwünschungen
überhäuften.
Der Oberst schien gar nicht darauf
zu hören, so aufmerksam ruhte sein
Auge auf dem bleichen Antlitz seiner
Gefangenen. DaS Fieber beruhigte sich.
Er hielt die Knöchel ihrer Hände jetzt
widerstandslos umfaßt. In ihren
Blicken lag es wie Ahnung, daß ein
Wunder für fie geschehen.
Rob, Rob, bist Du eS? Also nicht
todt, nicht ermordet, verbrannt und
mir entrissen? O Gott, welch ein Wun
der !"
Der Mann in Grau" sank neben
ihr nieder und schloß fie in seine Arme.
Auf, daS Feuer gelöscht! Ueber
laßt mir diese Leute. Ich werde allein
mit ihnen fertig werden." Mit diesen
Worten vertrieb der Oberst alle uner
wünschten Zeugen vom Lager deS Mäd
chenS.
Bist Du verletzt. Kleine? Haben fie
Dir etwas gethan?" DaS waren die
ersten Worte deS Geliebten und er blickte
dabei an der langen Gestalt deS Ober
ften mißtrauisch empor. Doch dieser
erwiderte den Blick in solcher Weise,
daß seine Miene deutlich sagte : Oho !
Führen wir etwa Krieg gegen Frauen?"
Bewahre, man hat mir kein Leid
zugefügt, und, Gott sei Dank, auch
Dir nicht, Rob!" sagte fie. Dann
blickte auch fie, aber flehend, zum Ober
ften auf und fügte hinzu : Sie wer
den ihn verschonen, verschonen um
meinetwillen !"
Ter Oberst trat bei Seite. Ein
Kavallerist kam eben herangesprengt.
Er kehrte von der Verfolgungstour
zurück, die er vor etwa einer Ctunoe
angetreten.
Vier unserer Kameraden flno in
Feindeshand gefallen", meldete der
Mann mit bebender Stimme. O,
die Schurken hatten unS eine gemeine
Falle gestellt !"
.Hören Sie wohl !' sagte der Oberst
zu seinen Gefangenen. Beide neigten daS
Haupt, aber die Dame sagte weinend :
Sie werden ihn doch verschonen !"
Dr Oberst drehte ftch kalt zu dem
vom Pferde gestiegenen Soldaten her
um. Bewache fie!" befahl er, dann
ging er fort.
Oberst !' rief ihm der Konfördcrirte
nach.
.Well?" antwortete jener, zurück
blickend.
.Könnte ich mit Ihnen wohl ein
Wort im Vertrauen reden, nur eine
Minute unter vier Augen?"
Dr Oberst blieb stehen. .Well?'
Oberst", sagte der Gefangene leise,
dicht an den Offizier heranttetend,
.sehe ich wie ein Mann von Ehre
aus?"
Der Angeredete lächelte kühl. Doch
lag darin keine Beleidigung deS hilf
losen FeindeS.
Ich muß bekennen." sagte er ge
dehnt doch. waS wollen
Sie?"
Ich habe eine Bitte an Sie, und
zwar eine ganz ungewöhnliche, im
Kriege wie im Frieden."
Nun denn, heraus damit !"
Ich wünsche jene Dame eine kurze
Strecke über die konföderirten Linien
hinaus zu eskortiren. Dort wird sie
Freunde finden, die fie nach Richmond
bringen werden. In kürzester Zeit bin
ich wieder hier."
Der Oberst holte tief Athem. Er
blickte in das hagere, aber freundliche,
männliche Geficht. Tann lachte er.
Ich weiß, eS ist unerhört," fiel der
Gefangene ein, und Sie werden mich
natürlich für verrückt halten, aber hören
Sie mir zu. Trüben, auf demselben
Plan, wo ihre 60 Kameraden liegen,
da liegt auch der Vater der Dame
todt, mit dem Geficht nach dem Feinde
zu. Den Bruder hat man tödtlich ver
wundet hinter die Front trankportirt.
Von diesen fürchterlichen Dingen weiß
die Aermste bisher nichts, gar nichts.
Und nun bedenken Sie, drüben steht auch
ihr Heim, ihr Obdach in Flammen !
Meinen Sie nicht, daß eS mit diesem
Verlust an einem einzigem Tage genug
fei? AlleS, was ihr geblieben, bin ich,
ihr Verlobter. Wenn auch ich falle
dann, ja dann weiß unser Herrgott
allein, waS aus ihr werden mag."
Ter Oberst lächelte in ftch hinein und
dachte: Er irrt ftch. Wegen einer
Heldin braucht man nicht besorgt zu
sein." Aber seine Antwort lautete :
Sie haben wirklich die Stirn, die
gewünschte Erlaubniß auf das bloße
Versprechen hin zu verlangen, daß Sie
fich wieder als Gefangener stellen wol
len, sobald die Dame in Sicherheit ist?"
ES ist mir gleichgiltig. waS Sie von
mir denken", sagte der Konföderirte.
ES handelt fich um die Dame. Aber
das schwöre ich bei Gott sobald
ich fie in guten Händen weiß, kehre ich
zu Ihnen zurück und will jede mir von
Ihnen auferlegte Strafe, und wäre eS
Tod, erleiden. Verstehen Sie mich
wohl? Auch den Tod!"
Der Oberst raschelte mit dem Fuße
im trockenen Herbftlaube, jedoch ohne
das Auge von dem Bittsteller zu wen
den, dessen Muth und Geradheit Achtung
geboten. Dann sagte er:
.Wissen Sie, waS daS für mich be
deutet, wenn ich die Erlaubniß ertheile,
und Sie Ihrem Schwur untreu wer
den? Degradiren würde man mich, und
mein Name würde als der eines Narren
von Regiment zu Regiment fliegen !"
Wenn Sie bedenken wollen, daß
noch eines Anderen Ehre als die meinige
auf dem Spiele steht, wird Ihnen meine
Treue desto sicherer fein!"
Der Oberst näherte fich nun dem
Konföderirten so dicht, daß er ihm in
das geäderte Weiß feiner Augen schauen
konnte, und sagte :
Schwören Sie, vor Gott dem All
mächtigen, daß Sie zu mir in die Ge
fangenschaft zurückkehren wollen, sobald
Sie diese Dame über die konföderirten
Linien in Sicherheit gebracht haben?"
Ich schwöre I" antwortete der
Graue" feierlich.
Und ich glaube und vertraue
Ihnen !' versicherte der Blaue", dem
feindlichen Bruder die Hand reichend.
Kommen Sie !"
Die Beiden kehrten nun wieder zu der
armen Verwaisten zurück, die, gleich
ihrer Bewachung, trostlos in den praf
selnden Brand deS Schlosses ftante.
Kommen Sie mit mir", befahl der
Oberst barsch.
Wohin? WaS wollen Sie mit mir
beginnen?" seufzte sie.
DaS werden Sie schon sehen !" sagte
der Oberst, noch unwirscher ; aber der
Konföderirte half dem Mädchen auf die
Füße und sagte : Geh nur dicht vor
mir her, in östlicher Richtung."
Die Drei machten fich scheinbar nach
dem Lager der Unionsarmee auf den
Weg. und das Mädchen war bald genö
thigt. fich schwer auf ihren Begleiter zu
stützen. O Rob". seufzte sie, wird
man unS einsperren, wird man Dich
tödten?"
Erzählen Sie eS ihr!" sagte der
Oberst in rauhem Tone. Man hatte
eben eine eingezäunte, offene Waldpar
celle erreicht, und der Oberst fetzte hinzu :
Warten Sie hier, ich gehe mein Pferd
zu holen."
Nun nahm das Paar auf einem ab
gehauenen Baumstamm Platz und un
terhielt sich bis zur Rückkehr des groß
müthigen FeindeS in gehobener Stirn
mutig. Er hatte fich so leise wieder
heran geschlichen, daß er mit seinem
Roffe plötzlich, wie auS der Erde gestie
gen. vor den Uederralchten stand. DaS
Thier war ungesattelt. trug aber eine
wollene Decke auf dem Rücken.
Nun aufgesessen, aber schleunigst !'
mahnte der Oberst, dcr. nachdem der
Konföderirte den Anfang gemacht, da?
Mädchen hinaushob und eS hinter dem
Geliebten placirte. den eS bebend um
schlang.
Um die Wahrheit zu sagen, der Oberst
zögerte auffallend lange, ehe er die Hand
von der Taille dcr schönen Gesangenen
zurückzog und mit bebender, dumpfer
Stimme ein Gixxl by ! heraus brachte.
DaS Mädchen fand keine Worte.
Ader fie ergriff die rauhe Hand des
Obersten und beugte fich nieder, um
einen heißen Kuß der Dankbarkeit auf
die Hand zu drücken.
Der Brand deS EchloffeS erlosch. Die
eS bewachenden Kavalleristen ritten da
her dem Lager zu, wo fie den Obersten
mit den Gefangenen vermutheten.
Inzwischen saß dieser noch auf dem
selben Platze, wo er den Gefangenen
die Freiheit gegeben. Er fühlte sich wie
verwaist, und doch ward sein Herz von
wachsenden Zweifeln zerrissen.
Wird der Mann zurückkommen?
Das Gefühl antwortete Ja", aber
die kalte Vernunft Nein".
Schon manche Stunde war verflossen.
Da, endlich, licß fich Pferdegctrappel
hören. Sein Herz sagte ihm, daß eS
der Erwartete war, dennoch zog er den
Säbel. ES konnte ja auch ein Feind
fein, gegen den er fich vertheidigen
mußte.
Wer da?" rief er. als er die Um
riffe des Nahenden unterscheiden konnte.
Ich bin eS. Oberst", antwortete eine
willkommene Stimme.
Ter Konföderirte hatte Wort gehal
ten. Er ritt neben dem Obersten auf
und sprang vom Pferde.
Aber weshalb schwang ftch der Oberst
gleich auf daS Thier?
Wissen Sie was", flüsterte er. fich
zu dem Verdutzten niederbeugend,
machen Sie. daß Sie fortkommen, so
schnell Ihre Beine Sie tragen können,
zurück zu den Ihrigen."
WaS soll das heißen?" antwortet
der Graue". Gott, Gott! Sie wei
nen doch nicht etwa ?
Gewiß ! Ich meine, daß Sie frei
find, fliehen Sie !" Nur Ein? verfpre
chen Sie mir : Machen Sie Ihren Ein
fluß geltend, daß mir ein gefangener
Unionssoldat im Austausch gegen Sie
herübergeschickt werde. Good by !"
Der Konföderirte war kaum weg. als
der Oberst am Saum der Lichtung einen
Zug seiner Leute herankommen sah.
Mit einem Satz war er vom Pferde, zog
den Revolver und feuerte fünf Schüffe
auf einen imaginären Feind ab. Dann
schwang er sich wieder auf daS Thier
und sprengte wie toll auf die Senigen
zu, als ob er eben einem gefährlichen
Zusammenstoß entkommen.
Ich mußte so handeln." rief er
keuchend, ich war gezwungen!"
Was? Sie haben den Rebellen er
schössen. Oberst?"
Da gabS kein Besinnen! Jetzt heißt
eS tödten oder getödtet werden! Sie
waren hinter uns her! Die Wälder
wimmeln von ihnen! Bleibt heraus,
rath' ich Euch, bis es Tag wird. Ihr
seid zu schwach zum Angriff. Ueber
dieS kennen sie das Terrain, wir aber
nicht. Fort nach dem Lager!"
Wenige Stunden später entstand
plötzlich um die Lagerfeuer der UnionS
Armee, während man die TageSereig
niffe besprach, eine lebhafte Bewegung.
Vier Soldaten, ohne Mützen, der Was
fen beraubt, keuchend, aber mit freude
strahlenden Blicken, taumelten daher.
Sie fielen beglückt zu Boden, als fie da
angelangt waren, wo eine freundlich?
Flamme ein Bild von Brüdern beleuch
tete, die nach schweren Leiden und Stra
pazen der Ruhe Pflegen durften.
Gütiger Himmel!" schrie jetzt ein
Artillerist, der die Ankömmlinge ge
nauer betrachtete. Sind das nicht die
vier Kavalleristen, die gegen Abend
drüben bei den Hügeln stürzten und in
FeindeS Hand fielen?"
Im Nu waren die Vier die Löwen
des TageS. Sie konnten sich vor Fra
gen kaum retten.
Wie seid Ihr nur entkommen?"
Welchen Umständen verdankt Ihr Leben
und Freiheit?"
O, wir wissen so gut wie gar
nichts,'- sagte einer der Vier. Denkt
Euch, kommt da ein junger Kerl zu
unS ins Zelt, giebt uns Fußtritte,
flüstert aber dabei: Drückt Euch!" Ja
wohl, drückt Euch, sagte er. und daß er
alles mit dem General "all right" ge
macht habe. Wir natürlich nicht faul,
sprangen vom Boden auf, drückten
unS" pflichtschuldigst und da sind
wir!"
AlleS lachte in der Runde.
Aber Einer, der beim Brande deS
AriftokrateN'SchloffeS zugegen gewesen,
sagte dann spitzfindig: Na, ich will
weiter nichts sagen, und ehrlicher Tausch
ist ja keine Räuberei, aber daß ein
Frauenzimmer vier Kerle werth fein
kann. daS ist doch etwas ganz Neues!"
Vier?" schrie eine wilde Stimme
über die Schulter deS Spaßvogels hin
weg. Nur vier? Wißt Ihr wohl, daß
jene? Frauenzimmer vierhundert von
Euch plundrigen Kerlen werth ist?
Hätten wir nur ein paar Regimenter,
aus lauter fo muthigcn Leuten be
stehend, wie diese Heldin, dcr Krieg
würde am längsten gedauert haben!"
Und Oberst Woodcock begab fich lang
samm Cchrities. in tiefes binnen ver
lorcn, in sein Ouartur. Seine Erin
nerungen weiltcn bei dem Grauen".
Ob der und seine schöne Braut auch deS
.Blauen" gedachten?
Napoleon der (Erste als
ter Kejcnfcnt.
Nach der Schlacht von usterlitz
(1805) brachten die Theater in Paris
eine Reihe militärischer Dramen, in
denen viele Kosaken niedergesüdelt. viel
Pulver verschoffen und noch mehr
Patriotismus gepredigt wurde. Unter
diesen theatralischen Mißgeburten machte
ein Drama, das Jetta. die Tochter dcS
KosukenbctmanS" hieß. daS größte Aus
sehen. Niemand kannte den Bcrsaffer.
der fich pseudondm JulcS Marlin"
nannte, und endlich vcrdreitcte ftch daS
Gerücht, derselbe sei im Kreise der
Tuilerien in der nächsten Nähe deS
ruhmgekrönten väsar zu suchen, und
dieses Gerücht fand um so mehr Glau
den, als Napoleon selbst in dcr Vor
ftellung erschien, die man mit größt
möglichem Pomp ausgestattet hatte.
Am anderen Morgen durchlaZ Napoleon
sorgfältig die Kritiken dcr Journale
über Jetta", die ihn aber gar nicht be
friedigten, denn fast alle Blätter hatten
der schönen Jetta" Loblieder gesungen.
Man fürchtete, durch eine gerechte Kritik
deS Machwerkes eine hohe Person zu
verletzen, was leicht Unannehmlichkeiten
nach ftch ziehen konnte. Wie sehr war
man daher überrascht, als einige Tage
später der Moniteur" über Jetta"
schonungslos zu Gerichte saß, und Ten
denz. Handlung. Plan und Durch
führung deS Stückes als erbärmlich mit
den herbsten Worten geißelte, dem
Publikum wie der Intendanz einen ver
dordenen ästhetischen Geschmack vorwarf
und zum Schlüsse die ganze Aufführung
verdammte. ES blieb nicht lange Ge
Heimiß. daß die fast unerhört scharfe
Kritik auS der Feder Napoleons ge
flössen war. ES war zwischen den Zei
len zu lesen: der Kaiser fühlte fich ver
letzt, daß man ihm die Pathenftclle bei
einer so erbärmlichen litterarischen Ar
beit zuschreibe.
Napoleon wollte nun den Verfasser
deS Stückes kennen lernen, und Fouche
erhielt den Befehl, denselben zu ermit
teln. Nach vieler Mühe entdeckte die
Polizei, daß das Drama von der Toch
ter eines um das Kaiserreich sehr ver
dienten und auf dem Schlachtfelde ge
gefallenen Obersten herrühre. Natalie
Simpfrone war ein schöncS, in der
ersten Jugendblüthe stehendes Mädchen,
das fich nicht wenig bewunderte, als eS
eines TageS den Befehl erhielt, ijch zu
gegebener Stunde im Audienzsaale des
Kaisers einzusinken.
Also Sie find die Mutter JettaS?"
fragte der Kaiser, wobei er daS zarte
Geschöpf mit fichtlichem Wohlgefallen
betrachtete. Ich bin mit Ihrem Werke
sehr unzufrieden! Haben Sie den Mo
niteur" gelesen?"
Ich schrieb daS Stück nicht um An
erkennung zu gewinnen also auch
nicht um Eurer Majestät zu gefallen I"
sagte Natalie stolz. Ich wollte unge
konnt Ihrem Ruhme einen Kranz win
den. Eure Majestät haben daS Recht,
meine Arbeit zu verdammen, aber ich
weiß nicht, ob ich eS verdiene, daß mich
Eure Majestät hierher befchieden, bloß
um mir das zu sagen."
Napoleon betrachtete fie einen Bugen
blick erstaunt; er war eine solche Sprache
nicht gewohnt; aber doch sagte er nach
einer Pause: Ihr Vater hat fich um
Frankreich verdient gemacht, ich will
mich als den Vollstrecker seines muth
maßlichen letzten Willens betrachten.
Erbitten Sie ftch nur eine Gnade."
Gebieten Sie dem Moniteur"
Sire, die Beleidigungen gegen den
Verfasser der Jetta" zu widerrufen,
Er sprach von der erbärmlichen Mache
eines gehirnlosen Skrikdcnten, von
Pfuschwerk...."
DaS war allerdings hart," meinte
Napoleon lachend. Aber, mein Kind,
ich widerrufe nie! Als Tochter eines
im Militärdienste ergrauten ManneS
hätten Sie auch mehr vom Wesen der
Schlachten verstehen sollen. Damit
Sie daher, wenn Sie künftig wieder
etwas schreiben, keine Schnitzer machen,
werde ich Ihnen einen probaten Lehrer
geben, der Ihre literarischen Studien
leiten soll. Mein erster Ordonanz
Offizier St. Hilaire soll Ihr Lehrmei
fter sein. Keinen Widerspruch, Fräu
lein, eS ist mein Wille!"
Natalie verließ ziemlich bestürzt die
kaiserlichen Gemächer.
St. Hilaire war ein noch junger
Mann, reich an Vorzügen deS Geistes
und Körpers.
Nun, bester St. Hilaire. wie geht
eS Ihrer Schülerin?" fragte nach eini
ger Zeit Napoleon; macht fie gute
Fortschritte?"
Sire." erwiderte der Offizier.
Fräulein Natalie gelobte keine Kriegs
oramen mehr zu schreiben, fie entwickelt
jetzt ein entschiedenes Talent für elegi
sche Poesie."
Wirklich? Sagen Sie mir. St.
Hilaire. hätten Sie nicht Luft zu hei
rathen?"
Sire! Wenn ich mir erlauben
dürste, Ihre Worte zu deuten, ich könnte
durch Ihre Gnade dcr glücklichste Mensch
sein."
Nun gut, dann trachten Sie, es
bald zu werden. Die Kaiserin wird
für die Ausstattung sorgen. Keinen
Tank! Höchstens den. 'daß Sie Ihre
künftige Frau in meinem Namen bitten,
fich später mehr mit ihren Kindern als
mit dcr Poesie zu beschäftigen."