Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, April 02, 1896, Image 10

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Zertheilte IVolfcn.
Citci.lHsälilunä 011 'Marie Sialil.
Tu bist feit einiger Zeit merkwürdig
einsilbig, lieber Oswald," klagte Frau
Fader ihren ältesten Sohn an, den Be
sitzer von Holmershausen, der mit ihr
am Kaffeetisch des Speisezimmers in
den großen Landhaus saß und zerstreut
durch die Glasthiir in'S Freie starrte,
ohne die Zeitung in seiner Hand zu
lesen und ohne eine wiederholt an ihn
gmchtete'Bemeriung seiner üiiurier ge
hört zu haben.
Ich beobachtete eben Will. Er ist
doch ein recht ungezogener Junge und
quält Fräulein Ehrhardt mehr als
recht ist."
Frau Fabers Gesicht verfinsterte sich.
Sie folgte den Blicken ihres Gegenüber
und sah ihren jüngsten, zehnjährigen
Sohn auf dem großen Rasenrondell vor
der Thür mit seiner Gouvernante Pferd
spielen. Er hatte sie eingespannt und
jagte sie unablässig um das Rondell
herum.
Frau Faber war Wittwe und lebte
mit Willy bei ihrem ältesten Sohne, der
das väterliche Gut geerbt hatte und
Vormund seines jüngsten Bruders war.
Ihr zweiter Sohn Richard stand als
Lieutenant bei einem Kavallerieregiment
in einer nahen Garnison.
Oswald, der Aelteste, hatte sich kürz
lich mit einer sehr reichen und schönen
jungen Dame verlobt, der Tochter eines
Großindustriellen.
Dieses Bllndniß, das ein Herzens
dündniß genannt wurde, war zugleich
eine Nothwendigkeit für den Besitzer von
Holmershausen, um das Gut zu über
nehmen und seiner Mutter wie seinen
Brüdern ihr Erbtheil auszahlen zu kön
nen. Der alte Familienbesitz hätte sonst
verkauft werden müssen, und das war
gegen den Familienstolz.
Der arme Junge hat keinen Spiel
geführten. Wozu habe ich denn die
Person engagirt? Sie ist eigentlich nur
eine Bonne. Uebrigens hoffe ich, daß
du heute Abend zu unserer Soiree em
sreundlicheres Gesicht zeigen wirst. Deine
Braut könnte sonst Ursache zu Bastim-
rnung finden
In diesem Augenblicke entfuhr Os-
wald ein Laut heftigen Unwillens.
Willy hatte seiner Gouvernante mit sei
ner Peitsche geschlagen, als diese eine
Fortsetzung des Spieles verweigerte.
Mit einem einzigen Sprung war er
draußen, in der nächsten Sekunde hatte
er den überraschten Knaben am Kragen
und versetzte ihm ein paar Hiebe mit
seiner eigenen Peitsche.
An demselben Abend war der heller
leuchtete, behaglich ausgestattete Salon
von Holmershausen voll heiterer Gaste.
Asta Willens war zum ersten Mal
als Braut im Hause ihres Verlobten,
und man hatte ihr einen glänzenden
Empfang bereitet,
Unter heiterem, angeregtem Geplau-
er saßen Herren und Tamen n Salon
durch einander. Asta, die in einem
weißen Kleid, mit Rosen geschmückt, ei
nen Strauß herrlicher Frühlingsblüthen
von ihrem Bräutigam in der Hand, wie
der lächelnde Frühling selbst aussah,
erlangte den reizenden, kleinen Willy,"
das süße Kind," zu sehen, und Frau
Faber ertheilte einem Diener Befehl,
Fräulein Ehrhadt solle den jungen Herrn
dringen.
' Gleich darauf sprang Willy in den
Saal und benahm sich sehr ungenirt.
Seine Bonne beachtete man nicht,
und sie trat in eine Fensternische zurück.
Da stand die anmuthige Gestalt wie
.ein lebender Protest gegen den Glanz,
Hegen Heiterkeit und Frohsinn umher,
ein dunkler Schatten in dem strahlenden
Bild der Geselligkeit.
Sie allein gehörte nicht hierher zu
diesen Menschen, die so liebenswürdig
unter einander waren, so voll Gefühl,
Theilnahme und überfließend von Wohl
wollen. Selbst der Diener, der das
silberne Kaffeebrett herumreichte, streifte
sie nur mit einem hochnäsigen Blick.
Ihre Augen blieben an Astas glan
zender Erscheinung hängen, die eben
das blonde Lockenhaupt mit einem süßen
Lächeln, das ihr den Ausdruck eines
Engels an Güte und Milde verlieh, ih
m Bräutigam zuwandte Pein und
Oual malten sich in Hanna phrhardt's
Zügen, sie wandte sich und schlüpfte un
bemerkt durch die nächste Thür in ein
anstoßendes Zimmer, wo sie in eine
dunkle Ecke auf den Befehl warten
wollte, Willy zu Bett zu driugen.
Räch wenigen Minuten betraten Os
wald und sein Bruder, der Husaren
lieutenant, das Zimmer, Hanna konnte
nicht mehr ungesehen entfliehen, fte zog
sich deshalb verlegen in die Fensternische
hinter die Borhänge zurück.
Die Brüder blieben in der Mitte des
Zimmers unter der Hängelampe stehen.
Die große Verschiedenheit Beider mußte
Jedem auffallen, der sie so neben ein
ander sah. Es war etwas Packendes,
Zwingendes in der mittelgroßen, traft-
ollen Erscheinung Oswalds. Die
Sklaverei schwerer Aibeit hatte seine
Züge streng gemacht, und die frühe Ge
wohnheit des Herrschens und Befehlen i
hatte ihnen den Überlegenen, gebietenden
Ausdruck verliehen. Der jungt Lieute
nant in der glänzenden Husarenunisorm
war bestechender für das Auge in seiner
eleganten, noch unreifen, aber schneidi
gen Männlichkeit.
.Alles vergeblich gewesen, lieber
Junge,' sagte Oswald mit gedämpfter
Stimme, es ist mir nicht gelungen.
daS Geld auszutreiben. Dein bodenloser
Leichtsinn bringt mich in die allcrfatalste
Lage! Niemand will mir ohne die schütt
licht Garantie meines tu listigen Schwie
acrvaters oder meiner Braut dreißig-
tausend Mark borgen. Nun stehe ich
vor der Alternative, Dich Deiner Ehre
beraubt, für immer als ruinirten
Mann zu sehen, oder mich vor meiner
Braut in das zweifelhafte Licht zu setze,
bereits vor der Hochzeit auf ihren Geld
beutet Ansprüche zu erheben!"
Der Lieutenant maltrütirte seinen
Schnurrbart in der Verwirrung, wäh-
rend Oswald mit einem düsteren Blick
vor sich niedersah. Man konnte es den
Buidern ansehen, daß dieser Scene be
rcits harte Kämpfe vorangegangen
waren.
Geh' und bringe mir Asta hierher,"
stieß Oswald plötzlich wie mit einem
gewaltsamen Entschluß hervor.
Richard ging und kehrte nach wenigen
Sekunden, Asta am Arm, zurück, die
er niit einem konventionellen Scherz ein
führte, um sie mit seinem Bruder allein
zu lassen.
Hanna Ehrhardt rang in ihrem Bcr
steck heimlich die Hände vor Angst und
Scham über ihre Lauschcrrolle, aber sie
fand nicht den Muth, hervorzutreten.
Oswald faßte die Hand seiner Braut
und sagte mit einem tiefernsten Blick:
Wir werden bald 'cann nd Weib
sein. Asta, und schon heute komme i,
zu Dir mit dem vollen Bertrauen, ohne
welches kein Eheglück denkbar ist." Und
nun erzählte er ihr mit einfachen, klaren
Worten von der yrenschutd eine,
Bruders, die eine Spielschuld war und
in wenigen Tagen erledigt sein mußte,
Asta schenkte ihrem Perlobten kein
Wort seiner Demüthigung, sie ließ ihn
ausreden und sich wiederholen, dann
sagte sie mit einem ihrer süßen Herzens-
blicke: Mein Lieber, ist es nicht ein
Unrecht, Deinen Bruder in seinem
Leichtsinn zu bestärken?"
Richard ist kein Spieler, die tolle
Laune einer erhängnißvollen Stunde
ist bei ihm mit einer starken Versuchung
zusammengetroffen. Ich bin über
zeugt, daß dieses Unglück ihm zu einer
dauernden Lehre gereichen wird."
Bester Oswald, jeder Spieler ent
schuldigt sich im Ansang mit guten
Gründen, und eine schnelle Hilfe ist der
sicherste Weg, ihn zu neuem Leichtsinn
zu ermuthigen."
Richard wird naturlich mit seinem
Antheil an unserem väterlichen Erbe für
seine Schuld haften," sagte Oswald,
indem die Schatten in seinen Zügen sich
verdunkelten.
Asta zuckte die Schultern.
Ohne Papa kann ich nichts i dieser
Angelegenheit thun. Ich rathe Dir
jedoch, ihm nichts davon zu sagen. Er
hat einen unüberwindlichen Abscheu vor
allen Spielern und wird nie die Hand
bieten, einem solchen zu helfen."
Verzeih', daß ich Dich mit dieser An
gelegenheit behelligte, wir wollen nicht
weiter darüber reden," sagte Oswald
mit einem schwer zu cnträthseliiden
Ausdruck.
Es is beffer, ich kehre gleich in den
Salon zurück, meine Anwesenheit könnte
sonst ausfallen. Folge mir lieber erst j
I Väter," lächelte Asta und reichte ihrem !
Wriovlen die and mit einein Blia,
der eine Huldigung verlangte, aber er
neigte sich nur höflich, um ihre Finger
spitzen zu küssen, und als ihre schim
mernde Schleppe hinter der Thür ver-
schwunden war, siel die Maske der
Selbstbeherrschung, mit welcher er den
wüthenden Scelenkampf verborgen.
Richard kam durch eine Seitenthur
zurück.
Nun?" fragte er in höchster Span-
nung.
Oswald tafele mit eisernem Griff
seine Hand.
Weikt Tu, was Du mir gethan
hast? Tu hast meine ganze Zukunft
Vernichtet. Um Deinetwillen habe ich
mich zu einer qualvollen Bitte gedeh
mllthigt, und ich mußte erfahren, daß
das Weib meiner Wahl kaltherzig und,
hart ist wie haft CnAh i(ir3 Rntr!:
Und um Deinetwillen werde ich zu die-
ser Ehe verurtheilt sein, deren Freud
losigkeit sür alle Zukunft mir in dieser
Stunde furchtbar klar geworden ist!
Denn jetzt das Bündniß lösen, hieße
Dich zu einer Pistolenkugel verurthei
len!" Tiefes Schweigen. Die Brüder stan
den sich eine Sekunde wortlos gegen
über. Tu oder ich ehrlos! Denn ist es ;
nicht ehrlos von einem Manne, einem Sie Sache fangt an. mich zu lang
Weibe Liebe zu heucheln, das er nicht , weilen. Ich dächte. Deine Pflichten qe-
lieben kann?"
Tann brach Richard plötzlich aus
schluchzend zusammen.
Nein, nein, Oswald! Tu sollst
Dich nicht opfern! Ich will die Folgen
meiner Schuld tragen ich will "
Die Worte versagten ihm, er war in
einen Seffel gesunken und bedeckte das
Gesicht mit den Händen.
Da ging eine große Veränderung in
den strengen Zügen Oswalds vor. Sie
wurden weich, und niit einem Blick un
endlicher l'iiite legte er den Arm um des
Bruders Schulter.
Verzweifle nicht! Ich habe unserem
verstorbenen Vater auf dem Todtenbett !
versprochen, seine Stelle bei meinen!
Brüdern zu vertreten. Tu sollst nicht
an diesem einen Fehltritt zu Grunde
gehen. Wir wollen Alles daran seken,
i daß wir Beide frei werden. In diesen
acht Tagen b,S Ostern haft Tu noch
Fr,ft. An acht Tagen laßt sich viel
machen. Laßt nS geben."
An allen Gliedern zitternd vor Er
requng schlich Hanna aus ihrem Ver
steck, als die Brüder sich entfernt hatten.
Es war schon spät, als Will endlich
eingeschlafen war. Hanna saß allein
indem erleuchteten Kiiiderzimmer. Aus
den unteren Räume des Hau es drang
nur gedämpft hie und da das Geräusch
des Festabends zu ihr, doch plötzlich ka
men Schritte die Treppe herauf, und
gleich darauf trat Oswald ein. Er
kam jeden Abend, seinem kleinen Bru
der den Gutenachtkuß zu geben.
Schläft er schon? Ich komme wohl
heute zu spat?" fragte er
Hanna hatte sich erhoben. Sie schien
mit einer Verlegenheit zu kämpfen,
dann sagte sie mit schnellem Entschluß:
Herr Fader, ich habe eine Bitte. "
Oswald sah sie erwartungsvoll an.
Ich bitte uin Urlaub zum Osterfest.
Ich möchte morgen mit dem ersten Zug
reisen.
Fabcr schmieg einen Augenblick.
J'ch fürchte, Sie kommen nicht Wie.
der. Sie fühle sich nicht glücklich bei
uns ich weiß es bestimmt."
Ich komme wieder," sagte Hanna
mit niedergeschlagenen Augen.
Gut, Sie werden nicht vergessen.
daß ich daß wir Sie jetzt nicht ent
behre können. Und Sie werden uns
die Widerwärtigkeit Ihres Berufs nicht
nachtragen. Zeigen Sie mal Ihre
Hand wo der unartige Junge Sie
geschlagen."
Hanna wollte ihre Hand verbergen,
aber er hatte sie gefaßt und zog sie n's
Licht, Ein rother Striemen zog sich
über die Hand; weiches Mitleid stand in
seineik Augen.
-Es ist nicht der Rede werth," mur
melte Hanna, und sie entzog ihm fast
heftig die Hand.
Armes Kind, Sie sind recht der
lasse hier," sagte er. Er wollte mehr
sagen,' aber in diesen, Augenblick bcgeg
neten sich Beider Augen,' und es kam
nur ein undeutlicher Laut von seinen
Lippen, als schnüre ihm Jemand die
Kehle zusammen.
Eine flüchtige Sekunde nur sahen sich
Beide an wie in einem bangen, über
Ivältigende Erschrecke, dann wandte
er sich mit einem schnellen Gutenacht und
verließ das Zimmer.
Als er fort war, sank Hanna in die
Knie und drückte in Seligkeit und
Schmerz das glühende Gesicht in die
gerungenen
In dieser Passionswoche niußte Os
wald einen bittern Kelch voll Seelen
kämpf und Oual leeren.
Er war in den letzten Tagen von ei
nem guten Freund und von einem Ka
pitalisten zum andern gegangen, um
das Geld für seinen Bruder zu borgen,
doch seine Freunde waren alle in der
selben Lage, wie er, es waren eben
schlechte, Zeiten sür die Landwirthschaft
und die Kapitalisten wollten auf sein
ohnehin schon hoch belastetes Gut nichts
mehr borgen ohne die Bürgschaft seines
Schwiegervaters.
Mit dieser drückenden Sorge hatte er
die Pflichten des Bräutigams zu crfül
len. Er mußte den Eharfreitag mit
seiner Braut verleben, denn die Stille
des Tages, der alle Vergnügungen Der.
bot, langweilte Asta. Er mußte sie auf
dem Kirchgang begleiten.
Nach dem Gottesdienst ging er mit
Asta im Wintergarten ihrer väterlichen
Villa unter Palmen und Orangcnbüu
men spazieren. Asta war heute, in ei
nem eng anliegenden schwarzen Atlas
kleid, das goldblonde Haar zu einer
stolzen Flechtenkrone aufgesteckt, schöner
denn je. Sie war sich dessen bewußt
und ganz bereit, die Huldigungen ihrer
Schönheit on ihrem Verlobten ent
gegenzunehmen. Seine ernsthaste, zer
streute Miene und der gänzliche Mangel
an Aufmerksamkeit für ihre äußere Er
scheinung verstimmten sie tief.
Im Lauf des Gesprächs theilte sie
ihm mit, daß sie den ersten Ostertag
mkt einem großen Familiendiner feiern
würden, das ihm Gelegenheit geben
würde, ihre ganze Familie kennen zu
lernen.
Liebe Asta", erwiderte Oswald,
ehe die Angelegenheit mit meinem
Bruder nicht geordnet ist, bin ich nicht
im Stande, die Stimmung dazu zu
finden.
Deine Stimmung ist kein genügen
der Grund, ein solches Opfer zu ver
langen," sagte Asta gereizt.
Ich bitte Dich, Asta, es wäre eine
Tortur für mich, unter diesen Uinstün-
den ein Familienfest m feiern
gen mich, sollten den Pflichten gegen
Deine Familie vorgehen. Ich bin nicht
gesonnen, die zweite Rolle in Deinem
Leben zu spielen."
I Asta sah in diesem Augenblick nichl
i gerade aus wie ein Engel an Güte und
; Milde. .
Wenn die Eristenz und die ganze
j Zukunft meines Bruders gegen Dein
vergnügen m Die WgiHaie saut, ,o
gehen die Pflichten gegen meinen Bruder
vor." erwiderte Oswald sehr bestimmt,
wahrend sein Gesicht einen unbeug
samen Ausdruck entschloffener Encraie
I nnnnhrn
.Ich werde Dir moraen die lanxt
Summe zuKellen lapen. Ich habe keine
Luft, mich seinetwegen am Osterfest in
Sack und Asche zu hüllen und sür feine
fünden zu düxen."
Oswald stand wie versteinert.
ES ist bener. wir machen den Irr
thum unserer Vereinigung gut, ehe es
zu spät ist.' sprach er, indem er den
Ring von seinem Finger zog und gab
ihn Asta zurück.
Oswald athmete auf, wie von einem
schweren Baun erlöst, als er die Thiir
des Wilkensschen Hauses hinter sich
schloß, snr immer.
Am schwersten zu ertragen war die
Eiittauschung seiner Familie und der
stumme, angsivollc Schreck seines Br
ders Richard. Es galt nun. alle Kraft
daran zu setzen, m diese vor größerem
Kummer zu bewahren.
Erst spät in der 'Osternacht war er
fast muthlos heimgekehrt. Nur eine
einzige Hilfe, und diese aus unlauterer
Quelle, war ihm geboten und mit so
hohen Wucherziiisen, daß sicheres Bcr
derben aus ihrer Annahme entstehen
konnte. Er hatte sich vorläufig nicht
dazu entschließen können.
Erschöpft suchte er die Einsamkeit
und Stille seines Zimmers, wo er eine
schlaflose Nacht verbrachte.
Hatte er Unrecht gethan, sein Ver
löbniß zu lösen? Ging seine Pflicht als
Oberhaupt der Familie, deren Ehre
und Ansehen vor der Welt, ihr mate
riellcs Gedeihen und ihre Wohlfahrt zu
Mahren durch die Verstandesheirath,
den Pflichten gegen das Ehrgefühl, gc-
gen die Wahrhaftigkeit des eigenen $
zcns vor?
War es unmöglich, im modernen
Gesellschaftsleben sittliches Ehrgefühl
mit weltlicher Ehre zu vereinen?
In dumpfer Beklemmung stieß er die
Fensterflügel seines Schlafzimmers auf.
Nacht war es draußen, und Nacht war
es in ihm, seine suchenden Augen begeg
neten keinem tröstenden Lichtstrahl.
Das Schweigen des Todes lag Über
der schlummernden Welt, und eine plötz
liche Todesschnsucht erfüllte da Herz
des gequälten Mannes. Eine tiefe
Müdigkeit kam über ihn, ein Verzagen
an den höchsten und besten Zielen seines
Lebens, ein Verzweifeln an Allem, was
Licht, Glück und Leben war. Nichts
als Finsterniß sah er vor sich.
Stunde auf Stunde verrann. Die
herbe kühle Nachtluft nmwehte ihn plötz
lich mit frischerem Strom. Im fernsten
Osten dämmerte ein Lichtstreif, und im
Dorfe krähte ein Hahn. Ein würziger,
feuchtfrischer Duft von aufgeweichter
Erde und keimenden Knospen stieg aus
dem Garten zu ihm aus, sruhlingsver
kündend, lenzgewaltig die treibende
Kraft des jungen Lebens verrathend.
das seinen Auferstchungsfieg gegen Tod
und Verwesung feiern wollte. Ein lci-
ses, feierliches Rauschen ging durch den
stillen Garten der erste goldene Licht
strahl des Ostermorqens fluthete über
die er chauernde mbe.
Eine lang hinzitternde eherne Klang-
Welle schwebte vom Torf herüber und
im festlichen Jubelchor begann das Ge-
laut der Osterglocken vom Kirchthurm
Tief bewegt lauschte Oswald. In
dem siegenden Licht des jungen Oster-
morgens fand er die Antwort auf die
quälenden Zweifel seines nächtlichen
eelenkampfes. Wie ein heißes Gebet
stieg das Gelübde aus den Tiefen seiner
Seele auf, der Wahrheit, der Liebe und
dem Lichte zu leben und die Lüge als
die Wurzel alles Uebels zu Haffen.
Welchen Werth hatten schließlich irdische
Guter, der Besitz seines Familienqutes,
die Stellung seines Bruders, weltliche
Ehre und weltliches Ansehen, wenn sie
nicht aus eigener Kraft erhalten werden
konnten? Wenn sie durch Selbsternie-
dngung, durch Verrath an sich selbst nd
Andern gehalten werden mußten? War
es denn nicht beffer, sich ihrer zu ent
äußern und. im Verzicht auf die Schein
ehre, die echte Mannesehre der Unab
hünqigkeit durch ehrliche Arbeit zu
suchen?
Ein schneller hastiger Schritt auf dem
Kiesweg des Gartens unterbrach ihn in
feinen Gedanken.
Was ist das? Hanna hier? Wie
kommt sie hierher? Was will sie um
diese Stunde? Wie sieht sie aus?
Er eilte ihr entgegen und stand nach
wenigen Sekunden ini Garten ihr
gegenüber.
Es war Hanna, blaß, erschöpft mit
dunklen Schatten unter Überwachten
Augen, mit den Spuren einer langen,
beschwerlichen Reise an ihren Kleidern,
aber mit verklärten Zügen, eine große,
strahlende Freude in den Augen.
Sie hielt etwas in den ausgestreckten,
zitternden Händen.
Ta ist es das Geld bitte, nch
men sie, es ist gerade die Summe, die
Ihr Bruder braucht, ich komme doch
noch zur rechten Zeit?"
Er starrte sie an und starrte auf das
kleine Packet, das sie ihm in die Hand
drückte.
Tas Geld? Hanna Sie "
O, seien Sie mir nicht böse! Fra-
gen &ie nicht, woher ich eS weiß. Ich
erfuhr es von der Verlegenheit, in der
Sie sich besanden. Es bot sich mir
eine Möglichkeit, das Geld sür Sie ge-
borgt zu erhalten zu sehr geringen Zin-
sen. o bin ich Tag und Nacht gereift,
um nicht zu spät zu kommen.
Er zog sie auf eine nahe Bank, immer
die kleine, bebende Hand feilhaltend.
Sie sah ibn ängstlich an. und langsam
und scheu kam das Bekenntniß von ihren
Lippen.
Ihr Vater, der Arzt gewesen war.
oben an der preußisch-polnischen Grenze,
halte vor einigen Jahren einem Händ-
ler daS
Leben gerettet, mit wahr
seines eigenen, als er zufällig Zeuge
eines Ueberjalles wurde, durch welchen
zwei Strolche den wandernden Handels
mann seiner Baarschast berauben woll
ten. Der alte Mann war bereits Über ,
wunden und schwer verletzt, als Hanna i
Vater ibn aus den Handen seiner Röu
der befreite, diese mit einem Revolver
erschreckte und dann dem Ohnmächtige
seine Hilfe gedeihen ließ. Der alte
Mann, der sehr reich var, wollte feinen
Retter mit einem großen Geldgeschenk
belohnen, was dieser nicht annahm.
Doch hörte Hanna ihre Vater ost
erzählen, daß er ihm versprochen, ihm
jeden Wunsch und jede Bitte zu erfüllen,
die er jemals a ihn richten würde.
Sie hatte den alten, menschenscheuen
Händler in dem abgelegenen Städtchen
gesunden und um das Geld gebeten.
Der einsame, verknöcherte Geizhals
hielt sein Wort. Um ihres Vaters
willen gab er ihr die verlangte Summe.
Er wollte sie ihr sogar schenken, aber
Hanna nahm sie nur zu einem üblichen
Prozentsatz.
Und da war sie nun, glückselig mit
dem schwer erbeuteten Geld; ängstlich
bittend, ihr nicht böse zu sein, als sie
die Begebenheit ihres unfreiwilligen
Lauscherpostcn erzählen mußte.
Ich kann das Geld nur nehmen von
einer Hand, die mein sein will für
immer, Hanna", sagte Oswald bittend,
mit dem viel größeren Geschenk Deiner
Liebe ! Ich bin frei, die unwürdigen
Bande, die mich an eine Andere fcf et
Im, sind gelöst. Dich, ur Dich habe
ich geliebt,"
Und die Natur feierte mit ihnen den
Sieg des jungen Lenzes über Winter
frost und Oual, die Ostcrsonne, die
jetzt i strahlender Pracht ausging, btt
hieß, den Glauben an die ewige Ver
jüngung alles Lebens aufs Neue zu er
füllen, den Glauben an den ewigen
Sieg des Lichtes !
Line Nase.
Soll ich Ihnen einmal die Geschichte
einer Naie erzählen?" hob der alte Ww
lor Wurmbrand an, indem er es sich nach
der üblichen Begrüßung, am Stamm
tisch recht bequem machte.
Nur los! ermunterten die anderen
wen
Sie wissen, von jeher gab es Leute,
die von ihrer Nase einen Beinamen er
hielten. Ich erinnere an Ovidius Nase,
die historische Nase Rudolfs von Habs-
bürg. Bei uns n militärischen Leben
giebt es auch eine Menge von viaicn
die jedoch nicht den Anspruch erheben,
als historische zu gelten, denn sonst
mußte der Historiker bei der Lebensbe-
schreibung mancher berühmter Heerfuh
rer hinzufügen: erhielt so und so viel
Nasen!"
Die Nase, welche in der nachfolgenden
Erzählung eine Rolle spielt,, hat aber
den Vorzug vor anderen militari.
sehen Nasen, daß sie nicht ertheilt wurde,
sondern activ war, sie war eine Nase
über den Nasen. Nur einmal war Ite
passiv und diese Begebenheit will ich Jh.
nen erzählen.
Nun, hören Sie denn. Ich stand
schon eine Reihe von Jahren bei dem 10.
Bataillon in dem 'Städtchen V. Un-
ser Major Strampel war Junggeselle,
griesgrämig, streng, sowohl außer wie
im Dienste, von einer göttlichen Grob.
heit und eine Riescn-Nase, die Dank
des guten Burgunders und anderer
geistvoller Getränke in allen möglichen
Farben schillerte. Der so ost treffende
Lieutenantswitz hatte ihn den Nasen
köuiq" getauft.
Er bewohnte die erste Etage des söge-
nannten Schlosses," eines zweistöckigen
fiskalischen Gebäudes, das außer den
Tbiirschlöffern nichts Schloßartiges de-
saß. Im Parterre desselben war die
Wache, für welche unser Alter jederzeit
eine qesürchtete Persönlichkeit war.
Früh halb acht Uhr pflegte der gestrenge
Herr ausznreitcn. Bevor er aber seinen
großen Braunen, den wir seines gebo-
gcnen Rückens halber das Wicgenpserd
getaust, bestieg, schritt er die pra entl-
rendc Wache herunter, ein Vorgang, der
bei allen Ein- und Ausgängen des
Nasenkönigs wiederholte, täglich durch-
schmttlich ein Dutzend Mal.
Lange bereits, bevor diese Musterung
stattfand, stand die Wache in tadelloser
Haltung unter dem Gewehr. Im An
fange seines Daseins zu B. hatte
Strampel die Wache Überraicht und den
betonenden Posten m Arrest gesteckt.
Ein sindiger Soldat hatte aber die Ent
deckung gemacht, daß die Nase des Eom
mandcurs genau zehn Minuten vor dem
Ausgange 'ihres Besitzers sich aus der
Lustscheibe des zweiten Fensters heraus
streckte.' Jeder Posten erhielt seit jenem
Tage die Instruktion:
.Paß ja auf die Nase aus!"
Auch der eingezogene Schulmeister
Rammlich, der heute Morgen auf Posten
stand, hatte die Instruktion empfangen,
als er um sechs Uhr aufzog. Dem gu-
ten Schulmeister war gar nicht wohl zn
Muthe, hatte er doch die schrecklichsten
Geschichten von dem ihm leider von An
gcsicht unbekannten Vorgesetzten gehört,
jedermann in B. kannte sonst den Na
senkönig. Rammlich war jedoch vor
gestern einberufen worden, während
Strampels sünftägigem Urlaub, von
welchem er während der Nacht heimze
kehrt war.
Aengstliche Blicke warf Rammlich
nachdem bewußten enstcr.
Plötzlich '
vernahm er Sadelqeranel, dort fünfzehn
Schritte entfernt kam der Gefürchtetc
die Straße heraus: kem Zweifel er
war es: kurze gedrungene Gestalt, xw
des Bäuchlein, in dem geratheten Ant
litz eine mächtige Rase.
RrauS!" rief er.
Ein sürchterlicheS Rumoren begann
in der Wachtftube. schreckensbleich stürz
ten die Mannschasten zu dieser unge
wohnten Stunde aus den Waffenplatz.
Tie Rase," rief Rammlich leise dem
ihn fragend anblickenden Unteroffizier zu,
mit den Auge die Richtung ach dem
Nähcrlommciide Vorgesetzten anhal
tend. Ueber das verwitterte Gesicht des
Sergeanten flog ein Lächeln.
Eintreten!" toinmaiidirte er, die
Leute traten aus den Gewehren, au der
Wache vorbei spazierte der allen nur zn
wohlbekannte Steuerinspektor aus der
Kreisstadt, sichtlich erfreut über die ihm
zugedachte Huldigung.
Na, Raminlich, Ihnen kann :
das nicht übel nehmen!" meinte der Ser
geant lächelnd zu dem verdutzt drein
schauendenEchlilmcistcr. Sie habe ur
auf die Nase gesehen und nicht ans die
Uniform, passen Sie nur ja aus das
Fenster aus."
Ein alter jovial blickender Herr trat
an den Sergeanten heran.
Was war denn hier los?"
Ach. der Posten dachte, der gut?
Steuerinspektor wäre unsere Nase."
Jhre.Nase?" lächelte der Fremde,
wie verstehen Sie das?" indem er dem
Sergeanten eine Eigarre anbot.
Dieser erzählte Strampels Eigenthum
lichkeit und die damit im Zusammen-
hange stehende besondere ynm'tio;i
des Posten.
Einer der Soldaten meinte, als der
fremde Herr sich verabschiedete: Der
fremde Herr hat eine noch größere Nase,
als der Nasenkönig!"
Rauchend nd ,plaudernd saß die
Wachmannschast beieinander. Plötz
lich horchten alle aus. Von der Kaserne
her vernahmen sie die langgezogene
Töne des Signalhornes Tati, tati!"
Seltsam, welche Aufregung diese bei'
den einfachen Töne in militärischen See
len zu erzielen im Stande sind! Das
Alarmsignal! Was hatte es nur auf
sich?!
Alarm!" rief der Sergeant, was
bedeutet das? Sollte der neue Oberst
oder der neue General vermuthet zur
Jnspicirung gekonmen sein?"
Teusel auch, was ist denn los?"
rief eine donnernde Stimme von oben,
die Nase" streckte sich i ihrer ganzen
Länge aus der Luftscheibe.
Es war als leuchte ein heller Rubin
aus dem Fenster. Ein Wicderschein siel
selbst aus das Antlitz des Sergeanten.
Alarm, Herr Major!" ries der Ser
geant, den Vorgesetzten am Fenster er-
blickend.
Klirrend fiel die Scheibe zu, - Bald
wurde das Wiegenpferd im Trab vorgc
führt, ohne die Wache zu mustern
schwang sich Strampel darauf und ga
loppirtc der Easerne zu.
Aus dem Hofe derselben stand bereits
seit einer Biertelstunde der neue Brigade
gemral Graf Jsenstein, musternd flo
gen seine Blicke von einer Compagnie
zur anderen, die aus ihren Sammcl-
Plötzen antraten.
Zctzt kam Strampel in das Easer-
nenthor geritten, sprang vom Pserd als
er den General zu Fuß erblickte und mel-
dete sich bei diesem.
Nachdem die Fronten der Eompag-
nien abgeschritten waren, rief der Gene-
ral die Offiziere zusamnien und wandte
sich an den Maor:
Ich mochte aus einen kleinen Uebel-
stand aufmerksam machen, den ich abzu-
stellen bitte. Die Wachtmann chaft 111
Ihrer Wohnung tritt viel, viel zu zeitig
zum Honneur vor Ihnen heraus, es ist
dies uunöthig und ermüdet nur die
Leute. Es ist wohl nicht nothmen
big, daß dieselben unter den gegebenen
Verhältnissen bei jedem Ihrer Äusgäuge
in das Gewehr tritt!" schloß er mit mali
tiösem Lächeln.
eit lencm Tage trat die Wache nur
och zu den Ablösungen heraus. Punktl
des Bataillonsbefchlcs lautete nämlich:
Die Wache hat vor mir nicht mehr
in'S Gewehr zu treten, sondern nur zu
den Ablösungen und sonstigen im Regle
ment vorgeschriebenen Gelegenheiten.
Strampel,
Major und Bataillonskommandeur.
Die allesnafende Nase hatte on einer
noch größeren Rase eine Nase erhalten,
nach der sie sich blutend zurückzog.
Tit bezahlte Schul.
Wie Gabillon Schulden einkassirte.
erzählt uns Eduard HanSlick in seinen
Erinnerungen aus meinem Leben":
Im Zwischenakte der Römer-Tragödic
Sabinerinnen" von Paul Heyse,
welche am Burgtheater mit mäßigem
Ersolge gegeben wurde, mahnte Gabil
lon seinen Kollegen Baumeister an eine
kleine Schuld von zehn Gulden. Tu
wirst sie noch heute bekommen," ver
sicherte dieser. Im nächsten Akte kom
men die beiden tapferen Römer auf der
Scene zusammen, sie haben einen erreg
ten Dialog (wenn ich nicht irre vor einer
Schlacht).' .Lebe wohl!" rust Bau
meistcr und drückt dem Kameraden lange
die rechte Hand. In diese Hand hatte
aber der ftets zu Schelmereien Ausge-'
legte die zehn Gulden gepreßt, in lauter
kleinen Papierscheinen zu zehn Kreuzern,
wie sie damals in Wien zirkulieren.
Gabillon. der noch einen längeren Mono
log zu halten hat, steht nun mit der
Faust voll Papierzctteln, die er nirgends
in dem taschenlosen römischen I'iewand
unterbringen kann. Er kampll krampt
haft mit dem Lachen und fuchtelt leiden-
schastlich mit der linken Hand in der
Lust herum, in der rechten das heillose
Notenpack umklammernd. Heute, dem
Hanslick dies erzählte, rief fröhlich auS:
So hat denn doch Jemand bei meinem
Stück etwas eingenommen!'
N'ink.
Er: Tu schmollst noch immer t"
Sie: Freilich, warum giebst Tu mir
keinen Anlaß zur Versöhnung!'