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About Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901 | View Entire Issue (Dec. 10, 1896)
Aus den Erinnerungen eines englischen Detektives. .Ah, da sind Sie ja, Beresford," sagte mein Vorgeschter. der Polizei Lieutenant Cassett. als ich eines Mor. gens seine Anusstube betrat. Sehen Sie ein Mal her, da habe ich etwas, das offenbar für Sie bestimmt ist. Was faatn Sie dazu?" Bei diesen Worten überreichte er mir einen zerknitterten .Zettel von grobem gelbem Papier, der den unverkennbaren Abdruck schmutziger Finger trug. Dar. auf standen, anscheinend mit Kohle oder einem angebrannten Hölzchen ge, schrieben, folgende Worte : An den Detektive William Beres, ford, Scotland Yard. Ich habe Sie nicht vergessen, mein lieber Freund. In drei M?nüten ist meine Zeit um und dann " Unmittelbar darunter war in roher Zeichnung ein Todtenkopf abgemalt, der keimn Zweifel über die Bedeutung der ausgesprochenen Worte ließ. Unten recht stand der Name Johnson einge kritzelt. Ich studirte den Zettel eine Weile aufmerksam und sah dann fragend zu meinem Chef auf. Ein altes Weib sollten Wisch vor einer Stunde heimlich hier zurllckgelas sen haben. Erinnern Sie sich nicht des Namens?" Johnson, Johnson?" murmelte ich, noch immer im Dunkeln tappend. Es ist gerade kein ungewöhnlicher Name. Nein, ich kann mich wirklich nicht et sinnen." Aber kaum hatte ich diese Worte aus gesprochen, so wurde mein Gedächtniß plötzlich wie ein Blitz erhellt. Nicht nur der Name, sondern auch die Persönlich keit, sowie die näheren Umstünde, welche mich mit diesem Manne in Verbindung gebracht hatten, traten mir wieder leb haft vor die Seele. Es mußte Henry Johnson, der berüchtigte Fälscher sein! Unbegreiflich, daß ich ihn überhaupt der gessen konnte, obschon ich gerade jetzt eif rig mit einer äußerst verwickelten Fäl scherangelegenheit beschäftigt war! Denn ich hatte wohl Ursache, jenen Verbrecher in der Erinnerung zu behalten. Jetzt siel mir auch wieder der Auf tritt ein, welcher bei seiner Verhaftung stattgefunden. Es war eine heikle Sache gewesen, mit einem, solchen Verbrecher zu thun zu haben; denn Johnson war als ein milder, verwegener Bursche de konnt. Nachdem es mir endlich gelun gen war, ihm auf die Spur zu kommen, hatte ich ihm, um ihn einzusangen, eine Falle gestellt. Ich ließ ihm eine Botschaft zugehen, als ob sie von einem Mitschuldigen käme, worin er aufgefordert wurde, sich zu einer bestimmten Stunde Abends in einem in schlechtem Rufe stehenden Wirthshause einzusinden. Er kam auch wirklich, und ich sehe noch den furcht baren Ausdruck auf seinem Gesichte, als er erkannte, daß er in eine Falle ge gangen war. Er wehrte sich wie ein Löwe, tobte und wüthete, und es be durfte außer mir der Hülfe dreier Con stabler, um ihn zu überwältigen. Als er zuletzt gefesselt am Boden lag, brach n in flehentliche Bitten aus, ich möchte ihn wenigstens noch ein bis zwei Wochen in Freiheit lassen. Er schwur mir feierlich, daß er sich nach Ablauf dieser Frist freiwillig stellen werde: ich solle ihn nur gerade jetzt nicht verhaften, denn seine Frau liege im Sterben und habe keine Seele in der Welt, die sich um sie bekümmere. Das Alles mochte wahr sein, aber ich durste meinen eigenen GetUhlen hier nicht nachgeben, sondern mußte auf alle Fälle meine Pflicht thun. Düster und trotzig stand Johnson später vor dem Gerichtshofe da, und als ich mein Zeugniß gegen ihn abgab, betrachtete er mich während der ganzen Zeit so unvev wandt, daß es Jedermann ausfiel. Seine dunklen Augen ruhten auf mir mit einem Ausdruck grimmigen Haffes, Er erhielt drei Jahre Zuchthaus. ren ihm nicht mildernde Umstände zu Gute gekommen, so würde seine Strafe noch strenger ausgefallen sein. Als der Richter das Urtheil verkündete, zuckte keine Muskel in Johnson'S Gesicht. Er schien gänzlich unempfindlich für sein Schicksal zu sein. Dann aber wandte er sich mit einer unerwartet schnellen Bewegung nach mir tun und schwur mir mit den !mreaucb gen Eiden, daß er sich an mir rächen werde, sobald er seine Strafe abgebüßt bal. Bei einem anderen Menschen sei- nn Gattung würde ich mir au? einer solchen Drohung nichts gemacht haben. Henry Johnson aber schien ganz der Mann dazu, sie auszuführen. Deshalb beschloß ich damals, wohl auf meiner kit zu lein, sobald er aus dem Getan niß entlassen werde. Aber Hunderte von anderen Criminalsällen, welche seit, dem meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, verwischten allmählich die Er, inneruna an jenen Porsall. Zuletzt hatte ich ihn ganz vergessen, bis er mir in der oben ermähnten Weise wieder in'S Gedächtniß zurückgerufen wurde, WaS Johnson damit vezweale, mir diese Warnung zukommen zu lassen, und wie eS ihm gelungen war, den Zettel auS dem GesSngniß heraus zu lOmuggeln, vegriff iaj ireiliq man. IS dernünstiger Mann aber beschloß ich, Nutzen aus der Mahnung zu ziehen. Ungefähr eine Woche später kehrte ich eine Abends durch die feuchten, schlüpfrig gewordenen Straßen nach ein Wohnung zurück, in Gedanken noch ganz mit einem geheimnißvollen Verbuch beschäftigt, an dessen Unter sllchung ich betheiligt war. Gerade, als ich in einen stilleren Stadttheil ein bog, kaum hundert Schritte von meiner Wohnung entfernt, glaubte ich ein lci scs Wimmern zu vernehmen, das aus einer Seitengasse zu kommen schien. Es war ein dunkler, nebliger Abend, und als ich mich, angestrengt umher svübend, der Stelle näherte, unterschied ich bri'm matten Licht einer Laterne. eine kleine, zerlumpte Gestalt, die in einem Winkel aus einem Stein hockte, Ich erkannte auf de ersten Blick, daß das Kind zu der Zahl jener veoauerns werthen, heimathlosen Wesen gehörte, die wir Polizeibeamten so ost unter Thorwegen, auf Treppenstufen vorneh. mer Häuser oder in schmutzigen, engen Gaffen, den Schlupfwinkeln der bitte sten Armuth, auflesen. Was keblt Dir. Kleine?" fragte ich, sie bei'm Kinn fassend, um ihr besser in s Gelicht blicken zu können. Wie elend und blaß das Kind aus, sah ach, und wie armselig es gekleidet war ! Ein krampfhaftes Schluchzen er schlitterte von Zeit zu Zeit seine zarte Gestakt, mährend es die Augen beständig auf den Boden gerichtet hielt. Ich war tete ein Weilchen, ob die Kleine nicht den Blick zu mir erheben würde; dann fragte ich, mich zu ihr hinabbcugend: Wie heißt Tu?" Lämmchen," antwortete das Kind jetzt, mir schnell einen scheuen, halb er- schrockenen Blick zuwerfend. Wie sagst vur Sümmchen," wiederholte das Kind, als ob dies der alltäglichste Name von der Welt wäre. Aber hast Du keinen anderen Namen?" Nein, Herr, meine todte Mutter sagte immer so." Wo wohnst xx denn?" Das kleine Mädchen schüttelte trau- rig den Kopf. a Du lein veimk" fragte ico verständnißvoll. Nein. Herr," kam es zögernd über die blassen Lippen, und zugleich schlug das Kind zum ersten Male seine Augen zu mir auf. Auf alle anderen Fragen aber erhielt ich keine oder nur unge nllgende Auskunft. bo komm mit mir!" jagte ity schnell entschlossen, das verlorene Lämmchen" bei der Hand fassend. Zu meinem Erstaunen machte sie jetzt nicht den geringsten Einwand, sondern ließ sich ruhig von mir fortführen. Ich nahm die Kleine mit nach meiner Woh, nung und erzählte meiner Frau, wie und wo ich ne gefunden habe. Lämmchen" war ein hübsches Kind von etwa sechs Jahren, das in seinem ganzen Wesen den Eindruck machte, als ob es nicht aus den allerniedrigsten Volksklassen stamme. Die kleine Na menlose hatte mir sofort, ich wußte selbst nicht, warum, ein ungewöhnliches Interesse eingeflößt. Uebrigens hätte ich mir denken kön nen, wie Alles nun kommen würde. Meine ebenso gutherzige, als praktische Frau sah das todtendlasse, abgemagerte Geschöpfchen in seinen nassen Lunipen kaum in unserem Zimmer stehen, als sie es schnell in die Arme nahm und die Treppe hinauf trug. Dann kleidete sie s an, gab ihm zu essen und zu trinken und brachte es sofort zu Bett. Am anderen Morgen wollte ich das Kind mit zur Polizeistation nehmen, von wo man es, wenn Nachforschungen sich als vergeblich erwiesen, unfehlbar dem Armenhause übergeben würde. Aber meine Frau mochte davon nichts wissen, feie chien das Lämmchen bereits in ihr mütterliches Herz geschlossen zu haben. Laß sie noch bei uns bleiben, SSil liam !" bat sie, als ich Einwendungen machte. ES thäte mir zu leid, das arme kleine Ding letzt schon fortzugeben. Unseren eigenen Kindern wird die Ge sellschast gut thun und die Kleine selbst im Verkehr mit ihnen schnell aufleben. Auf einen Mund mehr oder weniger kommt eS ja nicht an. da wir Gottlob unser Auskommen haben. Glaube mir, Du wirft es nicht bereuen, denn es ist ein Werk der Nächstenliebe, das sicher seinen Lohn sindet." Und so behielt die gute Frau ihren Willen, wie dies bei Frauen, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, gewöhnlich der Fall ist. Wir nannten das Kind nach einem Töchter chen, welches wir vor Kurzem verloren hatten, Mary, und sie wurde bald gänz lich wie zur Familie gehörig betrachtet. Ich that mein Bestes, ihren Vater auS findig zu machen, falls dieser noch am Leben war, aber ohne Erfolg. Die ein zige Spur, welche auf die Feststellung der Identität des Kindes führen konnte, gelangte auf seltsame Weise in unsere Hände. Meine Frau hatte in der Klei dertasche der Kleinen einen schmutzigen Ball von Wolle gefunden, den sie wie einen Schatz zu lieben schien, obschon sie keine Rechenfchast darüber zu geben wußte, wie sie zuerst in den Besitz des selben gekommen sei. Als ich das Spielzeug besühlte, kam es mir vor, als ob sich ein harter Gegenstand darin besinde. Ich wickelte die Wolle sorgssl tig ad, und siehe da ! ein etwas zerdrück tti goldenes Medaillon in Herzform kaum zum Vorschein. ES enthielt eine kleine, dunkle Haarlocke, weiter nichts. Ich nahm daS unscheinbare Schmuckstück und befestigte eS an meiner Uhrkette, um es gleich bei der Hand zu haben. wenn diei bei meinen weiteren ?iach forschunqen bezüglich deS Kindes einmal nöthig werden sollte. , So vergingen sechs Monate. Da malz wurde ich gerade mit einem öollc gen, Namens Eooper, bei den Forschun gen nach einem höchst keck ausgeführten Jiimdendiebstahl verwendet. Wie kamen über Tag häufig zusammen; denn wir mußten unsere Notizen austauschen und neue Pläne zu weiterem Vorgehen in der Sache entwerfen. Eines Nachmittags erhielt ich eine Drahtnachricht von ihm, worin er mich aufforderte, mit ihm um sieben Uhr desselben Abends im zweiten Stock eines gewissen Hauses in einer bestimmten Straße zusammenzutreffen, da er eine wichtige Entdcckung gemacht habe. Sehr erfreut darüber, beschloß ich, pünktlich zur Stelle zu sein. Als ich den Ort des Stelldicheins erreicht hatte, sah ich, daß ich in der That der Erste auf dem Platze war. Auf dem Flur iin zweiten Stock des Hauses stand die Thüre des der Treppe zunächst liegenden Zimmers halb offen. Ich schaute hinein und bemerkte, daß es nur einen Tisch und ein paar Stühle enthielt und von einer einzigen Kerze erhellt wurde. Vermuthlich hatte Coo per für unsere Zusammenkunst absicht lich dieses einsame Zimmer gewühlt. Jedenfalls erschien es mir besser, hier zu warten statt auf dem Flur, wo spähende Augen mich leicht entdecken konnten, und so trat ich ein. Ich befand mich kaum fünf Minuten in der Stube, als ich Jemand die Treppe herauf eilen hörte. Die Thür wurde hastig aufgestoßen und ein Mann trat ein. Ein einziger Blick zeigte mir. daß es nicht Cooper war, sondern Henry rioon om me Thilr hinter 1 ab, schließend, stand er mir Aug' in Aug' gegenuver. Wenn ich ie zuvor auf dem Gesichte eines Menfchen mörderische Absichten gelesen hatte, so jetzt auf dem seinigen. Ich sah Johnson fest an, und er erwi derte meinen Blick in derselben Weise. Keiner von uns sprach ein Wort, jeder nahm die Situation einfach an, wie sie gegeven war. Ich brauche wobl nicht zu sagen, daß er mich hier in eine ühn- liche Falle gelockt hatte, wie ich sie ihm früher gestellt. Er schien es auch für nöthig zu halten, mir seine Absichten vetrep meiner Per on nutiutbe len, Während dieser kurzen gegenseitigen Musterung fühlte ich vorsichtig nach dem Revolver, den ich sonst stets bei mir trug, und bemerkte zu meinem Cnt setzen, daß ich ihn in der Eile vergessen ane. Jetzt sah ich, wie Johnson ein Messer hervorzog und im Begriff stand, sich auf mich zu stürzen. Aber ich war nicht gemilli, mcy oyne Weiteres zu ergeben. Mit Blitzesschnelle sprang ich auf ihn zu, und es glückte mir, ihn in dem Augknvilil bei'm Handgelenk zu fassen. als er zustoßen wollte. Dann rangen wir mit einander. Wenn ich auch wollte, so wäre ich jetzt nicht mehr im Stande, jenen verzweifelten Kampf ge- nauer zu vefchreiben; ich weiß nur noch, daß, nachdem er eine Weile gedauert. wir Beide mit dröhnendem Schlage zu Boden sielen und ihn da fortsetzten. Das Nächste, dessen ich mich erinnere, ist, daß Johnson auf meiner Brust kniete, während er mich mit der linken Hand an der Kehle packte. Mit An spannung aller meiner Kräste schleu derte ich ihn noch einmal von mir; aber es gelang ihm wieder, mich mit eisernem Griff zu umklammern, und in der nächsten Sekunde zückte er sein Messer über mir. Ich schloß die Auaen und befahl meine Seele inbrünstig meinem Schöpfer, in der festen Ueberzeugung. daß mein letzter Augenblick gekommen sei. Da stieß Johnson einen Schrei aus und ich fühlte, wie seine Finger meine Kehle losließen. Aufblickend sah ich wie sein Blick auf meine Uhrkette gerichtet war. Woher haben Sie das?" fragte er keuchend. Was denn ?" brachte ich mühsam hervor. Das Medaillon..,." Und mit einer wahnsinnigen Haft griff er nach dem Schmuckstück, welches die kleine Mary damals mit in unser Haus gebracht hatte. Lassen Sie mich los so will ich eS Ihnen sagen!" Der Mann war jetzt so in die Unter suchung des Medaillons vertieft, daß ich geraden WegeS hätte zum Zimmer hinausgehen können, ohne von ihm daran gehindert zu werden. Ich sank auf einen Stuhl, denn die Aufregung und Anstrengung hatten meine Kräfte fast erschöpst. Dann erzählte ich Johnson die ganze Geschichte. Und wo befindet sich da Kind jetzt?' fragte er mit unsicherer Stimme, als ich geendet hatte. In meinem Hause," antwortete ich. Meine Frau und ich wollen uns nicht mehr von ihm trennen und haben eS an KmdeS statt angenommen. Kommen Sie mit mir!" rief John, son, auf die Thüre zueilend. Ich flehe Sie an. führen Sie mich sofort zu der Kleinen!" Im nächsten Augenblick hörte ich ihn die Treppe hinab springen, und ich folgte ihm, so schnell meine zitternden Beine mich tragen wollten. Als ich ihn auf der Straße einholte, trieb et mich zur größten vut an, ohne jedoch ein Wort der Erklärung hinzuzufügen. Ein Mal hörte ich ihn auf dem Wege mur mein : Sie muß es fein, ihre Mutter muß es ihr aegeben haben. Arme, kleine Polly!" Räch Dem, waS vorgegangen, war ri für mich keine leichte Aufgabe, den lan gen Weg bis zu meiner Wohnung so im Sturmschritt zurück zu legen. Als wir sie endlich erreichten, fanden wir die Kinder gerade bei'm Abendessen und die kleine Mary srisch und inuiilcr in ihrer Mitte sitzend. Ich schlüpfte zu meiner tfrau, welche eben hinaus ge, gangen war, in die Küche und erzählte ihr mit fliegenden Worten Alles, was in der letzten Stunde sich zugetragen hatte. Sie begriff die Lage der Dinge Ichnell und lehrte mit mir m s Wohn zimmer zurück. Johnson stand mit dem Rücken an die Wand gelehnt und blickte wie gebannt zu dem kleinen Mädchen yinuoer. Dann kam von seinen Lippen ein halb unterdrückter, kläglicher Aufschrei Polly, mein Lämmchen!" Ich sah gespannt auf unser Pflege, kind. Ihre großen blauen Augen ruh, ten zuerst mit einem erstaunten, halb ertchrockcnen Ausdruck auf Johnson ! Gesicht. Dann veränderte sich der Blick plötzlich, sie glitt hurtig von ihrem Stuhl herunter, lief mit ausgest, eckten Aermchen auf ihn zu und rief freudig: Vater, Vater!" In dem Leben eines Detektives koni men oft höchst sonderbare Situationen und Austritte vor, von denen andere Leute keine Ahnung haben. Aber die merkwürdigste Lage, in der ich mich jedenfalls befunden, war wohl die, als ich an jenem Abend i meiner Wohnung in fast freundschaftlicher Weise Seite an Seite mit dem Manne zu Tisch saß. der mich vor kaum einer Stunde hatte umbringen wollen. Johnson hielt sein Töchterchen die ganze Zeit hindurch auf den Knien. Seine Freude, die Kleine wieder zu haben, war unbeschreiblich. Ganz in ihren Anblick versunken, sprach der rauhe Mann in der sanftesten Weise mit ihr, während er sie immer wieder herzte und küßte. Seine Augen beka men dabei einen feuchten Schimmer, und eine schmerzliche Wehmuth prägte sich in seinen sonst so harten Zügen aus. Als das Abendessen vorüber war, und Polly sowie meine eigenen Kinder uns Gute Nacht gewünscht hatten, zu zählte ihr Vater uns unaufgefordert seine Geschichte. Henry Johnson war früher ein geachteter Mann in descheide ner, aber auskömmlicher Stellung ge mesen, und hatte eine grau aus guter Familie heimgeführt. Der Umgang mit schlechten Freunden aber wurde für ihn zur Quelle des Verderbens. Er ergab sich einem ausschweifenden Leben, zu dem ihm bald die Mittel fehlten. Da vergriff er sich eines Tages an frem dem Gelde, das ihm anvertraut war, und von da ab sank er allmälig immer tiefer, zuletzt sogar bis zum gemeinen Fälscher. Als der Arm der strafenden Gerechtigkeit ihn erreichte, und ich ihn damals verhaften mußte, war sein von Kummer und Elend gebrochenes Weib, das er trotz allcdem in seiner Weise stets geliebt hatte, dem Tode nahe. Unmit telbar nach feiner Verurtheilung hörte er, vag ,ie genoroen und Polly, fein einziges Kind, bei Fremden unterge bracht worden sei. Der Gedanke an das Schicksal des Heimath und freund losen kleinen Wesens, dessen Aufenthalt er nicht einmal ausfindig machen konnte, verfolgte den unglücklichen Mann bei Tag und Nacht, so lange er sich im Gefängniß befand. Wie das arme Kind diese Zeit verlebte und durch welche Hände es damals gegangen, ist überhaupt nie aufgeklärt worden. In der Einsamkeit der Gefangen schaft wurden Johnson's Rachegedanken gegen mich, den er als den Urheber sei nes Unglücks betrachtete, noch geschürt. Er wollte mich tödten um jeden Preis. sobald er der Freiheit zurückgegeben war. Denn was hatte er, der von der Gesellschaft Ausgestoßene, danach noch zu erwarten? Aber ein Reft von mensch lichem Gesühl war in seinem verwilder, ten Gemüth zurückgeblieben: die über daS Grab hinaus gehende Liebe zu sei, ner frommen, sanften Frau und seinem unschuldigen Kinde. Diese sollte für Johnson daS Ankertau werden, um feine verirrte Seele wieder mit Gott zu verbinden. Polly darf nie erfahren, was ihr Vater gewesen ist." schloß er, beschämt die Augen niederichlagend. Natürlich nicht," nahm meine Frau jetzt das Wort, indem sie ausstand, um den Tisch herum ging und mich ohne Weiteres bei Seite schob, als ob ich ihr im Wege flehe. O diese Frauen! Wir Männer sind nicht zu gebrauchen, wenn eS gilt, eine zarte Angelegenheit zu behandeln, Meine Gattin setzte sich neben Johnson und fing an, zu seinem Herzen zu reden. Sie sagte ihm, eS sei ihre feste Ueber zeugung, daß die göttliche Vorsehung über seinem inde gewacht und es er halten habe, damit er um der Kleinen Willen in Zukunft ein besseres Leben führe. So eindringlich und beharrlich redete sie auf den aebeuaten Mann ein. bis ihre wohlgemeinten Worte den Weg zu seinem Herzen gefunden hatten. Tann zeigte sie ihm ein Kinderkleidchen, welche? sie gerade für Polly in Arbeit genommen, obgleich ich beim besten Willen von der Welt nicht begriff, wel cher Zusammenhang zwischen einem Kinderklcidchcn und der göttlichen Vor sehung bestand. In einer Viertelstunde hatte sie es fertig aedracht, daß dem wil den Ez-Sträfling die Thränen nur so über die Wangen rollten. Bei meiner Treu'! Ich selber fühlte mich weich werden Bah, was rede ich da! Der gleichen gehört sich nicht für einen Pol, zeibeamten. So leid eS unä auch that, Polly S Vater nahm fein Töchtcrchen nach eini ger Zeit wieder z sich. Den vereinten Bemühungen wohlwollender Menschen, die ich sür Johnson zu interessiren wußte, war es gelungen, einen als sehr gutherzig bekannten, reichen Kaufherrn zu bewegen, mit dein kiitlaffenen Ge fangcnen wenigstens einen Versuch zu machen und ihn in einer untergeordne ten Stellung in seiner Fabrik zu be schäftigen. Dank dem Einflüsse und dem Zuspruch eines erfahrenen Geist liche, an den ich Johnson zugleich der wiesen, hielt er sich hier so gut. daß nian ihn später zu einem besseren Posten aufrücken ließ. Seitdem entstand zwi fchen ihm und uns eine Art von freund schaftlichem Verkehr. Johnson brachte uns sein Töchterchen, an dem wir noch mit herzlicher Liebe hingen, jeden Sonntag herüber, und Beide aßen dann regelmäßig mit uns zu Abend. Mir blieb er all' sein Lebtag mit aufrichtiger anuiarleil ergeben. Ja, meine gute Frau hatte es wirk, lich prächtig verstanden, sein Innerstes nachhaltig zu rühren. Wenn ich 1: aber darüber ein anerkennendes Wort sagte und mich glücklich pries, nn jenem denkwürdigen Abend einem so entsetz lichcn Tode entgangen zu sein, erwiderte sie wohl: I bewahre, William, daS ist nicht mein Verdienst! Und was Deine Errettung anbelangt, so sehe ich darin nichts Anderes, als den Lohn für Deine damalige Zustimmung zu der Annahme der kleinen Polly. Das Kind ist nicht nur seines Baters Schutzengel gewesen, sondern auch der Deinige." Sümmchen. Bon M a r B i 1 1 x i ch. In zwei Stunden konnte man von dem Gute des Barms von Hagen nach dem Besitztum des Amtmanns Fischer gelangen. Trafen sich beim Kränzchen die vielen Gutsnachbarinnen aus der Umgegend mit Ausnahme derer von Hagen und der Fischer, so lautete das Gespräch im mer: Na ja, der Hagen verrostet mit jedem Tage mehr, und man darf sich nicht einmal darüber wundern: Kein gebilde ter Verkehr! Den ganzen Tag im Walde liegen, die Flinte in der Hand! Nur immer Jagd halten auf Hasen und Hirsche und Hühner und Marder, was weiß ich! Bloß eine Frau ver mag er nicht zu finden, weil er sie nicht mit der Flinte erobern kann, und zu anderer Eroberung fehlt ihm die Ge wandtheit." Worauf dann irgend ein Kränzchen- Mitglied ergänzte : Der könnte doch das Dummchen hei rathen beim Mondschein natürlich!" Das Tummchen war Fischers Ein- zige; sie pflegte, sobald die Unterhaltung aus eine Berlobung hinzielte, zu be, Häupten: Verloben, wenn sie Lust habe, werde sie sich auch; aber nur, falls sie einmal beim Mondlchein dazu Gelegen heit haben sollte. Das habe sie sich ge, schworen. Sonst falle der romantische Anstrich fort, den sie wenigstens bei dikfem Anlaß in der immer können tioneller" werdenden Welt nicht entbeh ren wolle. Ob dieser Eigenheit und vielleicht, weil sie nicht das Kränzchen besuchte, hatte man des Amtmanns Tochter den Namen Tummchen gegeben. Ein kluges Mädchen war sie doch. Ehe die Welt das weiße Leichentuch anlegte, zeigte sie sich, wie immer, im duntesten Farbenschmuck. Ta kokettirte der Herbsttag mit grell farbigen Pilzen im Wale und buntge schecktem Laub, dessen Duft zwar vom Verderben sprach, auf und unter dem es sich aber lustig wandelte. Unter den Besten der Chausseebäume, von denen blutrothe Ebereschenbüschel leuchleten, wandelten zwei Äienschen linder, wie Frühling und Herbst bei nahe. DaS Mädchen war schlank und frisch, schmiegsam und lenzig wie die Früh lingsbirke. Der Wind spielte mit dem weißen Fähnchen, daS ihren Körper be, deckte. Des Mädchens Begleiter, allerdings eine elastische Gestalt, war nicht mehr wie der Lenz, sondern manches an ihn erinnerte an den Herbst. Er hielt jetzt seinen Jägerhut in der Hand, fodaß die wohlthuende Mittags, sonne auf daS Haupt schien. Der Scheitel war kahl, das Haar im übrigen spärlich und das spärliche ein wenig grau. Ter Begleiter des Mädchens ging zur Jagd; er trug eine Flinte. Tie Last des Gewehrs und die Strahlen der Sonne hätten ihn nicht so röthen kön nen, wie man ihn sah; er trocknete ohne Unterlaß die Stirn. Das Mädchen, das Tummchen war's. hüpfte durch die klare Luft, wie ein ausgelassenes Kind. Der Jäger, der Baron von Hagen, war in sich verliest und bemerkte kaum die schnurrend auf steigenden Hühnervölker. Beide waren schweigend bis an den Rand deS Waldes gegangen. Tort setzte sich Herr von Hagen auf einen Holzstoß und sagte: Klarer kann ich nicht wiederholen. Kathchen, was ich Ihnen im Laufe der letzten vierzehn. Tage dreimal vorpre I digte: Allemal, wenn der Frühling j inmmi fiiM iifi m'iih tnnhi Nli fcr Hänfling im gutternapf und denke, das Jahr werde auch mir ein Nest descheeren. Bald ist ein neueS Jahr vergangen. ohne daß ich das ersehnte Gut errungen hätte. So verknöchert man mehr nd mehr. Hübsche Mädchen sind nicht viel zu sehen, und die wenigen treiben im Reiche Amors so viel Unfug, daß man nicht weiß, ob sie die Liebe ernst z neh ine vermögen." Das Dummchcn sah erstaunt darein. Treiben Unfug mit der Liede, wie Sie, Käthchen," fuhr er fort und sah das Fräulein Amtmann etwas erbittert an. Uttsere Nachbarschaft und Be kanntschaft entschuldigt das Wort, er klärte er weiter. Ist das nicht Unfug, zu sagen: Beim Mondenschein wird ver lobt oder es wird nicht verlobt? Den Klatschbasen bietet die Marotte schon den besten Stoff, und diesmal haben sie Recht, wenn sie sich lustig machen." Er konnte nur in auserlesen grobein oder in zärtlichstem Tone sprechen. DaS Mittelmaß hatte er verlernt. Den Mondenschein," polterte Herr von Hagen weiter, könnte Einer wohl abwarten, sofern er sich überhaupt ver loben will. Aber ein anderer Gedanke stößt ab: ein Mädchen, das solche Be dingungen stellt, kann unmöglich Liebe im Herzen haben." Es war meine Vorliebe für die Romantik," sagte s und ließ sich, dem Beispiele des Barons folgend, auf dem Holzstoße nieder. Ich liebe die Romantik und möchte sie wirklich nicht missen." Also bleibt es beim Trotzkops!" Nicht doch," entgegnde sie, während sie die Feder an seinem Hut, den er ab gelegt hatte, in Ordnung brachte. DaS ist kein Trotzkops. Bisher habe ich nicht glauben können, daß die Wer bung um meine Hand mehr bedeuten sollte, als einen Scherz. Freilich jetzt Glauben Sie mir, Käthchen? Dann kann ein Hinderniß nicht mehr zwischen uns liegen." Er umfaßte sie. Lassen wir den Mondschein!" Nein," trotzte sie, ich will ihn nun doch nicht missen. Ich habe es ein mal geschworen!" setzte sie hinzu, wäh rend seine Linke langsam den stark ge lichteten Bestand seines Haares durch furchte. Echte Liebe kann auch kein Hinder niß finden!" schloß sie. , Er zog sie an sich und lehnte das Haupt gegen Dummchen's molligen Arm. 'Sie aber hatte den Ausweg aus der Schlinge des Hindernisses bereits ge funden. Was willst Du thun?" fragte er. Nichts! Nichts! Mein Kurtchen (der Baron hieß Kurt von Hagen), mein Kurtchen hat schon sür alle Fälle vorgesorgt und ihn gleich mitgebracht, den Mondschein." Während sie das mit schalkhaftem Munde sagte, fühlte der Baron die Spitzen einer kleinen weichen Hand auf dem Scheitel seines Hauptes, der glatt war, wie eine Billardkugel. Das Hinderniß ist fortgeräumt," erklärte sie ihm und brauchte beutlicher nicht zu werden. Nun ist bei dem von Käthchen ent deckten Mondschein der Verlobungskuß mit etlichen Zugaben vor sich gegangen. Das besaß einen so romantischen An strich für das Dummchen, wie sie sich'S niemals gedacht hatte, Die Kränzchen Damen haben zur Zeit ein dankbares Thema. Sie ver handeln über eine Mondschein-Partie; denn so wird die Verbindung des Ba ronS niit Käthchen bezeichnet. Die Damen meinen auch, das Dummchen sei doch nicht so beschränkt, als man immer geglaubt habe; sie sind milder im Urtheil und nennen die' Baronin von Hagen ein Mondscheinchen. Der Baron behauptet jedoch, ein Sonnen schein walte in feinem Heim. Darob ist er noch einmal jung geworden, der alte Baron. Der kluge Dackel. Sie glauben gar nicht," begann der Oberförster, was für ein kluges Thier mein Dackel ist! Meiner Frau ist er beim Einkaufen unentbehrlich. Seit einigen Tagen dringt er mir schon die Zeitung ins Haus. Jeden Morgen, wenn wir im Begriffe sind, unsern Kaffee einzunehmen, läuft er schnür , stracks zur Post, und nach kaum lg Minuten kommt er mit dem Blatte im jf Maul angerannt. , ' Jüngst, als wir wieder beim Früh stück saßen, finden wir den Dackel in der Zimmerecke liegen. Er hat offenbar auf die Zeitung vergessen, denke ich mir. Um ihn zu erinnern nehme ich ein alteS Blatt zur Hand. Er schaut mich an, knurrt und rührt sich nicht. Ta rufe ich ihm laut zu, er möge um die Zeitung gehen und nehme, um meiner Aufforde rung Nachdruck zu verleihen, den Stock zur Hand. Doch vergebens! Mein Dackel geht nicht vom Fleck. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen I Es ist ja heute Mon tag, da erscheint die Zeitung erst in den Nachmittagsftunden !" Keine Ucbercilung. Herr Bäuchle (zum Herrn Kalkula tot): Schaun S', ich mach 'S halt so, um mir das viele Bierlrinlen adzuge wöhnen: früher trank ich täglich fünf zehn Glas Bier seit fünf Jahren trink' ich nur noch vierzehn, und vom l. Mai ab trink' ich für die nächstem sünf Jahre nur noch dreizehn rTf komm ich nach und nach herunter!"