Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 12, 1896, Image 10

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    IlfajicnMiitljcn.
Po i! u d m i g (' 10 ( t i.
Ties vom Weste l,cr bestrahlte die
Nachmittaqssoiinc den hohen schlanken
ZrexpkNgicbel, der sich, ei feste Wahr
zeichen des alten UnusinannShanses, das
er schmückte, in die Ilare Lust des Som
mertages erhob. Er warf, wie eine
sinstere Brustwehr gegen das Licht der
Sonne ausacstellt. seinen dunllcn Lchat
ten aus den Hof und den von diesem
durch ein erhöhtes Gitter abgetrennten
Garten, der, in feiner ganzen Länge
von hohen Häuscrwünden eingefaßt, sich
bi an das von der jenseitigen Straße
Kr durchachendc virund tiick erstreckte.
Hier aus der Grenzlinie der beiden Gar-
itn war eine etwa anderthalb manns
langen hohe Mauer aus Backsteinen er
richtet.
Da nur von mt zu ISnt ich ein
Sonnenblick zwischen den schlanken Mit-
dein der Vorderhäuser hindurch oder
über die Hintcrmauer hinüber wagte, so
war der große Garten stets lUylseuchl
und mußte jedes heiteren Blumen
schmuckes entrathe; nur hohe, dickstüm
mige Ulmen breiteten ihre dunkclbe
laubte Krone über den Rase, strnp
piges Gebüsch kroch an den Maliern
entlang, und dichter, schwarzer Epheu,
wohl Jahrhunderte alt, hatte die mäch
tige Mauer bis unter den Dachsrist
überspanne. Nur einmal im Friih
jähr betrat der Gärtner dieses stille
Reich, um das modrige Hcrbstlaub vom
Rasen und den hartgetretenen Steigen
zu harken, sonst wuchs und gedieh das
Pflanzenwerk nach alter Weise, wie es
vielleicht schon gegrünt hatte, als noch
die schwertumgiirtcten hansischen Han
delsherren in pelzverbrämten Patrizier-
Wämsern mit ihren blonden Frauen
zwischen diesen altersgrauen Mauern
gewandelt waren. Die Ulmen hatten
Generation um Generation gerandiuhen
sehen und aus blonde und weiße Häup-
icr lhre Schatten geworfen.
Ob sie aber je ein so goldblonde
Köpfchen gesehen hatten, wie jenes, das
in dieser Nachmitlaqsstunde iiber den
Hof daherkam? Das junge Mädchen,
dem eö gehörte, warf vor der Gitter-
Pforte noch einen spähenden Blick nach
dem Hause zuriick und betrat dann
haftig den Garten, mit schnellen Schrit
tcn über die harten Steige hahineilend.
bis an die Mauer, die das Nachbar-
arundftück von dem diesseitigen trennte,
An einer Stelle, wo der Epheu lichter
gewachsen war, ließ eine alte, ver-
morschte, in verrosteten Angeln hto
gende Thür einen Spalt, vor dem das
Mädchen Halt machte. Es drückte einen
Augenblick die Hand auf den heftig wo
genden Busen und warf gleichzeitig
wieder einen schüchternen Blick nach dem
Hause zurück.
Die Zeit war noch nicht gar so lange
vergangen, wo das Mädchen an dieser
Stelle ohne Sorge stehen blieb, bis der
muntere Freund von jener Seite ihm
half, die Thür so weit zurückzuschieben,
daß der Spalt groß genug war zum
Durchschlüpfen.
Der Freund ließ auch heute nicht auf
sich warten.
Bist Du da, Clara?"
Jawohl, Alfred, aber ich. . . "
Was aber?" rief die männliche
Stimme, dann wich die alte Thür
einem kräftigen Druck, knarrend und
auf dem Boden schurrend, und in dem
deren Mauerdurchqang erschien die
Gestalt eines hochgewachsenen, schlan
len, jungen Mannes mit blondem
Bart.
Nun, was ängstigst Du Dich,
Clara?" fragte er, aus der gebückten
Stellung sich aufrichtend.
Die Thür ' machte so laute e
räusche."
Das hat sie doch immer gethan."
Ja, aber, ach Alfred, offen heraus:
mir ist es verboten. Dich hier ferner zu
treffen."
So, hat der gestrenge Herr Groß
Papa..," Nein, einstweilen Papa, aber er
wird es dem Großvater sagen, wenn ich
nicht gehorche, und mir ahnt, sie führen
etwas im Schilde."
Ueber Alfred's freundliches Gesicht
glitt ein Schatten des Unmuths und der
Sorge, doch gleich darauf ward es wie-
der licht.
.Wenn Tu Dich fürchtest, Clara
komm' in unseren Garten, da sind wir
sicher.
Das Mädchen blickte sich noch einmal
um und lieg sich dann durch da,
Mauerloch ziehen.
Drüben sah es anders aus. Blühende
Rofenftöcke, Beete mit Heliotrop, Rc eda
und Glocksinien unterbrachen das ein
tönige satte Grün des Rasens, die
Mauern waren von wildem und an der
Sonnenseite von echtem Wein über
jogen.dcrdieerstenTrauben ansetzte. Vor
der Mauer, durch derenOeffnung die bei
den jungen Menschen eben hervortraten,
stand eine Reihe weißdlühender Akazien,
die ihre Tüste unter die übrigen des
Gartens mischten.
Als Clara an der Seite des
Jugendfreundes in der von blühender
Klematis übersponnenen Laube saß.
sah sie einige Zeit schweigend vor sich
hin und ließ ihre Blicke an den Akazien
haften. Tann ergriff sie die Hand des
greundes.
Alfred, weißt Tu noch, wie wir
unter diesen Akazien uns zuerst trafen,
als ich. sümjährig. die Mauerpsorte
entdeckt halte und Tu mir dann halfst,
sie so weit aufzurütteln, daß ich zu Tir
lammen und mich in dieser mir fremden
Welt umschauen konnte?" !
Und nun tauschten sie alte Erinne
rungen aus, wie sie seit jener Zeit eng
befreundet waren, nachdem Alfred
alte Großmutter Elara gclicblost und
sie als Spiellameradi ihrem Enkel
empsohlcn hatte. Wie der Thiirspalt
anfangs nur so weit, daß ein zierlicher
Kindcrlcib durchschlüpsen konnte, mit
der Zeit größer und größer ward, wie
sie zusammen bald in diesem, bald in
jene, Garten gespielt, bald auf der
Diele des alten ffaufmannshauses sich
in der mächtigen, in Ketten hängenden
Wange geschaukelt und aus den sieben
Laacrböden zw, chen den Säcken mhev
geklettert waren. Wie sie im Winter
bei der liebevollen Großmutter ge e cn,
die Clara ganz in ihr Herz geschloffen
halte. Bis dann die Jahre kamen, wo
sie in stets vertraulichem Austausch ihrer
Leiden stiller neben einander hergegan
gen und schließlich, als Alfred mit acht'
zehn Jahren die Universität bezog, nur
in den Ferien sich sahen. Alle frohen
Stunden, alles Glück hatte Elara bei
Alsred, seinen Eltern und der alten
Großmutter gefunden, und nun sollte
ein Strich dahinter gemacht werden
Alles vorbei sein, weil der Großvater
Clara's es wollte.
Das darf nicht sein," rief Alfred,
nicht jetzt, wo ich nach bestandenem
Ezamen wahr machen kann, was wir
einst als Kinder bei Mann- und Frau
Spiel uns gelobt!"
Sie laben ich innig Auge in s Auge,
während der Abendwind um die Laube
strich und die großen blauen Blüthen
der Clematis leise schaukelte. Sie merk
ten nicht, daß es Abend geworden war
und die Schatten der Dämmerung sich
senkten. Dann fuhren sie jüh auf, als
von drüben her eine Stimme rief:
Clara, Clara, wo bist Du?"
O weh, nun haben sie Deine Abwe-
senheit bemerkt."
Laß nur, Alfred, es muß zur Aus-
spräche kommen, am besten noch heute
Abend. Wir können doch nicht von ein
ander laßen. Also bis morgen Nach
mittags!" Noch ein flüchtiger Händedruck, dann
war die schlanke Mädchcngestalt durch
das Mauerloch verschwunden. Die
Akazien schüttelten sich im Abendwind
und ließen einen weißen Regen nieder
rieseln, als Clara unter ihnen hindurch
schritt. Aus dem Hof trat die Mutier ihr ent
gegen. Wo warst Du?" fragte sie strenge.
Wieder drüben, trotzdem Papa es ver
boten! Die Strafe für Deinen Ungehor
sam wird nun nicht ausbleiben. Groß
vater erwartet Dich in seinem Comptoir,
geh' nur zu ihm."
Klopfenden Herzens trat Clara in
das Privatbureau ihres Großaters.
Der Raum war dämmerig, fast dunkel,
durch den oberen Theil des hohen Fen
sters drang das Licht des Abends, wah
rend der untere durch bleigesaßte Butzen
scheiden abgeschloffen war. Vor seinem
Schreibtisch stand der alte Herr in dem
langen schwarzen Flausrock, das bart
lose faltige Gesicht mit der hohen Stirn,
die volle weiße Haare krönten, schaute
strenge aus der schwarzen Halsbinde
heraus, und die weißen Spitzen des Va
termörders standen drohend zu beiden
Seiten des herbe geschlossenen Mundes.
Er hatte soeben seine Bücher in den
Geldschrank geschlossen; jetzt wandte er
ich der eintretenden Enkelin zu.
Mein liebes Kind," redcle er sie mit
seiner scharfen Baßstimme an, ich
wollte ein ernstes Wort mit Tir reden.
Setz Dich mal da drüben hm. Ich
muß Dir nämlich gestehen, daß Dein
Herumtreiben mit dem Jüngling von
drüben durchaus ungehörig ist. Er ist
mir zwar nie sympathisch gewesen, aber.
da er Dein einziger Umgang war, so
habe ich gelitten, daß Du mit ihm spiel
teft, denn Tu solltest Deine Kindheit
genießen. Aber die Kinderzeiten sind
nun vorbei, Tu bist nun erwachsen und
der Ernst des Lebens beginnt. Du
weißt, daß Du aus dem alten Hause
Joachim Leberecht Witt bist und daß
Tu Pflichten gegen dies Haus hast
antworte mir, weißt Du dass"
Ja, Großpapa," sagte Clara schüch
tern.
Gut. Sieh mal. Du bist alt ge
nug, daß ich Dir das sagen kann. Es
kommt jetzt die Zeit, wo Du an's Hei-
rathen denken mußt, Deine Eltern ha-
bcn ja leider keinen Sohn, der das Ge-
schäst weiterführen kann, daher bist Tu
verpflichtet, die alten Familientraditio
nen zu wahren und durch Heirath eines
tüchtigen Mannes das Geschäft der Fa
milie zu erhalten. Ich hoffe, Tu kennst
Deine Verantwortung und wirft Dich
des Hauses Joachim Lcbebrecht Witt
würdig zeigen."
Clara sah schweigend vor sich nieder.
Der alte Herr fuhr in seiner trocken
salbungsvollen Rede fort.
Ich habe mit Deinem Vater Rück-
spräche genommen, und wir haben uns
geeinigt, daß Tu Dich mit unserem
Prokuristen verlobst. Er ist ein sehr
tüchtiges Mitglied unseres Comptoirs
seit zwanzig Jahren und aus alter guter
Familie, die ja leider das Unglück hatte,
vor fünfundzwanzig Jahren, wie der
Sohn eingesegnet war und ls Lehr
linq in's Geschäft eintreten sollte, zu
falliren. Er ift ein ernster Mann von
vierzig Jahren, bereit, zu seinem Na
men auch den unseren zu führen, und
so wird der alte Name Deinen Kindern
erhalten bleiben."
Clara sah mit sprachlosem Entsetzen
den Großvater an ; der Alte mochte in
der Tunkclheit ihre Gesichtszüge nicht
mehr erkennen und ihr Schmelzen als,
Zustimmung nehmen. '
Ich freue mich mein Kind, daß Tu
so verständig bist, mir Recht zu gebe.
Tu wirst nun einsehen, daß Dein Ver
kehr mit dem jungen Mann von drü
be aufhören muß. Abgesehen davon,
daß die Familie nicht zu den älteren der
Stadt gehört, mir ist sie sonst ja uube
kaniit, wäre eine Verbindung Deiner
seits mit dem Jüngling, selbst wen
T einen Bruder hättest, ausgcschlos
sen, da er, wie Tu sagtest, Mcdiciner
ist, und ein Mädchen aus dem Haus
Joachim Lebcrecht Witt nur einen
Kaufmann oder Juristen heirathe
kann, der einmal Aussicht hätte, in den
Senat der Stadt zu kommen. Also
Du verstehst mich, nicht mehr? wo,
jetzt geh' mein Kind, ich komme gleich
nach,"
Er wandte sich zu seinem Schreibtisch
und sah nicht, wie die Enkelin hinaus
wankte, kreidebleich, einer Ohnmacht
nahe.
Beim Abendessen saß sie stumm apa-
thetisch, Niemand beachtete sie als die
Mutter, die zuweilen einen besorgten
Blick auf das Mädchen warf. Der
Vater und Großvater unterhielten sich
geschäftlich. Als Clara in ihr Schlaf-
zunmer ging, folgte in die Mutter.
Clara," sagte ne strenge, weißt Tu
nicht, daß die Bestimmungen des Groß
aters Dir heilig sein müssen?"
Clara schwieg und lehnte am Fenster,
die Augen durch die geöffneten Flügel
hinausgerichtet auf den Garten, über
den der Mond sein fahles Licht ergoßn
wie er so zwischen die ephcubewachsenen
Mauern hineinschien, war es, als leuch-
tete er in ein offenes Grab. Der N'acht
wind schauerte durch die Wipsel der
Ulmen und trug einen berauschenden
Dust vom Nachbargarten her, der kam
von den Akazien, die ihre weiß durch
Wütheten Kronen über die Mauer
reckten.
Clara sog den Duft mit wcitgcöfsne-
ter Brust ein: Grüße von ihm! Und
plötzlich wandte sie sich ttzr Mutter zu,
die hinter sie getreten war, und warf
sich stürmisch an ihren Hals.
Mama, willst Du auch mich dem
lebendigen Tod weihen?"
Kind. Kind!" sagte die Mutter,
und suchte vergeblich die Tochter abzu-
wehren. Bleibe ruhig und füge Dich
m das Unabänderliche."
Unabänderlich! Mama, hast Du
denn auch kein Herz für mich?"
Sie schrie es heraus in Verzweiflung
und Schmerz. Die Mutter hatte sich
auf einen Stuhl zunächst dem Fenster
gesetzt, das Mädchen war auf die
Knieen niedcrgeglitten und umfaßte ihre
Hüften.
Was soll ich machen, Kind?" sagte
die Mutter mit ungewohnter Weichheit
in der stimme. Tröste Dich damit.
daß die Pflicht, die von altersher un
seren Geschlechtern eigen gewesen ist,
Alles ertragen läßt. Denke, daß Tu
aus einem alten Patrizierhause bist,
und daß dies Loos nicht nur Dich, son
dein Viele vor Dir schon getroffen hat;
es ift eben das Loos der Frauen. Sollen
wir, die wir stolz auf unser Bürger
thum sind, uns vom Adel beschämen
lasten?"
Aber ich kann den Mann nicht hei
rathen, habe doch Erbarmen, ich liebe
ihn nicht!"
Haben Dein Pater und ich uns denn
geliebt? Dasselbe, was Tu hier durch
kämpfen mußt, hab' auch ich einst ge-
litten. Doch die Liebe ist eine Jugend
thorheit, sie verfliegt vor dem Stolz der
Pflichterfüllung und vor der Achtung, die
Du dem arbeitsamen Manne entgegen-
dringen wirst."
Laut weinend barg da Mädchen
seinen Kopf in den Schooß der Mutter.
Die ernste Frau schwieg, ihre Augen
glänzten feucht, wie sie über das Leid
deh einzigen Kindes hinmegschaute in
den mondbcfchiknenen Garten. Sie
wußte, daß hier nichts zu ändern war;
das Oberhaupt der Familie hatte be
schloffen, und ihm mußte gehorcht wer
den; so war es Brauch von altersher.
Die Ulmen dort drunten rauschten
im Nachtmind, als schüttelten sie die
Seufzer aus, die sie feit Menschenaltcrn
hier erlauscht, aber von jenseits der
Mauer zogen die Düfte der Akazien her
über, süß und heiß, wie das Leben und
die Liebe, ..
Am andern Tage ftahl sich Clara
mit dem sinkenden Nachmittag wieder
in den Garten. Sie wollte noch ein
mal den Freund sehen und von ihm
Abschied nehmen, wenn denn Alles vor
bei war.
Sie erzählte ihm Alles, und seine.
Augen funkelten, sein Gesicht war vom
Zorn gerothet.
So hat es mir Großmutter gestern
schon vorgestellt, und sie hat bitterlich
geweint. Aber halt... wann geht
oenn Die Periovung vor fich ?"
Morgen wird sie publicirt und
gleichzeitig wird die Thür hier ver
nagelt, dann sind wir für immer ge
trennt, Alfred."
Morgen !" rief er und fuhr sich mit
der Hand durch'S Haar, während zwei
helle Thränen über feine Wangen liefen.
Was hilft mir mein Eramen nun.
was alle Aussichten, wo ich Tir icdt
nichts bieten kann. O, daß man so jung
sein muß ! Nur etwas älter und Alles
wüie gut !"
Weine nicht. Alfred. Tu hast ein
schönes hoffnungsvolle? Leben vor Tir
mit streben und Ringen und Gluck
und Erfolg. Laß uns still von einander
gehe und vergiß mich ! Noch eine Bitte: i
gieb mir einige Akazienblülhen als letz-
tes Andenken an Tich. sie haben mir!
gestern mit ihren, Tust einen Gruß von
Dir gebracht, sie waren die ersten Jen
gen uiisercr Freundschast."
Als sie die Blüthen in Händen hielt
und ihn dankend anblickte, beugte er
sich zu ihr und küßte sie sanft auf die
bebenden Lippen. Sie wehrte ihm
nicht. Tann ein kurzer Händedruck und
Clara ging ohne umzuschauen schnell
dem Hause zu,
Sie hatte die Alazienbliithcn vor dem
Busen gesteckt und saß in dem großen
Fainiliciiziminer, still mit sich ringend
und doch stets den Geliebten vor Augen,
während der Abend sie dichicr und dich
ter in seine Schatten hüllte.
Nach einiger Zeit erschienen die Eltern
im Zimmer und gleich daraus der
Großvater. Er blieb an der Thür
stehen und hielt den Athem an.
Hier stinkt es mal ! Seit wann ist
es Mode hier im Hause, stark riechende
Blumen in's Zimmer zu bringen? Und
Du bist es gar Maniscllchen, woher hast
Du die Bluincii?"
Clara erhob sich und wollte hinaus
gehen. Ter Alte vertrat ihr den Weg.
Antworten sollst D mir."
Sie stand hoch und schlank vor ihm
in ihren Augen blitzte ein plötzlicher
Trotz, es war die Verzweiflung bei
Opferthiercs.
teie sind das letzte Andenlcn an
meine Liebe, die ich Dir opfern mußte;
mißgönnst Tu mir auch das? So
nimm die Akazienbluthen denn an
noch, dann hast Du Allcsl"
Damit reichte sie dem Alten den
Strauß. Er fuhr zurück war es der
Zorn über den Trotz der Enkelin oder
war es etwas Anderes?"
Akazienbluthen ! ' murmelte er
dumpf, dann griff er nach einem Halt.
Sein Sohn stützte ihn und ließ ihn aus
einen Stuhl gleite, während die Mut
ter Licht brachte.
Im Schein der Lampe saß der alte
Mann schweigend da, den Blick unver-
wandt auf die Blüthen gerichtet, die er
in Handen hielt; zuweilen stöhnte er
schwer. Die Familie stand um ihn
herum, angstvoll schweigend.
Da meldete das Madchen, eine alte
Dame sei durch den Garten gekommen
und wünsche Herrn Witt, sen., zu spre
chen. Durch den Garten?" fragte er wie
abwesend, die Augen weit geöffnet.
Laßt sie herein."
Im nächsten Augenblick trat eine
alte, würdige Matrone in's Zimmer,
das Gesicht von Runzeln durchfurcht.
Die weißen Haare unter einer Haube
mit grünen Bündern erborgen. Ihr
Gang war schwer und sie stützte sich auf
einen Sonnenschirm.
Clara kannte sie: es war Alfred's
Großmutter.
Nach einem stummen Kopsneigcn gs
gen die Familie trat sie auf den Greis
zu und faßte seine Hand.
Kennst Du mich nicht mehr, Lebe
recht?" Er fuhr mit der Hand über die Stirn
und sah sie narr an
Woher kommst Du?" stammelle er.
als rede er mit einem Gespenst
Durch die Mauerpsorte, die unsere
Garten verbindet und sie morgen für
immer trennen soll. Jahr um Jahr
haben wir neben einander gewohnt, ich
wollte Dich nicht stören und habe es ver-
mieden. Dir zu begegnen. Aber heute,
wo es für unsere Enkel ist, muß ich den
Gang wagen. Leberecht, ist Dein Herz
versteinert? Hast Du vergessen, daß
auch Dir ein Frühling geblüht hat?
Denlst Du nicht mehr der Sonntage,
als Du hoch zu Roß nach der Mühle
hinaus rittest und ein blondes Mädchen
Dich hinter dem Heckenzaun erwartete?
Und denkst Du nicht mehr der Thränen,
die Du geweint beim letzten Abschied,
als Deines Vaters Befehl uns für im
mer von einander riß? Wie hast. Tu
geflucht auf ihn, auf Dein Haus!"
Die Akazienblllthen!" murmelte er.
Wohl, die Akazienblüthen! Akazien
blüthen waren das letzte, was das
blonde Müllerskind Dir an den Rock
steckte, Akazien waren das erste, was ich
an die Mauer zwischen unsere Gärten
pflanzte, als ich mit meinem seligen
Mann das Haus hinter dem Deinem
bezog. Und als heute mein Enkel sein
großes qualvolles Leid vor mir aus-
schüttete und mir gestand, daß auch er
mit einigen Akazicnblüthen von Liebe
und Glück geschieden war, wie wir da
mals, Leberecht. Tu und ich, da hielt
es mich nicht, da mußte ich zu Tir kam
men und an Tich eine Frage stellen.
Der alte Mann war in sich zusam-
mengesunkcn, dicke Thränen liefen über!
sein faltiges Gesicht und die sonst fest'
geschaffenen Lippen hatten sich bebend
von einander gelost.
Was willst Tu?" stöhnte er,
Tich fragen, ob auch das Leid sich
von Geschlecht zu Geschlecht vererben
muß, ob auch unsere Enkelkinder elend
werden müssen, weil wir unglücklich
wurden? Sollen die Akazien immer als
Trennung zwischen uns stehen? Und
wenn unsere Todesstunde kommt, sollen
wir das Bewußtsein mit hinüber neh
men, daß wir unseren Enkeln noch ihr
Lebcnsglück zerstört haben, wie es uns
zerstört wurde?"
Da erhob er das Haupt und sah die
alte Frau lange an. Tann leuchtete
ein Schein stillen Glückes über sein Ge
sicht. Er wollte reden, aber die Stimme
versagte ihm, und krampfhaft schluch-
zend drückte er die Hand der alten Tame
an seine Livven. Sie ließ ihm ibre
Rechte und legte die Linke zärtlich um
seine Schulter.'
Leberecht. ich danke Tir. Darf ich
meinen Enkel rufen, der in banger Er-
wartnng an der Mauer unter den Aka
zienbaiittic steht?"
Er schüttelte, immer noch schluchzend,
den Kops. Tau erhob er sich vom Sitz,
bot der alte Tarne dc Arm und
winkte der Familie zu folgen.
Tranken über dem Garte lag die
klare Soniinernacht gebreilet. Ter
Mond ivnr noch nicht aiifgegangen,
aber die Sterne blinkten am hellen Fit
mainent.
Der alte Herr ging rüstig voran bis
an die weit geöffnete Muucrthür. schaute
hindurch und winlte dem dort warten
den jungen Man. Als der schüchtern
näher trat, erhäschte der Alte seine Hand
und leg e sie mit der Rechten Clara'S
zusammen.
In Arbeit und Pflicht habe ich ein
ganzes freudenloses Leben verthan
strenge nd hart bin ich, aber nicht
schlecht! Mein Hans, mein Geschäft
war nur Alles, aber Euer Glück steht
hoher. Nun bedankt Euch bei der Groß
mutter." Der Nachtwind war stärker anfge
kommen und fuhr durch den Epheu,
daß die Blüthen wispernd aneinander
schlugen; die Ulmen rauschten srenndlich
und die Luft war mit Alaziendüften
er füllt.
Vielleicht ahnten sie, daß der Schöpfer
des hentigen Glückes noch als Urgroß
vater den künftigen Chef des alten Hau
scs Joachim Lebrccht Witt as feinen
Knien wiegen werde.
Schwiegertöchter chwicracr
müttcr in l,h.
Daß es in China für junge Frauen
ein unfehlbares Mittel giebt, sich im
Kampse mit ihren Schwiegermüttern
um die Herrschest im Hause den voll
ständigen Sieg zu sichern, zeigt Herr
von Brandt, der frühere deutsche Ge
sandte in Peking, in seinen Sittenbil
der aus China (Mädchen und Frauen;
ein Beitrag zur Kenntniß des chine
fischen Volkes". Stuttgart 1895, Ver
lag von Strecker und Moser) an einem
selbsterlcbten Fall. Nachdem der Ver
fasset aus einer amtlichen Knndgebung
des Statthalters von Hunan den Vor
schlag hervorgehoben hat, eine besondere
Strafe sllr die Ermordunq Verlobter
Kinder unter 14 Jahren durch ihre
Schwiegermutter festzusetzen, fahrt er
fort: Für eine junge Frau giebt es
freilich noch eine andere Waffe, die ihr
ausreichenden Schutz und mehr als den
gewährt; wenn sie nämlich die Fähigkeit
besitzt, zu jeder Zeit und bei der gering
sten Veranlassung einen solchen Lärm
zu erheben, daß, wie der Chinese sagt,
Niemand mehr weiß, wo Osten oder
Westen sei, Menschen und Thiere um
fallen. Berge zittern und die Erde er-
bebt. Ich habe selbst einmal einem
solchen Kampse um die Oberherrschaft
beigewohnt, nd die Scene wird mir
unvergeßlich bleiben. Ich wollte in
Tungchau mein Boot besteigen, um nach
Tientsin zu fahren, als ein gellendes.
alle Nerven erschütterndes Geschrei einer
Frauenstimme meine Ausmerksamkeit
auf sich zog; vom Dache meines Bootes
aus konnte ich eine junge, hübsche, höch
stens zwanzig Jahre zählende Frau auf
der Erde sitzen sehen, die da schrie, was
das Zeug halten wollte, während sie da
bei mit dem Oberkörper sich hin- und
herwiegte und mit den flachen Händen
aus die Erde schlug; ringsherum stand
ein weiter Kreis ersichtlich in hohe,
Grade gespannter und amüsirter mann
licher Zuschauer, welche die weitere Ent
Wicklung des Vorfalls mit Interesse z
verfolgen schienen. Eine Frage an
meine Tiener belehrte mich, daß es sich
um eine junge Frau handle, die mit
ihrer Schwiegermutter einen Streit ge
habt habe; in der That sah ich auch
bald auf dem Verdeck eines naheliegen
den Bootes zivei Männer und eine Frau
stehen, die von Zeit zu Zeit durch kräf
tige Zwischenruse, die stets eine erheb
lichc Vermehrung des Geschreis der an-
deren Partei zur Folge hatten, der jun
gen Frau sekundirten.
?!achdcm die fcjcne ungcsayr eine
Viertelstunde gedauert hatte, schien sich
der Ehemann sllr verpflichtet zu halten,
ihr ein Ende zu machen; er durchbrach
den Kreis der Zuschauer und näherte
sich seiner Frau, deren Geschrei bei jedem
Schritt, den er vorwärts that, um einen
Ton höher und schriller wurde. Ter
Mann war ein junger hübscher Bursche,
dem man es ansehen konnte, wie unan-
genehm und in ihrem Ersolge zweifel
hast ihm die Ausgabe ei chten, seiner
ehelichen Autorität Gcllung zu verschaf-
sen. Als fein längeres, wie es schien,
sehr freundliches Zureden unbeachtet
blieb, faßte er seine Frau beim Kleide,
um sie auf und fortzuziehen, was einen
so gellenden Antlchm zur Folge hatte,
daß er zum größten Vergnügen der grin
senden Zuschauer erschrocken zurück
prallte. Nachdem er den Versuch noch
zwei Mal mit ebenso geringem Erfolge
miederholt hatte, zog er sich, äußerst be
schämt und dumm aussehend, als ge
schlagen zurück, was seine Gattin voran
anlaßte. ihr Geschrei zu verdoppeln.
Nach einigen Minuten erschien der
Schwiegervater auf dein Kampfplatze,
mußte aber ebensalls sehr bald ohne Er-
fola abziehen. Da
Interesse der .ju-
( 4rn im 1 1 r4vi rli.4t(ii4 tirih fiiilCTt ft.i
. t(,,mini., ?iv,.nM nia firfi nrfi
einem kurn Gelvrücd mit den beiden
Mannern der Familie die chwieqer-
mama in hoch eigener Person zur
Mischung entschloß. Sowie die alte,
Tame den Fuß aus das Brett setzte, das ,
vom Boot nach dem Lande gelegt war.
schlug die Schwiegertochter ein schnelleres
Tempo an. das sich auch durch ern wo-j
möglich noch lautere Gcbriill kiindgab.
Die Schwiegermutter hatte jedoch, i,
reits ehe sie in der Nähe des T öchlerch,,,
angelangt war. jeden Gedanke ,
Kamps mifgegebe nd war ersichtlich
nur noch darauf bedacht, den Friede
unter möglichst günstigen Bedingung,-,,
für sich zu erlange, womit der junge,,
Tame indessen nicht gedient z sn
schien.
Endlich, nachdem die Geschichte jurt..
drei Viertelstunden gedauert halte. a
wukdc der Friede abgeschlossen; A)mt
gcrtöchterchen stand aus, in, ans d,c
zärtlich besorgte Mama gestützt, mich
dem Faniilikttheim, dem Boot, zn,,t
zukehren, aber noch zweimal machte s,r
unterwegs Halt, setzte sich hin und bc
gnnn ihr Lied von Neuem, bis sie
schließlich als ancrkannte Siegerin in
den Schooß ihrer Familie znrücklehrie.
Das höchlichst ainttsirte Publikum zer
streute sich lachend, und meine Tic
crllärte, daß die junge Frau zwar ei
neu sehr schlechten Charakter habe, daß
sie i Ziikiinst aber die Herrin im Hanse
sein werde. Wenn die Fr im Hanse
herrscht, sagt der Chinese, kräht die
Henne."
Pine Reise durch kivet.
Von einer Reise durch Tibet sind St,
George Littledale, seine Fr und deren
Neffe', 20. A. FIctchcr, wohlbehalten
nach England zurückgekehrt. Die Reise
wurde iin Herbst 1894 angetreten. Von
Kashgaraus durch das Küeulingebirgr
den Cherchenfluß entlang betrat man
mit einer große Karawane von Pscr
den, Acauleseln und Eseln den Norden
Tibets und folgte dann nach Westen zu
der vom Prinzen Henry von Orleans
und Bonvalol gemachten Route. Zwei
Monate lang reiste man über eine Hoch
fläche von 5700 Meter, und bei ihrer
Annäherung an Lhasa war sogar ein
schwieriger Paß in 0(144 Meter Höhe z
überwinden. Die Beschwerden waren
hier sehr groß, und namentlich die Dame
litt sehr darunter. Von 100 Thieren
erreichten nur etwa 20 Stück die Höhe
von Lhasa. Viele Sammlungen muß
ten daher im Stiche gelassen werden;
nur eine schöne Sammlung von Vogel-
balgen wurde glucklich heimgebracht.
Durch den oben erivähnten Paß gelang
es, bis aus etwa 100 .Kilometer sich
Lhasa zu nähern, also näher heranzu-
kommen, als es einem Europäer seit
Abbe Hc gelungen ist. Dies geschah
nicht ohne Gefahr, denn als die Reisen
den den Paß hinter sich gclaffcn, vertra
tcn ihnen 250 mit Luntcngewehren Be
wafsnete den Weg und drohte zu schie
ßen, falls die Reisenden nicht unikehr
ten. Trotzdem nur drei bewaffnete
Sepoys die Reisenden begleiteten, drang
man durch die Schaar hindurch, ohne
daß einer von ihnen einen Schuß abgab.
, Man hätte Lhasa erreicht, wären nicht
die Esel mit den Lebensrnitteln zu lange
ausgeblieben. Ties und das Beflnden
von Frau Littledale war der Grund,
der nun wachsam gewordenen Bevölke
rung gegenüber nicht gewachsen zu sein.
Man beschloß, westwärts nach Ladak ab
zubicgen. Anfangs wollten die Tibeta
ner es erzwingen, daß die Reisenden
auf demselben Wege über den Paß zu
rückgingen, doch da man dies verwei
gerte und sest dabei blieb, erlaubten sie
es schließlich, daß ein anderer Weg ein
geschlagen wurde. Man wandte sich
nordwestlich zum Tengrnior und der in
der Richtung .nach Ladak liegenden
Scengruppe zu ünd gelangte schließlich
nach Srinagar. Ist also auch dieser
Versuch, Lhasa zu erreichen, nicht ge
glückt, so sind doch auf dem Hin- und
Rückwege unerforschte Gebiete berührt,
die gut in Karte gebracht wurden.
Tkr Zahnarzt und sein Patient.
Einer unserer Zahnärzte, so berichtet
die Wiener Preffe", liebt es, während
der Operationen, die er in üblicher
Weise vorniinnit und die begreiflicher
weise nicht zu den angenehmen Tingcn
dieser Welt gehören, heitere Geschichten
zu erzählen. Als ich noch ganz jung
war und erst kurze Zeit meinen Beruf
ausübte," so berichtete er unlängst,
arbeitete ich aushilfsweise für einen
Freund einige Wochen auf dem Lande.
Eines Tages erschien in der Ordina
tionsstunde ein Bauer, ein vierschröti
qer, muskulöser, vollblütiger Patron,
einer jener Menschen, deren Zähne bei-
lausig ebenso leicht zu ziehen sind, wie
die Wurzeln eines Eichenbaumes. Als
er sich niedersetzte, fragte er : Wird die
itacbe weh thun! Ich wagte nicht.
die Frage rundweg zu verneinen, und
machte einen cherz. Wenn es cht
weh thut," sagte ich. brauchen cie
mir gar nichts zu bezahlen." Und da
mit packte ich den Zahn. Aber die
Sache ging nicht so leicht. Ich mußte
ein paarmal ansetzen und ihn schließlich
gehörig umdrehen, bis er heruuslaum.
Ter Mann machte ein Gesicht aber
er sprach lein Wort und spülte nur das
Blut aus der Wunde. Nun," fragte
ich schließlich, hat es weh gethan?"
O, nicht im Geringsten," sagte der,
Bauer, erhob sich und ging feiner Wege.
Ich eilte ihm zwar in den Empfangs
saal nach, aber es nützte nichts, er hielt
mich beim Worte, und die Wartenden
lachten mich aus So, da ift Ihr
Racket! Auch ein netter Kerl.
eit
chcrze
Zeit also mache ich niemals
mit kmpsindliiyen Patienten "
Sclbwcchänd!,.
Lehrer: Und w o kommt der Tinten
Ich vor?
Schüler irakch): O. natürlich im
schwarzen Meer!
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