Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 13, 1896, Image 9

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    Gestohlene Perlen,
Erzählung von M, 1 11 it 0 ro.
Adieu, aller Junge, amllsire Dich
flut und verdrehe den jungen Biüdchen
an der See nicht zu lehr die Stopfe."
Lebe wohl, lieber Fred. Schreibe
mir bitte recht oft. Wenn Du fort bist
-- und Robert ebenfalls, dann werde ich
mich zu Haufe sehr einsam filhlen."
Die Sprechenden waren Robert Lenz,
mein Freund, erster Buchhalter bes
weltbekannten Bankhauses Schanz &
Co. und dessen Stiefschwester Gertrud.
Robert war ein Mann von sllnfund
vierzig Jahren, mit welken, bleichen
Zügen, graumelinem Haar und müden
Augen; Gertrud ein hllbsches, liebrei
des Mädchen von vierundzwanzig
Jahren, meine Braut.
ES war gegen zehn Uhr Morgens an
einem heißen Sommertag auf dem
Bahnhof, von wo aus ich, ein junger
Mann von sechsundzwanzig Jahren,
meine Ferienreise nach Köln antrat.
Aber nicht nur meiner Erholung wegen,
sondern auch einer anderen Angelegen
heit wegen fuhr ich dorthin. Ich sollte
für das Bankhaus Schanz & So., wo
selbst auch ich angestellt war, einige Er
kundigungen einziehen.
Vor acht Tagen halte mir Robert
unter dem Siegel strengster Verschwie
genheit eine sehr erstaunliche Mitthei
lung gemacht. Vor etwa einem Jahr
hätte sich Fürst F., ein junger Lebe
mann, vom Hause Schanz & Co. die
Summe von silnfhunderttausend Mark
geliehen und als Unterpsand einen be
rühmten Perlenschmuck, der er von sei
ner Mutter, einer russischen Fürstin,
geerbt, niedergelegt einen Schmuck,
der einen Werth von einer Million Mk.
besah.
Diese Perlen waren mit der denkbar
sten Vorsicht in dem festesten Tresor des
Bankhauses eingeschlossen worden. Vor
etwa vierzehn Tagen hatten nun die
ChesS die erschütternde Entdeckung ge
macht, daß mittels rasfinirtester Schlau
heit die Sicherheitsschlösser des eisernen
Zimmers wie auch des Geldschrankes
erbrochen und einige der Perlen, etwa
der fünfte Theil, verschwunden waren.
Der Polizei machte man vorläufig keine
Mittheilung, um die Sache nicht an die
grohe Glocke zu hängen. Aber Robert
Lenz, der als achtzehnjähriger Knabe in
die Bank eingetreten und im Dienste
derselben ergraut war, wurde in das
Geheimniß eingeweiht.
Ich wohnte seit drei Jahren in
Robert's Hause und als sein bester
Freund und zukünftiger Gatte seiner
Stiefschwester besaß ich sein ganzes Ver
trauen. So hatte er mir, etwas un
vorsichtiger Weise vielleicht, den Verlust
der Perlen mitgetheilt.
Der Schlag, den die Bankiers er
litten, hatte auch ihn gewaltig er
schüttelt.
Er betrachtete die Ehre, die Jnteres
sen seiner Chefs als die feinen, wie dies
in Anbetracht seiner langjährigen Ver
trauensstellung ganz natürlich war. Er
schien sogar ärgerlich, daß ich angesichts
dieses tragischen Vorfalles meine Ruhe
bewahrte und trotzdem meine Ferien
reise antreten wollte. Am liebsten hätte,
n eS gesehen, ich wäre zu Hause ge
blieben.
Robert selber sollte nach Kassel sah
ren. Offiziell ging auch er zur Er
holung dahin, in Wirklichkeit aber, um
Erkundigungen über das Vorleben und
die Familie eines in der Bank angestell
ten Kafsirers einzuziehen, weil die Chefs
Grund zum Mißtrauen gegen diesen
etwas luftig lebenden Herrn zu haben
meinten.
Von alledem wußte Gertrud keine
Silbe. Sie war ein herziges Mädchen,
mit sanften, braunen Rehaugen und
ruhigem Wesen. Nach meiner Ansicht
ging sie zu einfach, geradezu unmodern
gekleidet. Besonder geistreich, wie
unsere meisten jungen Mädchen, konnte
sie sich auch nicht unterhalten. Meistens
war sie darum in der Gesellschaft
schweigsam und reservirt.
Manchmal rechnete ich ihr das sogar
als Fehler an, denn ich besaß ein leb
hasteS Interesse für die moderne Be
weauna und besonders für die französi
schen Romane, in denen geistsprühende I
und mterenan grauen ,o paatno ge
schildert werden, daß ich für diese Hel
binnen schwärmte. So kam es, daß ich
mir mit heimlichen Seufzern gestand.
Gertrud sei gar nicht mein Ideal der
Weiblichkeit, das ich aus die Tauer
lieben könnte.
Gerade in dem Moment, da der
Schaffner die Thür schließen wollte,
stieg eine in Trauer gekleidete Dame in
mein Coup. TaS Geficht war mit
einem dichten Crepeschleier verhüllt.
Kaum hatte ich Zeit, sie flüchtig zu be
trachten, da ertönte das Abfahrtssignal.
Noch schnell ein Kuß von Gertrud, ein
HSndedruck von Robert und der Zug
keuchte davon. Ich setze mich in eine
Ecke und begann meinen Roman von
Zola ,u lesen.
So verstrich etwa nne Viertelstunde
tiefsten Schweigens, da vernahm ich
plötzlich einen Seufzer. Unwillkürlich
blickte ,ch nach meiner fchmarzverhüllten
Reisegefährtin. Sie hatte den Schleier
gelüstet und ich erblickte ein Gificht von
so wunderbarer Schönheit, daß ich ganz
bezaubert war. Ader ihre Augen sahen
so furchtbar traurig aus. daß mir das
Her, weh that. SS jung, s, schön, und
so unglücklich?
Sie war von schlanker, graziöser
Figur und mochte über die erste Jugend
hinaus fein. TaS machte sie jedoch in
meinen Augen um so interessanter.
Ver
Jahrgang 17.
Meiner Ansicht nach mußten so die
Romanheldinnen aussehen. Ihr Haar
zeigte jene goldblonde Färbung, die sich
unter dem jchwarzen repehut um so
herrlicher ausnahm, als sie un grellsten
Gegensatz zu de en Farbe stand. Graue,
unergründlich tiefe, graue Augen mit
lanken, schwarzen Wimpern, welche wie
ein seidener chleier über die Lider
fielen, belebten ein seines blasses, fast
durchsichtiges Gesicht, und ihre Stimme,
die mich schüchtern fragte, ob ich nicht
freundlichst das Fenster schließen wolle,
versetzte mich in einen wahren Freu
denrausch. Es war eine entzückende
Stimme, so süß, so weich, so ein
schmeichelnd, daß sie sich einem jungen
Mann, wie ich es war, sofort in's Herz
stehlen nmtzte.
Armes Kind! Ihre Geschichte war
eine sehr traurige, wie ich bald erfuhr.
Vor sechs Monaten hatte sie ganz plötz
lich den Gatten verloren, der sie Mittel
los zurückließ. Jetzt befand sie sich auf
dem Wege nach Paris, wo sie eine
Stelle als Gesellschafterin bei Ver
wandten in einem vornehmen Hause des
Faubourg St. Germain angenommen
hatte.
Frau Hausen, so hieß die bezaubernde
Wittwe, war in Deutschland geboren.
Ihr Vater war Franzose, ihre Mutter
eine Deutsche gewesen. So kam es,
daß sie beide Sprachen gleich geläufig
redete. Anfangs war meine schöne
Wittwe sehr zurückhaltend und schweig
sam. Doch bald waren wir in das Ge
spräch gekommen, und nach und nach
thaute sie auf. Das lebhafte, sprühende
Temperament ihres Vaters schien bei
ihr zum Durchbruch gekommen zu sein,
denn jetzt lernte ich sie von einer Seite
kennen, die mich ganz und gar be
rauschte. Es stellte sich heraus, daß wir
gemeinsame Bekannte hatten, von denen
sie sehr lange nichts gehört hatte, mit
denen ich aber erst kürzlich zusammen
gewesen war, und nun führte sie die
Unterhaltung in geradezu Überschwenj
licher Lebhaftigkeit.
Ihr ganzes Wesen übte auf mich ei
nen faszinirenden Eindruck aus: Noch
nie in meinem Leben hatte ich ein so
munderbar schönes Weib gesehen, ge
schweige in ihrer unmittelbaren Nähe
geweilt. Außer deutsch und französisch
sprach Frau Hausen noch englisch, ita
lienisch, kurz, sie schien ganz intern
tional zu fein. Meine Sinne waren
so verwirrt und ich ganz und gar so be
rauscht, daß ich beschloß, meine Reise
abzuändern und sie nach Paris zu be
gleiten. Ich hätte es mir nie ver
ziehen, wenn ich diese auffallende Schön
heit allein eine so weite Strecke reisen
ließ.
Nach langem Bitten gestattete Stell
so lautete ihr Vorname mir end
lich, daß ich sie begleiten und in dem
selben Hotel absteigen durfte, woselbst
sie die fünf Tage, die sie vor Antritt
ihrer Stellung noch frei hatte, zubrin
gen wollte. Schon auf der Reise hatte
sie sich mit eifrigem Jntereffe nach allen
Verhältnissen meiner Familie, nach
meinem Leben und Gewohnheiten er
kündigt und dieses Fragen nach allem
möglichen damit motivirt, daß sie ein
seltsames Jntereffe für mich empfinde
und nicht etwa von bloßer Neugier ge
leitet sei.
Wie so ganz anders war doch Stella
im Vergleich zu Gertrud.
Der Gedanke an meine Braut war
mir fast peinlich. Ich wußte, daß ich
bis über die Ohren und mit rasender
Leidenschaft in Stella erliebt sei! Ich
hätte die größten Thorheiten für dieses
Weib begehen können, wohingegen Ger
trud
Stella wollte genau wissen, mit wem
ich verkehrte, wer meine besonderen
Freunde seien u. s. w. Alle diese Fra
gen stellte sie mit so bezauberndem Lä
cheln. daß ich ihr AlleS sagte, was sie
nur zu missen begehrte.
Am vierten Tage meine? Aufent
Haltes in Paris bekam ich einen fürch
terlichen Schreck. Stella Kar. Kopf
weh vorschützend, im Hotel geblieben,
während ich auf den Boulevards um
herschlenderte. Plötzlich wurde meine
Aufmerksamkeit aus die Insassen einer
eleganten, von zwei feurigen Vollblut
Pferden gezog'nen Equipage gelenkt.
Die in den Kissen zurückgelehnte,
auffällig und kostbar gekleidete Dame,
sehr hübsch, aber von herausforderndem
Wesen, war eine der bekanntesten Chan
sonettenSängerinnen von Paris, welche
wegen ihrer Ertravanganzen sehr
berüchtigt war. Und der Mann neben
ihr mit den welken Zügen, dem grau
melirten Haar und den traurigen Augen
war ich denn bei Sinnen irrte
ich mich auch nicht? Täuschten mich
meine Augen, oder war das wirklich der
erste Buchhalter, der Pertraute deS
HauseS Schanz und Co.. mein Freund
und zukünftiger Schwager Robert
Len,?
Tiefe Zweifel sollten bald gelöst wer
den, als fein Blick auf mich fiel. Er
äonntagsaast.
Beilage zum Nebraska Staats-Anzeiger.
starrle mich entsetzt an, wurde roth,
dann todtenblaß, und blickte mit un
säalich elendem Ausdruck weg.
Ich nahm eine Droschke und folgt:
der Equipage. Die Ijielt vor einem
der theuersten Hotels. Auch ich ließ
halten und legte meine Hand auf Ro
bert s Arm, als dieser ausstieg.
Robert, sagte ich leise, aber be
stimmt, ich muß Dich sofort sprechen."
Einen Moment starrte er mich an,
wie wenn er geisteskrank sei.
Das Spiel ist also aus," murmelte
er dumpf und führte mich schweigend
m sein Zimmer.
Versprich mir, daß Tu Gertrud
nichts erzählen willst." sagte er, und
frage nicht lange, was mich zu der
That bewog. Es kam über mich vor
einem Jahr Der Gedanke, daß die
Perlen dort lagen, keinem Menschen
etwas nützend Wie leicht es für
mich fei, einen Theil derselben an mich
zu bringen Auf mich würde nicht
der mindeste Verdacht fallen, dessen war
ich sicher Ich habe all' die langen
Jahre ein Hundeleben geführt, Arbeit
und Dienst, Dienst und Arbeit: das war
mein Loos. Dazu eine Verantwort
lichkeit bei geringem Lohn, wie sie
sobald nicht wieder einem Menschen auf
gehalst ist. . Tagtäglich gingen die un
glaublichen Summen durch meine
Hände,.. Die Versuchung war zu
groß Sie war stärker als ich
Ich bin krank herzkrank, ein Todes
kandidat. Das weiß ich, und deshalb
fühlte ich das mächtige Verlangen, ein
mal nur ein einziges Mal und wenn
es nur einige Tage wären das Leben
zu genießen, jenen Taumel kennen zu
lernen, von welchem man so viel er
zählt."
Stöhnend hielt er inne. Dann fuhr
er fort:
Nur noch wenige Wochen waren mir
vom Arzt gegeben. Mich ergriff eine
fieberhafte Sehnsucht nach den Freuden,
die wir bisher versagt geblieben sind.
Es ist ein Unglück, Alfred! Geld, Luxus,
luftige Gesellschaft ich habe es genoffen
vier Tage lang! Aber jetzt habe ich ge
nug davon übergenug! Komm ich
will Dir die Perlen geben. Es fehlen
nur drei. Auch mein Bekenntniß sollst
Du schwarz aus weiß besitzen. Ich habe
es längst niedergeschrieben, weil ich
fürchtete, daß ein Herzschlag mich plötz
lich übereilen könne. ES ist versiegelt
und an Schanz & Co. adressirt. Nun
nimm diese Dinge und geh' in Dein
Hotel zurück und komm' heute Abend
um sieben Uhr wieder hierher. Du
brauchst nicht zu befürchten, daß ich mich
aus dem Staube machen werde. Leb'
wohl, Alfred verzeih' mir und halte
Dein Versprechen, Gertrud nichts zu
verrathen."
Ich ging.
Daß ich Robert nicht lebend wieder
sehen würde, war meine feste Ueberzeu
gung. Ich war ganz erschüttert von
dem, was ich in der letzten Stunde ge
hört und gesehen. Das werthvolle
Packetchen in der Hand, ging ich in mein
Hotel zurück, eilte die Treppe hinauf,
öffnete mein Zimmer und prallte de
stürzt zurück. Auf dem Fußboden kniete
Stella und wühlte emsig in meinem
Koffer, den ich wohlverschlossen zurück
aelas en; der Inhalt desselben lag zum
großen Theil ringsum verstreut auf
dem Boden.
Als sie mich gewahrte, stieß sie einen
Schreckensschrei aus und floh aus dem
Zimmer. Dabei entfiel ihr ein Blatt
Papier. Ich hob es auf und entdeckte,
daß dasselbe im Depeschenstil gehalten
und an eins der berühmtesten Detektiv
Institute in Hamburg adressirt war,
woselbst, wie ich mußte, auch weibliche
Beamte angestellt waren. Auf dem
Papier theilte meine schöne faSzinirende
Wittwe ihren Chefs mit, daß sie das
Obiekt" nach PariS ge lihrt habe und
die Perlen baldigst zu erlangen hoffe.
Leise schritt ich über den Korridor
nach ihrer Thür und lauschte: Sie ging
auf und ab. Behutsam drehte ich den
Schlüssel herum und zog ihn ab. Wenn
sie entdeckte, daß sie eingeschlossen war
und Lärm schlug, mußte erst ein
Schlosser geholt werden, um die Thür
zu öffnen. Bis dahin konnte ich schon
über alle Berge sein.
Tann packte ich schnell meine Sachen.
bezahlte meine Rechnung und verlieb
das Hotel. Nun suhr ich zu dem
lenigen, ,n welchem Robert wohnte.
Ich fand den Besitzer desselben in
größter Aufregung, denn man hatte
meinen Freund todt aufgefunden er
hatte zu diel Morphium genommen.
Eine halbe Stunde später saß ich im
Blitzzug nach Hamburg, um vieler Er
fahrungen reicher und klüger.
Tie Besitzer der Bank erhielten die
Perlen sofort bei meiner Ankunft zurück.
Ich nehme heute noch Robert'S Stellung
ein. Seit jenem Abenteuer aber habe
ich einen heftigen Widerwillen gegen
weibliche Wesen, die auffallend schön
sind und einen faSzinirende Eindruck
ausüben. Seit einem Jahr bin ich
mit meiner lieben, sanften Gertrud ver
heirathet und der glücklichste Mann der
Welt.
Sie hat nie erfahren, welches Drama
sich in jenen Ferientagen zugetragen
hat. Denn auch meine Chefs haben
über diese Angelegenheit nie ein Wort
verlauten lassen. Sie danlen mir, daß
ich es war, der ihnen die Perlen wieder
zurückgebracht und schon aus Rücksicht
aus meme kleine liebe Frau haben sie
mir stets Stillschweigen gelobt.
Ctebe mit kzindernissen.
Humoreske on Hedenstjerna.
Er war ein junger, frischer Jung
ling, der sich der Landwirthschaft ge
widmet hatte. Er hatte treue, blaue
Augen, doppelsohlige, lange Schast
stiesel und eine Stellung als Inspektor
bei dem Gutsbesitzer Borst auf Lind
acker.
Sie war ein junges, frohes Mädchen,
die eine Haushaltungsschule durchge
macht hatte. Sie hatte ein blaukarrir
tes Alltagskleid, eine kleine, nette Figur,
runde Wangen, appetitliche Lippen und
eine Stellung als Wirthschaften bei
der Frau Gutsbesitzer Birst.
Er hieß Karl Anders und sie hieß
Lottchen Jensen.
Sie sahen einander täglich, und eS
wäre ein Wunder gewesen, wenn sie sich
nicht geliebt hätten. Aber unser Herr
hat aufgehört, Wunder zu thun; darum
liebten sie sich auch, wie es ihre jungen,
verhältnißmäßig unverdorbenen Herzen
vermochten.
Aber sie hatten niemals Gelegenheit
gefunden, davon miteinander zu
sprechen, und wenn Lottchen am Herde
stand und ihre Braten in der Pfanne
umwendete, hatte sie ein Gefühl, als
wäre es ihr eigenes, sehnendes, liebendes
Herz gewesen, das sie umdrehte.
Herr Anders prüfte seine Vorzüge.
Im mündlichen Vortrag war er nur
schwach, die Augensprache war ein zwei
schneidiges Schwert, das, wenn es bei
Tisch erprobt wurde, die einzige Stelle,
wo man sich sicher täglich traf, fehl
treffen konnte und zwar die Gouver
nante oder Frau Borst. Seine Hände
waren groß und roth. Seine Stimme
eignete sich nicht für den Gesang. Aber
die Füße, das war Herr Anders' stärkste
Seite. Er hatte, wie gesagt, Schaft
ftiefel, er konnte täglich fünf Meilen
gehen, ohne müde zu werden, und er
faß Lottchen gerade gegenüber, Welches
Feld für eine zärtliche und feine Fuß
spräche! Und so drückte er denn in
Gottes Namen zu, mitten zwischen der
lZuppe und dem Hecht, mit den äußer
sten Zehspitzen, zärtlich fragend, liebe
voll
Donnerwetter, meineHühnerauge n
Halten Sie doch Ihre Füße still, Herr!"
schrie der Gutsbesitzer.
Man muß die Gegend genau kennen,
um sich aus Fußpartieen einzulassen.
Aus Lindacker gab eS viele schöne
Pferde und einige reizende, kleine Fül
len. Herr Anders liebte die Pferde,
und wenn er einen freien Augenblick
hatte, stand er immer in der Stallthür
und schaute die schönen Thiere an.
Wenn nun Fräulein Jensen Herrn
Anders wie ein Fragezeichen in der
Stallthllre stehen sah, eilte sie selbst
schnell wie ein Gedankenstrich zu dem
Regal, wo in der Küche die übrig
gebliebenen trockenen Brodstücke hinge
legt zu werden pflegten, schüttelte sie in
ihre Schürze und steuerte auch ihrerseits
nach dem Stall, um die kleinen, süßen
Thiere zu füttern.
Jetzt oder niemals" dachte der In
spektor jedesmal, wenn er das blaukar
rirte Kleid über die geharkten Gänge
und das hervorsprießende Gras auf sich
zuschweben sah. Aber gerade wenn er
sein Herz öffnen wollte, kroch entweder
einer der Knechte vom Hemboden herab
der das Milchmädchen kam und sollte
im Hackselkaften nach Eier suchen oder
Frau Borst rief :
Fräulein Jensen. wo ist der neue
Wedelamm?" Oder es schrie der Guts
besitz : '
Herr Anders sollen mir heute Korn
säen?"
Und dann umwölkte sich Lottchen S
Stirn, und Herr Anders machte ein sehr
unfreundliches Geficht.
Aber dann ging die Sonne an einem
schönen und lachenden Auguftfonntag
über Lindacker aus. Alle sollten zur
Kirche fahren, außer Lottchen. die
urplötzlich furchtbare Zahnschmerzen"
oelam, sowie Herr Anders, der zu
Hause bleiben wollte und danach schen,
daß die Torskinder nicht alle Kirschen
stahlen.
Um zehn Uhr Vormittags lenkten ein
Paar blankgedürftete Reitstiefel aus
bestem otzleder ldren Weg zum Park
am See hinab und zehn Minuten fps
t trippelten ein Paar netter, kleiner
Ro. 13.
Kalblederstieselchen denselben Weg ent
lang. Sie trafen sich unter einer schal
tigen Erle und zum hundertsten Male
dachte Herr Anders : Jetzt oder nie
mals !"
Der arme, ehrsame Jüngling! Er
zitterte don Kopf bis zu Fuß.
Daß arme, ehrsame Mädchen! Auch
ihr Herzchen klopfte mächtig .und die
kleinen sonnenverbrannten Finger zit
terten.
0, Fräulein Jensen. wie sehr habe
ich mich nach dieser Gelegenheit gesehnt
Ihnen zu sagen, wie innig "
Ich hoffe, daß ich nicht störe?" sagte
die Gouvernante süßsauer und schritt
mit langen Schritten plötzlich aus den
thaunaffen Büschen hervor.
Ich ich dachte, das Fräulein
wäre in der Kirche," stammelte der In
spektor.
Nein, unglücklicherweise bekam ich
so schreckliche Zahnschmerzen! Guten
!viorgen, meine Herrschaften! Biel
Vergnügen aus Ihrer Promenade!"
Und dann verschwand sie.
Als Herr Anders sich nach Lottchen
umwandte, war auch sie verschwunden,
als wenn sie ein Nebeldild gewesen
wäre.
Der August ging zu Ende, aber der
Mondenschein war noch wunderschön.
Eines Abends, als Lottchen die Wäsche
eingeweicht, Preißelbeeren eingekocht,
vier Hühnchen gepflückt und alle ge
bleichte Leinwand abgenommen hatte,
meinte sie, das Recht zu haben, ein we
nig hinauszugehen, und zu schwärmen.
Der untrügliche Instinkt der Liebe lei
tete Herrn Anders, der hinausspaziert
war, um einige Züge aus seiner Ci
garre zu thun, gerade zu derselben
Bank unter einen groken Aotelbaum
hin. Muthiger als jemals, in der
stillen Abenddämmerung, die mitleidig
ihre Schleier über sein verlegenes Ant
litz breitete, begann er abermals:
O, Lottchen, endlicv werde ich doch
einmal Ihnen sagen können, wie gren
zenlos ich Sie "
Da saufte es wie ein Wirbelwind in
den heftig sich schüttelnden Zweigen des
Apselbaumes. Tausend kleine runde
Körper regneten auf die beiden jungen
ute herab, und mitten droben im
Baume ertönte ein munteres Lachen.
Es 1 1 wirklich sehr traurig, daß ein
armer Inspektor, der den ganzen Tag
im Schmeiße seines Angesichts gearbei
tet hat, nicht einmal, wenn der Abend
kommt, in der Stille und im Frieden
der Natur, derjenigen, die er liebt,
sein Herz öffnen kann, ohne erst nachzu
sehen, ob nicht die Jungen des Prinzi
pals auf dem Baume sitzen und Unfug
treiben.
Herr Anders faßte einen kühnen
Entschluß. Er wollte am 1. Otkober
ziehen und ein kleines Gut für eigene
Rechnung pachten. Daher wollte er
vorher keinen neuen Versuch machen,
Lottchen unter vier Augen zu treffen.
Aber wenn er seinen Lohn bekommen,
hatte, seine Bücher und das Inventar
abgeliefert und allen Borst's zusammen
genommen für ein angenehmes Zusam
rnenleben gedankt hatte, dann wollte er
offen, ruhig und ernft sagen:
Frau Borst, dürfte ich fragen, wo
ich Fräulein Jensen treffen kann? Ich
habe ihr ein paar Worte allein zu sagen."
Und dann würde er ebenso ruhig und
ernst die Hand der Geliebten erfassen,
ihr in die Augen sehen und sagen:
Lottchen, Du weißt, daß ich Dich
liebe! Willst Tu mich auch ein klein
wenig lieb haben?"
Auf diese Weife würde alles schön und
gut werden.
Der 1. Oktober kam. Herr Anders
bekam feinen Lohn, lieferte die Bücher
und das Inventar ab, dankte der Fa
milie Borst für die angenehme Zeit, die
er in ihrem Hause zugebracht, wandte
sich darauf an Frau Borst und sagte
sehr ordentlich, wenn auch mit bebender
Stimme:
Frau Borst, dürfte ich fragen, wo
ich Fräulein Jensen treffen könnte? Ich
wollte etwas hm, eine Kleinigkeit
ich wollte sie allein "
Frau Borst lachte.
Es thut mir sehr leid. Herr Anders.
Fräulein Jensen bekam gestern Nach
mittag Urlaub fortzureisen, um ihren
kranken Bruder zu besuchen."
Herr Anders taumelte fast bewußtlos
aus dem Zimmer und auf das Fuhr
werk hinauf, das ihn zum Bahnhof
führte, kaufte ein Billet, stieg in den
Zug ein und drückte sich in die Ecke, zog
fein blaukarrirteS Taschentuch vor,
schnaubte feine Nase und weinte,
weinte zum ersten Mal seit seine Mut
ter am Nervenfieder starb, als er erst 14
Jahre alt war.
In Station 3t begegnet der Schnell
zug N. 137, mit dem Herr Anders
reiste, dem gemischten Zug No. 142,
genau nach Vorschrift. Und so kam
auch dieses Mal Zug No. 137 mit
Herrn Anders in der Station an, als
No. 142 bereit stand, abzugehen.
Himmel! DaS ist LotlchenS blauer
Shaml in dem Damencoupee dritter
('lasse des ZugeS No. 142.
Herr Anders stürmte auf den Perron
hinaus, verneigte sich vor dein Qhawl
in No. 132 und ries mit einer Stimme
die vor jahrelanger Sehnsucht, grenzen
loser Liede und Angst bebte:
Lottchen, willst Du meine Frau
werden?
Entsetzt über das heitere Erstaunen
der glücklicherweise sehr wenigen Paffa
giere, dachte Lottchen, in gewöhnlicher
Mädchenweise, Umstände zu machen.
Aber blitzschnell stand eS vor ihrer jung
sräulichen Seele, daß eS jetzt galt, den
Augenblick wahrzunehmen, wenn nicht
das Glück ihres ganzen Lebens verspielt
werden sollte, und sie antwortete einfach
und treuherzig: Ja. Karl!"
So steige sogleich aus," sagte Herr
Anders.
Und das that sie. Hand in Hand
stürmten sie in den Wartesaal erster
Klasse, und dort sank Lottchen an das
getreue Herz, das sich so lange und in
nig nach ihr gesehnt hatte. Aber das
junge, holde Mädchen, dessen innerste
Herzensnerven erschüttert waren, erbebte
plötzlich in den Armen des Geliebten,
schlug seine schönen feuchten Augen aus
und rief in keusch, unbeschreiblicher
Verwirrung:
Meine Reisetasche!"
Aber Herr Anders antwortete ihr
nicht. Was sind wohl alle Reise
taschen. Handkoffer und Reifekörbe der
Welt für einen Inspektor, der liebt und ,
weiß, daß er wieder geliebt wird.
Jag mit Leoparden.
In seinem Buche "Beast and Man
in India" (London, Macmillan) plau
dert der Engländer Kipling von den
seit Jahrhunderten für die Jagd der
indischen Fürsten gezähmten Leoparden.
Unser Mitarbeiter erwähnt davon Fol
gendes: Der Fang der Thiere bereite
keine große Schwierigkeit. Es giebt ge
wiffe Bäume, unter denen sie zu spielen
und ihre Klauen zu wetzen pflegen, wo
bei sie leicht in die Schlinge des Jägers
gehen. Nicht geringe Geduld und be
sonders viel Geschrei dagegen verlangt
ihre Zähmung, Zunächst wird das ge
fangene Thier mit starken Stricken fest
auf ein hölzernes Ruhebett gebunden,
wo es dann mit verbundenen Augen
oftmals am Äage den fürchterlichsten
Spektakel über sich ergehen lassen muß,
indem besonders Weiber ihm gellende
Töne zur Einschüchterung in die Ohren
schreien. Der Hunger thut ein UebrigeS,
um die wilde Natur des Leoparden bis
zur völligen Erschlaffung zu bändigen.
Schließlich, wenn er sich mit Ergebung
in sein Schicksal gefügt hat, wird er ge
fesselt und von seinen Wächtern an
Stricken festgehalten, durch die dichte
Menge der Bazare geführt, um ihn an
den Anblick der Menschen und an
allerlei Lärm zu gewöhnen. Der end
liche Erfolg dieser merkwürdigen Zäh
mungsweise tritt besonders in der von
vielen glaubwürdigen Personen be
(tätigten Anhänglichkeit des ursprüng
lich so wilden ThiereS an seinen Wach
ter zu Tage, mit dem eS oft unter der
selben Decke das Nachtlager theilt.. Von
einer Ablichtung für die Jagd 'kann
keine Rede sein, denn man sängt nur
erwachsene Thiere, die aus eigenem An
trieb schon manches Stück Wild erlegt
haben. Von aliersher dienen gezähmte
Leoparden den indischen Fürsten beson-
derS aus der Antilopenjagd. In der
Nähe einer Heerde solcher Thiere werden
sie losgelaiien und stürzen sich dann,
ihrer alten Gewohnheit treu, aus die
nächste Beute, von der sie nur ein paar
Mundvoll Blut und ein Stück Leber
für sich behalten dürfen. Bei den Hoch
zeitsfeftlichkeiten eines indischen Haupt-
lings im ahre 1 hatten die Gäe
das Vergnügen, einer Antilopenjagd
mit einem gezähmten Leoparden beizu
wohnen.
Der solide paxa.
Mutter (zum Sohn, der Morgens
um fünf Uhr heimkommt) .Schämst
Du Dich nicht vor Deinem Vater,
Bengel der ist schon eine halbe
Stunde zu Haus!"
Unerwartete Replik.
Tochter des fiaufes: Nun, mit bat
es Ihnen bei uns gefallen, Herr Ba
ton?"
Gast: Vorzüglich, gnädiges Fräu
lein! Glaube, daß ich diese Nacht von
Ihrer Köchin träumen werde!"
Brave Linder.
Nun, Johanna, waren die Kin
der während meiner Abwesenheit recht
brav?"
.0 ja nur zum Schluß haben
sie tüchtig gerauft miteinander!"
Warum denn nur?"
, Jedes wollte am bravsten ge
Wesen sein!"
verkebrtk Welt,
A: Hat die Wittwe Zangerle eigeni
lich Geld?"
B: Nein. Ich hab' aber gehört,
ihr Schmieaeriobn. mit dem sie iett
zusammen wohnt, will ihr zehntausend
Mark mitgeben, wenn sie wieder hei
rathet!'
Ver schlaue Zigeuner.
. Was, die alte geizige Jungfer
hat Ihnen für die Erklärung der Hand
linien ein Zehnmarkstück gegeben?"
Ich hab' ihr prophezeit, daß sie mit
ierundzmanzig Jahren ein U n
glück treffen würde und das hat sie
so gefreut!"