Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 30, 1896, Image 9

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    a
Vi goldene Spcmow.
NovkUetlk von IIike Htma cWiiiidjni).
Im EurhauS jii Meran saß unS
gegenüber an der "table dlioto" ein
Paar, da schon fett einiger Zeit meine
Aufmerksamkeit fesselte. ES waren
Mutter und Sohn. Sie brauchten stet
noch einmal so viel Zeit, als andere
Leute, um den Saal zu kreuzen und zu
ihren Plätzen zu gelangen. Der hagere
junge Mensch führte mit einer liebe
vollen Sorgfalt die alte ffrau, die ge
blickt und schmerfällig mit ganz einen
Schritten daherschlich. Er legte ihr vor,
schänkte ihr Wein in'ä GlaS, befragte
sie um ihre Wunsche, lauste ihr Glyci
nen und Alpenrosen. Kurz, eS war er'
sichtlich, daß er ihr den Eindruck geben
wollte, sie hätte eS doch recht gut auf
der Welt, sie sei umringt von Freuden
und Genllssen, nach denen sie nur die
Hand auszustrecken brauche. Aber die
alte Dame hatte kaum noch die Kraft,
ihre Hände nach irgend einem Gut der
Erde auszustrecken. Abgezehrt und
bleich, fielen sie ihr, sobald sie saß, mit
welker Mattigkeit in den Schoosj. ES
waren schöne Hände mit langen, zuge
spitzten Fingern und feinen Gelenken.
Der Sohn nahm zuweilen eine von
ihnen auf und betrachtete sie zärtlich be
wundernd.
DaS gefiel mir. Er gefiel mir iiber
Haupt. Bei einer Gelegenheit, die uns
miteinander in's Gespräch kommen ließ,
machte ich eine Bemerkung über seine
Mutter wie imponirend vornehm sie
noch erscheine, trotz ihreS Leidens,
welch' ein stilles tragisches Pathos auf
ihrem Antlitz ruhe. Er nickte erfreut
mit dem Kopfe und nahm auch den
Schluß meiner Bemerkung, den ich
gern, sobald ich ihn aussprochen, unter
drllckt gehabt hätte, ganz befriedigt
auf. Ja, er sprach lebhaft und ein
gehend weiter. Er sei Künstler, Maler,
da habe er eine so ungeheure Freude an
der Schönheit, wo er sie auch finde, daß
er nicht milde werden könne, sie zu
studiren, auch zu analysiren, um sich
immer wieder über die Ursachen ihrer
starken Wirkung klar zu werden.
Auf diesem Wege wurden wir gute
Freunde. Er kam zuweilen, während
seine Mutter ruhk, zwischen zwei und
vier auf die GolfPromenade, wo ich
nieinen Kaffee trank. Dort schauten wir
miteinander auf die pittoresken Felsen
mit ihren grauen Burgtritmmern und
in die grünen, rauschenden Wellen der
Wasser. An dem Gewirr der, Rosen
ranken, das die Terrassen zum Fluß
hinab bedeckte, öffneten sich schon die
ersten Blüthen. Er war davon entzückt
wie ein Kind.
EineS Tages wechselte die Gesellschaft
am Mittagstisch. Neben mir erschien
eine Frau, der man eS noch jetzt an
sah, daß sie vor zwanzig Jahren um
ihreS Geldes willen geheirathet worden
war. Sie vertheilte mit einer lauten
scharfen Stimme die Plätze unter ihren
Gemahl und ihre Töchter, forderte be
fehlshaberisch die Weinkarte, wünschte
ein Fenster geschloffen zu haben und
verursachte ein solches Geräusch, daß
die Kellner von Bewunderung vor dieser
Machtfülle ergriffen, nur so um sie her
umflogen und sie vor allen Leuten zuerst
bedient wurde.
Als sie endlich zur Ruhe gekommen
war, musterte sie durch eine langge
stielte Lorgnette die Tischgesellschaft.
Dabei siel mir an ihrem Arm eine
schwere goldene Spange von fremdlän
bischer und eigenthümlich kostbarer Ar
beit auf. Ihr Blick blieb an unserem
Gegenüber haften.
Die alte Dame hatte beim Erscheinen
der Excellenz so wurde die Stürmi
sche von den Kellnern titulirt nach
dem Arm ihres Sohnes gefaßt, und
mit ihm geflüstert. Ihre Wangen über
flog eine jähe, in'S Bläuliche spielende
Röthe. Mit ihren schönen, zitternden
Händen zeigte sie ihm verstohlen die
goldene Spange. Ich sah sie mit den
Thränen kämpfen. Die Excellenz
starrte sie durch ihre Lorgnette einige
Sekunden betroffen an, meine alte
Dame hob ihr verstörtes Antlitz erregt
lächelnd zu ihr auf und plötzlich streckten
sich beide Frauen über den Tisch die
Hände entgegen.
.Rosine....!'
Lenon, Du....? Wahrhaftig!
Nein, wie kommt Ihr denn hierher?"
Die alte Dame wollte sich mühsam
vom Stuhl erheben, doch ihr Sohn
drückte sie sanft zurück. Er begrüßte
die Verwandten höflich, aber keine
Freundlichkeit erstarrte dabei zu einem
steifen Ernst.
Man sprach hin und her, wie lange
man sich nicht gesehen habe eS lagen
Iah dazwischen. Zuletzt in Gaben
siebt Ach ja, als Du. liebe
Lenore." die Excellenz sagte das mit
einem lauten, wehthuenden Wohlmollen
und brach plötzlich ostentativ den Satz
ab. Sie schob die Spitzen von ihrem
Handgelenk und zeigte der alten Dame
ihr Armband. .Tu siehst ich trage
ti immer noch, ti verlaßt mich nie
mal."
.Diese Spange sällt Jedem durch ihre
Schönheit und Gediegenheit in'S Auge."
bemerkt dn General mit weitschweifiger
Verbindlichkeit.
Zx junge Maler war dunkelroth ge
worrxn. Sein Mutter seuszte schwer.
.Und Sie sind Künstln?" fragte der
Genera!. Wir lasen in der Zeitung
von Ihrem vrtolge Eine Me
daille! Alle Achtung! Bei der enor
nun Uebnprodukti, heutzutage!"
Der junge Mann lächelte nerv zu
Der
Jahrgang 17.
den lauten Lobeserhebungen, die die
Blicke der Umsitzenden auf ihn lenkten.
Ja und er hat sein Bild so schön
verkaust, der gute Junge! Davon sind
wir hier," erzählte seine Mutter den
Verwandten. Der Arzt hatte ge
meint, ein Aufenthalt in Meran könnte
mir gut thun Und ich hatte eine
so dumme Sehnsucht nach dem Süden.
Es werden da so viel alte Erinnerun
gen Als ich mit meinem lieben
Mann die schöne Welt sah...."
Die alte Dame begann zu weinen.
Sie war sehr aufgeregt. Ihr Sohn
blickte sie besorgt an. Die Verwandten
thaten noch eine Menge von Fragen,,
und ich sah sie alle miteinander fort'
Als ich am andern Morgen im Cur
garten mein Frühstück erzehrte, sagte
mir der Kellner, die alte Dame, mein
Gegenüber bei der "table d'hote", sei
in der Nacht plötzlich gestorben.
Wir geleiteten sie zur Ruhe auf dem
kleinen Fremdenkirchhof von Meran,
wo eine köstliche Frühlingspracht über
den Gräbern wucherte.
Der Sohn war still und gefaßt. Als
die Leiche in die Gruft gesenkt und die
lrde darauf gefallen war, nahm die
Cousine Excellenz, die in einer tadellosen
Trauertoilette erschienen war, seinen
Arm und führte ihn hinweg. Sie
sprach tröstend auf ihn ein. Er aber
hörte ihr gar nicht zu. Sein Blick hing
mit der Starrheit milder Trauer aus
den künstlichen Berschlingungen ihrer
goldenen Armspange.
Gegen Abend des nächsten Tages
sah ich ihn in der Thür des Kurhauses
stehen und unsicher umherblickend. Ich
trat zu ihm und gab ihm die Hand.
Ach, verzeihen Sie," sagte er leise,
ich möchte mich hier nicht aufhalten.
Ich kann diesen - Leuten diesen
Verwandten von mir nicht wieder in
den Weg kommen. Ich, . . man sollte
sich nicht so nachgeben,.. Aber es ist
mir nicht möglich,.. Ich kann die
Spange nicht an dem Arm der Frau
sehen,.."
Wollen mir ein wenig in die Wiesen
dort hinausgehen?" fragte ich. Oder
sind Sie lieber allein?"
Er schüttelte den Kopf und blickte
mich dankbar an. So gingen wir in
das weite, stille, einsame Thal. Die
vorspringende Bergecke der hohen Wen
del wurde von violettem Abendlicht um
spielt, auf den weiten Wiesenflächen zit
terten taufende von zarten, reizenden
bunten Blumen in einem leichten war
men Windhauch. Es lag ein sanfter
Friede, eine beruhigte, harmonische
Schönheit über den Dingen.
Er genoß sie nicht, müde und gereizt
von Schmerz und Erinnerungen.
Was ist eS mit der Armspange?"
fragte ich ihn. ES war förmlich quä
lend mit anzusehen, wie Ihre Mutter
durch ihren unvermutheten Anblick er
regt wurde."
Ich bin sogar überzeugt ..." begann
er heftig und hielt dann inne. Nein,
das kann ich doch nicht sagen... ES
wäre doch bald eingetreten. Sie hatte
keine Lebenskraft mehr. Und ich kann
ja nur dankbar sein, weil ihr Ende so
schmerzlos war. Aber, stellen Sie
sich vor, daß ich von der alten dummen
Geschichte nicht loskann,.."
Sprechen Sie sich ous," bat ich ihn
freundschaftlich.
Ja, das will ich. ES ist auch schnell
genug erzählt. Die Spange gehörte
einmal meiner Mutter. Sie ist von
orientalischer Arbeit, au? dem edelsten,
unverfälschten Gold geschmiedet, aus
venezianischen Dukaten. Mein Vater
hatte lange gesammelt, bis er die ge
nllgende Anzahl beisammen hatte...
Ach Gott wie mir das nun wieder
Alles vor Augen steht dieser Orient,
wo ich meine Kindheit verlebte ... und
der Tag, an dem der Goldschmied kam
und sein Werk beginnen sollte. Ein
uralter, weißbärtiger Kopte, in einem
schwarzen Turban. Ich sehe ihn noch,
seinen Teppich einen verschoffenen,
zerfranste Fetzen, der von Schmutz,
aber auch von Gold und Silberstaub
starrte bei uns im Eßzimmer aus
breiten, und sich mit seinem Kohlen
decken, Löthpfünnchen, mit Zangen und
Zänglein häuslich darauf einrichten.
Die Goldstücke wurden ihm vorgezahlt
und gewogen. Ein unendlich langer
Handel entspann sich zwischen ihm und
meinem Vater, bei dem der Vater drei
mal die Goldstücke wieder in die Spar
büchse schloß, - und der Alte dreimal
Miene machte, seine Sachen einzupacken
und abzuziehen, bis er sich endlich trieb
lich an die Arbeit begab. Wir Kinder
kauerten um ihn her, und sahen unter
seinen runzlichen, braunen, gleichfalls
von Metallstaub schillernden Händen
da Kunstwerk entstehen. Ich glaube
beinahe, ich empfing von dem alten
schmierigen Kopten den Keim des Wun
scheZ, der mir spüln keine Ruhe mehr
Sonntagsgast.
Beilage zum Nebraska Ttaats-Anzeiger. No. 11.
ließ: in stiller, geduldiger Arbeit etwas
in sich Vollendetes ein Stückchen
Schönheit hervorzubringen
Nach wenigen Tagen legte mein
Vater unter unserem Kinderjudel die
Spange, die kein Schluß besitzt, sondern
nur durch ihre eigene zähe Schmiegsam
keit gehalte wird, der Mutter um den
Arm Sie gehörte nun zu ihr, wie
ein Stück von ihr selbst.
Auch als die Zeit kam, da sie allem
anderen Schmuck entsagte und mit einer
schmerzenSvollen Energie zu entbehren,
zu arbeiten begann, konnte sie sich noch
lange von ihr nicht trennen. Die
schwere Goldspange paßte freilich nicht
mehr zu ihrem dürftigen Wittwenileide.
Einmal rief Mutter mich zu sich an
ihr Bett. Sie mußte schcn damals oft
und lange liegen. Ich war ein fünf
zehnjähriger Junge, aber als Aeltester
besaß ich ihr Vertrauen. Und ich hatte
ihr am Morgen geklagt, daß ich mein
Schulgeld durchaus bezahlen müsse.
Du bist mein verständiger Sohn.
Ich möchte Dir einen Auftrag geben.
Du sollst nach Gadenstedt gehen
Tante Rosine ist heute dort zum Besuch.
Ich habe an sie geschrieben. Sie ist ja
eine reiche Frau, und thut mir gern den
Gefallen Sie hat mir versprochen,
mir die goldene Spange abzukaufen.
Geh und bringe sie ihr."
Sie bog die Spange von ihrem
Handgelenk und küßte sie.
Bitte Tante, Dir das Geld gleich
mitzugeben," sagte sie mit ihrer matten,
kranken Stimme.
Ich machte keinen Versuch, Mama zu
bewegen, das liebe Andenken zu behal
ten, ich fühlte zu tief die unerbittliche
Nothwendigkeit, die sie trieb.
Ich nahm meine Mütze und ging.
Ich lief die Chaussee entlang, die von
der kleinen Stadt, wo wir wohnten,
nach dem Gute der Verwandten führte.
Es war ein nasser Novembertag. Der
Sturm wehte über die weiten Rüben
selber. Fast eine Stunde trabte ich so,
frierend und mit den Thränen kämpfend
den eintönigen Weg, an dem die
kahlen Apfelbäume ihre dürren Aeste in
die graue, schwere Luft st eckten.
Und eS überfiel mich eine wahnsinnige
Angst und Furcht: so grau, so häßlich,
so eintönig werde auch unser Lebensweg
vor uns liegen so frierend und mit
erstickten Thränen kämpfend würden wir
ihn gehen müssen.
Der Onkel in Gadenstedt war der
Bruder meiner Mutter. Ich empfand
es als eine harte, boshafte Kränkung,
daß man Tante Rosine zu seinem Ge
durtstagsdiner geladen hatte, und uns
nicht. Der Bediente sah mich ein wenig
verwundert an, als ich erschien. In
dessen mochte er denken, eS sei wohl in
der Ordnung, daß ich meinen Glück
wünsch darbringe.
Die Herrschaften find im Billard
zimmer beim Kaffee," sagte er, gehen
Sie nur hinein."
Ich klopfte. Als Niemand zu hören
schien, rief mir der Bediente vom Büffet
au? noch einmal lässig ermunternd zu:
Gehen Sie nur hinein."
Ich klinkte leise die Thüre auf. Der
Schweiß brach mir aus, trotz der Kälte,
so schämte ich mich, in diese glänzende
Versammlung von stattlichen Verwand
ten mit meinem armseligen Verlangen
hereinzufallen. In dem hohen holzge
täfelten Raum um das prasselnde Ka
minfeuer saßen die Tanten in Eichen
stuhlen, und hielten kleine Kaffeetassen
in den Händen. Ein schönes, blondes,
junges Mädchen, dem ich eine stille,
heiße Anbetung widmete, lehnte in ei
nem langen schwarzen Schlepplleide am
Rande des Billards und kreidete ihre
Oueue. Sie lachte mit einem Offizier
in hellblauer DragonerUnisorm. Ein
anderer der Vettern legte sich eben weit
über die Platte. Ich wurde freundlich
begrüßt. Die Gadenstedter Tonte
brachte mir Kaffee und ein großes Stück
Kochen. Sie schalt, daß ich bei dem
kalten Wetter keinen Uederzieher trage.
Ich wagte nicht zu sagen, daß ich keinen
besäße und würgte den Kuchen mühsam
hinunter.
Dabei betrachtete ich verstohlen die
Tante Rosine. Ein kindischer Haß stieg
in mir auf. Ihre laute scharfe Stimme
that mir weh, die Farbe ihres lila Sei
denkleides verletzte mich, ihr hartes Ge
ficht mit den stechenden Augen, ihre
fetten aufgesprungenen Hände erfüllten
mich mit einer heimlichen Wuth.
Warum unter allen gerade sie? Ich
dachte jeden Augenblick, sie würde mich
nach der Spange fragen, die ich in mei
ner Brufttasche trug, und ich dachte
daran, wie an einen heftigen Schmerz,
den man in der nächsten Sekunde erlei
den muß. Aber sie fragte nicht.
Die blonde Cousine Marie kam fröb
lich herbei, erzählte, sie habe die Partie
gewonnen und klopfte mir auf den kurz
geschorenen Kopf. Die Vettern degan
nen mich gemüthlich zu necken. Ich
fühlte mich wie ein BuSgeftoßener unter
ihnen. Und eine neue Angst begann
mich zu foltern. Wenn die Tante Ro
sine nun vergessen hatte, baß sie der
Mutter die Spange abkaufen wollte
wenn sie überhaupt nicht danach fragte,
und ich unoerrichteter Sache ach Haus
zurücklehren mußte? Der Direktor hatte
mich schon zweimal um das Schulgeld
gemahnt.
Ich mußte von der Sache anfangen.
ES ging nicht anders. Die Tante Ro
sine stand auf ich stand auch auf und
plötzlich stotterte ich zu meiner eigenen
Verwunderung: Ich möchte Dir etwas
sagen, Tante."
Sie trat mit mir in's Eßzimmer.
Nun, mein Junge?" .
Ich habe das Armband von Mama."
Aengstlich schielte ich nach dem Bedien
ten, der ab und zu ging und uns neu
gierig beobachtete. Tante Rosine dachte
gar nicht mehr daran, ihn hinauSzu
schicken. Sie begann die Armspange
aus dem Papier zu wickeln und kritisch
zu betrachten.
Ja es ist wirklich ein sehr schönes
Stück. Ich freue mich, es zu bekommen.
Etwas verbogen ist es ja schon nun,
das läßt sich repariren. Ich danke Dir,
lieber Junge."
Sie machte Miene, zu den Uebrigen
zurückzukehren.
Ich schluckte und schluckte, dachte, ich
müßte erstickm.
Mama meinte, Du hättest vielleicht
ich möchte, wenn es ginge das
Geld gleich mitbringen."
So ja was forderte Deine
Mutter doch gleich dafür?"
Dreihundert Mark."
Ich denke, sie hat es doch wohl von
einem gewissenhaften Juwelier abschätzen
lassen."
Ich glaube."
So. Nun warte nur einen Augen
blick."
Ich stand und wartete. Marie und
die Vettern und Tante Rosines Töchter
kamen herein und schlugen einen Spa
ziergang nach dem Park vor.
Unter ihren Augen gab mir Tante
Rosine drei HundertMarkscheine und
ermähnte mich, sie auf dem Wege nicht
zu verlieren. Die Vettern flüsterten mit
den Cousinen und dann wandten sie
diScret die Blicke ab und thaten, als be
merkten sie den Vorgang nicht.
Marie fragte mich, ob ich nicht mit
ihnen spazieren gehen wollte. Ich ver
neinte.
Deine Mutter erwartet Dich wohl?
Na, da grüße sie nur schön," sagte sie
und gab mir die Hand.
Sie war mir von diesem Augenblick
an widerwärtig, wie Alles, was zum
Hause Gadenstedt gehörte.
Ich rannte, so schnell ich nur konnte,
davon.
Unterwegs, auf der einsamenChaussee,
habe ich geschrien und vor Ingrimm die
Fäuste geschüttelt.
Diese abscheuliche Frau sollte die
Armspange nicht behalten. Mit ver
zweiselten Thränen gelobte ich mir, sie
meiner Mutter wieder zu schaffen.
Wenn ich erst ein Mann und ein großer
Künstler sein würde, schien mir das ein
Leichtes...."
Der junge Mann schwieg und lächelte
wehmüthig. Ein stilles Lächeln, in dem
viel Wiffen und viel Entsagen lag.
Ich war damals noch sehr jung,"
bemerkte er ruhig. Seitdem habe ich
eingesehen, daß im Grunde nicht viel
an einer goldenen Spange gelegen ist.
Verdiente ich einmal Geld, so mußten
immer nöthigere Dinge beschafft wer
den. Die einzige Kunst, die für mich
die echte war, ist eben nicht die glän
zende, die auch die Menge blendet und
lockt. Als jetzt so etwas wie Ruhm und
Glück zu uns kam, da galt es nur noch
die Gesundheit Ich habe sie meiner
Mutter auch nicht wiederschenken kön
nen. Und ich habe ihr nicht einmal
den Begriff aufrecht erhalten, daß sie
durch mich ein neues, schönes, heiteres
Dasein gewonnen hätte.,
Sie ist mit der alten Bitterkeit und
dem allen Schmerz um das Verlorene
von mir gegangen. Wenn ich die gol
dene Spange an dem Arm der Tante
Rosim sehe, ist es mir doch, als hätte
ich recht wenig im Leben erreicht "
Ich drückte ihm die Hand und wir
träumten Beide schweigend vor unS
hin.
Wer von uns hat nicht so ein Sym
bol. an dem sich ihm in der Jugend
Hoffnung und Erfolg verkörpert? Und
wie vielen gelingt eS, ihre goldene
Spange wieder zu erringen?
Auf dem Rade.
,Nk ahn Geichichlk von Robb? Iones.
Eine unangenehme Sache war's, daZ
stand fest, wenn überhaupt etwas fest
stand auf Erden. Eine sehr unange
nehme Sache !
'S giebt nämlich nichts Dümmeres
für 'nen Mann als das Zeugs, hm,
wie nennt man'S doch: Die Schiich.
ternheit.
Und Bill sah's ein, blieb's aber doch,
blieb schüchtern wie ein Mädel, das
immer roth wird, selbst dort, wo's gar
nichts roth zu werden giebt.
Hie und da nun beschloß er aller
dings, sich einen Ruck zu geben, 'S blieb
aber stets nur beim Beschluß, und zur
Hauptsache, zum Ruck", kam es nie.
Gerade jetzt aber wäre dieser Ruck so
recht von Nöthen gewesen, denn heute
heute fuhr sie fort, heute mit dem
Zebnuhrzuge 10 Uhr 11 verließ
sie Jacksonville und kehrte nach Detroit
zurück.
Um 1 Uhr 11 und jetzt war's 9
Uhr 12. Und wenn er diese !9 Minu
ten verpaßte, dann war sie für ihn ver
loren. Sie,
Wer Sie" war? Wer sonst als
das schönste, reizendste, liebenswür
digste, entzückendste Mädel, deffen Fuß
nur je den Strand von Jacksonville be
treten hatte. Ein Mädel, in das man
sich verlieben mußte ; und je nun, was
er mußte, das that Bill Rodgers stets,
und zwar gründlich.
Er war also in Miß Belle Strooth
ganz gründlich erliebt, hatte aber nie
den Muth gefunden, ihr dies zu sagen.
Das heißt, gefunden hatte er ihn schon,
aber stets nur dann, wenn sie fort war,
und da konnte er ihm nichts nutzen.
Heute aber, jetzt, .. Nein, jetzt wollte
er die Gelegenheit nicht verpassen und
wenn's auf dem Bahnhof war, aber
heute würde die Liebeserklärung ge
macht.
Und mit diesem festen Entschlüsse
machte er sich auf den Weg.
Daß er das Vorbeigehen an einem
Blumenladen dazu benutzte, um einen
prächtigen Blumenstrauß zu kaufen,
daß er sich mit diesem in ein Cab warf
und nach dem Bahnhof fuhr, braucht
wohl nicht erst gesagt zu werden.
Ebenso wenig braucht es erwähnt zu
werden, daß ihn für das schöne Bou
quet der herzlichste Dank und ein liebe
voller Blick wurde, mehr aber auch
nicht, denn
Denn Bill hatte natürlich wieder kein
Wort vorgebracht, konnte auch nicht,
denn der Schaffner drängte im selben
Momente: Einsteigen, einsteigen."
Nochmals herzlichen Dank," ein
Druck ihres kleinen zierlichen Händ
chens, dann ein Oeffnen der Coupee
thür, ein Einsteigen und
Oh." rief sie aus, Sie hier, Mr.
Brown?"
Wie ein Donnerschlag traf dieses
Wort unsern Bill.
Wie, Brown saß darin? James
Brown. der freche Kerl, der Miß
Strooth auf Leben und Tod die ganze
Zeit über den Hof gemacht hatte, und
der sollte jetzt mit Ihr allein in einem
Coupee die Fahrt mitmachen und
Nein, das sollte er nicht. Und Bill
Rodgers sprang auf den Tritt, wurde
aber im selben Momente zurückgeriffen :
Herr, find Sie verrückt? ! der Zug
ist ja schon im Gehen."
Und so war's. Da fuhr er hin,
schneller und immer schneller, und ent
führte ihm sein Glück, sein Leben,
alles,...
Na, was starrst denn Du dem Zuge
so nach, ist doch nicht! Besonderes daran,
meine ich."
Harris war's, der das sagte. Harris
vom Eleitraclub" von Jacksonville,
der beste Fahrer von Michigan.
Bill RodgerS sah auf.
Da?!" und wie ein HoffnungS
schein zuckte es auf, als er auch Hemp
kins, Beley und Moole sah, die in vol
lem Radfahrdreß mit Harris auf dem
Perron standen.
Du?! Sag' mal. Könntet Ihr.,
könnten wir,. Ihr habt doch Euer
ViererTandem hier?"
.Selbstverständlich."
Könnten mir den Zug da, der eben
fortging, noch einholen? Ja oder nein."
Hm. Wart' mal. Strecke macht
bis Tunroe eine Kurve, Landstraße
auch, aber der Abkürzungsmeg ja,
es geht. Können ihn in Tunroe stie
gen. Aber meshalb?"
Weshalb? Tummkopf, weil ich an
halten will."
. .Anhalten? Wieso?"
.Frage nicht lange. Anhalten um
die Hand von Miß Belle, die dort im
Zuge mit Brown in'einem Coupee fährt,
und die der mir sonst wegschnappt."
.Nie." sagte Harris. .Kommt Kin
der. Elektra für immer, wollen'S der
Eisenbahn zeigen, was radfahren heißt."
Und Harris und Moole und Beley
und Bill stiegen auf, und heidi! gingS;
HempkinS aber, der Bill seinen Sitz ein
geräumt hatte, schwenkte hinter ihnen
die Mütze.
Hei. wie das ging. ES war, als ob
man den Boden verschlinge.
Tort Tunroe. Und dort vorn rechts,
weit vorn der Zug.
Bill verzweifelte.
Thut nichts," meint Harris. .Zug
bleibt drei Minuten stehen. Drauf und
dran. Elektra k,ir ever!"
Und heidi geht'S weiter. Drei Län
gen sind sie vom Bahnhof. Da das
Glockenzeichen.
Wahrhaftig er fährt ab."
Harris aber schwenkt seine Mütze.
Hurrah, jetzt zeigen wir'S Ihnen."
Und am Bahnhof vorbei, der mitte
auf freiem Felde steht, rast das Geführt.
Dort fährt der Zug.
In welchem Waggon?"
Dort in dem zweiten."
Und Hurrah Elektra," in rasendem,
unglaublichem Lause eilt, jagt, sauft
daS Bierrad niit feiner Bemannung
dem Zuge nach, kiuipp neben d:m Ge
leise fahren die wackeren Fahrer dahin
jetzt der Zug ist erreicht, der erste
Waggon überholt, der zweite erreicht,
Harris greift keck nach der Thürklinke
deS einen Coupees, es ist ein Wahn
sinn, aber es glückt und Hurrah
Elektra!" und mit der Linken schwenken
die wackeren Vier ihre Mützen.
An den Waggonsenstern standen die
Passagiere und sahen hinaus. Auch ein
reizender Blondkopf darunter. Sie ist's
und neben ihr Brown!
Oh!" ruft sie, als sie die Radreiter
sieht.
Bill aber ruft ihr zu:
Miß Arabella, find sie schon ver
lobt oder nicht?"
O," rust sie da, Sie sind eS, Mr.
RodgerS?! Wie kommen Sie denn hier
her?"
Fragen Sie nicht, liebe Miß
Strooth. Sagen Sie mir, s i n d Sie
schon verlobt oder nicht?"
Gar keine Spur."
Dann gestatten Sie, daß ich un
Ihre Hand anhalte."
Sie aber sie lacht auf. Endlich!
Mister Rodgers, endlich."
Sie wollen also?!"
Ob ich will!"
Und Hurrah" rufen Harris und
Moole und Beley. Der Zug fährt
vorbei und läßt das Vierertandem zu
rück.
Jetzt o, jetzt kann man'S ja, jetzt
hat man ja dieser Eisenbahn gezeigt,
was fahren heißt, namentlich aber
dann, wenn einer der Fahrer Tuff
Harris heißt und einer der anderen ver
liebt ist.
Und der Schluß?
Na, denkt ihn Euch selber.
Jedenfalls fungirten bei diesem
Schlüsse Harris und Beley und Moole
als Zeugen und überreichten Miß
Strooth pardon Mistres Arabella
Rodgers ein kleines goldenes Vierertan
dem als Hochzeitsgeschenk.
Mr. Brown aber ist auf daS Rad
fahren sehr schlecht zu sprechen. Ganz
ungemein schlecht.
Irischer Humor.
Du solltest Dir Deine Ohren schnei
den lassen, Brian," sagte ein witziger"
Tourist zu einem irischen Bauern, in
dem er ihn am Ohrläppchen zupfte, sie
find zu groß für einen Menschen."
Das Donnerwetter," war die Ant
wort, ich dachte gerade, Ihre sollten
verlängert werden ; sie sind sicher
zu klein für einen Esel."
In einem irischen Kolleg mußten die
Studenten beim mündlichen Examen
vom Katheder aus antworten. Ein
Student, der nicht zu den Bescheidenen
gehörte, bestieg das Katheder mit selbst
zufriedenem, siegesgewissem Lächeln.
Der Examinator sah das und beschloß,
den Eandidaten durch einige schwere
Fragen in seiner Zuversicht etwas her
abzustimmen. Kaum eine Antwort war
richtig und der Student schlich sehr ge
knickt zu seinem Platz zurück, worauf der
Examinator kalt lächelnd sagte: Wä
ren Sie hinaufgestiegen, wie Sie herab
kamen, so wären Sie herabgekommen,
wie Sie hinaufstiegen!"
Posturiosum.
Eine Postkarte, welche in Grevenma
cher im Großherzoglhum Luxemburg im
Monat Januar 1896 auf die Post ge
geben wurde und folgende ganz deutlich
geschriebene Adresse trug : Herrn Fr.
P. L. in Trotten. Kanton Clerf" ge
rieth nach Amerika. Der erste Post
ftempel, den die Karte trügt, ist der von
Chicago, 16. Januar. Hier schrieb ein
Beamter darauf : "Try Trenton"
(Siehe Trenton). Die Karte trügt
dann ebenfalls den Stempel von Tren
ton. Man hatte sie hierher geschickt,
weil dieser Name eine Aehnlichkeit mit
Trotten hat. Tann glaubte man
Clerf" könne wohl Californien bedeu
ten und so findet fich der Stempel ,Pe
taluma" in Californien darauf vom
27. Mai. Es scheint, hier in Calisor
nien waren die Beamten witziger und
schickten die Karte wieder nach Luxem
bürg, wo sie endlich am richtigen Be
ftimmungsort anlam mit dem letzten
Stempel Boewange (Bögen).
Vergebung.
Er: Verzeihen Sie mir, daß ich
Ihnen einen Kuß geraubt habe?"
Sie: Versprechen Sie mir, es nie
wieder zu thun?"
Er: .Nein!"
Sie: .Tann verzeihe ich Ihnen."
Elaubmürdig.
Richter: .Sie sollen einstweilen un
vereidigt vernommen werden, Zeu
gin Sie heißen Anna Müller, wie
alt?"
Zeugin: .Treiundvierzig!"
Tie Richter (unter fich): .Die Zeu
gin können wir unbedenklich vereidi
gen!"