Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, October 08, 1896, Image 9

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    lvegmilde.
Von Hermann Dxl,
Durch die norddeutsche Ebene brauste
der NachmittagSjug. Win paymrau
nen Himmel brannte die Sonne der
lenaeiid bernieder auf die weiten, Sand
Sachen, wogenden Kornfelder auf
Zeilen hinaus in eintönigem Wechsel
dasselbe Bild.
Ein schrilles, langaedehnte Pfeifen
der Lokomotive, ein fich mehr und mehr
verlangsamende Tempo de Zuge,
da Knirschen und Kreischen der Brem
sen, da Rufen der Schaffner: Fin
lenseldel Eine Minute Aufenthalt!"
Der Zug hielt vor dem kleinen, in Fach
werk aufgeführten Stationsgebäude,
dessen Uhr einige Minuten über die
fünfte Stunde aufmie.
Niemand entstieg dem Zug. Da. in
der legten Sekunde der Zugführer
hatte schon da Trillerpseifchm an die
gespitzten Lippen gesetzt und der berußte
Lolomotioführer die Hand an den
Dampfausheber gelegt öffnete sich
schnell die lhUr eine Wagen zweiter
Klasse und fiel gleich darauf krachend
wieder in' Schloß das Signal des
Zugflihrer, der Pfiff der Lokomoiive
die Räder drehten sich um die Achsen
schneller und schneller nach wenigen
Sekunden zeigte nur noch graue, in der
Ferne verflüchtigende Dampfmolken den
Lauf, den der Zug genommen.
Der Stationsvorsteher begab sich ge
machlich wieder in seine Dienstwohnung,
nachdem er noch einen flüchtigen Blick
im VorbeigchlN aus den Mann getont
sen, der kurz zuvor dem Zuge entstiegen
war und der nun breitbeinig auf dem
Bahnsteig stand und mit einem groß
gemusterten, seidenen Taschentuche das
Schweißleder seines breitrandigenStroh
htes und das glühende Gesicht iroi
ncte. Er bot in seinem Acußeren so
mancherlei des Seltsamen oder doch zum
mindesten in diesem Landstriche Auf
fälligen dar, so daß man es dem flachs
kdpfigen, sommersprossigen Kellner, der,
eine nicht eben durch blendende Weiße
sich auszeichnende Serviette unter dem
Arm, in der Eingangsthür der Bahn
hofsreftauration sich rekelte, nicht der
denken konnte, wenn er ihn mit unver
hohlener Verwunderung betrachtete.
Schon allein der Umstand, daß er in
Finkenfelde abgestiegen war, wäre An
laß genug dazu gewesen. Die Spezies
Fremde" vertraten für Finkenselde im
Laufe des Jahres nur einige Hand
lungsreisende. Und wie ein solchir sah
dieser Fremde ganz entschieden nicht aus.
.Schorsch" erinnerte sich nicht, in seinem
jungen Leben schon irgendwo solche
weiße, schlotternde Beinbekleidung und
dito Joppe, solch' lupserbraunes, durch
furchte und dichtbebartetes Gesicht gc
sehen zu haben.
Und nun kam der Fremde, den Hut
uns das Taschentuch in den Händen,
gradwegs auf ihn zu, und Schorsch'
hatte die dunkle Empfindung, als müsse
n seine respektvollste, sonst nur für den
Herrn Bürgermeister, den Amtsrichter
und den Superintendenten reservirte
Haltung annehmen.
Gleich darauf schlug in dröhnendem
Baß der Befehl an sein Ohr: Bringen
Sie mir ein Gla Bier!" Aber er über
hörte ihn, denn er hatte zu seiner na
rnenlosen Verwunderung im rechten
Ohrzipfel 'des Fremden einen kleinen,
silbernen Reif bemerkt. Und das brachte
ihn ganz um seine Fasjung. Ein
Mann, der Ohrringe trug.
.Na, junger Mensch, sind Sie stumm
oder taub, oder beides zugleich? Ein
Gla Bier, sag' ich!'
Damit ließ er sich an einem d
grün und weißgeftrichenen, derben
Holztische nieder, die vor dem Gebäude
aufgestellt waren, während .Schorsch"
eilfertig hinter der Thür verschwand,
um gleich darauf mit dem Gewünschten
zurückzukehren. Der Fremde leerte das
Gla mit einem Zuge und lehnte sich
erst, ais da zweite vor ihm stand, be
haglicher in den Stuhl zurück, seine Au
gen umherschweifen lassend. Vor ihm,
dicht an den Geleisen, die wie Silber
im grellen Sonnenschein sunkelten, fich
entlang ziehend eine offenbar noch junge
Nadelmaldung! auf dem zweiten Gelelfe
einige mit Baumstämmen beladene Lom
ries) dazwischen ein Haufen ausrangir
ter. angefaulter Bahnschwellen. Hinter
ihm das StationS Gebäude, bis zur
doppelten Manneshöhe mit wildem
Spalierwein umrangt. Rechter Hand,
aus einer leichten Senkung schimmerten
die braunrothen Ziegelvächer der ersten
Häuser des Städtchens herauf.
Nachdem der Fremde auch den zweiten
Schoppen geleert, bezahlte n und erhob
sich zum Gehen. Schon war er einige
Schritte in der Richtung nach dem
Städtchen gegangen, als er noch einmal
stehen blieb und über die Schulter hin
weg dem in seligem Entzücken üb die
gespendete halbe Mark Trinkgeld schwel,
genden Schorsch zurief: .He mein
Sohn wann kommt der nächste Zug
von Berlin hier ant"
.Der nächste Zug? Von Berlin? Um
acht Uhr dreißig!"
Danach setzte der Fragesteller seinen
Wegsort, an dem Stationsgebäude vor
bei. die Obftdaumallee entlang, die fast
nnmerklich abwart, in einer AuSdeh
ung von etwa zehn Minuten Weg di
rekt aus da StäZtchen zusübrte.
Der Fremde schritt mit auf dem
Rücken gekreuzten Händen langsam da
hin. mit in tiefe Gedanken versunken.
Durch da Btattgezmeig der Baume
i
A
T
I mmerten die onnennrav, un
warfen krause Lichter aus den staubigen
Weg. Eine brütende, traumyau, nur
Der
Jahrgang 17.
hin und wieder von einem matten Bo
gelschrei unterbrochene SonntagSftille
war ringsum ausgebreitet.
Jetzt machte die Chaussee eine kleine
Biegung, und nun hörte sie ganz aus.
Gemüsegärten und verstaubte Wiesen.
Kartoffelland und verwitterte Scheunen
und dann eine primitive Holzbrllcke über
ein schmales, mattsliekende Waffer. in
dem sich da von beiden Uferwänden ties
herabhängende Erlen und Weldenge
diisch zitternd wiederspiegclte.
Und hier blieb der Fremde stehen und
holte tief Athem. Mit beiden Armen
lehnte er sich auf das Brückengeländer
und sah nachdenklich auf das trübe Was-
ser hinunter. Und sah im Geiste vor
langen Jahren einen Knaben da unten
unter den Weiden und Erlen liegen, der
sein Borkenschiffchen auf dem Mühlen-
dache trieb, der ich ihm in seiner Phan-
taste zum Weltmeer erweiterte, der hier
von fernen, fernen Ländern träumte.
wo das Bold auf der Straße lag. wie
hierzulande die Kieselsteine. Dieser
Knabe war er
Er schritt weiter, über die Brücke, in
die vor ihm liegende, in seltsamen
Krümmungen sich hinschlängelnde
Straße hinein, die einzige des total
chens überhaupt, wenn man von eini
gen Sackgößchen absah.
Run bemerkte er auch, da inten,
selbe ein festliches Gewand angelegt
hatte. Guirlanden von Eichenlaub,
daS allerdings in der Sonnengluth seine
frische, grüne Farbe vollständig Der
loten und dafür eine welkgraue Tönung
angenommen hatte, waren quer über
die Straße gespannt; Fahnen und
Fähnchen hingen, von keinem Lustzug
bewegt, schlaff um ihren Stangen von
den Dachfirsten und aus den Fenstern
herab. Und dort wo die Straße sich
verbreiterte, erhob sich ein seltsames,
rundbogenartiges, mit Laubmerk und
Fahnen dekorirtes Gestell, in dessen
Mitte in schwarzen Lettern aus weißem
Grunde ein .Hoch die tapfern
Schützen I' prangte. Das Ganze sollte
wohl für eine Ehrenpforte gelten.
Und so still wie vor der Stadt war
eS auch in ihr. Noch war der Wände
rer leirnm Menschen wenigstens kei
nem erwachsenen begegnet. Nur
ein paar Kinder, Knaben und Mädchen,
die aus einer Steintreppe hockten, hat
ten bei seinem Anblick die himmelblauen
Augen weit aufgerissen und karrten
ihm dann, den Zeigefinger im Munde,
unverwandt nach. Und dort, aus der
Holzbank vor einem gelbgeftrichenen
Hause mit grünen Fensterladen, sag im
zerschlissenen Schlafrock, eine schwarz-
seidene Schirmmütze aus dem dünw
haarigen Kopf, ein alter Mann und
hielt eine lange Pseise im zaynioien
Munde, der er mit einiger Anstrengung
schwache, graue Rauchwölkchen entlockte.
Der Fremde schien er, ohne von
ihm Notiz zu nehmen, an ihm vorüber
gehen zu wollen, dann aber machte er
eine Schwenkung und trat auf ihn zu:
.Na, Vater Hammer, heute nicht aus
dem Schützenplatz?"
Der alte Mann navm mn zittriger
Hand langsam die Pfeife au dem
Munde, hob daS gerunzelte, welke Ge
ficht zu dem vor ihm Stehenden etwa
auf und blinzelte ihn mit trüben Augen
an. Ja, wer ist denn da? Er konnte
sich doch nicht besinnen.
Und dann glitt e,n tchelmendastes
Lächeln über sein Gesicht. Ich muß
da Hau verwahren die andern
sind alle fort alle die alten Beine
wollen nicht mehr recht im vorigen
Jahr da da habe ich noch getanzt
aber letzt.... aber wer nnd denn
Sie?'
.Ein alter Bekannter, Vater. Ham
mer. WrtiBen sie mir oen ernna).
Guten benb !'
Er klopfte ihm leicht auf die gebückte
Schulter und ging mit leisem Lachen
weiter, mährend der alte Mann fort
während an der Mütze rückte. Wer
mochte denn da nur gewesen sein.
der ihn und seinen Heinrich kannte.
und den e gesehen zu haben, er sich
doch absolut nicht besinnen konnte? Aber
die Pseife, die mittlerweile erloschen
war und deren Wiederinbrandsetzung
letzt seine aanu Ausmerksamkeit m An
spruch nahm, erlaubte ihm nicht, weiter
öder den .alten Bekannten" nachzuden
len.
Der hatte unterdeß seinen Weg fort
gesetzt, bald hier, bald da an einem
Hause hinaussehend, leise vor fich hin
murmelnd und mit den Händen ge
ftikulirend. so daß n durch diese Ge
bahren allein schon die Ausmerksamkeit
der Finkenselder auf sich gezogen habe
würde, wenn sie ihn so hatten sehen
können.
Jktzt war er am Ende der Straße;
noch iniae ärmlich Hütten und Bor
welkscheunen und da freie Land drei
tete sich wieder vor ihm au, am Hori
zont umsäumt von dunklen Heidelmien,
üderblaut vom wolkenloser, Himmel,
durchglüht von der Nachmittagssonne.
äonntagsgast,
Beilage zum Nebraöka Ttaatsnzeiger.
Da, wo der Weg nach recht einen Knick
machte, erhoben fich in ziemlicher Ent
fernung lustige, bewimpelte Zelte; rie
ftge Staubmolken ballten sich von hier
au gegen die Sonne auf, und ein
dumpfer, viellautiger Lärm: Lachen
und Rufen und Kreischen und Kinder
gejauchze, untermischt mit den Tönen
schmetternder Blechmusik und durchein
anderspielender Drehorgeln, sowie dem
helle Rollen der Gewehrschüsse, tönte
zu dem Fremden hinüber. Zur Linken
aber, von einer kleinen Bodenanschmel
lung herab, winkten aus dichtem Grün
die Kreuze und Denksteine des Fried
hose.
Und dahin lenkte der Mann seine
Schritte.
Räch einigen Minuten stand er vor
dem in die Kalksteinmauer eingefüg
ten hölzernen Gatter. Er drückte auf
die vom Rost zerfressene eiserne Klinke
und schritt dann langsam den Mittel
weg herauf. Die hohen Trauermei
den und schlanken Silberpappeln inil
derten hier ttwas die Hitze. Die Flie,
der war schon abgeblüht und vertrock
net; aber die Rosen standen noch in
voller Pracht und dufteten berauschend;
sie gaben dem kleinen Friedhof mit
seinen schlichten Gräberreihen ein fast
fardensreudigeS Aussehen. Surrende
Käfer und leuchtende Schmetterlinge
schmirrten wie trunken im flimmernden
Aether umher, und mitunter fuhr ein
leichtes, heißes Lüftchen durch das
Baumgczweig. daß es flüsternd und
nickend zu ammenrauschte.
Zur Rechten und Linken des Weges
im Wechsel eingesunkene, halbzerfallene
und noch gut erhaltene Grabdllgel mit
Holz- und S reinkreuzen und Porzellan-
taseln, Generationen von Flnkenfeb
dern schliefen hier den ewigen Schlaf
Männer, Frauen und Kinder. Auch
seine, des Wanderers, Eltern hielten
hier Rast von ihrer Erdenmanderung.
Nutzlos übrigens, ihre Gräber zu
suchen, die kein Stein und kein Kreuz
kennzeichnete und die gewiß schon längst
erlallen waren. War er doch damals.
als er am frischen Grabe der Mutter
stand den Butter hatte er kaum ge,
tannt bettelarm gewesen, ein junger
Bursch, der bald daraus sein Bündel
schnürrte und in die weite Welt hinaus
wanderte.
Ja! die weite Welt! Nach der stand
ihm ja schon immer der Sinn in den
Knabeniahren. Seine Phantasie aau-
kelte ihm ferne, fremde Länder vor, wo
die heiße Sonne seltsame Menschen und
Pflanzen und Thiere reifte. Finkenfelde
war ihm zu enge und seine Menschen zu
nacgtern.
Und er sah die fernen, fremden Lä,
der. Die Tropensonne brannte seine
Haut zu kupferem Braun : er trieb sich
unter den wechselnden Verhältnissen in
allen Breiten umher, bi er endlich in
Braftlien festen Fuß faßte. Auf seinen
Irrfahrten hatte er sich auch das dumme.
deutsche Gewissen abgewöhnt, und ward
erschlagen und rücksichtslos wie die
Landeskinder. Er hatte Glück mit sei,
nen Unternehmungen, und über den
Lon Frederica Bernardo hatte er selbst
nach und nach den einstigen Friedrich
Bernhart, Sohn de armseligen Flick
schufters und Nachtwächters August
Bernhardt au Finkenfelde, vergessen.
Die Ländereien feiner Hacienda um
faßten schließlich einen größeren Flä
cheninhalt, als der ganze Kreis Finken
felde auswies.
Bi er so weit war, waren freilich
viele Jahre verflossen. Er war in fei
nem Denken, in seinen Sitten und Ge
wohnheiten völlig ein Sohn des Landes
geworden, da er fich zur zweiten Hei
math erwählt hatte.
Aber dann kam plötzlich eine Zeit, iru
e ihm vorkam, al dörre ihm die Sonne
Brasilien da Mark aus, als wäre die
stolzeste Palme doch nur ein armseliger
Baum gegen eine deutsche Tanne, wo
ihm in der Erinnerung daS Finkensel
der .Messingsch" Musik dünkte gegen
die harten spanischen Kehllaute, wo ihn
da Heimweh packte wie mit glühenden
Zangen....
Und nun fitzt er auf einem unkraut
überwucherten, eingesunkenen Grabhü
gel an der Kirchhossmauer und schaut
von hier au mit weitem, träumerischem
Blick in daS Land hinaus. In diese
karge Land, da nicht hergab, was ihm
nicht in harter, unverdrossener Arbeit
abgerungen worden war. Weithin
dehnten sich gegen den von dunklen Heide
liiüen umsäumten Horizont die wo
genden Kornfelder, die gelben Raps
und grünen Kartoffelfelder. Und weit
darüber der blaue Himmel, an dem die
Sonne schon hoch stand. So still war
e um ihn; nur windverwehke Glocken
klänge au weiter Ferne und der ge
dämpfte Lärm vom Echützenplatze her.
Ein leise Lüftchen hatte fich erhoben und
trug den Dust der Rosen u ihm her
über. Und er träumte fich rückwärts in
die Bergangen deit.
Wegmüde war er und wonnig die
Rast. Bei allem, wa er erreicht, bei
allem Reichthum, den er besaß, dünkte
ihm, er wäre doch arm geblieben, so
arm wie damals, al er auszog, das
Glück zu suchen. Frauenliebe hatte ihm
nimmer geblüht, und fröhliche Kinder
hatten nicht seine Knie umspielt. Er
beneidete fast die, die da drüben auf
dem Schützenplatze sich harmloser Freude
hingeben konnten, den biederen Finken,
selber Handwerksmeister, der mit seiner
Schützenjoppe einen anderen Menschen
anzog. Wäre er hier geblieben, er
würde vielleicht auch einmal Schützen,
iönig geworden sein. Und er lächelte
nicht einmal bei diesem Gedanken.
So saß er, den Kopf in die Hand
gestützt, den breitrandigen Strohhat
neben sich aus dem Boden. Lange,
lange.
Dann sah er auf. Drüben am Hori,
zont tauchte der Gluthdall der Sonne
unter, mit feurigen Strahlen die Wäl
der und Felder überflammend.
Die rothe Gluth verblaßte allmählich
zu rosigen und violetten Tinten; der
laue Wind kam stärker von den Feldern
herüber, Abendfrieden senkte fich über
die erschlaffte, nun wieder auflebende
Natur.
Und da erhob er fich und schritt lang.
fam durch den hereindämmernden Abend
dem Ausgange des Kirchhofes zu. Er
hatte noch eine gute halbe Stunde Zeit
b,s zur Ankunst des Berliner Schnell
zuge.
Als fich die Lattenthllr der Kirch,
Hofspforte kreischend in den Angeln
drehte, sah er noch einmal zurück und
winkte mit der Hand gegen die kleine
Graderitadt: ein Gruß de Lebenden
an die Todten, zugleich ein Scheidegruß
für immer an die Heimath. Nun, er
fühlte es, würde er leichter sterben da
drüben
Die Tochter des Rajalz.
Sin Abenleuer in Indien.
.Ich sage Ihnen. Herr Oberst, daß
wir schon auf seiner Fährte sind. Blicken
sie aus die zerknitterten Zweige, au
die gewaltigen Tatzenabdrücke am Boden
und überzeugen Sie sich, daß der Zwan,
Zigste Ihrer Kugel nicht entgehen kann.'
o sprach ein junger, in englische Cfn
ciersunisorm gekleideter Mann zu sei,
nem Borgesetzten, dem Obersten Tb,
maS Gray, dessen kalte, bedächtige
Blicke mit Wohlmollen an seinen Zügen
hafteten.
Sie befanden fich in einem dichten
Dschungel in der Nähe der nordindischen
Stadt Laknau, wo gerade die letzten
Zuckungen des Sipahis Aufstand
unterdrückt wurden jetzt wurde ein
dumpfes Brüllen vernehmbar und vor
ihnen zeigte sich ein mächtiger Königs-
tiger. .
.Ein schöner Geselle.' sagte der
Ober kaltblütig, Harr, mein Junge.
der Zwanzigste wird doch der schönste in
meiner Sammlung sein!"
Schon eckte die Bestie die elastischen
Glieder und machte fich zum Sprunge
bereit, schon zielte der Oberst mit dem
ganzen Phlegma eines erprobten IS
gers. da ertönte ein eigenthümlicher
PNss und die Beiden sahen mit höchstem
Erstaunen, wie der Tiger seinen geöff
neten Rachen schloß und demüthig zu
den Füßen eine jungen Mädchens
kroch, das in der grünen Umrahmung
des Gebüsche erschienen war. Die
malerische Tracht der indischen Frauen
umschloß die hohe, üppige Gestalt der
Neuangekommenen, die schwarzer. Haare
ringellen sich unmuthig über den un-
merklich gebräunten Hai und in den
Augen strahlte ein solcher Ausdruck von
Seelengröße und Schwermuth, daß dem
armen Harro das Herz hestiger zu
pochen begann.
Während der so plötzlich gezähmte
Tiger ihre Hände leckte und fich an ihre
Füße schmiegte, wie es nur die schmeich
lcrische Hauskatze thut, sprach sie im
reinsten Englisch, wa je an den Ufern
der Themse gesprochen wurde: .Ich be
daure sehr, Herr Oberst, daß ich Ihrer
Kugel den Zwanzigsten entziehen muß.
aber wie Sie sehen, ist er mein Schatz-
Hirn und Sie werden yonenilich die
sprichwörtliche Artigkeit Alt-Englands
Nicht verleugnen, indem Sie ihn tödten." j
.Ader wer find Sie. fragte der
Oberst erstaunt, .wie Sie un hier wie
eine Zauberprinzesfin erscheinen, der so
gar die wilden Thiere huldigen?'
Ich bin die Tochter eines unab
hängigen Rajah de Bundelkund'."
erwiderte dieJniierin mit edlem Stolze;
mein aler nel aus dem schiochlsetde. i
Mich treibt der verhaßt Anblick Eurer
Eisenbahnen, Eurer Cultur in die
Dschungeln, wa ich mich auf nnabdön
gigem Boden fühle und Sing ist bei
diesen Streiizügen mein treuer Wächter
und Begleiter. Und da Sie durch seine
Schonung mich zum Dank derogichtet
haben, will ich Ihnen eine Warnung
o. 21.
zukommen lassen, die .ich als Vaterland
liebende Jndierin nicht auifprechen
sollte; e reifen in dieser Gegend be
waffnete Sipahiöbanden herum und
zwei englische Offiziere wären für sie
eine willkommene Beule. . . .
Kaum war jedoch ihr letzte Wort
erklungen, als einige sonnengebräunte
Gestalten aus dem Gebüsche hervor stürz,
ten; ehe die beiden Engländer die Ge
ehre erheben konnten, wurden fit ge
fesselt in das Dickicht des Waldes ge
schleppt.
In einem halbverfallenen Bungalow,
dessen Mauertrümmer romantisch vom
Mond versilbert wurden, brannte ein
großes loderndes Feuer, um daS die
Hindu in malerischen Gruppen gelagert
waren; e doppelten Strahlen des
Feuer und des MondeS spiegelten sich
in den blanken Gewehrlüusen, warfen
unzählige Refleze auf die hohen Bäume,
die ihre Zweige über der Lagerstätte
neigten. In einer dunklen Ecke, die von
dem Lichte verschont wurde, lagen zwei
gefesselte Männer; während jedoch der
Eine gemüthlich schlief und die ebenfalls
ruhenden Vögel durch die SSgetöne fei
ne Schnürchens verscheuchte, theilte der
Andere offenbar nicht die glückliche Ge
müthsruhe seines Geführten, sondern
blickte sinnend zum Himmel empor.
Als er so träumte, sühlte er. wie
plötzlich eine zarte Hand seine Fesseln
löste, er hörte, wie eine sanste Stimme
flüsterte: .Zwei Pferde stehen gesattelt
am Rande der Lichtung, schleichen Sie
sich bis zu ihnen und reiten Sie dann
im Galopp au dem Dschungel den
ken Sie manchmal an die Tochter des
Rajah, die durch Sie zur Verrätherin
an ihren Landsleuten geworden ist.'
Nach diesen Worten wollte sich die ge
heimnißvolle Retterin entfernen, doch
schon hatten die Arme deö Jüngling sie
umschlungen, schon brannte ein heißer,
verzehrender Kuß auf ihren Wangen
so verrann eine Minute in seliger Um
armung. denn die Liebe ist dieselbe in
den Salon der Großstadt, wie in der
Wildniß de Dschungels. .Auf Wie
dersehen!"' rief ihr noch der wonnetrun
kene Harry zu. dann löste er die Bande
seines Gefährten und schlich sich, nach
dem er ihn über das Geschehen unter
richtet hatte, aus dem Bungalow zu dem
Ort, wo die Pferde standen. Dann
schwangen sie sich In den Sattel und
sprengten davon.
Rasch ritten die beiden Offiziere in
der Richtung nach Laknau, als sie zu
ihrem größten Erstaunen Trommelwir
bel vernahmen und zahlreiche Bajonette
glänzen sahen. ES war dies eine Ab
tbeilung, die zu ihrem Aussuchen abge
schickt wurde, und die sie mit lauten
Hurrahrufen empfing. .Oberst", sagte
Harry, unsere erste Pflicht ist, das Re
bellenneft aufzusuchen und die Hindus
gesungen zu nehmen, die vielleicht un
sere edle Retterin bedrohen.
.Ae.' antwortete lakonisch Sir
Thoma Gray und bald war die ganze
Truppe am Ziel.
Während die Soldaten sich im Um
kreis zerstreuten und den Bunzalow
umzüngelten. konnten die beiden Orn,
ziere die Scene beobachten, die sich in
einem Innern ab pielte.
Bor dem Feuer stand ausrecht an
einem Baum gebunden eine hohe und
stolze Mädchengeftalt. die Tochter des
Rajah; die Hindus bildeten eine Gruppe
um ne herum, aS der ein Mann her.
vortrat und folgende Worte sprach:
Du haft also di Feinde unseres Vater-
landeS befreit. Du haft, nicht eingedenk
der Heldenthaten Deine BaterS ihnen
verrätberisch den Weg zur Freiheit ge.
bahnt?'
.Ja, antwortete eine stolze harmo.
nische Stimme, die im Herzen Harry's
tausend Saiten miterklinen ließ, ich
gäbe sie desreit, weil ich einen von ihnen
liebte ich war eine Berrälherin und
will es büßen.'
Du sollst rt," sagte der Hindu,
möge da heilige Feuer diese unmür
dige Seele reinigen und zu Brahmas
throne entschwebe lassen; möge "
3od) er konnte seine Rede nicht endi
gen, eint sllrchterliche Kewehrsalve er
schüttelte den Dschungel bi in sein
Innerstes und zugleich zeigten sich
überall die glänzenden Bajonnette der
engl schen Soldaten. Ergebet Euch,
Schurken.' schrie Harry. der mit ge
zücktem Säbel unter die Hindu stürzte
und fich di zu dem gtseffellen Mäd
chen Bahn brach, das n in seine A,me
schloß.
Einige Monate nach den hier erzähl
ten Ereignissen wurden die Bewohner
Laknau durch ein seltsame Schauspiel
überrascht; in einer von prachtvolle
Schimmeln gezogenen (quipdu. saß
Harry S , der dem Dienste ent'agl
hatte, und an seiner Seite lehnte ein
reizende, classisch sazö. Mädchen,
'eine Braut, di Tochter de Rajah
Wa jedoch da Erstaun n der Zuschau,r
zum Gipjelpunlt steigerte, war ei
prachtvoller Tiger, der gleich eine
Katze fich an ihre Füße schmiegte und sie
mit verständigen, keineswegs blntgieri
gen Augen betrachtete.
.Oberst," sagte fie zu dem ihr gegen
über sitzenden ehrenmerthen Nimrod
Thoma Gray, indem ein boshafte
Lächeln ihre Rosenlippen umspielte, ist
eS für Sie nicht demüthigend, in
friedlicher Nachbarschasl mit einem Ihrer
Versolgten ,u fitzen?"
.Ach. Miß.' antwortete Sir Gray.
dessen steife Gesicht eine ungewöhnliche
Freundlichkeit belebte, dieser Zwan
zigfte ist für mich verehrungswürdig,
da er meinem Harry eine so reizend
Braut verschafft hat.'
in pshlnd Legitimati.
Ein in Bueno Ayre ansässiger
Deutscher schreibt der .Kölnische
Bolkszeilung": .Hier in Argentinie
wird Jeder, der aus einem fremd
Lande hierher kommt und somit al
Einwanderer angesehen wird, auf sei
Verlangen auf Staatskosten nach jede
beliebigen Punkte der Republik desör
dert, was, nebenbei bemerkt, vielfach
von Reisenden, die, von Europa kom
mend, noch Chili wollen, dahin ausge
beutet w,rd, sich auf diese Weise per
Bahn bis nach der Stadt Mendoz
fahren zu lassen, fich dann erst an dem
dortigen guten Weine für die bevor
stehenden Strapazen etwas zu stärke,
um darauf in ein paar Tagen gemüth
lich über die Eordilleren nach Ehilt zu
klettern. Nur wird zur Gewährung
der freien Beförderung die Vorzeigung
einer Art Paß oder sonstiger Legiti
Maiion verlangt, womit es aber nicht
sonderlich genau genommen wird. 6
bat mich vor einigen Tagen ein frisch
angekommener junger Deutscher, der
auch in' Innere wollte, als Dolmetscher
mit ihm zum Einwanderungs-Burea
zu gehen. Auf seine Frage nach seine
Passe antwortete er etwa verlegen,
habe keinen, brachte dann aber auji
meine Erwiderung, irgend ein Papier
thue es auch, ein in holländischer Sprache
abgefaßte und mit vielen Siegeln und
Stempeln versehenes Schriftstück zu
Borschein, ausweislich dessen er t
Holland, wo er längere Zrt auf dr
Walze gewesen, wegen Mittellosigkeit
und Landftreicherei", wie es darin hieß,
per Schub über die Grenze spedirt
worden war. Jedes Mal, wo der
Gendarm ihn abgeliefert, war ein Ber
merk mit einem mächtigen Ortsftegek
daneben gemacht worden, und dies Va
Pier war au Versehen in seinen Hände
geblieben. Damit zogen wir wohl,
muth nach dem Bureau. Der argen
tinische Beamte nahm das merkmürdifje
okument in die Hand, ftudute dari
herum, verstand natürlich kein Wort
davon, wa er fich indessen nicht merke
lassen wollte, und fragte mich schließ
lich, nach längerem Betrachten der
vielen großen Siegel,, die ihm äugen
scheiniich zu imponiren schienen, und
mehrfachen Blicken auf meinen jeM
übrigen ganz anständig gekleidete
Hendwerksdurschen, ob es nicht ange
me cn et, eine solche Persönlichkeit aus
nahmsweife erster Klasse zu beförder.
wa ich natürlich bejahte. Aber Auge
hat der Landsmann gemacht, wie ich,
ihm nachher draußen erklärte, was für
Heil ihm widerfahren."
Ei ergötzlich pisod.
Au dem Dorfe Mühlbera im Land
kreise Ersurt wird Folgendes gemeldet
Vier junge Leute aus Erfurt bestiege,
nachdem sie fich zuvor im DorfmirthS
Haus gestärkt, den die Trümmer der
Burg Gleichen tragenden Hügel. Oren
angekommen, versenkten sich die Jüng
linge schleunigst in die mittelalterliche
Vergangenheit deS SteingetrümmerS,
fie dünkten fich schließlich selbst al, rie
ftge Ritter und einer der Vier schrie,
wie weiland Don Ouixote, ine Heraus
sorderung zum Kampf an die alle
ritterlichen Beherrscher der Burg übn
den Platz. Diesen Slreitruf vernahm
aber der Förster W., welcher juft in de
noch benutzten Burgkellec zu thun hatte,
und sofort brüllteer mit Donnerstimme,
die an den Gewölben brausend wieder
ballte: Kurt, reiche mir daS Schwerts
Ich komme!" Das war zu viel für die
vier Helden. In rufendem Laufe saufte
sie den steilen Bergabbang hinab, ver
folgt von dem tosenden Gelächter deS
Försters und seiner Gehilfen. S en
dete der Fehdezug der modernen Reift
gen gegen die Geister der Ritter vo
Mühlderg.
Kapital nnd Arbeit.
Lernbegieriger Wirth (zu einem Stu
denten): Sie ftudiren, wie ich höre.
National-Oetonomie. Ich inlerejftre
mich auch dafür, finde e aber sehr
schwer, die Sache zu begreifen. Ich
habe, zum Beispiel, keine Adnung. a
man unter .Kapital und Arbeit" ver
steht!"
Studiosus: .Da ist doch sehr
fach! Nebmen wir an. Sie pumpen
mir 500 Mark; da ist .Kapital". Ich
bade Zhnen versprochen, Ihnen die 5(K
Mari nach 3 Äonalen zurückzuzable.
Sie kommen, um Ihr Geld zu erhalten.
ein zwei, drei bi chnmal zu mir
aber immer vergaben!
Wirtd (verdluisl): .Ah. ich versteht:
das ist .Arbeit" I"
Sackn schkzik.
.Lieschen. D,in Vetter külit Tick
denn doch zu oft!"
.Aber ich bitte Dich, ich hab' ibm er?
neulich wieder gesagt, daß ich m'ch
nur al Eousine küssen lasse I"