Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 12, 1896, Image 10
IlfajicnMiitljcn. Po i! u d m i g (' 10 ( t i. Ties vom Weste l,cr bestrahlte die Nachmittaqssoiinc den hohen schlanken ZrexpkNgicbel, der sich, ei feste Wahr zeichen des alten UnusinannShanses, das er schmückte, in die Ilare Lust des Som mertages erhob. Er warf, wie eine sinstere Brustwehr gegen das Licht der Sonne ausacstellt. seinen dunllcn Lchat ten aus den Hof und den von diesem durch ein erhöhtes Gitter abgetrennten Garten, der, in feiner ganzen Länge von hohen Häuscrwünden eingefaßt, sich bi an das von der jenseitigen Straße Kr durchachendc virund tiick erstreckte. Hier aus der Grenzlinie der beiden Gar- itn war eine etwa anderthalb manns langen hohe Mauer aus Backsteinen er richtet. Da nur von mt zu ISnt ich ein Sonnenblick zwischen den schlanken Mit- dein der Vorderhäuser hindurch oder über die Hintcrmauer hinüber wagte, so war der große Garten stets lUylseuchl und mußte jedes heiteren Blumen schmuckes entrathe; nur hohe, dickstüm mige Ulmen breiteten ihre dunkclbe laubte Krone über den Rase, strnp piges Gebüsch kroch an den Maliern entlang, und dichter, schwarzer Epheu, wohl Jahrhunderte alt, hatte die mäch tige Mauer bis unter den Dachsrist überspanne. Nur einmal im Friih jähr betrat der Gärtner dieses stille Reich, um das modrige Hcrbstlaub vom Rasen und den hartgetretenen Steigen zu harken, sonst wuchs und gedieh das Pflanzenwerk nach alter Weise, wie es vielleicht schon gegrünt hatte, als noch die schwertumgiirtcten hansischen Han delsherren in pelzverbrämten Patrizier- Wämsern mit ihren blonden Frauen zwischen diesen altersgrauen Mauern gewandelt waren. Die Ulmen hatten Generation um Generation gerandiuhen sehen und aus blonde und weiße Häup- icr lhre Schatten geworfen. Ob sie aber je ein so goldblonde Köpfchen gesehen hatten, wie jenes, das in dieser Nachmitlaqsstunde iiber den Hof daherkam? Das junge Mädchen, dem eö gehörte, warf vor der Gitter- Pforte noch einen spähenden Blick nach dem Hause zuriick und betrat dann haftig den Garten, mit schnellen Schrit tcn über die harten Steige hahineilend. bis an die Mauer, die das Nachbar- arundftück von dem diesseitigen trennte, An einer Stelle, wo der Epheu lichter gewachsen war, ließ eine alte, ver- morschte, in verrosteten Angeln hto gende Thür einen Spalt, vor dem das Mädchen Halt machte. Es drückte einen Augenblick die Hand auf den heftig wo genden Busen und warf gleichzeitig wieder einen schüchternen Blick nach dem Hause zurück. Die Zeit war noch nicht gar so lange vergangen, wo das Mädchen an dieser Stelle ohne Sorge stehen blieb, bis der muntere Freund von jener Seite ihm half, die Thür so weit zurückzuschieben, daß der Spalt groß genug war zum Durchschlüpfen. Der Freund ließ auch heute nicht auf sich warten. Bist Du da, Clara?" Jawohl, Alfred, aber ich. . . " Was aber?" rief die männliche Stimme, dann wich die alte Thür einem kräftigen Druck, knarrend und auf dem Boden schurrend, und in dem deren Mauerdurchqang erschien die Gestalt eines hochgewachsenen, schlan len, jungen Mannes mit blondem Bart. Nun, was ängstigst Du Dich, Clara?" fragte er, aus der gebückten Stellung sich aufrichtend. Die Thür ' machte so laute e räusche." Das hat sie doch immer gethan." Ja, aber, ach Alfred, offen heraus: mir ist es verboten. Dich hier ferner zu treffen." So, hat der gestrenge Herr Groß Papa..," Nein, einstweilen Papa, aber er wird es dem Großvater sagen, wenn ich nicht gehorche, und mir ahnt, sie führen etwas im Schilde." Ueber Alfred's freundliches Gesicht glitt ein Schatten des Unmuths und der Sorge, doch gleich darauf ward es wie- der licht. .Wenn Tu Dich fürchtest, Clara komm' in unseren Garten, da sind wir sicher. Das Mädchen blickte sich noch einmal um und lieg sich dann durch da, Mauerloch ziehen. Drüben sah es anders aus. Blühende Rofenftöcke, Beete mit Heliotrop, Rc eda und Glocksinien unterbrachen das ein tönige satte Grün des Rasens, die Mauern waren von wildem und an der Sonnenseite von echtem Wein über jogen.dcrdieerstenTrauben ansetzte. Vor der Mauer, durch derenOeffnung die bei den jungen Menschen eben hervortraten, stand eine Reihe weißdlühender Akazien, die ihre Tüste unter die übrigen des Gartens mischten. Als Clara an der Seite des Jugendfreundes in der von blühender Klematis übersponnenen Laube saß. sah sie einige Zeit schweigend vor sich hin und ließ ihre Blicke an den Akazien haften. Tann ergriff sie die Hand des greundes. Alfred, weißt Tu noch, wie wir unter diesen Akazien uns zuerst trafen, als ich. sümjährig. die Mauerpsorte entdeckt halte und Tu mir dann halfst, sie so weit aufzurütteln, daß ich zu Tir lammen und mich in dieser mir fremden Welt umschauen konnte?" ! Und nun tauschten sie alte Erinne rungen aus, wie sie seit jener Zeit eng befreundet waren, nachdem Alfred alte Großmutter Elara gclicblost und sie als Spiellameradi ihrem Enkel empsohlcn hatte. Wie der Thiirspalt anfangs nur so weit, daß ein zierlicher Kindcrlcib durchschlüpsen konnte, mit der Zeit größer und größer ward, wie sie zusammen bald in diesem, bald in jene, Garten gespielt, bald auf der Diele des alten ffaufmannshauses sich in der mächtigen, in Ketten hängenden Wange geschaukelt und aus den sieben Laacrböden zw, chen den Säcken mhev geklettert waren. Wie sie im Winter bei der liebevollen Großmutter ge e cn, die Clara ganz in ihr Herz geschloffen halte. Bis dann die Jahre kamen, wo sie in stets vertraulichem Austausch ihrer Leiden stiller neben einander hergegan gen und schließlich, als Alfred mit acht' zehn Jahren die Universität bezog, nur in den Ferien sich sahen. Alle frohen Stunden, alles Glück hatte Elara bei Alsred, seinen Eltern und der alten Großmutter gefunden, und nun sollte ein Strich dahinter gemacht werden Alles vorbei sein, weil der Großvater Clara's es wollte. Das darf nicht sein," rief Alfred, nicht jetzt, wo ich nach bestandenem Ezamen wahr machen kann, was wir einst als Kinder bei Mann- und Frau Spiel uns gelobt!" Sie laben ich innig Auge in s Auge, während der Abendwind um die Laube strich und die großen blauen Blüthen der Clematis leise schaukelte. Sie merk ten nicht, daß es Abend geworden war und die Schatten der Dämmerung sich senkten. Dann fuhren sie jüh auf, als von drüben her eine Stimme rief: Clara, Clara, wo bist Du?" O weh, nun haben sie Deine Abwe- senheit bemerkt." Laß nur, Alfred, es muß zur Aus- spräche kommen, am besten noch heute Abend. Wir können doch nicht von ein ander laßen. Also bis morgen Nach mittags!" Noch ein flüchtiger Händedruck, dann war die schlanke Mädchcngestalt durch das Mauerloch verschwunden. Die Akazien schüttelten sich im Abendwind und ließen einen weißen Regen nieder rieseln, als Clara unter ihnen hindurch schritt. Aus dem Hof trat die Mutier ihr ent gegen. Wo warst Du?" fragte sie strenge. Wieder drüben, trotzdem Papa es ver boten! Die Strafe für Deinen Ungehor sam wird nun nicht ausbleiben. Groß vater erwartet Dich in seinem Comptoir, geh' nur zu ihm." Klopfenden Herzens trat Clara in das Privatbureau ihres Großaters. Der Raum war dämmerig, fast dunkel, durch den oberen Theil des hohen Fen sters drang das Licht des Abends, wah rend der untere durch bleigesaßte Butzen scheiden abgeschloffen war. Vor seinem Schreibtisch stand der alte Herr in dem langen schwarzen Flausrock, das bart lose faltige Gesicht mit der hohen Stirn, die volle weiße Haare krönten, schaute strenge aus der schwarzen Halsbinde heraus, und die weißen Spitzen des Va termörders standen drohend zu beiden Seiten des herbe geschlossenen Mundes. Er hatte soeben seine Bücher in den Geldschrank geschlossen; jetzt wandte er ich der eintretenden Enkelin zu. Mein liebes Kind," redcle er sie mit seiner scharfen Baßstimme an, ich wollte ein ernstes Wort mit Tir reden. Setz Dich mal da drüben hm. Ich muß Dir nämlich gestehen, daß Dein Herumtreiben mit dem Jüngling von drüben durchaus ungehörig ist. Er ist mir zwar nie sympathisch gewesen, aber. da er Dein einziger Umgang war, so habe ich gelitten, daß Du mit ihm spiel teft, denn Tu solltest Deine Kindheit genießen. Aber die Kinderzeiten sind nun vorbei, Tu bist nun erwachsen und der Ernst des Lebens beginnt. Du weißt, daß Du aus dem alten Hause Joachim Leberecht Witt bist und daß Tu Pflichten gegen dies Haus hast antworte mir, weißt Du dass" Ja, Großpapa," sagte Clara schüch tern. Gut. Sieh mal. Du bist alt ge nug, daß ich Dir das sagen kann. Es kommt jetzt die Zeit, wo Du an's Hei- rathen denken mußt, Deine Eltern ha- bcn ja leider keinen Sohn, der das Ge- schäst weiterführen kann, daher bist Tu verpflichtet, die alten Familientraditio nen zu wahren und durch Heirath eines tüchtigen Mannes das Geschäft der Fa milie zu erhalten. Ich hoffe, Tu kennst Deine Verantwortung und wirft Dich des Hauses Joachim Lcbebrecht Witt würdig zeigen." Clara sah schweigend vor sich nieder. Der alte Herr fuhr in seiner trocken salbungsvollen Rede fort. Ich habe mit Deinem Vater Rück- spräche genommen, und wir haben uns geeinigt, daß Tu Dich mit unserem Prokuristen verlobst. Er ist ein sehr tüchtiges Mitglied unseres Comptoirs seit zwanzig Jahren und aus alter guter Familie, die ja leider das Unglück hatte, vor fünfundzwanzig Jahren, wie der Sohn eingesegnet war und ls Lehr linq in's Geschäft eintreten sollte, zu falliren. Er ift ein ernster Mann von vierzig Jahren, bereit, zu seinem Na men auch den unseren zu führen, und so wird der alte Name Deinen Kindern erhalten bleiben." Clara sah mit sprachlosem Entsetzen den Großvater an ; der Alte mochte in der Tunkclheit ihre Gesichtszüge nicht mehr erkennen und ihr Schmelzen als, Zustimmung nehmen. ' Ich freue mich mein Kind, daß Tu so verständig bist, mir Recht zu gebe. Tu wirst nun einsehen, daß Dein Ver kehr mit dem jungen Mann von drü be aufhören muß. Abgesehen davon, daß die Familie nicht zu den älteren der Stadt gehört, mir ist sie sonst ja uube kaniit, wäre eine Verbindung Deiner seits mit dem Jüngling, selbst wen T einen Bruder hättest, ausgcschlos sen, da er, wie Tu sagtest, Mcdiciner ist, und ein Mädchen aus dem Haus Joachim Lebcrecht Witt nur einen Kaufmann oder Juristen heirathe kann, der einmal Aussicht hätte, in den Senat der Stadt zu kommen. Also Du verstehst mich, nicht mehr? wo, jetzt geh' mein Kind, ich komme gleich nach," Er wandte sich zu seinem Schreibtisch und sah nicht, wie die Enkelin hinaus wankte, kreidebleich, einer Ohnmacht nahe. Beim Abendessen saß sie stumm apa- thetisch, Niemand beachtete sie als die Mutter, die zuweilen einen besorgten Blick auf das Mädchen warf. Der Vater und Großvater unterhielten sich geschäftlich. Als Clara in ihr Schlaf- zunmer ging, folgte in die Mutter. Clara," sagte ne strenge, weißt Tu nicht, daß die Bestimmungen des Groß aters Dir heilig sein müssen?" Clara schwieg und lehnte am Fenster, die Augen durch die geöffneten Flügel hinausgerichtet auf den Garten, über den der Mond sein fahles Licht ergoßn wie er so zwischen die ephcubewachsenen Mauern hineinschien, war es, als leuch- tete er in ein offenes Grab. Der N'acht wind schauerte durch die Wipsel der Ulmen und trug einen berauschenden Dust vom Nachbargarten her, der kam von den Akazien, die ihre weiß durch Wütheten Kronen über die Mauer reckten. Clara sog den Duft mit wcitgcöfsne- ter Brust ein: Grüße von ihm! Und plötzlich wandte sie sich ttzr Mutter zu, die hinter sie getreten war, und warf sich stürmisch an ihren Hals. Mama, willst Du auch mich dem lebendigen Tod weihen?" Kind. Kind!" sagte die Mutter, und suchte vergeblich die Tochter abzu- wehren. Bleibe ruhig und füge Dich m das Unabänderliche." Unabänderlich! Mama, hast Du denn auch kein Herz für mich?" Sie schrie es heraus in Verzweiflung und Schmerz. Die Mutter hatte sich auf einen Stuhl zunächst dem Fenster gesetzt, das Mädchen war auf die Knieen niedcrgeglitten und umfaßte ihre Hüften. Was soll ich machen, Kind?" sagte die Mutter mit ungewohnter Weichheit in der stimme. Tröste Dich damit. daß die Pflicht, die von altersher un seren Geschlechtern eigen gewesen ist, Alles ertragen läßt. Denke, daß Tu aus einem alten Patrizierhause bist, und daß dies Loos nicht nur Dich, son dein Viele vor Dir schon getroffen hat; es ift eben das Loos der Frauen. Sollen wir, die wir stolz auf unser Bürger thum sind, uns vom Adel beschämen lasten?" Aber ich kann den Mann nicht hei rathen, habe doch Erbarmen, ich liebe ihn nicht!" Haben Dein Pater und ich uns denn geliebt? Dasselbe, was Tu hier durch kämpfen mußt, hab' auch ich einst ge- litten. Doch die Liebe ist eine Jugend thorheit, sie verfliegt vor dem Stolz der Pflichterfüllung und vor der Achtung, die Du dem arbeitsamen Manne entgegen- dringen wirst." Laut weinend barg da Mädchen seinen Kopf in den Schooß der Mutter. Die ernste Frau schwieg, ihre Augen glänzten feucht, wie sie über das Leid deh einzigen Kindes hinmegschaute in den mondbcfchiknenen Garten. Sie wußte, daß hier nichts zu ändern war; das Oberhaupt der Familie hatte be schloffen, und ihm mußte gehorcht wer den; so war es Brauch von altersher. Die Ulmen dort drunten rauschten im Nachtmind, als schüttelten sie die Seufzer aus, die sie feit Menschenaltcrn hier erlauscht, aber von jenseits der Mauer zogen die Düfte der Akazien her über, süß und heiß, wie das Leben und die Liebe, .. Am andern Tage ftahl sich Clara mit dem sinkenden Nachmittag wieder in den Garten. Sie wollte noch ein mal den Freund sehen und von ihm Abschied nehmen, wenn denn Alles vor bei war. Sie erzählte ihm Alles, und seine. Augen funkelten, sein Gesicht war vom Zorn gerothet. So hat es mir Großmutter gestern schon vorgestellt, und sie hat bitterlich geweint. Aber halt... wann geht oenn Die Periovung vor fich ?" Morgen wird sie publicirt und gleichzeitig wird die Thür hier ver nagelt, dann sind wir für immer ge trennt, Alfred." Morgen !" rief er und fuhr sich mit der Hand durch'S Haar, während zwei helle Thränen über feine Wangen liefen. Was hilft mir mein Eramen nun. was alle Aussichten, wo ich Tir icdt nichts bieten kann. O, daß man so jung sein muß ! Nur etwas älter und Alles wüie gut !" Weine nicht. Alfred. Tu hast ein schönes hoffnungsvolle? Leben vor Tir mit streben und Ringen und Gluck und Erfolg. Laß uns still von einander gehe und vergiß mich ! Noch eine Bitte: i gieb mir einige Akazienblülhen als letz- tes Andenken an Tich. sie haben mir! gestern mit ihren, Tust einen Gruß von Dir gebracht, sie waren die ersten Jen gen uiisercr Freundschast." Als sie die Blüthen in Händen hielt und ihn dankend anblickte, beugte er sich zu ihr und küßte sie sanft auf die bebenden Lippen. Sie wehrte ihm nicht. Tann ein kurzer Händedruck und Clara ging ohne umzuschauen schnell dem Hause zu, Sie hatte die Alazienbliithcn vor dem Busen gesteckt und saß in dem großen Fainiliciiziminer, still mit sich ringend und doch stets den Geliebten vor Augen, während der Abend sie dichicr und dich ter in seine Schatten hüllte. Nach einiger Zeit erschienen die Eltern im Zimmer und gleich daraus der Großvater. Er blieb an der Thür stehen und hielt den Athem an. Hier stinkt es mal ! Seit wann ist es Mode hier im Hause, stark riechende Blumen in's Zimmer zu bringen? Und Du bist es gar Maniscllchen, woher hast Du die Bluincii?" Clara erhob sich und wollte hinaus gehen. Ter Alte vertrat ihr den Weg. Antworten sollst D mir." Sie stand hoch und schlank vor ihm in ihren Augen blitzte ein plötzlicher Trotz, es war die Verzweiflung bei Opferthiercs. teie sind das letzte Andenlcn an meine Liebe, die ich Dir opfern mußte; mißgönnst Tu mir auch das? So nimm die Akazienbluthen denn an noch, dann hast Du Allcsl" Damit reichte sie dem Alten den Strauß. Er fuhr zurück war es der Zorn über den Trotz der Enkelin oder war es etwas Anderes?" Akazienbluthen ! ' murmelte er dumpf, dann griff er nach einem Halt. Sein Sohn stützte ihn und ließ ihn aus einen Stuhl gleite, während die Mut ter Licht brachte. Im Schein der Lampe saß der alte Mann schweigend da, den Blick unver- wandt auf die Blüthen gerichtet, die er in Handen hielt; zuweilen stöhnte er schwer. Die Familie stand um ihn herum, angstvoll schweigend. Da meldete das Madchen, eine alte Dame sei durch den Garten gekommen und wünsche Herrn Witt, sen., zu spre chen. Durch den Garten?" fragte er wie abwesend, die Augen weit geöffnet. Laßt sie herein." Im nächsten Augenblick trat eine alte, würdige Matrone in's Zimmer, das Gesicht von Runzeln durchfurcht. Die weißen Haare unter einer Haube mit grünen Bündern erborgen. Ihr Gang war schwer und sie stützte sich auf einen Sonnenschirm. Clara kannte sie: es war Alfred's Großmutter. Nach einem stummen Kopsneigcn gs gen die Familie trat sie auf den Greis zu und faßte seine Hand. Kennst Du mich nicht mehr, Lebe recht?" Er fuhr mit der Hand über die Stirn und sah sie narr an Woher kommst Du?" stammelle er. als rede er mit einem Gespenst Durch die Mauerpsorte, die unsere Garten verbindet und sie morgen für immer trennen soll. Jahr um Jahr haben wir neben einander gewohnt, ich wollte Dich nicht stören und habe es ver- mieden. Dir zu begegnen. Aber heute, wo es für unsere Enkel ist, muß ich den Gang wagen. Leberecht, ist Dein Herz versteinert? Hast Du vergessen, daß auch Dir ein Frühling geblüht hat? Denlst Du nicht mehr der Sonntage, als Du hoch zu Roß nach der Mühle hinaus rittest und ein blondes Mädchen Dich hinter dem Heckenzaun erwartete? Und denkst Du nicht mehr der Thränen, die Du geweint beim letzten Abschied, als Deines Vaters Befehl uns für im mer von einander riß? Wie hast. Tu geflucht auf ihn, auf Dein Haus!" Die Akazienblllthen!" murmelte er. Wohl, die Akazienblüthen! Akazien blüthen waren das letzte, was das blonde Müllerskind Dir an den Rock steckte, Akazien waren das erste, was ich an die Mauer zwischen unsere Gärten pflanzte, als ich mit meinem seligen Mann das Haus hinter dem Deinem bezog. Und als heute mein Enkel sein großes qualvolles Leid vor mir aus- schüttete und mir gestand, daß auch er mit einigen Akazicnblüthen von Liebe und Glück geschieden war, wie wir da mals, Leberecht. Tu und ich, da hielt es mich nicht, da mußte ich zu Tir kam men und an Tich eine Frage stellen. Der alte Mann war in sich zusam- mengesunkcn, dicke Thränen liefen über! sein faltiges Gesicht und die sonst fest' geschaffenen Lippen hatten sich bebend von einander gelost. Was willst Tu?" stöhnte er, Tich fragen, ob auch das Leid sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben muß, ob auch unsere Enkelkinder elend werden müssen, weil wir unglücklich wurden? Sollen die Akazien immer als Trennung zwischen uns stehen? Und wenn unsere Todesstunde kommt, sollen wir das Bewußtsein mit hinüber neh men, daß wir unseren Enkeln noch ihr Lebcnsglück zerstört haben, wie es uns zerstört wurde?" Da erhob er das Haupt und sah die alte Frau lange an. Tann leuchtete ein Schein stillen Glückes über sein Ge sicht. Er wollte reden, aber die Stimme versagte ihm, und krampfhaft schluch- zend drückte er die Hand der alten Tame an seine Livven. Sie ließ ihm ibre Rechte und legte die Linke zärtlich um seine Schulter.' Leberecht. ich danke Tir. Darf ich meinen Enkel rufen, der in banger Er- wartnng an der Mauer unter den Aka zienbaiittic steht?" Er schüttelte, immer noch schluchzend, den Kops. Tau erhob er sich vom Sitz, bot der alte Tarne dc Arm und winkte der Familie zu folgen. Tranken über dem Garte lag die klare Soniinernacht gebreilet. Ter Mond ivnr noch nicht aiifgegangen, aber die Sterne blinkten am hellen Fit mainent. Der alte Herr ging rüstig voran bis an die weit geöffnete Muucrthür. schaute hindurch und winlte dem dort warten den jungen Man. Als der schüchtern näher trat, erhäschte der Alte seine Hand und leg e sie mit der Rechten Clara'S zusammen. In Arbeit und Pflicht habe ich ein ganzes freudenloses Leben verthan strenge nd hart bin ich, aber nicht schlecht! Mein Hans, mein Geschäft war nur Alles, aber Euer Glück steht hoher. Nun bedankt Euch bei der Groß mutter." Der Nachtwind war stärker anfge kommen und fuhr durch den Epheu, daß die Blüthen wispernd aneinander schlugen; die Ulmen rauschten srenndlich und die Luft war mit Alaziendüften er füllt. Vielleicht ahnten sie, daß der Schöpfer des hentigen Glückes noch als Urgroß vater den künftigen Chef des alten Hau scs Joachim Lebrccht Witt as feinen Knien wiegen werde. Schwiegertöchter chwicracr müttcr in l,h. Daß es in China für junge Frauen ein unfehlbares Mittel giebt, sich im Kampse mit ihren Schwiegermüttern um die Herrschest im Hause den voll ständigen Sieg zu sichern, zeigt Herr von Brandt, der frühere deutsche Ge sandte in Peking, in seinen Sittenbil der aus China (Mädchen und Frauen; ein Beitrag zur Kenntniß des chine fischen Volkes". Stuttgart 1895, Ver lag von Strecker und Moser) an einem selbsterlcbten Fall. Nachdem der Ver fasset aus einer amtlichen Knndgebung des Statthalters von Hunan den Vor schlag hervorgehoben hat, eine besondere Strafe sllr die Ermordunq Verlobter Kinder unter 14 Jahren durch ihre Schwiegermutter festzusetzen, fahrt er fort: Für eine junge Frau giebt es freilich noch eine andere Waffe, die ihr ausreichenden Schutz und mehr als den gewährt; wenn sie nämlich die Fähigkeit besitzt, zu jeder Zeit und bei der gering sten Veranlassung einen solchen Lärm zu erheben, daß, wie der Chinese sagt, Niemand mehr weiß, wo Osten oder Westen sei, Menschen und Thiere um fallen. Berge zittern und die Erde er- bebt. Ich habe selbst einmal einem solchen Kampse um die Oberherrschaft beigewohnt, nd die Scene wird mir unvergeßlich bleiben. Ich wollte in Tungchau mein Boot besteigen, um nach Tientsin zu fahren, als ein gellendes. alle Nerven erschütterndes Geschrei einer Frauenstimme meine Ausmerksamkeit auf sich zog; vom Dache meines Bootes aus konnte ich eine junge, hübsche, höch stens zwanzig Jahre zählende Frau auf der Erde sitzen sehen, die da schrie, was das Zeug halten wollte, während sie da bei mit dem Oberkörper sich hin- und herwiegte und mit den flachen Händen aus die Erde schlug; ringsherum stand ein weiter Kreis ersichtlich in hohe, Grade gespannter und amüsirter mann licher Zuschauer, welche die weitere Ent Wicklung des Vorfalls mit Interesse z verfolgen schienen. Eine Frage an meine Tiener belehrte mich, daß es sich um eine junge Frau handle, die mit ihrer Schwiegermutter einen Streit ge habt habe; in der That sah ich auch bald auf dem Verdeck eines naheliegen den Bootes zivei Männer und eine Frau stehen, die von Zeit zu Zeit durch kräf tige Zwischenruse, die stets eine erheb lichc Vermehrung des Geschreis der an- deren Partei zur Folge hatten, der jun gen Frau sekundirten. ?!achdcm die fcjcne ungcsayr eine Viertelstunde gedauert hatte, schien sich der Ehemann sllr verpflichtet zu halten, ihr ein Ende zu machen; er durchbrach den Kreis der Zuschauer und näherte sich seiner Frau, deren Geschrei bei jedem Schritt, den er vorwärts that, um einen Ton höher und schriller wurde. Ter Mann war ein junger hübscher Bursche, dem man es ansehen konnte, wie unan- genehm und in ihrem Ersolge zweifel hast ihm die Ausgabe ei chten, seiner ehelichen Autorität Gcllung zu verschaf- sen. Als fein längeres, wie es schien, sehr freundliches Zureden unbeachtet blieb, faßte er seine Frau beim Kleide, um sie auf und fortzuziehen, was einen so gellenden Antlchm zur Folge hatte, daß er zum größten Vergnügen der grin senden Zuschauer erschrocken zurück prallte. Nachdem er den Versuch noch zwei Mal mit ebenso geringem Erfolge miederholt hatte, zog er sich, äußerst be schämt und dumm aussehend, als ge schlagen zurück, was seine Gattin voran anlaßte. ihr Geschrei zu verdoppeln. Nach einigen Minuten erschien der Schwiegervater auf dein Kampfplatze, mußte aber ebensalls sehr bald ohne Er- fola abziehen. Da Interesse der .ju- ( 4rn im 1 1 r4vi rli.4t(ii4 tirih fiiilCTt ft.i . t(,,mini., ?iv,.nM nia firfi nrfi einem kurn Gelvrücd mit den beiden Mannern der Familie die chwieqer- mama in hoch eigener Person zur Mischung entschloß. Sowie die alte, Tame den Fuß aus das Brett setzte, das , vom Boot nach dem Lande gelegt war. schlug die Schwiegertochter ein schnelleres Tempo an. das sich auch durch ern wo-j möglich noch lautere Gcbriill kiindgab. Die Schwiegermutter hatte jedoch, i, reits ehe sie in der Nähe des T öchlerch,,, angelangt war. jeden Gedanke , Kamps mifgegebe nd war ersichtlich nur noch darauf bedacht, den Friede unter möglichst günstigen Bedingung,-,, für sich zu erlange, womit der junge,, Tame indessen nicht gedient z sn schien. Endlich, nachdem die Geschichte jurt.. drei Viertelstunden gedauert halte. a wukdc der Friede abgeschlossen; A)mt gcrtöchterchen stand aus, in, ans d,c zärtlich besorgte Mama gestützt, mich dem Faniilikttheim, dem Boot, zn,,t zukehren, aber noch zweimal machte s,r unterwegs Halt, setzte sich hin und bc gnnn ihr Lied von Neuem, bis sie schließlich als ancrkannte Siegerin in den Schooß ihrer Familie znrücklehrie. Das höchlichst ainttsirte Publikum zer streute sich lachend, und meine Tic crllärte, daß die junge Frau zwar ei neu sehr schlechten Charakter habe, daß sie i Ziikiinst aber die Herrin im Hanse sein werde. Wenn die Fr im Hanse herrscht, sagt der Chinese, kräht die Henne." Pine Reise durch kivet. Von einer Reise durch Tibet sind St, George Littledale, seine Fr und deren Neffe', 20. A. FIctchcr, wohlbehalten nach England zurückgekehrt. Die Reise wurde iin Herbst 1894 angetreten. Von Kashgaraus durch das Küeulingebirgr den Cherchenfluß entlang betrat man mit einer große Karawane von Pscr den, Acauleseln und Eseln den Norden Tibets und folgte dann nach Westen zu der vom Prinzen Henry von Orleans und Bonvalol gemachten Route. Zwei Monate lang reiste man über eine Hoch fläche von 5700 Meter, und bei ihrer Annäherung an Lhasa war sogar ein schwieriger Paß in 0(144 Meter Höhe z überwinden. Die Beschwerden waren hier sehr groß, und namentlich die Dame litt sehr darunter. Von 100 Thieren erreichten nur etwa 20 Stück die Höhe von Lhasa. Viele Sammlungen muß ten daher im Stiche gelassen werden; nur eine schöne Sammlung von Vogel- balgen wurde glucklich heimgebracht. Durch den oben erivähnten Paß gelang es, bis aus etwa 100 .Kilometer sich Lhasa zu nähern, also näher heranzu- kommen, als es einem Europäer seit Abbe Hc gelungen ist. Dies geschah nicht ohne Gefahr, denn als die Reisen den den Paß hinter sich gclaffcn, vertra tcn ihnen 250 mit Luntcngewehren Be wafsnete den Weg und drohte zu schie ßen, falls die Reisenden nicht unikehr ten. Trotzdem nur drei bewaffnete Sepoys die Reisenden begleiteten, drang man durch die Schaar hindurch, ohne daß einer von ihnen einen Schuß abgab. , Man hätte Lhasa erreicht, wären nicht die Esel mit den Lebensrnitteln zu lange ausgeblieben. Ties und das Beflnden von Frau Littledale war der Grund, der nun wachsam gewordenen Bevölke rung gegenüber nicht gewachsen zu sein. Man beschloß, westwärts nach Ladak ab zubicgen. Anfangs wollten die Tibeta ner es erzwingen, daß die Reisenden auf demselben Wege über den Paß zu rückgingen, doch da man dies verwei gerte und sest dabei blieb, erlaubten sie es schließlich, daß ein anderer Weg ein geschlagen wurde. Man wandte sich nordwestlich zum Tengrnior und der in der Richtung .nach Ladak liegenden Scengruppe zu ünd gelangte schließlich nach Srinagar. Ist also auch dieser Versuch, Lhasa zu erreichen, nicht ge glückt, so sind doch auf dem Hin- und Rückwege unerforschte Gebiete berührt, die gut in Karte gebracht wurden. Tkr Zahnarzt und sein Patient. Einer unserer Zahnärzte, so berichtet die Wiener Preffe", liebt es, während der Operationen, die er in üblicher Weise vorniinnit und die begreiflicher weise nicht zu den angenehmen Tingcn dieser Welt gehören, heitere Geschichten zu erzählen. Als ich noch ganz jung war und erst kurze Zeit meinen Beruf ausübte," so berichtete er unlängst, arbeitete ich aushilfsweise für einen Freund einige Wochen auf dem Lande. Eines Tages erschien in der Ordina tionsstunde ein Bauer, ein vierschröti qer, muskulöser, vollblütiger Patron, einer jener Menschen, deren Zähne bei- lausig ebenso leicht zu ziehen sind, wie die Wurzeln eines Eichenbaumes. Als er sich niedersetzte, fragte er : Wird die itacbe weh thun! Ich wagte nicht. die Frage rundweg zu verneinen, und machte einen cherz. Wenn es cht weh thut," sagte ich. brauchen cie mir gar nichts zu bezahlen." Und da mit packte ich den Zahn. Aber die Sache ging nicht so leicht. Ich mußte ein paarmal ansetzen und ihn schließlich gehörig umdrehen, bis er heruuslaum. Ter Mann machte ein Gesicht aber er sprach lein Wort und spülte nur das Blut aus der Wunde. Nun," fragte ich schließlich, hat es weh gethan?" O, nicht im Geringsten," sagte der, Bauer, erhob sich und ging feiner Wege. Ich eilte ihm zwar in den Empfangs saal nach, aber es nützte nichts, er hielt mich beim Worte, und die Wartenden lachten mich aus So, da ift Ihr Racket! Auch ein netter Kerl. eit chcrze Zeit also mache ich niemals mit kmpsindliiyen Patienten " Sclbwcchänd!,. Lehrer: Und w o kommt der Tinten Ich vor? Schüler irakch): O. natürlich im schwarzen Meer! t. i T V o