Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 24, 1896, Image 10

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    Der Siebenschläfer.
Humoreske von A a r H a r I u u g.
Der große Ballabend, der Lieschens
ZamstundenlursuS beschliehei, sollte,
aber unter uns sagt nur den
Anfang für längst in Aussicht genom
mene letzte und allerletzte Tanzveranstal
tungen bildete, war herangeloinmen.
Pava Moritz Schäfer hatte sich von sei
nr Frau überzeugen' lassen, daß er
ein Mal anstandshalber mit dabei sein
müsse und daß sich dazu kein Abend des
ser eigne, als gerade der heutige, an
dem Lieschen sozusagen ihr Examen ü
legen und zeigen sollte, ob sie ein brauch,
bares Mitglied der ..Gesellschaft" ge,
worden sei.-
Das Fest, das in einem Hotel ausge
richtet wurde, war in vollem Gange,
Ueber das Parquett des SaaleS hupste,
tänzelte und stolperte es wie das Jung'
gethier auf der Wiese, während die
Mutter den Wänden entlang saßen und
sich stolz an den Erfolgen ihrer Kinder
weideten. Auch Papa Schüler saß un
ter diesen Müttern. Die anderen Väter
hatten sich in die Nebenrüume vertheilt,
um sich, eine Cigarre zwischen den Zäh
nen, bei Wein und Bier zu unterhalten
oder ein Spielchen zu machen. Schäfer
hatte weder Lust viel zu reden, noch zn
trinken und zu rauchen ; spielen konnte
er überhaupt nicht. Aber er war milde
so müde ! Die perpetuirliche Milbig
keit war überhaupt eine Eigenthümlich
keit von ihm. Konnte er doch fast zu
jeder Stunde des TageS schlafen. Seine
Freunde behaupteten sogar, daß er am
liebsten mit den Hühnern" zur Ruhe
gehe und sich Sonntags, wo es seine
Geschäfte erlaubten, thatsächlich um 7
Uhr ins Bett begab. Daher kam eS,
daß Schäfer den Spitznamen Sieben
fchlüfer" erhalten hatte.
Auch heute war er, wie gesagt, wie
der unendlich müde, und der Gedanke,
noch stundenlang so sitzen zu sollen,
schläferte ihn immer mehr ein. Jdchen,
seine geliebte Frau, hatte ihn schon
dreimal aus dem Schlafe aufgerüttelt
und das letzte Mal eben ziemlich un
sanft mit der Behauptung, er habe ge
schnarcht. Schäfer fand das ungemüth
lich, er erhob sich und sagte zu ihr:
Ich komme gleich wieder."
Aber daß Du nicht lange bleibst !"
erwiderte diese in bestimmtem Ton,
ohne den Schlaftrunkenen weiter eines
Blickes zu würdigen. Eben tanzte mim,
lich Lieschen mit dem Gegenstand ihrer
mütterlichen Wünsche, und da durste sie
ihn Ausmerksamkeit ncht ablenken las
sen, denn vielleicht hätte ihr sonst gerade
der wichtigste Moment des ganzen Bl
1(3 entgehen können. Da sich nur
Lieschen richtig benimmt, sorgte sie weil
ter. Wenn sie doch nicht den Mund
immer so verwundert aufsperren wollte.
wie oft habe ich ihr das schon verwie
sen ! Wie ste das oerunzirt ! ES ist zu
albern !
Schäfer wand sich mittlerweile gäh
nend. durch die lärmenden Menschen
und begriff gar nicht, wie diese zu nacht
schlafender Zeit noch so munter sein
konnten. Er suchte offenbar nach etwas
' jetzt war er auf den Korridor gera
then. Er klinkte eine Thür auf an
genehme Dunkelheit umfing ihn leis
erhallende Walzerklänge tönten wie
au einer anderen Welt zu ihm herüber
jetzt stolperte er dann ein dumpfer
Fall, von dem Geräusch splitternden
Holzes begleitet - und eS war aus mit
ihm. Der Unglückliche hatte die Thür,
an der mit deutlicher Schrift zu lesen
war Verbotener Eingang", nicht hin
ter sich zugemacht. Als gleich darauf
der Oberkellner Franz den Korridor
.irtlang kam und sie offen fand, schloß
er sie, mit einer Verwünschung des Neu,
gierigen, der da hineingeschaut haben
mochte, ab und steckte den Schlllffel zu
na.
Unterdessen war es im Saale heiß
hergegangen. Manche Falbel war in
Hitze des Gefechts abgetreten wor
den. manches Schleifchen hatte sich los
gelöst. Dafür hatte aber der Kotillon
neuen Schmuck in Fülle gebracht. Die
kleinen Damen zeigten rothe glückftrah
lende Gesichtchen und nahmen sich in all
den Orden und Bändern wie Prin
Hessinnen aus, während die Herren wie
Pfingstöchslein einherftolzirten. Und
die Mütter hatten viel zu sehen gehabt.
Die Zeit war unglaublich schnell er
gangen und der letzte Tanz getanzt, ehe
man sich'? versah. Man dachte an den
, Ausbruch. Frau Schüfer hatte den
ganzen Abend auf Lieschen Acht gege
den, daß sie erst jetzt das Fehlen ihres
Ehegemahls wahrnahm. Sie hatte ibm
doch ausdrücklich gesagt, er solle sich
wieder in den Saal begeben. Er war
recht eigenmächtig, der gute Moritz.
Seit wann folgte er ihr nicht mehr?
Dies Benehmen ihre? sonst so gehorsa
men Mannes war ihr neu und in höch
ftem Grade verwunderlich. So mußte
sie ihn denn suchen. Ader wohin sie
auch .rauschte", der Ungehorsame ward
nirgends fichtbar. Sollte er am Ende
gar nach Hause entwichen sein? Das
-wollte sie ihm nicht gerathen haben.
Eie nahm schon im Gedanken an diese
Möglichkeit eine ziemlich strenge Miene
an. Es war irklich sehr peinlich!
Sie war i nicht einmal mit Geld ver
sehen, denn gerade heute hatte sie, die
sonst immer die Kasse führte, in einer
Anwandlung von Schwäche und Her
zensgüte ihm ausnaomsmeile da Por
temannaie eingehändigt ; weil es sich so
besser vor den Leuten mach, hatte sie
gemeint. Und nun konnte sie nicht ein
al die Zeche bezahlen. Sie suchte
zum zweiten Male sämmtliche Raume
durch, fragte Gäste wie Kellner und
versprach, die Hand verheißungsvoll im
leeren Ponipadour. die glänzendsten"
Triulgelder, wenn sie nur ihre Mann
zur Stelle schafften. Aber das half
alles nichts. Der Verschollene war nir
gendS zu finden. Er konnte also nur
ohne Erlaubniß" nach Hause gelausen
sein. Nun warte nur, mein Moritz!
DaS sollst Du bereuen !
Das war ein beschwerlicher Heimweg
zu Fuß durch frisch gefallenen Schnee !
Und als die Damen endlich bis an ihr
HauS gelangt waren, bot sich ihnen ein
neues Hinderniß dar. Sie hatten kei
nen Hausschlüssel. Wer sollte ihnen
nun öffnen? DaS Haus lag düster uud
schweigsam vor ihnen, kein Schimmer
eines Lichts war zu sehen, und im irit
ten Stockwerk, in dem sie wohnten,
waren sämmtliche Rdlläden niedergelas
sen. Er hatte sich offenbar unbelüm
mert um die Seinigen ruhig zu Bett
begeben. Nun, Dein Maß ist voll,
Mvritz ! Freue Dich, Schäfer !
Wie lange sie so standen und durch
Rufen und Händeklatschen wohl die
Aufmerksamkeit einiger Schutzleute,
nicht aber deffen, der sie eigentlich hätte
schützen und einlaffen sollen, erregten,
ist nie genau festzustellen gewesen. Frau
Schäfer meinte später : stundenlang".
Aber endlich nahte doch der rettende
Engel in Gestalt des Herrn Meyer aus
der, Beletage, welcher in weißem Ge
wände am Fenster erschien und den
Armen unten zurief, nur muthig aus
zuharrm. Dann trat er vom Fenster
zurück und ließ lange nichts mehr von
sich hören. Aber Herr Meyer war kein
Unmensch. Nach Verlauf einer guten
Viertelstunde fiel ein umfangreicher
Ballen alter Kleidungsstücke zwischen
den Damen nieder und nach einer wei
teren Viertelstunde rastlosen Suchens
fanden diese in einem noch ganz statt
liehen Kleide den Schließer des Hau
ses" Dank Herrn Meyers mufterhaf
ter Verpackung mit unversehrtem
Barte vor.
Nachdem auch die ziemlich beschwer
liche Reise über die dunklen Treppen
bewerkstelligt war, zeigte sich freilich die
verschloffene Saalthür als eine neue
Station auf ihrem Leidenswege. Die
Klingel ermies sich natürlich zu schwach,
um den Siebenschläfer oder das Mur
melthier von Dienstmädchen dadrinnen
wach zu bringen, und Frau Jda schwor
einen Eid, daß sie gleich morgen oder
vielmehr heute noch beim HauSMirth
die Anbringung einer ordentlichen"
Klingel durchsetzen werde. Nach einem
letzten kraftvollen Versuch, sich bemerk
bar zu machen, wobei die Stiefelabsätze
als Thürklopfer herhalten mußten,
schienen sich die Damen in ihr Schicksal
ergeben zu wollen und begannen, sich
aus der Treppe häuslich einzurichten.
Ta ward plötzlich ein schwacher Licht
schimmer durch das Thürfenster sicht
bar. In Todesangst, daß das Licht
sich am Ende wieder entfernen möchte
und sie unbemerkt bleiben könnten, ver
anlaßt? die beiden zugleich das Wort
öffnet !" zu rufen. Aber die erwar
tete Wirkung trat nicht ein, sondern ein
Ang I azrei ertönte dadrinnen. das Lim
entnel der Trägerin und verlosch. Die
beiden aus der Treppe waren durch das
Mißgeschick der letzten Stunden so weich
geworden, daß sie jetzt kläglich zu we,,
neu begannen und in den stehendsten
Worten um Einlaß baten. Und end
lich nachdem wieder Licht gemacht
war und ein Blick durchz Thürsenster
die er cyroaene Dienstmaad überzeugt
hatte, daß keine Räuber und Mörder
aus der Treppe lauerten, wurden Mut
ter und Tochter eingelaffen.
Frau Schüfer bekam mit dem ersten
Tritt aus heimischen Boden ihre ganze
vaimng uno Wurde wieder. Nun
zu ihm warte nur, Moritz !" stieß
sie heiser hervor. Dann entriß sie dem
Mädchen da Licht, trat über die
Schwelle des Schlafgemachs und nahte
eine Erinnye mit langsam abge
messenem Schritte" dem Lager des
Eheherrn. Aber ein Schrei entrang
sich ihrer Brust das Bett war leer l
Sie rief mit vor Angst zitternder
Stimme und. als das nichts half, kurz
und gebieterisch Moritz ! Moritz !
um in zärtlich bittendem Ton zu
Liebstes Moritzel !" überzugehen. Sie
suchte die ganze Wohnung ab, leuchtete
unter die Betten, sah hinter den Oefen
nach und schaute mit für manchen viel.
leicht unerklärlicher Gründlichkeit selbst
in die Kohlenküften hinein, aber Mo
ritzel kam nirgends zum Vorschein.
Eine tolle Angst bemächtigte sich der
Frau Schäfer. Wo konnte er nur sein?
Sie sann nach, aber sie fand keine Ant
wort auf diese Frage. Ta meinte
Christel, die Magd, ahnungsvoll :
Es werd doch dem Herrn nischt bas.
sirt sin?"
Ach,dummeZ Zeug," siel Lieschen mit
ängstlichem Blick auf die Mutter ein.
WaS soll ihm denn pasfirt sein?"
.Nu. ich mne nur, er Herre war
in letzter Zeit so kleenlaut und der
alte, gute Schlaf, den er früher hatte,
war'S schon lange nicht mehr."
IInnnn!" entgegnete Lieschen ad,
weisend, weicht derartige Befürchtungen
man au'iommen lanen woilte.
Aber bei Frau Schäfer hatten die
Worte Christels ihre Wirkung nicht ver
fehlt. Auch sie hatte schon an ein Un
glück gedacht. Und wenn sie auch nicht
zugeben konnte, daß der Schlaf ihres
Manne schlechter geworden war, wie
Christel behauptete, so war doch Morik
die letzten Tage vor dem Ball mischte
den verstimmt gewesen. Sie hätte ihn
nicht zwingen sollen, an dem Feste theil
zunehmen. Und orhin im Ballsaal,.
da hatte sie ihn noch schlecht behandelt
ihn immer nur zurccht gewiesen
kein sreundlichcs Wort zu ibm gespro
chen sondern nur . häßliche, böse
Worte in Gegenwart Fremder. TaS
mußte ihn ja aufs tiefste gekränkt haben
und hatte ihn gewiß zu dem Ent
schluß gebracht, sich ein Leids anzuthun.
O, das Unglück, es war ja gar nicht
auszudenken von der eigenen Frau
in den Tod gejagt !
Der Morgen dämmerte heraus mit
blutigrothem Schein und rüttelte die
Menschen zu neuem Kampfe auf. Frau
Schäfer brauchte er nicht erst zu wecken,
sie war gar nicht ins Bett gekommen.
Jetzt eilte sie auf das Volizeidureau,
wo sie daS Verschwinden ihres Mannes
anzeigte und flehentlich bat geeignete
Nachforschungen anzustellen. DaS ge
schah denn auch. Kleine Abtheilungen
von Beamten rückten hierhin und dort
hin auS, suchten die Flußlüufe ab und
durchstreiften den nahen Stadtwald,
aber alles vergebens. Bis gegen Mit
tag war nichts Verdächtiges gefunden
worden. Auch eine Anzeige für das
Abendblatt und ein Aufruf für die
Plakatsäulen wurde nun schleunigst
aufgegeben. Sie lauteten :
10 Mark Belohnung.
Von einer Ballfestlichkeit am gestrigen
Abend, die in einem hiesigen größeren
Hotel stattfand, hat sich der in der
Markusstraße Nr. 7 im 3. Stock wohn
hafte Lebensversicherungsbeamte
Moritz Schäfer
heimlich entfernt und ist bis zur Stunde
nicht nach Hause zurückgekehrt. Schäser
zeigte in letzter Zeit Spuren von Tief
sinn, und es steht zu befürchten, daß er
sich ein Leid zugefügt hat. Der erste,
welcher zuverlässige Mittheilungen über
den Verbleib Schäfers zu erbringen ver
mag, erhält obige Belohnung.
Das Polizeiamt hiesiger Stadt.
In dem Hotel, in dem der Tanz
stundenball stattgefunden hatte, ging es
heute ziemlich lässig zu. Die Kellner
saßen gähnend in den Ecken und schie
nen nicht sonderlich aufgekratzt zu sein.
Als am späten Nachmittag der Ober
kellner Franz den Korridor ein wenig
kontrolliren ging, war es ziemlich still
ringsum. Doch nein wie er eben an
der Thüre mit dem Schild Verbotener
Eingang" vorüber wollte, hörte er
etwas Verdächtiges. Er legte sein Ohr
an das Schlüsselloch und vernahm nun
ganz deutlich das 0ieräusch einer Säge,
die da drinnen Jemand handhaben
mußte. Wer konnte das sein? Ten
Schlüssel zu dieser dunklen Kammer, in
der allerlei Gerümpel untergebracht
war, hatte er allein. Er griff in seine
Tasche nun? er hatte doch gestern
selbst abgeschlossen und den Schlüssel zu
sich gesteckt? ja wohl, da war er ! ES
konnte also nur Jemand mittels Diet,
richs oder Nachschlüssels da hineinqe,
kommen sein, jedensalls er erbleichte
bei dem Gedanken ein Einbrecher.
Was sollte er nun machen? Er über
legte aber nicht lange. Leise machte
er sich dann daran und benachrichtigte
sämmtliche Kellner und Hausdiener, die
sich, mit allerhand nützlichen Geräthen
zum Schlagen, Stechen und Fangen
bemannet, heran lichen.
Nachdem Franz noch einmal Umschau
gehalten und sich vergewissert hatte, daß
alle beisammen waren, öffnete er mit
aller Vorsicht die Thür. Aber die
Leute, die nicht allzuviel Muth besaßen
und imStillcn gehofft hatten, daß sich ihre
Mobilmachung IS unnöthig erweisen
möchte, wichen jetzt scheu zurück. TaS
Geräusch war zwar nicht mehr zu ver,
nehmen aber als sich das Auge an die
Dunkelheit gewöhnt hatte, sah man auf
den Trümmern eines alten EophaS.
das, längst schadhaft, hier außer Dienst
gestellt war, einen Mann liegen bleich
und regungslos.
Nur Franz bekam wieder Muth, der
da drinnen konnte ihm nichts mehr an
haben. Er trat in die Kammer ein
und schaute sich verwundert um, dann
sagte er:
Aber ich habe doch noch eben deutlich
sägen hören !"
Sie werden sich getäuscht haben
vielleicht war es der Todtenwurm,"
meinte ein anderer, dem es grauste.
Oder hat der Mann da eben noan
gelebt, und es war das Todesröcheln?"
Franz legte die Hand auf die Stirn des
Hingestreckten und hauchte: Ja, so ist
es. Er fühlt sich noch ganz warm an !
Es kann eben erst zu Ende gegangen
sein."
Aber wer mag es sein?" ergriff von
neuem einer daS Wort.
Wer anders als der vermißte
Schä " Franz hielt inne, er entsann
sich noch zu rechter Zeit der ausge
schriebenen Belohnung, und die durste
er sich doch nicht entreißen lassen. Haftig
durchsuchte er die Taschen des Mannes:
Ta ein halb geleertes hläichchen. die
Etikette ist theilweise herabgerisien
aber noch kann man die Aufschrist deut
lich entzisseru: T o d, Tod! Ter
Unselige hat sich vergiftet. Und hier die
Brieftasche seine Karte Moritz ....
Er ist's I"
Franz stürzte zum Telephon, das er
nach ollen Richtungen der Windrose er
tönen ließ, die Polizei, Frau Schäser
und einen ärztlichen Beistand an
rusend. Frau Schäser warf sich in
eine Droschke, um möglichst schnell an
die Unfallftelle zu gelangen. Sie saß
zitternd auf den schwankenden Polstern ,
und konnte es noch gar nicht glauben.
daß idr Moritz wirklich nicht mehr sein
sollte. Die Stimme am Telephon hatte
ihr nur zugerufen: Ihr Gatte ist hier
ausgesunden erden. Kommen Sie
schnell in unser Hotel I" Aus ihre Frage
ach den näheren Umständen war ihr
keine Antwort mehr zu theil geworden
Aber es brauchte deren auch nicht.
Wenn Moritz noch lebte, wäre er doch
selbst gekonimen.
Der Wagen rasselte durch die Straßen
dahin. An den Plakatsäulen, um welche
die Menschen dicht gedrängt standen,
verkündeten mächtige rothe Zettel und
aus den Schausenstern der Läden, die
ebenfalls von Neugierigen umlagert
waren, die ausgehängten Abendblätter
die große Neuigkeit von dem Ver chroin,
den Schäfers. AIs b;r Wagen vor dem
Hotel hielt, kamen eben auch die herbei
gerufene Polizei und der Arzt an.
Frau Schäfer eilte vorauf, die Treppe
hinan. In den Räumen, in welchen sie
vor wenigen Stunden bei Musik und
Tanz die Nacht verbracht halte, war eS
todtenftill. Und dort auf dem Gange
stand eine Gruppe von Menschen,
stumm, als hielten sie die Todtenwacht,
in halbem Kreise um eine Thür herum,
aus der es ihr jetzt, als sie näher kam,
wie Grabeslust entgegenwehte. Sie
taumelte über die Schwelle der Kammer
in das Dunkel hinein und erkannte bald
den bleichen, stillen Mann da.
Mit dem halb erstickten Ausschrei:
Moritz ! Mein Moritz !" sank sie auf
ihn hin. Aber er hörte nicht mehr. Sie
schluchzte und weinte an seiner Brust
und ivollte nicht von ihm lassen, bis sie
der Arzt am Arme nahm und sanft ein
wenig zur Seite führte, denn jetzt be
gann sein Amt. Er untersuchte, horchte
und klopste an dem Körper herum.
Plötzlich aber hielt er inne, und dann
sagte er mit einem feinen Lächeln:
Frau Schäfer! Rufen Sie einmal
recht laut Ihres Gatten Namen!"
Diese that zögernd, wie ihr geheißen.
Lauter, lauter!" ermunterte sie der
Arzt. Und Moritz !-Moriß !" klang
es jetzt gellend durch das weite Haus.
Da ereignete sich etwas Wunder
bares. Eserklang wie das Auf und
Zuschnappen eines Raubthierrachens
von da drinnen heraus der Todte"
lag mit weitaufgcriffenem Munde da,
gähnte wieder. Und das wirkte wie
eine ansteckende Krankheit auf die Um
stehenden, und alles ringsum, was
Leben hatte, wand sich in Gähn
krämpfen. Jetzt erscholl ein fragendes Moritz?"
von den Lippen der ahnungsvollen
Frau. Dieser aber lallte mit schmacher
Stimme: Jdchen, ich bitte Dich, zieh'
die Jalousien nicht auf! Es ist noch so
früh und ich bin sehr müde !" Dann
legte er sich auf die andere Seite und
ward wieder stumm. Aber nicht lange
schon machte ein empörtes Moritz !"
dicht an se'.nem Ohr die Luft und den
Mann erzittern, und im nächsten Augen
blick ward er am Kragen erfaßt und in
die Höhe gerissen. Moritz ward jetzt
allmählich munter, nur wollte er zur
allgemein Heiterkeit uoch immer nicht
glauben, daß der Tanzftundendall
schon zu Ende" sei. Aber Frau
Schäfer überzeugte ihn endlich und
nachdem sie Franz An Prüche au? hun
dert Mark Belohnung anerkannt und
dieser zugegeben hatte, daß Schnarchen
noch lange kein Todesröcheln sei und die
Ausjchrift auf dem Fläschchen nicht
Tod", sondern Jod" lautete, welches
Herr Kchaser für sein lleberbein de,
nöthigte brachte sie ihren Mann vor
dem zu lebensgefährlicher Spottluft
ausgelegten Hotelpersonal in Sicher
heit.
Zu Hause angelangt, sank Moritz,
von all' den Erlebnissen der letzten
Stunde fterbensmatt, auf einen Stuhl
hin und das Strafgericht begann
Frau Jda hielt ihm eine Sitten,
predigt, die an Gediegenheit und Länge
alle früheren übertraf. Schäfer aber
blieb still und rührte sich nicht. Und
als seine bessere Hälfte Argwohn schöpfte
und näher zusah, mußte sie wahrneh
men, daß sie umsonst gesprochen hatte.
Moritz schlief.
Eines Zaren Brautwarl.
Historische Novelle? von M. W,
Wenn in früheren Jahrhunderten der
Zar die Absicht sich zu vermählen äußerte,
o durchrei ten die Herren vom Hofe das
ganze Reich, um die schönsten jungen
Mädchen der angesehensten Familien
aufzusuchen; es war eine große Ehre, in
diese Zahl mit Inbegriffen zu sein.
Die Mädchen wurden sämmtlich nach
dem Kreml in Moskau gebracht, wo sie
bis zu dem feierlichen Tage, an welchem
der Fürst seinen versammelten Gronen
die Anzeige machte, welche von ihnen
nach seinem höchsten Willen berufen sei,
mit ihm die Krone zu theilen, unter der
Aufsicht deS Hofintendanten blieben.
Bis dahin dürfte sich ihnen Niemand
nähern, der Zar und einige Personen,
die er dazu ermächtigt hatte, auSgenom
men.
Oftmals erhielt jedoch der Hofnarr
deS Fürsten den Befehl, die kaiserlichen
Jnngnien anzulegen und sich anstatt des,
Zaren den Schönen als Monarch zu
präsenliren.
Alex,;, der Sohn Michels und Vater
Peters des Großen, einer der berühmte
ften Fürsten des Russenreiche. liebte eS,
die Schlösser der Großen, die Häuser
der Bürger, die Hütten der Bauern in
der Verkleidung eines Privatmanne zu
besuchen; und wenn er auch von seinen
Hogeuten erkannt wurde, mußten dieie
Lt. Ai ,,n h-,,rff,
- " I ... vi )v -
ihn nur nach dem Range und der Siel
lung behandeln, die er anzunehmen fürs
gut befunden hatte. So seh er alle mit.
eigenen Augen und erfuhr manches,
was ihm seine Hofleute schwerlich mitge,
theilt haben würden.
Eines Tages erschien Zar AlexiS als
Gardecapuän erkleidet aus dem Land,
fitz eines seiner Lieblinge. deS Bojaren
und ersten RathgederS der Krone mal
wcef, in einem Augenblick, wo dieser eS
am wenigsten vermuthet hatte. Beide
stutzten: Mätweef. weil er den Monar,
chen fern von der Hauptstadt weilend
geglaubt, und dieser, weil er an der
Tasel von Matwcef ein junges Mädchen
von seltener Schönheit erblickte. Den
Borschristen des Zaren gemäß empfing
Matweef seinen Gast als einen gewöhn
lichen Osiizier und nöthigte ihn am
Tisch Platz zu nehmen, was er auch so.
fort that.
Die Unterhaltung wollte anfangs
nicht recht in Fluß kommen. Bald aber
zog der Zar auch die schöne Unbekannte
mit in die Unterhaltung und war ent
zückt über ihre Antworten.
Zu seinem großen Leidwesen aber
entfernte sie sich, wie es die gute Sitte
verlangte, nach der Mahlzeit.
Wer ist das Mädchen?" fragte der
Zar seinen Gastgeber.
Ein Fräulein Narischkin, die Tochter
eines armen Edelmannes, der, um sich
erhalten zu können, in einem eistserntcn
Dorse zu leben genöthigt ist und der mich
gebeten hat, sür die Erziehung seines
einzigen Kindes zu sorgen," antwortete
Matweef, und fuhr dann fort : Ich
habe eS denn auch mit aller Sorgfalt
gethan und kann sagen, daß der Samen
nicht auf dürren Boden gefallen ist:
das junge Mädchen ist gelehrig, sanft
und verständig; Jedermann liebt das
gutherzige Geschöpf, und ich betrachte
sie, wie wenn sie meine eigene Tochter
wäre."
Das machst Tu gut," erwiderte der
Zar, nimm Dich ihrer ferner an ; ich
aber will sorgen und sehen, daß ich
einen Gatten für sie finde. Weiß sie wer
ich bin?"
Nein, Sire; sie kommt nie aus dem
Hause und hat Eure Majestät nie ge
sehen." Alexis wiederholte seinen Besuch bei
Matwees und er fand diesmal die schöne
Natalie noch reizender als das erste
Mal. Bald kam er häufiger und nicht
lange währte es, so konnte er sast keinen
Tag zubringen, ohne sie gesehen zu ha
ben. Er behielt stets seine Gardecapi
tänsuiiiform bei, so daß Natalie ihn
auch nur als einfachen Offizier und
Freund des Vormundes behandelte.
Matwcef befand sich unter solchen
Verhältnissen in einer sehr schwierigen
Lage; er wagte es nicht, die täglich zu
nehmende Vertraulichkeit zwischen Alexis
und Natalie zu unterbrechen, und sah
doch auch wiederum ein, daß eS seine
Pflicht sei, die Tochter seines Freundes
vor Gefahren zu sichern, die sie nicht ah
nen konnte.
Matwees'S Besorgnisse waren um so
größer, als Alexis auf dem Punkte
stand, sich zu vermählen.
Ter Tag der Brautwahl seines Herr
scherz rückte heran. Die Großen deS
Reiches waren von ihrer Reise zurückge
kehrt, und der Palast deS Kreml barg
schon sechzig der schönsten Mädchenblü-
then von ganz Rußland in seinen
Mauern. Die vornehmen Damen zu
Moskau ordneten ihre reichen, mit Tia
manten und anderen Edelsteinen ge
schmückten Toiletten. Zugleich ström,
ten die Bojaren zur Hauptstadt, um so,
gleich der Familie zu erfahren, deren
glückliches Mitglied des Fürsten Wille
aus den Thron erhoben hatte.
Ter große Saal des Kreml" bot
einen prächtigen Anblick dar: Die 0iro
ßen in den reichsten Coftümen. die Ta
men auf ? glänzendste geschmückt und
strahlend in Pracht und Anmuth ; alle
maslilt, um wie ti der Zar befohlen
hatte, jedes Zwanges der Etikette über
hoben zu sein und sich allseitig frei de-
wegen zu können.
Aller Blicke wendeten sich der Schaar
junger Mädchen zu, welche sich um den
Thron des Alexis bewarben. Sie find
alle schön, so daß es schwer fällt, unter
ihnen zu wählen. Welche mag es wohl
sein, die sich sortan über die übrigen er
heben wird ? Die Erwartung und
Spannung steigt mit jeder Minute.
Ader doch erregte eine der Damen
schließlich am meisten Aufmerksamkeit.
Es ist die Fürstin Elisabeth Bar
barylin.
Endlich tritt eine männliche MaZke.
glänzender als alle übrigen coftümirt
und von einem großen Gesolge um-
geben, in den Staal. Alle Welt hält
die Maske für den Zaren, und die
Fürstin Barbarykin ist außer sich vor
innerer Freude, als sie von derselben
angeredet wird.
Minne ?!arichlin sag indeß, ganz
dem alten Matweef in einer ßg. es
Saales. Bald erschien auch der Freund
einsaq geiieivei, als juichauerin neben
ihres Vormundes, der Cavitan. baSma: '.m 3" verlieren.
Geficht mit einer Halden Maske bedeckt,
Natalie fragt ihn mit ihrer gewohnten
Naivetat, ob der Zar wohl schon seine
woi geironen yaoe.
Noch nicht," antwortete Aleris,
aber wenn Sie ihn sehen möchten,
will ich Sie ihm zuführen."
O nein," antwortete Natalie, ich
bin mit diesem Platz zufrieden."
Wer weiß," begann Aleris wieder,
ob nicht des Fürsten Wahl Sie ttäse,
wenn er sie sahe."
Ich geize nach keiner rone und will
dieselbe der Fürstin Bardarylm. oüZm,7.hnMmr,ST
wen sonn die Wahl trifft, niait ttreitia , lummf "'bft Zin'en und Gtrichtskosten.
' o
machen."
.Ta? heißt zu bescheiden sein. Be!
denken Sie drch. daß Ti vielleicht,
Ihren Monarchen, Ihr Vaterland
glücklich machen könnten !"
Natalie fühlte sich durch diese Reden
deS vermeintlichen Gardecapilän ver
letzt; sie seufzte tief auf und eine Thräne
trat ihr in Auge.
Da war eS Aleris klar, daß er von
Natalie heiß geliebt werde, und daß ste
den Capitän dein mächtigen Monarchen
vorzog.
Da rief er laut durch den Saal: Die
Masken fort !"
Tiefe, erwartungsvolle Stille folgte
dem Festgeräusche. Aller Blicke wand,
ten sich Alexis zu.
Man stelle fich die Entrüstung der
Fllrhin Barbarykin vor, als sie nach der
Demaskirung sah, daß derjenige, der
ihr so viel Angenehme gesagt hatte,
kein anderer als des Zaren Hosnarr
war. und daS Erstaunen Aller, als sie
die Krone auf der Stirne von Natalie
Narischkin erblickten und den Ausruf
hörten: Sehet da Eure Zarin. Ihr
Bojaren von Moskau !"
Kuriosität aus dem englische
Parlament.
Zur Abendzeit kündet während der
Tagung der beiden Häuser der Lords
und Gemeinen stets ein hellstrahlendes
Licht von der Spitze des sogenannten
UhrthurmeS den Bewohnern der Haupt
stadt an, daß die Mitglieder des Un
terhauses versammelt sind. In dem
selben Augenblick ab.'r, da der Sprecher
die, Sitzung aushebt, erlischt eS durch
eine besondere Vorrichtung.
Merkwürdig erscheint, daß die sur die
Damen bestimmte Gallerie mit einem
bi zur Decke reichenden Gitter ersehen
so daß sie den Eindruck eines Küngs
macht. Die Erklärung dafür ist sol
gende: Zu der Zeit, da dieses dichte
Gitter die Evastöchter noch nicht daran
hinderte, ihrer Zustimmung und ihrem
Mißfallen fühlbaren Ausdruck zu geben.
warf eines Tages eine von ihnen einem
Redner in der Begeisterung einen Blu
menstrauß an den Kopf. Es wurde
dann unter den in ihrer Würde verletzten
Volksvertretern allen Ernstes die Frage
erörtert, ob das zarte Geschlecht nicht
ganz von ihren Sitzungen ausgeschloffen
werden sollte, aber zu diesem äußersten
Schritt sanken sie doch nicht den Muth.
Sie begnügten sich deshalb damit, fich
gegen ähnliche Geschosse durch nahe an
einander stehende Eisenstäbe zu sichern.
Bor einigen Jahren wurde im Unter
Hause der Vorschlag in Erwägung ge
zogen, ob e nicht an der Zeit wäre, das
Gitter von der Tamen-Gall:rie zu ent
fernen, aber zu einem bejahenden Ent
schluß konnten fich die Herren nicht ent
schließen. Abweichend von parlamentarischen
Gebräuchen anderer Länder ist auch
der. daß die Mitglieder des englischen
Parlamentes während der Sitzungen
ihren Hut auf dem Kopfe oder wenig
ftens zur Hand haben. Jedesmal,
wenn einer der LordS oder Gemeinen
auS irgend einer Veranlassung an den
Vorfitzenden das Wort zu richten
wünscht, muß er eS mit bedecktem
Haupte thun; aber auch noch aus
einem anderen Grunde kann er leinen
Hut während der Berathungen nicht
entbehren. Wird nämlich sein Name
in einer Rede mit Anerkennung er
wähnt, so verlangt von ihm der parla
mentarische Gebrauch, daß er seine
Kopfbedeckung dankend lüfte. Ersetzt
dann den Hut aus, um ihn abnehmen
zu können.
Ei versiegelt Zouper.
Viel Aufsehen und Heiterkeit erregt
in Berliner Architektenkreisen eine Pfän
dung, die ein Gerichtsvollzieher bei ei
nem Bauunternehmer vornahm. Der
Letztere, dem Nichts gehört" und der
trotzdem eine fürstlich eingerichtete Woh
nung im Westen der Stadt inne hat.
war bei einer seiner Neubauten einem
jungen, strebsamen Architekten die Rest
rate mit etwa 4ni0 Mark schuldig ge
blieben. Ter Architekt hatte den Bau
Herrn verklagt und ihn auch fruchtlos
pfänden lassen. Ter damit beauftragt
Gerichtsvollzieher erschien nun das letzt
Mal Abends gegen 8 Uhr in der Woh
nung deS Schuldners, diesmal nicht in
der Uniform, sondern mit elegantem
Pelz. Cylinder und weißen Handschuhen
bekleidet und ließ fich sosort bei der
Frau des Bauunternehmers melden.
Ter Beamte hatte nämlich in Ersah
rung georaqr. oa Herr ü. an dies,
Abend in
Srstllhpr iUr flt1 CrtunA
veranstalte.
und darauf seinen Pla
gebaut. Nach Vorzeigung der Gerich:? '
aktcn erklärte Frau H., daß ihr in der
Wohnung Alles gehöre und ihr Mann
nur in Schlafstelle bei ihr wohne. Nun
lieb fich der Gerichtsvolliieber im Ge
i spräch nach dem Speifeiimmer führen
! "d Wd hier den Tisch für zwölf Per
i"?n beIeiU """er Weise ge
uciic"i ci
nunmehr den silbernen
Taselaussatz, die fildeinen Leuchter, die
Polsterten, das lMea)irr, die ftlber
nen Messer und Gabel :c, kurzum.
Alle?, was an und aus dem Tisch stand,
derartig auffällig trotz des Proteste der
erbitterten Frau, daß die Gäste, welche
jeden Augenblick eintreten konnten, die
blauen Vögel" auf den ersten Blick
hätten gewahren muffen. Einer solchen
Blamage hat fich wohl da X.'sch Che
paar nicht aussetzen wollen, denn zehn
Minuten später befand sich der Ge
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Profesior der Chemie. EAil
Wolff. ist in Swttgart gestorben. )