Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, August 13, 1896, Image 10

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    Dein einen sin Ulsi ist dem an
dern sin llachtioal.
in, Alllagsgkschichlc. Von M, Tchokpp,
Niemand hatte es erwartet und die
beiden am allerwenigsten. Wenn sie
zurückdachten, tonnten sie gar nicht be
greifen, woher sie den Muth genommen
hatten. In einer schwachen Stunde,
zu der er die Kraft in kurzem Stoßgebet
gesunden, war eS geschehen. Sie stopfte
gerade seine Strumpfe er hatte einmal
Thränen in den Augen gehabt, als er
ti beobachtet und er war hiniiberge
kommen, um sie zu bitten, einen Knops
anzunähen. Ta hatte er es ihr gesagt.
Sie begann darauf schrecklich zu weinen
und fragte, womit sie das verdient
habe. Und er hätte am liebsten auch
gemeint, so derzweifelt war er. Und
stand nun in seinen Hcmdsärmeln da,
mit den grobe, rothen Händen, den
bleichen Kopf auf die Brust gesenkt, und
sah auf das sehr grobe Loch in dem
grauwollenen Strumpf, das ihn vor
urfsooll anstarrte.
Seit vollen sechs Jahren wohnte der
Gerichtsschreiber Franz Ohlmann bei
Luttgens und seit fiinfen hatte er sich
vorgenommen, Alberta zu heirathen.
Und sie hatte seit fünf Jahren darauf
gewartet, hatte für ihn genäht und ge.
stopft und gestrickt, zweimal wi)chent
lich feine Lieblingsspeise gekocht und
einmal fein kleines Zimmer ganz gründ
lich reingemacht, obgleich sie doch jeden
, Augenblick wahrnehmen mubte, um
ihrer Weibnäherei obzuliegen. Ihre
Eltern konnten sich darum nicht kürn
mein. Sie hatten einen Gemusekeller
und eine Rolle", denen ihr ganzes In
tensfe gehörte. Zudem besaßen sie beide
einen so stattlichen Umfang, das; ihnen
überflüssige Bewegungen unbequem
dann. Herr LUttgens saß deshalb bei
gutem Wetter neben dem Kellereingang
auf einer kleinen Bank, rauchte, wenn
er nicht frühstückte oder vesperte und
nickte den Dienstmädchen, die ihm
freundlich einen guten Tag boten, her-
blaffend zu. Er las nur die amtliche
Zeitung, da sein Geschäft nur Herr
schastliche Kunden besah, und in seinem
Wesen, auf seinem Antlitz prägte sich
etwas Patriarchaliiches aus. Im Wm
ter sah man ihn selten, oder man
mutzte das Glück haben, durch die ange,
lehnte Wohnzimmerthllr zu sehen. Dann
konnte man ihn neben dem Ofen
blicken, wie er in tiefen Gedanken dasaß,
die Augen fest auf den stattlichen,
schwarzen Kater gerichtet, der ihn ab
und zu anblinzelte, halbstündlich seinen
bequemen, warmen Platz neben dem
Kohleneimer wechselte, wobei cr jedes
mal einen wundervoll abgerundeten
Buckel machte, und nur bereitwillig zur
Seite ging, wenn das Feuer geschürt
der neue Kohlen aufgelegt wurde.
Aus alledem war deutlich zu ersehen,
daß Herr LUttgens die Repräsentation
des Geschäftes übernommen hatte, ah
rend seine Frau dem Handel vorstand,
Zu diesem Zweck hatte sie stets eine
blaue Scqurze vorgebunden, unter der
eine riesige, viereckige Geldtasche sich
verbarg.
Ihr breites Gesicht konnte immer
lächeln, d. h, bei den gutzahlenden Kun
den; die kleinen Handwerker aus den
Hinterhäusern sahen sie nur ernst und
etwas streng. Und wenn man bei ihr
borgen wollte, sagte sie, daß sie eS aus
Prinzip nicht thue und stets auf Ord
nung in ihrem Geschäft gehalten hat.
Ihre Lieferanten hatten große Hochach
tung vor ihr, und der Mann, der die
Heringe, die Salzgurken und die weiße
Seife lieferte, sagte, daß sich eine Gräfin
nicht bester zu benehmen wüßte als seine
theure Freundin.
Natürlich war eS unter diesen Um
stünden dem Ehepaar nicht möglich, sich
um den Haushalt zu kümmern, und so
hatte es die Sorge um diesen und ihren
langjährigen Miether, den Gerichts
schreib, aus die schwächlichen Schultern
ihrer Tochter Alberta gewalzt, die das
zu ihrem Vergnügen" that, während
ihre eigentliche Beschäftigung die Weiß
Näherei war. Aber auch zu ihrer Bil
dung fand sich hin und wieder noch ein
Stündchen. Herr Ohlmann, der bei
einem Gerichtsvollzieher als Schreiber
thätig war und außerdem von allen
möglichen Originalen Kopien in fast
gestochener Schrift anfertigte, war in
einer Leihbibliothek abonnirt, und wenn
n ein besonders aemiilhvollkS Buch mit
nach Hanfe brachte, mußte auch sie eS
lesen. Tann sahen sie sich tief ergriffen
an, und sehr oft mußte Alberta schnell
in die Küche eilen, um ihr schmerzliches
Schluchzen zu verbergen.
Und nun mußte es so kommen! Sie
waren verlobt. Und seltsam sie
meinten, daß irgend etwas anders ge
worden fei zwischen ihnen; etwas, das
ihr Glück störte, das sie daS .Früher"
urückmünschen ließ. Vielleicht meinten
sie es auch nur, weil alleS so sehr seier
lich und ungewohnt war. Wie Ver
drecher waren sie sich vorgekommen, als
sie den Eltern gegenüberstanden; sie
wagten kaum zu athmen, grau Lütt
gens weinte bitterlich, sagte, daß sie es
nicht begreifen könne nach allem, was
sie ihre Tochter GuteS gethan. Und daß
ei grausam von einem fremden Mann
fei. ihr Vertrauen f zu tauschen und
sie ihreS KindeS zu berauben. Ihr
Mann nickte zu allem, sah vorwurfsvoll
bald aus das zerknirschte Paar, bald aus
den Kater. Aber als sie am Schlüsse
ihrer Thränen und ihrer Rede ihre
dvllen Arme weit ausbreitete und in -ner
Umarmung den Schreiber und ihr
Lind an ihr übervolles Herz drückte.
zog auch über sein rothes,' würdevolles
Gesicht eie väterliche uyrung. r
zog sein rothes Schlachtelaschentuch her
vor, schneuzte sich und ahmte seiner
Gattin nach. Und dabei machte er die
Bemerkung, daß Herr Ohlmann eigent-
lich doch recht mager sei, und ein mit
richtiges Mitleid zog in sein Herz ein
für den Schwiegersohn, und sehr oft
schob er ihm nun bei Tisch die Fleisch
schüssel zum zweiten Mal hin, was frü
her nie geschehen war.
Natürlich durfte fortan das Braut
paar nicht mehr unbeaufsichtigt fein.
Frau Lüttgens war eine Frau von
Welt, und gerade Über diesen deli
taten Punkt hatte sie die weitestgehenden
und gedankenvollsten Gespräche mit
ihren verheirathetcn Kundinnen, die
aan, ihrer Meinung waren. Sobald
Herr Ohlmann Mittags nach Hause
kam, mußte Alberta in den Laden,
während ihre Mutter siir das leibliche
Wohlergehen ihres künstigen Schwie
gerfohnes sorgte. Und waren sie
Abends zusammen, wurde jedkr ihrer
Blicke, -jeder ihrer Handedrücke einer
genauen Kontrolle unterworfen. Oft
wurde auch noch eine gute Freundin
geladen, die sich dann zwischen das lie
bende Paar setzte und eine stille Freude
an der Verzweiflung der beiden hatte.
Sie strickte, Alberta nähte, Frau Lütt
gens achtete aus die Ladenglocke, und die
beiden Männer sahen zu. Das waren
ihre geselligen Abende.
Nachdem die Berlobungsringe an-
geschafft und zweimal umgetauscht
waren, sprach man von der Nothwen
digkeit, Visiten abzustatten. Ist es
denn durchaus nöthig?" sragte Alberta
ihre Mutter, sie hatte eine grenzenlo e
Angst vor diesen Besuchen. Diese war
äußerst erstaunt.
Glaubst Du denn, wir sino unter
den Wilden? Oder meinst Du, ich
weiß nicht, was unserem Stande zu
kommt?"
Auch Franz suhlte, wie seine Fas
sung ihn verließ, als er von den Be
suchen hörte und daß er dazu einen
nagelneuen schwarzen Anzug und einen
(? ylinderhut haben müßte. Seine Züge
verriethen ein krampshaftes Lächeln,
als er die Liste der zu Besuchenden, die
aus einem Stück chneeweitzen t5in
wickelunqspapier verzeichnet war, sah.
,,Ja." sagte Frau Liittgcns stolz, wir
haben einen großen Bekanntenkreis,
lieber Ohlmann, und ich denke daher
auch, wir besorgen vorläufig kein feil
berzeug."
Alberta bekam ein schwarzes Kleid
mit Schneppentaille ihre Mutter
hatte gesehen, daß die Tochter des
Regierungsrathes von gegenüber auch
so eins hatte und war nie so häßlich
gewesen wie in diesem fctaatslleid.
Ihre Magerkeit kam sehr deutlich darin
zur Geltung, und trotz des Perlen,
besatzes und der seidenen Schleifen
machte sie einen höchst unvortheilhaften
Eindruck. Als sie es zum ersten Mal
angelegt hatte, fanden sich ein halbes
Dutzend Nachbarinnen ein, die den
Stoff und die Machart und sogar das
Futter bewunderten. Denn da es lau
ter praktische Frauen waren, niußten
sie auch sehen, wie sich die linke Seite
ausnahm. Franz saß auf dem Sofa
es war in der allen Stube und
lächelte krampfhaft, wie er es jetzt sehr
oft that, und traute dabei seinen Augen
nicht. War das wirklich Alberta, der
so lange sein stilles Sehnen gegol
ten und die immer geschäftig, immer
freundlich gegen ihn gewesen die
bei manchem schönen Gedanken in den
gefühlvollen Romanen so schmerzlich
geweint und die so ost in seinen Träu
men erschienen war aber anders,
so ganz anders! Er kcnnte es nicht
begreifen.
Verstohlen betrachtete er sie und
auf einmal siel ihm ein, daß einige sei
ner Freunde aus dem Gesangverein
Harmonie" ihn dringend gebeten, seine
Braut doch auch mitzubringen, damit
man sie kennen lerne. Er hatte sie
ihnen in glänzenden Farben gezeichnet,
sie neugierig gemacht; ja, von dieser
Alberta, die da vor ihm stand, mit hän
genden Armen, linkisch und erlegen sich
bewegend, mit der modernsten, für sie
so unkleidsamen Frisur von dieser
Alberta hatte er nicht gesprochen.
Sie machten ihre Besuche. Ueberall
war es dasselbe. Nirgends schienen sie
erwartet zu sein, obgleich in all den be
kannten Familien ihretwegen die guten
Stuben gereinigt und gelüftet waren.
Alberta wurde wie ein Wunder betrach
tet, Franz vielsagend die Hand ge
drückt, und da es natürlich Sonntag
war, kamen auch die Kinder und die zu
fälligerweife gerade anwesenden Nach
barn herein, immer einer hinter dem
anderen, die Kinder die Hände in dem
Mund, die Erwachsenen sich heimlich
mit denEIIendozen anstoßend, und waren
junge Mädchen da, lieferten sie wohl
auch. Auch die Gespräche waren sich
sehr ähnlich. Familienmesen, Gesund
heitszuftand, Geschäftsgang, Fragen
über die Hochzeit, neckische Anzüglich
leiten und dazu wurde ein SchnappS
oder fogar Bier getrunken im Gan
jen ging Alles sehr ernst und feierlich
zu."
Aber wenn sie draußen waren! Wenn
man sich überzeugt hatte, daß sie wirk
lich fortgingen! Alle tauschten dann
ihre Bemerkungen, meist recht boshafte
Bemerkungen. Und wenn die Alberta
sie gehört, wäre sie wohl am liebsten vor
Scham in die Erde gekrochen. WaS sie
sich wohl einbildete! Und daß sie über
Haupt noch einen Mann bekommen, und
wie sie'S wohl angefangen, und wie alt
sie schon aussehe, und daß man glau
den könne, sie wtte seine Mutter o,
eS gab für eine Woche Gesprächsstoff.
und doch waren sie alle zur oqzeit ge
laden.
Vielleicht ahnten die beiden etwas
von dem, was hinter ihrem Rücken ge
sprachen wurde. Sie wurden immer
schweigsamer; Franz starrte den Vor
übergehenden in'3 Gesicht, und seine
Braut ei hob den Blick nicht mehr vom
Boden. Mit Gewalt drängte sie die
Thränen zurück. Was hatte sie denn
gethan, da er nun so anders war als
srühcr? War er beleidigt? Aber
warum beim? Auf dem ganzen Wege
hatte er noch kein freundliches Wort an
sie gerichtet.
Erschöpft kamen sie nach Hause, wo
sie Alles berichten mutzten, was in den
verschiedenen Familien gesprochen wor
den war. Frau Lüttgens nickte zusrie
den mit denk Kopse. Es mutzte Franz
doch imponiren, welch' grotzen Bekann
tenkreis sie hätten.
Als Franz am nächsten Tage in den
Verein Harmonie" kam, wußte er, daß
man soeben von ihm gesprochen. Es
war aus einmal eine verlegene Stille
eingetreten. Er ärgerte sich und setzte
sich schlecht gelaunt hin. Und dabei
beschlich ihn ein eigenthümliches Angst
gesühl. Was sie wohl gesprochen haben
könnten? Und wie schrecklich, wenn sie
sie gestern gesehen hätten! Gestern, wo
sie so linkisch ausgesehen. Scheu ver
suchte er auf den einzelnen Gesichtern zu
lesen. Auf einigen verlegenes Lächeln,
auf anderen geheucheltes Staunen oder
Gleichgiltigkeit aber dort Fräulein
Trudchen, die, sich durchaus mit dem
Provisor verloben wollte und deshalb
die intimste Freundin seiner Schwester
geworden, kicherte in ihr Taschentuch
hinein und stieß ihren Freund sreund
lich mit dem Ellenbogen in die Seite.
Und der Provisor kicherte auch, und hin
ter dem Bierglase schnitt er eine Gri
masse, die sein Gegenüber, einen jungen
Handlungsgehilfen mit rothen Händen
und blauer Kravatte, zu stürmischer
Heiterkeit veranlaßte.
Wie ärgerlich Sie aussehen!" sagte
der Vorsitzende, der einen stattlichen
Schnurrbart hatte und im Civilleben
Buchhalter, Kassirer und Expedient in
einem Detailgeschäft war. Haben Sie
Aerger mit Ihrem Alten gehabt?"
Nein, durchaus nicht," erwiderte
Franz und machte einen verzweifelten
Versuch, ubervergnugt auszulehen.
Aber Sie sehen doch so aus. Nicht
wahr, Fräulein Trudchen? Er sieht doch
so aus!"
Nein," sagte die Gefragte neckisch,
nein, er ist böse, daß er in den Verein
gekommen ist. Er wäre lieber bei sei
ner Braut geblieben."
Ja, ja!" schrie es von allen Seiten,
das ist's! Warum hat er sie denn nicht
mitgebracht?"
Sie ist zu vornehm für uns. Er
denkt, sie könnte ihm untreu werden."
Sie verkehrt nur in standesgemäßer.
Kreisen." Alle lachten, alle blickten
herausfordernd auf Franz, der sich ver
stört im Kreise umsah und durchaus
nicht wußte, was er von dieser offenbar
feindlichen Haltung denken sollte.
Sie sind in einem großen Irr
thum," sagte er verwirrt. Meine
meine Braut ich Sie dürfen mir
glauben "
Aber sie schrieen wieder alle durch
einander, eS kamen einige recht anzüg
liche Redensarten vor, denen er nicht
einmal entgegentreten konnte, da er
wohl fühlte, daß sie recht hatten so zu
sprechen. Wiederholt hatten sie Alberta
eingeladen, sie hatte stets abgelehnt,
ebenso wie ihre Mutter, und manchmal
unter recht nichtigem Vorwand. Er war
zu all den Freunden und Verwandten
gegangen, die Frau LUttgens ihm ge
nannt; die seinigc waren völlig unbe
rücksichtigt geblieben. Er dachte an die
Unbehaglichkeit, seitdem er verlobt war.
an die Langeweile, an das häßliche.
magere Mädchen, das früher so ganz
anders war und sich nun so nüchtern,
so reizlos zeigte er sah sich von allen
diesen hier ausgestoßen und wußte nicht,
womit er das verdient hatte. Finster
sah er von einem zum anderen. Und
alle fanden das sehr komisch, denn alle
kannten ihn nur als sanft und freund
licy unv zuvorkommend.
AN die em Abend wartete seine Braut
vergebens aus ihn. und ihre Mutter
sagte, daß man ihm eine derartige Nach
laisigkeit bei Zeiten abgewöhnen miine.
Lange nach Mitternacht kam er. und
Alberta hatte am nächsten Morgen ver
wcinle gen.
Ihr müßt so schnell wie möglich
heirathen", sagte Frau Lllttgcn's.
Ohlmann neigt zum Leichtsinn. Gieb
acht, er kommt auch heute nicht zur
Zeit !"
Und richtig, er kam nicht. Sein
Prinzipal, der Gerichtsvollzieher Herr
Braun, hatte ihn zu einem GlaS Bier
eingeladen. Er hatte gehört, daß sein
Gebilse heirathen wollte, und war fest
entschlossen, ihn von dem Unsinn, wie
er sagte, zurückzuhalten. WaS sollte er
mit einem verheirathen Gehilfen an
fangen? Jetzt war besten Denken und
Trachten das Geschäft, nachher war's
die Familie. Er dachte dabei an Ge
Haltserhöhung, Urlaub, schmutzige
Wasche und abgetragene Kleider, viel
leicht auch an Pünktlichkeit zum Feier
abend, und jeder dieier Gründe war
ftichbaltig genug, ihn zum entschiedenen
Gegner von Alberta's Liedesglück zu
machen.
Den Gedanken lasten Sie fahren",
sagte n. auf Ohlmann'i BerlodungS
ring weisend.
Franz sah ihn ganz bestürzt an.
Hat sie Geld?"
Er wubte eS nicht. Darüber hatten
sie noch nicht gesprochen.
Oder ein Geschäft?"
Sie nicht, aber die Eltern
Hm. Ist sie jung?"
Er stotterte etwas Unverständliches.
Er hatte nie gefragt, wie alt sie fei.
Vielleicht war sie noch jung; aber er
glaubte
..5 sie hübsch?"
Hübsch? Nein, hübsch ist sie gewiß
nicht. Jetzt nicht mehr. Aber früher
Tann will ich Ihnen was sagen,
Ohlmann, Sie sind ein Narr."
Verwirrt sah er zu Boden.
Warum wollen Sie denn heira
then?"
Weil er sich' vorgenommen hatte
und sie es wohl auch von ihm erwartete.
Dann lieben Sie sie auch nicht?"
Er versuchte dem Blick seines Brod-
geberZ fest zu begegnen. Doch wie er
ja" sagen wollte, konnte er S nicht,
und glühende Scham stieg in ihm auf.
Na. es ist ja noch nichts verloren",
sagte Herr Vraun und trank sein Glas
leer. Nun laffen Sie's aber auch
genug sein, und machen Sie ' die
Dummheit wieder gut. Andernfalls
würde ich mich genöthigt sehen, Ihnen
zu kündigen." Er rief den Kellner und
zahlte. Es ist Ihnen peinlich, ich
kann wir's denke. Wenn Sie wollen,
können Sie für einige Zeit bei mir
wohnen. Sollen die Hinterstube billig
haben. Ihre Sachen lasse ich abholen."
Er reichte ihm die Hond, klopfte ihm
väterlich auf die Schulter und ging,
zufrieden seinen dichten Schnurrbart
drehend.
Wie betäubt irrte Franz durch die
Straßen. Er hatte eine schreckliche
Angst vor dem. was kommen konnte,
Was sie wohl sagen würden, wenn sie
es hörten? Frau Lüttgens konnte so
schrecklich döse werden. Er war doch
so unschuldig dabei! Er konnte nichts
dafür! Nein, gewiß nicht. Sie muß-
ten es auch einsehen. Und wenn ihm
seine Stellung gekündigt wurde er
konnte doch nicht betteln gehen! Und
seine Ersparnisse wie weit hätte er
mit denen wohl gereicht!
Er wagte nicht, nach Hause zu gehen,
verbrachte die Nacht im Bahnhofs,
Restaurant und kam bleich und über
miidet eine Stunde früher als gewöhn,
lich im Bureau an.
Nun?" fragte der Gerichtsvoll,
zieher, den er beim Kaffee traf, Haben
sie sich s überlegt?"
Die Lüttgens sie werden es nicht
zugeben.
Sie haben noch nicht mit ihnen ge
sprochen?"
Ich war garnicht zu Hause."
Dann werde ich die Sache für Sie
in s Reine bringen."
Franz sprach von Dankbarkeit, sah
erschreckend bleich aus, war nicht im
Stande, etwas zu thun und wischte ver-
stöhlen den Schweiß von der Stirn,
Sein Prinzipal betrachtete ihn von der
Seite, ließ sich die genaue Adreffe der
ruttgens geben, obgleich er sie genau
kannte, und nahm sich vor, im Laufe
des Morgens dahin zu gehen.
Frau Lüttgens befand sich in zorni
ger Verfassung inmitten frischen Sa
lats. Kohl und Früchten, ihr Mann
saß rauchend auf seinem Lieblings
platz neben der Thür, ängstlich bemüht,
sorglose Heiterkeit zu heucheln. Als
Herr Braun eintrat, sahen ihn beide
neugierig an. Er war ein stattlicher
Mann, so, wie ihn die Frauen lieben,
freundlich, aber herablaffend, sodaß es
sich unwillkürlich jeder zur Ehre anrech
nete, von ihm gegrüßt worden zu sein.
Lüttgens gegenüber war er besonders
herablassend, und als er sagte, er
komme in Familien-Angelegenheiten,
wurde er in die gute Stube geführt.
Hier sprach er sehr viel von dem Leicht
sinn gewisser junger Leute, wurde
immer ernster, sprach von seinem eige
nen, armen Junggcsellenleben, von
schmerzlichen Erfahrungen, getäuschten
Hoffnungen und daß ein gewisser junger
Mann heute Nachmittag seine Sachen
abholen lassen würde, die auszuliefern
man gut thäte.
Frau Lüttgens war sprachlos vor
Wuth, Am meisten aber über die die
sem Undankbaren erwiesenen Wohl
thaten. Sie entwarf eine schreckliche
Schilderung von ihm, nannte ihn ver
kommen, einen charakterlosen Heuchler,
und ihr Mann nickte zu Allem. Als
Herr Braun ging, sah man ihn als
treuen Freund an, bat ihn wieder-
zukommen und bedauerte, daß es nicht
mehr solcher Männer gab. '
Alberta saß schluchzend in der diistc
ren Küche und zerbrach sich den Kopf
über die Ursache dieses brutalen Bru
ches, empfand eine gräßliche Scham,
wenn sie an ihre Bekannten dachte, und
daß sie nun doch umsonst für ihn ge
näht, gestopft uud gestrickt hatte.
Herr Braun aber sand Gefallen an
den reichen Bestanden des Geschäfts, an
der Hypothek, die Lüttgens auf einem
HK hatten, an der Thatsache, daß
nur ein einziges Kind vorhanden und
dieses Kind eine Tochter war. Und als
er seinen dritten Besuch machte, faßte
er die rundliche Frau um und fragte,
ob sie ihn wohl als Schwiegersohn ha
den wollte.
Die Lüttgens waren verblüfft, ent
zückt ihr -tolz kannte keine Grenze.
Alberta wurde aus der dunklen Küche
gerufen, um für die Ehre zu danken,
und die glückliche Mutter bestand auf
baldiger Verlobung. Sie erzählte
allen, daß sie nie ein glücklicheres Paar
gesehen und daß doch nun diese beiden
für einander bestimmt wären. Und daß
nalürlich Herrn Ohlmann seine Stcl
lung gekündigt sei.
Auch ein Iul'iläliin.
15'iiiem all! Kriegs l!a,neradn gchcrzäh.
Die Jubelfeiern in Deutschland sind
zu Ende, und doch giebt eS noch manche
Gelegenheit aus der großen Kricgszcit,
die es werth ist, gestiert zu werden.
So habe ich vor einigen Wochen
einem Freunde in der alten Heimath
zur Jubelfeier der Entdeckung seine
Frau gratulirt.
Ich laste ihn die Geschichte, wie er sie
entdeckte, selbst erzählen :
Wir waren am 1. Januar 1871
von Paris abmarschlrt, und htilsen
dann mit, die französische Armee Über
die Grenze der Schweiz zu drängen.
Wir lagen Mitte Februar in einem
kleinen Reste nahe der Grenze iin
Ouartier, und machten von dort ans
Recognoscirungen nach allen Himmels
richtungen. Gefahr drohte uns nur
wohl noch von versprengten Franktireur
Banden, aber mit denen wurden wir
schon fertig und konnte nS das auch
nicht abhalten, einen Abstecher nach St.
Cloud, einem kleinen GebirgSstädtchen,
zu machen. Tort sollte nämlich ein
großes Tabaks-Magazin sein, und die
seS sollten wir uns genauer ansehen.
Unsere Compagnie wurde hierzu com
mandirt, und vergnügt traten wir am
nächsten Morgen um G Uhr unseren
Marsch an nebenbei einige 30 Kilo
mcter. Wir hatten Schnee und Eis
am Morgen verlosten, aber je näher
wir unserem Bestimmungsort kamen,
je mehr änderte sich die Scenerie, und
endlich am Spät-Nachmittage trafen
wir in St. Cloud ein ein bezaubern
des Städtchen, tief im Thalkessel gelc
gen und von grüner Wiesen, wie mit
ten im Frühling, eingeschlosten.
Wir marschirten auf den Marktplatz
uud nachdem die Ausgänge mit Doppel
Posten besetzt, und auf der Mairie die
Wache eingerichtet war, bezogen wir
unsere von den Quartiermachern in der
Mhe des Marktes ausgesuchten Ouar
tiere, mit dem Befehl, dieselben nicht
anders als feldmarschmäßig ausgerüstet
zu verlaffen, und mit der Büchse im
Arm zu schlafen.
Ten Bewohnern war das Gerücht zu
gegangen, die Bayern kämen, woran
wohl die Form unseres Ezakos Schuld
war, da sie sich die Preußen nur mit
Pickelhaube vorstellten. Aber nach
dem wir uns als preußische Chaffeurs
vorgestellt hatten, thauten sie nach und
nach auf, und ich glaube, daß mancher
Bewohner von St. Cloud heute noch
ohne Grimm und Rachegedanken an
unseren Besuch denkt. Ich konnte ge
nug französisch radebrechen, um zu ver
stehen und erstanden zu werden.
Ich lag mit noch zwei Kameraden bei
einem Weinbauern, besten löjähriges
Töchterchen meine ganz besondere Auf
merksamkeit erweckte. Sie war ein
kleines allerliebstes Franzosenmädchen.
Für ihre 16 Jahre sehr gesetzt und gar
nicht so zimperlich wie Backsische in dem
Alter zu sein pflegen. Meine beiden
Kameraden mußten sich wegen nix
versieh" bald zurückziehen, und noch ehe
wir uns aufs Lager streckten, hatte ich
Papa Noir daS Versprechen gegeben,
einmal Nachricht von mir zu geben,
wenn ich gesund und mit heilen Knochen
wieder in Teutschland sein würde.
Am nächsten Morgen wurden zwei
große Wagen oll Tabak und Cigarren
geladen. Wir waren kaum eine Stunde
in unseren Quartieren zurück, als ich
durch das Signal das Ganze sam
mein" aus der schönsten Unterhaltung
qeri sten wurde. Ein kräftiger Hände,
Druck mit meinen Ouartierqebern und
einen Kuß auf den Mund des nieb,
lieben Madchens und fort ging s,
die Tachsriemen noch im Laufe fest,
machend.
In wenigen Augenblicken waren wir
vollzählig fertig zum Leben ge
laden Bataillon marich" und in
30 Minuten hatten wir die freund
liche Stadt schon eine ganze Strecke hin
ter uns,
Daß irgend etwas nicht in Ordnung
war, hatten wir schon in den ersten 1s
Minuten an unserem Marschtempo ge
merkt. Nach ungefähr zwei Stunden
wurde Halt gemacht und mit leichtem
Herzen sagte uns unser Führer: Gott
sei Tank, aus dem Wurstkeffel wären
wir raus." Ter Main hatte ihm
den Wink gegeben, wir sollten so schnell,
wie möglich die Stadt verlassen, da er
sichere Kunde habe, duR zranctlreurs
uns den Rückweg abschneiden wollten.
und angefragt Hütten, ob die Bürger
des Städtchens mit dabei sein würden.
Ter Maire hatte eingesehen, daß die
Stadt nur dabei verlieren könne, denn
daß die Strafe aus dem Fuße folgen
würde, darüber war er sich vollkommen
klar gewesen. Es ist ihm diese muthige
Offenheit von seinen Mitbürgern denn
auch später hoch angerechnet worden,
trotzdem zuerst manche Hitzköpfe von
Verrath gesprochen hatten.
Nachdem wir uns dann ei wema
ausgeruht hatten, ging es in einem ge
müthlicheren Marschtempo weiter, und
nach nicht langer Zeit kam uns unsere
erste Compagnie entgegen. Unser Ba
taillons-Chef hatte unseretwegen eine
unruhige Nacht gehabt, und unS gleich
im Morgen die erste Compagnie ent
gegengeschickt. vundemude von stetem Berganfteiaen
kamen mir spät Abends in unseren alten
Quartiert witder an.
Ader mit 19 Jahren verschläft man
alleS Ungemach, und frisch und fröhlich
erwachte ich am nächste Morgen. Nach
einigen Tagen schrieb ich denn auch über
unserm TabalS-Zug an meine Eltern,
vergaß auch nicht des geraubten Kusses.
Meine Muiter antwortete allerdings,
ich habe wohl daS Ausschneiden schon
von den Franzosen gelernt, denn bei
meiner bekannten Blödigkeit jungen
Mädchen gegenüber, könne sie daS gar
nicht glauben. Ich muß übrigens
selbst gestehen, woher mir in dem -Augenblicke
der Muth kam, weiß ich
selber nicht.
In den nächsten Wochen wechselten
wir häusig die Quartiere, bis wir im
Mai endlich die Fahrt in die Heimnth
antraten. Ich zog dann bald darauf
auch den grünen Rock wieder aus, um
mich für den Beruf des LandwirtheS
bei einem unserer tüchtigste Domainen
Pächter vorzubereiten,
Natürlich hatte ich mein, dem Papa
Noir gegebenes Versprechen nicht ver
gcffen, und anfangs Winter ging ein
großer Schreibebricf, den ich mit Hülse
des kleinen und großen Ploctz und
Wörterbuchs zusammengeflickt hatte,
unter Anschluß meiner Photographie
nach St. Cloud ab. Der Schluß
bildete die Bitte an Mademoiselle Alice,
mir wegen des geraubten Kusses ihre
Verzeihung zu Theil werden zu lasten.
Nach Monaten erst erhielt ich Ant
wort von dem alten Herrn, aber wer
war erfreuter wie ich. Eine Damen
Hand hatte ganz zuletzt'geschrieben: Je
ne suispas fache. Ms int Gedanken
waren jetzt mehr als wie es meinem ge
strengen Lehrherrn recht war, jenseits
des Rheins, und habe ich denn auch
noch noch 0 lange Jahre Briese nach
St. Cloud abgeschickt.
Schon im zweiten Jahre überließ
Papa Noir seinem Töchterchen die ganze
Korrespondenz, und dab unsere Briese
immer häufiger sich kreuzten brauche ich
wohl nicht bekräftigen. An meinem
25sten Geburtstage erhielt ich denn
einen Brief mit dem bewußten Ja",
dem bald daruf auch das bindende vor
dem Altar folgte.
Meine Frau ist heute deutsch in
ihrem ganzen Wirken, und wie Sie
w:hl bemerkt haben, verräth nur ein
leichter Accent die Ausländerin.
Und ob französische Mädchen gute
deutsche Hausfrauen werden können?
Meine alte Mutter hat sehr daran ge
zröeiselt, wie ich sie zuerst mit meiner
Absicht bekannt machte, aber schon im
ersten Jahre unserer Ehe hat sie nach
und nach das Regiment an meine
Frau gutwillig abgegeben, und wie
sie dann später von meiner kränklichen
Schwester dringend verlangt wurde,
sagte sie mir, ich kann hier bei Euch ab
kommen, Tu hast Dir eine Perle von
Hausfrau erobert, mein Junge; und
meine Mutter pflegte mit ihrem Lob zu
kargen.
Und nun meine Herren, laffen Sie
uns iu's Nest kriechen."
Die Schuhe er Sängerin.
Dieser Tage starb in Mailand Hr.
Franchi, der viele Jahre Sekretär und
Geschäftsführer der Patti war. Er
war der Held einer in KUnstlerkreiscn
oft erzählten Anctdote von den Schu
hen der Sängerin. Es war in Phila
delphia aus der Kunstreife. Maplefon
war der Impresario und das Honorar
der Patti betrug 100 Pfund St. für
den Abend und mußte voraus bezahlt
werden. Auf dem Zettel stand La
Traviata" und Maplefon hatte am
Nachmittag nur erst 800 Pfd. St. zur
Verfügung. Es wurde hin und her
verhandelt und die Sängerm kam
schließlich Abends für die Vorstellung
fertig angekleidet ins Theater. Nur die
Schuhe fehlten. In der Noth wurden
weitere 1(5 Psd. St. an der Kasse zu
sammengeschaut. Da sprach Franchi
das geflügelte Wort: Sie find ein
großartiger Mann, Maplefon! Ma
dame Patti thäte das für keinen ande
ren Menschen in der Welt. Sie hat be
reits einen Schuh angezogen !" Dabei
blieb es aber auch sllr den Augenblick
und Mapleson mußte das Unmögliche
möglich machen und die letzten 40 Pfd.
St. auf den Tisch legen, bis die Patti
auch in den anderen Schuh hinein
schlüpfte und hinaustrat aus die Bühne.
Ttr Bsgtländer.
Einer in der Leipz. Ztg.' erschiene
nen Plauderei über den Vogtlönder ent
nehmen wir folgende Bemerkungen.
Die Volksart des Vogtlünders läßt sich
bezeichnen mit dem Ausdruck: gut
müthige Grobheit. Ter Vogtländer ist
grob, sehr grob, sackgrob, grob wie
Bohnenstroh", ungeschlacht und klotzig,
aber dabei mit einem guten Tropfen
Harmlosigkeit und Biederkeit gesalbt, so
daß man seine Grobheit nicht Übel
nimmt, sondern herzlich darüber lachen
muß. Johann." so ruft die Frau
ihrem Manne m. der bei inm nahm.
den Gewitter auf dem Oberboden weilt.
Johann, kumm runter, s danert."
Er antwortet trocken: Dös ka ich
duoben a hörn." Guten Tag mit
enanner," so ruft der Nachbar dem
Nachbar zu. der seine Kuh zur Stadt
treibt oder mit seinem Hund ihm auf
der Landstrake beaeanet. in nitcr
b"r schilt daS TitnftmSdchen he'Iig
aus. ais sie ivm veim ufwaichen lein
TrinkalaS rbrorfiHi bntt- 5n tm.ii
könnte mir nie passirkn." .Hrr Kreis
einnehmer." so antwortete sie. .Sie
greifen a nischt oa."
Fräulein: .ck nfw i
Promenade und Sie?"
'scher: Auch angkln."