Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, June 24, 1897, Image 9

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Zins d.'in sehen eines Reichen.
4'on i'orontn Ä. Kapri.
,VeneideNwerthe Menschen ! aufirrte
ich filtern Freunde gegenüber, in dessen
Wffellscbaft ich soeben einen recht sieben
Abend in dcm liebenswürdigen Forni
lienlreiff titi Bankiers G. zugebracht
hatte. Noch jung, von blühender (S)e
sundheit. kunftsinnig, heitern SmneS.
im glücklichen Besitz schöner begabter
Kinder,,.. Man hat un Verkehr mit
ihnen da? ganz bestimmte Gefühl, als
gehörten sie zu jenen privilegirten Lieb
lingen Fortuna';, die ftetS im Sonnen
schein gewandelt, denen da Unglück
niemals genaht." Und doch tauscht
Sie dieses ganz bestimmte Gefühl," er
widerte mein freund. ES ist kaum
drei Jahre her. daß der Mann mit der
heitern Stirne und dem glücklichen
Lächeln, der liebenswürdige Alfred E.,
im Begriffe stand, einen Selbstmord zu
begehen." Kaum glaublich!" rief
ich, aber erzählen Sie!" Ich will
es thun, denn EL der mir in einer
jener vertrauten Stunden entre chien
et loup, in welcher es sich gut plaudern
laßt, alS Antwort aus eine der Ihren
ahnlichen Bemerkung diese Episode seine?
LebenS erzählte, hat mich nicht zur Ge
Heimhaltung verpflichtet.
Als G. eines Morgens sein Journal
durchflog, fand er darin folgende Nach
richt: Der Großhändler N. ist seit
gestern abgängig. Nach einem hinter
laffenen Briefe dürfte er sich verfehlter
Geld'Spekulationen wegen daS Leben
genommen haben."
Diese in deutschen Blattern erschienene
Noti, wirkte erschütternd aus 8. Der
Bermißte war sein Geschäftsfreund,
war gleich ihm aus den Höhen des
Glückes gestanden ja. G. hatte deffen
Vermögen noch höher geschaßt als daS
eigene. ES war möglich, daß ihm die
nächste Biertelstunde die Nachricht
brachte, er sei mit einer erheblichen
Summe an diesem Falliment betheiligt.
Es ging dem reichen Manne ein Schauer
durch die Seele bei dieser eindringlichen
Mahnung, jedes irdische Glück, scheine
eS noch so fest begründet, stehe nur auf
schwankendem Boden. Er, der stolze
Mann, ein Selbstmörder?! Schien doch
jeder seiner Blicke zu sagen:
Der Sonntagsgast.
iiniui 18.
Oeilg zum Xe5rsk stanto Attzcigcr.
ft. 5.
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht !"
In begreiflicher Aufregung erwartete
G. die Antwort auf seine telegraphische
Anfrage. Vielleicht war seine Besorg
niß, in den Sturz deS Geschäftsfreundes
mitgerissen zu werden, unbegründet, . .
Vielleicht waren noch Fonds vorhanden
Möglicherweise hatte den Mann
nur falsches Ehrgefühl, plötzliche Ent
muthigung, ein bedauerlicher Mangel
an Energie des Charakters, die das Un
glück ertragen lehrt, in den Tod getrie
den. Er suchte sich im BorauS gegen
jede Hiobspost zu stahlen und muthetc
sich Starkfinn genug zu, um das Un
glück besser ertragen zu können als sein
unglücklicher Freund.
Er sollte bald Aufklärung erhalten.
Die Antwort kam und brachte ihm die
Gewißheit, daß der Fall des Geschäfts
freundes für ihn einen Verlust von
Hunderttausenden bedeute.
Gegen die schrcckensvolle Nachricht
hielt keine Energie des Charakters
Stand. Das Bild, das sich momentan
vor seinen Augen entrollte, beraubte
ihn aller Kaltblütigkeit. ES ergriff ihn
wie mit der Gewalt einer psychischen
Epidemie. Wie rasend stürzte er. das
offene Telegramm in der Hand, in das
Zimmer feiner Frau. Ein Blick ge
nügte ihr, um den Seelenzustand ihres
Gatten zu erkennen. Das plötzlich über
ihr Haus hereingebrochene Unglück traf
sie hart. ES legte ihr die Nothwendig
keit auf, im sehr luxuriösen Haushalt
und an einen solchen war sie von Jugend
an gewöhnt Einschränkungen in
einem Umsange einzuführen, der dem
Auge der Welt nicht verborgen bleiben
und den Spott ihrer Neider herausfor
dern mußte. Auch wurde die Mitgift
ihrer geliebten Elfe dadurch empfindlich
geschädigt. Aus einer reichen Erbin
war sie heute ein Mädchen von müßigem
Vermögen geworden. Aber die gute
und kluge Frau sah. wie tief ergriffen
ihr Gatte war, wie e ihm fast wie Irr
sinn aus den Augen leuchtete, und sie
besaß die Kraft, die eigene schmerzliche
Erregung zu unterdrücken und Alles
zu versuchen, was Milde und Liede ihr
zu seiner Beruhigung eingeben konnten.
Vergiß nicht, Alfred, daß wir ja
nicht unseres ganzen Vermögens beraubt
wurden, daß wir "
Mit den paar Hunderttausend Gul
den, die uns etwa bleiben mögen, läßt
sich gar nichts anfangen.. ."
Aber. Alfred, es ist ja doch ein Vec
mögen, daS. ... " MWg
,;Es ist ein Bettel, sage ich dir, das
versteht ihr Weider nicht! Ihr habt
keinen Begriff von kaufmännischer Ehre,
von dem berechtigten Ehrgeiz des
Mannes, den eiumal errungenen Platz
zu behaupten unter allen Umstünden.
In den Augen der Welt ist von der
Höhe sinken und fallen ziemlich einerlei.
Haft du dir gesagt, daß wir unser Pa
lais verkaufen muffen, um Fonds zu
gewinnen?"
Das war mir sogleich klar. Alfred,
aber ich bedauere eS nicht."
So?!
"Sprachst Du nicht schon vor Mona
ten" davon, daß es dir bei den vielen
Lasten nicht den erwarteten Gewinn
bringe, daß dir Baargeld oder gute Pa
piere lieber wären, daß. . ..
Abermals weibliche Kurzsichtigkeit !
Du hast keinen Blick für den Unterschied
der Situation. Damals konnte ich aus
freiem Willen verkaufen, ohne daß eS
Jemandem Wunder genommen hatte:
heute zwingt mich daS Unglück dazu
und man weiß ei."
Alfred, du .... "
Sprich kein Wort weiter, Helene!
Du scheinst keine Ahnung davon zu
huben, welche Bitterkeit mir daS Herz
zusammenschnürt, welche Verzweiflung
. . . . O Gott, eS ist ja die Schande . ,
die Schmach ist es, die heute ihren Ein
zug in unser rhrenmerthes Haus gehalten
hat und wer Edre im Leide hat,
kann das nicht überleben. Gott schütze
euch!"
Er stürzte fort und ließ sie in groß
ter Seelenangft zurück. Zu welchem
Gewaltfchritt konnte der heißblütige
Mann, dem das Entsetzen jede Befin
nung geraubt zu haben schien, sich hin
reißen laffen.. ..
Mittlerweile irrte er mit wirrem
Haar und wirrem Blick in den Straßen
Wiens umher, verfolgt von dem qual
vollen Gedanken: über Nacht bist du
vom reichen zum armen Manne gewor
den Was wird die Welt dazu sa
gen? Was Diejenigen, die du einst
von der Höhe deines stolzen Glückes
herab geringgeschätzt, vielleicht verletzt
und gedemüthigt hast? Wie werden sie
lacken, wie stck darüber freuen!
! Wie werden sie flüstern und höhnen,
j und dich sinrend, einander zuwispern.
wenn du nun deinen Diencrftand ver
riiioerst, unter einem böcksl durckstckti-
gen Vorwand einen Theil deiner Pferde
verkaufst; wenn deine Salons, in wel
chcn deine liebenswürdige, anmuthige
Frau so geistvoll präsidirte. deine Elfe
durch Jugend und Schönheit glänzte,
nun aufhören, ein Anziehungspunkt
für die Elite der Gesellschaft zu sein?
Es war unerträglich. Er knirschte mit
den Zähnen. Es erschien ihm wie eine
Befreiung. N.'s Beispiel zu folgen. . . .
Dann würde er von nichts mehr wissen,
weder Spott noch Schadenfreude wür
den ihn verfolgen, alle Oual hätte ein
Ende....
Und die Seinen ' Helenen- reiche
Verwandte würden sich wob! ihrer und
der Kinder annehmen, wenn er nicht
mehr war, während im Gegentheil,
wenn er lebte. ... Ja, es war die letzte
Liede, die er ihnen erweisen konnte
er mußte sterben, er, welcher ihr Ver
mögen Preisgegeden und ihnen nichts
mehr zu bieten hatte als Verarmung
mit ihren demüthigenden Folgen. Wo,
wie, das würde sich finden ... Er
rührte mit der Hand an oen Revolver,
den er in die Tasche gesteckt hatte.. ..
Vielleicht in irgend einem grünen Win
sei seine? Lieblings-Aufenthaltes, des
Dorndacher Parkes
Er hatte den Schottenring betreten.
Wie blind rannte er dahin. Er be
merkte es nicht, wie die Paffanten ihn
verwundert ansahen, vk die ihm
Entgegenkommenden dem todtbleichen
Manne, der geradeauseilend an Jeden
anzurennen drohte, auswichen. Er sah
und hörte nicht, er hatte nur Eile, hin
überzukommen, denn auf dem Schotten
ring, oben in dem Hause dort, dem er
entgegenschritt, wohnte ja der Oheim
seiner Frau, der reiche, der beneiden?
werth reiche Großhändler D. Ihm
wollte er nicht unter die Augen kom
men. Doch .... da fuhr eben dessen
Wagen au? dem Thorweg .... Er
hatte ihn gesehen er grüßte
Doch, wie bleich, wie verfallen der
Mann aussah! G. war dies nie so
aufgefallen, wie, eben heute. So
reich, und so krank und elend! Was
hatte nun der Mann von seinen Mil
lioncn. wenn ihm die Grundbedingung
alles Wohlseins, die Gesundheit, fehlte?
Und er selbst, der nicht wußte, was es
heiße, krank zu sein, er mußte von hin
nen gehen, noch jung, thatkräftig, ge
fund. Doch, jung oder alt. gesund
oder krank da mußte jede Reflexion
schweigen, wo ein unglückseliges, wahr
haft unverdientes Schicksal das Weiter
leben in Ehren unmöglich machte.
Er ging weiter. Es fiel ihm nicht
ein. einen Wagen zu nehmen, um
rascher an's Ziel zu kommen und die
Cual abzukürzen. In seiner mahn
sinnig erregten GemüthSstimmung be
durfte er der Bewegung. Im Wagen
fitzend hätte es ihm geschienen, als hafte
er an einer und derselben Stelle.
Dort, vor der Votivkirche. hielt ein
pompöser Leichenzug. Er bemerkte
manche Wagen der Haute finance.
Wer es nun immer war, um deffen
Scheiden diese ergreifenden Trauer
gesänge erschollen, der Mann oder das
Weib in jenem blumengeschmückten
Sarge war glücklich zu preisen. Das
Leben mit seinen Schmerzen und Ent
täuschungen konnten ihm nichts mehr
anhaben. Unwillkürlich näherte er sich.
Er war lange in keiner Kirche gewesen.
Kühle Dämmerung umsing ihn. An
diesem trüben lag, an welchem kein
Sonnenstrahl durch die hohen, bunt
bemalten Bogenfenster fiel, erschien ihm
dieses schwarzdrapirt!' Gotteshaus wie
die Vorballe des Grades. Die Träger
luden den Sarg auf; ihm nach wankte
als erster Leidtragender ein weißhaari
ger, gramgedeugter Mann, mit bleichen
Wangen und erloschenem Auge. Jetzt
wußte G. wer es war, den man hier zu
Grade trug ... Er kannte den alten
Mann so obenhin. Auch er war reich,
unermeßlich reich, und all' die Schatze,
die er erworben, sollten daS Leben sei
nes einzigen Kindes, des jugendlichen,
hoffnungsvollen Sohnes verschönern,
den er heute tiefgebeugt in die Gruft
senkte, in welcher sein Weid bereits
ruhte.
Gott! Und ihn selbst, der nun um
Geld und Gut verzweifelnd Hand an
fein Leben legen wollte, ihm lebte da
heim ein holdes, treues Weib, liebende
Kinderherzen schlugen ihm entgegen.
War das nicht ein Glück, dem kein an
dere? vergleichbar war? Wie ein Son
nenftrahl drang ihm dies Bewußtsein
in'S Herz Doch, schon senkten sich
wieder düstere Schatten in seine angst
beklommene Brust. Dieses entsetzliche
Niedersinken von stolz erklommener
Höhe. Mangel an Geld und Ein
schränkung hier und dort, die Sisv
phusarbeit des Wiederbeginnen?, der er
sich, entmuthigt und gedemüthigt wie
er war, nicht mehr gewachsen fühlte,
all' den blutigen Spctt und Hohn, dem
er entgegensah Im besten Falle
würden sie mitleidig auf seine und der
Seinen Erniedrigung herabsehen. Kci
ner von ihnen würde einen Finger re
gen, um ihm aufzuhelfen, er wußte es.
Man würde ihn des Mangels an Um
sicht zeihen: ihn verurtheilen, so schuld
los er auch war; ihm Credit und Ver
trauen entziehen .... Und er. der sich
stets rühmte, Niemandens Hülfe zu be
dürfen, er sollte wohl flebm, wo er bis
jetzt mehr als einmal großmüthig ge
währte; bitten, wo er bisher rieth und
entschied? Nimmermehr.
Da, am Eingang zur Alferstraße,
ragte da- düstere Gebäude empor, das
so viel Elend und so viel Schuld um
faßt. Vor dem Schwurgerichtssaal
drängten sich die Menschen ....
Bereits war an die Stelle seines
düsteren Brütens die Reflenon getreten.
Es ergriff ihn eine gewiffe Neugierde,
zu wissen, wer der Unglückliche war, der
heute an dieser Stelle vor feinen Rich
tern stand. Da durchfuhr es ihn, wie
ein Blitzschlag. War nicht heute der
10 und sMe an diesem Tage
nicht die Verhandlung wegen betrügen
scher Erida gegen den ihm wohlbekann
ten Kaufmann I. stattfinden, welcher
durch falsche Vorspiegelungen nament
lich den Ruin so vieler kleiner Leute
verursacht hatte? Er riß das Journal
aus der Brusttasche ... So war es.
Es drängte ihn in den Saal. Bereits
war die Verhandlung bis zur staatsan
waltlichen Anklage gediehen. Unter
den wuchtigen Streichen dieser gerechten
Anklage beugte sich das Haupt des
Schuldigen tiefer und immer tiefer.
Die Beweise waren erdrückend, und
Reue. Angst und Verzweiflung standen
in dem Angesicht des Unseligen geschrie
ben, der keinen Ausweg mehr sah. Und
auch er, der hier vor seinen Richtern
stand, hatte Weid und Kinder, die schuld
los, wenn auch nicht feine Strafe, doch
seine Schande theilen mußten.
Angesichts dieses Manne?, dessen wirk
liche, nicht mehr gut zu machende Schuld
ihn der Gerechtigkeit überliefert hatte,
erhob G. langsam da? Haupt. Er.
den sein Bewußtsein rein sprach von
aller Schuld durch welche Verwir
rung der Sinne hatte er sich der Schande
verfallen geglaubt? Wie hatte er nur
den Entschluß faffen können, nun, da
nach einer Reibe von glücklichen Tagen
die Stunde der Drangsal erschienen
war, sein Weib und seine Kinder zu
verlassen und seine verletzte Eitelkeit vor
dem Lächeln einiger Neider und Tboren
in das Grab zu flüchten, statt den Sei
nen treu zur Seite zu stehen und mann
haft jede Krankung von ihnen abzu
webten? Und hatte sein Weib nicht
am Ende nicht die rechte Ansicht der
Sache? War denn Alles verloren?
An feiner Ehre war nicht der geringste
Makel; das schuldenfreie Vermögen,
das ihm geblieben, war kein undedeu
tendes zu nennen. War ihm und den
Seinen von nun an übertriebener Luxus
verwehrt, so war ihnen doch Wohlstand
und ein gesichertes Einkommen geblic
ben. Und noch war er gesund, noch
jung und kräftig es war nicht un
möglich, daß er sich aufbals. ohne fremde
Mithilfe. Noch konnte er vor Allen
das Haupt erheben, und e? gab Keinen,
vor dem sich fein Blick hätte senken
müssen.
Es litt ihn nicht länger. Seine
ganze Seele, jeder Herzschlag, drängte
den Seinen entgegen. Er stürzte auf
die Straße, bestieg einen Wagen
Auf seine Weisung raste das Gesahrt
seinem Hause zu. In welcher Todes
angft mußte seine geliebte Helene seiner
warten! Schon wollte er die Stiege
hinaufeilen da fielen ihm ganz im
Hintergründe des dunklen Hofes drei
minzige, ebenerdige ensterchen in die
Augen. Dort, in dem finsteren Lokal,
das sich nur schwer vermuthen ließ.
wo!mte ein armer Schuhmacher mit
feiner Frau und seinen vier Kindern.
G. selbst hatte die Wohnung nie be
treten. Er erinnerte sich nur dunkel
daran, daß die Leute den ZinZ schon
seit einem Jabr nicht gezahlt hatten und
er dem Hausbesorger die Weisung er
theilt hatte, ihnen zli kündigen. Die
Leute waren ruhig. E? gab nie Lernn
und Skandal bei ihnen. Er hatte ihre
Anwesenheit überhaupt nie bemerkt.
In dieser Stunde fiel es ihm auf s
Herz, daß es vielleicht echt arme, aber
brave Leute seien, für welche eine Kün
digung gleichbedeutend sei mit völligem
Ruin. Schnell entschlossen durchschritt
er den Hof und betrat die Wohnung.
In dem einzigen, an die finstere Werk
statte grenzenden Wohnzimmer empfing
ihn der Verzweiflungsruf: Der Haus
Herr selbst Nun sind wir der
loren!" Er sah sich um Alles arm
selig, aber nett. Der Mann und die
beiden älteren Töchter an der Arbeit,
daS Weid mit abwehrend emporgehobe
nem Arm. tödtliche Angft in dem
bleichen Gesichte, mit der Linken den
Säugling an die Brust drückend; im
Bette ein krankes Bübchen mit großen,
hungrigen, erschreckten Augen.
So also sah die wirkliche Armuth
aus. So grundverschieden war sie von
der eingebildeten, die ihn beinahe in den
Tod getrieben hätte.
Er beruhigte die Leute, kündigte
ihnen an, er beabsichtige, in Anbetracht
des schlechten Geschäftsganges, unter
welchem sie litten, ihnen den schuldigen
Zins nachzusehen, legte eine Fünfzig-Gulden-Note
in die kleine Hand des
kranken Bübchens und verließ die Woh
nung unter dem Jubel und den Dan
kesworten glückerfüllter Herzen. Dann
eilte er hinauf und der Mann, der
sich vor einer Stunde so arm gefühlt,
dünkte sich jetzt überreich, als er die Sei
nen blühend und gesund an das Herz
schloß. So nahe berühren sich im
Menschenleben Schmerz und Freude,
Verzweiflung und Hoffnung."
Die Rezension eines Kaisers.
Historische Skizze von A. BririuS.
Als im Jahre 1307 Napoleon I. mit
den kriegführenden Monarchen Europas
sich in Tilsit befand, wo am 7. 9.
Juli der bekannte Friede zu Stande
kam. da ließ er die Schauspieler der
Eomödie franc?aise aus Paris nach die
ser zu seinem Hauptquartier erwählten
kleinen Kreisstadt kommen, damit die
selben, wie er ausdrücklich sagte, einmal
vor einem Parquet von Königen spielen
sollten.
Die Eomödie franoslife, welche die
ausgezeichnetsten Künstler Frankreichs,
darunter den großen Tragöden Talma,
zu ihren Mitgliedern zahlte, stand da
malg im Zenith ihres Rubmes, und
mit nicht geringer Befriedigung ge
wahrte Napoleon den gewaltigen Ein
druck, welchen die vollendeten Schau
ftellungen dieses in seiner Art einzigen
Theaters auf die anwesenden Fürstlich
leiten ausübte. Vor allem aber war
es Talma, welcher durch die lebendige
Wahrheit ''eines Spiels die höchste Be
wunderung erregte und sich seitens der
Souveräne zahlreicher Beweise der vor
züglichften Hochachtung zu erfreuen
hatte. Talma. damals in seinem 44.
Lebensjahre .stehend, war der größte
französische Tragöde seiner Zeit und
für die französische Bühne der bedeu
tendste Reformator, was Stellung der
Figuren, Faltenwurf der Gewänder,
Ausdruck der Leidenschaften und hifto
rifche Treue der Kostüme anlangt.
Eine nicht ausgezeichnete, aber regel
müßig gebildete Gestalt, eine volle, wohl
tönende Stimme, und wie bei Napo
leon, den antiken Formen sich hin
neigende, bildsame Geftchtszüge. standen
bei ihm mit einem klaren Geiste, tiefer,
seelenvoller Empfindung und warmer
Phantasie in harmonischer Verbindung.
Dabei besaß er die wundervolle Gabe,
die Cbaraktere, die Leidenschaften, die
Affekte, die innersten Regungen des Ge
müths der darzustellenden Personen in
allen Graden und Abstufungen so voll
kommen wiederzugeben, daß in dieser
vollendeten Täuschung die Natur selbst
sich auszusprechen schien. WaS den
großen Tragöden jedoch am meisten
schatzenSwerth machte, war, daß er im
Vollgefühl schöpferischer Kraft Selbst
überHebung nicht kannte, liebenswürdig
und bescheiden im Umgange war. und
Lehren, sofern sie gut waren, auch von
denen annahm, die bezüglich seines
allumsaffenden Wissens von dem Wesen
der Schauspielkunst tief unter ihm stan
den. So empfing der große Meister der
Schauspielkunst gelegentlich seines Auf
. entbaltes in Tilsit, wo er vor dem Par
iiuet von Königen eine seiner besten
Rollen, oie des Nikomeöe i:: dem gleich
namigen Stücke von Corneille, gespielt
hakte, von Napoleon eine Lehre, die er
: Zeit seines Lebens nicht vergessen hat
und bei seinem ferneren Auftreten sich
j stets zur Richtschnur dienen ließ.
Es war am Morgen nach der Auf-
j führung des Nikomede. als Napoleon,
1 auf dessen ausdrücklichen Wunsch das
Stück gegeben worden war. Talma zu
sich rufen ließ. Der große Tragöde,
der beim Kaiser, welcher ihn oft und
gern bei sich sah. im größten Ansehen
stand, hatte nie vorzüglicher gespielt,
als an diesem Abend. Wie gewöhnlich
fand er den Kaiser beim Frühstück, da
derselbe nur um diese Zeit seinen ffünft
lern Audienz zu geben pflegte.
Sie haben zu meiner ganzen Zu
frieöenheit gespielt, lieber Talma,"
sagte der Kaiser, und indem er noch
einige Schmeicheleien über die Art und
Weise, wie Talma seine Rolle durchge
führt hatte, hinzufügte, kam er auf da
außerordentliche Talent Eorneille's zu
sprechen, aus dem er, wie er ernsthaft
versicherte, einen Minister gemacht haben
würde, wenn der große Dichter fein
Zeitgenosse gewesen wäre. Aber, lieber
Talma." sagte er plötzlich wieder auf
die Darstellung des Nikomede zurück
kommend, warum machen Sie so viel
Bewegungen mit den Armen?"
Talma, der gerade in dieser Be
Ziehung das nöthige Maß zu halten
suchte und sonst nie darin übertrieb,
suchte dem Kaiser einleuchtend zu
machen, daß sowohl der Charakter der
Rolle, als die Sprache dies bedinge.
Der Kaiser hörte den Ausführungen
des Künstlers schweigend zu und gab sich
den Anschein, als pflichte er ihm bei.
Sie waren sublim," sagte er, als
Talma seine Vertheidigung beendet, und
dem Gespräche eine andere Richtung
gebend, die Arme auf der Brust
kreuzend, begann er von dcm Ruhme
Frankreichs und den Wunderthaten der
italienischen Campagne zu crzühlen.
Napoleon sprach mit jener unnachahm
lichen Beredsamkeit, die Viktor Hugo
am besten bezeichnete, indem er sagte:
Sein Wort war farbig wie die Poesie
und genau wie die .Algebra."
Der Etiquette zuwider ließ Talma
während des Kaisers Erzählung oft
einen Ausdruck der Bewunderung ent
schlüpfen, und als der Kaiser geendet
hatte, rief er aus: Sire. ich habe nie
mals so große Thaten in einer so er
hadenen Sprache schildern hören!"
Der Kaiser, sichtbar geschmeichelt, hob
das Frühstück auf. Glücklich wie ein
Künstler, der eben einen Triumph da
vongetragen, näherte er sich Talma.
Sehen Sie wohl, lieber Talma." sagte
er mit ironischem Lächeln, und ich habe
doch keine einzige Armbewegung ge
macht !"
Wie bereits erwähnt, vergaß Talma
diese Rezension seines Spiels niemals,
und wenn die Rede darauf kam, gestand
er offen, daß er sich aus dieser Dekla
mationsstunde des Kaisers eine große
Lehre gezogen habe.
Der geniale Künstler überlebte seinen
kaiserlichen Freund noch um fünf Jahre;
er starb als einer der größten Tragöden,
welche die Schauspielkunst aufzuweisen
hat. am 19. Oktober 1326, im 63.
Jahre seines Lebens.
Humor in der Schule.
Zu der Hundertjahrfeier des könig
lichen Friedrich Wilhelm-Gymnafiums
in Berlin ist auch eine Festschrift er
schienen. Alten Schülern der Anstalt
wird durch eine Fülle biographischen
Material! die Erinnerung an die
Schulzeit wieder aufgefrischt. Auch der
Humor fehlt nicht. Aus einem Buche
Dr. Karl Vormena's Wie Friß Mcdi-
ziner ward" werden allerliebste Remi
niscenzen wiedergegeben. So wird vom
alten Brefemer, dem Gewaltigen der;
Obersekunda, erzählt: In die Ober
sekunda trat jeder Gymnasiast mit einer
Art heiligen Schauders ein. Bresemcr I
war wohl der einzige Lehrer der An
statt, dem der Ruf starker Strenge vor ;
anging, und den man fürchtete, trotz der
vielen geflügelten Worte und Witze, die
von ihm erzählt wurden. Die Oder
sekunda galt allgemein als die große
Klippe, an der so mancher hoffnungs
volle, angesehene Student scheiterte.
Sofort am ersten Tage des Unterrichts,
bei der Aufnahme des Nationale, konn
ten wir uns überzeugen, daß die Mär
von den ergötzlichen, unbewußten Witzen,
den sogenannten Brekiaden", keine
Redensart fei. Brefemer fragte zwei
Brüder:
Sie sind Zwillinge?"
Ja." war die Antwort.
Und wo sind Sie geboren?"
In Berlin."
Und Sie?" wendete er sich an den
Bruder, der dann unter allgemeinem
Gekicher antwortete:
Auch in Berlin. Herr Professor."
Einen Anderen fragte er: .Was iß
Ihr Vater?"
Der ist todt, er war Besitzer einer
Mineralwasjer'Anftalt. "
-JlBo schreiben Sie, " wendete sich Bre
femer an den PrimuS. der die Lifte
führte, unter die Rubrik Stand des
Vaters: Wittwe einer Mineralwasser
Anftalt."
Eine ganzlich andere Natur war
Schelldach, der Mathematiker. Klein
von Gestalt, rasch in der Rede, blickte
er mit seinen hellen Augen wohlwollend
und forschend zugleich den Neuling an.
als wolle er ihn ermuthigen und zu sich
heranziehen. Vorkenntniffe verlangte
er fo gut wie gar nicht, und der Schwa
chen nahm er sich mehr an, als der Be
fähigten. Tann pflegte er zu sagen:
Die können sich schon selbst helfen, den
Anderen aber muß ich beispringen."
Schellbach entwickelte Engelsgeduld,
wenn es galt, einem Schwachen einen
Beweis klar zu mochcn oder ihn eint
Schlußfolgerung finden zu laffen. Man
sah ihm die Freude an, wenn das er
sehnte Ziel, oft nach unsäglicher Mühe,
glücklich erreicht war. Aber ein fürchter
licheS Unwetter brach los in den feite
nen Fällen, wo alle Mühe vergeblich
blieb. Dann legte sich die sonst so
glatte Stirn in galten, der Mund zuckte,
die Augen sprühten Flammen und die
Worte donnerten nur so heraus:
Sie sind ja ein wahres Roß von
Dummheit. Sie wollen ftudiren?
WaS in aller Welt wollen Sie ftudi
ren, frage ich, wenn Sie so einfache
Dinge nicht begreifen können? Hebn
genS kommen wir auf die Formeln,
lagen Sie mir doch mal cos a
gleich?"
Damit schloß nämlich eine solche
Szene regelmäßig, daß Schellbach dem
Unglücklichen die Formeln abfragte, wo
bei derselbe selten genügend bestand,
und dann hieß es: Kommen Sie am
Mittwoch Nachmittag auf zwei Stun
den." Die Formeln waren reine Ge
dächtnißsache, und von guten Schülern
erfragte sie Schelldach nie, der Schwache
dagegen sollte sie genau auswendig
wissen. Da das selten zutraf, so war
der Grund zur Strafe gefunden....
Kleinere Strafen bestanden in beson
deren Aufgaben, die wir zu Hause lösen
und des Morgen früh bei Schellbach,
deffen Wohnung ebenfalls :m Schul
gebüude lag, abgeben mußten. Da
kam es denn vor, daß Schellbach nicht
anwesend war, und eine der Töchter die
Arbeit annahm und die Abblieferung
vergaß. Bei Beginn der Lehrftunde
fragte chellbach den Betreffenden,
warum er Morgens nicht erschienen sei.
Ich war ja da, Herr Professor."
lautete die Antwort, und habe die Ar
deitab gegeben; man sagte mir, Sie seien
nicht zu sprechen."
Wem haben Sie die Arbeit ge
geben?"
Einer Ihrer Töchter, Herr Pro
feffor."
Welcher denn?"
Wie sie hieß, weiß ich nicht, Herr
Profeffor."
War sie hübsch?"
Ja, Herr Profeffor."
Na. dann war'S Florchen. Es ift
gut!"
?in ehrwürdiges HauS.
Kürzlich ift eine? der ältesten Häuser
Deutschlands außer Dienft gesetzt wor
den: das Rcntamtsgebäude der zwi
schen Bamberg und Nürnberg gelegenen
oberfränkischen Stadt Forchheim. Es
ift im Laufe der Jahrhunderte äußerst
altersschwach und hinfällig geworden,
so daß man den historisch hoch in
tereffanten Bau kaum wird erhalten
können.
Das Forchheimer RentamtSgebäude
steht seit den Zeiten Pipins des Kleinen.
Im Jahre 855, nach dem Tode deS
Kaisers Lothar des Ersten, fand die erste
Reichsversammlung darin statt und
unter Ludwig dem Zweiten und deffen
Nachfolgern wiederholten sich diese Ver
sammlungen deutscher Fürsten und Ad
geordneten. In diesem Hause erklärte
Otto der Erste 964 den Feldzug gegen
den aufrührerischen König Berengar
den Zweiten von Italien für beendet:
hier war 64 Jahre früher der letzte
deutsche Karolinger. Ludwig das Kind,
in seinem siebenten Lebensjahre zum
König gewählt worden, in diesem Hause
wurde auch Kaiser Heinrich der Vierte
nach seiner Buße in Kanossa durch die
Fürsten für abgesetzt erklärt und Ru
dolf von Schwaben als Gegenkönig aus
gerufen. In dem alten Gebäude be
findet sich noch eine aus der Zeit Karls
des Großen gammende Kapelle, welche
im Jahre 1835 durch den König Lud
wig den Ersten von Bauern einer Re
ftauration unterzogen wurde.
Nadfalirer-Tprichwörtcr.
Die Ocsterreichifch-ungarifche Rad-sahrer-Zeitung"
theilt nachstehende neue
Sprichwörter mit: Mit der Lenkstange
in der Hand. Kommt man durch's ganze
Land. Nägel und Glas. Wie schnell
schad't das! Kinder- und Narren
Hände. Betappen da? Rad ohne Ende.
Bergan sachte, bergan achte, in die Ebene
trachte, Unterwegs schmachte, und fahr'
z Haus um achte. Man soll die Ma
schine nicht vor der Partie loben. Früh
radelt waS ein Rekordbrecher werden
will. Wenn dem Radler zu wohl
wird. Fährt er hinter'm Aufspritzwagen.