Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, January 09, 1896, Image 10

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    Ein schwierig Geschäftsbrief.
AuS dcm Eiigttjchk von R, B.
Es ist seltsam, wie einc oberflächlich
binacivortcnc Bemerkiina oft denjenigen.
n den sie acricktet ist, in Ausrulir
bringt, ohne daß der, dessen Lippen sie-;
entflohen ist, sich ngenö elwas irnne
dabei aedacbt bat.
So ging es Richard Denham, als
ihm ein Geschäftsfreund eines Tages im
Laufe des Gespräches sagte: Sie sind
ein reicher Mann, Herr Denham, und
auf dem besten Wege, Millionär zu
werden." Der Mann hatte nicht ac
glaubt, Denham damit Neues oder
jleberraschendes gesagt zu haben, aber
rs war so. Richard Denham stammte
aus einer Familie, in der sich von Ge,
neration zu Generation die Armuth
vererbte. Er selbst hatte sein Leben lang
mit ihr gekämpst, stets in der Angfl,
doch noch von ihr übermannt zu werden.
bis er sie schließlich besiegt hatte, ohne
kick des befreienden Ge iihls seines Sie
ges bewußt zu werden. Er hatte raft
los gearbeitet, ohne sich eine Ruhe zu
gönnen, oder zuruiizubllaen aus das,
was er geschaffen, und so war es gekom
men, daß ihm die zufällige Bemerkung
eines Bekannten sein eigenes Glück der-
künden mußte. Er athmete tief aus.
wie ein Wettrenner, der gesiegt hat und
nun frei Athem holen kann. So in
Gedanken vertiest war er, daß er seinen
Kasnrer nicht bemerkte, der den
zur Thüre herein streckte und, wie jeden
Abend gefragt! Haben Sie noch etwas
für mich zu thun, Herr Denham?"
Denham fuhr empor, als verstände
er diese Frage nicht, obgleich er sie doch
seit fahren ieden Abend gehört hatte
Wie, was meinen Sie ?" rief er
fragend.
Der Kassirer 'war, obgleich hoch er
staunt, zu wohlerzogen, um es zu zd
gen.
.Haben Sie noch etwas für mich zu
thun, Herr Denham?" wiederholte er
Ach so! Nein, Rogcrs, danke, es ist
nichts mehr!"
..Gute Nacht. Herr Denham!"
Sie meinen? Ach so, ja. Gute
Nacht, lieber Rogers."
Die Straße, in die Denham hinaus
trat, hatte heute sür ihn ein ganz ande
res Aussehen als sonst. Er schaute die
eleganten Häuser an und dachte dabei,
daß er auch so eines kaufen könne, wenn
er wolle. Er sah Equipagen vorbeisah-
ren, und es ftel ihm ein. daß er ein
reicher Mann sei und auch eine Equi-
Page haben könne, wenn er Lust hätte,
denn was sollte er mit einem großen
Haus und einer eleganten Equipage
machen? Hatte er doch keinen Menschen,
den er hätte einladen können, in sein
Haus zu kommen oder mit ihm spazie
ren zu fahren! Und da fiel ihm in sei
nem Reichthum plötzlich ein, wie ganz
allein er in der Welt stand.
Auch daran zu denken, hatte er bis
jetzt keine Zeit gehabt; nun aber, wo er
hätte genießen können, fehlte ihm ein
Freund, einer, mit dem er seinen Reich
thum theilen konnte. Wohl hatte er!
einige Gcschäftssreunde, von denen wohl
die meisten ein Haus und eine Familie
hatten, aber er tonnte keinen dieser Ge-
schäftsfreunde sagen: Laden Sie mich
ein in Ihr Haus! Ich brauche Men-
Ichen; ich bin so einsam!"
Und selbst wenn man ihn eingeladen
hätte, so hatte er nicht gewußt, was er
mit sich anfangen sollte. Denn er war
heimisch im Eontor, er kannte dessen
Sprache; der Salon aber war ihm ein
unbekanntes Land, und sremd waren
ihm seine Sitten. Er fühlte, daß sich bei
dem Kampfe mit der Armuth etwas
nicht hatte mit entwickeln können, was
zu lernen jetzt unwiederbringlich war.
Erft gestern hatte er einen seiner jungen
Leute, der nicht gewußt, daß er in Hör
weite war, von ihm, als von dem AI-
ten," sprechen hören, und obgleich er sich
so srisch suhlte, wie immer, wollte ihm
das böse Wort nicht aus dem Sinn.
Als er jetzt die Straßen verließ und
im Freien wanderte, nahm er den Hut
von seinem Kopse und strich mit der
Hand durch sein sruh ergrautes Haar.
Er dachte an die Vergangenheit, und
a stieg das Bift eines Mädchens vor
keinem inneren Auge aus, daS ihn viel
leicht geheirathet hätte, wenn er den
Muth gehabt hätte, die Frage zu thun.
Aber er hatte den Muth nicht gehabt,
kenn das war von jeher an dem Un-
glück der Denham's schuld gewesen: sie
hatten alle, nur mit Ausnahme von ihm
selbst, jung geheirathet und hatten sich
dadurch nicht empor arbeiten können,
sondern waren in Armuth und Elend
gestorben.
Das Mädchen hatte einen Bäcker ge,
heirathet; 0, wie lange Zeit das her
war? Ja, der junge Mann hatte ganz
recht, ihn den Alten" zu nennen!
Da sah er plötzlich ein andere? Mü
chen vor teinem eiste stehen, ein mo
Kernes Mädchen, anders wie jene, die
den Bäcker heirathete. Sie war das ein
zige weibliche Wesen, das er kannte und
mit dem er sprach, und das nur, weil
sie in seinem Geschäft die Schreibmaschine
bediente.
Fräulein Gale war ein hübsche Mäd
chen, natürlich! denn alle Mädchen, die
an der Schreibmaschine sitzen, find
hübsch, und man wußte im Geschast,
daß sie aus guter Familie sei, deren
Verhältnisse sich verschlechtert hatten.
Ihr ruhiges, sicheres Benehmen bcftä
tigte diese Ansicht und hielt die jungen
Leute in e,pelt,
Ci mrtr in tvrft.tahtii& ?17.iK,5n
die. nachdem sie herausgefunden batte. wc". daß ihre Achtung dor DenhamS
daß die Handhabung der -chr.jb.,Ber,tande beträchtlich sank. Plötzlich
Maschine lohnender sei, als Klakicr
Unterricht zu geben, sich dcm ersteren
lacwandt hatte.
Richard Denham setzte sich aus eine
Bank und suhr sich wiederholt mit der
Hand über die Stirn.
Warum nicht?" fragte er sich. E
gab keinen Grund, der dagegen sprach,
außer dem einzigen, daß ihm der Muth
zu der entscheidenden Frage sehlcn
würde. TroKdem war er fest ent chlos-
scn, es zu thun.
Der nächste Tag verlief in gewohnter
Weise. Briefe kamen und wurden
beantwortet und, wie jeden Tag zur
bestimmten Ktunde, kam grauiein
Gale in das Privat-Contor Denham 3,
um zu fragen ob sie noch etwas (fei-
den sollte. Denham zögerte, er fühlte,
daß ein Gcschäftslokal nicht der passende
Ort für eine Liebenserklärung sei, aber
er wußte, daß er aukerhald des lw
schästes noch verlegener sein würde.
Außerdem hatte er überhaupt keinen
Grund, das Mädchen zu Hause aufzu-
suchen ; so blieb ihm also keine Waht
entweder hier und jetzt, oder niemals !
Setzen Sie sich einen Augenblick,
Fräulein Gale", sagte er, ich möchte
Sie um Ihre Meinung in einer Angc-
legeuhcit einer geschäftlichen Angele
genheit, befragen."
Fräulein Gale setzte sich, nahm den
Bleistift zum Stenographiren in die
Hand, legte das Heft auf die Knie und
blickte ihren Ehcf fragend an. Den
Hain, der vor Verlegenheit nicht still
sitzen konnte, sprang auf und fuhr sich
mit der Hand durch die Haare.
Ich gehe mit dem Gedanken um",
begann er schließlich, mir einen Socius
zu nehmen. Das Geschäft geht gut,
schon seit langer Zeit
So?" sagte Fräulein Gale fra-
acnd.
Ja. Ich halte es sür richtig, mir
einen Socius zu nehmen, und darüber
wollte ich auch mit Ihnen spreche
Wäre es nicht bester, Sie besprä
chen das mit Herrn Rogers? Er kennt
das Geschäft doch bester als ich ; doch
vielleicht soll er selbst der Socius sein?"
Nein, er ist es nicht. Rogers ist ein
gulcr jw ircr, aver nein, nein, er
ist es nicht !"
Tann denke ich doch, daß Sie in
einer so wichtigen Sache Herrn Rogers
oder jemand anders, der so geschäfts
kundig ist wie er, um Rath befragen
ollen
Ich brauche eigentlich gar keinen
ww, denn im vin eni qio e, mir
einen Socius zu nehmen, d. h. wenn
derselbe es will
Es wurde Denham heiß, die Sache
war doch weit schmieriger, als er ge-
glaubt hatte.
Darpi handelt es sich wohl um das
Kapital, das der Socius in das Ge
schäst geben soll?" fragte Fräulein
Gale, bemuht, ihm zn hellen.
Nein, nein, es ist mir nicht um das
Kapital zu thun ! Ich habe selber eie-
niig, und das Geschäft wirst jährlich so
und soviel ab, Fräulein viale.
Das Mädchen blickte ihn erstaunt an.
Sie wollen doch nicht Ihren Nutzen
mit einem Socius theilen, der Ihnen
kein Kapital dazu bringt?" fragte sie.
Doch, das beabsichtige ich, denn ich
brauche, wie gesagt, nicht mehr Kapi
tal." O, wenn Sie das wollen, dann soll-
ten Sie sich doch lieber erst mit Herrn
RogerS berathen, ehe Sie sich binden!
Rogers würde das nicht verstehen.
Ich fürchte, ich verstehe auch nicht,
wie man so etwas thun kann. ES er
scheint mir närrisch, wenn ich sagen
oll, was ich denke.
Ja, thun Sie das, bitte! Aber es ist
lange nicht so närrisch, wie Sie denken.
Ich hätte mir schon längst einen Socius
nehmen sollen und bin jetzt auch ent
schlossen, den Fehler gutzumachen."
Tann weiß ich nicht, wozu ich dabei
nöthig bin, wenn Sie doch schon ent-
schlollen sind !"
O doch; ich brauche Sie dazu. Ich
lureyie, da mein Anerbieten zurückge
wiesen wird."
Es wird aber sicher angenommen,
wenn der Betreffende bei Beistand ist.
Solch ein Anerbieten wird doch keiner
zurückweisen! Das sinket sich nicht alle
jage! Ta können sie ganz sicher sein!
O, glauben Sie wirklich, Fräulein
Gale? ES ist mir lieb, das von Ihnen
zu hören. Um was ich Sie besragen
wollte, das ist die Form des mnbit
tcns. Ich möchte dasselbe recht ja,
wie soll ich sagen? recht zartfühlend
stellen, sodaß es nicht beleidigt und nicht
zurückgewieien werden kann.
Sie wünschen also, daß ich ihm einen
Brief chreibet"
Jawohl, jawohl," rief Denham be
friedigt aus. Er hatte zwar nicht da
ran gedacht, einen Brief zu senden, jetzt
aber schien es ihm das beste Mittel, aus
dieser fürchterlichen Verlegenheit heraus
zukommen.
Haben Sie schon mit ihm darüber
gesprochen?
Mit ihm? Worüber?'
Mit Ihrem künstigen TociuZ über
das Anerbieten?
'm, 0 nein ; ich ich habe außer
mit Ihnen noch mit niemand darüber
gesprochen.
Und Sie wollen nicht mit Herrn
RogerS darüber sprechen, ehe Sie schrei
den."
.Nein. ES geht ZiogerS absolut nichts
an."
Nun. dann will ich schreiben," sagte
Fräulein Gale kurz, sich über ihr Hest
beugen. Es war ihrem Zone anzu
schaute sie auf: Wie hoch soll ich die
jährlichen Einlünste beziffern? Oder
wünschen Sie, daß das gar nicht er
wähnt wird?"
Nein, erwähnen Sie das lieber nicht.
Denn, sehen Sie, Fräulein Gale, ich
möchte das Verhältniß nicht auf einer
gesellschaftlichen Basis aufbauen, durch
aus nicht!"
..Auf was für einer Basis aber
denn?"
Ja, das kann ich nicht so recht sagen;
auf einer persönlichen Basis, vielleicht.
Ich hoffe, daß mein Socius gerne mein
Partner werdin möchte.
Also auf einer freundschaftlichen
Basis, wenn ich recht verstehe?
Jawohl, freundschaftlich, natürlich,
vielleicht noch mehr als daö!"
Fräulein Gale blickte ihn rathlos an:
Ja, warum wollen Sie ihm dann
nicht lieber ein paar Zeilen schreiben,
in denen Sie ihn um eine Unterredung
bitten? Dann können Sie alles münd
lich besprechen."
Denham erschrak!
Ach nein," sagte er, ich hatte auch
daran gedacht, aber es geht nicht, nein,
es geht wirklich nicht! Ich möchte lieber
alles schriftlich erledigen."
Ich fürchte, daß ich den Brief nicht
zu Ihrer Zufriedenheit schreiben kann.
Es sind so viele Schwierigkeiten zu über
winden. Der Bries ist so ungewöhn
lich." Das ist wahr, und gerade darum
habe ich mich an Sie gewandt, Fräulein
Gale. Sie sind die einzige, die mir hel
sen kann. Wenn Sie mit dem Brief
zufrieden sind, bin ich es auch."
Fräulein Gale schüttelte den Kopf,
schrieb einige Zeilen und fragte dann:
Wird das gehe,,?:
Sehr geehrter Herr!"
Einen Augenblick, bitte," rief Den
ham; finden Sie nicht, daß die Anrede
zu formell klingt? Ich möchte vielleicht
lieber sagen: Lieder Freund"!"
WieSie wünschen," erwiderte Fräu
lein Gale, verbesternd; dann fuhr sie
zu lesen sort:
Lieber Freund!"
Seit geraumer Zeit gehe ich mit
dem Gedanken um, mir einen Socius
zu nehmen, und bitte Sie, in Erwä
gng zu ziehen, ob Sie Lust hätten, bei
mir einzutreten. Das Geschäft ist seit
langem ein sehr einträgliches, und da
ich kein Kapital von Ihnen verlange.
hoffe ich, daß Sie mein Anerbieten vor-
theilhaft finden werden. Ich
Ich möchte es lieber nicht so haben,"
warf Denham zögernd ein. Es klingt,
als böte ich alle Vortheile, und der So
cius hin; Sie verstehen doch?"
Es ist doch
so!" antwortete
Fräulein Gale.
Schreiben Sie lieber vom freund
schaftlichen Standpunkte aus, wie Sie
selber vorschlugen, Fräulein Gale!"
Ich habe gar nichts vorgeschlagen.
Herr Denham, AVer wenn toie nur
lieber den Brief wörtlich diktiren woll-
ten! Ich wußte, daß ich ihn nicht zu
Ihrer Zufriedenheit würde schreiben
könnend
Ich bin vollkommen zufrieden, aber
ich denke an meinen zutünttigen Socius.
Sie haben den Brief vorzüglich geschrie
ben, weit besser, als ich es könnte, aber
seien Sie so gut, ihn etwas sreundschaft-
licher zu halten!
Einen Augenblick später las jvräulem
Gale:
bei mir einzutreten. Ich mache
Ihnen dies Anerbieten nicht vom ge-
schäftlichcn, sondern vom sreundschaft
lichen Standpunkte aus und hoffe,
Ihnen sympathisch genug zu sein, daß
Sie Lust haben, sich mit mir zu asjo-
ciiren."
Soll ich noch etwas hinzusügen,
iVrr tflptiTirtni?"
So ist es sehr gut! Werkn Sie nur
noch andeuten wollten, daß mich eine
abschlägige Antwort äußerst enttäuschen
wurde.
Jawohl, da? will ich", antwortete
das Mädchen, soll ich zeichnen: Ihr er-
gebener", der Ihr ganz ergebener?"
Schreiben Sie, bitte, Ihr Freund."
Fräulein Gale erließ das Zimmer,
und man hörte während einiger Minu
ten das schnelle Ticken der Schreib
Maschine aus dcm Nebenzimmer; dann
kam Fräulein Gale mit dem sertigen
Briefe zurück.
Soll der Brief kopirt werden?"
fragte sie.
Um HimmelSwillen, nein!" antwor
tete Denham, die hellen Schweißtropfen
auf der Stirne.
Er will die Sache vor Rogers der
heimlichen, natürlich, denn es ist ein
ganz unkaufmönnischer Vorschlag",
dachte Fräulein Gale, und laut sagte
sie: Haben Sie heute noch etwas sur
mich zu thun?"
Nein. Fräulein Gale, und nochmals
meinen besten Tank sür den Bries!"
Am nächsten Morgen trat Fräulein
Gale lächelnd in das Zimmer deS Prin
ziclals. Sie haben sich gestern Abend geirrt,
Herr Denham", sagte sie. einen Bries
au? der Tasche ziehend.
Wieso", fragte er, etwa? roth wer
dend.
Sie haben den Brief an mich ge
schickt. Ich erhielt ihn beute Morgen
und öffnete ihn, weil ich dachte, daß
Sie mich vielleicht heute nicht brauchten.
Ich sah aber gleich, daß Sie sich im
Eouvert geirrt hatten. Sollte ich heute
kommen?"
i&t schwebte ihm auf der Zunge, zu
sagen: Ich brauche Sie nicht nur beute,
sondern immer!" aber anstatt dessen
sagte er gar nichts, sondern er streckte
nur die Hand nach dcm Brief aus, um
sich von seinem Irrthum zu überzeugen.
Am nächsten Morgen erschien Fräu
lein Gale später, als gewöhnlich, und
legte mit erschrockenem Gesicht denselben
Brief vor Denham hin. Sie meinte
bestimmt, der arme Mann habe den
Beistand verloren, und sah eine Bestä
tigung dieser Annahme in dem verstör
ten Gesicht des Prinzipals, als sie ihin
sagte: Sie haben den Brief zum zwei
tcn Mal an mich geschickt, Herr Den
ham!" Der Muth der Verzweiflung beseelte
Deiiham plötzlich: Warum beantwor
ten Sie ihn denn nicht?" fragte er mit
rauher Stimme.
Sie wich einen Schritt zurück:
Beantworten?" fragte sie verständ
nißlos. Natürlich! Wenn ich einen Brief
zweimal erhalte, muß ich ihn doch be
antworte!" Was meinen Sie damit?" rief das
Mädchen, die Hand auf der Thür
klinke.
Genau das, was in dcm Briefe
steht. Ich möchte Sie zum Partner
haben, ich möchte Sie heirathcn! Zum
Teufel mit dcm Geschäftlichen."
O!" ricf das Mädchen, einen tiefen
Seufzer ausfioßend. Tann floh sie
aus dem Zimmer in ihr eigenes
Schreibmaschinen - Kontor, die Thür
schließend.
Richard Denham ging ruhelos in sei
nem Zimmer auf und ab, klopfte dann
an ihre Thür, aber ohne eine Antwort
zu erhalten. Er nahm feinen Hut vom
Stander und verließ das Geschäft. Als
er nach langem ziellosen Wandern zu
rückkai, begrüßte ihn der Kassirer mit
den Worten: Fräulein Gale ist fort,
Herr Denham!"
So?"
Ja, sie hat einen Brief hinterlassen;
sie kommt aber nicht wieder."
Es ist gut. Rogers!"
Er ging in sein Privat-Eontor und
fand auf seinem Pult einen Brief lie
gen, mit dcm Bermerk Privat"; er
riß ihn auf und las folgende, sauber
mit der Schreibmaschine geschriebenen
Zeilen:
Ich gebe meinen Platz an der
Schreibmaschine auf, da ich eine bessere
Offerte habe. Man hat mir die Stel
hing eines Socius in dem Geschäft von
Richard Denham angeboten, und ich
bin entschlosten, dieses Anerbieten an
zunehmen, weniger der finanziellen
Bortheile,halber, die diese Stellung die
tet, als vielmehr des freundschaftlichen
Verhältnisses wegen, in das ich zu dem
obcngenannten Herrn treten werde.
Warum mußten Sie mich so mit
dcm dummen Brief quälen, wo ein
paar Worte alles in Ordnung gebracht
hätten? Sie scheinen wirklich einen
Socius zu brauchen! Meine Mutter
wird sie jederzeit empfangen, die
Adresse haben Sie ja. Ihr Freund
Margarethe Gale.
Gehcimnißvolle Kräfte.
Unter dem Titel Geheimnißvollc
Kräfte" erzählt Graf Nikolaus Bcthlen
in einem ungarischen Blatte eine räth
selhafte Geschichte, die auf den Erleb
nisten eines französischen Richters be
ruht. Vor zehn Jahren hatte ich als Un
tersuchungsrichter meine Aufgabe in
einem entsetzlichen !vcoroprozeft vol
lendet; Tag und Nacht sah ich seit
Wochen im Geiste nur Leichen, Mord
sccnen und Blut. Zu meiner Erholung
suchte ich einen entlegenen Luftkurort
auf, wo es keine Kasino und keine
Eisenbahn giebt, nur alte Stellwagen;
ich spazierte den ganzen Tag in den
Waldungen herum, die dort eine rie
sige Ausdehnung haben, und verirrte
mich eines Abends derart, daß ich ganz
erschöpft war, als ich aus dem Walde
aus eine entlegene Straße gelangte, von
wo meine Wohnung noch zehn Kilometer
entfernt lag. Nächst der Straße befand
sich ein Eliiichrwirthshaus mit der
Firma: Zum guten Freund." Ich
trat ein und verlangte ein Nachtmahl.
Der Wirth und seine Frau hatten ein
verdächtiges Aussehen, und sonst war
kein menschliches Wesen im Hause zu
sehen. Nach dem herzlich schlechten
Essen verlangte ich eine Unterkunst, da
es bereits zu finster war, um den Heim
weg anzutreten; die Wirthin sllhrte mich
längs eines Ganges in ein Tachzimmer,
daS sich oberhalb des Stalles befand.
In dem Zimmer fand ich außer dem
Bette nur zwei Seffel und einen Tisch
mit einem Krua Waffer. Als vorsichti
ger Mann untersuchte ich das Zimmer
und fand eine Thur, die sich aus eine
Leiter im Freien, welche zur Stalltbür
sllhrte. öffnete. Ich verbarrikadirte die
Thür mit den Segeln und dem Tische,
ans welch' letzteren ich einen Krug
stellte, so daß man die Thür nicht oNnen
konnte, ohne den Tisch und Krug um,iit
werfen. Todtmüde verfiel ich in kiesen
Schlas; da erwachte ich plötzlich auf ein
großes Geräusch: eZ schimmerte Licht
durch das Schlüsselloch. Wer ist da?"
rief ich erschrocken. Keine Antwort;
tiefe Stille. Nach langer Zeit, gegen
Morgen zu, schlief ich endlich wieder ein
und hatte folgenden Traum:
ES schien mir. das man die Fallthür
öffnete; der Wirth erschien mit einem
großen Messer in der Hand und hinter
ihm die Frau mit einer Laterne, vor
welche sie ihre Hand hielt: der Wirth
nahte mit leisen Schritten und stieß sein
Messer in die Brust des Mannes, der
im Bette lag: der Wirth packle den Er
mordeten bei den Fußen und die Frau ,
beim Kopfe, und so trugen sie ihn die
Leiter hinunter. Der Wirth nahm den
Ring, an dem die Laterne hing, in den
Mund. In dem Augenblicke erwachte
ich. i Schweiß gebadet; die Sonne
stand schon hoch am Himmel. Ich
warf mich hastig in meine Kleider und
stürmte die Treppe hinunter: als ich
anf die Straße gelangte, sühltc ich mich
ganz erleichtert und eilte in meine Woh
iiiing in den Kurort.
Ich vergaß ganz meinen Traum;
nach drei Jahre las ich folgende Notiz:
Die Gäste dcS Kurortes X. befinden
sich in großer Aufregung; der Advokat
Viktor Armand ist seit acht Tagen, seit
er zu Fuß einen Ausflug in das Ge
birge machte, verschwunden: man fürch
tet, daß er verunglückt sei." In dem
Augenblick, als ich die Notiz las, crin
nerte ich mich meines Traumes. Noch
stärker ergriff mich diese Erinnerung,
als ich einige Tage später folgende Mit
thcilung fand:
Man ist ans der Spur des ver
schwundcnen Advokaten; er verbrachte
die Nacht vom 24. August im Einkehr
Wirthshaus Zum guten Freund". Ein
Fuhrmann hat ihn dort gesehen; Wirth
und Wirthin sind schlecht beleumdet;
vor sechs Jahren verschwand ein Eng'
ländcr in derselben Gegend; andererseits
hat ein Hirtenmädchen ausgesagt, daß
es am 20. August sah, wie die Wirthin
in einem Tuche unter dem Holze blutige
Leinentücher versteckte. Eine strenge
Untersuchung wird eingeleitet."
Eine innere Stimme flüsterte mir zu,
daß mein Traum zur Wirklichkeit ge
worden, und unwiderstehlich zog es
mich nach dcm Kurort X. Die Richter
bemühten sich dort, das Geheimniß zu
lüften, doch ein unzweifelhafter Beweis
konnte nicht gefunden werden. Ich traf
gerade den Tag in X. ein, als der Un
tersuchungsrichter die Wirthin verhörte,
und ersuchte ihn, zu gestatten, daß ich
dem Verhör beiwohne. Die Frau er
kannte mich nicht; sie bemerkte gar nicht
meine Anwesenheit. Sie sagte aus,
daß ein Herr am 24. August Abends im
Gasthaus weilte, aber die Nacht nicht
dort zugebracht habe; als Beweis ihrer
Aussage führte sie an, daß es im Gast
hause nur zwei Gastzimmer gebe, und
daß beide von Fuhrleuten besetzt waren;
eine Thatsache, welche die Betreffenden
in der Untersuchung bereits bestätigt
hatten. Da griff ich in das Verhör
plötzlich ei und ricf: Und das dritte
Zimmer über dem Stall !"
Die Frau schrak zusammen und schien
mich in dem Augenblick zu erkennen.
Ich fühlte mich wie inspirirt und fuhr
fort:
Viktor Arniand schlief in diesem
dritten Zimmer; Nachts kamen der
Wirth und Sie auf der Stallleiter in
das Zimmer, indem Sie die Fallthür
öffneten; Ihr Mann hielt ein Messer in
der Hand und Sie eine Laterne. Sie
blieben bei der Thür stehen, während
der Wirth den Reisenden ermordete und
ihm seine Uhr und sein Portefeuille
raubte."
Das war mein Traum vor drei Iah
ren ; mein Kollege, der Untersuchungs
richtcr, war ganz verblüfft ; die Frau
aber zitterte am ganzen Leib, ihre
Zähne klapperten vor Furcht und Ent
setzen sprach aus ihren Augen.
Tann" so sagte ich weiter
ergriff Ihr Mann die Leiche bei den
Füßen und Sie hielten den Kopf.
Beide trugen die Leiche auf der Leiter
hinunter: um zu leuchten, nahm der,
Wirth den Rina, an dem die Laterne
hing, in den Mund."
Leichenblaß stand die Wirthin vor
uns und murmelte unwillkürlich die
Worte: Der hat Alles gesehen !" Aber
sofort raffte sie sich auf. verweigerte
ihre Unterschrift auf das Protokoll und
sprach kein Wort mehr. Nun wurde
der Wirth vorgeführt. Mein Kollege
wiederholte ihm meine Erzählung ; der
Wirth glaubte, daß seine Frau ihn ver
rathen habe. Mit einem fürchterlichen
Fluche schrie er wüthend:
Die Elende soll es mir büßen !"
Mein Traum ist also nach drei Iah
ren bis in die kleinste Einzelheit wie
j. B., daß der Wirth den Ring der 2a
lerne in den Mund nahni zur Wirk
lichkeit geworden. Jin Stalle deS
Wirthshauses fand man unter dem
Kehrichthaufen vergraben die Leiche des
unglücklichen Victor Armand und noch
andere menschliche Gebeine, vielleicht
jene des vor sechs Jahren verschmunde-
nen Englanders. vir in eS immer,
als ob mir dasselbe Loos bestimmt ge
wesen Ware. In jener Nacht, als ich
träumte, habe ich wirklich durch das
Schlüsselloch das Licht schimmern sehen,
oder war da? auch nur ein Traum,
eine grauenhafte Vorahnung? Ich weiß
es nicht. Aber ich fühle auch, daß eine
geheimnißvolle Kraft mich als Werkzeug
benutzte, um ein Verbrechen an das
Tageslicht zu dringen das sonst unge
straft geblieben wäre. Und während
meines langjährigen Wirkens als Rich
ter hatte ich öfters Gelegenheit, zu er
fahren, daß der Verbrecher um feine
That zu verhüllen nicht allein mit
uns Menschen zu kämpfen hat, sondern
auch mit einer gcheimnißvollen Macht,
welche die Wissenschaft noch nickt zu er
gründen vermochte."
lie etzun, des ,, sch
erzählt der nun 7.',jährige Aesthetik
Mar Schasler in seinem vor Kurzem
erschienenen Buche Ueber ein halbes
Jahrhundert. Erinnerungsdilder eines
alten Burschenschailers". Schasler. der
sich gegen Ende der vierziger Jabr vcr
gedlich an der Universität Berlin zu ha-
bilitiien versucht Halle und wegen diese?
Mißcrsolgs in tiefe Verstimmung gera
thiN war, wurde von Seiten jtvij t
Bekannter, Namens Ernst Dohm uud
Rudolf Lömenstei, veranlaßt, einem
Vereine talentvoller und lustiger junger
Leite b.'izutrctk. Die kleine Gesellschaft
führte den Namen Rütlibnnd" und
pflegte sich Abends in der Restauration
Malassrn" an der Gertraiidtenbrücke
zusainmenziisinden. Außer Dohm und
Löwenstein gehörten zu ihr Knlifch,
TituS ilrich, Rudolf Gottfchatt und
seine Freundin Louise Aston, der Zeich
ner Wilhelm Scholz, der spätere Dan
ziger Oberbürgermeister v. Szepansti
und einige andere. Die (bespräche, die
in dieser Gesellschaft geführt wurden,
waren hauptsächlich politischen Inhalts,
an jedem Sonnabend aber verdichtete
sich die Unmasse von Witz und Satire
zu einer Kneipzeitung, Rütlizeitung"
genannt, die hauptsächlich von Dohm,
Löwenstein, Kalisch und Szcpanski ge
schrieben und von Wilhelm Scholz illu
strirt wnrde. Eines Sonnabend Abends
nun, erzählt Schasler, war beider Vor
lesimg auch der nachherige Verleger des
Kladderadatsch", Hosmann, damals
ein ganz mittelloser Buchhandler-Coin-mis,
anwesend. Das Unglück wollte,
daß Jemand aus Ungeschick ein volles
Bierseidel über die Rütli-Zeitung" er
goß und beides bei dem Rettungsversuch
aus die Erde geschleudert wurdc. Da
rief der Vorleser es war Szcpanski
plötzlich Kladderadatsch!" jenen alten
Berliner Ausruf für solche Affären,
wenn etwas zerbrochen oder verdorben
wird. Hoffniann, der schon bei einer
früheren Vorlesnng entzückt war über
den Reichthum an pikanten Witzen der
Riitlizeitung", griff das Wort Klad
deradatsch auf und erbot sich, ein satiri
sches Wochenblatt unter diesem Titel
herauszugeben." Der Plan wurde an
genommen und schon vom nächsten
Sonnabend an erschien der Kladdera
datsch," alle Tage, mit Ausnahme der
Wochentage". Die Mitarbeiter waren
die der Riitlizeitung", Ernst Dohm der
Redakteur. Der große Ausschwung, den
das ausgezeichnete Witzblatt schon sehr
bald nahm, ist bekannt.
Jfflands Riug.
Während seines Aufenthaltes in Zii
rich mußte der berühmte deutsche Schau
spieler Friedrich Haafe sich eine kleine
Anzapfung" von einem Züricher Jour
nalisten gefallen lassen. Wir reprodu
ziren hier nur einen der interessantesten
Punkte des Interviews, das in der N.
Z. Z." veröffentlicht wurde. Friedrich
Haase trägt einen Ring am Finger.
Das ist nun gerade nicht merkwürdig;
aber wohl ist es das, daß der Ring von
Jffland stammt. In einer altcrthttm
lichen Einfassung von Brillanten zeigt
er eine Gemme mit dem Bildniß des
Paters der deutschen Schauspielkunst.
Diesen Ring hat Jffland einst als Ge
schenk erhalten und bis zu seinem Tode
getragen. Als er sein Ende nahen
sühltc, bezeichnete er als seinen Nachsol
ger an der Berliner Hofbühne und als
Fortsetze! seines Lebenswerkes den da
mals noch unbekannten Ludwig De
vricnt, dem er als Unterpfand und als
Zeichen seines heiligen Vermächtniffcs
diesen Ring zu übergeben befahl. Lud
wig Devricnt trug diesen Ring bis zu
seinem Tode, und hinterließ ihn Theo
dor Döring, der den Reif ebenfalls bis
zu seinem Tode trug. Als Döring auf
seinem Sterbelager lag und seine Auf
lösung nahe fühlte, bat er seine Gattin.
das Kleinod seinem Freunde Friedrich
Haa,c zu uergeven.
So vcrerbte sich das Abzeichen der
höchsten Würde der deutschen Schaufpie
lerkunft, indem jeder Inhaber sich seinen
Nachfolger selbst wählt, von Jffland bis
anf Friedrich Haase gleich einer Kö
nigskrone", wie der Interviewer be
geistert hinzufügt.
Verdorben Luft.
Durch Versuche an Mäusen wurde
festgestellt, daß schon ein Kohlensäure
gehalt von l2 bis 14 Prozent ausreicht,
um die Thiere zu tödten. und zwar auch
dann, wenn dieses Kohlcnsäurequantum
einem Strom frischer Luft beigemengt
wurde. Ein Schlafzimmer, in dem auch
nur zwei bis drei Personen bei der
schlossenen Fenstern die Nacht derbrin
gen, ist am Morgen mit Kohlensäure
geschwängert es wundern sich so
manche Leute, daß sie am Morgen mit
eingenommenem" Kopfe erwachen und
merken nicht, daß das von dem Schla
fen in ungenügend erneuerter Lust
kommt nun denke man sich gar ein
Zimmer, in dcm eine ganze Familie
wohnt, arbeitet, schläft, und in dem wo
möglich noch gekocht wird im Winter
wegen der Wärme, im Sommer wegen
der Hitze und der Fliegen bei gcfchios
senen Fenstern: Daher rührt es um
großen Theile, daß die Frauen der un
tcren Stände so schnell verblühen und
nach der Geburt von einem bis zwei
Kindern schon wie alte Frauen aus
sehen, noch dazu bleich und abgezehrt;
ihre Männer sind wenigsten? den Tag
über in anderer Luft, sie aber halten
sich mit geringen Unterbrechungen Taa
und Nacht in dieser Atmosphäre aus.
die man nicht besser bezeichnen kann, 13
mit dem Ausdruck: Schleichendes
Gift!" Ein altes Sprichwort sagt nicht
umsonst: Oeffnet die Fenster in Eurem
HauS. so fliegen Apotheker und Arit
hinaus."
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Heringe sind
.Welche
testen?
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