Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, May 14, 1896, Image 10

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    fjimmclsblumeii.
Pint nltft (eschichle utn Hl. Z i r o m t r.
Die Insel Stjlt ist ein langer, in der
Mitte sich erweiternder Landstrciscn,
der ans der Westseite durch eine Kette
hoher Tiincn gegen das offene Meer ge
schlißt, zum grossen Theile ans baum
losen Haideflachcn besteht, iiber welche
im Frühjahr, Herbst und Winter nicht
selten verheerende Orlanedahinbrau
sen. Tann donnert die See mit gc
waltigcm Wogcnprall gegen die Küste,
kann wühlt fiel) der Sturm in die
Sandmassen, rollt sie übereinander und
jagt sie in dichtem Gestöber vor sich her,
so daß sie die Landschast ost zollhoch be.
decken. Tas ist der gesnrchtetc Sann,
staff", der mit seinem seinen Staub
durch Thüren und Fenster dringt als
ein unangreifbarer Feind, gegen den
jeder Widerstand vergeblich ist. Im
Sommer jedoch besitzt dieses Eiland
einen eigenthümlichen Reiz, der seine
weißen Tllnen und seine stille braune
Haide, auf welche die am Himmel ein
herziehenden Wollen phantastische
Schatten weisen, mit der Poesie der
Schmcrmuth umkleidet.
Etwa aas der Mitte der Langenaus
dehnung der Insel liegt das vielbesuchte
Seebad Westcrland, welches man von
Munkmarsch an der Ostküste, wo die
Dampfschiffe landen, in einer guten
Stunde erreicht. Zu Anfang der Sech
ziger ahnte man in diesem Torfe wohl
kaum, welche Bedeutung dasselbe einst
erlangen würde. Damals war der
Besuch noch ein verhültnißmäßig schwa
eher und die Fremden wohnten zumeist
in den einfachen, aber von jeher sehr
sauberen Fischer und Schisserhauschen,
deren beste Wohnräume gegen eine ge
ringe Vergütung vermiethet wurden.
Seitdem hat sich Manches verändert;
die Bade-Einrichtungen sind verbeffert
worden und die inzwischen entstandenen
Hotels vermögen den Fremdenverkehr
in der Hochsaison kaum zu bewältigen.
Unter den ersten Gästen, welche im
Sommer des Jahres 1863 auf Sylt
erschienen, befanden sich zwei Damen,
die vor Munkmarsch gerade bei Beginn
der Ebbe eintrafen und, da das Schiff
wegen Wassermangels nicht anlegen
konnte, mittels Bootes an s Land at
setzt werden mußten. Der Bootsführer
war ein junger Fischer Namens Peter
Lllrffen, der sich durch das Abholen der
Paffagiere und durch Wasserfahrten
mit den Badegästen zuweilen einen
Rebenverdienst z verschaffen pflegte.
Sorgsam geleitete er die Damen von
der Schiffstreppe in sein auf und ab
schwankendes Fahrzeug und ruderte sie
dann, so schnell er vermochte, an
Land. Hier half er ihnen einen Wagen
suchen, auf den er ihr Gepäck trug und
neben welchem er endlich, als Alles auf,
geladen war, und die Damen Platz gc
nommen hatten, seiner Löhnung har,
nd, mit der Mütze in der Hand stehen
blieb.
Erst jetzt fand er Zeit, die beiden B?
sucherinnen der Insel aufmerksamer zu
betrachten. Sie waren offenbar Mutter
und Tochter, die Erstere eine ernste
Frau, mit kummervollem Gesichtsaus-
druck, die Letztere ein zartes junges
Madchen mit blondem Haar, blauen
Augen und feinen Zügen, die wie aus
Marmor geformt erschienen. Aus die
sem bleichen, lieblichen Gesicht blickten
die strahlenden Augen so wunderbar
mild und freundlich, daß Peter die sei
nigen zu Boden schlagen und dabei un
willkürlich erröthen mußte. Er empfand
plötzlich eine gewisse Unruhe, und eine
ihm sonst fremde Verlegenheit, die er
vergeblich zu bekämpfen suchte. Kaum
war er sich aber dieses Gefühls bewußt
geworden, als die ältere Dame ihr Per
temonnaie zog und ibn fragte, was sie
ihm schuldig sei. Was Sie belieben,"
lautete seine Antwort. Sie gab ihm
einen Thaler, und ihre Tochter war
eben im Begriff, noch ein Trinkgeld
hinzuzufügen, als er sich umwandte
und, ohne ein Wort zu sagen, davon
eilte.
Ein hübscher, aber etwas seltsamer
Bursche," bemerkte die Mntter, wäh
rend der Wagen sich in Bewegung setzte.
Das junge Mädchen erwiderte nichts,
sondern schaute mit schelmischem Lächeln
ins Torf hinein, wo Peter, hinter einer
Hausecke versteckt, den Tamen nachsah.
Sie erkannte ihn wohl und hielt sein.
Wesen für eine Mischung von Wildheit
und Schüchternheit, über der sie, durch
den Anblick der Haidelandschaft abge
lenkt, nicht weiter nachdachte.
Mas war nur mit dem sonst so lusti
gen Peter vorgegangen? Still und be
drückt schlich der ungefähr achtzehnjährige
junge Mann in's elterliche Haus, setzte
sich an den massiven Eichentilch und
stützte den Kopf in die Hündc. Erst die
Aufforderung seines Vaters, ihm beim
Ausbessern der Reusen u helfen, riß ;
ihn aus seinem Brüten. Schweigsam j
vernchieie er oie Arven und eniiernle
sich dann Abends mit dem Vorgeben, in
Wefterland eine Besorgung zu haben, !
Im Tunket der Nacht schritt Peter
dahin über die Haide, Er achtete nicht
aus den Weg, sondern ging guerieldein,
in gerader Richtung ausWkftcrland zu.
Hier trat er in eines der ersten Häuser,
um seinen Freund Jens, der kürzlich
sein Steuermannsexamen gemacht hatte,
zu besuchen. Tie jungen Leute sprachen
in der langsamen Art der Friesen über
Tiefes und Jenes, bis Peter endlich
nicht länger die Frage zurückhalten
konnte, ob Jens nicht die Nachmittags
angekommenen beiden Tamen gesehen
habe, und auch wußte, wo sie wohnten.
Ja," meinte dieser, die habe ich
wohl gesehen. Sie sind, wie ich höre,
aus Hamburg und zu Stevens gezogen.
Es scheinen seine Leute zu sein, denn
Sie haben, ohne zu scilschcn, die Miethe
gleich aus vier Wochen vorauöbezahlt."
Peter erzählte, daß er die Damen
vom Schiffe an Land gesetzt nd sagte
dann seinem Freunde gute Nacht. Was
er wissen wollte, hatte er ja erfahren.
Er kannte das schmuckeHäuSchcn wohl,
das ihm Jens genannt. Es stand
nicht weit vom Strande und es hatte
nur ein Erdgeschoß, in welchem der alte
Eapitön Stevens mit seiner Familie die
linke Seite bewohnte. Tie beiden Zirn
mer rechts mußten also jetzt im Besitze
der beiden Damen sein.
Dorthin lenkte er nun seine Schritte.
Z welchem Zweck, das wußte er freilich
selbst nicht. Er folgte nur einem gchci
mcn Zuge, der ihn in die Nähe der hell
erleuchteten Fenster trieb. Hier blieb
er ein Weilchen stehen, sah, wie sich zwei
Schalten hinter den dichten Vorhängen
bewegten, und trat dann, nachdem er
sich mit der Hand über die Stirn gefah
ren, langsam den Heimweg an.
Ein frischer Westwind strich über die
Insel. Das that ihm wohl. Tief auf
athmend stand er inmitten der Haide
einen Augenblick still und schaute hinauf
zu den Sternen, die heute besonders hell
zu funkeln schienen. Dabei fiel ihm ein,
daß die Augen des schönen bleichen Müd
chens diesen Sternen merkwürdig ähn
lich sähen. Ganz so hatten sie ihm
einen Augenblick angestrahlt.
Nun aber wollte er nicht mehr an die
Unbekannte denken. Was ging sie ihn
an, was konnte sie ihm sein! Mit die
sem Vorsatz beschleunigte er seine Schritte
indem er, wie um sich darin zn bcstür
ken, den allen Jnsulancrspruch vor sich
hersagte:
Frei ist der Fischfang,
Frei ist die Jagd,
Frei ist der Strandgang,
Frei ist die Nacht,
Frei ist die See
Auf der Hörnumer Rhee."
Während der folgenden Tage ging
Peter, wenn auch ein wenig stiller als
früher, seinen Geschäften nach. Er
fuhr mitseinemVater auf den Fischfang,
half im Hause und verrichtete ,alle Ob
liegenhciten, die sein Gewerbe mit sich
brachte. Allerdings dachte er dabei oft
an die schöne Unbekannte, aber m
konnte er eben nicht verhindern. Mit
der Zeit würde in auch, so hoffte er, die
Erinnerung verbia en
Aber das Schicksal hatte es jedoch an
ders beschlossen. Als Peter an einem
sonnigen Nachmittage im Hafen an
seinem Boot hantirte, sah er zu seiner
Ueberraschung, wie die beiden Damen
auf ihn zukamen. Er fand kaum die
Zeit, die wegen der Hitze abgelegte Jacke
überzuweisen.
Wollen Sie uns nicht ein Stllnd
chen auf die See hinausfahren?" re
dete ihn die ältere Dame an.
Peter empfand wieder die frühere
Verlegenheit, besonders als er fühlte
wie die so seltsam strahlenden Blicke
des schönen Mädchens halb , fragend,
halb bittend aus ihm ruhten.
Ich will es nur meinem Pater sa
gen," erwiderte er endlich und fügte im
Fortgehen hinzu : In wenigen Minu
ten bin ich wieder zurück."
schnell eilte er nun semem Hause m.
sagte dem Vater, daß er eine Veranü
gungsfahrt machen wolle, zog sich die
Sonntagsjacke an und war nach kurzer
Zeit wieder im Hafen, wo er mit eini-
ger Mühe das ziemlich große Boot in's
Wasser schob. Dann half er den Da
men beim Einsteigen. Wie wunderbar
ihm doch zu Muthe wurde, als er die
kleine feine Hand der jüngern mit leich-
tem Druck in der seiniaen hielt! Es
überrieselte ihn kalt und warm wie eine
Art Fieberschauer.
Da ein schwacher Wind webte, der
allerdings kaum die Wasserfläche krüu
selte, fragte Peter, ob er nicht ein Se
gel aufsetzen solle. Wenn keine Gcsabr
dabei ist," erwiderte die ältere Dame,
so mögen ,e es immerhin thun.
le brauchen sich dann durch Rudern
nicht anzustrengen."
C, das ist reizend!" rief das iunae
Mädchen. Auf eine solche Segelpar
tie habe ich mich schon lange gefreut."
uiisi giii, vas vom in oer iciqien
Brise dahin. Peter saß an dem Steuer.
die Tegelleine in der Hand haltend.
Tie Tamen befanden sich ihm gegen
über, sobaß er ihre Gesichter beständig
vor Augen hatte. Es wurde dann be
schlössen bis zur nächsten Aufternbank
zn wahren und dann zurückzukehren.
Bald war ein Gespräch im Gange, in
welchem Peter zunächst über sich und
seine Familie berichten mußte. Die
Tamen fragten so theilnebmend und
freundlich, zeigten für Alles so viel n-
teresse. daß der iunae iscker (rfrnll sri
Befangenheit verlor und darauf jenes I
Wonioevagen empfand, vas die Nähe
edler Frauen bei allen unverdorbenen
Naturen zu erzeugen pflegt. Wahrend
er für die altere Tame eine mehr lind-
liche Ehriurcht fühlte, erschien ihm die
jüngere wie ein böheics Wesen, so ganz
anders als alle Madchen, die er bisher !
..c.r CVl. ß.Cii. r ,. ,
gesellen hatte. Ihr Gesicht war so lieb,
lich. o voll unendlicher Gute, daß er im
mer wieder und wieder zu ihr hinüber
schauen mußte. Und als sie nun mit
einem reizenden Lächeln anfing, von den
Niren zu erzählen, die aus dein Grunde
des Meeres spielen, da dachte er, ibren
Worten lauschend, sie könne wohl selber
eines jener schönen Mcersräulein sein
und ihn bczandern. Er hätte vor ihr ,
iiiedcrluicen und sie anbeten möge.
Warum doch nur alles Schöne so schnell
vergeht! Der Nachmitlag neigte sich
seinem Ende zu und eS war Zeit, ans
Land zurückzufahren.
Bei der Aiikuust im Hafen bat Peter
die Damen, bei seinen Eltern einen
Augenblick einzukehren und eine Er
frischung zu nehmen. Sie willigten
ein, wobei ihn die Mutter des jungen
Mädchens nach ihrer Schuld sragte.
Dadurch peinlich berührt, entgegnete er,
sie möge dies doch mit seinem Vater ab-
machen. Er sür seinen Theil erlange
nichts und wolle in Zulunst gern zu
ihren Diensten sein, so ost sie seiner to
nöthigten.
Nach kurzem Aufenthalt und freund
licher Bewirthung mit Milch, Brot und
Butter traten die Damen den Heimweg
nach Westcrland an. Pelcr ließ es sich
nicht nchmcn, sie z begleiten, denn er
wollte das Glück des Beisammenseins so
lange als möglich genießen. Aus der
Wanderung über die Haide zeigte er
ihnen die Thinghügel, auf welchen die
alten Friesen meist ihre Gesetze machten,
und erzählte ihnen dann einige der vie
len Sagen, die auf der Insel im Munde
des Volkes leben. So erreichte man
endlich Westcrland, wo Peter von den
Tamen vor ihrem Hanse mit einem
Händcdruck und der Einladung, sie doch
einmal zu besuchen, erabschiedet wurde.
Wie glücklich ihn das machte! Er wurde
ganz stolz darauf und stieg förmlich in
seiner Selbstachtung.
Sie hieß Eöeline. So hatte die
Mutter sie genannt. Welch' schöner
Name ! Diesen ihren Namen sollte auch
das neue Boot erhalten, welches sein
Vater für ihn in Husum bauen ließ.
Doch da kam ihm noch eine Idee, die er,
still vor sich hinlächelnd, auszuführen
beschloß.
Mehrere Tage vergingen, bevor Peter
den Muth fand, die Damen in Wester
land zu besuchen. Früher als sonst
beim Tagewerk, war er Nachmittags
während seiner freien Zeit gewöhnlich
verschwunden. Tann lag er auf einem
der Thinghügel in der Haide und
schaute den Wolken nach, die über ihm
dahinzogen. Zuweilen schien es ihm,
als wenn aus diesen Wolken eine lichte
Gestalt hervorschwebte, die jenem jun
gen Mädchen gliche. Sah er aber schür
fer auf, so zerfloß das schöne Gebild und
sein leiser Seufzer verhallte in der Ein
samkeit.
Eines Nachmittags hatte Peter wie
der eine Stunde so auf dem Thinghügel
verträumt. Plötzlich sprang er auf und
schlug eiligen Schrittes, die Richtung
nach Wcsterland ein. Es war ihm ein
gesallen, daß jeder Tag ja den Moment
der Abreise der Tamen naher rücke.
Wir glaubten schon, Sie wollten
nicht kommen," redete ihn die Mutter
nach seinem Eintritte an, worauf die
Tochter lächelnd bemerkte: Und wir
haben Ihnen doch nichts zu Leide ge
than !"
Peter stotterte eine Entschuldigung.
Nun, lassen Sie es nur gut sein," be
ruhigte ihn Eveline, dasür wollen wir
jetzt das Versäumte nachholen. Zuerst
trinken Sie hier mit uns eine Tasse
Kaffee und dann begleiten Sie mich an
den Strand, während Mama einige
Briefe schreibt. Wollen Sie das?"
Vom Herzen gern !" antwortete der
junge Fischer.
Nach dem Kaffee nahm ihn das holde
Mädchen bei der Hand und führte ihn
an's Fenster, wo in einer Vase ein
locker zusammengefügter Stranß von
Rosen und Feldlilien stand. Sehen
sie, tagte sie, zu ihm gewendet, so
leise, daß es die Mutter nicht hören
konnte, das sind Himmelsblumen, die
ich jeden Morgen frisch gepflückt vor
meinem Fenster finde."
Von Purpurröthe Übergossen, schlug
Peter den Blick zn Boden. Als er dann
nach einem Weilchen wieder ausschaute,
sah er, wie auf den bleichen Wangen
Evelinens ein rosiger Schein erglühte.
Himmelsblumen," wiederholte er in
Gedanken. Einen Moment ruhten Bei
der Blicke ineinander, der ihrige scelen
voll und sonnig, der seinige schüchtern
und stumm fragend. Mit freundlichem
Kopfnicken machte Eveline dieser Lage
ein Ende, indem sie, einen Shawl neh
mend, bemerkte: Nun können wir
gehen." Und, ihrer Mutter mit einer
Umarmung Adieu sagend, schritt sie
voran, zur Thür hinaus.
Am Strande waren nur wenige
Badeaäsie. Eveline wandte sied mit
ihrem Begleiter südlich und bat ihn, ihr i
grüne igei, ua)tn zu qeiskn. ins gao
dann Anlaß zu mancherlei Neckereien,
da die auf und ab rollenden Wogen die
schönen Pflanzen bald auf das Ufer
warfen, bald wieder in's Meer crspülten.
So gingen die Beiden plaudernd und
suchend nebeneinander her, bis Eveline
nach längerer Wanderung innehielt und
sagte: Jetzt ist's aber genug. Mama
könnte sich über mein Ausbleiben öngsti-
gen.
Kehren wir um, damit mir auf
dem Heimwege vielleicht noch den Fried- i
hos der armen verunglückten Seeleute
besuchen können."
Es dunkelte bereits, als sie diese
..Heimstatte sür Hcimatblosc" betraten.
Unter kleinen Hügeln ruhten hier jene
unbekannten Sectadrer, deren Leichen!
. . , ... ,1 , . . . .
das Meer an's Land getrieben. Schwei-!
gend und in Nachdenken versunken
schritt Eveline zwischen den Grabern
dahin. Tann blieb sie vor einem der
selben stehen und sagte wie im Selbst
gesprach: Wie diele hier, so ahnen auch
wir nicht, wo uns dereinst eine letzte
Stätte bereitet werden wird. Wir kom
men und gehen, aber wohin, da? weiß
Gott allein." Ein Windstoß wehte vom
Meere herüber und machte die Jng
frau erschauern. Sich scstcr in ihr Tuch
hüllend verließ sie, von Peter begleitet,
den uuhcimlichen Ort.
Beim Abschiede mußte der junge
Fischer Eveline versprechen, sie und ihre
Mntter auf einigen Ausflügen zu be
gleiten. Dies entsprach ganz seinen gc
Heimen Wünschen, und so wurde gleich
sür den nächsten Tag eine Partie nach
dem Lkiichlthurm verabredet. Peter war
selig; so glückliche Stunden hatte er noch
nie erlebt.
Die nun folgenden Zage schienen ihm
ein einziger schöner Traum zu sein. Er
aß immer weniger und konnte nach Be
endignng seiner Arbeit kaum noch die
Stunde erwarten, zu welcher er sich in
Westerland einzusinden hatte. Wie lieb
und gut doch die Damen gegen ihn
waren! Sie behandelten ihn wie ihres
gleichen und fragten ihn sogar manch
mal um Rath. Und Eveline, die alle
Armen im Ort als ihre Wohlthäterin
priesen, sie, die so schön malte und mit
dem alten Kapitän Stevens sogar eng
lisch sprach, litt ihn in.ihrer Nähe und
unterhielt sich gern mit ihm. Er durfte
sie besuchen, wann er wollte, sie an
sehen und mit ihr plaudern, wie es ihm
um's Herz war. Doch nein, das Letz
tere durfte er gewiß nicht, denn dann
würde ihr Verkehr schnell ein Ende neh
men. Ein Ende! Welch' ein schrecklicher
Gedanke! Wie würde es nur sein, wenn
sie nicht mehr auf der Insel weilte? Er
vermochte es sich kaum vorzustellen.
Sie war ja seine Sonne, nach deren
Scheiden eine finstere lange Nacht kom
men mußte, finsterer als je.
Und der gcsürchtete Moment kam
schneller, als er es vermuthet hatte.
Das bisher schöne warme Wetter war
plötzlich rauh und regnerisch geworden.
Ein grauer, feuchter Schleier lag über
der Insel. Die Ausflüge und selbst
kurze Spaziergünge mußten eingestellt
werden. Ans Zimmer gefesselt, ver
brachten die Damen ihre Zeit mit Hand
arbeiten. Eveline hatte sich erkältet; sie
litt an häusigen Hustenansällen, wobei
sich auf ihren Wangen wiederholt zwei
brennend rothe Flecke zeigten. Dadurch
in die größte Besorgniß versetzt, beschloß
ihre Mutter, sobald als möglich mit ihr
abzureisen.
Peter befand sich in einem Zustande
unbeschreiblicher Aufregung. Bei Wind
und Regen lief er hinaus in die Haide
oder an den einsamen Strand und rief
hier den Namen Eveline, bis ihm die
Stimme versagte. Dann, in der Abend
dämmcrung, wenn alles Grau in Gran
zerrann, begab er sich nach Wcsterland
und saß bei den Damen oft stunden
lang in Grübeleien versunken. Ein
recht anhänglicher Mensch," bemerkte
die Mutler zuweilen, nachdem er ge
gangen war. Sie behandelte ihn mit
Nachsicht, wahrend Eveline, , eigenthum
lich weich gestimmt, eine wahre Engels-
fanstmuth zeigte. Wir kommen ja,
so Gott will, im nächsten Jahre trne
der," tröstete sie ihn am Abend vor der
Abreise, und dann wollen wir in Ihrem
neuen Boote recht ost miteinander aus,
fahren."
Am nächsten Morgen stand Peter in
banger Erwartung am Landeplatz. Er
hielt einen Strauß Rosen und Lilien in
der Hand, die er, wie schon so ost, in
aller Frühe aus Keitum geholt hatte.
Bald kam der Wagen heran gerollt und
die Damen stiegen ans, um sich aus's
Schiff zu begeben. Nachdem sich die
Mutter mit einem Händedruck und eini
gen freundlichen Worten von Peter ver
abschiedet hatte, ging sie voran,' wäh
rend Eveline zögernd einige schritte
zurückblieb. Sich unbeachtet glaubend,
zog sie aus ihrem Busen ein Papier,
drückte dasselbe, gleichzeitig die Blumen
ergreifend, dem jungen Fischer in die
Hand, blickte ihn noch einmal herz
innig an und eilte dann mit dem Rufe
Ans Wiedersehen!" davon, ihrer Mut-
ter nach.
Als das Schiff seinen Blicken ent
schwunden war, öffnete Peter die Um
hüllung und erblickte zu seiner weh
wüthigen Ueberraschung einen schön ge
malten Blumenstrauß mit der Unter
schrist: Als Tank sür die Himmels
blumen. Eveline."
Der Sommer verging und der Herbst
kam mit seinen Stürmen und Regen
schauern. TaS erwartete Boot war in
zwischen eingetroffen und Eveline" ge-
taust worden.
Es trng diesen Namen
am Bug in großen weißen Buchstaben
Peter hatte die ersten Tage nach dem
Abschied in stummer Verzweiflung ver
bracht. Tie Dünen waren die stillen
Vertrauten seines Kummers. In ihren
eichen Tand drückte er seine heiße,
Stil, preßte er sein wildpochendes !
Herz, welches ein unsägliches Weh zu
zersprengen drohte. Eine Erleichterung !
empfand er nur ans dem Meer, wenn '
es stürmte, toste. Hier, inmitten der
Icbäumenden und wogenden Wacr-
wüste, vermochte er freier zu athmen. ,
An einem stürmischen Ncvcmbcrtage
traf ein schmarzdckandetcr Brief ans'
Nizza ein. Peter empfing ihn mit Herz-
klopfen, beschaute ibn von allen Seiten
und öffnete ihn, wobei ihm die Hände 1
. . . . ' . . .....
zitterten. Tann las er: Lieder Lürs
len! llniere Evelme ist nicht mehr: fte'lon.
" Fortzufahren war ihm nichts hier?"
möglich. Es flimmerte ihm vor den
Augen und in einer Anwandlung von
Schwindel mußte er sich am Tisch feg
halten. Als diese Schwäche vorüber war, der,
ließ er schweigend das Haus und ging
hinab zum Hasen. Hier loste er 'sein ,
Boot, zog das Segel auf nd ließ sich
von dem oceanartigen Wind in die mild
bewegte See himinstrcibcn.
Zwei Tage daraus sand man am
Morsum.Kliff das gclcntcrte Boot und
nicht weit davon den Leichnam Peter's.
Ein Lcdcrtäschchen aus seiner Brust ent
hielt eine im Wasser zerflossene Malerei,
von deren ebenfalls verwaschener Unter
schrist nur noch ein Wort zu lesen:
Himmclsblumen,"
Pas Stahlroß als Llx'stiftcr.
Hilvioresk von '.'1 w i R ö in c v.
Na, da bist Dn ja endlich !" sagte
ei wenig knurrig Bürgermeistcr Wal
ter zu seiner eintretenden Tochter.
Und wie erhitzt Tu wieder ans
siehst ! , . , , Ich glaube, Ihr spielt noch
Haschen bei Toctors wie die kleinen
Kinder !"
Aber, Papa?" schmollte die hübsche
Achtzehnjährige nd strich sich vor dem
altmodischen Spiegel in des Vaters
Empfangs und Arbeitszimmer die
Stirnlöckchen zurccht.
Ach was!" raisoniiirte der Alte,
der ein wenig Misanthrop war nd sich
immer über etwas ärgern mußte, die
ser verrückten Familie ist alles zuzu
träne! Oder etwa nicht?" sragte
er drohend hinterher, da Kornette nichts
mehr sagte und in sichtlicher Verlegen
hcit ans den Deckel eines Altenbün'dcls
niedersah, das die kaum verlockende
Ausschrist Wegebau" zeigte.
Ich finde Onkel sehr nett !" crdrci
stete sich das Kind daraus z antworten.
Und Anna und Rosalie "
Sind ein paar überspannte Gänse!
Sonst würden sie sich nicht auf tie
gräßlichen Strampelrüdcr setzen und in
die Welt hinausfahren zum Skandal
aller gutgesittetcn Menschen! liebn
gens habe ich da vorhin in der Zeitung
gelesen, bei der Pscrdelotterie in Korn
bürg ist ein Damenfahrrad nach hier
gekommen ! Bin neugierig, welche
Tulpe wir da nächstens als Tritte im
Bunde zu sehen bekommen werden. Ich
glaube, der Rechtsanwalt hatte ein
Loos. Seiner Frau trau ich's auch zn,
den Unsinn mitzumachen! Oder
etwa nicht?"
Ich weiß nicht, Papa . . , . Tie hat's
ja auch garnicht gewonnen "
So? Woher weißt Du denn das?"
Ich O ich habe vorhin mit
ihr gesprochen. Da hätte sie mir's doch
sicher gesagt!" entgegnete ein wenig
verwirrt das Töchterlein und irrte un
sicher mit den schönen braunen Augen
zn ihrem offenbar wieder übelgelaunten
Papa hinüber. Der hatte indessen zn
ihrem Heile einen anderen Ableitcr sür
die Blitze seines Mißmnths entdeckt.
So eine Frechheit !" wetterte er und
starrte auf den Marktplatz hinaus, wo
soeben ein eleganter Radfahrer auf sei-
nem stahlroßlein auftauchte.
Kann denn der Kerl nicht lesen,
was an den Thoren angeschlagen
ist? Dem wollen wir mal gleich
drei Mark abknöpfen la en!
Schimmclmann !" rief er, das Fenster
ausreißend, einem Junger der heiligen
Hcrmandad zn. Führen Sie mir den
Menschen da mal 'rauf !"
Ah!" hatte Eornelie leise aufqe,
schrien, als sie des noch ahnungslosen
Zunders, der sich erdreistet hatte, ent
gegen der Verordnung des gestrengen
Stadtoberhauptcs durch die Straßen
zu radeln, ansichtig geworden war.
Das ist ,a., ,,"
Da, wer denn?"
Der Assessor Re , , , , nein, Ro , , . .
oder so ähnlich !"
Woher kennst Du denn den?"
Ich?. . , . Ach, von Onkel Toctor !"
Natürlich, wo sollten die Flitzlittel
auch sonst kennen zu lernen sein !
Wohin willst Du denn? Bleib' ruhig
hier !"
Ich muß in die Küche, Papa !"
Bleib hier, sage ich. Oder tritt
hier nebenan ein, damit Tu mal hörst,
wie ich dem Herrn Assessor die Leviten
lesen werde."
Damit schob er sie in das Eabinct.
das an sein Zinmcr grenzte und ließ
die Thür ein wenig offen. i
Es ist geradezu unverantwortlich,"
sagte ihr Vater. Studirte Leute,
die selbst einmal befehlen, müssen auch
gehorchen lernen! Schlechtes Beispiel!
Verhöhnung der Obrigkeit! Be
richt an die Behörde! und noch
manche andere Schlaqworte drangen
an ihr Ohr, bis endlich der Gcmaßre
gelte auch einmal zu Worte kam.
Verehrter Bcrr Burqermei ter."
sagte er sehr freundlich, aber eS klang
auch wie ein bischen Ironie daraus hev
vor, ich habe wirllich Ihre Vcrord,
nunq übersehen."
Hilft alles nichts! Sie müssen
zahlen "
Gern, wenn's nicht anders ist. Aber
gestatten Tie mir die Frage: Wcsdalb
haben Tie die Verordnung eigentlich
erlassen?"
Herr, mit welchem Recht ?"
H,n mit gar keinem! Ich meine
nur bei dem geringe Verkehr hier
und den hüd'chcii breiten iUsleen
UIIV Will UUUIUIUI Vlllllll WMUDlil, .....
Aber natürlich. Sie müssen das ja des-!
kr wissen!
. 1 . ,
q..,k.k.i..,4 ,. Si
11,1.1 "'," ;
ri li Vi nro.ih ilirnl htar
Hm.. ..sogar Damen sahren
Gänse!" schrie der Bürgermeister.
Ich dächte, es wären die drei Zöch.
ter des Herrn Toctor Riciederg?"
.Zwei!"
So? Mir ist, als wären eS drei
gewesen, von denen die eine auffallend der Vater wieder schnarcht!
hudlch war!" la' Schacht! voll Mailaser!"
Wissen Sie Herr Assessor, das in
terressirt mich weiter nicht. So viel ich
weiß, hat mein Schwager allerdings
nur zwei Töchter, aber, . , , "
Tas ist doch merkwürdig! Hm
Wollen Sie ihre Ttyijc gleich bc
zahlen?"
Wie sie wünschen. Aber herüber
gekommen bin ich deswegen eigentlich
nicht. Ich wollte mir von Ihnen viel
mehr die Alten über die städtische Was-
scrlcitung zur Einsicht erbitten
lieber die städtische Wasserlei
tung?" sragte der Bürgermeister bc
Ilomncn. Herr Gott, so sind Sie
doch nicht etwa der Stellvertreter des
Herrn Landraths?"
Ja, der bin ich." erklärte der Asses,
sor vergnügt. Hoffentlich werde ich
sei Nachfolger!"
Aber, ein, Herr Asses , , , . Herr
Landrath, wie mir das stotterte
der Gestrenge. Tann aber siel ihm
seine Tochter ein, die jedes sesncr Worte
hören mußte. Nein das durste denn
doch nicht geschehen.
Bist Tu bald fertig, Eornelie?"
fragte er zur Thür des Allovcns hinein.
Bitte, besorg' uns eine Erfrischung!"
Und als sie noch zögerte, weil sie dem
Herrn Assessor jetzt nicht gern begegnen
wollte, zog er sie an der Hand heraus
nd schob sie zur Flurthiir,
Ah," sagte überrascht der junge
Laudrath, Fräulein Ricseberg!"
Nein, bitte, das ist meine Tochter!"
entgegnete der Bürgermeister stolz.
Ja, waren Sie denn das nicht, die
ich neulich auf der Buschmühle ?
Aber natürlich ich täusche mich
nicht! Fräulein Tochter fahren
brillant, Herr Bürgermeister! Aus -gezeichnet."
Eornelie stand wie mit Blut über-
gössen.
Weine Tochter fährt" fragte sas
sungslos der Bürgermeister Velo
ciped?"
Ach, das wissen Sie noch garnicht?
O, da hab' ich Ihnen gewiß eine Ueber
raschung verdorben, mein gnädiges
Fräulein!" entschuldigte sich der Assessor,
mährend der Bürgermeister verwirrt
murmelte: Eine schöne Ueberraschung,
eine schöne Ueberraschung!"
Dann aber faßte sich Eornelie ei
Herz.
c j ff, n, r,i. ci.
,,o, V"V, l"Hc i".
In Brandenburg bei Tante Alice hab'
ich's gelernt. Und nur, weil Tn's
nicht leiden mochtest, hab' ich hier still
geschwiegen. Wie ich aber neulich in
der Kornburger Lotterie das Rad ge
wonnen habe, ist's mir's wieder wie ein
Rausch angeflogen, das herrliche, das
köstliche Radeln! Onkel Doctor hat's
heimlich kommen lassen "
Und seitdem steckst Tu Wettermädol
tagtäglich stundenlang dort!"- ergänzte
der Vater halb lachend, halb zornig die
Beichte. O, ich verrathener, altcrMann!
Was fang ich an?"
Lernen Sie's auch noch!" lachte der
Assessor und sah dann dem schönen
Mädchen tief in die braunen Angen.
Tas hätte mir gefehlt!" polterte
entrüstet der Alte. ,
Tann aber tranken sie eine Flasche
zur Versöhnung, der noch ein paar
nachfolgten. Bei der vierten nahm der
Bürgermeister seine Verfügung zurück
und bei der fünften fragte der Assessor,
ob Fräulein Eornelie schon hm
verlobt wäre
Gott sei Tank, sie war es noch nicht.
Aber vier Wochen später war sie's.
Und der Bürgermeister wird Schmieger'
vater eines Radfahrers. Und die Hoch
zeitsrcise geht demnächst per Stahlroß
vor sich, und der Bürgermeister muß sie
bezahlen.
Unnötkige Erregung.
Turch den Konkurs des Kaufmanns
Tchulle ist der Hausbesitzer und Geld
Verleiher Müller nicht wenig geschädigt
worden. Er ist darum nicht gut auf
den Pleitcmachcr" zu sprechen. Tas
weiß Lehmann. der Busenfreund Mül
lers, am allerbesten. Am Kneipti che
erzählte nun Lehmann, der im Rufe
steht, die Leute gern aunubrinaen".
dem etwas unfreundlich dreinschauenden
Müller: Tenke Tir nur, Schulze war
vor einer Viertelstunde da , . . er hat sich
zwei Häuser gekauft." Was?" rief
wuthschnaubend Müller, da hört doch
alles auf ! Ja, wie ich immer schon ge
sagt habe, unsere Gesetzgebung ist kei
nen Schuß Pulver werth. Ta soll doch
gleich, , ." Lehmann ihn unterbrechend:
Beruhige Tich doch, Freund: es waren
ja nur zwei Nordhäuser !"
Schlau.
Am Babnbos in Munckkn flpfit in
, Büuerlein mit einem alten zerrissenen
und zertchlinenen Regenichirm, den er
jedem Vorübergehenden zum Kaus an
bietet. Ter Äermfte bat nämlich lein
Retourbillet verloren und nicht Geld
genug, sich eine neue Fahrkarte zu
loten, wesyald er den -chirm ver
! äußern will. Ein vorübergehender i:rt
I bleibt stehen, dem das Bäuerlcin in be
!mcglichen Worten das Ungelbüm an
preist.
, . ... .
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w um, uns nimm irniii, 1UUU 119
neu's G'stcll kausa
der decS neu über-
zieg n, nachha habt S wieder aan ganz
a schons und neu's Schirmet '."
Kmdück raIf'iK
Peperl: .Horch' nur. Mutter.
wi,
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