Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 30, 1896, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    As der Prairie.
Jtu! btm ('ngliiibcn.
ES war sin heißer Nachmittag viel
leicht wissen Einige vo Ihnen, wie heiß
es in der Prairie sein kann, wenn sich
kein Lustchen regt.
Ich saß in dem kleinen chalterraum
der Eisenbahnstation, bei der ich ange
stellt war. Durch das Fenster konnte ich
beobachten, wie die glühende Luft aus
dem sonnenverbrannten Gras empor
stieg. Die einsamen Gebäude, die hier
und da und in der Entfernung verstreut
lagen, erhielten dadurch ein solch unru.
higes, schwankendes Aussehen, als ob sie
jeden Augenblick hinweggcblasen werden
könnten.
Durch die Stille ertönte plötzlich der
Schall von Pserdehuscn, die an den,
Bahnsteig anhielten, und bald daraus
hörte ich auf den Brettern und in dem
Wartezimmer ein eigenthümlich klap
perndes Geräusch. Aufblickend gewahrte
ich einen Knaben von etwa 14 Jahren,
der in der Thiir stand. Sei rechtes
Bein war über dem Knie amputirt,
und er stützte sich auf ein Paar leichte
Krücken, die er niit Karabinerriemen,
wie bei der Kavallerie, befestigt hatte.
Er übergab mir einen Auslieferungs
schein für ein Packet an den Obersten
Kent, einen bedeutenden Viehzüchter,
dessen weitläufige Ansiedelungen unge
fähr eine Meile südlich von den Geleisen
lagen.
Sind Sie der Sohn des Obersten?"
fragte ich ihn, während ich ihm das
Packet aushändigte.
Ja, mein Herr, ich heiße Eharlie
Kent."
Dann drehte er sich um und betrach
tot; die TelegraphenApparate mit neu
gierigen Blicken. Er sah so frisch, s
gesund und so aufgeweckt aus, daß ich
ihm erlaubte, zu mir herein zu kommen
und sich alles genau anzusehen.
Seine Augen leuchteten auf.
Wenn Sie es gestatten, thue ich es
sehr gerne. Der vorige Beamte war ein
so brummiger Mensch, daß ich mich stets
zu fragen fürchtete."
Da ihn die Gegenstände zu interessi
ren schienen, erklärte ich ihm in kurzen
Worten das System des Schlüssels und
des Anschlägers und ersuchte, ihm be
gniflich zu machen, wie man eine Nach
richt fortschickt und erhält. Er hörte mir
' aufmerksam zu und schien alles ganz gut
zu verstehen.
Ja," sagteer, nachdem ich geendet
hatte, so ganz unwissend bin ich nicht
mehr, denn ich habe schon Einiges dar
über in Büchern gelesen. Würden Sie
so freundlich kein und mir das Alphabet,
auttchreiben r
Ich erfüllte seinen Wunsch, und er
barg das Stückchen Papier sorgfältig in
sein Taschenbuch.
Als er erfuhr, daß mir dieser Theil
des Westens noch unbekannt fei, erklärte
er mir Verschiedenes übet' die Gegend
und schloß eine außerordentlich sorgfül
tige Beschreibung des Wildes, der Vö
gel und deren Zewohnheiten mit ein,
die mich, als Jagdliebhaber, sehr inter
ksslrte.
' "Ehe er mich verließ, erzählte er mir
noch, daß er sein Bein während eines
indianischen Ueberfalles vor vier Iah
nn, ehe die Eisenbahn erbaut worden
war, verloren hatte. Seines Vaters
Besitzung war unvermuthet angeg'riffen
worden. Er war damals erst zehn
Jahre alt. Da er sich außerhalb des
Hauses befand, hatte er unbemerkt ent
schlüpfen können und sich im Gebüsch
verborgen, wo ihn eine verirrte Kugel
in das Knie traf.
Ich begleitete ihn zur Thüre, als er
Abschied nahm, und war erstaunt, wie
sicher er sich auf seinem Pony fühlte.
Seine Krücken hing e: hinter sich,
schwang sich gewandt in den Sattel und
ritt im scharfen Galopp nach Hause.
Etwa eine Woche später kam er eines
Rachmittags wiederum zu mir. In
der Zwischenzeit hatte er das telegra
phische Alphabet auswendig gelernt und
konnte alle Zeichen mit Leichtigkeit wie
derholen. Am folgenden Tage besuchte
mich der Oberst selbst, ein ledhafter,
munterer Herr, der die Gewohnheit
hatte, allen Leuten aie Hände zu schüt
hin. Er war der Typus eines Grenz
ansiedle. Nichts für ungut, Herr
Beamter," begann er, mein Sohn
"möchte gar zu gern Ihre Kunst erler
nen. Sehen Sie er fühlt sich so
einsam, denn er kann nicht mit den an
deren Knaben spielen, seines Beines
wegen ; wenn Sie ihn also um sich dul
den wollten und ihn anlernten. er
begreist ziemlich rasch und faßt sehr
leicht auf nun es soll Ihr Schade
nicht werden, was beanspruchen Sie?"
Aber Herr Oberst" ich mußte
übn seinen geschäftlichen Eifer lachen
seine Gesellschaft wird mir nur
willkommen sein ich bin so ganz allein
hier einen Kontrakt brauchen mir
also nicht auszusetzen."
Charlie war ein gelehriger Schüler. '
Nach einem Monat konnte er eine Bot
schaft fortsenden und empfangen, wenn
auch natürlich noch sehr langsam. Sein
Bater freute sich dermaßen über seine
Fortschritte, daß er mir einen Zieitpony
zum Geschenk machte, und als sich
Sharlie kurze Zeit darauf in den Kopf
setzte, welch' prächtige Idee eine private
Verbindung von der Ansiedelung nach
der Station sein muffe, beauftragte
mich der Oberst, zwei Apparate und den
Draht aus Chicago kommen zu lassen.
Die Biehjungen (Cow bovs) legten
unter meiner Ausficht die Leitung an.
und obgleich dieselbe nicht sehr stramm
angespannt war und die Stangen nur
aus aneinander gefügten aunpsählen
bestanden, arbeitete sie doch ebenso gut
wie die Hauptlinie. Ta ich den Appa
rat an meiner Endlinie nicht in meinem
Bureau haben wollte der übertrieben
diensteifrige Herr, unser Bahnwärter,
mochte dagegen opponiren so stellte
ich ihn an einer Seite des großen, leeren
Güterschuppens auf.
Der Herbst war schon vorgeschritten,
und meine Pflichten wurden anstatt
schmerer nur leichter. Außer zwei Gü
terziigen, einen über den anderen Tag,
lamm noch die tägliche Post und die
Ezpreßzüge nach Osten und Westen
durch, letztere zwischen ein und vier llhr
des Morgens. So hatte ich vollaus
Zeit, die ich größtentheils mit Charlie
auf der Hühnerjagd verbrachte. Er
schoß ausgezeichnet ans dem Sattel, ob
wohl es ihn, wie er mir sagte, viel
Mühe gekostet hatte, bis sich fein Pony
an das Schießen gewöhnte. Die übrige
Zeit des Tages las ich entweder,
oder ritt spazieren, so lange das ent
zückende, indianische Sommerwetter an
hielt. Während einer Nacht im Okto
der brach ein entsetzliches Sturmwetter
los; Regen und Hagel blendeten die
Aussicht. Der Orkan entlud sich, kurz
nachdem der westliche Zug die Station
verlassen hatte, und ungefähr eine
Stunde, ehe der östliche fällig war.
Ich wurde durch das wilde Brausen ge
weckt und stand auf, um Umschau zu
halten. Der Regen goß in Strömen
und der Wind machte das Gebäude er
beben, während die Blitze unaufhörlich
niederzuckten.
Als ich in den tosenden Sturm hin
aussah, enthüllte ein außergewöhnlich
leuchtender Blitz für einen Augenblick
eine Gruppe Reiter, die Über die Pra,
rie auf die Station zu galoppirt kamen.
Ich verweilte noch, um, wenn möglich,
einen zweiten Blick zu erHaschen, aber
ohne Ersolg, wahrscheinlich hatten sie
sich nach links gewandt.
Kurz nachher hörte ich am anderen
Ende des Gebäudes ste anhalten. Viel
leicht wollten sie Schutz vor dem Sturm
suchen, vielleicht auch auf den Zug wav
ten. Es war nichts Ungewöhnliches,
daß Reisende östers eine Stunde vor
Abgang desselben eintrafen, und des
halb fiel es mir weiter nicht auf. Ehe
ich aber meinen Platz am ffenster er
ließ, hörte ich sie von der Platform auf
die Thür zustampfen, und ich zog mich
etwas auf die Seite zurück, um sie vor-
übergehen zu seyen. Ich liefe gewohw
lich in der Zwischenzeit, in der ich die
Züge erwartete, eine herunierge
schraubte Lampe brennen. Diese leuchtete
ein wenig durch das Fenster, und als
die Männer in den schwuchen Lichtstrahl
traten, konnte ich sie genau betrachten.
Sie waren alle sehr kräftig gebaut.
Sie trugen alle gelbe Gummimäntel
und hatten die Krempen ihrer weichen
Schlapphüte über die Stirn hernnterge-
zogen, um sich vor dem Regen zu schätzen.
Dicht unter den Augen hatte sich jeder
einzelne ein rothes Taschentuch um das
Gesicht geschlungen. Dies fiel mir als
etwas Ungewöhnliches auf und beunru
higte mich einen Augenblick, dann kam
mir der Gedanke, daß sie die Tücher
als Schutz gegen den Hagel umgebun
den hätten.
Einen Augenblick später schlugen sie
an die Thüre nnd verlangten Einlaß.
Ich gewährte diesen nie gern so lange
vor Abgang eines Zuges, denn manch
mal wuroen mir Eilgeldbriefe zugestellt,
und ich besaß keinen Kaffenschrank, um
Werthgegenstände wegzuschließen.
Einmal mußte ich ein Packet von
2000 Tollars drei Tage in meiner
Tasche mit mir herumschleppen, ehe
der Eigenthümer sich meldete. So war
ich gelegentlich um meine Sicherheit be
sorgt.
Diese Nacht war ich aber nur im Be
sitz einiger mir gehörigen Tollars und
einer fast leeren Posttasche. Tennoch
fragte ich, ehe ich öffnete: ' i
Wer ist da. und was wollt Ihr?"
Reisende für den Zug," kam es zu
rück. Wir sind alle naß und wollen
uns or dem Regen schützen."
Ich schloß die Thüre auf. und sie
drängten sich in das Zimmer.
Bei der helleren Beleuchtung hier in
neu erschienen die Taschentücher, die
ihre Gesichter verhüllten, so sehr als
Vermummung und eine vortreffliche
dazu daß ich unwillkürlich einen Au
genblick zurückfuhr und inen hastigen
Schritt nach dem Schalter machte.
Sosort versetzte mir einer der Männer
einen Schlag mit der Faust, und wenn
derselbe auch nicht sehr stark war, so
kam er doch so unerwartet, daß ich jeden
Halt verlor und hinstürzte. Kaum lag
ich am Boden, als mich auch schon zwei
ergriffen, mich auf das Gesicht legten
und mich se hielten, 'sie Anderen ban
den mir die Hände nach rückwärts, fes
selten meine Füe und rollten mich dann
auf meinen Rucken.
So, mein Hühnchen", sagte einer, der
der Anführer zu sein schien, wir haben
nichts gegen Dich, und es soll Dir nichts
geschehen, so lange Tu Dich ruhig der
hältst. Sowie Tu Tich aber muckst oder
Lärm schlägst, giebt'i was zu schieszen."
Sie schienen mit dem Bureau und des
sen Umgebung vertraut zu sein wahr
fcheinlich hatten sie schon früher hier
Besuche abgestattet. Zwei von ihnen
hoben mich auf und trugen mich nach
dem Güterschuppen, während ihnen ein
Anderer mit der Lampe vorausging
und die Thür öffnete. Einen Augen
blick sahen sie sich forschend an, dann
legten sie mich auf die Erde gegen die
Wand, gaben mir einen alten Mantel
als Kopfkiffen und, nachdem sie mir
Schweigen anbefohlen hatten, kehrten
sie in den Wartesanl zurück.
Ta lag ich also allein im .Dunkeln.
Ich dachte nach, und ziemlich rasch, denn
ich desand mich in furchtbarer Aufre
gung.
Ihr Vorhaben war klar genug
sie wollten dein Zug hier auflauern
und ihn berauben. Der Postschass
ner nach dem Osten führte fast immer
eine Menge Geld in seinem Schrank
mit sich, ost genug auch Goldbarren
aus den westlichen Minen; wenn ihr
Plan also gelang, ernteten sie reiche
Beute. In letzter Zeit war diese Ge
geud durch öftere derartige Anfälle vc
unruhigt worden, und so war ich über
zeugt, daß ich ihren Plan errathen hatte.
Dadurch, dasz sie das Zugpersonal
überraschten, konnte:: sie dasselbe leicht
überwältigen. Die Post- und die Ge
präckmägen würden die ersteren mit der
Lokomotive eine oder zwei Meilen weiter
östlich fahren und sie dort in aller Stille
und Gemüthsruhe plündern. Vor Kur
zein war derselbe Anschlag auf einer an
deren Linie geglückt, und aller Wahr
scheinlichkeit nach würde er auch hier ge
lingen, wenn ich ihn nicht aus irgend
eine Weise vereiteln konnte.
Ich versuchte, meine Hände zu be
freien, aber sie waren z fest gebunden
so fest, daß mir die Band fest in das
Fleisch schnitten. Und dann überlegte
ich, daß ich, selbst wenn ich frei wäre,
unmöglich ungesehen entfliehen und den
Zug warnen tonnte, denn beide Thore
des Güterschuppens waren verschlossen,
und die Schlüssel zu demselben befanden
sich in der Schublade des Schalterraums.
Gerade jetzt ward die Thür, die in's
Wartezimmer führte, geöffnet, und einer
der Schurken schaute hinein.
Sprich, junger Mensch, lebst Tu
noch?"
Ja."
Wir wollen wissen, ob Du etwas an
diesem Telegraphen-Apparat zu schaffen
hast, damit man keinen Verdacht schöpft
hast Tu noch irgend eine Nachricht
abzuschicken?"
Tas war ziemlich unverfroren, und
einen Augenblick kam mir der Gedanke,
daß es mir doch vielleicht gelingen könnte,
eine Warnung fortzuschicken. Ich wollte
gerade Ja" antworten, als die andere
Stimme mir zuvorkam:
Laß den Kerl in Ruhe, sowie der die
Maschine in die Klauen bekommt, läßt
er den Zug anhalten. Sei kein Narr,
komm heraus und mach die' Thür zu."
Sie ward zugeworfen, und ich befand
mich wieder allein im Dunkeln.
Meine beengte Lage und die festge
schnürten Stricke begannen mir jetzt
Schmerzen zu verursachen, und ich blickte
mich um, mir Erleiterung zu verschaf
sen. Plötzlich erinnerte ich mich einer
Kreissäge, die vor einigen Tagen von
dem Güterzuge zurückgelassen worden
war, und die ich vom Stiel losgelöst
und in eine Ecke gelegt hatte, um einem
möglichen Unfall vorzubeugen. Ich rollte
mich weiter und weiter, bis meine Füße
die gegenüberliegende Wand berührten.
setzte mich in der Ecke auf und suchte mit
den Händen nach der Säge. Zu mei
ner großen Freude fand ich sie, brachte
die Stricke gegen einen der Zähne und
begann vorsichtig vor und rückwärts zu
reiben.
Im nächsten Augenblicke waren meine
Hände frei, eben so rasch meine Füße.
Zch entledigte mich meiner Stiesel und
konnte micht jetzt ohne das geringste Ge
räusch bewegen.
Dennoch konnte ich nichts unterneh-
men. Ein Entkommen war unmöglich,
und ich wollte mich gerade wieder in
meine alte Lage zurückbringen, um ei
ncm zweiten Faustschlage zu entgehen,
falls mich die Hallunken überraschen
sollten, als ein leichtes spiz z z", dem
ein leuchtender Funke folgte, meine Auf
merksamkeit nach der südlichen Seite des
Raumes lenkte. Es war der Apparat
unserer Privatlinie, der durch den Blitz
beeinflußt wurde ein ganz gewöhnliches
Ercigniß, das man in Telegraphen
bureau während eines Tonnerwetters
beobachten kann.
Mit einem svruna war ich an dem
Apparat und untersuchte die Verirrn,
dung. Alles war in Ordnung, wenn,
gleich man durch das starke Rauschen
des Regens kaum den Anschläger hörte,
Es schien fast eine Unmöglichkeit, daß
ich um diese Zeit m der Nacht eine Ant
Wort von Charlie erhalten konnte, da
es aber mein einzigstes Mittel war.
lohnte es sich des Versuchend Deshalb
begann ich, seinen Namen markirend
Eh."
C h c h c h " raffelte ii
und plötzlich ward zu meinem größten
Erstaunen die Verbindung hergestellt,
und die Antwort kam.
.34-6-6.
Tann sprach" ich zu ihm in meiner
Auslegung viel rascher, als der gute
Junge die Worte aufnehmen konnte,
und er unterbrach mich mit lang
sanier".
Jch-ich-ich," stotterte ich: .rufe
sofort Deinen Pater."
Nicht zu Hause," kam die Antwort,
alle fort, um da? Vieh einzufangen,
das der Sturm verschlagen 6t."
jjch ich ich," rief ich zurück, dann
hielt ich an. um nachzudenken.
Kannst Tu an die westliche Kreuzung
reiten und dem Zug fignalisiren, daß er
an6alt?"
.Ja. warum?"
Nimm eine Laterne und wickle ein
Stück dünnen, roth Flanell darum,
wenn Tu welchen haft. Schwinge sie
über die Geleise, sobald Tu die Kops
lichter siehst, und höre nicht eher auf.
als bis angehalten wird. Sage dem
Zugsührer, daß' acht Männer hier sind,
die den Zug berauben wollen. Eile, so
sehr Tu kannst."
Au'trag verstanden. Tonnerwetter!"
das Letztere wohl, um seinem Er
staunen Lust zu mache, dann hörte ich
nichts mehr.
Ich hoffte jetzt, daß die Schurken
überlistet werde würden, obgleich Alles
natürlich von Charlie abhing. Aber es
war etwas, was gerade für ihn paßte.
Im Geiste sah ich ihn auf lerne rn Pony.
die Laterne in der Hand, über die
Prairie dahinsausen, als ob ein Rudel
Indianer hinter ihm her sei.
Unterdessen hielt ich es sür's Beste,
meine alte Lage an der Wand wieder
einzunehmen, um jeden Verdacht zu
vermeiden, im Fall die Räuber mich
ausfragen würden. Die Zeit schien
nur so dahinzuschleichen bis ich fast
mit Gewißheit annehmen dürfte, daß
der Zug fällig sein müsse. Aber er
kam nicht, obgleich mich die Bewegungen
der Hallunken von der Richtigkeit mei'
ner Vermuthung überzeugten, wahr
fcheinlich hatte er schon etwas Ver
spätung, und das beunruhigte sie. Nun
öffnete auch einer die Thur und rief
mich an:
Sag', Ingenieur, ist der Zug
pünktlich?"
Ja, erwiderte ich, um zwei Uhr
war er s noch, seit der Zeit habe ich
nichts mehr gehört."
Er zog sich wieder zurück, und zehn
Minuten lang blieb alles ruhig. Plötz,
lich hörte man durch das Sturmgebrause
ein schwaches, entferntes Pfeifen. Im
nach ten Augenblicke entstand eine leb,
hafte Bewegung im Wartezimmer
die Saunen versammelten sich aus dem
Bahnsteig.
Ich sprang auf meine Füße und
stellte mich an die Wand, die dem Ge
leise am nächsten lag. Mein Ohr gegen
die Bretter legend, konnte ich nun deut
lich das Geräusch des schnell heran
nahenden Zuges vernehmen. Ich ver
suchte mir vorzustellen, wo die Schurken
sich aufgestellt haben konnten. Wahr
scheinlich hinter einer Ecke des Gebäu
des, um sofort, mit dem Revolver in
der Hand, vorzuspringen. Der Zug
war jetzt ganz nahe und hielt mit
Schnauben und Zischen und Pfeifen
vor der Station an. Fast im selben
Augenblicke hörte ich das donnernde
Kommando Hände hoch", dein vier
oder fünf Revolverschüsse folgten, den
Lärm eines Handgemenges auf der
Platform, der aber bald beendet war,
und dann ein wahres Babel von Stim
men und das Geräusch vieler Füße auf
dem Bahnsteig.
Ich stürzte durch das Wartezimmer,
um zu sehen, wie alles abgelaufen war,
und suchte und traf den Zugführer.
Hallo, Lund, sind Sie das? Dank
Ihrer Warnung, haben wir diesmal
den Raub vereitelt. Ich borgte mir
ein halbes Dutzend Revolver von den
Reisenden und warb mir ein paar Frei
willige, und als wir hier anlangten.
standen zwölf Männer bereit, um das
Geschüft zu regeln. Wir haben die
Räuber im Gepäckwagen untergebracht
kommen Sie und sehen Sie sich die
Banoe einmal an. "
Es waren wüste Menschen. Zwei
von ihnen lagen verwundet auf dem
Boden, aber nicht gefährlich.
Jetzt kam Charlie auf seinen Krücken
daher gehinkt, nur mit einem paar
Hosen und seinem rothen Flanellhemd
bekleidet, dessen einen Aermel er heraus
gerissen hatte, um ihn über die Laterne
zu wickeln. Er war vollständig durch
näßt, seinen Hut hatte er unterwegs
verloren, und er machte einen so. er
bärmlichen Eindruck, sah so zerrissen
und zerlumpt aus, daß die Passagiere,
die sich in Lobeserhebungen ergingen,
eine Kollekte für ihn veranstalteten.
Nachdem der Zug die Station ver
lassen hatte, trafen wir uns im Warte
zimmer. Tort besprachen wir die Sache
und versuchten darüber nachzudenken,
wieviel wir der Expreß Company für
den Gebrauch unseres Privattelegraphen
anrechnen sollten. Einige Tage später,
mehr des SpaßeS halber, als daß es
darum zu thun war, schickten wir eine
Rechnung über 50 Tollars ein, .die so
fort und mit vielem Tank für das, was
sie unser rasches Handeln" nannten,
bezahlt wurde.
Begnadigt.
Zt'mt von i. 1 8 e r.
Ta stand er wieder auf dem Berliner
Pflaster und starrte mit sinnendem Blick
auf die zahllose Menschenmenge, die von
Sekunde zu Sekunde wechselnd vorüber
fluthete, auf die vorüber rollenden Om
nibusse, die zahllosen Pferdebahnen und
die vielen Troschken und anderen Ge
spanne.
Taffelbe Bild wie ehemals! Schien
eS doch, als sei die Zeit spurlos an alle
dem vorübergeflogen! Ter einsame!
Mann schreckte empor. Zu lange schon I
hatte er an der Ecke der Leipziger und
Friedrichsftraße gestanden. Schon streif i
ten ihn die mißtrauischen Blick: eines j
Schutzmannes. Ein schmerzliches Lä-,
cheln huschte über das vergrämte Geficht.
Freilich, elegant war er nicht gekleidet.
Ter Rock zeigte nicht den neuesten
Schnitt, sondern er war dünn, und der
schössen, fröstelnd zog er ihn zusammen.
eine Ueberzieher befaß er nicht, lieberen." lautete der herbe Urtheilsspruch
Gott, wovon sollte er sich diesen LuruS damals.
leisten können. Er hatte sein Weib nicht wiederge
Fünf Jahre! Alles noch wie ehemals , sehen, kein Lebenszeichen all' die Jahre
auf den Straßen Berlins und doch wie, hindurch von ihr erhalten, er war frei
anders in dem Auge des einsamen Man i seit gestern !
nes. Fest krampften sich die Hände z
sanimei! und zwischen den znsammenge
bissenen Zähnen murmelte er unver
ständliche Laute.
Die Menschenmenge staute sich, r
kleinen Abtheilunge war eS bei dein
regen Verkehr möglich, den gegenüber
liegende Bürgerjteig zu erreiche.
Ein kleiner Zug Zlrre,ideKnaben
wartet auf den günstigen Moment, die
gegenüberliegende Seite der Straße zu
erreiche, aber die Wage scheine kein
Ende nehmen zu wollen. In lange,
dunkle Mäntel gehüllt, breitrandige
schwarze Hüte auf dem Kopse, stehen
die Jungen da, ein Bild der Armuth.
Von Hof zu Hof ziehend und singend
rufen sie die Mildthätigkeit des Men
schenherzens an.
Flackernd beleuchtet der Schein der
Laterne die kleine, dunkle Schaar.
Ernste Augen schauen aus den blassen,
schmalen Gesichtern in das Gewühl der
Weltstadt.
Der einsame Mann zuckt zusammen.
Tas Gesicht des einen Kn.'.ben! Welche
Erinnerungen nist es in ihm wach.
Da die Kurrende-Knaben eilen über
den Fahrdamm, ihre Zeit ist kostbar
sie muß ausgenutzt werden ihnen nach
ihnen nach! Eiligen Schrittes erfolgt
er den kleinen Zug, auf dem Hofe eines
'Hauses der Zimmerstraße verschwinden
die Knaben und bald vernimmt man
die ernsten Strophen eines Chorals.
Der einsame Mann steht in einer duuk
len Nische der Haunflur, dem ergreifen
den Gesänge lauschend.
Draußen fluthet die Welt der Millio
nenstadt brausend, rauschend, lärmend
vorüber, während hier ans dem stillen
Hofe Ruhe und Frieden eingekehrt zu
sein scheint.
Unermüdlich zieht die dunkle Schaar
von Hof zu Hof, unermüdlich folgt ih
nen der dunkle Schatten des einsamen
Mannes.
Endlich haben die kleinen Sänger
ihren Dienst vollendet und eilen ihrer
Wohnung zu. Fast wäre der eine
Knabe von den Rädern einer eiligst
vorllberfahrenden Droschke zu Boden
gerissen, hätte nicht noch im letzten Au
genblicke eine Hand ihn zurückgerissen.
Hastige Tankesworte stammelnd, strebte
das erschrockene Kind vorwärts.
Wo wohnst Tu. mein Junae ." läkt
sich jetzt die Stimme seines Erretters
vernehmen. Tie Gestalt des einsamen
Tiamm teilt an einer Seite.
Weit im Norden und ich mun mich
eilen, plinktlich zum Abendessen heim zu
lomrnen "
Und läufst Gefahr, überfahren tu
werde. Willst Tu mich nicht mitneb-
men Aucy mci isiel t der Norden,
aber ich bin fremd hier geworden und
iiide den Weg nicht mehr,
Gewik, gehe ich doch den Weg fast
lagucy "
Den weiten Weg?"
Im Westen bekommen wir besser
bezahlt. Ta wohnen die reichen Leute,
während im Norden und Osten viele
Arme wohnen. "
Hast Tu tVincn Vater mehr?"
Stockend kamen die Worte über die
zuckenden Lippen des Mannes. Keinen
Vater oder Mutter, die sür Tich sorgen
können?"
Ach nein," kam es trübe über die
schmalen Lippen des Knaben. Mein
Vater ist todt und meine Mutter ist viel
krank und kann oft nichts verdienen. . . "
Haft Tu noch Geschwister?"
Noch zwei."
Tu bist der Aelteste?"
Ja, ich werde zehn Jahr. Meine
jüngste Schwester ist fünf Jahre, . . . "
Barmherziger Himmel ! "
Was haben Sie, .. .Herr, ., ."
Nichts nichts .... mein Kind
und Deine Mutter ist oft krank?"
Fast immer," kommt es traurig von
den Lippen des Knaben, fie weint viel
und ist immer so traurig."
Und was arbeitet Deine Mutter,
womit verdient sie Euer täglich Brod?"
Sie hat Auswartestellen."
Aufwartestellen?"
O. es geht ganz gut. sie bekommt
dann das abgelegte Zeug der Herrschaf
ten und braucht für uns nichts zu
kaufen, ich verdiene auch schon," stolz
hebt sich des Knaben Kopf, aber Mnt
ter lacht doch niemals, so viel ich ihr
auch dringe."
Allmächtiger Gott im Himmel, wie
wunderbar find Deine Wege. Tief in
sich zusammengesunken, schreitet der
Mann an der Seite des plaudernden
Knaben dahin. Welch ein Bild des
! Elends rollt sich vor seinem Auge auf.
und er er ivur caiuiu an Allem:
Konnte er sühnen? Er ein ge
drochener Mann ?
Wirr hing ihm der lange, mit Sil
berfäden durchzogene Bart um das Ge,
ficht. Düster blicken die einst so fröh,
lichen Augen. Seine Gedanken schwei,
sen zurück. Tief sinkt der Kopf auf die
Brust. Sein Leben liegt in Scherben
vor ihm.
Kann wird sie ihm ver
zeihen? Ihm. der ihr ganzes Leben,
glück zerstört ?"
Erst gestern yatte er den grauen
Mauern den Rucken gekehrt, in welchen
er fünf volle Jahre hinter Schloß und
Riegel gesessen. Fünf volle Jahre der
Reue und Buße. Wie entsetzlich war
die Zeit gewesen und groß war die
Sehnsucht geworden, sein Weid, seine
Kinder wiederzusehen.
Urkundenfälschung, sechs Jahre er,
Scheu streiften deS Knabe Auge
die gebückte Gestalt de Fremden, d,
verständliche Worte murmelnd, eben
ihm herschritt.
Ich bitt am Ziel, dort oben im
siinslen Stock wohnt meine Mutter,
Gute Nacht."
Mich friert sage, mein, Kind,
darf ich mit Dir gehen, darf ich Tich
Deiner Mutter zurückbringen?"
Wenn der Herr durchaus will. , , . "
kam es ängstlich, stockend über des Kim
den Lippen. Wie sonderbar der Mann
nr war.
Die sünf Stockwerke waren erstiege.
Die Thür zur Wohnung sprang
auf.
Trübe beleuchtet vom Schein einer
kleinen Petroleumlampe stand mit dem
Rücken der Thüre zugekehrt eine hohe
Frauengestalt, beschäftigt eine Wasser
suppe aus die Teller der Kinder z sül
len. Jetzt wandte sie sich um. Grau,
und Sorge hatten die einst so schöne
Züge durchfurcht. Ta hebt sie die
Augen empor, wie geistesabwesend starrt
sie den Mann an, welcher leise eingehe
ten ist, sie taumelt und sinkt zurück.
Er stürzt zu ihr, säugt sie in seinen
Armen ans. küßt ihr Haar und Gesicht
und flüstert: Mein armes, armes
Weib, kannst Du mir verzeihen? Ich
will arbeite Tag und Nacht, um
gut zu machen, was ich an Euch ver
krochen." .
Sie starrt ihn an zu jäh ist die
Ueberraschuug gewesen.
Fälscher", kommt es herbe über ihre
Lippen; sie richtet sich empor, erschreckt
sind die Kinder in eine Ecke dem Zim
mers geflücktet.
Ich verdiene das Wort, aber höre
auch, daß ich nicht so schuldig bin, wie
Tu glaubst. Tu weißt, wie ich Dich
geliebt und wie mir kein Wunsch zu
hoch war, ihn Dir zu erfüllen. Ich be
saß nur ein Meines Gehalt, Du wußtest
eS nicht, um Dich zu erringen gab ich
ein höheres Gehalt an. Unsere An
sprüche wuchsen und so unterzeichnete ich
eiueS Tages den Wechsel mit falschem
Namen, Tu brauchtest Geld für Deine
Toilette, für die Ballsaison. Du lieber
Gott, Du ahntest ja nicht, wie schwer es
mir wurde und ich war schwach, ich
konnte Dir nichts abschlagen. Bei dem
allmächtigen Gott schwöre ich Dir, daß
es so war. Ich schmieg damals vor Ge
richt, um Tich nicht mit herunter zu
ziehen, als Schuldige."
Wie Schuppen fällt es ihr von den
Augen, nicht leichtsinnig verspielt, wie
er damals ausgesagt, sonder ihr, ihr
allein hatte er sich geopfert. Ihr zu
Liebe.
Sie hebt das Haupt empor, fest um
schlingt sie die Rechte ihres Gatten.
Kannst Tu mir verzeihen? Schwer
habe auch ich gesündigt. Unser Leben
soll fortan Arbeit, rastlose Arbeit sein,
damit dereinst unsere Kinder trotz allem
zu uns empor sehen können."
Fest umschlangen die Arme der Kin
der den Nacken des wiedergefundenen
Vaters, Vater, lieber Vater" flüsternd.
Ein verlorener Mann war dem Le
ben, der redlichen Arbeit wieder gewon
nen, zwei der Verzweiflung nahe Herzen
hatten sich in treuer Liebe wiederge
funden.
Bom alten lessauer.
Ter
Bör" erzählt folgende Anek.
böte:
Der Bäckermeister Riede stand bei
dem alten Dessauer in besonderer Gunst.
Das verleitete ihn zu einem ungeschickten
Streich, den ihn aber der Fürst bitter
entgelten ließ. Riede nämlich hatte
vom Fürsten eine Anweisung auf einige
Klafter Holz geschenkt erhalten. Als
das Holz abgeladen wurde, ging der
tfür l zufällig an des Bäckers Hause
vorüber und bemerkte, daß das viel
mehr sei, als es der Anweisung nach
sein konnte. Kerl!" schrie der Fürst,
wie viel Holz habe ich Dir angewie
sen?"
Ach. das war viel zu wenig." ver
setzte Riede, vertraulich lächelnd, da
habe ich noch ein Nullchen hinzu ge
than."
Ter Fürst schmieg, aber die Revanche
blieb nicht aus. Eines Abends fuhr er
an des Bückers Haus vorüber, ließ an
halten und den Meister herausrufen.
Tiefer erschien sofort in Hemdsärmeln,
bloßen Füßen und Pantoffeln am
Wagenschlage.
Setze Tich mal zu mir," sagte der
Fürst leutselig, ich habe ein Weniges
mit Tir zu plaudern."
Natürlich konnte der geschmeichelte
Meister dieser Einladung nicht wider
stehen, und so ging'S unter lustigen
Reden die Straße hinab, zum Thore
hinaus und bei immer rascherem Trabe
der Roffe zwei Stunden weit über Land.
Plötzlich ließ der Fürst anhalten.
So," sagte er, ich danke Tir sür
Teine angenehme Unterhaltung, nun
kannst Tu wieder aussteigen."
Verblüfft schaute der Meister drein,
aber es half ihm nichts. Er mußte in
seiner fragwürdigen Bekleidung im
Regen und Tunkeln den weiten Weg
langsam zurücktappen und noch hinter
sich herrufen hören: Schau, das ift
für das zugesetzte Nullchen."
j$u fdirefflid).
Sie: Tu sagst, es werde zu viel für
den Hausstand gebraucht und ich müsse
mich mehr einschränken? Ja. mein Lie
der, da bleibt freilich nichts anderes
übrig, als daß ich noch heute unserer
Köchin den Tienft kündige."
Er (erschrocken): .Um Gottesmillen.
nur das nicht!"