Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 10, 1896, Image 11

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Die Folgen eines Schneetreibens.
Bon Tagobkrl . crbadl Amnnlor.
Ob denn die Kleine ichi bald kom
wen wird?" sagte der geheime Finanz
rath schnell halblaut zu sich selber, in
dem er durch den Qualm seiner Pfeife
einen' prüfenden Blick nach dem über
dem Blicherschranke hängenden Regula
tor warf.
Aus Frauenzimmer ist doch nie Per
laß," brummte er ärgerlich, Else sagte
mir doch, sie wurde bis halb Fiins be
stimmt zurück sein, und nun ist eZ halb
Jllns längst vorbei. -
Der Herr Geheimrath, ein Wittwer,
dem die vorangegangene Eheliebste das
blonde Töchterlein Elfe als einziges
Psand ihrer Liebe zurückgelassen hatte,
wohnte in einer aus den Kreuzberg bin
führenden Strasze. Wenn er den Kops
zum Fenster hinausstreckte, dann konnte
er im Somnier die neuen Anlagen des
Kreuzberges bewundern; heute freilich,
an einem trübe Wintertage, war da
von keine Rede; still und todt lag der
Kreuzberg, still war es unten aus der
Straße. Der Wind sing an, immer
toller zu heulen, und auf der Fenster
briistung draußen begann es allmählich
weist lu schimmern.
Der erste Sckinec! und die öians. die
Marie, hatte sicher keinen Schirm mit
genommen! Diese vermaledeiten Win
tervergnllgen! Nun fing das Elend
mit den Theegesellschaften, Diners und
Bällen wieder an! Oh, wie er diese
Abende haßte, an denen er dem Kinde
zu lieb in den altersgrauen Frack
schliipsen und um seinen Hals daS
einzige Ordensband schlingen mußte,
das er in langer Dienstzeit gewonnen
hatte.
Immer ärgerlicher und ungeduldiger
wurde Papa Schell: endlich horchte er
ahnungsvoll aus, als das Geräusch der
ohne vorhergegangenes Klingeln ge
öffneten Corridorlhür an sein Ohr
klang.
Strahlend mit lieblich gerötheten
Wangen, stürmte Schön-Elschen Über
die Schwelle, indem sie den frischen
Hauch de Wintertages in die taba!
duftende Stube mit herein brachte.
Guten Tag, mein lieber Papa!"
Sie hing am Halse des Gehcimraths
und drückte ihm ihr schwellendes Kir
schenmündchen auf die schon wieder
streng gerunzelte Stirn. Habe ich Dich
ein klein wenig warten lassen? Sei
nur nicht böse DaS arge Unwetter
hat mich abgehalten."
Verwundert musterte Papa Schell
sein blondes Kind, dessen Antlik und
Gewandung auch nicht die leiseste Spur
von dem draußen nreoerwiroeinven
Schnee zeigte.
Du bist ja ganz trocken: wie haft
Du denn dies Wunder bewirkt?"
Wir sind gefahren, Papa." Die
Antwort kam etwas unsicher über ihre
Lippen.
Hattest Du denn Geld bei Dir?"
Nein. Papa, daZ war nicht nöthig.
Rino hi1 hii nnfprprt 5Hilhrrt miihiir
kenden Herren, der mit uns zugleich
das Haus verließ, bemerkte, daß Marie
keinen Schirm mitgebracht hatte. Sie
können bei diesem Wetter unmöglich zu
Fuß gehen," sagte er besorgt, gestatten
Sie, daß ich eine Droschke herbeiwinke."
Als ich dagegen protestirte, weil ich doch
kein Geld bei mir hatte und auch Marie
ohne Geld war, erklärte er dringend :
Die Droschke gehört mir, ich will sie zu
meiner Rückfahrt benutzen, und ich bitte
um die Ehre, daß Sie, gnädiges Frau
lein, und ihre Begleiterin mit zu mir
hereinsteigen, damit ich Sie vor ihrer
Thür absetzen kann."'
Und daS haft Tu angenommen?"
Was blieb mir anderes übrig,
Papa? Der Schnee liegt fußhoch, und
ich durste doch meine neuen Stieselchen
nicht verderben."
Sie hob ihr Kleid etwa? auf, und
schob eines ihrer kleinen in rothem
Sasfianlederftiesel steckenden Füßchen
vor.
Hm. hm ! Weißt Du übrigens, daß
ich eS nicht liebe, wenn sich meine Toch
ter von einem fremden Herrn eine
Droschke bezahlen läßt? Wie heißt denn
der dreiste Bursche, der sich zu diesem
Dienste herandrängte?"
.Herr . Eellstein. ein junger Guts
befltzer, der den Winter über die Vor
lesungen in der landwirtschaftlichen
Hochschule besucht."
Ich werde ihm sosort Deinen
Droschkenantheil zurückerstatten, und
ihm dabei den Stadtpunkt klar machen.
Wo wohnt der Schlingel?"
.Moabit, am kleinen Thiergarten,
?!,. 100."
So, so? Nun. ich werde unS den
Patron gleich ein für allemal vom
Halse schaffen."
Er holte seinen Mantel aus dem
Nebenzimmer und trottete hinaus.
Elschen schaute ihm verblüfft und ge
ängstigt nach.
Ach, Tu lieber Gott!" dachte sie im
Stillen, wenn n den jungen. liedenS
würdigen Mann nur nicht vor den
Kops stößt! Und wenn er erst wüßte,
daß Maz mein Partner im Bilde ist.
und daß er mir schon einmal verstohlen
die Hand gedrückt hat und ...
daß ich den Mar so von Herzen lieb
habe!"
Dn Herr Geheimrath hatte sich eine
Droschke genommm, und l.flte die weite
Streckt bis Moabit heimlich fluchend zu
rück. Endlich hielt dn Wagen.
.Warte Sie ein paar Minuten.
Kutsch I Ich sah dann gleich wieder
nach Hause."
.Wenn nicht längn a em paar
Minuten dauert, schöueken, den will
ick wohl warte; um Sieben bin ick
aber bestellt."
Der Geheimrath hatte aus Diese Be
merkung des Kutschers gar nicht mehr
geachtet, sondern war spornstreichs die
Treppe hinausgeeilt. Keuchend hielt
er vor einer GlaSthür des ersten Stock
Werks, neben der ein Schild mit dem
Namen: Max v. Gellstein" befestigt
war. Er drückte mit bebender Hand
auf den Knopf der Klingel.
Ein junger eleganter Herr öffnete.
Herr v. Gellstein?"
Der bin ich. Mit wem habe ich die
Ehre?"
Geheimer Finanzrath Schell."
Bitte, wollen Sie nicht naher treten,
Herr Geheimrath?" Der junge Herr
schritt voran, stieß die Thür zu einem
behaglich eingerichteten Junggesellen
ziminer auf und nöthigte den Gast, der
seinen Mantel im Flur abgelegt hatte,
hinein.
Bitte, nehmen Sie gütigst Platz,
Herr Geheimrath. Was verschafft mir
die Ehre?"
Sie haben mich und meine Tochter
in eine äußerst peinliche Lage versetzt,
Herr v. Gell stein, und ich habe mich so
sort hierher begeben, um Ihnen Ihre
Auslage für die Dro chke wiederzuer tat
ten, zugleich aber zu bemerken, daß ich
mir sür die Folge doch diese Aufmerk
samkeite verbitten muß."
Aber, Herr Gebeimrath, der plök
lich eingetretene Schneesturm war doch
ein unvorhergesehener Fall, ich glaube,
daß es meine Ritterpflicht war, eine
iiinge Dame, für die ich doch kein Frein
der mehr war, vor der Unbill eines so
furchtbaren Unwetters zu schützen.
Der Geheimrath sah ihn scharf prü
send an. Er witterte in ihm eine Art
Courmacher Elsens und darum sagte er
barsch :
Sie bemühen sich vergeblich, meine
Bedenken zu beschwichtigen. Sie haben
mir und meiner Tochter einen schlechten
Dienst erwiesen, und ich muß Sie bit
ten, mir den verauslagten Fahrpreis
zu nennen. Wie viel beträgt meine
Schuld?"
Wenn Sie durchaus darauf beste
hen die Strecke von des Justizraths
Wohnung bis zu der Ihrigen kostete ge
nau eine Mark fünfzig das würde,
wenn wir so scharf rechnen wollen, für
Ihre Fräulein Tochter und deren Be
gleiterin zwei Drittel, also eine Mark,
betragen."
Der Geheimrath griff in die Tasche
seiner Hose, zog aber seine Hand wie
der bestürzt heraus und stammelte der
wirrt :
, Sollte ich wirklich, , , ? Mein Gott,
daS wäre ja im höchsten Grade fatal, . ,
in der That" er untersuchte vergeblich
alle seine Taschen ich habe in der Eile
vergessen, mein Geldtäichchen zu mir zu
stecken. Herr v. Gellstem" seine Stimme
klang plötzlich um vieles weicher und
versöhnlicher ich muß vorerst noch Ihr
Schuldner bleiben, ich werde Ihnen
aber sofort nach meiner Heimkehr den
Betrag zusenden."
Um Mäzens Lippen zuckte ein leises
acyein.
Aber, verehrter Herr Geheimrath
das eilt doch wirklich nicht so wir
tonnen ja gelegentlich miteinander ab
rechnen."
Polternde Schritte auf dem Flure
und ein kräftiges anhaltendes Tönen
der elektrischen Glocke störte die Unter
Haltung.
Mar v. Gellstein sprang auf und
ging, um zu öffnen.
Die mit Schnee überrieselte Gestalt
des Droschkenkutschers erschien im Rah
mm der Zimmerthür und rief dem Ge
heimrath zu :
Nach m Kreuzberg kann ick Ihnen
nicht mehr fahren,... da derzu ist es
nun zu spät geworden. Geben Sie mir
endlich mein Fahrgeld "
In großer Bestürzung versetzte der
Geheimrath: Ich mutz daraus bestehen,
daß Sie mich nach Hause fahren, dort
erst werde ich Sie bezahlen; ich habe
kein Geld bei mir."
Nee, nee Männeken, det kennen wir
daruff läßt sich Neumann ich in!
Nu mal gleich berappen!"
Lächelnd kam Max dem Bedrängten
,u Hülfe:
Gestatten. Sie verehrter Herr Ge
heimrath, daß ich Sie auslöse! Was
bekommen Sie, Kutscher?"
Die Fahrt macht EenS fünfzig, und
wenn ick vor daS vergebliche Warten bei
so 'nem Hundewetter fünfzig Pfennige
berechne, so iS det sehn billig, und macht
zusammen zwee Mörker."
Hier, mein Bester, find Ihre zwei
Mark, und nun verlassen Sie uns.
und seien Sie ein andermal etwas höf
licher."
Ter Kutscher brummte etwas Un
deutliches und stampfte hinaus.
Herr v. Gellstem," hob der Ge
heimrath wesentlich erleichtert, aber
anderseits doch auch recht befangen an,
.ich kann diesen Ihren Dienst nur an
nehmen, wenn Sie mit mir nach meiner
Wohnung fahren, und mir so Gelegen
heit geben, Ihnen meine Schuld sofort
zu berichtigen."
der "
Bitte, nehmen Sie meine Einla
dung an, ich bestehe daraus.'.
Nur zu gern gab Max dem eifrig
Drängenden nach. Beide Herren der
ließen das HauS, und fuhren nach der
Straße am Kreuzderge."
Elschen traute kaum ihren Buae.
als der Papa mit Max in s Zimmer
trat.
.Ich bringe einen Gast mit. mein
Kind, dem ich die von Dir gemachten
Schulde zu bezahlen habe. Herr von
Gellste,, bitte, nehmen Sie Platz an
unserem Theetisch; ich gehe nur in
meine Arbeitsstube, um das Geld zu
holen."
Was hat das zu bedeuten?" fragte
Elschen, als der Papa hinausgegangen
war.
Lachend, erzählte Max das Borge
fallene.
Wissen Sie, mein gnädiges Fräu
lein," so schloß er seine schnell geflüsterte
Mittheilung, daß ich jetzt Ihre Papa
um Ihre kleine Hand bitten werde?
Ein so günstiger Augenblick kommt nicht
Mieder."
Max ! ! !"
Elschen ! ! !"
Sie tauschten schnell den ersten Kuß.
Der Geheimrath kehrte zurück, in der
Hand mehrere kleine Geldstücke.
Hier, mein lieber Herr v. Eellstein,
zahle ich meine Schuld."
Aber, Herr Geheimrath, so lassen
Sie doch die Bagatelle."
Wie? Sie weigern sich? Ich kann
mir doch unmöglich von Ihnen ein
Geldgeschenk machen laffen!"
In einem Falle doch!"
Ich verstehe Sie nicht."
Nun, von Ihrem Schmiegersohn
z. B. würden Sie doch ohne Weiteres
eine Droschke sür Ihr Fräulein Tochter
bezahlen lassen?"
Bon meinem Schwiegersohn?"
Ein flüchtiger Blick nach seiner Toch
ter, und der alte Herr hatte erkannt,
wie die Sachen standen.
Drei frohe Menschen saßen diesen
Abend noch lange am Theetisch. Der
Geheimrath mußte sich darein finden,
daß Max beide Droschken bezahlt
hatte, und auf die Wiedererstattung
irgend eines Antheils endgültig ver
zichtete. Gerettet.
Bon P, Erna.
In den Abendstunden eines Früh
lingstages stand vor einem der westlich
gelegenen, alten, winkeligen Vorstadt
Häuser der Hauptstadt ein junges
Mädchen und las die Aufschrist eines
Schildes, das über dem Eingang eines
kleinenModi tenIadens hing. Ihr aus
fallend hübsches Gesichtchen nahm jetzt
plötzlich den Ausdruck höchster Bestür
zung an Das war ja der Name
nicht, den es hier z finden gehofft,
trotzdem Straße und Hausnummer
stimmten.
Rathlos blickten die sanften, großen.
tiefdunklen Augen nach dem Eingänge
des Ladens. Was sollte das Mädchen
hier nun beginnen, allein, in diesem
Strome hastender Menschen? Wohin
sollte es sich wenden, wenn es die Per
wandte der verstorbenen Mutter nicht
fand? Einige der Paffanten warfen
dem hübschen Kinde lachend ein
Scherzwort zu und ängstlich drückte
sich die schlanke Gestalt an das düstere
Mauerwerk des Hauses. Da Mäd
chen trat in den Laden, man mußte in
die em doch Auskunft geben können.
wohin die Gesuchte gezogen war, aber
eS verlor vollends die Fassung, als die
Geschäftstheilhaberin erklärte, die frühere
Ladenbefitzerin sei vor zwei Monaten
gestorben.
Die Frau fragte dann die Fremde
nach yerlunft und Begehr und erfuhr,
daß Hedwig M., so hieß das Möd
chen die Tochter eines kleinen, ehr-
lichen Sägewerksbesitzers sei, der durch
eine unglückliche Holzspekulation seine
Habe verloren, sich aus Verzweiflung
darüber dem Trunke ergeben und vor
Kurzem mit dem Tode abgegangen sei,
Sie, Hedwig, die ihre Mutter kaum ge,
kannt, hätte mit einer entfernten Ver,
wandten vereinbart, in deren Geschäft
einzutreten und das Modiftengemerbe
zu erlernen, um sich ihr Brod bald
seldstständlg erwerben zu können. Im
Briefwechsel hätten sie weiter nicht ge
standen, die Verwandte habe ihr gesagt:
ES bedürfe keiner Anzeige, sie möge
nur kommen, ihr Eintritt in ihr Ge
schäft sei ihr jederzeit willkommen.
Aufmerksam hatte die Frau das
jungt Mädchen angehört. Ich will
Ihnen einen Vorschlag machen," sagte
sie jetzt kurz entschlossen. Gegen ein
geringe Entgeld können Sie auch bei
mir Ihr Vorhaben zur Ausführung
bringen. Lernen und Wohnung uni
Kost erhalten, ja später nach Ucberein
kommen verbleiben. Wollen Sie?"
Bei diesem Antrage siel Hedwig ein
Stein vom Herzen. Wohin sollte sie
sich wenden in ihrer Berlaffenheit. in
dieser fremden Stadt? Besondere Sym
pathie flößte ihr die Erscheinung der
Frau freilich nicht ein, doch sie nahm
sich ihrer an und zudem blieb ihr auch
keine Wahl.
Sie hatte nun ein Unterkommen ge
funden, sie. die da? Leben bisher nicht
sanft angefaßt und verwöhnt hatte:
mit fieberhastem Fleiße eignete sie sich
die Kennwiffe ihres Berufs an doch
heimisch fühlte sie sich in dem Hause die
sn Frau nicht. Es kam sehr bald zu
Zmiftigkeiten. weil Hedwig sich nach
dem Adendbrod stets in ihre, -nach einem
schmutzigen Hose führenden Kammer
zurückzog, anstatt bei den täglichen Be
suchen eine BetterS der Frau, der ,u
weilen einen oder mehrere Freunde
mitbrachte, zugegen zu fein. Einige
Zeit ließ man sie gewähren, dann be
gann man das Mädchen durch Zudring,
lichleit ,u belästigen. Nun wußte sich
Hedwig keinen anderen Rath, als den.
die Stunden nach dem Feierabend im
Freien zu verbringen.
Eine schöne KaftanienAll war ihr
Lieblingsspaziergaug geworden. Die
Einsamkeit dcS WegeS mar eS zumeist,
die sie anzog. Doch auch hier sollte sie
die Ruhe nicht finden, die sie
suchte. In den letzten Tage war
sie stets einer Equipage begeg
et, in deren Fond ein junger Man
in der Ecke lehnte, deffen hiidsche mänii
liebe Erscheinung das Jniereffe der
Wanderin erweckt ein eigenartig
glückliches, ihr bisher fremdes Gefühl,
in ihrem Herzen erstehen ließ. Und
eines Tages, als das stolze Gesahrt an
ihr vorüberrollte, hatte er ihr seinen
Gruß entboten nd zugleich waren, von
rascher Hand geworse, einige dunkel
rothe Rose zu ihre Füße icderge
fallen.
DaS Glück lag wie heller Sonnen
schein auf den Zügen des Mädchens,
als sie heimkam. Drüben im Wohn
zimmer klangen Gläser an einander
und laute Stimmen schlugen an ihr
Ohr. Um frisches Waffer sür ihre Blu
men zu holen, ging sie nach der Küche.
Eben wollte sie sich von dort wieder ent
seine, da fühlte sie sich von zwei Ar
men festgehalten, und Entsetzen lähmte
ihre Glieder, als sie in das wuthverzerrte
wüste Antlitz des Vetters blickte, der sich
dicht an ihr Ohr neigte. Hab' ich eS
doch gewutzt, datz das schöne Taubchen
seine Schliche hat, trotzdem es so spröde
that und unsere Gesellschaft, mied,"
keuchte er. Der schmucke Sohn des
Fabrikanten Z., des Millionärs, steht
freilich im Rufe, sehr splendid zu sein,
das kann die schöne Tänzerin ans der
"straße, die jetzt von ihm geliebt wird,
bestätigen.
Mit einem erschütternden Schrei riß
Hedwig sich los und eilte in ihr Stüb
chen. Hier war ihres Bleibens nicht
länger. Sie packte ihre wenigen Hab
seligkeiten zusammen und ließ ein
Schmuckstück zurück. Dann stand sie
draußen auf der Straße mit schmerzen
den Hirn, der Verzweiflung anheimge
geben. Was suchte sie noch auf dieser
Welt voll Leid und Enttäuschung?
Draußen vor der Stadt auf der
Straße nach L., wohin sie mechanisch
ihre Schritte gelenkt, sank Hedwig, von
Ermüdung überwältigt, in die Knie
nd weinte bitterlich. Dann sprang
sie plötzlich auf und eilte vorwärts. In
inmitten eines prächtigen Parkes,
in dem der Wasserspiegel eines Weihers
aufleuchtete, steht ein schloßähnliches
Landhaus man hatte ihr, als sie
einmal dahin gekommen, den Namen
des Besitzers genannt. Tort war s e n
Heim, dort nur dort, in seiner
Nähe wollte sie aus dem Leben scheiden,
Das schöne Mädchen, welches in den
kühlen Fluthen des Weihers sein Grab
zu suchen kam, war von dem Parkwüch
ter gerettet und nach der Villa gebracht
worden, die zur Zeit nur von dem jun
gen Herrn bewohnt wurde, da dessen
Vater sich aus Reisen befand.
Heute ist Hedwig längst die glückliche
Gattin des jungen Fabrikanten, der sich
zum ersten Mate in seinem Leben toter
lich und wahrhaftig verliebt hatte, ver-
liebt in das arme, bescheidene Mädchen.
das der Zufall ihm in den Weg geführt
und das er dem Tode abgerungen.
Reiche englische Künstler.
Sir John Millais, der jüngst erstor,
bene Präsident der Royal Academy, war
von allen Präsidenten der reichste, denn
seine Erben zahlten Steuern sür eine
Hinterla enschaft von nahezu 8500,000.
Sein unmittelbarer Vorgänger, Lord
Leighton, hinterließ nur halb so viel;
der ärmste" von allen Malern, welche
in der Royal Academy den Vorsitz führ
ten, war vermuthlich Sir Thomas
Lawrence, der nur 880,000 hinterließ,
und als all sein Eigenthum sammt Ge-
mälden verkaust war, genügte der Er
trag nur, um seine Schulden zu bezah-
ten. Tan die Malerei icdoch in Eng,
land ein sehr lukratives Geschäft ist und
beliebte Maler, auch wenn sie es nicht
zum Vorsitz in der Royal Academy briw
gen, große Vermögen hinterlassen kön
nen, erhellt aus einigen Beispielen, die
ein englisches Blatt anführt. Da hat
z. B. Turner, der berühmte Landschafts
maler, ein Vermögen von 8700,000
hinterlassen, und Sir Edwin Landseer,
der große Thiermaler, konnte seinen Er
den sogar 800.000 hinterlassen. Vor
wenigen Monaten starb ein Maler, der
als der Krösus der Malerzunst galt.
denn Edward Armitage übertraf Land
seer s und Turner S Vermögen zusain
mengerechnet, mit seiner Hinterlassen
schaft von über 81.500,000 doch muß
gesagt werden, daß er feine Künftlerlauf
bahn mit einem bedeutenden Privatver
mögen anfing, so daß sein Erwerb von
Gemälden wenig in Belracht kam. Un
ter andern wohlbekannten Künstlern, die
reich starben, sei noch Edwin Long er
wähnt, der 1891 seinen Erben 8370,000
hinterließ. Sir Joseph Böhm, der
Inlpteur, denen Hinterlanenschaft sich
auf nahezu 8240.000 bezifferte, während
ein anderer Bildhauer, Sir FranciS
Chantrey vermögend genug war. um
der Royal Academy eiu Legat von 8500
000 zu hinterlassen, aus dessen Zinsen
auiähruch modernde Kunstwerke sür die
ammlung in Burlington House, dem
Hauptquartier der Royal Academy in
Piccadilly angekauft werden.
Xt budrtihria JubilSu ver
ngftrödrc.
Ueber das Jubiläum der .Angst
röhre" schreibt man der Kölnischen
Volkszeitung" aus Paris: Heuer seiern
wir, die wir mit Jabrhundertseiern
schon mehr als beglückt sind, ein hun
dertjährigeS Jubiläum, das wenigstens
einmal ohne Denkmal, Festrede und
Festessen verläuft. Es ist die Jahr
hundertfeier der Ofenröhre (tuyau Jo
poulo) der Angströhre, wie die Deut
schen den Ehlinder nenne, der hier
eben seiner vornehme und gleichzeitig
technischen Bezeichnung chapenu haut
du fonno Hochstaltiger Hut den
Spitznamen GibuS erhielt, nach dem
Namen eines HutmacherS, der sich da
mals besondere Verdienste in die Bogue
des Cylinders erwarb. Nicht gleich von
Ansang an hatte der Cylinder, dieses
heute so unentbehrliche Hauptstück bei
Besuchen, Prüfungen, überhaupt bei
allen Hauptaktioue von Freud und
Leid, seine Achtung gebietende Länge
erhalten, 1796 unter dem Direktorium
erschien er zuerst auf einzelnen bevor
zugten und modekllhncn Häuptern.
Die Merveilleux, wie man damals die
Gigerl nannte, also die Wunder-
baren , sanden die Sache in der That
wundervoll. Und seitdem hat der
Cylinder seinen Siegeszug angetreten.
In England, Fraukreich, Belgien.
Italien, Spanien und sonst, wo das
ronianischc Element herrscht, muß leder,
der sich sür einen anständigen" Men
schen hält, mit Cylinder gehe. I
Deutschland ist dieser Unfug nicht so
eingeriffe, ja, der Volksinstinlt sieht
in ihm etwas außergewöhnliches. Sehr
bemerkenswerth und ein auffälliger
Beweis llr die Kultur ähmkeit" ist
bei den Negern die Vorliede sür den
Cylinder; dabei ist noch die seine
Nuance, daß die Herren Brüder von
der schivarzen Seite die graue Farbe
vorziehen, gleich als ob sie fich leibst
von vornherein z Kommerzienräthen
stempeln wollten.
Eine drollige Metamorphose.
Bei Ankunft eines Proviantzuges auf
einer Station in Frankreich im Jahre
1870 wurden Mannschaften koinman-
dirt, um die Säcke vom Zuge in's
Quartier zu tragen. Unter denselben
war der Sohn eines Kölner angesehenen
Kaufmanns, und der Gefreite, der die
Leute bei der Arbeit befehligte, war ein
Sackträger aus dem Geschäfte des
Vaters. Der Zufall hatte es so gesllgt:
der Herr mußte Säcke tragen, während
sein Sackträger als Gefreiter die Aus
ficht führte. Mit großer Amtswürde
und einem Gemisch von Genugthuung
und kölnischem Humor ließ der vom
Sackträger zum Gefreiten avancirte
Kölner' seinen Herrn unter der unge
wohnten Last einherkeuchen, wobei er
gutmüthig kürzere Schritte" comman
bitte. Als der junge Herr, in Schweiß
gebadet, vom Tragen des ersten Sackes
zurückkam, wurde Halt!" commandirt,
worauf der Gefreite seinen Helm jenem
aufsetzte, ihm den Säbel umschnallte
und diese Ordre gab: Den Spaß
konnte ich mir nicht versagen, Sie ein
mal einen Sack tragen zu lassen. Jetzt
aber tauschen wir die Rolle: Sie sind
für eine Stunde Gefreiter. Sie sollen
wissm, daß Ihre Arbeiter trotz ihres
hohen militärischen Ranges auch im
Felde gern sür Sie Säcke tragen."
Also geschah eS. Als nach Beendigung
der Arbeit der Sackträger sich wieder in
einen Gefreiten erwandelt, nahm der
Gemeine seinerseits das Wort und sagte:
Herr Gesreiter Michel! Du hast heute
die letzten Säcke getragen. Ich ernenne
Dich auf dem Felde der Ehre zu un
serem Magazin-Ausseher!" Nach dem
Kriege trafen Beide wieder glücklich in
Köln ein; der Gemeine saß wieder im
Comptoir auf dem gepolsterten Dreh-
stuhl und der Gefreite führte die Auf?
ficht im Magazin.
Wissensdrang.
An einem der letzten Tage der Berli
ner Gewerbe-Ausstellung herrschte ein
lebhafter Zitdrang zum Riesenfernrohr.
Etwa zwanzig Personen standen im
Kreise herum und warteten, bis die
Reihe an sie kommen würde.
.Sind Sie denn nicht bald fertig,
mein Herr? Sie sehen doch jetzt schon
mindestens zwanzig Minuten durch das
Rohr?"
Det jeht Sie jar nischt an, lassen
Sie mir gefälligst in Ruh!" erwiderte
der Angeredete.
Was fallt Ihnen ein? Wir wollen
doch alle mal dran kommen!"
Quatschen Sie mir nicht m meine
Jastrollegie rin,- sage ick Ihnen, sonst
werd' ick eklig!"
Wollen Sie letzt Platz machen, oder
nicht? Ich kann auch sehr unangenehm
werden!"
Det find Sie mir jetzt schon!"
Ausftellungöbedienfteter: .Sie haben
lange genug durchgesehen. Treten Sie
gefälligst zurück!"
JS nich, mir fehlen noch drei Sterne!"
.Wollen Sie Platz machen, oder
nicht?"
.Nu halten Sie die Luft an. Ick
kann so lange durchkieken, wie ich luftig
bin. Wat, etwa nicht? Da. ick bade
die Zeitung noch zufällig in die Tasche.
vier stevl ocll: ie Turch ich, durch
daS Riefenfernrohr ist in der Zeit von
1U Uhr Morgens 613 10 Uhr Abends ae-
stattet." Et is 3 Uhr. ick habe also noch
sieben Stunden Zeit !"
i ataillonskin.
Genueser Blätter erzählen eine hübsche
Geschichte von einem Bataillonslind.
ES kommt nämlich in Italien öfter vor,
daß die Osfiziere oder Mannschaften
einer Truppe ein verlassenes Kind aus
nehmen, und sür seinen Unterhalt und
seine Erziehung sorgen. Sa geschah eS
auch in dem IpiniBataillon Pieve di
leco, als dasselbe im vngangenen
August in den Westalpc mnnöverirte.
Ein zehnjähriger Junge, der zu Hause
in bitterer Nolh lebte, schloß sich dcm
Bataillon a, die Ossiziere übernahmen
im Einverstäiidniß mit dem Vdtr die
elterliche Fürsorge, ud machten aus
dein zerlumpte Betleljunge i kurzer
Zeit einen ordentlichen, Irästigcn Bur
schen, der jetzt dank dcm in der C aferne
genossenen Unterricht die Aufnahme
prüfung zur tcchnischcn Schule in Porto
Maurizio bestanden Hut. Toit beginnt
der kleine BataillouSsohn seine Vor
studicn, um nach einigen Jahre als
Osfizier in die mütterliche Truppe ein
zutreten.
Gerechte Entrüstung.
Dircllor einer Schmiere (als er sei
neu ersten Helden ungeschickt die Theater
anzeigen an ein Haus aukleben sieht):
.Na, sind Sie ein Jammerlappen, jetzt
sind Sie schon zehn Jahre dei der Bühne
und können noch nicht einmal ordentlich
Plakate ankleben!"
Schnicichelhast.
Richter: Das Gericht hat Sie zu
einer Geldstrafe von fünfzig Mark ver
urteilt, Angeklagter!"
Angeklagter (für fich): Fünfzig
Mark?. , .Donnerwetter, so aaz berab-
gekommen muß ich doch wohl noch nicht
ansschau'n!"
Her kleine Schlauberger.
Fritz: Tante, ißt Tu gern Bon-
bon?"
O, sehr gern!"
Fritz: Nun, dann will ich meine
Düte lieber dem Onkel Fritz zum Auf
hebe geben."
Sie kennen sich,
Sonntagsjäger (als ein Hase über
den Acker läuft, zum Kollegen): Wer
soll ihn nun fehlen, Sie oder ich?"
Das liebe Geld.
Tochter: Ich weiß, Papa, der Rechts
anwalt liebt mich; daß er mich heirathen
wird, ist keine Frage."
Vater: Doch, mein Kind, es ist so
gar eine Preisfroge.
Entschuldigt.
A. : Wie, bei dieser Kälte sitzest Tu
im ungeheizten Zimmer?"
B. : Jst s so kalt? Da muß wohl
mein Thermometer nicht ganz in Ord
nung sein!"
Grob.
Gattin: Bevor wir uns geheirathet
haben, hast Du nie in meiner Wegen
mart geraucht."
Gatte: Das weiß ich. aber Tu hast
damals auch in meiner Gegenwart nie
mals die Zähne aus dem Munde ge
Unangenehme Vertraulichkeit.
Aelteres Fräulein (kokettirend) : Hier,
meine Nichte meint, daß man heulzutaze
romantischer liebt, als früher; was sa
gen Sie. Herr Müller?"
Herr Müller: Grade im Gegentheil;
das wissen wir besser, Fräulein, nicht
wahr, wir von der alten Garde?"
Aus der Schule,
Lehrer: Nenne mir ein Sprichwort,
Müller."
Müller: ...Aller Anfang ist schwer'."
Lehrer: Und Du auch eins, Schulz."
Schulz: .In der Noth frißt der
Teufel Geflügel'."
Mannliches Selbstbewußtsein.
Gigerl: Aeh, Fräulein, haben Sie
schon geliebt?"
Damen: Mein Herr, eine solche
Frage ist wohl etwas indiskret, zumal
ich Sie erst heute kennen lernte!"
Gigerl: Aeh meinte ja be
vor Sie mich kennen lernten."
Gemütblich.
Richter (dem einige Raufbolde vorge
führt werden): Natürlich, Sie müssen
wieder dabei gewesen sein, Knittel!"
,.O. kerrAmtsricbter. beinabe bätte icb
doch gefehlt; zuerst wollte ich nämlich an
oem oenknenden !viorgen meine letzte
Gefängnißstrafe absitzen gehen!"
Feine Nase.
Mensch, wie haft Tu mich nur hier
in dem großen Hause gefunden?"
Ich roch gerade Knoblauchmürftchen,
und ich weiß, daß Du die früher immer
gern gegessen haft!"
Unter Kritikern.
Schreibt der Dr. Schnock viel für
Ihre Zeitung?"
Ach der der ist ja bei mi Hahn
im Papierkorb'!"
höchste Serftreuthtit.
Professor (der sich ein wenig den Fin
ger verletzt hat): Johann, schneiden
Sie mir sofort den Finger ab und tra
gen Sie ihn zum Herrn Doktor!"
Summarisches vcnadrm,
.Grüß Dich Gott, alter Junge
meinen Glückwunsch!.. Wie ist eS nur
so schnell gegangen mit Deiner Ver
lobung?" .Die Geschichte ist sehr einkach. Ich
saß vorgestern Abend aus dem Balle der
Harmonik mit der Familie Müller zu
lammen an einem Zische. Der Wein
war gut. die Unterhaltung gemütblich,
die Stimmung vortrefflich da nahm
ich mir einen Anlaus genau der
Tochter meine Liebe, der Müller meine
Hochachtung, dem Bater meine schul
den. und dann verlobten wir ;!"