Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 27, 1896, Image 9

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    SceuunnsCoos.
Er,ählu'!g auü atm ZtiUbm ooii H, dc
M i D i ! I e.
Eine naßkalte stürmische November
nacht breitete ihre Schleier Über die
Wogen der Nordsee. Hart am Winde
liegend, der aus Nordost kommend,
beulend durch die Takelage saust und
das Fahrzeug trotz der wenigen, kleinen
Sturmsegel, die es noch trägt, bis
Meilen fast zum Kentern nach Lee (die
o.n Winde abgekehrte Seite Des
Schiffes) Überlegt, arbeitet sich eine
schlanke, scharf gebaut? Bark mühsam
durch die immer höher laufenden Seen
hindurch, die flch gierig gegen das
starke, doch zierliche und feinlinige e
böude heranwälzen, das unter ihrem
rasenden Anprall zeitweise vom Top bis
zum Kiel erzittert.
Von New Z)ork kommend hatte das
Schiff, die Bremer Bark Nire", be
sannt und berühmt als einer der besten
und schnellsten Segler Deutschland's,
den englischen Kanal mit dem denkbar
besten Winde und einer Fahrt don bei.
nahe fünfzehn Meilen durchlaufen, so
daß die fast durchgängig aus Bremen
bestehende Mannschaft bereits voller
Freude Tag und Stunde der Beendi
gung der Reise berechnete. Aber, die
Nordsee läßt so leicht keinen trocken
durch", sagt eine alte Seemannsrcgel,
die ganz besonders für die Frühlings
und Herdstmonate Geltung hat, und die
Besatzung der Nize" sollte für die
Richtigkeit derselben och einen vollgil
ligen Beweis erhalten. Kaum hatte
das Schiff die weißen Kreidefelsen von
Dover hinter sich zurückgelaffen und
war in die Nordsee eingelaufen, als
auch schon der bis dahin so günstige
Wind langsam aber stetig nach Norden
zu drehen begann; die bisher klare,
sichtige" Luft wurde dick, und trübe
und zeigte am nördlichen Horizont eine
fast bleigraue Färbung. Anzeichen, die
dem Kundigen unverkennbar fein muß
ten und einen schweren Sturm in
sicherer Aussicht stellten!"
Es ist ein gefährliches Waffer, die
.Mordsee", wie die deutschen Küsten
fahre: sie nennen, und nicht allein kleine
Fischerkutter und Schooner fürchten ihre
Tücken. Schon so manches schöne, große
Schiff, dessen Kiel die riesigen Wogen
des Kap Horn nicht hatten erschüttern
können, hat in ihr seinen Untergang
gefunden, und gar mancher brave See
mann schläft auf ihrem Grunde den
ewigen Schlaf ! Nicht der Sturm
selbst ist e. den der Seemann fürchtet;
nur zwei Dinge braucht er, um ruhig
und unbekümmert um Sturm und Wo
gendrang fein Fahrzeug sicher und un
gefährdet durch die See zu bringen:
klare Luft und freies Waffer!
Mag draußen im offenen Ozean der
Sturm rasen und toben, soviel er will.
er vermag den Kapitän, der ein tllch
tiges, stark gebautes Schiff unter seinen
Füßen weiß, nicht zu schrecken, aber
wenn er im engen, von Klippen und
Sandbänken umringten Fahrmaffer auf
S4ie nahe Küste hin weht, dem bedräng
ten Fahrzeuge keinen Raum zum Fliegen
lastend; wenn das von Sturm und
Hagel getrübte, schmerzende Auge sich
stundenlang vergeblich anstrengt, die
Finsterniß zu durchdringen, indeß das
Ohr mit banger Sorge jeden Augen
blick den Ruf zu hören glaubt, mit dem
der Ausgucksmann vorn die Brandung
ankündigt dann erst fürchtet auch der
Seemann den Sturm, und schwere end
lose Stunden, die auch den Leichtsin
nigsten aufrütteln, sind es, die nament
lich Kapitän und Steuermann in solchen
Nächten zu durchleben haben, Stun
den, die an Geist und Körper schier
übermäßige Anforderungen stellen!
Die ,Nixe" hatte nicht lange auf den
drohenden Sturm zu warten brauchen,
er kam bald genug und noch dazu aus
der denkbar ungünstigsten Richtung.
Bis beinahe nach Nordost hin hatte der
Wind sich gedreht und unter den weni
gen Segeln, die er dem Schiffe zu füh
ren gestattete, konnte sich daffelbe nur
lang und mit größter Mühe gegen
Wind und See hinaufarbeiten. Da
nach der Berechnung des Kapitäns sich
die .Bark" etwa auf der Höhe von
Wangeroog befand, so beschloß derselbe
der größeren Sicherheit wegen, das
Feuer des RothesandleuchtthurmeS an
zusteuern, um aus deffen Lage den
Hitandort seine? Schiffes mit größerer
Sicherheit feststellen zu können. An ein
Einlaufen in die Weser war jedoch bei
Nacht und bei solchem Wetter natürlich
nicht zu denken und man mußte sich an
Bord wohl oder übel darauf gefaßt
machen, noch in Sicht deZ heimathlichen
Leuchtfeuers beilegen zu müßen, um
wenigstens den Tag zu erwarten.
Es war die erste Nachtmache, von acht
Uhr Abends bis 12 Uhr Nachts. Der
er?e Steuermann, der selbständig die
BackbordSwache führt, während der
zweit nur dem Kapitän deigegeben ist.
befand sich an Deck. Trotzdem durfte
der letztere in einem s gefährlichen
Fahrwaffer an Ruhe und Schlaf nicht
denken.
Stumm daZ Brausen bei Stur
meS und dn empörten See hätte auch
jede längen Unterhaltung unmöglich
gemacht stand! die beiden Männer
auf der Luvseite deS Achterdecks. Fest
in den schützenden Oelrock gewickelt, den
rechten A'M um nnS dn Stütztaue des
Besanmaftes geschlungen, um bei dem
furchtbaren Arbeiten des schiffe? einen
feirra Standpunkt zu haben, theilten
jkit ihn Aufmerksamkeit zwischen der
'vildderxgten, rasende See und der
in allen ihn Theilen ächzenden und.
Der Sontilag$dl
Jahrgang 17.
stöhnenden Takelage der Nire", deren
in mächtigem Bogen hin und her pen
delnde Masten sich zeitweife wie schwan
kende Rohre unter der Gemalt des
Sturmes bogen. Stunde auf Stunde
verrann so, doch vergebens suchte das
spähende Auge den Horizont nach dem
ersehnten Feuerschein ab!
Zwölf Uhr, in einem Tempo, das
seine Freude und Ungeduld nur zu
deutlich verräth, schlägt der steuernde
Matrose acht Glas", das Zeichen zur
Ablösung!
In einigen Augenblicken hatten die
Wachen gewechselt und schon wenige
Minuten später schnarchten die nun
wieder vier Stunden dienstfreien Mann
schaften in ihren Kojen so unbekümmert
um Wind und Wetter, wie eS nur ein
Matrose kann, der nur zu gut weiß, wie
leicht die ihm in solchem Wetter ohnehin
karg genug bemessene Freizeit noch durch
unvorhergesehene, plötzliche Ereignisse
gekürzt werden kann und der daher mit
jeder Viertelstunde geizen muß. Wie
oft kommt es auf den meist nur unge
nllgend beinannten Handelsschiffen bor,
daß der Matrose, welcher, nachdem er
die vier Stunden feiner Deckwache fast
ausschließlich bei schwerer, gefahrvoller
Arbeit in der Takelage verbracht hat,
eben müde und erschöpst seine Koje hat
aufsuchen dürfen, schon nach kaum einer
Stunde von neuem an Deck geholt wird,
um dort irgend ein Manöver aus
führen zu helfen, für das die Kräfte
der Deckmache nicht ausreichen! Da
hilft denn in solchem Falle nichts an
deres, als sich mit möglichster Philo
sophie, die allerdings meist in den denk
bar urwüchsigsten Kernflüchen in die
Erscheinung tritt, in das Unvermeid
liche zu fügen und die Arbeit wenigstens
so schnell als möglich zu verrichten, um
so vielleicht noch ein Stündchen zu ge
winnen.
Fast zmei Stunden war die neue
Wache nun schon wieder an Deck und
noch immer wollte das so schmerzlich
erwartete Leuchtfeuer sich dem spähenden
Auge nicht zeigen.
Endlich! Zwei einzelne Glocken
schläge vom Vorderschiff her verkünden
dem wie erlöst aufathmenden Kapitän
der Bark, daß der vorn auf der Back
(erhöhtes Vorderdeck eines Schiffes)
postirte Matrose den Schein desselben
hat auftauchen sehen. Noch dauerte
es zwar geraume Zeit, bis das Feuer
deutlich genug zu Tage trat, um aus
seiner Stellung zu dem Schiffe mit
Hilfe des Peilkompaffes den Standort
feststellen zu können; indeß auch dieser
Zeitraum verging und in wenigen
Augenblicken hatte dann der erfahrene,
tüchtige Seemann die Peilung vorge-nommen-
Es war die höchste Zeit;
nicht eine Stunde länger durfte die
Bark auf ihrem Kurse bleiben, Wind
und Strom setzten sie, allen Anstren
gungen des vorzüglich segelnden Fahr
zeuges zum Trotz, langsam abei stetig
auf die Sandbänke der Küste zu, die sich
bereits in bedenklicher Nähe befand, und
es galt daher nun vor allen Dingen,
das Schiff mit dem Kopfe nach der offe
nen See hin zu legen.
Halse!" ertönt das Kommando des
Kapitäns und erfüllt, den Sturm über
tönend, das öde Deck der Nixe" in
einem Augenblick mit Leben und Be
wegung. Es ist ein gewagtes Manö
ver, dies Rundhalsen in solchem Wetter,
aber es hilft eben nichts; herum muß
das Schiff, koste es was eS olle, und
an Wenden" ist bei den wenigen Se
geln. die der Sturm zu führen gestattet,
gar nicht zu denken.
Unbekümmert um das Waffer, das
die sich am Schiffe brechenden Wogen an
Deck schleudern, eilen die Leute der
Wache mit größtmöglicher Schnelligkeit
auf ihre Stationen und das Manöver
kann beginnen. Prüfend überblickt das
Auge des Kapitäns die empörte See.
um den günstigen Zeitpunkt für den
Beginn des gefahrvollen Unternehmens
zu trspähen. Gewöhnlich folgt auf drei
schmen Seen eine kleine Pause, und
wenn auch in der Nähe der Küste nicht
mit absoluter Sicherheit auf die Rich
tigkeit dieser Regel vertraut werden
darf, so muß man doch vorläufig mit
ihr rechnen, die Fehln kommen allein
und früh genug.
Jetzt ist die dritte Woge untn dem
Schiffe hindurch gerollt; gei auf
Besän, auf mit dem Ruder!" Ge
horsam dem Kommando wird das ge
nannte Segel duich seine Taue zusam
mengeschnürt, die Speichen deS Steun
radeS drehen sich langsam nach Lee und
zögernd, widerwillig möchte man sagen,
wende dn Bug der Nixe" sich vom
Winde ab.
Ruhig, doch ernst, seine Ausmnksam
keit zwischen dem Kompaß und den
Segeln theilend, steht dn Führn deS
Schiffes neben dem das Steuer regie
renden Matrosen. .Ueber mit dem
Rudn. hart dn, Mann!" Bange Be
sorgniß malt sich in dem Geficht, das
dn enahnne Seemann jetzt dem Mako
Beilage zum Nebrasra Staats-Anzeiger.
se zuwendet; das Schiff liegt quer ab
von Wind und See und dreht nicht
weiter. Wehe, wenn jetzt schwere
Grundseen das Fahrzeug treffen, zrei
oder drei solcher Burschen reichen aus,
es zum Wrack zu machen. Das Ruder
ist hart an Bord. Kap'tän!" Der
Mann spricht die Wahrheit, das Blatt
steht quer ab vom Schiffskörper, wieder
Zeiger an Deck beweist; aber das Fahr
zeug, so leicht und gut es auch sonst
manöverirt, verweigert den Gehorsam,
Wind und See halten es in seiner
gefährlichen Lage fest, als sei es ange
mauert. Großmarssegel weg, steck
auf die Schooten, steck auf !" Der Klang
der Stimme allein genügt, um jeden
Mann an Deck die Nothwendigkeit des
schnellsten Handelns erkennen zu laffen
und im Augenblick sind die schweren
Ketten, die die unteren Ecken des mäch
tigen Segels halten, losgeworsen. An
ein Bergen des Segels selbst denkt kein
Mensch, und eS wäre das auch vergeb
liche Mühe. Kaum erhält daffelbe
Luft, da faßt es auch schon der tobende
Orkan, zmei-, dreimal peitscht er das
dicke Tuch hin und her, der ganze Mast
erzittert, dann fliegen mit donnerähn
lichem Knalle die Fetzen in die Nacht
hinaus, die Raa ist kahl ! Jetzt, wo
nur die Segel des orderen Mastes
allein auf das Schiff wirken, gelingt es
endlich, dasselbe wenigstens vor den
Wind zu bringen und es so aus der ge
fährlichen Lage, quersees, zu befreien;
aber nur die Hülste des ganzen Manö
Vers ist damit vollbracht und es muß
nun zunächst der Besän wieder gesetzt
werden, um das Fahrzeug vollends
herum, oder, wie der terminus tech
nicus" lautet, auf den anderen Bug"
zu bringen. ,
Hol aus Beton!" Die mächtige
Fläche dieses Segels entfaltet sich im
Winde und fast augenblicklich beginnt
das Schiff seine Wirkung zu spüren;
langsam dreht sich der schlanke, scharf
geschnittene Bug gegen den Wind und
die Raaen der beiden vorderen Masten
werden, der Drehung folgend und sie
unterstützend, herumgeholt. Aufath
mend in dem Bewußtsein, das Schwerste
überstanden zu haben, wendet der Kapi
tän sich eben nach vorn, um dort die
Arbeit an den Raaen zu überwachen,
als ein Krachen, als würde in der Nähe
ein schweres Geschütz gelöst, ihn wieder
herumfahren läßt ! Die Besanschoot
ist gebrochen ! Ein einziger Blick genügt
dem erfahrenen Seemann, um ihn die
ganze, folgenschwere Bedeutung des
neuen Unfalles erkennen zu lassen ; das
Segel, welches durch das Hin und Her
schlagen des Baumes, an welchem es
befestigt ist, sich lose erhalten hat, wider
steht keine zmei Sekunden der rasenden
Wuth des Orkans, es theilt im Nn da,
Schicksal des Marssegels und fast äugen
blicklich werfen auch Wind und See das
Fahrzeug wieder herum und schlagen es
von neuem quersees. Und jetzt,
ehe noch ein Einziger an Bord des un
glücklichen Schiffes zur klaren Besinnung
gekommen ist, stürmt sie heran, eine
jener furchtbaren Grundseen, wie sie sich
an der Küste durch das Abprallen der
von See her kommenden Wogen an die
sen bilden ; thurmhoch richtet sich der
grllnschwarze, glasige Wasserberg neben
der Njn" empor.
Haltet euch seft ! Leute die macht
klar Deck", ruft der Kapitän, aber das
Brausen und Heulen des Sturmes ver
schlingt den Ruf. Donnernd und
krachend, daß das Schiff in seinem
innersten Verbände erzittert, bricht die
gewaltige Wasserfluth über, das ganze
Vordeck untn sich begrabend. Ein
einziger wilder, gellender Verzweiflung
schrei, das Splittern und Krachen von
brechendem Holzwerk ertönt, das
Deck ist leer I Ein mächtiges Stück
der das Schiff umgebenden Verschan
zung fehlt und die klaffende Lücke zeigt
den Weg an, auf dem die sechs dort be
schäftigten Matrosen von der Fluth mit
hinabgerissen sind in die dunkle, grau
sige Tiefe l
Jetzt müssen die Anker Rettung brin
gen, wenn nicht das Schiff verloren fein
soll. Ungerufen waren die Leute der
Freiwache an Deck gestürzt und zeigten
beim Klarmachen der Buganker, was
ein deutschn Seemann in der Stunde
der Noth kann.
Endlich, mit Aufbietung schier über
menschlicher Kräfte und mit rücksichts
losest Hintenansetzung ihres Lebens ist
den Leuten das bei der Dunkelheit dop
pelt schmierige Werk gelungen, die Anker
sind klar zum Fallen. Es ist aber auch
die höchste Zeit ; bereits find vor dem
dahinjagenden Schiffe an mehreren
Stellen die weißen Schaumkämme der
Brandung fichtbar, die Küftc ist in un
mittelbar Nähe.
.Fallen Steuerbordanker !" Tin
nernd schießt die schvne Kette aus der.
Klüse, abn sie vermag nur auf Augen
blicke die Fahrt deS Schiffe? ,u hemmen.
Auch der zweite Ankn fallt, und nun
nft zwingen redlich die beiden mcchti
gen Nothhelfer das Fahrzeug zum Still-
stand.
Schwere, schaurige Stunden, voll
banger Sorge, giebt es aber noch für die
an Bord der Nire" befindlichen Men
schen zu durchkosten, denn trotz ihrer
Stärke konnten die Ketten jeden Augen
blick brechen, und was das bedeutete,
darüber war sich kein Einziger im Un
klaren.
Spät erst am Nachmittag des folgen
den Tages konnte das Schiff angesichts
der wohlbekannten Häuser der heimath
lichen Hafenstadt von neuem Anker wer
fen; aber die deutsche Flagge an seiner
Gaffel, die dem Vaterlande den Gruß
seiner heimkehrenden Söhne darbrachte
wehte nnft und traurig Halbstocks!
Die Wogen der Nordsee hatten ihre
Opfer gefordert und erhalten! See-manns-Loos!
Des Ulusikers Ohren.
Humoreske von Grorgc D, Lchui;,
Unter den jungen Leuten, welche
aus dem Kasernenthor traten, befand
sich Einer, welcher abseits von den An
deren gesenkten Hauptes dahinschritt.
Seine Gestalt war in einen weiten
Mantel gehüllt, und unter dem Sam
methut quollen blonde, lockige Haare
hervor, welche über die Ohren hinweg
auf seine Schultern herabhingen.
Reinhold Wagener talentvoller Pia
nist, die Zierde der Salons in Berlin,
war sehr unglücklich.
Wie konnte man ihm aber zumuthen,
das rauhe Kriegshandwerk auszuüben.
Man hätte doch wissen müssen, daß seine
zarten, wohlgepflegten Finger, geschult,
ein Beetboven'sches Adagio meisterhast
zu erekutiren, nicht dazu geschaffen wa
ren, das Gewehr zu umklammern.
Und seine Locken, ein Schmuck, wel
cher seinem Aeußeren denjenigen Nim
bus verlieh, den seine Künstlerfchaft
rechtfertigte, seine Locken, welche, wenn
er dem Bechstein himmlische Töne ent
lockte, durch ihre bald zuckenden und
zitternden, bald pendelnden Bewegun
gen, gleichsam als Barometer seiner
Empfindungen, die Vorgänge in seiner
Seele anzeigten sie sollten fortan
nicht mehr sein Haupt umwallen?
Unter diesen Betrachtungen betrat
Reinhold einen Friseur-Laden und. sich
in einen Stuhl niederlassend, sagte er:
Ich möchte mir die Haare abschneiden
lassen."
Vielleicht die Spitzen ein wenig?" "
fragte der höfliche Mensch, welcher schon
mit kundiger Hand Reinholds Kopf be
fühlt halte, worauf der junge Künstler,
während sich Falten über seine Stirn
legten, dem Jllngliug bedeutete, daß er
Soldat sei und sich die Haare kurz,
militärisch schneiden lassen mllffe. Jetzt
schmunzelte der Figaro verständnißvoll
und griff mit teuflischer Lust zur
Scheere, unter deren gewaltigen Strei
chen Locke auf Locke zur Erde herabfiel.
Reinhold hatte, um dem grausamen
Thun des Menschen nicht zusehen zu
müssen, den Blick nach unten gerichtet.
Erst als er die Worte des Haarkünstlers:
So, danke sehr, mein Herr," ver
nahm, richtete er sich auf. Doch sofort
sank er wieder in seine vorherige Stel
lung zurück, denn was er da im Spie
gel gesehen hatte, überwältigte ihn.
Nicht nur seines schönsten Schmuckes
war er beraubt, nein, von der Hülle ent
blößt, welche sie bis jetzt gnädig be
deckt hatte, präfentirten sich ihm ein
Paar riesenhafte, vom Kopf abstehende
Ohren.
Also darum hatte seine schönheits
liebende Mama dem Wuchs seines
Haupthaare! schon in seinen frühesten
Kinderjahren keinen Einhalt gethan.
So konnte er sich ja vor keinem Be
kannten sehen lassen. Seine Ohren
würden die Zielscheiben ihres Spottes
sein. Vollständig gebrochen erhob et
sich tief seufzend, zahlte und verließ die
Stätte seiner Verunglimpfung.
Er eilte seiner Wohnung zu, er
rannte, stürmte, saufte dahin, in dem
Glauben, die Leute müßten mit Fin
gern auf ihn zeigen, sich über ihn luftig
machen.
In seinn Behausung angelangt,
zeigte ihm der Spiegel wieder diese
entsetzlichen Ohren. Es klopfte.
Er öffnete; der Postbote reichte ihm einen ;
Brief.
Reinhold's Geficht heiterte sich auf.
Diese zierlichen Schristzüge wirkten wie
Balsam auf fein gequältes Hirn.
Haftig öffnete er den Umschlag. Der
selbe enthielt einen Brief von feinn
angebeteten Eousine Wally, in welchem :
die Letzten ihre Sehnsucht nach dem
Geliebten hinter dem Wunsch ihr
Eltern, ihn bald in Uniform zu sehen,
verbarg.
Dn Gedanke an da! geliebie Madchen
hatte Reindold'Z Stimmung ausgehei
tnt. Lüftig pfeifend spazierte n im
Zimmn umher. T streikte sein Blick
No. 15.
den Spiegel; sein Gesicht verfinsterte
sich von Neuem. Aber das war ja UN'
möglich. So konnte er ihr nicht vor
die Augen treten. Sie würde ihn aus
lachen. Doch was war zu thun?
Gab's keine Hilfe?
Reinhold trat vor den Spiegel und
drückte mit den Händen die Ohren an
den Kopf. Das sah ja ganz passa
bel aus. Warum waren sie nicht
immer so?
Halt! Ein Gedanke schoß ihm durch
den Kopf, Ankleben! Fischleim! Nein,
Mastiz! Das war der intensive Klebe
stoff, mit welchem er sich zum letzten
Künstlerfest einen Bart geklebt hatte,
den er nachher nur mit Mühe wieder
entfernen konnte. Sollte dieser Stoff
nicht auch ein Paar störrische Ohren
zwingen?
Gedacht gethan. Er holte ein
Flüschchen aus dem Schrank hervor,
bestrick) mit der darin enthaltenen zähen
Flüssigkeit die hintere Flüche der Ohr
muscheln, drückte dieselben fest an den
Kopf und siehe da sie klebten!
Hurrah! Er war gerettet.
An einem der nächsten Abende nach
Einkleidung der Einjährigen stand
Reinhold in des Königs Rock, und ban
ger Erwartung vor der Eingangsthür
zu des Onkels Wohnung.
Er wurde mit einem freudigen Ah !
empfangen. Man bewunderte ihn, und
besonders der Onkel als Major a. D.
gab wiederholt seiner Freude über die
Veränderung von Reinhold's Außen
feite kernigen Ausdruck. Die Tante
war besorgt, und Wally war selig, den
Geliebten in ihre: Nähe zu haben.
Die Stimmung der Vier war vor
trefflich und die Fröhlichkeit erreichte
ihren Höhepunkt, als Reinhold auf
Wunsch der Damen ein Beethoven'sches
Scherzo spielte.
An den Flügel gelehnt, welcher in
dem an den Eßsaal stoßenden Musik
zimmer aufgestellt war, stand Wally,
während die Eltern, die am Tisch sitzen
geblieben waren, durch die offene Thür
den herrlichen Tönen lauschten.
Reinhold hatte geendet und Wally,
welche jedem Ton mit Bewunderung
gefolgt war, konnte ihre Gefühle nicht
länger bemeiftern. Sie schlang ihre
Arme um den Hals des Geliebten und
drückte einen verstohlenen, aber herzhaf
ten Kuß auf seinen Mund. In diesem
Augenblick verriethen des Onkels knar
rende Stiefel, daß derselbe sich dem
Musikzimmer näherte. Wally fuhr er
schreckt zurück, und nun geschah etwas
Entsetzliches. Die angeklebte Ohr
muschel, welche Wally's Arm gestreift
hatte, löste sich uud schnellte, wie durch
Federkraft getrieben, vom Kopfe ab.
Reinhold war wie vom Schlage ge
troffen. Das Kritische der Situation
wurde ihm sofort klar ; er sprang auf,
ergriff, durch den Vorflur haftend, 'Mütze
und Seitengewehr und stürzte mit dem
Rufe höchste Zeit" kein Urlaub"
die Treppe hinunter, hinaus in's Freie,
Onkel. Tante und Wally verblüfft zu
rücklaffend; der Onkel entschuldigte
schließlich das Benehmen Reinhold's mit
der Pünktlichkeit eines Soldaten, und
Tante und Wally beruhigten sich. Der
wahre Grund blieb unaufgeklärt.
In Folge seines Mißgeschicks war
Reinhold vorsichtig geworden. Er fcs
selte bei seinen späteren selteneren Be
suchen dessen ungeachtet seine Ohren,
aber er setzte den allzu stürmischen Lieb
kosungen von Seiten der Geliebten stets
zarten Widerstand entgegen, bis nach
beendeter Militärzeit der unbehinderte,
Alles überwuchernde Wuchs seines Haa
res ihn der Mühe enthob, der natür
lichen Neigung seiner Ohren künstlich
entgegenzuwirken.
Der Professor Reinhold Wagenn,
Lehrn an der Hochschule für Musik,
saß an einem schneeftöbnischen Winter
abend in eine Partitur vertieft am
traulichen Kaminfeuer. Rhythmisch
wiegte er sein lockenummalltes Haupt,
während seine junge blühende Frau
einen kleinen pausbäckigen Buben auf
den Knieen schaukelte. Reinhold, sagte
die letztere plötzlich, das Schweigen
brechend, es ist doch sonderbar, daß
unser Junge so abstehende Ohren hat;
das verwächst sich wohl noch?" .Viel
leicht, mein Schatz, und wenn nicht,"
sagte Reinhold lachend, so muß man
isich zu helfen wissen;" und nun endlich
erzählte er ihr, aus welchem Grunde er
am Abend feines Antrittsbesuches als
Einjähriger aus Onkel Schwiegervaters
Wohnung flüchte mußte.
S, wie Reinhold an diesem Abend,
ist wohl selten ein Professor ausgelacht
worden.
Ztutttbatt esegschast.
T französische Romanschriftsteller
Balzac (gestorben 1855) kam einmal
verspätet zum Eoupn dn Hnzogin
von Bnry, zu dem n geladen war.
.Woher komme Sie?" hieß 3 all
gemein.
Ich komme , nun. das sollen Sie
rathen. Da also, wo ich war, traf ich
zuerst Moliere ja, meine Damen,
den bekannten Lustfpieldichter Moliere,
er sagte mir, er habe ein neues Lustspiel
unter der Feder, Eagliostro" betitelt"
Aber Vagliostro lebte ja viel später
als Moliere."
Bitte sehr, wenn ich Moliere ge
sprachen habe, muß er doch wohl heute
noch leben. Ich traf ferner den Prin
zen Soubise, der mir versicherte, er sehe
jetzt ein, welche strategischen Fehler n
in der Schlacht bei Roßbach gemacht
habe; er beschäftigte sich jetzt mit einem
neuen Feldzugsplan gegen Friedrich den
Große. Sodann begegnete mir Na
poleon Bonaparte. Sie werden mir
kaum glauben, wenn ich Ihnen sage,
daß er mich zum Marfchall ernannt
hat und mir den nächsten erledigten
Königsthron versprochen hat"
Ach, jetzt weiß ich," lachte die Her
zogin, Sie haben geträumt, Sie be
fänden sich im Elysium."
Nein, Madame, ich war im Irren
Hguse."
Aus der kfcnröhrc.
Der berühmte Schauspieler Ludwig
Devrient blieb sein ganzes Leben in
ökonomischen Angelegenheiten ein Kind.
Eines Sonntags lag er auf dem Sofa,
und ein Theaterdiener brachte ihm die
Gage, lauter harte Thaler, die er auf
zählen wollte. Doch das war Devrient
zu umständlich, und er rief dem Diener
zu: Nur in die Ofenröhre dort!"
Der Diener öffnete die Röhre und
legte das Geld hinein. Devrient
denkt nicht weiter daran und schlummert
ein. Da klopft eS leise an der Thür;
einer von den alten Bettlern, die den
Künstler heimzusuchen pflegten, tritt
schüchtern ein. Devrient hat nichts in
der Tasche. Den Bettler fortzuschicken
siel ihm nicht ein; aber er erinnert sich
an die Gage. Mach die Ofenröhre
auf und nimm Dir etwas don dem
Gelde!"
Der Bettler öffnete, zögerte aber zuzu
greifen, du er die großen Stücke erblickt.
Nimm Dir nur, Alter!" riefDevrient
ihm zu. Und so langt sich nun derselbe
einen Thaler, um schleunigst zu ver
schwinden.
Aber merkwürdigerweise kommt jetzt
ein Bettler nach dem andern, und einer
nach dem andern nimmt sich einen Tha
ler aus der Ofenröhre.
Endlich kommt die Frau Devrients
nach Haufe, erfährt zu ihrem Schrecken,
was geschehen ist, und macht ein Ende
mit der weiteren Brandschatzung der
Ofenröhre.
Auch Kanonen haben iftreGeschichte.
Dies gilt ganz besonders von der
sog. badischen Kanone, die in der Ge
schützsammlung des Zeughauses aufbe
wahrt wird. Es ist ein sechspfündiges,
glatt gehaltenes Feldgeschütz. Seine
merkwürdige Geschichte ergibt sich aus
der auf dem langen Felde eingeschlage
Inschrift: Gegossen im Jahre 1804 durch
Stllckgießer Speck sen. in Mannheim.
Jeldzüge hat dasselbe mitgemacht:
1) gegen Oesterreich im Jahre 1805,
2) gegen Preußen im Jahre 1806
und 1807;
3) gegen Oesterreich im Jahre 1809,
aus welch' letzterem der Anschlag einer
feindlichen Kugel am Kopfe von der
Schlacht bei Aspern herrührt; auch
wurde in diesem Feldzuge in Wien der
jetzige Zündlochstollen eingesetzt;
4) gegen Preußen und Oesterreich
1813, wo es nach der Schlacht bei Lei,
zig von sechs Stücken allein zurückge
bracht wurde;
5) gegen Frankreich im Jahre 1814;
6) gegen Frankreich im Jahre 1815;
Im Jahre 1836 als Rebut erklärt."
Die Inschrift der badischen Kanone
lieft fich wie ein Kapitel der deutschen
Geschichte, das leider nur im letzten
Theil ein rühmliches ift.
Entschuldigung.
Backfisch: .Denke Dir. Mama, der
Herr Resnendar hat mich soeben drei
mal geküßt!"
.Muttn: Warum haft Du denn nicht
gleich abgewehrt?"
Backfisch: Ich konnte ja nicht wis
sen, wie oft er mich küssen wollte!"
Modern.
Herr: Jetzt fehlt mir wieder eine
Menge weinn Cigaretten wenn ich
nur wüßte, ob sie dn Johann geraucht
hat oder meine Frau?"
Aus der Sefellschaft.
Sie sind wohl mit meiner Frau
gut bekannt, Frau Gräfin?"
Nur zu gut, sie ift eine sehr i n
t i m e Feindin von mir!"
Rache.
Toltor (für sich): .Nein, diese Ba
ronin ift eine unfolgsame Patientin
na warte. Dich mach' ich gesund!"
Neuer l?eiratksanlrag.
Gnädiges Fräulein, darf ich Sie
vielleicht zu meiner Hochzeitsreise ein
laden?"
Malitiös,
Alle Jungfer: .Finden Sie das
nicht reizend, Herr Doktor? Zu meinem
gestrigen Geburtstag schenkte mir mein
Papa eine Torte mit so vielen Lichtem,
wie ich Iahn zähle."
Doktor: .Das muß ja die reine
Illumination gewesen sein!"