Zertheilte IVolfcn. Citci.lHsälilunä 011 'Marie Sialil. Tu bist feit einiger Zeit merkwürdig einsilbig, lieber Oswald," klagte Frau Fader ihren ältesten Sohn an, den Be sitzer von Holmershausen, der mit ihr am Kaffeetisch des Speisezimmers in den großen Landhaus saß und zerstreut durch die Glasthiir in'S Freie starrte, ohne die Zeitung in seiner Hand zu lesen und ohne eine wiederholt an ihn gmchtete'Bemeriung seiner üiiurier ge hört zu haben. Ich beobachtete eben Will. Er ist doch ein recht ungezogener Junge und quält Fräulein Ehrhardt mehr als recht ist." Frau Fabers Gesicht verfinsterte sich. Sie folgte den Blicken ihres Gegenüber und sah ihren jüngsten, zehnjährigen Sohn auf dem großen Rasenrondell vor der Thür mit seiner Gouvernante Pferd spielen. Er hatte sie eingespannt und jagte sie unablässig um das Rondell herum. Frau Faber war Wittwe und lebte mit Willy bei ihrem ältesten Sohne, der das väterliche Gut geerbt hatte und Vormund seines jüngsten Bruders war. Ihr zweiter Sohn Richard stand als Lieutenant bei einem Kavallerieregiment in einer nahen Garnison. Oswald, der Aelteste, hatte sich kürz lich mit einer sehr reichen und schönen jungen Dame verlobt, der Tochter eines Großindustriellen. Dieses Bllndniß, das ein Herzens dündniß genannt wurde, war zugleich eine Nothwendigkeit für den Besitzer von Holmershausen, um das Gut zu über nehmen und seiner Mutter wie seinen Brüdern ihr Erbtheil auszahlen zu kön nen. Der alte Familienbesitz hätte sonst verkauft werden müssen, und das war gegen den Familienstolz. Der arme Junge hat keinen Spiel geführten. Wozu habe ich denn die Person engagirt? Sie ist eigentlich nur eine Bonne. Uebrigens hoffe ich, daß du heute Abend zu unserer Soiree em sreundlicheres Gesicht zeigen wirst. Deine Braut könnte sonst Ursache zu Bastim- rnung finden In diesem Augenblicke entfuhr Os- wald ein Laut heftigen Unwillens. Willy hatte seiner Gouvernante mit sei ner Peitsche geschlagen, als diese eine Fortsetzung des Spieles verweigerte. Mit einem einzigen Sprung war er draußen, in der nächsten Sekunde hatte er den überraschten Knaben am Kragen und versetzte ihm ein paar Hiebe mit seiner eigenen Peitsche. An demselben Abend war der heller leuchtete, behaglich ausgestattete Salon von Holmershausen voll heiterer Gaste. Asta Willens war zum ersten Mal als Braut im Hause ihres Verlobten, und man hatte ihr einen glänzenden Empfang bereitet, Unter heiterem, angeregtem Geplau- er saßen Herren und Tamen n Salon durch einander. Asta, die in einem weißen Kleid, mit Rosen geschmückt, ei nen Strauß herrlicher Frühlingsblüthen von ihrem Bräutigam in der Hand, wie der lächelnde Frühling selbst aussah, erlangte den reizenden, kleinen Willy," das süße Kind," zu sehen, und Frau Faber ertheilte einem Diener Befehl, Fräulein Ehrhadt solle den jungen Herrn dringen. ' Gleich darauf sprang Willy in den Saal und benahm sich sehr ungenirt. Seine Bonne beachtete man nicht, und sie trat in eine Fensternische zurück. Da stand die anmuthige Gestalt wie .ein lebender Protest gegen den Glanz, Hegen Heiterkeit und Frohsinn umher, ein dunkler Schatten in dem strahlenden Bild der Geselligkeit. Sie allein gehörte nicht hierher zu diesen Menschen, die so liebenswürdig unter einander waren, so voll Gefühl, Theilnahme und überfließend von Wohl wollen. Selbst der Diener, der das silberne Kaffeebrett herumreichte, streifte sie nur mit einem hochnäsigen Blick. Ihre Augen blieben an Astas glan zender Erscheinung hängen, die eben das blonde Lockenhaupt mit einem süßen Lächeln, das ihr den Ausdruck eines Engels an Güte und Milde verlieh, ih m Bräutigam zuwandte Pein und Oual malten sich in Hanna phrhardt's Zügen, sie wandte sich und schlüpfte un bemerkt durch die nächste Thür in ein anstoßendes Zimmer, wo sie in eine dunkle Ecke auf den Befehl warten wollte, Willy zu Bett zu driugen. Räch wenigen Minuten betraten Os wald und sein Bruder, der Husaren lieutenant, das Zimmer, Hanna konnte nicht mehr ungesehen entfliehen, fte zog sich deshalb verlegen in die Fensternische hinter die Borhänge zurück. Die Brüder blieben in der Mitte des Zimmers unter der Hängelampe stehen. Die große Verschiedenheit Beider mußte Jedem auffallen, der sie so neben ein ander sah. Es war etwas Packendes, Zwingendes in der mittelgroßen, traft- ollen Erscheinung Oswalds. Die Sklaverei schwerer Aibeit hatte seine Züge streng gemacht, und die frühe Ge wohnheit des Herrschens und Befehlen i hatte ihnen den Überlegenen, gebietenden Ausdruck verliehen. Der jungt Lieute nant in der glänzenden Husarenunisorm war bestechender für das Auge in seiner eleganten, noch unreifen, aber schneidi gen Männlichkeit. .Alles vergeblich gewesen, lieber Junge,' sagte Oswald mit gedämpfter Stimme, es ist mir nicht gelungen. daS Geld auszutreiben. Dein bodenloser Leichtsinn bringt mich in die allcrfatalste Lage! Niemand will mir ohne die schütt licht Garantie meines tu listigen Schwie acrvaters oder meiner Braut dreißig- tausend Mark borgen. Nun stehe ich vor der Alternative, Dich Deiner Ehre beraubt, für immer als ruinirten Mann zu sehen, oder mich vor meiner Braut in das zweifelhafte Licht zu setze, bereits vor der Hochzeit auf ihren Geld beutet Ansprüche zu erheben!" Der Lieutenant maltrütirte seinen Schnurrbart in der Verwirrung, wäh- rend Oswald mit einem düsteren Blick vor sich niedersah. Man konnte es den Buidern ansehen, daß dieser Scene be rcits harte Kämpfe vorangegangen waren. Geh' und bringe mir Asta hierher," stieß Oswald plötzlich wie mit einem gewaltsamen Entschluß hervor. Richard ging und kehrte nach wenigen Sekunden, Asta am Arm, zurück, die er niit einem konventionellen Scherz ein führte, um sie mit seinem Bruder allein zu lassen. Hanna Ehrhardt rang in ihrem Bcr steck heimlich die Hände vor Angst und Scham über ihre Lauschcrrolle, aber sie fand nicht den Muth, hervorzutreten. Oswald faßte die Hand seiner Braut und sagte mit einem tiefernsten Blick: Wir werden bald 'cann nd Weib sein. Asta, und schon heute komme i, zu Dir mit dem vollen Bertrauen, ohne welches kein Eheglück denkbar ist." Und nun erzählte er ihr mit einfachen, klaren Worten von der yrenschutd eine, Bruders, die eine Spielschuld war und in wenigen Tagen erledigt sein mußte, Asta schenkte ihrem Perlobten kein Wort seiner Demüthigung, sie ließ ihn ausreden und sich wiederholen, dann sagte sie mit einem ihrer süßen Herzens- blicke: Mein Lieber, ist es nicht ein Unrecht, Deinen Bruder in seinem Leichtsinn zu bestärken?" Richard ist kein Spieler, die tolle Laune einer erhängnißvollen Stunde ist bei ihm mit einer starken Versuchung zusammengetroffen. Ich bin über zeugt, daß dieses Unglück ihm zu einer dauernden Lehre gereichen wird." Bester Oswald, jeder Spieler ent schuldigt sich im Ansang mit guten Gründen, und eine schnelle Hilfe ist der sicherste Weg, ihn zu neuem Leichtsinn zu ermuthigen." Richard wird naturlich mit seinem Antheil an unserem väterlichen Erbe für seine Schuld haften," sagte Oswald, indem die Schatten in seinen Zügen sich verdunkelten. Asta zuckte die Schultern. Ohne Papa kann ich nichts i dieser Angelegenheit thun. Ich rathe Dir jedoch, ihm nichts davon zu sagen. Er hat einen unüberwindlichen Abscheu vor allen Spielern und wird nie die Hand bieten, einem solchen zu helfen." Verzeih', daß ich Dich mit dieser An gelegenheit behelligte, wir wollen nicht weiter darüber reden," sagte Oswald mit einem schwer zu cnträthseliiden Ausdruck. Es is beffer, ich kehre gleich in den Salon zurück, meine Anwesenheit könnte sonst ausfallen. Folge mir lieber erst j I Väter," lächelte Asta und reichte ihrem ! Wriovlen die and mit einein Blia, der eine Huldigung verlangte, aber er neigte sich nur höflich, um ihre Finger spitzen zu küssen, und als ihre schim mernde Schleppe hinter der Thür ver- schwunden war, siel die Maske der Selbstbeherrschung, mit welcher er den wüthenden Scelenkampf verborgen. Richard kam durch eine Seitenthur zurück. Nun?" fragte er in höchster Span- nung. Oswald tafele mit eisernem Griff seine Hand. Weikt Tu, was Du mir gethan hast? Tu hast meine ganze Zukunft Vernichtet. Um Deinetwillen habe ich mich zu einer qualvollen Bitte gedeh mllthigt, und ich mußte erfahren, daß das Weib meiner Wahl kaltherzig und, hart ist wie haft CnAh i(ir3 Rntr!: Und um Deinetwillen werde ich zu die- ser Ehe verurtheilt sein, deren Freud losigkeit sür alle Zukunft mir in dieser Stunde furchtbar klar geworden ist! Denn jetzt das Bündniß lösen, hieße Dich zu einer Pistolenkugel verurthei len!" Tiefes Schweigen. Die Brüder stan den sich eine Sekunde wortlos gegen über. Tu oder ich ehrlos! Denn ist es ; nicht ehrlos von einem Manne, einem Sie Sache fangt an. mich zu lang Weibe Liebe zu heucheln, das er nicht , weilen. Ich dächte. Deine Pflichten qe- lieben kann?" Tann brach Richard plötzlich aus schluchzend zusammen. Nein, nein, Oswald! Tu sollst Dich nicht opfern! Ich will die Folgen meiner Schuld tragen ich will " Die Worte versagten ihm, er war in einen Seffel gesunken und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Da ging eine große Veränderung in den strengen Zügen Oswalds vor. Sie wurden weich, und niit einem Blick un endlicher l'iiite legte er den Arm um des Bruders Schulter. Verzweifle nicht! Ich habe unserem verstorbenen Vater auf dem Todtenbett ! versprochen, seine Stelle bei meinen! Brüdern zu vertreten. Tu sollst nicht an diesem einen Fehltritt zu Grunde gehen. Wir wollen Alles daran seken, i daß wir Beide frei werden. In diesen acht Tagen b,S Ostern haft Tu noch Fr,ft. An acht Tagen laßt sich viel machen. Laßt nS geben." An allen Gliedern zitternd vor Er requng schlich Hanna aus ihrem Ver steck, als die Brüder sich entfernt hatten. Es war schon spät, als Will endlich eingeschlafen war. Hanna saß allein indem erleuchteten Kiiiderzimmer. Aus den unteren Räume des Hau es drang nur gedämpft hie und da das Geräusch des Festabends zu ihr, doch plötzlich ka men Schritte die Treppe herauf, und gleich darauf trat Oswald ein. Er kam jeden Abend, seinem kleinen Bru der den Gutenachtkuß zu geben. Schläft er schon? Ich komme wohl heute zu spat?" fragte er Hanna hatte sich erhoben. Sie schien mit einer Verlegenheit zu kämpfen, dann sagte sie mit schnellem Entschluß: Herr Fader, ich habe eine Bitte. " Oswald sah sie erwartungsvoll an. Ich bitte uin Urlaub zum Osterfest. Ich möchte morgen mit dem ersten Zug reisen. Fabcr schmieg einen Augenblick. J'ch fürchte, Sie kommen nicht Wie. der. Sie fühle sich nicht glücklich bei uns ich weiß es bestimmt." Ich komme wieder," sagte Hanna mit niedergeschlagenen Augen. Gut, Sie werden nicht vergessen. daß ich daß wir Sie jetzt nicht ent behre können. Und Sie werden uns die Widerwärtigkeit Ihres Berufs nicht nachtragen. Zeigen Sie mal Ihre Hand wo der unartige Junge Sie geschlagen." Hanna wollte ihre Hand verbergen, aber er hatte sie gefaßt und zog sie n's Licht, Ein rother Striemen zog sich über die Hand; weiches Mitleid stand in seineik Augen. -Es ist nicht der Rede werth," mur melte Hanna, und sie entzog ihm fast heftig die Hand. Armes Kind, Sie sind recht der lasse hier," sagte er. Er wollte mehr sagen,' aber in diesen, Augenblick bcgeg neten sich Beider Augen,' und es kam nur ein undeutlicher Laut von seinen Lippen, als schnüre ihm Jemand die Kehle zusammen. Eine flüchtige Sekunde nur sahen sich Beide an wie in einem bangen, über Ivältigende Erschrecke, dann wandte er sich mit einem schnellen Gutenacht und verließ das Zimmer. Als er fort war, sank Hanna in die Knie und drückte in Seligkeit und Schmerz das glühende Gesicht in die gerungenen In dieser Passionswoche niußte Os wald einen bittern Kelch voll Seelen kämpf und Oual leeren. Er war in den letzten Tagen von ei nem guten Freund und von einem Ka pitalisten zum andern gegangen, um das Geld für seinen Bruder zu borgen, doch seine Freunde waren alle in der selben Lage, wie er, es waren eben schlechte, Zeiten sür die Landwirthschaft und die Kapitalisten wollten auf sein ohnehin schon hoch belastetes Gut nichts mehr borgen ohne die Bürgschaft seines Schwiegervaters. Mit dieser drückenden Sorge hatte er die Pflichten des Bräutigams zu crfül len. Er mußte den Eharfreitag mit seiner Braut verleben, denn die Stille des Tages, der alle Vergnügungen Der. bot, langweilte Asta. Er mußte sie auf dem Kirchgang begleiten. Nach dem Gottesdienst ging er mit Asta im Wintergarten ihrer väterlichen Villa unter Palmen und Orangcnbüu men spazieren. Asta war heute, in ei nem eng anliegenden schwarzen Atlas kleid, das goldblonde Haar zu einer stolzen Flechtenkrone aufgesteckt, schöner denn je. Sie war sich dessen bewußt und ganz bereit, die Huldigungen ihrer Schönheit on ihrem Verlobten ent gegenzunehmen. Seine ernsthaste, zer streute Miene und der gänzliche Mangel an Aufmerksamkeit für ihre äußere Er scheinung verstimmten sie tief. Im Lauf des Gesprächs theilte sie ihm mit, daß sie den ersten Ostertag mkt einem großen Familiendiner feiern würden, das ihm Gelegenheit geben würde, ihre ganze Familie kennen zu lernen. Liebe Asta", erwiderte Oswald, ehe die Angelegenheit mit meinem Bruder nicht geordnet ist, bin ich nicht im Stande, die Stimmung dazu zu finden. Deine Stimmung ist kein genügen der Grund, ein solches Opfer zu ver langen," sagte Asta gereizt. Ich bitte Dich, Asta, es wäre eine Tortur für mich, unter diesen Uinstün- den ein Familienfest m feiern gen mich, sollten den Pflichten gegen Deine Familie vorgehen. Ich bin nicht gesonnen, die zweite Rolle in Deinem Leben zu spielen." I Asta sah in diesem Augenblick nichl i gerade aus wie ein Engel an Güte und ; Milde. . Wenn die Eristenz und die ganze j Zukunft meines Bruders gegen Dein vergnügen m Die WgiHaie saut, ,o gehen die Pflichten gegen meinen Bruder vor." erwiderte Oswald sehr bestimmt, wahrend sein Gesicht einen unbeug samen Ausdruck entschloffener Encraie I nnnnhrn .Ich werde Dir moraen die lanxt Summe zuKellen lapen. Ich habe keine Luft, mich seinetwegen am Osterfest in Sack und Asche zu hüllen und sür feine fünden zu düxen." Oswald stand wie versteinert. ES ist bener. wir machen den Irr thum unserer Vereinigung gut, ehe es zu spät ist.' sprach er, indem er den Ring von seinem Finger zog und gab ihn Asta zurück. Oswald athmete auf, wie von einem schweren Baun erlöst, als er die Thiir des Wilkensschen Hauses hinter sich schloß, snr immer. Am schwersten zu ertragen war die Eiittauschung seiner Familie und der stumme, angsivollc Schreck seines Br ders Richard. Es galt nun. alle Kraft daran zu setzen, m diese vor größerem Kummer zu bewahren. Erst spät in der 'Osternacht war er fast muthlos heimgekehrt. Nur eine einzige Hilfe, und diese aus unlauterer Quelle, war ihm geboten und mit so hohen Wucherziiisen, daß sicheres Bcr derben aus ihrer Annahme entstehen konnte. Er hatte sich vorläufig nicht dazu entschließen können. Erschöpft suchte er die Einsamkeit und Stille seines Zimmers, wo er eine schlaflose Nacht verbrachte. Hatte er Unrecht gethan, sein Ver löbniß zu lösen? Ging seine Pflicht als Oberhaupt der Familie, deren Ehre und Ansehen vor der Welt, ihr mate riellcs Gedeihen und ihre Wohlfahrt zu Mahren durch die Verstandesheirath, den Pflichten gegen das Ehrgefühl, gc- gen die Wahrhaftigkeit des eigenen $ zcns vor? War es unmöglich, im modernen Gesellschaftsleben sittliches Ehrgefühl mit weltlicher Ehre zu vereinen? In dumpfer Beklemmung stieß er die Fensterflügel seines Schlafzimmers auf. Nacht war es draußen, und Nacht war es in ihm, seine suchenden Augen begeg neten keinem tröstenden Lichtstrahl. Das Schweigen des Todes lag Über der schlummernden Welt, und eine plötz liche Todesschnsucht erfüllte da Herz des gequälten Mannes. Eine tiefe Müdigkeit kam über ihn, ein Verzagen an den höchsten und besten Zielen seines Lebens, ein Verzweifeln an Allem, was Licht, Glück und Leben war. Nichts als Finsterniß sah er vor sich. Stunde auf Stunde verrann. Die herbe kühle Nachtluft nmwehte ihn plötz lich mit frischerem Strom. Im fernsten Osten dämmerte ein Lichtstreif, und im Dorfe krähte ein Hahn. Ein würziger, feuchtfrischer Duft von aufgeweichter Erde und keimenden Knospen stieg aus dem Garten zu ihm aus, sruhlingsver kündend, lenzgewaltig die treibende Kraft des jungen Lebens verrathend. das seinen Auferstchungsfieg gegen Tod und Verwesung feiern wollte. Ein lci- ses, feierliches Rauschen ging durch den stillen Garten der erste goldene Licht strahl des Ostermorqens fluthete über die er chauernde mbe. Eine lang hinzitternde eherne Klang- Welle schwebte vom Torf herüber und im festlichen Jubelchor begann das Ge- laut der Osterglocken vom Kirchthurm Tief bewegt lauschte Oswald. In dem siegenden Licht des jungen Oster- morgens fand er die Antwort auf die quälenden Zweifel seines nächtlichen eelenkampfes. Wie ein heißes Gebet stieg das Gelübde aus den Tiefen seiner Seele auf, der Wahrheit, der Liebe und dem Lichte zu leben und die Lüge als die Wurzel alles Uebels zu Haffen. Welchen Werth hatten schließlich irdische Guter, der Besitz seines Familienqutes, die Stellung seines Bruders, weltliche Ehre und weltliches Ansehen, wenn sie nicht aus eigener Kraft erhalten werden konnten? Wenn sie durch Selbsternie- dngung, durch Verrath an sich selbst nd Andern gehalten werden mußten? War es denn nicht beffer, sich ihrer zu ent äußern und. im Verzicht auf die Schein ehre, die echte Mannesehre der Unab hünqigkeit durch ehrliche Arbeit zu suchen? Ein schneller hastiger Schritt auf dem Kiesweg des Gartens unterbrach ihn in feinen Gedanken. Was ist das? Hanna hier? Wie kommt sie hierher? Was will sie um diese Stunde? Wie sieht sie aus? Er eilte ihr entgegen und stand nach wenigen Sekunden ini Garten ihr gegenüber. Es war Hanna, blaß, erschöpft mit dunklen Schatten unter Überwachten Augen, mit den Spuren einer langen, beschwerlichen Reise an ihren Kleidern, aber mit verklärten Zügen, eine große, strahlende Freude in den Augen. Sie hielt etwas in den ausgestreckten, zitternden Händen. Ta ist es das Geld bitte, nch men sie, es ist gerade die Summe, die Ihr Bruder braucht, ich komme doch noch zur rechten Zeit?" Er starrte sie an und starrte auf das kleine Packet, das sie ihm in die Hand drückte. Tas Geld? Hanna Sie " O, seien Sie mir nicht böse! Fra- gen &ie nicht, woher ich eS weiß. Ich erfuhr es von der Verlegenheit, in der Sie sich besanden. Es bot sich mir eine Möglichkeit, das Geld sür Sie ge- borgt zu erhalten zu sehr geringen Zin- sen. o bin ich Tag und Nacht gereift, um nicht zu spät zu kommen. Er zog sie auf eine nahe Bank, immer die kleine, bebende Hand feilhaltend. Sie sah ibn ängstlich an. und langsam und scheu kam das Bekenntniß von ihren Lippen. Ihr Vater, der Arzt gewesen war. oben an der preußisch-polnischen Grenze, halte vor einigen Jahren einem Händ- ler daS Leben gerettet, mit wahr seines eigenen, als er zufällig Zeuge eines Ueberjalles wurde, durch welchen zwei Strolche den wandernden Handels mann seiner Baarschast berauben woll ten. Der alte Mann war bereits Über , wunden und schwer verletzt, als Hanna i Vater ibn aus den Handen seiner Röu der befreite, diese mit einem Revolver erschreckte und dann dem Ohnmächtige seine Hilfe gedeihen ließ. Der alte Mann, der sehr reich var, wollte feinen Retter mit einem großen Geldgeschenk belohnen, was dieser nicht annahm. Doch hörte Hanna ihre Vater ost erzählen, daß er ihm versprochen, ihm jeden Wunsch und jede Bitte zu erfüllen, die er jemals a ihn richten würde. Sie hatte den alten, menschenscheuen Händler in dem abgelegenen Städtchen gesunden und um das Geld gebeten. Der einsame, verknöcherte Geizhals hielt sein Wort. Um ihres Vaters willen gab er ihr die verlangte Summe. Er wollte sie ihr sogar schenken, aber Hanna nahm sie nur zu einem üblichen Prozentsatz. Und da war sie nun, glückselig mit dem schwer erbeuteten Geld; ängstlich bittend, ihr nicht böse zu sein, als sie die Begebenheit ihres unfreiwilligen Lauscherpostcn erzählen mußte. Ich kann das Geld nur nehmen von einer Hand, die mein sein will für immer, Hanna", sagte Oswald bittend, mit dem viel größeren Geschenk Deiner Liebe ! Ich bin frei, die unwürdigen Bande, die mich an eine Andere fcf et Im, sind gelöst. Dich, ur Dich habe ich geliebt," Und die Natur feierte mit ihnen den Sieg des jungen Lenzes über Winter frost und Oual, die Ostcrsonne, die jetzt i strahlender Pracht ausging, btt hieß, den Glauben an die ewige Ver jüngung alles Lebens aufs Neue zu er füllen, den Glauben an den ewigen Sieg des Lichtes ! Line Nase. Soll ich Ihnen einmal die Geschichte einer Naie erzählen?" hob der alte Ww lor Wurmbrand an, indem er es sich nach der üblichen Begrüßung, am Stamm tisch recht bequem machte. Nur los! ermunterten die anderen wen Sie wissen, von jeher gab es Leute, die von ihrer Nase einen Beinamen er hielten. Ich erinnere an Ovidius Nase, die historische Nase Rudolfs von Habs- bürg. Bei uns n militärischen Leben giebt es auch eine Menge von viaicn die jedoch nicht den Anspruch erheben, als historische zu gelten, denn sonst mußte der Historiker bei der Lebensbe- schreibung mancher berühmter Heerfuh rer hinzufügen: erhielt so und so viel Nasen!" Die Nase, welche in der nachfolgenden Erzählung eine Rolle spielt,, hat aber den Vorzug vor anderen militari. sehen Nasen, daß sie nicht ertheilt wurde, sondern activ war, sie war eine Nase über den Nasen. Nur einmal war Ite passiv und diese Begebenheit will ich Jh. nen erzählen. Nun, hören Sie denn. Ich stand schon eine Reihe von Jahren bei dem 10. Bataillon in dem 'Städtchen V. Un- ser Major Strampel war Junggeselle, griesgrämig, streng, sowohl außer wie im Dienste, von einer göttlichen Grob. heit und eine Riescn-Nase, die Dank des guten Burgunders und anderer geistvoller Getränke in allen möglichen Farben schillerte. Der so ost treffende Lieutenantswitz hatte ihn den Nasen köuiq" getauft. Er bewohnte die erste Etage des söge- nannten Schlosses," eines zweistöckigen fiskalischen Gebäudes, das außer den Tbiirschlöffern nichts Schloßartiges de- saß. Im Parterre desselben war die Wache, für welche unser Alter jederzeit eine qesürchtete Persönlichkeit war. Früh halb acht Uhr pflegte der gestrenge Herr ausznreitcn. Bevor er aber seinen großen Braunen, den wir seines gebo- gcnen Rückens halber das Wicgenpserd getaust, bestieg, schritt er die pra entl- rendc Wache herunter, ein Vorgang, der bei allen Ein- und Ausgängen des Nasenkönigs wiederholte, täglich durch- schmttlich ein Dutzend Mal. Lange bereits, bevor diese Musterung stattfand, stand die Wache in tadelloser Haltung unter dem Gewehr. Im An fange seines Daseins zu B. hatte Strampel die Wache Überraicht und den betonenden Posten m Arrest gesteckt. Ein sindiger Soldat hatte aber die Ent deckung gemacht, daß die Nase des Eom mandcurs genau zehn Minuten vor dem Ausgange 'ihres Besitzers sich aus der Lustscheibe des zweiten Fensters heraus streckte.' Jeder Posten erhielt seit jenem Tage die Instruktion: .Paß ja auf die Nase aus!" Auch der eingezogene Schulmeister Rammlich, der heute Morgen auf Posten stand, hatte die Instruktion empfangen, als er um sechs Uhr aufzog. Dem gu- ten Schulmeister war gar nicht wohl zn Muthe, hatte er doch die schrecklichsten Geschichten von dem ihm leider von An gcsicht unbekannten Vorgesetzten gehört, jedermann in B. kannte sonst den Na senkönig. Rammlich war jedoch vor gestern einberufen worden, während Strampels sünftägigem Urlaub, von welchem er während der Nacht heimze kehrt war. Aengstliche Blicke warf Rammlich nachdem bewußten enstcr. Plötzlich ' vernahm er Sadelqeranel, dort fünfzehn Schritte entfernt kam der Gefürchtetc die Straße heraus: kem Zweifel er war es: kurze gedrungene Gestalt, xw des Bäuchlein, in dem geratheten Ant litz eine mächtige Rase. RrauS!" rief er. Ein sürchterlicheS Rumoren begann in der Wachtftube. schreckensbleich stürz ten die Mannschasten zu dieser unge wohnten Stunde aus den Waffenplatz. Tie Rase," rief Rammlich leise dem ihn fragend anblickenden Unteroffizier zu, mit den Auge die Richtung ach dem Nähcrlommciide Vorgesetzten anhal tend. Ueber das verwitterte Gesicht des Sergeanten flog ein Lächeln. Eintreten!" toinmaiidirte er, die Leute traten aus den Gewehren, au der Wache vorbei spazierte der allen nur zn wohlbekannte Steuerinspektor aus der Kreisstadt, sichtlich erfreut über die ihm zugedachte Huldigung. Na, Raminlich, Ihnen kann : das nicht übel nehmen!" meinte der Ser geant lächelnd zu dem verdutzt drein schauendenEchlilmcistcr. Sie habe ur auf die Nase gesehen und nicht ans die Uniform, passen Sie nur ja aus das Fenster aus." Ein alter jovial blickender Herr trat an den Sergeanten heran. Was war denn hier los?" Ach. der Posten dachte, der gut? Steuerinspektor wäre unsere Nase." Jhre.Nase?" lächelte der Fremde, wie verstehen Sie das?" indem er dem Sergeanten eine Eigarre anbot. Dieser erzählte Strampels Eigenthum lichkeit und die damit im Zusammen- hange stehende besondere ynm'tio;i des Posten. Einer der Soldaten meinte, als der fremde Herr sich verabschiedete: Der fremde Herr hat eine noch größere Nase, als der Nasenkönig!" Rauchend nd ,plaudernd saß die Wachmannschast beieinander. Plötz lich horchten alle aus. Von der Kaserne her vernahmen sie die langgezogene Töne des Signalhornes Tati, tati!" Seltsam, welche Aufregung diese bei' den einfachen Töne in militärischen See len zu erzielen im Stande sind! Das Alarmsignal! Was hatte es nur auf sich?! Alarm!" rief der Sergeant, was bedeutet das? Sollte der neue Oberst oder der neue General vermuthet zur Jnspicirung gekonmen sein?" Teusel auch, was ist denn los?" rief eine donnernde Stimme von oben, die Nase" streckte sich i ihrer ganzen Länge aus der Luftscheibe. Es war als leuchte ein heller Rubin aus dem Fenster. Ein Wicderschein siel selbst aus das Antlitz des Sergeanten. Alarm, Herr Major!" ries der Ser geant, den Vorgesetzten am Fenster er- blickend. Klirrend fiel die Scheibe zu, - Bald wurde das Wiegenpferd im Trab vorgc führt, ohne die Wache zu mustern schwang sich Strampel darauf und ga loppirtc der Easerne zu. Aus dem Hofe derselben stand bereits seit einer Biertelstunde der neue Brigade gemral Graf Jsenstein, musternd flo gen seine Blicke von einer Compagnie zur anderen, die aus ihren Sammcl- Plötzen antraten. Zctzt kam Strampel in das Easer- nenthor geritten, sprang vom Pserd als er den General zu Fuß erblickte und mel- dete sich bei diesem. Nachdem die Fronten der Eompag- nien abgeschritten waren, rief der Gene- ral die Offiziere zusamnien und wandte sich an den Maor: Ich mochte aus einen kleinen Uebel- stand aufmerksam machen, den ich abzu- stellen bitte. Die Wachtmann chaft 111 Ihrer Wohnung tritt viel, viel zu zeitig zum Honneur vor Ihnen heraus, es ist dies uunöthig und ermüdet nur die Leute. Es ist wohl nicht nothmen big, daß dieselben unter den gegebenen Verhältnissen bei jedem Ihrer Äusgäuge in das Gewehr tritt!" schloß er mit mali tiösem Lächeln. eit lencm Tage trat die Wache nur och zu den Ablösungen heraus. Punktl des Bataillonsbefchlcs lautete nämlich: Die Wache hat vor mir nicht mehr in'S Gewehr zu treten, sondern nur zu den Ablösungen und sonstigen im Regle ment vorgeschriebenen Gelegenheiten. Strampel, Major und Bataillonskommandeur. Die allesnafende Nase hatte on einer noch größeren Rase eine Nase erhalten, nach der sie sich blutend zurückzog. Tit bezahlte Schul. Wie Gabillon Schulden einkassirte. erzählt uns Eduard HanSlick in seinen Erinnerungen aus meinem Leben": Im Zwischenakte der Römer-Tragödic Sabinerinnen" von Paul Heyse, welche am Burgtheater mit mäßigem Ersolge gegeben wurde, mahnte Gabil lon seinen Kollegen Baumeister an eine kleine Schuld von zehn Gulden. Tu wirst sie noch heute bekommen," ver sicherte dieser. Im nächsten Akte kom men die beiden tapferen Römer auf der Scene zusammen, sie haben einen erreg ten Dialog (wenn ich nicht irre vor einer Schlacht).' .Lebe wohl!" rust Bau meistcr und drückt dem Kameraden lange die rechte Hand. In diese Hand hatte aber der ftets zu Schelmereien Ausge-' legte die zehn Gulden gepreßt, in lauter kleinen Papierscheinen zu zehn Kreuzern, wie sie damals in Wien zirkulieren. Gabillon. der noch einen längeren Mono log zu halten hat, steht nun mit der Faust voll Papierzctteln, die er nirgends in dem taschenlosen römischen I'iewand unterbringen kann. Er kampll krampt haft mit dem Lachen und fuchtelt leiden- schastlich mit der linken Hand in der Lust herum, in der rechten das heillose Notenpack umklammernd. Heute, dem Hanslick dies erzählte, rief fröhlich auS: So hat denn doch Jemand bei meinem Stück etwas eingenommen!' N'ink. Er: Tu schmollst noch immer t" Sie: Freilich, warum giebst Tu mir keinen Anlaß zur Versöhnung!'