Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 03, 1896, Image 10

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    Im Badeort.
Koorttftlf doii Konrod 3 ( 1 1 ni o 11 n.
Dr .Rath" war in dem kleinen
Badeort entschiede die hervorragendste
Persönlichkeit. Alle behandelten ihn
im Kurhaus mit dem gleichen, etwas
scheuen Respekt, an den er auch durch
aus gewöhnt zu sein schien und den
seine kühle Zugckndostheit gerade her
ausforderte. Er h'.e in seiner steiscn
Wurde etwa, als ob er die Anderen
ar nickt säbe. ohne die Formen außer
licher Höflichkeit ganz zu mißachten, eine
gekünstelte Unnahbarkeit vereinsamte
ihn. Wa siir ein Rath" er eigentlich
war. wußte fast Niemand, man mun
kelle aber etwas vom Ministerium, von
nklakreicker fiofflelluna in einem llei
nen Fulftenthum; der Kurort war stolz
uf ihn, und den Nenamommenllkn
wurde der Rath" als Sehensmilrdig.
keit in Ermangelung anderer gezeigt.
An der Mittagstafel saß er obenan
und unterhielt sich mit Niemand, Kei
ner wagte ihn anzureden, denn der
Rath sah verdrossen und ablehnend zu
gleich aus. Irgendwer wollte wissen,
daß er Unglück in der Familie habe.
Sein einziger Sohn wolle nicht gut
thun, aus der Carriere springen, die
ihn ,um präoestinirten Nachfolger seines
Vaters in Amt und Würden stempelte,
eine unpassende Heiraih eingehen
kurz: es sei ein Kreuz und gar kein
Wunder, daß der Kummer und Aerger
dem Rath ein Gallenleiden zugezogen
habe, von dem er hier um Heilung
suche. Seit diesen Eröffnungen bc
trachtete man den Rath nur mit schllch
lerner Ehrfurcht.
Nur die Dame, die seit einigen Tagen
den Platz zu seiner Linken an der Tafel
inne hatte, schien sich plötzlich ein Herz
gefaßt zu haben, denn man erlebte es.
daß sie den Rath, der ihr mit stummer
Höflichkeit eine Schüssel reichte, plötzlich
einmal anredete die ganze Tafel war
des Staunens voll , und das Un
glaublichere, daß er auch antwortete.
Kurz und gemessen, das erstand sich
von selbst, aber er antwortete ihr.
Und trotz des kühlen Befremdens, das die
Zuniichftsttzenden ganz deutlich aus sei
nen Worten wollten hervorklingen hören,
ließ sich die Dame nicht abschrecken, das
Gespräch fortzusetzen. Die Dame that
noch so, als sei gar nichts Besondere
dabei, sondern plauderte ohne jede Be
flissenheit oder das zur Schau getragene
Bewußtsein, etwas Großes und Bedeu
tungsvolles zu thun, so harmlos und
munter, als sei sie nie etwas anderes
gewohnt gewesen, als sich mit Mini
sterialrathen oder was der Distin
guirte" nun war, über das Wetter und
die Spaziergünqe des Badeörtchms zu
unterhalten. Es war stark, es erregte
eine gewisse Indignation an der Tafel.
Denn wer war sie, diese Dame? Man
wußte gar nichts von ihr, sie hatte über
Haupt gar keinen Titel. Frau Cranz"
stand im Fremdenbuch. So konnte
jede heißen. Wenn sie was gewesen"
wäre, hätte sie es sicherlich nicht er
schmiegen. Frau Cranz! das konnte
die Frau eines kleinen Kramwaaren
Händlers sein, wer wußte das? Und
die wagte es, den Rath" anzureden
wie Ihresgleichen, wie einen Kunden
or dem Ladentisch! Und der Rath
nahm das merkwürdiger Weise nicht
einmal übel auf.
Diese Seelengröße, dieser wahrhaft
vornehme Takt schufen ihm noch mehr
Bewunderer, als er ohnehin gehabt
hatte. Als er beim Deffcrt sich von der
Tafel erhob, verneigte er sich sogar vor
Frau Cranz. Er war eben Weltmann.
Und sie nein, wahrhastig, sie er
röthete nicht einmal, sie lächelte ganz
zutraulich und grüßte mit einer Kops
Neigung. Von da an war Frau Cranz
gerichtet, man mied sie, man begann sie
zu hassen. Die compromittirte foju
sagen den Kurort. Und nicht etwa, daß
sie am nächsten Tage ihre Impertinenz
bereut und durch andächtiges Schweigen
ach Möglichkeit wieder gut gemacht
hätte, keine Rede davon, im Gegen
theil: diese Frau unterhielt sich nur noch
lebhaster mit dem Rath, als Tags zu
or, ungeachtet aller drohenden Mrenen,
alle! Rausperns und Augenverdrehens
der Umsitzenden. Und der Rath ließ
sich das gefallen. Er hatte zwar eine
eigene Art, Frau Cranz nicht anzu
sehen, während er sprach, und gab seine
höflich-formelle Gemessenheit, die ihm
längst in Fleisch und Blut llbergegan
gen, nicht auf, aber von einer Abwei
sung der lästigen Schwatzbase merkte
man nichts. Ja, man mußte in den
nächsten Tagen sogar erleben, daß der
Rath mit Frau Cranz auch außerhalb
der Kurhaus-Table d'hote sprach, sei'S
am Brunnen, sei's auf der Promenade
ja. daß sie schließlich sogar Nachmit
tags gemeinsame Spaziergänge nach den
Üblichen Kaffee stationen und zu den
Waldaussichten machten. Das gab eine
förmliche Revolution unter der Kurge
sellschast. Gegen sie richtete sich der all
gemeine Groll, nicht etwa gegen den
Rath, der ja nur als ein Opfer seiner
weltmännischen öuortoisie gelten konnte,
die ihm keine Wahl gelassen hatte.
Tiefe aufdringliche Parvmue mußte
eine empfindliche Strafe treffen. Die
ganze Kurgefellschaft brütete Rache.
Vn Allem beschloß man, Erkundi
gungen über sie einzugehen. Wer war
sie , WaS trieb sie? Man ar gar nicht
im Zweifel darüber, daß man compro
mittuend Dinge Über sie in Erfahrung
dringen wer. Tiefe dann dem Rath
in geeigneter Weise beibringen, ihn zum
lvsoitigen schroffen Abbruch seiner Be
Ziehungen zu Frau Cranz veran
lassen und diese dadurch zwingen, unter
allgemeiner Berachtung niit Schimps
und Schande den Kurort zu verlassen
das war so ungefähr da Leitmotiv siir
den im Stillen geschmiedeten Rachcplan.
Nach allen Seilen hin flogen die Briefe
um Auskunft über Frau Cranz. Jn
zwischen begnügte man sich damit, sie
durch Blicke zu tödten. durch Tuscheln
und vielsagendes Anstoßen mit den
Ellenbogen zu beschämen, ohne aber
nennenswerthe Resultate dadurch zu er
zielen.
Diese Frau hatte eine eiserne Stirn.
?lmmer intimer schien ihr Umgang niit
dem Rath zu werden, man sah die
beiden eigentlich den ganzen Tag tu
sammen. Es war nachgerade ein Skan-
dal.
Der Rath selber wunderte sich im
Stillen über den wachsenden Einfluß,
den diese Frau auf ihn ausübte. Er
war leidend, verbittert und in men
schenfeindlichster Stimmung hierher
gekommen. Und nun fühlte er sich
nicht nur körperlich von Tag zu Tag
wohler, dank dem heilkräftigen Brun
nen, sondern auch innerlich um so viel
befriedigter und weltfrcundlicher. wei
cher und milder, daß er aus dem Er
staunen über sich selber nicht heraus
kam. Er konnte kaum darüber zwei
feln, daß diese merkwürdige Frau an
dem allen die Schuld trug. Sie lachte
ihm seine Grillen sort, sie verscheuchte
ihm durch munteres, geistvolles, ange
regtes Geplauder die sorgenvollen und
trüben GcdankkN. Sie hatte eine be
sonders feine Art, das Leben zu neh
men, wie es war, und jedem Ding die
beste Seite abzugewinnen. Manchmal
erinnerte sie ihn darin an eine Gestalt
aus ferner, ferner Jugendzeit. Viel
leicht trug auch das ein wenig dazu bei,
ihm den Umgang mit ihr so sympathisch
zu machen und diesem Umgang einen so
weitgehenden Einfluß auf sich einzu
räumen. Mit der Zeit konnte er diesen
Umgang gar nicht mehr entbehren und
wurde er dieser Frau gegenüber s er
trauen öselig und offenherzig, wie es
seine Art sonst nicht war. Es drängte
ihn darnach, es zwang ihn dazu. Und
auch er fragte sich manchmal im Stil
len, gerade wie die ganze Kurgesell
schast des Oertchens: wer sie wohl
eigentlich sein mag? Daß sie die Frau
eines Beamten war, soviel halte sie ihn
errathen lassen, und das nahm ihn na
türlich besonders sür sie ein. Durch die
Vielseitigkeit ihrer Jiiteressen und durch
ihre Weltkcnniniß, sowie durch die
Fülle ihrer Bekanntschaften in allen Le
bens und Berufskreisen fiel sie ihni
aber auf's Vorlheilhafteste unter allen
Beamtenfrauen aus, die ihm je begcg
net waren. Und reizvoller als Alle war
sie trotz ihrer fünfzig Jahre, die sie ja
wohl zählen mochte, sicherlich.
Eims Tages konnte er endlich nicht
mehr umhin, seiner Freundin den
schweren Kummer seines Lebens zu er
öffnen, denselben, der ihn krank gemacht
hatte und ihm sein einsames Alter er
bitterte. Er war Wittwer, hatte nur
einen einzigen Sohn, einen prächtigen,
lebensvollen, reichtalentirten Burschen,
der eS glücklich in ungewöhnlich jungen
Jahren schon bis zum Assessor gebracht
hatte und Gott weiß wie weit bringen
würde mit seinem Wiffen und seiner
Begabung. Und dieser Sohn hatte
plötzlich die Caprice bekommen, es stecke
ein Dichter in ihm, wollte umsatteln,
sich nahe einer lebenslangen, ehrenvol
len Versorgung, wie er war, auf's
uferlose Meer hinauswagen, allen Tra
ditionen des Hauses und Namens Hohn
sprechen. Und das war noch nicht
einmal alles! Er hatte auch noch ein
Liebesverhältnis; mit einer kleinen
Schauspielerin, einer ganz unbedeu
tenden Person, wie es schien, und wollte
die sogar heirathen. Tollheit über Toll
heit ! Ihm, dem Vater, der auf diesen
Sohn alle ZukunstShoffnungen seines
Lebens gegründet halte, war's geradezu
ein Todesstoß. Es hatte ihn krank ge
macht, es würde ihn nie wieder genesen
lassen. Und Victor war ein Starrkops,
ihn auf den rechten Weg zurückzuführen,
wenig Aussicht. Das Frauenzimmer,
dem er die Ehe versprochen, würde ihn
natürlich nicht wieder loslassen es
war eine verzweifelte Geschichte.
Frau Cranz hörte das alles es
war am Waldrand auf einer Ruhebank,
und das Thal lag im Abendfrieden zu
ihren Füßen mit an, hin und wieder
leise lächelnd, aber ohne den Rath mit
einem Wort zu unterbrechen. Nun,
nach einem kleinen Stillschweigen, fragte
sie mit eigenartiger Betonung: Und
Sie, Herr Rath, haben Sie in Ihrer
Jugend wohl niemals ähnliche Streiche
gemacht oder, besser gesagt, sind nie zu
ähnlichen Seitensprüngen geneigt ge
wescn, nicht wahr? Ich frage das bloß
verzeihen Sie weil ich eine An
hängerin der Vererbungstheorie bin.
Und da ist es doch merkwllidig, wie
solch' ein fremder Tropfen in so solides
Beamtendlut hineingeräth."
Rath Hillmann war bei diesen Wor
ten etwas unruhig auf der Bank hin
und hergerückt, hatte seiner Nachbarin
einen unruhigen Seitenblick zugeworfen
und war dann in eine merkwürdig sin
nende, träumerische Stimmung der
fallen. Nein." hatte er erst sagen
wollen, fügte dann aber nicht ganz ohne
Verlegenheit hinzu: .Das heißt nun
ja, sehen Sie, verehrte Freundin, man
ist ja auch einmal jung gewesen. Man
hat ja wohl auch einmal Verse gemacht,
man hat sogar von sich eine Zeitlang
geglaubt, man könne zu etwas Be
sondere bringen, lieber Gott, ja.
Ader man hörte auf vernünftigen fiter
lichen Rath und lernte sich bescheiden"
er seuszte ganz leise, eS musste eben
sein. Und schließlich man ist ja ich!
daran zu Grunde gegangen," setzte er
mit cinem gewissen melancholische
Lächeln hinzu.
.Rein," sagte Frau Cranz und
lächelte ganz in ähnlicher Art. Sie
hatten aber auch wohl keine Liebschaft
im Genre ihres Herrn Sohnes, Hen
Rath? Und das ist doch wohl das er
schwerendfte dabei !"
Diesmal kam Rath Hillmann's Ant
wort noch zögernder heraus und lautete
och unbestimmter: Ich? Oh, das
heißt, ich hatte, wie das bei jungen dich
krisch beanlagten Leuten ja immer so
ist, eine große Vorliebe für's Theater,
ich lernte da auch wohl die eine oder
andere Künstlerin der Bühne kennen,
gewiß, ja das geht ja so. Aber
wollen wir jetzt nicht lieber weitergehen,
gnädige Frau? Es könnte Ihnen zu
kühl werden, sürcht' ich."
Nein, bitte, bleiben wir doch," fiel
sie ein. Dieser linde Sommerabend
ist ja wundervoll. Und offen gestan
den ich bin etwas neugierig geworden.
Ich möchte mehr wiffen. Ich selber habe
einen Einblick in das Leben mancher
Bühnenkünstlerin gehabt, und ungesahr
müssen wir beide ja wohl zur selben
Zeit jung gewesen fein, Herr Rath.
Sie waren damals in Magdeburg? Ich
kenne Magdeburg. Lassen Sie einmal
hören! Welche von der damalige
Thcaterheldiniien hatte es Ihnen denn
angethan? Ich finde, Sie können sich
jetzt sehr ruhig darüber aussprechen.
Die Dame muß weiße Haare haben und
ist wahrscheinlich Großmutter."
Der Rath gab sichtlich nur zaudernd
diesem liebenswürdigen Drängen nach.
Ich ich war unter Anderen mit einem
Fräulein Hannah Jagemann bekannt.
Ich weiß nicht "
Ah!" sagte Frau Cranz. Die
kenne ich, sehen Sie wohl! Die hatte
eine etwas romantische Liebesgeschichte
mit einem jungen Rcgierungsreferen
dar. Die beiden waren nahe daran,
durchzubrennen nach Buenos Ayres,
glaub' ich. Nun, der Vater des jungen
Herrn kam dahinter, und das junge
Mädchm wurde auf gute Manier ab
geschoben. Der Onkel des Herrn war
nämlich Polizeipräsident dort. Und eine
unbedeutende Komödiantin nun, Sie
begreisen. Und die Geschichte ging dann
ganz nüchtern und unpoetisch aus. Der
Referendar, der eigentlich sich für einen
großen Dichter gehalten hatte, sah ein,
daß er sich doch wohl getäuscht hatte,
daß die kleine Jagemann keine passende
Partie für ihn sei und was haben Sie
denn, Herr Rath?"
Ich oh, ich ich dachte nur eben"
eine erhaltene Erregung quoll in
ihm empor. Frau Cranz, wenn ich
fragen darf: woher , nein, ich wollte
fragen: Wiffen Sie wiffen Sie viel
leicht, was aus der jungen Dame ge
worden ist?"
Vor allem eine alte Dame", klang
es zurück. Das ist ja so der Lauf der
Welt, bester Herr Rath. Uebrigcns hat
auch sie sich getröstet vielleicht etwas
später als er, aber doch getröstet, und
schließlich sogar eine auffallend gute
Partie gemacht. Sie hat dann die
Bühne erlassen und ist heute, obgleich
kinderlos, eine glückliche und zufriedene
Frau Präsidentin. Denken Sie nur
einmal an: die kleine Jagcmann die
Frau des Chefs eines großen Regie
rungsbezirkcs ! Sie hatte es nun ein
mal durchaus auf einen Regierungs
mann abgesehen, wie es scheint, und
der ihrige avancirte schnell und glän
zcnd."
Sehr merkwürdig!" Der Rath
schüttelte gedankenverloren den Kopf.
Kaum glaublich ! Und sie ist eine
wirklich hohe Beamtengattin geworden,
eine respektable Dame der guten Ge
kellschaft, eine, der man gar nichts
davon anmerkt, daß sie srüher ?"
Man sagt das wenigstens ganz all-
gemein, wie ich höre. Kein Mensch hat
ihr e etwas vorzuwerfen gehabt, ihre
künstlerische Vergangenheit bildete weder
ein Hinderniß für das Avancement ihres
Gatten, noch gesährdete es irgendwie
ihre oder seine gesellschaftliche Position.
Im Gegentheil: man sagt die guten
Formen und die geselligen Talente der
grau hätten manches dazu beigetragen,
dieselbe zu einer dominirenden in der
Sladt zu machen. Sie genießt viel
Verehrung, die Frau Präsidentin. Ich
meine also: wenn die Liebe der beiden
jungen Leute Ihres Herrn Sohnes
und der kleinen Komödiantin nur echt
ist, wenn es sich da wirklich um eine
tiefe HerzenZneizung bandelt und gegen
die kleine Komödiantin sonst nichts
Ehrenrühriges einzuwenden ist, außer
ihrem Stande," die Sprecherin lächelte
so möchte der Carriere des Herrn
Affeffors auch im Falle er der Be
amtenlaufbahn treu bleibt, wohl
schwerlich durch diese Verbindung ein
Hemmschuh angelegt werden. Wird er
aber wirtlich Schriftsteller, der Herr
Sohn, nun dann ist die Partie ja ge
wiß passend. Und ob er das Werden
ausschließlich werden soll, das würde
ich. Herr Rath.einsach von der Stärke
seines Talents abhängen lassen. Gön
nen Sie ihm er ist ja noch jung, wie
Sie sagen eine Probezeit. Tann
wird sich's ausweisen, ob sein Talent
stark genug iß, sein ganzes Leben zu
tragen und zu erfüllen, oder ob er eines
festen, bürgerlichen Berufs daneben be
darf, um gegen äußere Nothund innere
Enttäuschung gesichert zu sein. Tas
märe in beiden Punkten mein Rath.
Vor allem muß man als Vater doch an
das Glück seines Sohnes denken, nicht
an eigene Wünsche und Hoffnungen,
nicht? Wenn es sich freilich bei Ihrem
Herrn Sohn auch nur um eine?!eigng
Handel sollte, lvie bei jenem Regie
rungireferendar, der die Ileme Hauuuh
Jage,,! sitzen ließ
Ralh Hillmann nierbrach die
Sprecherin mit einem starken Räspern
Dann ergriff er ihre beide Haube. Er
war sichtlich bewegt. Ich danke Ihnen,
verehrte Freundin, ich baute Ihnen,
und es soll alles so werden, wie Sie
mir's vorschlagen. Ja, Sie haben
Recht, ich muß allein an meinen Sohn
denken. Ihnen darf man folge. Und
dies junge Mädchen, das mein Sohn
liebt ja, ja, ich werde Erkundigungen
über sie einziehen, und wenn nichts
sonst gegen sie spricht"
Darüber kann ich Sie zusüllia voll
ständig beruhigen, Herr Ralh," siel
Frau Cranz lächelnd ein, es ist zufül
liq meine Nichte.
Aber das ift ja ein merkwürdiges
Zusammentreffen ! Und nun bedarf es
la keinerlei weiterer Erkundigungen
mehr. Eine Nichte von Ihnen, der
ehrteste FitUndin, wird mir jede
Stunde als Schwiegertochter hoch will
kommen sein. Möchte sie ihrer Tante
nur in icder leder Beziehung glei
chen!' Er küßte Frau Cranz beinahe
leuriq die and.
Na, na !" sagte diese und erhob
scherzhaft drohend den Finger. Im
wer haben Sie nicht so günstig von mir
gedacht, Herr Rath Hillmann!
Gnädige Frau!?" rief er bestürzt,
fragend, unsicher, während eine fahle
Blaffe sein Gesicht bedeckte. Eine furcht-
bare Ahnung dämmerte in ihm aus.
Sie aber entnahm ihrer Kleidertasche
ein zierliches Visitenkarte!!, reichte
ihni daraus eine Karte hinüber und
tagte: Ich muß mich Jhnen doch nun
da wir in gewisse verwandtschaftliche
Beziehungen zu einander treten sollen,
auch mit vollem Namen und Titel vor
stellen, Herr Rath."
Nach dem kalkigen Weiß überglühte
jetzt ein heiß?s Roth Stirn und Backen
des Rathes. Mit pochendem Herzschlag
las er: Frau Regierungspräsident
vannah Cranz, geborene Jagemann,
Ein paar Augenblicke hindurch war ihm
zu Muthe, als ob sich die Eide unter
ihm ausihate, um ihn hinadzuschlingen.
Die Gattin eines hohen Vorgesetzten
und seine einstige Geliebte in einer Per-
son! Es war etwas viel auf einmal
Ihn schwindelte. Gnädigste Frau"
er war aufgestanden, er hatte die Hand
aus s Herz gepreßt, seine Knie schlotter
ten. Und als sie ihn immer nur niit
ihrem belustigten Lächeln anblickte,
stotterte er: Wenn ich hätte ahnen kirn
nen, welche Ehre und wiedererkennen
konnte ich Sie ja unmöglich, Ich, ich
habe Nicht schön an Ihnen gehandelt
aber dasllr soll mein Sohn " er
verwirrte sich, der Schweiß perlte ihm in
hellen Tropfen von der Stirn.
Na, na, na," machte sie und legte
ihm ausstehend mitleidig die Hand au
die Schulter. feie sehen ja, lieber
Rath, es ist mir trotzdem nicht schlecht
bekommen. Wir Haben s Beide ver
wunden. Jugendthorheiten, Reinhold
Hillmann, nicht wahr? Jugendthor
heilen. Und jetzt haben mir graue
Haare. UcbrigenS: ein bischen von 'ner
Komödiantin steckt in der Frau Präst
dentm doch immer noch, was? Die Lust
am Intriguen, mein' ich. Sehen Sie,
ich bin Ihnen noch ein Bekenntniß schul
dig "
Noch eins?" stammelte der Rath
aufseufzend.
Ja, ich bin nämlich bloß im Jnter
effe meiner Nichte, für die ich nun ein
mal ein Faible habe sie soll mir
merkwürdig ähneln, innerlich und äußer
lich , und auf Rath und Bitten der
selben hierhergekommen, um den Vater
ihres geliebten Assessors herumzukriegen,
verstehen toie?
Aber wenn Sie mir gesagt halten,"
siel der Rath ein, daß dies junge Mcid
chen die Nichte eines Präsidenten ist,
würde ich ja ohne Weiteres gleich "
Ja," lachte sie. Das wußte ich
wohl. Aber das wollt' ich eben nicht,
begreifen Sie? Man hat fo seinen
Stolz. Und nun, lieber Freund, geben
Sie mir Ihren Arm und sühren Sie
mich nach Hause. Und lassen Sie uns
noch ein bischen von alten Tagen plau
dern, ja? Wollen Sie?
Nachdem alle Bemühungen der Kur
gesellschaft, etwas Näheres und mög
jichst Nachtheiliges über die unbekannte
aufdringliche Frau Cranz in Erfahrung
zu bringen, bisher gescheitert waren,
brachte ihnen der Zufall eines neu an
langenden Kurgastes die Genugthuung,
sie plötzlich zu entlarven. Denn dieser
schwur, sie in seiner Jugend als Naioe"
auf der Bühne seiner Vaterstadt gesehen
zu haben. Da war's also endlich her.
aus: eine elende Komödiantin! Man
hätte sich's denken können. Und nun
war der Moment der Rache gikommen.
An eben jenem Abend. als Rath Hill
mann Frau Cranz an seinem Arm bis
an'S Kurhaus geleitet kalte, begab sich
eine Deputation der Kurgesellschaft zu
ihm in sein Zimmer, um dem höchlichst
Erstaunten die Indignation der ge
sammle Badegäste darüber auszu
drücken, daß es eine Abenteurerin ge
wagt habe, seine vornehme Abgeschlos
senhcit zu durchdringeri und "
Der Rath hörte die wohleingudirte
Rede gar nicht zu Ende, sondern unter
brach sie mit den Worten: .Meine
Herren, ich darf nicht dulden, daß Sie
die Gattin meines hohen Vorgesetzten
ich selbst bin nur ein ganz simpler
Regiernngsralh. habe eS leider nie wei
ler gebracht hier beleidigen. Wenn
de, Regierungspiäsident Crnnz je er
sühre, daß seine Frau hier den
Iräiikeiidsten Insinuationen ausgesetzt
würde "
Als Frau Cranz drei Tage darnach
das Badeörtchen erließ, hätte sie sich
ein eigenes C?upee miethen niüssen, um
alle die Boiiquets z besördern, die ihr
von der mit gekümnten Rücken voll
Zählig ans dem Bahnhof versamniellen
Kurgefellschaft überreicht wurden Sie
nahm aber nur lächelnd den kleinen
Nelkenstrauß des Rathes in Emvsang
und rief diesem, ohne sich sonst um
Einen zu kümmern, aus dcni Coup,
fenstrr zu: Auf baldiges Wiedersehen
zur Hochzeit."
Ein 2lchtIkoos.
Aus dem Spanische von Paul Ludwig,
Meine LebenSgeschichte wollen Sie
hören? Nun wohl, aber machen Sie
mich, bitte, nicht dasür kranlworllich,
wenn Ihnen dieselbe nicht interessant
oder seltsam genug erscheint, denn sie
gruppirt sich eigentlich nur um eine ein
zige kurze Episode.
Eines Abends, es war schon recht
spät, bot mir ein blasses, kleines Müd
chen, dessen Haar der Zugwind arg zer
zauste, in der Thür des Cases ein Achtel
Laos zum Kauf an. Sie hielt mir ein
einziges, das sie einer großen Anzahl
entnahm, direct entgegen. Mit welch'
liebenswürdig graciösem Lächeln dankte
sie mir, als ich es, ohne mich lange z
besinnen, nahm.
Dies LooS birgt Ihr Schicksal, mein
Herr: es ift ei Omen für viel kommen
des Glück !" so schmeichelte sie mit der
klaren Aussprache der Kinder aus dem
Madrider Volke.
Bist Du dessen so sicher?" fragte ich
sie, um doch auch irgend etwas zu sagen
und nicht gar zu unfreundlich zu sein,
indem ich das Laos in die Tasche meines
Ueberziehers steckte und das kleine
Kachenez, das ich zum Schutz gegen den
scharfen Nordost umgebunden, etwas
höher, bis zum Munde hinauszog, weil
ich bei dem barbarischen Decembernedel
eine Lungenentzündung zu bekommen
fürchtete.
Ob ich dessen sicher bin?! Ganz
sicher! Oh, wie viel Geld wird eS Ihnen
einbringen! Ich hatte die Nummer ganz
genau angesehen und nachgezählt, 1420,
genau mein Alter, 14 Jahre und 20
Tage. Das habe ich natürlich sofort
bemerkt, gleich beim Einkauf meines
Vorrathes."
Schön, meinKind!" Meine gewohnte
Ruhe war durch diese Prophezeiung
nicht zu erschüttern, meine gleichgiltige
Contenance. an der weder die etwas
fragliche Aussicht auf den sicheren
Gewinn, noch sonst etwas so leicht rüt
teln konnte, blieb völlig unanqesochtcn.
nur eine gewisse, großmüihige Regung
überkam mich. Wenn das Loos die
Prämie erhält, dann gehört die Hälfte
des Gewinnes ir. Also spielen wir
zusammen!"
Wie das kleine schmale Gesicht der
jungen Loosverkäuferin vor Freude er
klärt aussah, wie viel unbedingte, uner
schütterlich feste Zuversicht sprach aus
ihrem Ausruf, als sie mich fest und
vertrauensvoll am Aermel packte:
Wahrhaftig, gnädiger Herr! Bei
dem Heil und ewigen Seligkeit Ihres
Paters und Ihrer Mutter, alle Zeichen
stimmen. Die Nummer ift gut; ich
weiß es ganz genau, in vier Tagen wer
den mir gewinnen!"
Zehn Minuten später hatte ich diese
kleine Scene schon völlig vergessen, und
das unruhige, trubulöse Großstadtleben
ließ mich auch nicht eher wieder daran
denken, als bis ich zusällig nach vier
Tagen unten auf der Straße Ziehungs
liste! Neueste Ziehungslifte!" ausrufen
hörte.
Mein Diener mußte mir sofort eine
heraufholen. Wie gebannt blickte ich
auf die erste fettgedruckte Zahl: 1420!!
Die Prämie! Meine Nummer!
Träume ich denn? Nein, nein, ich
träume nicht, ich bin vollständig wach,
bei absolut klarer Besinnung! 1420 ist
meine Nummer! Tas Alter der kleinen
Verkäuferin! Unser Loos!
Es war eine recht stattliche Zahl
Duros, welche die Summe dort reprä
sentirte Eine leichte Verwir
rung bemächtigte sich meiner
meine Kniee zitterten, meine Hände
bebten, ein leiser Schauer überlief mei
nen Körper
Ich dachte sofort, der Leser möge es
mir glauben, an mein Versprechen: ar
doch das Kind, das mir mein Schicksal
erkündet hatte, mein Glücksengel! Na
türlicherweise mußte der Gewinn redlich
getheilt werden, denn unsere Verbin
dung war eine moralisch ebenso giltige
Association, wie irgend eine geschäftliche
Abmachung
Meine Hände schienen ich törmlich
nach der innigen Berührung des glück-
spendenden Papierchens zu sehnen.
Ich erinnerte mich ganz genau, daß
ich es in die äußere Tasche meines
Ueberziehers gesteckt hatte, weil es mir
unbequem gewesen, denselben erst aus-
zuknöpfen Wo mochte mein
lleberzieyer leinT Wewiß im Ächtante!
Jawohl. Ich fasse in die Taschen, in
die äußeren, in die inneren, keine Spur
des Lookes.
Wüthend klingle ich meinem Diener,
gewiß hat er wieder gerade in diesen
Tagen meinen Ueberzieher ausgeklopft.
Gewiß, antwoitete er mir. ich
habe ihn ausgebürstet und geklopft,
aber dab,i ift nichts aus den Taschen
herausgefallen, nichts, absolut nichts,
denn das hätte ich doch wohl gesehen!"
Ick sah ihm scharf nd pritsend in
die nicht gerade ntizuschlaue Visage, in
der aber wirtlich nur Ausrichl, gleit,
Treue und Ehrlichkeit z lesen war.
Hatte ich ihn doch auch während der
ganzen siinf Jahre, welche er in meinen
Diensten stand, noch nie auf einer lin
redlichleit, ud wäre eS eine noch so
kleine gewesen, ertappt. -
Acrgcrlich, wüthend, fing ich an z
brummen, z schimpfen und zu flu-
fipn . . . fAlipftliA lihiiwti iA ein S'Mii
an, leuchtete in allen Ecken herum,
durchsuchte jeden Winkel, schloß alle
Schlöffer aus, zog alle Echiebladen her
aus, untersuchte und diirchlramte alle
Papiere, jedes Schnitzelchei, wurde re
idirt, jedes Streischen angesehen. zn
letzt stürzte ich auch noch den Kehrichts
kästen um
Alles vergeblich! Es ift nichts zu
finden und zu constatiren, als das Zit
lern meiner Hände, ein bitterer Ge
schniack in meinem Munde, ein völliges
Ausgetrocknetsein meiner Kehle und eine
schäumende, gallige Wuth in meiner
Brust.
Es war schon sehr spät, als ich mich
an jenem Abend auf mein Lager warf
und meinen Unmuih und Aerger mit
den blaucn, aromatischen Wölkchen
einer ächten Elah zusammen wegzubla
sen versuchte. Ein heftiger Wortwech
sel entspinnt sich ans dem Corridor, ein
chimpsk, ei lebhaftes Protestiren
und Dkbattiren wird hörbar. Mit
einem Mal wird die Thür meines Zim
mers ausgerissen und in einem Aihem
lachend und och or Empörung schlnch
zend, fliegt die kleine Loosoerkänserini
auf mich zu. X
Gnädiger Herr, unser Locs ist nnt.
Hören Sie doch nur, gnädiger Herr,
unser, unser Loos ist gezogen !"
Ich Unglücklicher! Schon hatte ich
das Schlimmste überstanden geglaubt
und mich mit möglichst stoischem Gleich
muth in mein Pech hineinzuduseln ver
sucht, und nun kam erst der eigentliche
kritische Moment ! Was thun? Ich be
gann zu reden, zu erzählen, zu beichten,
wie ein Angellagier seine Schuld ein
zugestehen.... ich sagte schlankweg,
daß ich das Loos verloren habe, und in
Folge dessen gar keine Hoffnung auf
Erhalt des Gewinnes da sei. Ich hatte
nach der anderen Seite gesehen, jetzt
blickte ich, schwer athmend, das Heine
Mädchen an. Wie mußten ihre schwor
zen Augen jetzt vor Unwillen blitzen,
welch M,l;trauen, welch infamer, ent
ehrender Zweifel würde ihr Gesicht jetzt
wohl ausdrücken.
Gerade das Gegentheil. Wohl etwas
traurig, aber durchaus nicht empört
starrten mich ihre feucht gewordenen
Augensterne an, und ganz ernsthaft,
nur die Achsel ein wenig dabei zuckend,
sagte sie einfach :
Bei der Jungfrau ! Herr, wir beide
scheinen doch nicht dazu geboren oder
auserkoren zu fein "
Wie sollte ich dem kleinen, süßen Ge
schöpschen sür seine milde Verständniß
volle Nachsicht danken, wie seine Un ,
cigennützig'eit erwidern? Womit konnte i,
ich es für seinen Verlust entschädigen
und meine große, große Schuld tilgen?
Gewissensbisse über meine unverunt
Wortliche Nachlässigkeit und die Ueber
zeugung. daß ich wirklich für das fer
nere Schicksal der Loosverkäufeiin ver
antwortlich sei, veranlaßten mich, die
selbe in meine Obhut zu nehmen, und
so kam es, daß ich sie in mein Haus
aufnahm, sie erzog und schließlich nach
einigen Jahren heirathrte !
Der letzte seine Stammes.
Einer der eingebildetsten und adel
stolzesten Menschen des vorigen Jahr
Hunderts war der Baron Spane. Der
selbe machte einmal eine Reise durch
Schweden und verlangte, an einer Post
Station angekommen, in herrischem
Tone nachPscrden.
Es thut mir leid, Ihnen mittheilen
zu mllffen, daß Sie noch eine Stunde
auf frische Pferde warten müssen", sagte
der Pcsthalter.
Wie", versetzte der Edelmann in
heftigem Tone, das mir? Auf der
Stelle will ich Pferde haben." In
demselben Augenblick bemerkte er, daß
ein paar Pserde an einen anderen
Wagen gespannt wurden und schrie:
tfm wen sind denn diese da?"
Jener Herr dort bat sie bestellt".
ersetzte der PostHalter und deutete aur"
einen kleinen, untersetzten Mann, der l
wenige Schritte von ihnen entfernt
stand.
Hören Sie, mein lieber Freund."
wandte sich der Edelmann an den klei
nen Herrn, wollen Sie mir nicht diese
Pferde überlassen, wenn ich Ihnen eine
gute Abstandssumme zahle?"
Bedaure," verietteder andere, .aber
ich will sie selbst benutzen."
Das wagen Sie mir zu sagen?" rief
der Baron empört.
Ja, warum denn nicht?" entqegncte
der kleine Herr.
Vielleicht wissen Sie nicht, wer ich
bin?" brauste der andere auf. Mein
Herr ich bin der Baron Georg von
Spurre, der Letzte meines Stammes."
.Das freut mich sehr zu hören," ver
setzte der kleine Herr und stieg in seinen
Wagen; es wäre auch grüßlich, wenn
noch mehr von der Sorte kommen soll
ten. Im übrigen gestatten Sie mir,
mich Ihnen ebenfalls vorzustellen. Ich
bin der König von Schweden."
Die Leidenschaft schlügt dort am lcich
testen Zvurzel, wo der Sown locker
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