Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, February 03, 1898, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Das Sptjcnflost
der
Gräfin.
l!!!ig von J e ! i i Villa.
giner der reichsten rnexikanischen Ka
valiere und Großzrunddesiger war im
Jahre 1827 ta Gras Rodrigo de Av.'l
lanada, besten Vorfahr einst mit dem
Eroberer Ferdinand Coitez heruderze
kommen war und den Reichthum der
Nachkommen begründet hatte.
Im genannten Jahre vermählte der
junge Graf sich mit einer anmuthizen
und schönen Tame. Leider dauerte daZ
Eheglück deS jungen Paare? nur wenige
Monate. Tie reizende Gräsin Carme
lita erlag einer tückischen Krankheit.
Ihr Gemahl war darüber troftloZ.
Er ließ ihr ein Leichendegünzniß
deranftalten, so kostbar, wie man in der
Stadt Mexiko noch keineZ gesehen hatte,
obgleich dort von jeher die Entfaltung
von möglichst viel Pracht und Pomp bei
solchen traurigen Gelegenheiten bei den
Reichen und Bornehmen Sitte war.
Man pflegte die Todten, angethan mit
ihren schönsten und kostbarsten Gewün
dern, die sie in ihrem Leben getragen
hatten, in die Gruft zu senken. So
that auch der Graf de Avellanada. Einst
hatte er seiner Gemahlin ein Pracht
volles weißes Kleid, zum größten Theil
aus den kostbarsten Brüsseler Spitzen
bestehend, geschenkt, ein Gewand, daZ
Tausende gekostet hatte. TieS kostbare
Kleid wurde als Eterbegewand der ein
balfamirten Todten angelegt und die
Leiche dann, wie gebräuchlich, auf
prächtigen Katafalk, umgeben von
dielen flammenden Wachslichtern und
herrlichem Blumenschmuck, feierlich auf
gebohrt und dann so zur Schau ge
stellt.
Biele vornehme und reiche Tarnen
pilgerten nach dem Palast deZ Grafen,
um diese kostbare Leichenaufdahrung
zu sehen. Und manche unter ihnen
mochte eZ wohl geben, welche im Stillen
die Todte um da? herrliche Spitzenge
wand beneidete. Tann eine noch kost,
barere Robe hatte man bis dahin in der
Stadt und im ganzen Lande nicht zu
bewundern Gelegenheit gehabt.
Nachdem dies vorbei war, fand mit
außergewöhnlichem Pomp die Beisetzung
der Leiche in dem Gruftgewölde der Fa.
milie Zlvellanada statt.
Ter junge, sonst so heitere und leben
lüftige Graf war fonft schwermüthig
geworden durch den Äertufl leiner ge
liebten Gemahlin. Längere Zeit hielt
er sich auf seinen Gütern auf und suchte
vergebens, durch eifrige Thätigkeit sich
zu zerstreuen. Erst im November kehrte
er wieder nach der hauptftadt zurück.
Tort war unterdessen eine französi
sche Schauspielergesellschaft angekommen
und gab im Theater gutbesuchte Vor
ftellungen. Besonders gefiel die erste
Liebhaberin, Frl. Pauline Tuprat, eine
junge und talentvolle Künstlerin.
Ter Graf bekümmerte sich anfänglich
gar nicht um diesen theatralischen Kunst
genuß. Endlich ließ er sich aber doch
durch seine Freunde bewegen, einmal
hinzugehen, um womöglich sich ein wenig
aus seinem Trübsinn zu reißen. Der
weite Zuschauerraum war an dem Abend
gut besetzt, beinahe voll. ES wurde ein
moderne? Schauspiel gegeben. Frl.
Tuprat spielte darin die weibliche junge,
verwittwcte und wieder heirathZluftige
Grüsin.
AIS sie im ersten Akte auf der Bühne
erschien, wurde sie von BeifallZgemur
mel begrüßt, so schön sah sie aus in
ihrem reizenden Kostüm, einer Herr
lichen weißen Spitzenrobe. Tann aber
wurde bei den vornehmen und reichen
Tamen in den Logen ein Gemurmel
höchsten Staunen? bemerklich.
.Wie Carmelita de Avellanada!"
flüsterten die Damen. Wahrlich, es
ist die schöne Gräfin, als wenn sie noch
lebte! Wie seltsam: sie t.Sgt ein eben
solches Spitzenkleid wie da-, welches
die todte Gräsin in ihrem Sarge
schmückt!"
TaZ war in der That der Fall, und
Graf Rodrigo gerieth fast außer sich bei
dem Anblick. Beinahe wäre eine Stö
rung der Vorstellung eingetreten. Toch
kamen die Gemüther wieder zur Be
ruhigung. Auch das Gemüth dcZ jun
gen Grafen.
In einr Loge, nicht weit von der des
Grafen Avellanada, faß Ton Alvar
Martinz de las RofaS, der Polizeidirek
tor der Hauptstadt, mit feiner Gemah
lin. Die letztere hatte durch ihren
Operngucker mit schärfstem Interesse die
Schauspielerin Tuprat und deren Toi
leite gemustert.
EZ ist mir ganz unverständlich, wie
diese Künstlerin ein so theures Kleis be
fitzen kann." sagte sie nachdenklich in der
Zlvischenpause.
Vielleicht hat irgend ein reicher Ver
ehrer eZ ihr geschenkt." meinte ihr Ge
mahl.
Sie hat keinen Verehrer, will auch
gar keinen, da? weiß man."
Nun. vielleicht hat sie eS auZ Frank
reich mngebracht."
TaS müßte schon sein, denn in
Mexiko gab eS bis jetzt nur ein solche?
Kleid, und daZ befindet sich jetzt in einem
Sarge."
Ah. Du meinst wohl daZ berühmte
Kleid der Gräfin Avellanada?"
Jawohl."
ES find also wirklich lauter echte
Spitzen an Frl. Duprat's Kleid?"
Ja, kostbare und wundervolle Brüs
seler Spitzen, wie ich sie bisher nur am
Kleide der schönen Gräfin de Avellanada
gesehen habe. Ein solches Kleid kostet
gewiß fünftausend PesoS (über fünftau
send Dollars)."
Tann ist eZ mir allerdings auch räth
felhaft. wie diese junge Künstlerin über
eine solche kostbare, geradezu Prinzessin'
ncnmäßige Garderobe verfügt."
..EZ werden wohl viele Tamen im
Theater ta-üdcr nicht wenig vermindert
sein."
Wirklich mochte da? wohl einiger.
maß'N unbegreiflich sein und zerecht'
Sensation erregen, denn damals
waren die Theaierv.'rhältniffe hier ja
noch nicht so glänzend wie in späterer
Zeit. Heutzutage , werden ja freilich
ersten Künstlerinnen in den großen
Städten Amerika?, im Norden wie im
Süden, ganz enorme Summen für ihre
Leistungen gezahlt. Damals, vor fieb
zig Jahren, war eS aber noch nicht so.
Gute Primadonnen und andere Kunst
lerinnen mußten sich mit recht be!ch?ide
nen Gagen begnügen.
Dem Polizeidirektor ging dieS im
Kopfe herum und brachte ihn auf ganz
eigene Gedanken.
Ich will doch einmal mit dem Gra
fen Avellanada über die Sache fpre
chen". sagte er. sich von seinem Sitze
erhebend, und er begab sich ohne Per
zug nach der Loge desselben.
Herr Graf", fragte er. ist Ihnen
vielleicht bei dem Anblick der Schauspie
lerin Pauline Tuprat etwa Befände
reS aufgefallen?"
Jawohl, Sennor", versetzte der
Angeredete, ihre frappante Aehnlich
keit mit meiner verstorbenen Gemahlin
hat mich in höchstes Erstaunen versetzt
und mein Gemüth aus'S tiesste er
griffen."
Hat nicht auch daS Spitzenkleid,
welches sie trägt, Ihre besondere Auf
merksamkeit erregt?"
Ja. freilich."
Meine Frau meint. eS fei ganz täu
fchend ähnlich dem kostbaren Spitzen
kleide, welches Sie Ihrer Frau Ge
mahlin mit in den Sarg gegeben ha
den."
So ist'S auch. Wenn die Sache
nicht unmöglich wäre, so könnte man
dieS Spitzenlleid der Künstlerin mit
demjenigen meiner seligen Gemahlin
für durchaus identisch halten." .
Hm !" murmelte Alvar Martinez.
so unmöglich wäre die Sache doch viel
leicht nicht. Ich muß darüber Ge
nauereZ erkunden." Und laut sagte
er : Herr Graf, im zweiten Zmischen
akt werde ich wieder zu Ihnen kommen.
Möglicherweise habe ich Ihnen dann
etwas Merkwürdiges mitzutheilen."
Er ging fort. Etwas verdutzt sah
der junge Graf ihm nach.
Gleich darauf trat der Polizeidirektor
wieder in seine eigene Loge, neigte sich
ein wenig über die Logendrüstung und
schaute in'S Parterre. Dabei räu-perte
er sich in eigenthümlicher, nur dem
EiNgeiveihten verständlicher Weise.
Ein Polizeikommissar, der drunten
ftand, blickte fragend zu ihm hinauf,
und Martinez winkte kaum merklich.
Sogleich verschwand der Kommissar
unten und erschien eine Halde Minute
später oben in der Loge.
Lopez", sagte Ton Martinez, wir
müssen in aller Geschwindigkeit eine
ziemlich sonderbare Sache erleoigen."
Ich stehe zu Befehl", verfetzte der
Kommissar.
Ist Ihre Frau mit Ihnen im
Theater?"
Jawohl, Herr Direktor. Sie sitzt
unten in einer Seitenloge deZ Par
iern." Nun. da trifft sich ja gut. Ihre
Frau ist gewandt und klug ; fie ist unZ
schon einigemal in heiklen Angelegen
heiten von erheblichem Nutzen gewesen."
Ja, sie hat so mancherlei Polizei
fünfte von mir gelernt. Was soll sie
thun? Sie wird sich der zweckdienlichen
Ausführung ihrer Aufgabe mit größ
tem Eifer befleißigen."
Sie soll in die Garderobe der
Schauspielerinnen zu gelangen ver
suchen, während der ziveiic Akt gespielt
wird und Fräulein Duprat sich auf der
Bühne befindet."
TaZ wird leicht ja bewerkstelligen
fein, besonders wenn ich meine Frau
selbst bis zum Eingang führe. Man
wird ihr den Einlaß nicht verweigern.
Erforderlichen Falles könnte ich ja auch
ein Machtwort sprechen."
Ganz recht. Es werden da jeden
falls in der Garderobe weidliche Be-
dienftete sein. Hm ob wohl Fiäu
lein Duprat eine eigene Zofe hat?"
Ich glaube ja. Es find aber auch
sicherlich Garderobieren da."
Solche Damen find gewöhnlich sehr
mundfertig und leicht zum Sprechen zu
bringen."
O, wenn eZ sich darum handelt,
das versteht meine Frau ganz vortceff
lich !"
Ihre Gattin wird sich also mit die
sen Frauen in ein Gespcöch eirlaffen
und zu erforschen suchen, ob Fräulein
Tuprat das kostbare Spitzmkleid. wel
cheZ sie heute Abend trägt, aus Frank
reich mitgebracht hat, oder ob fie erst
hier in den Besitz desselben gelangt ist."
EZ wird geschehen, Herr Direktor."
Aber natürlich möglichst unauffällig.
Um eS so erscheinen zu lassen, kann
Ihre Frau beiläufig sagen, daß eZ sich
um die Entscheidung einer kleinen
Wette zwischen zwei Tamen handelt,
welche uneinS darüber sind, ob ein sol
ches Kleid hier gemacht werden könne,
oder ob es nothwendigerweise aus Paris
gekommen sein müffe."
.Meine Frau wird daZ bestens be
sorgen."
Bei Beginn deZ zweiten Zwischen
altes melden Sie mir die erlangte Aus
kunft hier in dieser Loge."
Sehr wohl!" ,
Ter Kommi'iar entfernte sich. Nach
einer Minute erschien er unten im Par
terre. welche? er gleich darauf mit seiner
grau, einer hübschen, sehr klug aus,
sehenden Person, verließ.
Ter zweite Akt begann. Fräulein
Duprat. ganz strahlend in dem koftda
ren Spitzmkleid. erschien auf der Bühne
! und 'dielte ihre sehr dankbare Rolle mit
dem größten Erfolge weiter.
Nachdem der Applaus verhallt und
der Vorhang gefallen war. trat der
Polijkikommlffar. dessen Frau auch
unterde!ien unten wieder inZ Parterre
geschlüpft war. in die Loge seines
EhefZ. Tie ZirischenaktZmusik fing ge
rade an.
.Nun. Lov'i,?" fragte Ton Alvar
Martine, leise.
Ich kann die gewünschte Auskunft
ertheilen. Herr Direktor. ES war gar
nicht schwierig für meine Frau. daS zu
ermitteln, denn diese Weider in der
Garderode, auch die Zofe deS Fräu
leinS. haben durchaus kein Hehl dar
aus gemacht. Thatsache ist zunächst,
daß die Duprat von einigen ihrer lie
benswürdigen Kolleginnen deS Pracht
kleideS wegen, in dessen Besitz sie so
billig gelangte, gar sehr beneidet wird.
AuS Frankreich hat sie daS Kleid gar
nicht mitgebracht, sondern dasselbe hier
gekauft, vor etlichen Tagen erst, und
zwar zum Preise von fünfhundert Pe
soS."
Wo hat sie denn den Kauf ge
macht ?"
Bei einer Modistin in der Straße
de los MercaderoS, Namens Manuela
Garcia."
Tie kenne ich sehr gut." sagte jetzt
Tonna Martinez. Ich bin ihre
Kundin. Sie ist eine höchst achtbare Ge
schäftsdame."
Will's schon glauben, was du sagst,
meine Liebe." versetzte Ton Martinez.
Tennoch erscheint eZ auffallend, um
nicht zu sagen verdächtig, daß fie ein
Spitzenkleid für fünfhundert PesoS ver
kauft. daS nach deiner eigenen Meinung
fünftausend Pesos werth ist."
Ta hast du recht! Tas ist wirklich
sehr auffallend."
Sie muß den hohen Werth der schö
nen echten Brüsseler Spitzen nicht genau
gekannt haben."
So muß eS wohl fein. Wahrschein
lich hat fie das Kleid aus zweiter Hand."
Oder vielleicht aus dritter, was ich
beinahe für wahrscheinlicher halte. Die
Sache ist so verdächtig, daß ich sofort
weiter nachforschen muß. Meine Liede,
ich verlasse dich sogleich. Genieße die
beiden letzten Akte allein und amüfire
dich gut! Lopez, begeben Sie sich mit
drei Polizisten nach den Anlagen beim
alten griedhof. Bei den fünf großen
Platanen warten Sie mit Ihren Leu
ten, bis ich ankomme. Nehmen Sie zwei
Laternen mit und ferner auch einen
Schraubenzieher, ein kleine? Stemm
eifen und einen Hammer. Auch Hand
fchellen-für alle Fälle."
Sehr wohl."
Einen vierten Polizisten schicken Sie
nach der Straße de loS MercaderoS,
wo er vor dem Hause der Modistin
Manuela Garcia auf mich warten soll.
Denn zu dieser muß ich zunächst ; doch
wird das in wenigen Minuten gethan
sein."
Der Kommissar eilte hinaus, und
gleich darauf verließ Don Martinez
seine Gemahlin und begab sich eilends
nach der Loge deS Grafen Rodrigo de
Avellanada."
Diesem theilte er leise seinen Verdacht
mit. daß eine Beraubung der Leiche der
Gräfin stattgefunden habe.
Ter junge schwermüthige Kavalier
wurde dadurch aus'S äußerste erregt.
..Großer Gott, sollte solche Ruchlosig
keil wirklich möglich sein?" murmelteer
bestürzt.
Tas muß ich befürchten."
Wer könnte denn daS gethan ha
den ?"
Tas werde ich in der nächsten
StunSe ergründen. Ich fahre jetzt so
gleich nach dem alten Friedhof hinaus
und untersuche daselbst Ihr Erbbegrüd
niß."
,M begleite Sie!"
TaZ ist mir sehr lieb. Zunächst
aber müssen wir wohl den Schlüssel
zum Gradgewölbe aus Ihrem Palast
holen."
Unnöthig I Der Friedhofaufseher
hat einen Schlüssel, denn er ist deauf
tragt, da? Grabgewölbe in guter Ord
nung zu erhalten und von Zeit zu Zeit
den Staub von den Särgen zu ent
fernen. Dafür wird er von mir be
zahlt."
So, so." murmelte Don Martinez.
Nun. wir werden auch diesen Mann
ins Auge fassen."
Tie beiden verließen da? Theater,
derweil noch die heiteren Weifen der
ZwischenaktZmusit ertönten. Vor dem
Portal winkte der Direktor einen Mieths
Kutscher schleunigst herbei und sagte
ihm einige Worte. Er und der Graf
stiegen dann in das Geführt und fuh
ren rasch nach der Straße de los Mer
caröeros.
Nach etwa sechs Minuten hielt die
Kutsche vor dem erleuchteten Schaufen
ster der Modistin. Ter junge Graf
blieb im Wagen.
Don Alvar Martinez aber stieg auS
und trat in den Laden, wo er Sennora
Manuela Garcia antraf, eine etwa vier
zigjährige und sehr muntere Frau.
Ah. Herr Direktor, was verschafft
mir die Ehre ?"
Eine etwas wunderliche Angelegen
hcit führt mich zu Ihnen, Sennora.
Fräulein Tuprat, die französische
Schauspielerin hat vor etlichen Tagen
ein prächtiges Spitzenkleid von Ihnen
gekauft?"
.Jawohl."
.Für fünfhundert PesoS ?"
.EZ ft.mmt. Sie hat die Z umme auch
baar bezahlt. Sie war gleich ganz ver
narrt in dcis Kleid, als sie eZ zu'ällig
bei m:r im Laden sah,"
EZ ist aber, weil zum größten Theil
auS echten, kostbaren Brüsseler Setzen
bestehend oder damit besetzt, über fünf,
tausend PesoZ werth. Wie kann daZ
denn angehen?"
DaS habe ich nicht geahnt, daß die
allerdings sehr schönen Spitzen einen
solchen außerordentlich hohen Werth ha
den könnten. DaZ thut mir sehr leid,
denn dann habe ich daZ Kleid viel zu
billig weggegeben. Aber immerhin habe
ich doch hundert PesoZ bei dem Geschüft
profitirt."
Also nur vierhundert PesoZ haben
Sie dafür bezahlt ?"
Jawohl." .
Wie ist daS möglich?"
O. ich kann'S mit gutem Gewissen
beschwören, ich habe das -pitzenkleid
nicht eingeschmuggelt."
DaS will ich schon glauben. Ader
selbst wenn Sie das gethan hätten,
wären Sie doch nicht im Stande geive
sen. daZ Prachtkleid für einen solchen
Spottpreis zu verkaufen. Erklären
Sie mir also, bitte, den wahren Sach
verhalt."
Ich habe da? Kleid im guten Glau
ben gekauft von einer alten Trödlerin
und Vermittlerin, die zuweilen für feine
Damen, die in Geldverlegenheit sind,
derartige Geschäfte in oller Stille und
mit der nöthigen Verschwiegenheit be
sorgt. Wer ist diese Person, und wo wohnt
fie?"
Sie heißt Panchita Ravez und fie
wohnt hier nahebei in der Straße de
Tacuba Nummer 11."
Ich danke Ihnen !"
Sie find zufriedengestellt durch diese
Auskunft?"
Vollständig."
Bitte, empfehlen Sie mich Ihrer
Frau Gemahlin !"
Sehr gern will ich das thun. AdioZ
Senora !"
Ton Martinez begab sich wieder auf
die Straße und gebot dem an der Thür
harrenden Polizisten: Setzt Euch zu
dem Kutscher auf den Bock. Und jetzt
nach der Straße Tacuba Nr. 1l!"
Ter Wagen rasselte fünf Minuten
lang vorwärts und hielt dann in einer
Seitenstraße vor einem kleinen, baufül
ligen Haufe. Durch zwei dichtoer
hangene Fenster in demselben schimmerte
Lichtschein. Der Polizist sprang vom
Bock und wollte dienstfertig die HauZ
tbür öffnen. Dieselbe war aber ver-
schloffen.
Sein Chef stieg auS der Kutsche und
gebot: Klopft an!"
TaS geschah. Nach einer kleinen
Weile wurde die Hausthür vorsichtig
geöffnet, und in der Spalte erschien
daZ häßliche Gesicht eines alten Weibes,
welche? mit heiserer Stimme fragte:
Wer ift da?"
Ter Polizeidirektor Martinez !"
Ist'S möglich? Seine hohe Excellenz
in Person?"
Macht auf."
ES ist also kein Irrthum : Sie wol
len wirklich zu mir?"
Jawohl. Alte. Macht schnell!
Oeffnei die Thür !"
Panchita Ravez hakte die Sperrkette
gänzlich aus. Turch die offene Tdür
traten der Polizeidirektor und der Poli
zift i'nS HauS und in'S Wohnzimmer
der Alten. Es war da allerdings viel
Gerümpel zu sehen, aber doch deutete
auch manches auf einen gewissen Wohl
stand hin.
Auf einem Tische stand eine matter
leuchtende Oellampe.
Ihr wohnt hier so ganz allein,
Senora?" fragte Don Martinez.
Ganz allein." versicherte fie. Ich
bin eine arme Wittwe. Mein Mann
ift vor vielen Jahren gestorben"
Gehängt worden wegen Räuberei
droben bei Turango," bemerkte der
Polizist. Zufällig weiß ich darüber
Bescheid."
Verleumdung ist's ! Ach, eZ giebt so
viele böse Menschen; 'die haben das auZ
gesprengt."
Nun. lassen wir die alten Geschich
ten ruhen."
Eure Erellenz find sehr gütig und
gnädig !" fuhr die alte Panchita fort.
Edler Don. ich wünsche Ihnen tausend
Jahre zu leben in der allerbesten Ge
sundheit !"
Spart Eure Komplimente. Au?
kunft verlange ich von Euch über eine
ernste Sache. Vor kurzem habt Ihr
ein schöne? Spitzenlleid an die Modistin
Manuela Garcia verkauft?"
Ja. freilich. Dergleichen zu thun,
ist ja mein Geschäft."
Von wem habt Ihr das Kleid er
halten?"
Edler Don. hohe Excellenz, ich bitte.
danach nicht zu fragen I Bedenken Sie
gnädigst, ich muß verschwiegen sein.
Vornehme und feine Tamen beehren
mich mit ihrem Vertrauen. Zuweilen
haben sie heimliche drückende Schulden,
die sie ihren Ehemännern oder Vätern
nicht gestehen wollen ; dann wenden fie
sich an mich in solchen Verlegenheiten ;
ich versetze im Leihhaus oder verkaufe
bestmöglichst, je nachdem eS gewünscht
wird, Schmucksachcn und andere Werth
gegensiände dieser Damen. TaS sind
also Geheimnisse. Exellenz."
Ich habe Grund, zu vermuthen,
daß Ihr daS Spitzenkleid nicht von der
Ta!
sein
rechtmäßigen öigenthümerin erhalten
habt."
.Warum sollte daS nicht der Fall
r.rC
Weil die Tame längst todt ist.
Kleid muß der Leiche geraubt
Wißt Ihr. Senora. was für eine Strafe
auf Beraubung von Leichen steht?"
Panchita Ravez begann heftig zu
zittern, und ihr Antlitz verzerrte sich
krampfhaft.
.Woll' Ihr gestehkn?"
Ich bin so unschuldig wie ein
Lamm !"
Dann könnt Jhr'S ja offenbaren.
Also bekennt !"
Ich bade das Kleid von einer sehr
rechtschaffenen Frau, die eZ angeblich
von einer vornehmen Dame erhalten
hatte, weil diese nicht direkt mit mir in
Verbindung treten wollte. Dergleichen
kommt ja auch zuweilen vor."
Wie heißt diese rechtschaffene Frau?"
So muß ich eZ denn wirklich sagen?
Nun denn, so wasche ich meine Hände
in Unschuld. Sie heißt Apollonia
CuchareS?'
Aha. die Frau deS Fiiedhofauf
feherS Diego CuchareS.
Jawohl."
Und daS kam Euch nicht sogleich
im höchsten Grade verdächtig vor?"
Ich habe mir nichts BöseS dabei ge
dacht."
Wohl, die Untersuchung wird daS
ja ergeben, inwieweit Ihr als Mit
schuldige zu betrachten seid. Denn,
daß ein argeS Verbrechen vorliegt, er
scheint jetzt fast zweifellos."
Ton Martinez wandte sich an den
Polizisten. Ihr bleibt hier und be
wacht Panchita Ravez, feht auch befon
der? darauf, daß sie nichts von ihrem
Trödclkrom heimlich beiseite schafft. Vor
Ablauf einer Stunde erhaltet Ihr wei
tere Befehle."
Der Polizeidirekto: verließ daS HauS,
rief dem Kutscher ein paar Worte zu
und stieg dann wieder zu dem Grafen
in den Wagen.
Nach einer kleinen Viertelstunde hielt
die Kutsche in den Anlagen nahe bei
der Hauptpsorte zum alten Fried
hos. Bei einer Platanengruppe stiegen
die beiden auZ. Lopez und drei Poli-
Gleich linkZ neben der Pforte deS
FriedhofS befand sich da? Wohnhaus des
Aufsehers. Ton Martinez und dessen
Begleiter traten bei ihm ein.
Sichtlich überrascht durch diesen spä
ten polizeilichen Besuch wurde Diego
CuchareS, ein sechzigjähriger grauhaari
ger Mann. Ebenso schien seine etwa
zehn Jahre jüngere Frau Apollonia eine
gewisse Aengftlichkeit nicht verbergen zu
können.
Tenor CuchareS," sagte Don Mar
tinez, ..wir wollen daS Erbbegrübniß
der gräflichen Familie Avella.iada revi
diren."
Warum daS?" fragte bestürzt der
Aufseher.
Dafür haben wir unsere Gründe."
Ich kann Ihnen und dem Herrn
Grafen die Versicherung geben, daß
dort alle? in bester Ordnung ist. Sie
würden sich also vergeblich bemühen."
DaS werden wir sehen. Holt den
Schlüssel zum Gruftgewölbe und dann
führt uns dorthin. Nehmt auch Eure
Frau mit."
CuchareS und deffen Weib mußten
wohl oder Übel der energischen Weisung
gehorchen.
Zündet die Laternen an I" gebot
Don Martinez.
Zwei Polizisten zündeten die Lichter
in den zwei mitgebrachten Laternen an.
Danach gingen alle nach dem Erbbe
gräbniß der Familie Avellanada, wel
cheS grottenähnlich in einen Hügelhanz
hineingebaut war.
Zur eisernen Thür mußte man einige
teinstufen Hinabfteigen.
Schließt aus!" befahl der Polizei
direktor. Damit kam Diego CuchareS aber
nicht sogleich zu Stande.
' Eure Hände zittern ja so," bemerkte
der Kommissar Lopez. Gebt den
Schlüsse! her! Ich will selbst auf
schließen."
Er that es und öffnete die Thür. Alle
traten dann in da? hohe, fühle und et
wa? dumpfe Grabgewölbe ein. Dort
stunden viele Särge, darunter auch der
jenige der Gräfin Carmelita.
Welcher ist e? ?" fragte Ton Mar
tinez,
Ter da." versetzte der junge Graf,
auf einen Sarg zeigend.
Lopez, haben Sie einen Schrauben
zieher und daS sonst nöthige mitge
bracht?"
Jawohl, Herr Direktor. Hier der
Polizist Perez wird's am besten ver
stehen, den Sarg zu öffnen. Er ist in
seinen jüngeren Jahren Tischler ge
wesen." Sehr gut. Er möge sich also an die
Arbeit machen."
Danach wandte der Polizeidirektor,
während Perez die Schrauben deS Sarg
deckels nach und nach auZzoz. sich an das
leichendlasse Ehepaar CuchareS.
Hört, um waS k? sich handelt!"
sagte er. Heute Abend entzückte im
Theater die Ächauspielerin Pauline
Duprat daS Tamenpudlikum zunächst
durch ihr Spiel un dann aber noch
mehr durch ihr prächtiges Spitzenkleid,
welches seltsamerweise ganz und gar
dem kostbaren Sterbetteide der verftor
denen Gräfin de Avellanada gleicht.
EZ ist ermittelt, daß Fräulein Duprat
dieS Kleid, daZ über fünftausend PesoZ
werth ist. für nur fünfhundert PesoZ
von der Modistin Manuela Garcia ge
kauft bat. Diese hat eS von der Hünd
lerin Panchita Ravez für vierhundert
PesoS erworben. Die alte Panchita
aber hat eZ erhalten von der grau Apol.
lonia CuchareS. welcher letzteren angeb
lich daS kostbare Kleid zur Besorgung
deS Verkaufs von einer vornehmen
Dame anvertraut worden fein soll.
DaZ aber würde eine Lüge, ein schänd
lichcS Verbrechen sein, wenn etwa diese
angebliche vornehme Dame identisch ist
mit der hier im Sarge ruhenden Gräfin
Carmelita de Avellanada. Darüber
werden wir ja nun sogleich volle Klar
heit erlangen. Hebt den Sargdeckel !"
CZ geschah.
Ta lag v:r aller Augen im offenen
Sarge die Leiche der Gräfin, oder nicht
mehr im Schmucke ihre? kostbaren
SpitzenkleideZ. sondern nur noch in der
übrigen feinen Linnenhülle, die man ihr
gelassen hatte.
Elende, ihr seid entlarvt!" rief Ton
Alvar Martinez. Lopez laßt dieS
schändliche Paar fesseln und bringt beide
in Haft!
Man vernahm einen heiseren Schrei
und sah beim Schimmer der Laternen
daZ Funkeln einer Tolchklinge. Tiego
CuchareS machte den Versuch, sich zu er
stechen. Toch der aufmerksame Kon,,
inissar Lopez verhinderte dieS blitzschnell
und entriß ihm den Tolch.
Danach wurden die beiden Ruchlosen
gefesselt und abgeführt. Am selben
Abend fand auch noch die Verhaftung
der alten Händlerin und Hehlerin Pan
chita Ravez statt.
Die Schauspielerin Pauline Duprat
wurde vom größten Entsetzen erfaßt,
als sie am andern Tage erfuhr, daß sie
daS Spitzenkleid einer Leiche getragen.
Daß ihr dieser Umstand aber schließlich
noch zum Glück gereichen sollte, vermochte
fie ja nicht zu ahnen.
Sie gab daS Spitzenkleid sofort zu
rück, worauf es wiederum der Leiche der
Gräfin Carmelita angelegt wurde, und
durfte fich schadlos halten an der Mo
distin Manuela Garcia, welche sich wie
derum schadlos hielt an dem Besitz der
Händlerin Panchita Ravez und dcZ Ehe
paareS CuchareS.
Die Kriminaluntersuchung ergab,
daß diese letzteren auch noch viele ander
weitige Gräbcrplünderungen vorgenom
men hatten. Reich war ihre Beute ge
Wesen, eben wegen der schon von un? er
wähnten Sitte der Vornehmen und
Reichen in Mexiko, die Todten so präch.
tig und kostbar ausgestattet der letzten
Ruhe zu übergeben. Das habgierige
Paar wurde nach der ganzen Strenge
des Gesetze? bestraft, ebenso die Hehlerin
Prnchita Ravez. welche feit Jahren den
Verkauf der von Diego CuchareS und
dessen Frau Apollonia auS den Gräbern
gestohlenen Sachen besorgt hatte.
Auf den jungen schwermüthigen
Grafen aber hatte die reizende fran
zösische Schauspielerin, die seiner der
ftorbenen Gemahlin so auffallend glich,
tiefen Eindruck gemacht. Er besuchte
fie und schenkte ihr einen kostbaren
Brillantschmuck. Dann lernte er fie
näher kennen, ihren Geist, ihre Heiter
keit, ihre Anmuth. Er verliebte fich in
fie und bot ihr sein Herz und seines
Hand an. Mit Freuden sagte fie ja.
Auf solche sonderbare Weise wurde in
Mexiko die liebenswürdige Schauspie
lerin Pauline Tuprat die Gemahlin deS
reichen Grafen Rodrigo de Avellanada.
Tie beiden lebten viele Jahre sehr glück
lich miteinander, ihr ältester Sohn
lebte vor wenigen Jahren noch in
Mexiko als Präsident des obersten Ge
richtshofeS.
Spheu.
Knapp an der Mauer bei dem HauS
Wuchs ein ganz kleiner Epheu 'raus,
Einst durch den Gärtner hingelangt.
Damit er grün das HauS umrankt.
Ter Epheu aber bog sich um
Und fest um einen Baum herum.
Dem Baume macht' dieS Anfangs Spaß ;
Er gab ihm von des Erdreichs Naß,
Er schützte ihn vor Sturm und Wind.
Da wuchs der Epheu gar geschwind.
Gedieh bald prächtig, herrlich, dicht.
Und bracht' den Baum um Luft und Vidjt.
Er schlang zum Wipfel fich hinauf,
Und sog de? Baumes Kräfte auf.
Nicht wußt' der Baum, wie ihm geschah.
Still, schwach und leidend ftand er da.
Da pfiffen Spatzen auf dem HauZ:
Das kommt bei solchergreundschaft 'raus!
Ist fie auch Anfangs angenehm,
Schmarotzer werden unbequem!
Ta war's um sie gesckkkcn.
Tie berühmte Schauspielerin Rachel J
trat im Jahre 1818 in Paris in t'minrf
der größten Theater auf. in der Hand
trug sie die Fahne der Republik, auf
dem Haupte die FreihcitZmütze; ftür
misch wurde sie vom Publikum empfan
gen. Kaum hat der Beifallssturm sich
gelegt, so beginnt fie die Marseillaise zu
deklamiren, und mit wilder Begeiftc
rung ruft fie: Aux armes, citoyens!
Kaum ist fie bis zu dieser Strophe ge
kommen, da stockt sie plötzlich, ihr Blick
wendet fich stier auf den Fußboden, sie
erbleicht und sinkt ohnmächtig einem
Schauspieler in die Arme. WaS war
geschehen? Sie hatte eine Ratte
gesehen, welche quer über die Bühne
lief.
Zwei Mulhiae.
Frau (zu einem zudringlichen Hausi
rer): Jetzt machen Sie aber, daß Sie
fortkommen, sonst rufe ich meinen
Mann !"
Haufirer (gemüthlich): Bei dem
war ich schon ... Der hat mir mit Ihrer
werthen Person gedroht I"