Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 17, 1898, Image 9

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Jahrgang 1.
Beilage zum Ncbraöka taats-?lnzcigcr.
Ro. 3!.
Die beiJvn lA'llern.
(Jnimmi! Ilovkü, von m a l d h o r ', m.
Ja der franÖnfiSrn Schweiz, im
Paniern tu l'allo!?, liegt hart cn der
(Mrern. n der f ranjöiff und der
deutsch? Zh.'il der Aevdlkerunz zusam
nun flofef n, da! Dörschen Sionette,
Die Bouffale, eine? der vielen Neben
filißchen der majkftütischkn Rhone, die
von den Beran heiabft trzt. bildet die
Krenj'cheide, aber nur üußkrlich, denn
Franzosen und Teutsch? wohnen aus
diesem von der Ihrigen Welt fast gänz
lich adzeschnittenen Fleckchen Erde fried'
lich bei einander.
(53 war an einem Sonnabend deZ
Herbstes 1876. Tie locken des Dorf.
tlrchl.inS hatten eben daS AngeluS ge
läutet. Tiefer Friede ruhte über der
ganzen schönen GotteSnatur. Die jun
gen Müdchen, deS LorfeZ waren unter
allerhand harmlosem (Acplauder eifrig
damit beschäftigt, die Psorten der Kirche
mit Guirlanden zu schmücken und die
Zlltüre mit neuen künstlichen Blumen
und bunten Zierrath?n auszuputzen.
Der Schupatron dcS Idoles halte
morgen feinen besonderen Taz. an dem
ihm reiche Ehrungen von seinen Kindern
zu Theil wurden. Am Nachmittag fand
der weltliche Theil der Feier mit Ge
sang, Spiel und Tanz in der Auberae
seinen Abschluß Auf ihn freute sich
die Jugend deS Dorfes naturgemäß am
Meisten, und die hübschen Mädchen auf
dem Anger schmähten schon jetzt nach
Herzenslust von der bevorstehenden Fto
ch;impot,re. Jedes von ihnen hatte
seinen Schatz, der sie früher oder später
zum Traualtar führen sollte. Nur eine
der geschäftigen DoisschSnen beteiligte
ich wenig oder gar nicht an dem necki
chen (eplauder. und doch schien sie
hrem Wesen und Aeußeren nach die
bedeutendste von Allen, Rose.Marie,
wie die Königin von Sionette hieß, war
die einzige Tochter deS SchuUehrerS
Meunier.
Von Jugend auf hatte RoseMarie
eine eximirte Stelle unter ihren Ge
fpielinnen eingensmmen, und neidlos
räumten ihr alle den ersten Rang bei
den ländlichen Festen ein. Die Dorf,
burschen wagten stch ihr nur mit schüch
ternen Huldigungen zu nahen. Ein
Einziger hatte bis jetzt nur seine ernstere
Bewerbung um die stolze Muid offen
betreiben dürfen, der Erdsohn deZ Se
baflian'dofes von der deutschen Seite
de? BouffolebachZ.
Sebastian oder vielmehr Sebastian
Paul wie er zum Unterschiede von sei
nem französischen Vetter Sebastian
Charles genannt wurde galt äugen
blicklich als der präsumtive Verlobte
RoseMarie'S. Die deidon Vettern, wie
sie allgemein genannt wurden, galten
als die besten Partie' des Boussole
Thales. Aeußeiltch glichen st? einander
bei'm ersten Augenblick sehr; sie waren
von gleicher Schultert She und ähnlicher
Geflchtbildung. Aber wie der AuS
druck ihres Antlitzes ein ganz anderer
wir, fo waren auch die beiden harak
lere himmelweit von einander verkchie
den. Sebastian Paul hatte das leicht
lebige Temperament der Mutter geerbt;
er liebte die Freuden deS Lebens und
konnte stch ihnen mit naiver Ungebun
denheit hingeben. Bei'm Tanze war
er der Erste und der Letzte auf dem
Platze und ve säumte eZ nie, einer
Schönen feine Huldigungen darzubrin
gen.
Gerade daZ Gegenstück zu diesem hei
teren Genußmenschen war Sebastian
Charles, den man selten lachen oder
gar mit einer Dorfschönen scherz? sah.
Sein GestchtZauSdruck blieb stets derselbe
ernste; alle seine Bewegungen, sogar
bei'm Tanze, waren gemessen. Ob
Sedast an Charles überhaupt ein Herz
befaß, schien keine Jungfrau im Bousso
lethale jemals ergründen zu können.
' Nur eine hätte hierüber Auskunft er
theilen können: die Königin von Sio
nette. RoseMarie ahnte mit dem fei
nen Instinkt ihrer weiblichen Natur,
daß Sebastian Charles eine glühende
Leidenschaft für sie in feinem Innern
verbarg; fle ahnte, daß dieselbe bei ir
gend einer Gelegenheit zum AuZbruch
kommen und zu einer Katastrophe zmi
schen den beiden Vettern führen könnte.
Heute Abend mußte die schöne Schul
lehrerStochter wieder daran denken, al
nach dem Abendläuten die jungen Bur
schen von jenseits deS BouffolebachZ
über die Brücke kamen, um'mit den auf
dem Kirchenplatz versammelten Jung
stauen harmlos zu scherzen und daS
morgige Fest zu besprechen.
Auch die beiden Vettern kamen neben
einander hergegangen: in der Abend
dümmerung hätte man sie beinahe der
wechseln können. Ader während Se
baftian Paul schon von Weitem mit dem
Hute schwenkte und einen übermüthigen
Jodler ausftieß, schritt Sebastian
Charles stumm neben ihm einher. Auch
Rose Marie war heute ernster gestimmt.
Sie war mit ihrem Auserkorenen wieder
einmal unzufrieden und hatte ftch vor
genommen, mit ihm ein entscheidende?
Wort zu sprechen. Er war in der letz
ten Woche wiederholt oben an der Was
sermühle am Boussoledach gesehen wor
den, woselbst die kokette Liselotte. deS
Müllers reiche Erbtochter, ihr Spiel
trieb und den jungen Burschen an sich
zog. Welch' eme Beleidigung für sie.
Rose.Marie. der Sebastian Paul ewige
Treue und Liebe gelobt hatte! Sollten
die anderen Mädchen mit Fingern auf
fie zeigen!? Diesmal mußte sie dem
leichtsinnigen Geliebten ernsthaft in'S
Gewissen reden. Und sie that's. Se
baftian Paul verstummte vor den zorn
funkelnden Augen und der strafenden
Beredtsamkeit der h?cherzürnten Braut
die ihn vor seinem Veiter. der mit sin
ftercm Gesicht dabei stand und LllcS
mit anhörte. in'S Gebet nahm und ihm
seine Tändeleien verwies. Du kennst
jetzt meine Meinung!" schloß Rose
Marie mit bebender Stimme Du
hast noch die Wahl! Willst Du mit Lise
lotte morgen tanzen, so nimm sie hin!
Mich darfst Du aber hinfort nicht mehr
anrühren! Dann sind wir auf ewig ge
schieden. Gute , Nacht!"
Sie ging und ließ den bestürzten
Verlobten m einer wenig beneiden?
werthen Stimmung zurück. Sebastian
Paul merkte, daß es RoseMarie dies
mal bitterer Ernst war. Er liebte die
schöne Schullehrcrstochter wirklich von
Herzen, und doch hatte er sich erst heute
früh von der koketten Liselotte so weit
umgarnen lassen, daß er ihr versprochen
hatte, morgen mindestens drei Tänze
mit ihr zu tanzen I Was that er
blos? Dürfte er fo sehr seine ManneS
würde verleugnen, daß er bereits jetzt,
vor der Ehe, so unter den Pantoffeln
kam daß er eS nicht wagen durfte,
mit einem anderen Mädchen zu tanzen?
Wie würde Liselotte ihn mit den ande
ren Mädchm und Burschen verhöhnen !
Sebastian Paul riß bei diesem ihn
empörenden Gedankm den Hut vom
Kopfe und stieß eine Verwünschung
aus. Sein Vetter packte ihm am
Arm und hob drohend die Faust:
Kränkst Du Rose Marie, so nimm
Dich in Acht I" Sebastian Paul wurde
todtendlaß. Er schüttelte den Vetter
von stch und stammelte wüthend 7 Ich
lasse mir von keinem Menschen 'was
sagen, am Wenigsten von Dir. Du
Duckmäuser !"
Dann trennten sich Beide.
Am nächsten Tage herrschte in Sio
nette die ganze ausgelassene Festfreude,
die stch an diesem Tage nach der Kir
chenfeier im Bouffolethale zu entladen
pflegte. Böllerschüsse dröhnten in'S
Thal hinab. Musik und Gesang erschall
ten; der Becher kreiste bet den Alten
und Jungen, und Männer und Wei
der, Burschen und Mädchen zogen im
schönsten 'Lutz nach dem Auderge, um
sich dem Vergnügen deS Tanzes hinzu
geben. Auch RoseMarie, geleitet von
dem alten Vater, erschien im Saale.
Aller Augen wandten sich sofort auf sie.
als sie den Tanzsaal betrat und sich
auf einer Seitendank niederließ. Ge
rade über von ihr stellte ftch Liselotte
mit spöttischem Lächeln auf, als wollte
sie sagen : Jetzt RoseMarie, wollen
mir sehen, wer fortab die Königin von
Siomtte ist !" Rose.Marie that.
als merkte sie nichts, und begrüßte
ruhig den Geliebten, der jetzt an sie
herantrat und sie zum Tanz aufforderte.
Sie sah ihn mit ernsten Augen an.
Aber Du tanzt heute nur mit mir und
bestellst morgen das Aufgebot bei'm
Pfarrer.
Sebastian Paul stotterte einige un
verständliche Silben und bat mit leiser
Stimme : Lass' mich nur heute noch
einige Male mit Liselotte tanzen; ich
Hab'S ihr versprochen, und " Rose
Marie schüttelte den Kopf: .Nein.
Paul. Du kennst meinen Willen l Ent
scheide Dich heute!" Sebastian Paul
war blaß geworden. Er setzte sich
draußen an einen Tisch nieder, bestellte
sich Wein und stürzte ein GlaS nach
dem anderen hinunter, um die immer
stärker aufsteigende Bitterkeit und Wuth
zu unterdrücken. Dicht neben ihm lockte
fortwähreud die Muftk mit zauberischen
Klängen, und wenn er den Kopf ein
wenig nach rechts wandte, konnte er
deutlich durch die Fenster mit ansehen,
wie Liselotte im Saale herumflog,
spöttisch zu ihm hinaus schaute und auf
ihn mit den Fingern wies. Da hielt
der gepeinigte Bursche eS nicht länger
aus. Er stürzte noch einen Becher hin
unter, betrat den Saal, ging direkt
auf die kokette Müllerttochter loZ. faßte
fie fest um die Hüfte und wirbelte mit
ihr über den Tanzboden. Alle hörten
auf und blickten zu RoseMarie hin
über. Sebastian Charles, der feinen
Vetter auch nicht einen Moment aus
den Augen gelassen hatte, trat zu dem
beleidigten Mädchen heran und sprach
leise mit ihm, ohne daß er eine Ant
wort bekam. RoseMarie blieb stumm
auf der Bank sitzen, als ginge fie der
ganze Tanz nichts an. Die Anderen,
welche vielleicht t:t Katastrophe erwar
tet hatten, blickten sich halb enttäuscht,
halb befriedigt um und tanzten weiter,
bis es dunkel wurde und die Lichter an
gezündet wurden. Da erhob sich Rose
Marie, stahl sich unbemerkt aus dem
Saale und schlich auf einem Seiten
Pfade nach ihrem Hofe zu. Sie kam
ftch in ihrer Mäöchenehre auf ewig ge
schändet vor ; die rechtmüßige Königin
von Sionette war gestürzt, die Krone
ihr vom Haupte gerissen und einer An
deren, Unwürdigen, aufgesetzt!
AIS Rose Marie nicht weit von der
Brücke war, so hörte sie rasche Schritte
hinter sich. Sie drehte sich um. Se
baftian Paul schien ihr auf den Fersen
zu sein. Der Treulose ! glaubte er
etwa noch jetzt, sie wieder versöhnen zu
können ! Nie und nimmer ! RoseMarie
verdoppelte ihre Schritte, ohne sich um
zusehen. .Rose.Marie ! RoscMa
( rie !" tönte es hinter ihr her. .Wage
!eS nicht, mir zu folgen!" schrie fie zu
rück und griff nnwillkürlich in die
Zasche, wo sie nach Landesdrauch das
Winzermesser mit der starken gekrümm
ten Klinge trug. Da faßte fie ein
Mannerarm um den Leib. Halb ohn
mächtig vor Zorn und Schmerz, schlug
daS beleidigte Mädchen um ftch. Ein
lauter Aufschrei ertönte, der Mann
brach zusammen.
Als RofeMarie sich umwandte und
auf den hingeftürzten Körper blickte,
schrie sie laut auf. Bei'm blassen
Mondschein starrten sie zwei halb ge
brachen? Augen an. Aber diese Augen
gehörten nicht dem treulosen Geliebten,
sondern seinem Vetter. Sebastian Char
leg, und sie. Rose 'Marie, war eine
Mörderin! Da brach die unglückliche
Braut wie von einem Schusse getroffen
dicht neben ihrem unschuldigen Opfer
zusammen. In diesem Augenblick
stürmte ein anderer Mann heran. Es
war Sebastian Paul, der wohl bemerkt
hatte, daß zuerst die verhöhnte Geliebte
und gleich nach ihr sein verhaßter Vet
ter den Saal verlassen. Wollte dieser
Schleicher etwa sein Nachfolger werden?
Nie, so lange er noch lebte! Und
der ergrimmte Paul stürmte hinter
drein, um zwei leblose Körper anzutref
fen. Einen Augenblick verlor Se
baftian daZ Bewußtsein; dann
als erleuchtete ein Blitzstrahl fein
Inneres wurde ihm alles klar.
Rose . Marie hatte ihn selbst zu tref
fen gewähnt. Sie war eine Mör
denn, aber eine unschuldige I Er allein
war schuld an dem grenzenlosen Un
glück; deshalb wollte er diese Blutthat
aus ftch nehmen und die Geliebte vor
dem Galgen retten. Sebastian riß das
Winzermesser aus der Wunde und
schleuderte eS in die rauschende Baus
sole. Er kniete neben seinem Vetter
und horchte auf den entfliehenden Athem,
ohne zu merken, daß hinter seinem
Rücken inzwischen die Männer und
Frauen, die den lauten Todesschrei deS
getroffenen Opfers gehört, angelaufen
kamen. Er schien ihre Anwesenheit erst
zu bemerken, als sie ihn bei den dluti
gen Kleidern ergriffen, ihm daS entsetz
liche Wort .Brudermörder!" in'S Ge
ficht schleuderten und ihn in'S Gefäng
niß abführten. Die Mädchen trugen
unter lautem Wehklagen die ohnmäch
tige Rose-Marie in'S HauS, während
die Männer den starren Körper Scba
ftian Charles' nach feinem Hofe brach
ten. Vor dem Cantonrichter gab Se
baftian Paul bezüglich seiner Schuld
theils nur halbe Antworten, theils
schmieg er, wenn Umstände an den Tag
traten, die gegen seine Thäterschaft
sprachen. DaS Messer in seiner Tasche
war nicht blutig, obgleich seine Hände
befleckt gewesen. Auch hatten die übri
gen Genossen den Schrei eher gehört,
als wie Sebastian Paul mit seinem
Vetter hatte zusammen getroffen sein
können. Wie war daS zu erklären?
Der Beschuldigte schwieg hierauf. Ader
die ewige Vorsehung schien andere Zeu
gen zum Sprechen aufzuerwecken.
Gegen alle Erwartung erlangte der
tödtlich verwundete Vetter das Bemußt
fein wieder. Seine starke Natur ge
wann die Oberhand, er genas lang
fam. Als er erfahren, daß fein Vetter
wegen TodtschlagS verhaftet worden,
biß er die Zähne zusammen und fragte
nach Rose.Marie. Diese lag noch
immer in wilden Fiederphantafte'n und
sprach irre, so daß Alle an ihrer Gene
sung zweifelten. Aber eineS Morgens
erhob fie sich; ihre Sprache klang matt,
aber ihre Vernunft schien sie wiederge
Wonnen zu haben. Sie sprach sofort
vom verflossenen Feste und begehrte
Auskunft über die Geschehnisse nachher.
Vorftchtig gab man ihr Bescheid. Sie
hörte Alles ruhig mit an, dann schloß
sie die Augen und betete leise für sich
Sie wußte, was sie mußte, was sie zu
thun hatte. Ein seliges Empfinden
durchströmte ihre Brust; sie hoffte auf
die Gnade GatteS. da fie die Treue ihres
Geliebten erkannt, der für ihre Schuld
in'S Gefängniß gegangen war. Als
Rose-Marie genesen, begab fie fich zu
erst in'S Gefängniß, wo man ihr eine
kurze Unterredung mit dem gefangenen
Geliebten gestattete. AIS fie allein
waren, fiel Rose-Marie auf die Kniee
und küßte seine Hände. .Du bist rein!
Und mich hat die Gnade deS Himmels
vor einem Morde geschützt. Er wird
un? weiter helfen!" Hierauf suchte
daS muthige Mädchen den kranken Se
baftian Charles auf und bat ihn. sie
anzuhören. .Ich liebe Deinen Vetter
mit unerschütterlicher Kraft. Du kannst
un Beide glücklich oder unglücklich
machen, wie es Dir wohlgefällt. Du
weift, daß Sebastian Paul unschuldig
ist. WaS wirft Du dem Richter sagen?
Morgen wird er Dich als Zeuge vernch
men. Bete zu Gott, daß er Dcme Seele
erleuchten möze, und Paul und ich
wollen unser Leben lang für Dich
beten!"
Am nächsten Tage wurde Sebastian
Charles zum ersten TtiU vernommen.
Er bekundete, daß er fich die Wunde
aus Verzweiflung selbst beigebracht, da
Rose-Marie seine Bewerbungen zurück
gewiesen. Der Cantonrichter gab ihm
die Hand. .Gott allein ficht in die
Herzen der Menschen, aber ich will dieses
Zeugniß für wahr halten. Dein Vetter
ist unschuldig: geh', bring' ihm selbst
die Botschaft seiner Freiheit!"
Kurz darauf ging RofeMarie. gelei
tet von den beiden Vettern, in die Ka
pelle, und Sebastian Charles übergab
selber seinem Vetter die Braut.
Der )ubi!äumS'Redner.
Frau Schmadder stand, den PZarkt
korb am Arm, zum Ausgehen bereit,
während ihr Gatte am Schreibtisch saß
und eifrig in einem Manuscript las.
ES war eine unglückliche Idee von
Dir." sagte die Frau, .daß Du auf
Grund Deiner Ehrenmitgliedschaft die
JudiläumZrede im Vergnügungsoerein
übernahmst, Schmadder
Schwad der!"
.Wie? WaS? Sagtest Du
etwas?"
.Ich sage. Du läßt Dich von Deinem
Ehrgeiz zu sehr verblenden. Wie kannst
Du die Rede halten, da Du doch schwer
hörig und im höchsten Grade zerstreut
bist!"
Nun, der Beifall wird hoffentlich so
laut sein, daß ich ihn hören kann, und
meine Zerstreutheit soll mir Nichts an
haben, deshalb lerne ich eben Wort für
Wort auswendig."
.Wenn auch! Nun. ich gehe jetzt
auf den Markt. DaS Dienstmädchen
nehme ich mit. Schließ Dich nur ja
ein und laß Niemand herein, so lange
ich fort bin, ehe Du Dich durch daS
Guckkenster überzeugt haft, wer eS ist."
.Schön, schön!"
.Und dann noch eins: in der Küche
steht das Schmorfleisch auf dem Feuer.
Sieh doch ab und zu, daß eS nicht an
brennt."
Schmadder versprach alle? Gute, und
seine Frau entfernte fich. Statt aber
seinem Versprechen gemäß die Thüre
abzuschließen, begann Schmadder. ftch
seine Rede laut varzudeklamiren:
Hochverehrte Anwesende! Ein denk
würdiges Ereigniß wollen wir heute
feiern, da? ftch ja selten im Leben er
eignet."
Dieselben Worte wiederholte er laut,
dann auS dem Gedächtniß leise. Dar
auf fuhr er fort:
.Nehmen Sie DaS. waS ich an dieses
Ereigniß knüpfen will, freundlich auf
und behalten Sie meine Worte in Ihren
Herzen."
Während Schmadder, an seinem
Schreibtisch fitzend der Thür den Rücken
zuwandte und den Satz wiederholte, öff
nete ftch die Thäre und eine fragwür
dige Gestalt murmelte, den Kopf her
einsteckend :
.Ein armer Reisender "
.Nehmen Sie DaS " citirte
Schmadder laut, während er die übri
gen Worte vor fich hin murmelte, ,neh
men Sie DaS " dabei machte er
eine ausdrucksvolle Geste mit dem Arm
nach einem Kleiderständer hin. der ftch
an der Seitcnmand deSZimmerS befand.
Der 'arme Reifende" folgte der Rich
tung de? ArmeS mit den Augen.
.Ach, wirklich? Den guten Rock wol
len Sie mir schenken?"
Nehmen Sie Das "
.Ja. wenn Sie erlauben "
Und behalten Sie DaS....'
.Tausend Dank, lieber Herr!"
Und der .arme Reisende" war mit dem
Rock verschwunden, ohne daß Schmadder
eine Ahnung von seiner Anwesenheit ge
habt hätte.
Aber nicht ganz vergaß er die Mah
nungen feiner Frau. Weniger sein
Gedächtniß, als sein Magen erinnerte
ihn daran, daß Schmorfleisch auf dem
Feuer stand. Er ging in die Küche, und
nachdem er die Hälfte deS Fleisches in
seiner -Zerstreutheit aufgegessen hatte,
kehrte er zu feiner Rede zurück und las
weiter :
.Möze uns alle ein Geist der Ver
söhnung an diesem schönen Festtag be
herrschen. Wie sagt doch unser großer
Schiller: .Unser Schuldbuch sei ver
nichtet." .Guten Morgen, Schmadder," sagte
Huhlke, ein guter Bekannter, eintretend,
ziemlich laut.
.Möe nnS Alle ein Geist der Ver
söhnung "
Hm! Er bemerkt mich nicht." mur
melte Huhlke. jetzt will ich aber etwas
sagen, worauf der schlaue FuchS sofort
antworten wird. Hör' doch. Schmad
der! ich bringe Dir die hundert Mark
wieder, die Du mir vor zwei Jahren
borgtest. Du hast mich oft genug ge
mahnt "
Unser Schuldbuch sei vernichtet!"
.He? Was sagst Du?"
.Unser Schuldduch sei vernichtet!"
Spaßvogel! willst Du wirklich die
Schuld streichen ?"
.Unser Schuldbuch sei vernichtet!"
.Run. dann nehme ich eS mit Dank
an. brav? Seele, leb' wohl!"
Schmadder fuhr unbeirrt in seiner
Rede fort :
.Kein Störenfried soll unser schönes
ich darf wohl sagen Familien
leben vernichten. Einen solchen verban
nen wir mit aller Energie. Hinaus mit
ihm!"
Ein schüchternes Klopsen ertönte an
der Thüre, und als nach mehrmaliger
Wiederholung desselben keine Antwort
erfolgte, trat leise ein junger Mann ein
und blieb, ftch verbeugend an der Thüre
stehen.
Guten Morgen. Herr Schmadder
sagte der junge Mann, der übrigens
Kurz hieß und Provisor in der Apo
theke war. Daß Herr Schmadder ihm
den Rücken zuwandte, war ihm einer
seitS unheimlich, andererseits erfüllte eS
ihn mit Genugthuung, da er nun freier
sprechen konnte.
.Verzeihen Sie, wenn ich störe; aber
ich halte den gegenwärtigen Augenblick
gerade für geeignet. da Ihre Fräu
lein Tochter zum Besuch in der Nach
Karstadt ist, ich erlaubte mir, mich an
daS Fräulein schriftlich zu wenden, und
erhielt die beglückende Zusage. Nun
eilte ich hierher auf den Flügeln der
Liebe darf ich hoffen, daß Sie mir die
Hand Ihrer werthen Fräulein '
.Hinaus mit ihm!"
Der arme Provifer fuhr erschrocken
zurück.
Kein Störenfried soll unser schönes
ich darf wohl sagen Familienleben
vernichten wollen "
.Allerdings, Herr Schmadder, aber
ich hatte nicht die Absicht
Einen solchen verbannen wir mit
aller Energie "
Sie weisen mich also zurück?"
Hinaus mit ihm! Hinaus mit
ihm!" deklamirte Herr Schmadder mit
echtem Feuer, so daß der Provisor sofort
den Rückzug antrat.
Ganz von Festesfreude beseelt"
fuhr Schmadder in seiner Recitation
fort, als seine Gattin zurückkehrte.
WaS haft Du nur wieder angerich
tet!" waren ihre ersten Worte.
.Ganz von Festesfreude beseelt,
ganz ganz "
Was? Ich eine Gans?" schrie Frau
Schmadder, ihren Gatten am Kragen
packend und ihn schüttelnd. Dadurch
kehrte der Redner wieder in daS gewöhn
liche Leben zurück.
.Ah, Du bist es.... Darum'. Mir
war es immer, als hörte ich Jemand
sprechen."
Abscheulicher Mensch! - Wer weiß,
wie lange warten wir schon daaauf. daß
der Herr Provisor Kurz um unsere
Tochter anhalten solle, und jetzt treffe
ich den armen Menschen auf der Straße
und höre, daß Du ihn einfach hinaus
geworfen haft."
.DaS hat er geträumt keine Idee,
ich versichere Dir ."
Und der Huhlke sagte mir. Du hät
test ihm die hundert Mark geschenkt, die
er Dir so lange schuldig war."
Keine Ahnung! Sind denn die Men
schen alle "
Und als Frau Schmadder weiterhin
die Entdeckung machte, daß der neue
Rock ihres Gatten gestohlen, sowie daß
da? Schmorfleisch zum Theil aufgeges
sen, zum Theil angebrannt war, schwor
sie hoch und theuer, ihren Mann nie
mals mehr allnn in der Wohnung zu
lassen, besonders nicht, wenn er Jubi
läumSreden einftudtrte.
Eine Erinnerung an Berlins gröhte
Schmach
könnte man so schreibt eine Berliner
Zeitung eine Verordnung nennen,
welche übrigens zugleich von einer
menschlichen Regung unserer damaligen
Bedrücker Zeugniß ablegen dürfte. DaS
Dokument lautet wörtlich nach dem
Original: TageS-Befehl vom 8. No
vember 1806. Der General-Komman
dant der Stadt hört täglich darüber1
Beschwerde führen, daß französische
Militärs und bei der Armee angestellte
Offizianten durch Drohungen und sogar
durch Thätlichkeiten mebr von ihren
Wirthen zu erhalten suchen, als diese
ihnen zu geben im Stande sind. Durch
dieses unbescheidene Betragen baden sie;
Veranlassung gegeben, daß sich bei den
Einwohnern schon jetzt Mangel zeigt,
und es ist zu fürchten, daß den hier
befindlichen Truppen der erforderliche
Unterhalt ferner gar nicht mehr wird
gereicht werden können. Um diesen
Mißbrauchen abzuhelfen und die unbe
scheidenen Forderunzen mancher Mili
tärs und Armee Offizianten, welche
denjenigen zum größten Nachtheile ge
reichen, welche bescheiden ftch in die
Lage ihrer Wirthe fügen, zu de schrän
ken, hat der GkNkral'Kommaiidakit be
sohlen und befiehlt hiermit, daß jede
Militär und jede zur Arm gehörige
Verfon. welche bei einem Bürger in
Quartier liegt, verbunden ist. die ge
wöhnliche Mahlzeit, welche dieser nach
seinem Stande und Vermögen halten
kann, mit ihm zu theilen, und unter
keinerlei Vorwand mehr verlangen darf.
Ein Jeder, welcher sich erlauben wird,
dieser Verordnung entgegen zu handeln,
soll sogleich auf das Strengste bestraft
werden. Die Chefs der Korps, welche
hi,r in Garnison stehen werden, find
gehalten, diesen Befehl in drei auf ein
ander folgenden Tagen, jedesmal nach
ihrer Ankunft, beim Appell vorlesen zu
lassen, und weiden die Hand dazu bie
ten, daß keiner von den in Kasernen
einquartierten Soldaten bei den Bür
gern LebenSmittel fordere, indem die
Magazine damit versehen find. ES ist
ebenfalls unter ftrenafter Ahndung ver
boten, die Bedürfnisse jeder Art. welche
auS den Magazinen geliesert werden,
zu verkaufen, die Verkäufer sowohl all
die Käufer sollen arretirt und nach den
Gesetzen bestraft werden. Die Anfüh
rer der Patrouillen, die Schildwachen,
die Adjutanten der Stadt und die Poli
zei Offizianten werden für die AuS
Übung deS Befehls Sorge tragen. Der
General-Kolonel der kaiserlichen Grena
dier-Garde und Kommandant von Ber
lin. B. Hulin.
liner der hervorragendsten englt
schen Komiker,
William Blakeley, von dem eine Unzahl
luftiger Schnurren und Schwänke er
zählt werden, ist soeben in London ge
storben. Blakeley war vor Allem
wegen seiner drolligen Einfälle, seiner
witzigen Extempores berühmt. So
treffend und urkomisch pflegten diese
Improvisationen zu sein, daß viele als
dauernder Bestand in die betreffenden
Stücke übergegangen find, ohne daß die
Verfasser Gelegenheit gehabt hätten,
fich über solchen Zuwachs zu beklagen.
So hatte er zum Beispiel, da er in den
luftigen Bauern" einen Landdefltzer
spielte, der sein Gütchen verkaufen
wollte, an den Reben feines weinum
sponnenen HauseS eine Fülle von wei
ßen und blauen Trauben angebunden,
und bewies nun so dem Käufer die
Fruchtbarkeit seiner Weinstöcke ; und
als der Kaufluftige ihn fragte, ob die
Gegend auch Gesund?" erwiderte er
mit einem Extempore, das viel Lachen
erregte .so gesund, daß alle Kirch
höfe der Nachbarschaft bankerott ge
macht haben!" Blakeley stattete einst
Henry Jrving einen Besuch ab. und
fand den großen Mimen dabei, einen
Knaben, den er auf dem Schooß hielt,
mit Pflaumenmus zu füttern, der
artig, daß bald das ganze Gesicht des
KindeS über und über beschmiert war.
ES war daS ein Junge von der Straße,
der Jrving wegen seiner freimüthigen
Plauderei sehr gefallen hatte und die
sem anvertraute, er möchte für sein
Leben gern einmal fich an Pflaumen
mus fo recht satt essen. Jrving nahm
ihn in'S HauS und fütterte ihn mit die
ser Leckerei, bis das Kind einen ganzen
Topf voll geleert hatte und nicht
mehr konnte. Aus dem musleckende
Knaben ist übrigens nachher Jrvings
bester Charaktcrspieler am Lyceumthea
ter., Frank Coopcr, geworden.
Dem schwäbischen Tchillerverein
find für das zukünftige Archiv wieder
bedeutende Stiftungen zu Theil gewor
den. Zur Ergänzung der bei Grün
dung deS Vereins diesem gestiftete
Handschriftensammlung ist eine weitere
von über 600 Nummern übergeben
worden. Diese enthält wieder zwanzig
Briefe deS Dichters, Briefe der fämmt
lichen Angehörigen der Familie Schil
ler, Briefe der Gattin, der Familie
Wolzogen, der Freunde des Dichters
und zahlreicher Persönlichkeiten, mit
denen er Beziehungen hatte. Eine wei
tere Stiftung umfaßt den literarischen
Nachlaß Bertbold Aueibachs, der in
Entivürfen, Manuskripten u. s. w. die
ganze Schaffensperiode dieses Schrift
stellers umfaßt, hierzu vielfach Unge
drucktcS und Unvollendetes, darunter
auch daS Fragment der Lebenserinne
rungen". Auch Notiz und Tagebücher
befinden ftch dabei. In der zugehörigen
Briesfammlung ftnd einige hundert
Biiefe dcS Dichtn? selbst und gegen
3000 Briefe an Auerbach vertreten.
Ferner hat d'e SchillerBidliothck eine
wesentliche Vermehrung erfahren durch
eine nahezu abgeschlossene Sammlung
der ersten uno anderer wichtiger AuS
gaben der hervorragenden schwäbischen
Dichter und Schriftsteller von Schu
bart an.
kogisch.
.Vater, kann mich der Lehrer bestra
fen für Dinge, die ich gar nicht gethan
habe?"
.Gewiß nicht, mein Junge."
Na, dann brauche ich ja meine
Schularbeiten nicht zu machen."
Auch noch.
Hausfrau : .Was haben Sie denn
da in dem großen Koffer drin, Marie?"
Dienstmädchen : Dadrin liegt mein
Bücherschatz."
Hausfrau: .Was. einen Bücherschatz
haben Sie auch noch?"