Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, July 04, 1895, Image 9

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    tUuhlliÜT.
.'icurUitir von ;- i i IM
Ja. es it! eine ngentlnnnlLte Je;
schichte mit dem bruubma"er ! Taf,
Per Rhein feine Mucken bat, ist bekannt,
dafür ist er eben ein alt Herr; alte
Leute sind im irr wunderlich, besonder
wkNtt's auf irubjuftr geht, wenn
feuchte Winde aus Ersten wehen und
bis lifürsfimiu mit schart Zunge an
Eis und Schnee leckt, daß den Bergen
die Thränen über's (besicht rinnen, dunn
saßt den alten Herrn eine merkwürdige
Unruhe. Er dehnt sich, er reckt sich, er
streckt sich, er wachst, er schwillt, er greist
llder's User, schier, als ob er ein
ftanz gemeiner Vtongfiiuier sei und kein
ehrwürdiger Patriarch unter den (be
luassem. Und zieht dann gar noch der
Himmel seine schleusen aus und läf.t
den Regen herunter strömen, was so ge
ineinhin pladdern" oder mit dulden
gießen" heißt, dann ist eben in ein paar
lagen die netteste Ueberschwemmung
fertig, und die Menschen schreie Ach
und Cl). Tas kommt davon, ivarnin
setzen sie sich dem Rhein aus die Nase !
'Was eine Rkeiniiberschwemmung
heißen will, weiß Jedermann, und ich
werde mich wohl Huten, sie zu beschreib
ben. Ich lasse lieber Bater Goethe das
ätfort, der Band 2 in den Kantaten er
haben einfach spricht:
Ter Tann zerreißt, das Feld er
braust. Sie Blüthen spulen, die flache saust"
u. s. w.
Ta kann man in kurzen Versen eine
lange beschichte lesen von Angst und
Verzweiflung. Heldenmuth und Auf
vpferung. da hört man die Wellen her
anrauschen. den Sturmwind heulen, die
Mauern zusammenstürze, die Balken
knicken vie dürres Rohr, da sieht man
die endlose Wasserwüste und darüber den
grauen trostlosen Himmel. Ta kann
einem ivohl das Lachen vergehen !
Ich aber will gar keine solch ernsthafte
(beschichte erzählen, ich bleibe bei meinem
liirundwasser. TaS ist auch eine Ueber
schweminuug. aber mehr komischer als
tragischer Art.
Wenn der Fluß hoch geht und drun
teil am Niederrhein aus den flachen
Weidestrecken zur Rechten und Linken,
auf denen im Sommer das fette braune
Rindvieh grast, und die selbst im Win
ter einen grünen Schimmer zeigen, das
Wasser fußhoch steht, dann regt sich's
auch in den Straßen der Stadt. Liegt
die auch ein Stückchen abseits, die Leute
rennen doch an's Ufer und messen mit
besorgten Blicken den Wasserstand, ren
nen dann wieder heim, steigen in ihren
Keller und heben in der Ecke die Stein
platte mit dem eisernen Ring unter
Uf" und Ccha" in die Höhe und
leuchten mit dem Lichtstümpfchen am
langen Stock in die Tiefe. Au weh. 's
geht gar nicht mehr weit hinunter, da
dünkt schon unheimlich ein regungslos
schwarzes Wasser und der Lichtschein
wirft zitternde Kringel darüber ! Et
kömmt." sagt der biedere Hausvater
und kratzt sich hinter den Ohren, wer
müssen uns plagen, dat mer fertig
weren!" Und nun geht ein Rumoren
In do Ratten und Mausen die
Schwäne m Berge stehen, und sie vor
Angst die Wände hinan laufen.
Tas Sauerkrautfaß wird die Treppe
heraufgeschrotet, die Kartoffeln, der
Lohkuchen, die Hobelspahue in Körben
nach oben geschleppt, und ist einer ein
Schlemmer, dann packt er eiligst seinen
Iohannisberqer d'abinet oder sein
Moselblürnchen unter den Arm und
lauft mit jeder bestaubten Flasche ertra
,md birgt sie sicher und birgt sie warm
in höheren Regionen. Clw," sagt der
Hausherr und wischt sich den Schweiß
von der Stirn, dat war en sauer
Stücksken !" setzt sich zu seiner Frau und
harrt mit Ruhe der Tinge. die da körn
inen sollen. Und sie kommen !
Wenn alles schlast, müde von der
Arbeit des Tages, dann saugt unten im
Keller ein merkwürdiges (5twas an. Es
gluckst und gurgelt unter der Stein
platte, es quillt aus den Ecken, es rinnt
feucht über den Boden erst ein Rinn
salchen, dann ein Rinnsal erst steht
ein Tümpel dann stehen ihrer zwei,
drei am Morgen ist der ganze Raum
ein schwarzer, unheimlicher See, am
Mittag svült die Fluth über die unteren
Stufen der Kellertreppe am Nachmit
tag steht sie elleuhoch ! Und draußen in
den Straßen? Oh, da sieht's hübsch
aus ! Tie harmlosen Rinnsteine, die sich
höchstens als einzige Ertravaganz zur
warmen Jahreszeit ein sanftes Tuften
erlauben, sind schnell zum Back gewor
den. Sie erweitern sich blitzgeschwind
in Buchten und Bogen, sie dehnen sich
in's Unendliche: aus den Abflußröhren
strömt es, von überall kommts gelau
fen. jedes Loch ein unerschöpflicher Born,
es tropft, es sickert, eS quillt. eS schwillt,
es rinnt, es stürzt die Straßen der
unteren Stadt sind Flüsse, der Markt
ein Meer, auf schwanken Brettern
balancirt man über die Gaffe, von einer
Hausthür zur andern: wo's hoch kommt,
weiter zum Rhein hinunter, steigt man
gar in Rachen und stößt sich mit langen
Stangen vorwärts. Wer da Parterre
wohnt, zieht in die Beilage zu Oiast,
die Bäter der Stadt gondeln zur
Sitzinui, die gestrenge Justiz, die hohe
Verwaltung dito, in manchen Straßen
brennen am hellen Zag noch die Later
nen, man hat sie in der Elle nicht
löschen können; wer Lust hat. kann jetzt
das Lied von der großen Seestadt und
der Wassernoth anstimmen eS paßt.
Aus den Fenstern gucken die Leute und
D
Jahrgang 1.
lächeln bitter siiß Ae Gruiidwasscr !
Nur die Kinder haben ihre Freude
sie sind eben wie die Bienen, die auch ,
aus gütigen Blulhen Honig saugen.
In dem freundlichen Haus, an dem
hübschen Platz, unter denen hohen Bäu
men ach kein Wasser steht, nur die
Rinnsteine unnatürlich geschwollen sind,
blinkt auch im Keller der bewußte See.
?urch die Luke fallt ein ganz schwacher
Zagesschein herein auf die Mitte der
stillen Flut!,, die Ecken bleiben dunkel:
aber nun huschen zwei glitzernde Püntl
chen über die schwarze Oberfläche, Kin
verlachen ertont, so fröhlich wie die
Morgensoniik, so traulich wie Tauben-
gurren. Aus dein Winkel kommt lang-1
fam eine große Waschbütte geschworn
men, ein Knabe steht darin und rudert
mit einem Holzscheit, und neben ihm
hockt ein kleines Mädchen. In jeder
Hand hält sie einen Bindfaden, daran
zieht sie zwei ausgehöhlte Nußschalen
hinter der Bütte her: in jeder Rußschale
klebt ein brennendes Wachslichtlein, das
leuchtet hell und lustig wie ein Stern.
Mit aufmerlsarneii Augen folgt das
Mädchen dem Gleiten der kleinen Boote,
der Knabe aber streckt das Bein über den
Büttcarand, taucht ein bis weit über
den Stiefelschaft und schlenkert kräftig
nach rechts und links: Kuckst de, das
giebt Wellen!" Tie Bütte schwankt,
das Wasser spritzt, die Kinder jubeln
laut. Weiter geht die Fahrt. Wen
dekreis deö Krebses!" ruft der kühne
Schiffer, daß die Wölbung widerhallt
und nun Wendekreis des Steinbocks!"
mit majestätischer Schwenkung wird ein
Lattenverschlag umfahren Eap der
guten Hoffnung, aussteigen!" Man
landet an der Kellertreppe, mit keckem
Satz schwingt sich der Bube heraus,
zieht mit der Linken die stolze Fregatte
näher heran und hilft mit der Rechten
der biefahrtin.
Wie zierlich die kleine Mamsell sich
bewegt, wie sie halb ängstlich, halb selig
aufkreischt, als jetzt der Schiffsrand sich
neigt und das Wasser über ihre Füßchen
platscht. Run stehen sie beide auf den
schlüpfrigen Stufen, mit nassen Füßen,
mit nassen Kleidern, aber seeleuvcr
gniigt. Tic Wan'gen glühen ihnen wie
rothe Rosen, man glaubt selbst durch
das Kellerdunkel ihre Augen glänzen zu
sehen und mitten in der Mvderlust den
süßen Hauch der Kindlichkeit zu athmen.
Tu, Mariechen." sagte der größere
Junge und tippt der Kleinen mit dein
nassen Finger auf den blonden KrauS
köpf, das war fein! Wann ich groß
bin, fahr' ich auf s Weltmeer, das ist
noch viel feiner." Nimmst Tu mich
dann mit, Eiirlichcn?" Ne," antwortete
er geringschätzig, Mädchens fahren nich
auf dem Weltmeer!" C ja." sie vcr
zieht daS Mäulchen, die fahren doch
ich will aber mit Tir fahren," Ne,
Tu kannst nich!" C ja," sie verzieht
das Mäulchen noch mehr und nun
tropft ein Thränchen ans den großen
Augen. Tu ek li er Jung" sie
schluchzt laut, ich will mit sah
ren Tu ek li er" Sei still, Ma
riechen," schon umschlingt der Knabe die
diespielin und giebt ihr dann, sie loö
lassend, einen freundschaftlichen SckubS.
daß sie beinahe das Gleichgewicht ver
liert, fei nich so dumm, Tu fährst ja
mit, ich heirath Tich doch wein nich!"
Sie läßt das Weinen und blinzelt
ihn unter ihrem Lockengeringel hervor
und fragend an, denn hebt sie das Fin
gerchen und sagt so ernsthaft wie die
Alte: Wahrhaftig in's Gott, Carl
chen?" Wahrhaftig in's Gott." be
kräftigt er, und nu "
Ta wird die Kellerthür aufgerissen,
ssarl, Mariechen, wo seid Ihr?
Ieses Maria, da stehn die Kinger! To
'ne Blagen, so 'ne Puten!" Äthemlos
stürzt das Grittchen, die alte Magd, die
Treppe herunter und zieht die Kinder
unsanft mit sich die Stufen hinauf
Warte, Earlchen, komm Tu nach oben,
Tu kriegst Haues, rni Mariechen ne,
dat Kind! Tem fein Röcksken is ja
quatschenaß mach, Tu Krott, daß
Tu nach Haus kommst. Tein Mainma
war als zweimal hier, die sucht Tich
überall !"
Tie Kellerthür wird zugeschlagen, die
blinkenden Lichtchen drunten flackern
noch 'einmal auf, dann verlöschen sie; es
wird ganz still und dunkel.
In dem freundlichen Haus an dem
hübschen Platz mit dem hohen Bäumen
hatte der Herr Rechnungsrath Zehren
Pfennig mit Frau und Sohn viele Jahre
gewohnt. Nun war er todt: am Gal
lenfieber gestorben, aus Aerger über
seinen nichtsnutzigen Lümmel meinten
die Lento, und da hatten sie so unrecht
nicht. Aus dem d'arlchen, das heimlich
in der Bütte fuhr und auf die nassen
Hosen vorn gestreiigen Herrn Papa eins
aufgezählt bekam, war ein großer Earl
geworden. Ein hübscher, frischer B.n
gel. gar nicht böse, gar nicht dumm,
und doch .zu nichts zu gebrauchen. In
der Schule faß cr zu unterst und kaute
MimiMpi,
Beilage zum Nebrasla Ztaats-Anzeiger.
gelangweilt an der Feder, jede Frei
stunde lag er unten am Rhein bei den
Schinern, hantirte mit denen auf ihren
Kalmen herum, rauchte aus der kurzen
holländischen Thonpfeife und ließ sich
Wunderdinge erzählen. Tie halben
Nächte saß er wach im Bett und las mit
pochendem Herzen und brennenden Au
gen die Abenteuer und (befahren kiikner
Seefahrer und Entdecker.
Tie Lehrer klagten, die Eltern klag
ten, der Junge wurde nicht anders, im
Gegentheil ! Eines Tages kommt cr
nicht zu Tisch, man wartete auf ihn, die
Mutter wurde schon ängstlich, der Vater
machte sich selbst auf, um nach dem
Earl zu sehen. Recht ärgerlich wandelte
der Herr Rechnungsrath die Straße
hinunter da, ist's möglich?! In
dein Winkel, den zwei vorspringende
Häuser bilden, steht das verlorene
Söhnchen, den Rucken der Straße zlige
kehrt, ein Buch gegen die Mauer ge
stemmt und liest und lieft, unbekümmert
um Lärm und Wagengerassel. Ein hef
tiger Schlag auf die Schulter schreckt
den Versunkenen auf, im Bogen fliegt
der edle Eooper in den Schmutz, un
heimlich, wortkarg geben Bater und
Sohn nach Hause. Konnte man es
dein Herrn Rechnungsrath verdenken,
daß er daheim den Buben rüttelte und
schüttelte?
Mensch, Tu bist sechszehn, sitzest
noch auf Tertia, kommst nicht voran,
bist größer wie ich. schämst Tich nicht
vor den kleinenIungen, die mehr wis
seu als Tu Mensch. Mensch, was
soll aus Tir werden?!" Herr Zehren
Pfennig rang die Hände.
Vater," hatte der Earl ruhig ge
sagt, laß mich Seemann werden, ich
will zur See."
Tu Tu ", der Herr Rech
nungsrath schnappte nach Luft und
lachte dann krampfhaft. Tu und See
fahren? Natürlich! Bummler, Nichts
thuer. Abenteurer. daraus wird
nichts, Du machst die Schule durch und
würdest Tu dreißig drüber, und dann
studirst Tu und wirst, was ich gewor
den bin verstanden?"
Nein Vater" der Junge sah in
dem Augenblick merkwürdig erwachsen
aus. das kann ich nicht. Tu magst sa
gen, was Tu willst. Ich will und muß
zu See."
Tu " dem Herrn Rechnungsrath
versagte das Wort eine schallende
Ohrfeige brannte auf des Knaben
Wange. Mach, daß Tu weg konimst
und tritt mir nicht mehr unter die Au
gen !"
Es war nicht so schlimm gemeint ge
wesen, aber anderen Tags war der
Junge fort und kam nicht wieder. Herr
Rechnungsrath Zehrenpfennig grämte
sich drüber zu Tode, die Frau Räthin
saß manches Jahr in ihrem einsamen
Wittwenstübchen und weinte sich die
Augen roth. Ta kam eines Tages ein
Brief mit seltsam ausländischem Post
stempel, Eapstadt, der verlorene Sohn
schrieb, reuig, liebevoll, unsäglich rüh
rende Worte! Er hätte nicht schreiben
wvllen, nun gehe es ihm gut, er wünsche
nur die Verzeihung der Eltern und
würde dann bald kommen, sie zu be
suchen. O diese Freude, o dieser Schmerz!
Aus wunderlich gemischtem Born qnol
len die Thränen der Mutter ja, es
ist ein eignes Ting um das Mutterherz!
Ta liegen in der engen Kammer, wie
Zwillingsgeschwister in einer Wiege,
Zürnen und Vergeben, bitteres Ge
kranktsein unendliche Liebesfülle!
Tie Mutter schrieb an den Sohn, sie
nannte ihn ihr böses geliebtes Kind,
und sie wartete auf sein Kommen. Tas
neue Frühjahr sollte ihn bringen, aber
das alte Jahr mußte erst scheiden, und
das nahm die gute Frau Räthin mit
so gehts mit der Pflanze, die allzu lang
im Schatten gestanden, rückt man sie
jäh in die Sonne, so welkt sie, verträgt
das Licht nicht mehr. Auf dem (brabe
der Frau Räthin blühten unterm Schnee
die weißen Sterne der Ehristrose, die
Nachbars Mariechen mit zitternden Hän
den und weinenden Augen dorthin ge
tragen. Nachbars Mariechen! Sie war der
Sonnenstrahl im Leben der einsamen
Frau gewesen, sie hatte Frische, Iu
gend, Heiterkeit in das Wittwenstübchen
gebracht, mit Niemand konnte die Mut
ter so gut von dem Verlorenen reden,
wie mit der kleinen Nachbarin. Tie
erinnerte sich des Kindheitsgespielen so
genau, die erzählte tausend lustige
Streiche, die sprach von der Tanzstunde
und von dem ersten Kuß nein,
von dem sagte sie doch nichts, sie neigte
nur den Kopf tiefer, und die blonden
Locken fielen über das rosige Gesicht
Es war ein feuchter, balbdnnkler
Märzabend, als Earl Zehreupfennig
nach Hause kam. Er stand unter den
hohen Bäumen an dem hübschen Platz
und starrte unbeweglich hinüber zu dem
freundlichen Hau?, hinter dessen Mauern
nun andere Menschen wolmken, andere
Herzen schlugen. Er war zu Hause
und doch so fremd. Sein Herz zog sich
krampfhaft zusammen. Warum war
er gekommen? Er wurde nur die (Araber
feiner Ellern finden, eine zierliche klare
Madchenliand hatte ihm das geschrieben.
Mariechen!" Für einen Augenblick flog
ein sreundlicher Schein über das tief
ernste Männergesicht, dann blickte es
suchend umher wo wohnte sie doch?
Richtig, dort die benachbarte Thür mit
dem blanken Mefsingknopf, an dem
seine Kinderhand täglich geläutet! Wie
sehnsüchtig hatte der Bube ost das Oeff
nen erwartet und ungeduldig mit dem
Stiefelabsatz gepocht! Auch jetzt ging die
Thür, eine schlanke Mädchcngestalt
schritt die Stufen hinunter, sah prüfend
um her und hüpfte dann mit leichtem
Satz über den Rinnstein.
Ter Fremde trat naher, das blonde
Gelock unter der braunen Pelzmütze
schimmerte so seltsam bekannt. Er lüs
tete den Hut: Fräulein Mariechen ?!"
Sie schrak zusammen und sah ihn
einen Augenblick starr an, glühendes
Roth stieg in ihr Eiesicht ; dann schössen
ihr plötzlich die Thränen in die Augen,
sie streckte ihm mit einem kleinen Schrei
beide Hände entgegen : O mein Gott
bist T sind Sie's?!" Er ergriff die
Hände uiid drückte sie herzhast. Ja,
Mariechen, ich bin's, der alte Earl,
kennen Sie mich denn noch?" Ob ich
Sie kenne " Rothe und Blässe wech
selten aus den weichen Mädchenwaiigeii,
und dann huschte ein kleiner Schalt um
den rothen Mund Sie böser Welt
uim'egler !" Er seufzte schwer und
drückte den breiten Filzhut tiefer in die
sonnverbrannte Stirn. Alles ist hier
anders geworden o, meine Mutter
ich bin fremder wie iu der fremdesten
Fremde!" Sagen Sie das nicht "
bat sie leise und legte zutraulich ihre
Hand in seinen Arm Sie sind
nicht fremd, bei uns find Sie zu Haufe
ich freue mich so!" Gutes Ma
riechen!" er preßte ihren Arm fester an
sich, und nun schritten sie langsam unter
den hohen Bäumen auf und nieder, hin
lind her. wie unendlich viel war zu fra
ge, wie unendlich viel zu antworten!
Eine Ewigkeit hätte nicht genügt. Tie
weiche Mädchenstimme klang wie ein
Hauch durch das abendliche Tuntel, es
lauschte sich so angenehm, so längst ver
traut. Was lag alles in dieser Mäd
cheiistimme Heimath, Kindheit, erste
Jugend, Vater, Mutterwort. Alles
Alles !
Aus den Fenstern der Häuser, jenseits
der Straße, schimmerte Lampenlicht, die
Leute aßen zu Nacht. Es war still auf
Platz und Gasse, tein Wagen rasselte
mehr, kaum hallte ein Fußtritt, nur
feuchtwarmer Wind strich kosend durch
die Wipfel der Bäume, daß die braunen
träumenden Knospen an den nackten
Aesten zu schwellen schienen. Von der
Kaserne herüber tönte der Zapfenstreich.
Es ist schon spät," Mariechen hielt
plötzlich erschrocken ine . 0, wie habe
ich mich versäumt! Aber nicht wahr,
morgen kommen Sie zu uns?" sie sah
ihn fragend an, wahrhaftig in'sGott?"
Wahrhaftig in's (bott!" der Mann
fuhr wie aus tiefem Sinnen auf. Und
nun gut' Nacht," sprach sie weiter,
schlafen Sie wohl, das erste Mal in
der alten Heimath. ich ich " ihre
Stimme zitterte leicht ich werde an
Sie denken die ganze Nacht!" Er
faßte ihre Hand und hielt sie fest.
Kommen tote, ich bringe Sie bis an
Ihre Thür." Schweigend schritten sie
unter den Bäumen vor, die Straße hin
über, da blinkte heller Laternenschein,
zeigte das liebe Mädchenantlitz, das
braune ernste Mannergesicht und
einen breiten, fchwarzfluthenden, un
überschreitbaren Rinnstein. Was war
das?! Mariechen wies mit dem Finger
hin und lächelte: lbrundwaiser!" Und
er lächelte auch: Ja, Grundwasser
wi'jen Sie noch?"
Sie neigte stumm den Kopf, und nun
wanderten sie hin und her und suchten
einen Uebergang umsonst, wie ein
Bach strömte der Rinnstein. Kein
Brett noch gelegt da hilst nichts!
Mit keckem Satz schwingt sich der Mann
hinüber, und min steht er drüben auf
dem Trottoirrand und streckt dem Mäd
chen die Hände entgegen: Springen
Sie!" halb springt sie, halb zieht er sie,
sie gleitet aus, sie strauchelt sie liegt
an feiner Brust, fest von seinen Armen
umschlungen. Mariechen, weißt Tu
noch," flüstert er leise in ihr Ohr, Ma
riechen, bist Tu mir denn noch gut?"
Sie nickt heftig, dann hebt sie das Eie
sieht zu ihm aiif und lächelt unter Thrä
nen: Ja. Earl. ich weiß noch, ich weiß
Alles und wie wir in der Bütte fuh
ren " Jetzt fahren wir nicht mehr
in der Bülte." spricht er innig, zärtlich
und küßt sie wieder und wieder, jetzt
fährst Tu mit mir in die weite Welt
ja, mein Mariechen?" Ick will sein,
wo Tu bist, sagt sie endlich und legt die
No. 7.
Hand auf seine Brust. Tein Volk sei
mein Volt, Tein Gott mein Wott!"
Ter Rachtwind rauscht und der Rinn
stein rascht auch, er dehnt sich bedenk
lich in W Breite. Ueber den Trottoir
rand plätschert schon das schwarze Was
ser und schlägt über die Füße der beiden
Menschen, die da stehen und sich um
fchlungen halten lbrundivasier sie
achten es nicht, über ihre Seele fluthet
ein anderes Wasser, das Hockuvasser der
Liebe.
Lettstcrl'n.
t;ii oldaicngcicknchlchcn von H, Vang,
Rittmeister von Sch war allge
mein beliebt als guter Gesellschafter,
schneidiger Ossizier und braver Käme
rad. Nur von seiner Unividerstehlich
teit war er ein wenig zu sehr überzeugt,
Ta jedoch mit des (beschickes Mächten
kein ewiger Bund zn flechten ist. so sollte
auch den Rittmeister das Fatum ereilen.
Es war Manöverzeit. TaS Regi
ment war Mittags in ein weltverlorenes
Torf eingerückt und unser Rittmeister
wnrde beim Schulzen einquartiert. Er
bemerkte sofort, daß Schulzens Marie
ein allerliebstes Tirndl fei. Wenn sie
lachte, und dabei ihr Köpfchen, von den
schönsten goldblonden Locken uinivun
den, zurückbog, blitzte daS dunkle Auge
so schelmisch durchtrieben, daß des Ritt
meister ohnehin leicht entzündbares Herz
bald in hellen Flammen stand.
Lächelnd und siegesgewiß strich er sich
den Schnurrbart. Wer sollte ihm wi
verstehen, wenn er wollte? Er dachte
an so viele hübsche Mädchen, reizende
Frauen, die seine Liebenswürdigkeit be
zwungen vnd dieses einfache Landmäd
chen sollte ihm gegenüber unempfindlich
bleiben, einfach lächerlich!
Abends faßen die Offiziere in der
Wirthsstube zum rothen Hahn" bei
fammen und plauderten: Rittmeister v.
Sch. war gegen feine (bewolmheit sehr
schweigsam und begann sich für die Un
terhaltung nicht zu interessiren, als
einer der Herren von dem in den Tör
fern dieser Gegend üblichen Fcnsterln
sprach. Ha, das war etwas für ihn!
Bald verließ er das Lokal, alle feine Ge
danken waren bei des Schulzens Töch
terlein. Er wollte auch Fensterln";
was ristirte cr auch? Nichts, als eine
Abweisung und das ist nicht schlimm,
solche Nicderlage kann sich selbst ein
schneidiger Reiteroffizier gefallen lassen.
UebrigenS er und eine Niederlage?!
Höchst unwahrscheinlich! Geräuschvoll
trat er in seine Stube ein. die. wie er
wußte, sich genau unter der Mariens
befand, sie sollte hören, daß er nach
Hause gekommen war. Er trat an's
Fenster, da stand ein mächtiger Kasta
iiienbanm und neigte seine Zweige ge
süllig bis an's Fenster Mariechens.
Herrlich! Nun schnell noch die schwe
ren Reiterstiefeln mit leichten, die blaue
Ulanka mit der dunklen Blouse ver
tauscht, so konnte er sich hinauswagen.
Er öffnete das Fenster, es knarrte sehr
stark, cr hielt Umschau, nichts regte sich,
vorsichtig steckte er ein Bein hinaus,
dann das zweite, ein Sprung, für den
gewandten Turner ein Kinderspiel, und
er stand im Garten. Ter Mond hatte
sich diseret hinter eine Wolke geschoben,
so daß der Baum, den er besteigen wollte,
in tiefes Tunket gehüllt war.
Er kletterte behend hinauf, auf den
Zweig, der Mariens Fenster am näch
Iten war. Es brannte noch Licht in der
Kammer. Marie hatte ihre goldblon
den Flechten gelöst, die Jacke abgelegt,
sie kniete vor einem unscheinbaren Kruzi
fix. daS über ihrem Bette hing und
betete.
Ter Rittmeister wurde zaghaft, eine
eigenthümliche Scheu erfaßte ihn und
schon wollte er, ohne geklopft zu haben,
ivieder heruntertlettern, als im Garten
Stimmen laut wurden. Tonnerwet
ter, eine schöne Bescheerung! Ter Ritt
meister verbarg seinen Oberkörper und
sein Gesicht so viel wie möglich unter
den Blättern.
Ich hab' ihn ganz deutlich gesehen."
sagte ein Mann, mit Laterne und Stock
bewaffnet, zu feinem Begleiter.
Wo ist nur der Hallunke hin?" ließ
sich der Andere vernehmen. Himmel!
Tas war sein Bursche, und der nannte
ihn einen Hallunken! Na, warte, mein
Jungchen!
Hollah. hier oben sind zwei Beine,"
rief der Nachtwächter und hielt die La
terne hoch.
Schnell wollte der Rittmeister seine
Verräther einziehen, als der Bursche die
Stange dem Nachtwachter fortriß und
damit einen Schlag gegen den Ast sührte,
Ter Ast brach und der Rittmeister sauste
mit einem furchtbaren Krach herunter
und fiel auf den Nachtwächter, dessen
Laterne zerbrach. Ter Nachtwächter
hatte im Fallen den Burschen mitgerissen
und dieser, in dem Glauben, den Tieb
vor sich zu haben, hieb in der Finsterniß
kraittg aui ilin los, so kß da Nacht
Wachter schrie und tobte.
Ehe sich noch der tiuauel der ans dem
Boden liegenden Männer loste und sich
das Mißvei'iandniß aufklarte, hatte sich
der Rittmeister blitzschnell erboben und
war biuch's Fenster in sein Zimmer ge
sprangen, noch das Fenster leise ziige
macht; so. er war geborgen, jetzt
schnell das Lager ausgesucht !
Ter Schlaf freilich wollte nicht fönt
inen, denn der Rittmeister iomite sich
nicht bewegen vbne empsindlichen
schmerz.
Tie beiden Manner rumorten nock)
eine Zeit im Garten umher und suchten
den vermeintlichen Tieb. Am andern
Tag war Rubetag. und dies war ein
Gluck für unseren Rittmeister, denn als
ihm Morgens der Bursche den Kaffee
hereinbrachte und cr sich aussetzen wollkc.
konnte er es nur mit großer Anstmu
guiig.
Theilnebmend erkundigte sich der
Bursche, was ihm fehle. Er hatte den
Kerl erwürgen können: Mensch, hole
mir den Regimentsarzt."
AIS der Arzt kam und erfuhr, daß
cr sich nicht rühren tonne, sagte er
lachend:
Haben wohl den Heienschuß?"
Weiß der Teufel was. bitte sehen
Sie doch meinen geehrten Rücken an."
Himmel was haben Sie denn ge
macht, haben ja einen kolossalen Fleck
und ganz geschwollen?"
Bin gestern Abend gefallen."
(befallen ? Aber Herr Rittmeister!
War doch gestern tein Liebcsinahl, nicht
'mal 'n kleiner Wein-Seat find ja,
wie ich höre, mit dem frühesten in's
Quartier gegangen !"
Aber auf dem bin ! Stein
wcge diese vertrackten hm
Torfstraßen hm ! au !"
So so na, denn hier " Ter
Rcgimcntsarzt hatte etwas aufgeschrie
den. Lassen Sie sich von Ihrem Bitr
scheu tüchtig eiiireiben, werden wohl tu
nige Tage das Bett hüten müssen."
Als der Arzt das Zimmer verlassen
hatte, starrte der Rittmeister trübselig
das Recept an und ließ sich mit einem
tiefen Seufzer in das schiefwinklige,
unbequeme Bett zurückfallen.
Hier zu liegen, auch ein Vergnügen,
mit Schmerzen und Salben und das
alles kam vom Fensterln".
Ttt schlauere.
Einst rasirte in Basel ein Barbier
einen Bauern, der nicht gerade beson-
ders gelcheidt aussah. Ter Bauer er
zählte dabei, das; es auf feinem Gut von.
Mäusen wimmele.
Haben Sie wirklich zuviel von diesen
Thieren?" fragte der Barbier, der sich
über den simplen Landmann lustig
machen wollte.
Tas will ich meinen!"
'Nun, ich brauche gerade welche, wenn
Sie mir sie herbringen wollten, werde
ich Ihnen einen Franc für das Stück
bezahlen."
Ter Bauer nahm diesen Scherz ernst
und kam einige Tage später bei dem
Barbier mit einem großen Käfig an.
Ich hab hiindcrtzweinndfünfzig."
sagte cr stolz, das macht also hundert-
undziveinndfünfzig Francs. "
Tcr Barbier unterbrach ihn mit der
Frage: Es find doch lauter Männ
chen?" Jetzt wurde der Bauer verblüfft:
Männchen? Tnrauf habe ich wahr
haftig nicht geachtet !"
So? Tann nehmen Sie sie nur wie
der mit fort; ich kann keine Weibchen
brauchen."
Jetzt merkte der Bauer endlich, daß
man sich über ihm lustig machen wollte.
Er sann einen Augenblick nach und ant
wartete dann: Ach. da lasse ich sie
Ihnen lieber umsonst" öffnete den
Käfig, schüttelte dcnsclbcn aus und ließ
dic hundcrtundzweiundsünfzig Mäuse in
das Haus laufen. Ueber den Bauern
lachte man viel, über den Barbeir aber
noch weit mehr.
(in fürstlicher Spieler.
Als Kasimir II,. der Gerechte, der
1178 statt seines abgesetzten Bruders
Mieczislaiv zum König von Polen er
wählt wurde, noch Fürst von Sadomir
war, gewann er im Spiel einem Edel
mann, Karins mit Namen, den größten
Theil seines Vermögens ab. Außer sich
über diesen Verlust gab Karins in der
Errcgung dcm Fürsten cincn Schlag
in s Gesicht. Er wurde gefangen ge
nommen, und Niemand zweifelte, daß
er fein Vergehen mit dem Tode würde
büßen müssen. Anders jedoch dachte
der Fürst. Nein." entschied er, er
soll nicht sterben. Ta ihm sein Verlust
so sehr zu Herzen ging, und cr sich an
dein Glücke selbst nicht rächen konnte, so
ist es kein Wunder, daß er sich an dessen
Günstling gerächt hat." Aber damit
war der Edelmuth Kasimirs noch nicht
erschöpft. Er beschieß den Edelmann zu
einer Audienz zu sich, gab ihm das Geld
zurück und dankte ihm dafür, daß er
ihm durch den Schlag zn Gemüth ge
führt habe, wie wenig es einem Fürsten
anstehe, die Zeit so übel anzuwenden.
Tic gutc alte ;;cii."
Im Jahre l.r8; wurde eine Verord
nung an dic Schulmcister vom Basel
erlassen, sie möchten die Jungen nicht
so barbarisch und grausam behandeln,
ihnen leine Löcher in den Kopf schlagen,
wie mehrfach geschehen, noch ihnen die
Finger so start drücken, daß das Blut
unter den Nägeln hervorkommt, auch
sollten sie ihnen das Haar nicht büschel
weise ausreisen."