Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 20, 1894, Image 1

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Jahrgang IS.
Lincoln, Neb.. Donnerstag, ZK. Dcccmbcr 1894.
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Aebs veruriheilt.
(ftnschmuggklung von tfijl
esen.
Rußland b stell t IZ.vo Ton
nen Panzerplatten inAme
r i k a. D eLessep beerdigt
Chicago. BundeSriterWm.Wood
hat in dem Falle von Eugene B. Teb,
des Präliden.en der American Railmay
Union, und Genossen, welche wegen Niht'
bksolgung deS zur Zeit deS Streiks gegen
sie erlassenen Einhallsdefehl der Miß
achtung dkg Gerichtshofes angeklagt wa
ren, aus schuldig erkannt. Darauf sagt:
er, e sei in solchen Fällen nicht Brauch,
den Angeklagten zu gestalten, ihre Gründe
dafür anzugeben, weshalb sie nicht ver
urlheilt werden sollten, jedoch wolle er
in diesem Falle eine Ausnahme machen
und es gestalten.
Der Richter führt eine Menge von
GesegessteUen und Entscheidungen in
ähnlichen Fällen an, auf welche er seine
Entscheidung stützt, und sagt dann:
.Die Strafe sollte weder eine roch
süchtige, noch eine geringfügige sein.
Diese Männer haben das Verbot deS
Gerichtshofes absichtlich mißachlet und
ich möchte sehr gerne missen, woher sie
den juristischen Rath dazu erhielten.
Diese Männer waren in großem Maße
di Führer von Gcsehesübertretern und
sind als Führer verantwortlich. - Un
wissende Leute, welche ihnen folgten, sind
bestraft worden. Herr DebS ist. verant'
wörtlicher als jeder Anoere. Er ist ein
Min von bemerkcnsiverther Fähigkeit
und hat Einfluß auf Andere. Ich fühle
mich gezwungen, zwischen ihm und den
Anderen einen Unterschied zu machen.
Die Strafe für alle Andere sind drei
und sür Herr Dcbs sechs Monate Ge
fängnis."
Die Berurtheilten schiene durch die
Strafe nicht besonders niedergeschmettert
zu sein. DebS beugte sich zu seiner in
r ' r i r . . v r si . . w
(einer zcaue iiyenven Tqwener nieorr,
flüstert dieser einige Worte zu und beide
lachten darauf herzlich. Howard und
Hogan tauschten lächelnde Blicke aus und
eliher ergriff die Hnd feines Verthei
digers und schien diesem Glück zu wün
schen. ES war augenscheinlich, daß sie
sämmtlich ein weit strengeres Urtheil
erwartet bitten, und sie schienen sich
sämmtlich erleichtert zu fühlen. Debs
rief seine Leute zusammen und gab ihnen
die Weisung, sich nicht den Zeitungs
berichterstattern gegenüber auszusprechen
und ging ihntn darin mit seinem Bei
spiel voran, indem er es ablehnte, über
Haupt über die Sache zu siechen.
Nachdem die durch die Berurtheilunq
verursachte Ausregung sich gelegt hatte,
erklärte der Richter, daß die Berurkheil
ten ihre Strafe nicht vor dem Ablauf
von zehn Tagen anzutreten brauchen,
und in der Zwischenzeit werden ihre Ver
theidiger das Apxellationsgesuch abfassen.
Nach kurzer Berathung mit ihren Ver
theidiaern verließen die Verurtheillen
das Gerichlszimmcr. Folgende sind die
Verurtheillen: Eugene B. Debs, Präsi
dent; Howard, Bice-Prüfident; Keliher,
Sekretär; Rogers, Schahmeister, und
Burns, Ellioit, McBan, Hogan und
Gaodwin, Direktoren der A. R. U.
San Francisco. Bundes-Distrikts-Anwalt
Harter glaubt, daß der neue mit
China abgeschlossene Vertrag alle Schran
ken niederreißt, die gegen die chinesische
Einwendung errichtet worden sind. Er
sagt:
Man muß eben nicht nur die Wasch
Chinesen, sondern eine ganze Chinesen
Colonie, oder richtiger gesagt, einen
Chinesen-Staat, wie er hie, im Staate
besteht, genauer und zwar aus mehrjäh
riger Erfahrung kennen, um zu begrei
fen, diiß irgend ein Chinese auf Grund
des Artikels 2 des Vertrages ein Certi
sikat, das ihn zur Rückkehr berechtigt,
erlangen kann. Wenn es sein muß. läßt
er sich eine Frau antrauen ; Kinder und
Eltern kann er jeden Tag vorführen und
noch leichter ist es, Forderungen im Be
trage von $1,000 nachzuweisen. Der
Chinese kennt nämlich weder Wahrheit
noch Ehre, weder Eid noch Gewissen,
sondern nur seinen Vortheil. Er rech
nel nach, wie viel ein solches Rückkehr
Certisikat werth ist und maö es ihn
kostet, ein solches zu erlangen. Man
hat Beweise genug, daß für folche Cer
tisikate bis $500 bezahlt worden sind, da
ein Chinese diese Summe in weniger als
einem Jahre erübrigen kann. Für $5
bis $20 leiht ihm Jemand eine Frau
oder läßt sie ihm antrauen, für ein paar
Dollar schwört ihm jeder Landsmann
den Eid, daß dieses ober jenes seine Kin
der oder seine Eltern sind, oder daß er
dem betreffenden Chinesen, der seiner
alten Heimath einen Besuch abstatten
will, $1.000 schuldet. Von 20 Chine
sen, die sich solche Cectifikate zu ver
schaffen wissen, reist vielleicht einer hin
über und dieser kauft die übrigen 19
Certisikate für ein billiges, um sie in
Hongkong theuer zu verkaufen. Statt
des einen Chinef.'n, der auswandert,
kehren 20 zurück. Dies zur JZustta
tion. Man hat sich gewundert, daß so
viele Chinesen sich haben registriren
lasten, während doch 'in großer 3"l)til,
Kaufleute. Gelehrte, Schüler etc. gar
keines Rcgistrirungsscheines bedarf. Wir
haben uns eher gewundert, daß die Zahl
der Registrirten nicht noch größer war,
da einige der Chinesen sich mehr als zehn
Mal haben registriren lassen. Eins darf
man bei olledem nicht übersehen, daß
auch die Melicanmen" das Geld lieben
und den Chinesen gern behilflich sind.
Viele kleine Beträge machen eine große
"Summe und wenn erst der richtige Modus
gefunden ist, dann wird ein lukratives I
Geschäft daraus gemacht." 4
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L0r, Sy? -zi)FKm1r' f -U F.vatäZ&ill laaS Cy
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! -v Im.
Es läuten die Weihnachtsglocken,
Hell flimmert der Kerzruschein,
T stürmen froh erschrocken
Schon meine Kinder herein.
Nun klingen die alten Töne
Jn's Herz mir mit Wimdermacht
T Lied, da liebe, schöne.
Da t.lt Nacht, heilige Nacht."
Ach! ist für immer, für immer
Die selige Zeit dahin?
In seiner Unschuld Schimmer
Der reine Kindersinn?
Nein! hier in meinen Kleinen
Kehrt mir die Kindheit zurück;
De? Christbaums Kerzen scheinen
Wie einst in Glanz und Glück!
Am Chriflalicnd.
Non ). von Kalilcnlicrg.
ärchenhaftkr
Wunder
seliger Zauber
deutscher Weihe
nacht ! Bon den
Kircht Hunnen
läuten die Glo
cken, eine festlich
gekleidete Men
schenmenge wogt
in den Straßen,
lachende Gesich
ter, roth ange
haucht vom Frost
mit glänzenden
Augen. Grüße
der Vicbe klicacn
hinüber und her
über: Gcseg
ncte Weihnacht !
Fröhliche Feier
lerne Euch AI
len!"
Die Rollläden vor den Schau
fenstern werden herabgelassen. Die
Wirthshäuser, wo sonst die bunten
Lampen brennen und lauter Lärm der
Zechenden erschallt, stehen dunkel und
verödet. Oben am froslklarcn Himmel
entzündet sich Lichtchen an Lichtchcn.
Aus dem Fenster lugt ein lockiger jcin
derkopf: Mutter, Mutter, jetzt krie
gen die Engclchcn ihren Wcihnachts
bäum angesteckt!" frohlockt c$. Dann
kommt daö Christkind gleich auch zu
uns herunter!" Mit mildem Schimmer
übergießt der Mond die schneebedeckten
Dächer, hohe und niedrige: Friede!
Friede auf Erden, und den Menschen
ein Wohlgefallen !
Draußen im Felde liegt der Schnee
glatt und tief. Unter dem starrenden
Eise schläft der See, daö murmelnde
Bächlcin. Schweigend im glitzernden.
Dcmanlschmuck flehen Baume und
Büsche. Sie träumen vom Lenz. Heute
in der Mitternacht, wenn der Weih
nachtöcngcl vorübcrslicgt, kiißt er sie,
und sie erblühen in lächelnder Früh
lingopracht unter seinem Kusse.
In der Kirche flammen die Kerzen
an den Tanncnbäumen. Kops an Kopf
steht die Menge. Bornchme Damen
in reichem Pelzwcrk neben dem alten
Mütterchen au? dem Bvlke. das müh
sam die zittenidkn, arbcitshartcn Hände
faltet, Kinder mit großen gläubigen
Augen neben Männern, aus deren
ernste Stirnen Leid und Kampf ti.-fe
Furchen gebannt. Wieder ertönt sie
von geweihter Stätte, die uralte,
selige Botschaft, die vor zwei Jahrtau
senden von Engelslippen über Bethle
Ij jj jj
MM?
Und auf des Sauge Gefieder
Träumt sich mein Geist zurück:
Ich (elie als Äind mich wieder
Im lautem Weihuachtsglück.
In der Geschwister Kreise
Stand ich vor der iichterpracht,
Wir sangen fromm und leise
Ta Stille Nacht, heilige Nacht
Ja einmal wohl im ?ahre
Wacht auf in jeder Brust
Die schöne, wunderbare,
Der Kindheit gold'nc Lust.
Drum, einmal noch, Kinder, singt mir
Das Lied voll schlichter Macht.
Durch Herz und Seele dringt mir
Da Stille Nacht, heilige Nacht.
hems Felder geklungen : Euch ist heute
der Heiland geboren !
Und alle Köpfe neigen fich. Durch
alle Herzen geht es versöhnend, lösend :
Also hat Gott die Welt gclicbct.
Jubelnd erbraust der Choral: Bom
Himmel hoch, da komm ich her
Das Christkind! Das Christkind!
Hinter den Fenstern wird's hell. Aus
jeder Kclleröffnung, jeder winzigen
Bodenluke dringt strahlender dichter
schein. Die WcihnachtSbäume bren
nen. Ein köstlicher Duft von Wald und
Nadeln, Wachskerzen und frischem wür
zigem Gebäck durchzieht das HauS:
Weihnachtöduft! Bunte Gaben der
Liebe breiten sich auf weißgedeckten
Tischen. Jubelnde Kinderstimmen
werden laut, die Eltern stehen mit ver
klärten Gesichtern. Die Alten werden
wieder jung, die Traurigen lächeln,
die Feinde versöhnen sich und der ver
lorene Sohn in der Fremde schlägt an
feine Brust: Ich will umkehren zu
meinem Bater!
O. du liebe, gesegnete, deutsche
Weihnacht !
Ein Fenster, das ich kenne, bleibt
dunkel in all' der Helle. In einem
armen, todtwunden Menschenherzen
klingt sie nicht wider, die frohe Weil)
nachtobotschaft. Bleich, mit gepreßten
Lippen und tbräncnloscn, brennenden
Augen sitzt sie in Finsterniß hinter
dicht verschlossenen Läden, eine einsame
Frau in schwarzen Traucrgcwändcrn.
Sie hat ihre Dienstboten fortgeschickt:
Geht nach Hause, zu Euren Eltern, zu
Freunden. Feiert wo Ihr könnt. Da
habt Ihr Geld Geld! Sie hatten
mit scheuem DankcSwort die überreichen
Gaben genommen und waren stumm
gegangen. Jeden Besuch, jede Theil
nähme wies sie hart und schroff zurück!
Ich kann keine frohen Menschen schen.
Ich könnte kein Lachen hören. Ich will
allein sein am Weihnachtsabend.
Allein mit meinen Todten! Sie war
allein, ganz allein
Noch im vorigen Jahr hatte in dem
selben Zimmer ein strahlender Lichter
bäum gebrannt, rosige Kindcrarme
streckten sich jubelnd nach den glitzern
den Herrlichkeiten an seinen Zweigen.
Wie sie jauchzten und zwitscherten, die
hellen Stimmchen: Siel) doch, sich
doch nur die Puppe. Heini ! Hemdchen
und Röckchcn hat sie. Alles zum Aus
ziehen und und," Grctchcns Blau
äugen wurden weit vor Entzücken,
Schühchcn, Schühchcn mit Knöpfen!
C, Heini!"
Heini saß schon rittlings auf dem
prächtigen Schaukelpferd und spornte
es mit feuerndem hüh-hott! Er halte
Bleisoldaten gekriegt, Reiter, die man
von den Pferden abnehmen konnte und
ein Horn zum Tuten. Ach. wie ticrr-
lich das tutete! Und dann schmiegten '
sich zwei Blondköpfchen an ihre Knie,
Mit lachendem A-'q' dsnn rnasj ich
Den ganzen sunk'lndeu Taud;
Am liebsten aber last ch.
Das Ä!ärchenbuch in der Hind.
An? seinen bunten Bildern
i'iesz ich die Zaub.'v,'lt :
Mit Zwergen und Ricicn mir schildern,
Wie' Kiuderfcelcn gefüllt , . . .
weiche Kinderlippen küßten ihr Gesich!
und Hände: Liebes, goldenes Mult'
chcn, danke! Danke!"
Ach. liebliche, fromme Kinder warer,
sie gewesen. Grctchcn hatte das kleine
Ehristkindchen aus der Krippe genoni
men und ihm ihres Püppchens schönste!
Seidenkleid angezogen, weil das liebe
Jcsulcin nur so nackt und arm wäre
und sie wollte ihm so gern auch was
Gutes schenken. Heini ließ alle seine
Soldaten gegen den bösen König Hero
des aufmarschiren, der jämmerlich ge
schlagen und vom Pferde geworfen
wurde. Jedermann hatte die Beiden
lieb gehabt, ihre Mutter vergötterte
die Kinder fast. Sie waren ihr Ein
und Alles seit sie Wittwe geworden.
Dann kam die böse Seuche in die
Stadt; sie starben Beide in einer
Woche. Bor einigen Tagen hatte man
die kleinen schwarzen Särge hinausge
tragen auf den Fricdhof. Es war dun
kel und still geworden in dem Weih
nachtszimmer. Dunkel und still.
Das Herz der einsamen Frau
krampfte sich in Weh und Bitterkeit.
Sie versuchte die Hände zu falten,
aber es war kein Gebet, das von ihren
Lippen kam, nur ein Stöhnen der
MIÄS
Klage : Warum muß ich leben?
Warum blieb ich allein zurück? Laß
mich auch slcrbcn! Wenn Du barm
herzig bist, habe Erbarmen !"
Bon unten herauf klang Musik:
Stille Nacht, heilige Nacht," von
hellen Kinderstimmen gesungen, dann
Jubelgeschrei, Rasseln und Klirren,
zwischen hinein das Tuten eines Hör
ncS. Ah, dieses Tuten! Sie krümmte
sich unter den Tönen wie in Folter
qnalen. Sie wollte nichts hören, nichts
fühlen und doch hörte sie Alles durch
die Wände hindurch, als wäre ihr Ohr
"natürlich geschärft. Nebenan wohnte
'IvWli RWk
'SiM;"'--
t:'c
ein ,ingcS Ehepaar, dem vor vier
Wochen ein Sohnchen geboren worden
war. Jetzt waren die Großcltern da.
die ganze Familie, und sie hörte daö
Lachen fröhlicher Stimmen. Gläser
klirren und dann ein winziges, durch
dringendes Stimmchcn, vor dem alle
Anderen andaclövoll verstummten.
Sie sah da? strahlende Gesicht der jun
gen Mutter sich über das kleine rosige
Köpfchen beugen, sie sah. Stöhnend
bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden
Händen, um nicht zu sehen. Aber das
Tuten und Jubeln dauerte fort, und
sie flüchtete von Zimmer zu Zimmer
bis in ihr Schlafgcinach, das war nach
dem Hofe hinaus gelegen. Aber auch
aus den Küchen und Hinterhäusern
schallte Gesang und Kindcrjubcl.
Hinter jedem Fenster brannten die
Lichterbäumchen. Hurrah! Heut' ist
Weihnachten!" schrie ein Junge im
Hose. Heut' ist der Batcr zu Haus
und Mutter kocht Sinipstinte !"
Großer Gott! Großer Gott! Sie
sah sich um in der Dunkelheit mit wil
dem. wirrem Blick wie ein gehetztes
Thier. Bcrfolgtcn sie sie denn überall
hin. diese marternden, entsetzlichen
Töne? Gab es denn kein Winkclchcn
in der ganzen weiten Welt, wo man
sich verkriechen konnte in Stille und
Dunkelheit? Gibt es in dieser Welt
des Elends und Jammers nicht ein
Golgatha, ein Heiligthum des Schmer
zcs und der Thränen, vor dessen
Schwelle die lärmende Freude scheu
zurückweicht? Ja, Tu armes, wundes
Herz! Es gibt einen Ort, wo nie ein
Jubcllaut erschallt, wo der Wind nur
Klagen und Seufzer aufnimmt, wo die
Trauerweiden mit ewig gesenkten Kro
nen weinen nnd weiße Rosen um
dunkle Kreuze blühen. Da ist Stille,
da ist Einsamkeit. Wo die Todten
ruhen im wcltentlcgcncn Blüthen
Garten auf dein Friedhofe.
Wie eine Erlösung kam ihr der Gc
danke. Sie hüllte sich in einen Pelz
mantcl und band ein dunkles Tnch nm
den Kopf. Kein Mensch begegnete ihr
auf dem Gange und unten im Flur.
Sie feierten alle. Durch die verödeten
Straßen hastete sie mit fliehendem
Fuße wie ein dunkles Nachtgcspcnst.
Immer derselbe festliche Lichtcrglanz,
dieselben Jubcllaute kindlicher Stim
men ; WeihnachtSfrende in Hütten und
Palästen !
Vorüber! Borüber! Die Häuser
wurden spärlicher, in langen Zwischen
räumen brannten mit trübem Schimmer
vereinzelte Laternen. Der Mond
schien sehr hell, und vom Schnee ging
ein weißes, geheimnißvolleS Leuchten
aus, in dem die Bäume und Hecken zu
fluthen schienen.
In dem rohgczimmcrtcn Lattenzaun,
der den neuangelegten Theil des Kirch
Hofs abgrenzte, war eine Ocffnung,
die sie kannte. Sie schlupfte hindurch.
Drinnen athmete sie tief auf. Wie
still es hier war! Wie ein schimmern
der See mit weißen, erstarrten Wogen
lag der weite Raum. Schwarz hoben
sich dunkle Eypresscnhäuptcr gegen den
lichten Nachthimmel ab. Leise leise
seufzte der Wind in den wintcrkahlcn
Zweigen der Trauerweiden; in win
zigcn Nadeln und Sternchen rieselte
der Schnee von den bereiften Rosen
büschen. Zwischen den langen Reihen von
beschneiten Kränzen und Gedenksteinen
suchte sie ihren Weg. Ein hohes Eisen
gitler zog fich um ein längliches Bicrcck.
Alles, was ihr das Leben lieb und
werth gemacht hatte, war beschlossen in
diesem engen Raume. Das war ihre
Welt jetzt, diese beiden schweigenden
Grabhügel. In dem einen, über den
die gebrochene Porphyrsäule ragte, ruhte
ihr Gemahl seit fünf Jahren schon,
daneben, unter welken, erfrorenen
Kränzen, schliefen ihre beiden Kinder.
Der Raum für ein drittes Grab war
noch freigelassen. Da gehörte sie hin.
Da war ihre Heimath jetzt. Ah, was
sollte sie noch in verlauten, lebendigen
Welt da draußen, sie, mit ihrem todten,
gebrochenen Herzen? Warum mußte
sie leben, nachdem der Inhalt ihres
Lebens ihr genommen. Tödte mich !
Allbarmherziger! Laß mich sterben
sterben!" stöhnte sie verzweifelnd. Sie
war auf der niedrigen Bank zusammen
gesunken, ihre heiße Stirn gegen das
eisige Gitter pressend. Der Gedanke
an eine mögliche Gefahr in der kalten
Wintcrnacht kam ihr gar nicht in den
Sinn. Ihr bitteres Leid, das Gefühl
trostloser, hoffnungsloser Berlassenheit
beherrschte sie ganz und gar.
Dann auf einmal kam es ihr vor,
als fänden ihre Seufzer ein Echo, als
regte sich etwas zwischen den Gräbern.
Ein leises, wehes Wimmern! Sie
hielt den Athem an und sah sich um.
Dort, wo sich in langer Reihe die
ncuaufzcschiittetcn Gräber hinzogen,
kam es her. Sie hörte es jetzt deut
lichcr, banges, langgezogenes Schluch
zen einer Kinderstimme. Ader konnte
wirklich ein junges Kind so weinen, so
herzgcbrochcn, so verzweifelt? Ein
Schauer überlief sie. Bielleicht war es
der Wind, der Geist ewiger Trauer, der
über dieser Stakte schwebte und der
Menschheit ganzes Leid in diesen einen
unsagbar wehen Klagcton zusammen
preßte. Sie erhob sich fröstelnd. Zwischen
den weißen Gräbern bewegte sich etwas
Schwarzes. Es hob die Acrmchcn, cö
wimmerte und rief in die Nacht hinein :
Mutter! Mutter!"
Ein öiind. ES oar wirklich ein Kind.
Ein kleiner Junge. Lieber Gott und
wie sah er aus? Halb erfroren in fei
nem dünnen, knappen üittelchen hockte
er auf dem Grabe. Ein blasses, zartes
Gesicktchen mit übergroßen, tiefum
schalteten Augen. Er rührte sich nicht.
wie sie auf ttrn zu kam. Erst als sie
dicht vor ihm stand, hob er die Augen.
Großer Gott ! Daß es Kinder gibt mit
solchen Augen; dunkle Spiegel, au
denen eine grundlose Tiefe des Leide
uns rührend und anklagend zugleich
entgcgcnstarrt.
.Was thust Du hier in der heiligen
Nacht, mein Kind. Was suchst Du?"
fragte sie sehr sanft.
.Meine Mutter!" sagte er leise mit
müdem, klanglosem Stimmchcn. Ich
will zu meiner Mutter. Hier unten
ist sie drin. Ich habe sie gerufen, aber
sie kommt nicht. Sie hört mich nicht.'
Er schluchzte auf: .Mutter! Mutter!'
schrie er in leidenschaftlichem Schmerz,
sich über da? Grab werfend.
ES schnitt ihr dnrch'S Herz : Hast
Du denn keinen Bater mehr,' fragte
sie nach einer Weile.
Er schüttelte den Kopf. .Mein
Batcr war Schullchrcr!" erklärte er
und sie sah, daß er sehr stolz auf sei
nen Bater war.
Wie heißt Du denn, mein Kleiner?"
Heim ich, Heini Börncr!"
Sie zuckle zusammen bei dem Na
men. Bei wem bist Du denn jetzt,
Heini?"
Bei Schneider PhilippscnS,' sagte
er, und dcr Glanz in seinen Augen,
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den die Erinnerung an seinen Batcr
geweckt, erlosch wieder.
Sind das Bcrwandte von Dir?"
forschte sie weiter.
Nein, sie wohnten neben uns im
Keller. Wie sie die Mutter fortgctra
gen haben, hat sie mich mit in ihre
Stube genommen. Ich soll in's Wai
scnhauS. Sie sind Alle fort zum
Großvater heut'. Weihnacht feiern,"
fügte er nach einer Pause noch hinzu.
Und Dich haben sie ganz allein ge
lassen?" Er nickte gleichmiithig. Ich bin ja
ein Zugelaufenes. Sie hatte mir eine
Stulle gegeben. Ich sollte zu Bett
gehen. Alicr es war so dunkel in dcr
Stube und ich konnte nicht schlafen.
Nebenan hatten sie eine Pyramide
Lichter und Fähnchen und Aepfel daran.
Das drehte sich Alles. Ich guckte durch
die Thürritze. Nachher bin ich aus dem
Fenster geklettert und hierhergelaufen
zur Mutter."
.Aber Tu darfst nicht Hierbleiben.
Heini. Es ist sehr kalt und Du wirst
krank werden. "
Er rührte sich nicht, zog nur den
Kopf noch tiefer zwischen die Schultern
und schob die blaugefrorenen Hände
übereinander in die kurzen Acrmel fei
ner Jacke.
Komm mit mir." sagte sie und
streckte die Hand aus, um ihn aufzu
heben. Ich will Dich nach Hause
bringen zu Deinen Leuten."
Er schüttelte nur den Kopf: Es
sind nicht meine Leute. Ich gehöre
nicht zu ihnen. Ich will hier bleiben
bei meiner Mutter."
Er sagte das ganz ohne Trotz oder
Zorn, als verstünde es sich von selbst
und setzte sich dabei auf dem Grabe
zurecht, wie um zu warten. Sie sah
ihn an. Ein rührender Ausdruck von
Müdigkeit und Geduld lag auf feinem
blassen Gesichtchcn, die großen Augen
blickten mit einem seltsam:, harren
den Ausdruck in die Nacht. Bielleicht,
wenn sie ihm gesagt, daß dort der Tod
auf ihn lauerte, hätte er gelächelt.
Ihre Augen füllten sich mit Thrä
nen. Sie verwunderte sich darüber,
denn sie hatte nicht geweint, wie ihle
Kinder starben. Du hast wohl Deine
Mutter sehr lieb gehabt, Heini?"
fragte sie leise.
Meine Mutter!" Das welke Ge
sichtchcn leuchtete auf in Stolz und
Bcrklärung. Ach, meine Mutter war
gut. Die schlug mich nie. Des Abends
küßte sie mich und betete mit mir und zu
Weihnachten halten wir cincn Weih
nachtobaum. Acpfcl waren daran und
bunte Lichter zehn Lichter! Ich
kriegte einen großen Pfcffcrkuchcnmann
und cin Pferd aus Holz so groß."
Er zeigte mit den dünnen, vlaugefrore
nen Acrmchcn. Eine Trompete hatte
ich auch. Die hat mir PhilippscnS
Karl weggenommen. Sie hauen mich,
weil ich cin ZugclaufcncS bin."
Seine Augen umflorten sich wieder.
Er verstummte. Sie sah, daß seine
Lippen blau waren und fein ganzer
kleiner Körper vor Frost zitterte. Sie
stand noch immer vor ihm, und er
blickte sie an, als verwundere er sich,
daß sie nicht fortginge.
.Heini !" Sie beugte sich über ihn
und legte die Hand auf seinen blonden
Kopf: Komm mit mir, Heini.
Willst Du mit mir nach Hause km'
men?"
Er hob die Augen zu ihr mit ei ein
hilflosen, fast erschrockenen Blick, cö
war ein seltsamer, weicher Ausdruck in
ihrem Gesichte, den er nicht verstand.
Er fühlte heiße Thränen auf seiner
Stirne; er rührte die Hand nicht, um
sie wegzuwischen, sondern sah sie an
wie ein Träumender.
Komm mit mir,' sagte sie, sehr
sanft ihren Ann nm seine schmalen
Schultern legend, und mit halb erstick
ter Stimme fuhr sie fort: Siehst
Du, ich hatte einen kleinen Jungen.
Der hieß auch Heini. Er ist jetzt beim
lieben Gott, wo Deine Mutier ist.
Nun hat dcr liebe Gott Dich zu mir
geschickt und mich zu Dir, weil wir
Beide so allein und traurig waren.
Willst Du mein Ehrisilindmcn sein.
Heini? Soll ich Dcinc Malter scin?"
Er sah sie immer noch an. als
träume er. Ihr schönes, mildes Ge
ficht lächelte. Sie streckte die Arme
aus nach ihm.
Er schluchzte plötzlich ans, und die
kleine zitternde Gestalt barg sich au
ihrem Herzen. Sie weinten zusammen
auf dem stillen Friedhof. diese beidni
Einsamen, die nun nickit mehr einsam
sind.
Die Sterne nm Himmel glänzten
heller; dcr Wind erhob sich rauschend
im Gezweig. Wie cin Schimmer dcr
Bcrklärung lag'S über den schirrigendeu
Gräbern.
Und wieder sah daS Kind in das
schöne milde Gesicht und seine Thränen
versiegten, ein unendliches Frohgcfühl
spiegelte sich in den vergrämten Zügen.
Und auch die Augcn dcr Frau wurden
Heller, immer wieder glitten ihre zit
tcrnden Hände über die Wangen, die
Haare, die Schultern dcs Knaben und
dann umschlang sie ihn von Neuem
und flüsterte wieder: Komm mit!"
DaS Kind aber preßte ihre Hand an
die Lippen und so schritten sie langsam
zwischen den Gräbern dahin. In die
stille Wintcrnacht, in das ängstliche
Harren der Kreatur klang wie Lenzes
ruf dcr Befreiung und Erlösung vom
Kirchthurm herab daS uralte, wunder
selige WeihnachtSlied:
Es ist ein' Nos' entsprungen
Aus einer Wurzel zart,
Wie uns die Alte sungen
Von Jesse tarn die Art.
Und hat ein Bliiinlein bracht
Mitten li kalten Winter
Wohl zu der halben Nacht!
Podolischcr Ivrihnachlsbrauch.
Die weiteste Verbreitung unter den
VolkSbrälichcn dcr Weihnachtszeit haben
zweifellos die verschiedenartigen Auffüh
rungen, dcrcn eigentlicher Zweck das
Einsammclii von Gaben ist, und al
bclicbkcftcr Brauch unter ihnen tritt
uns, bald mit dieser, bald mit jener Bci
fchmückung, dcr Umzug dcr heiligen drei
Könige entgegen. Unser Bild zeigt unS
die Gestalt, welche diese Ausführungen
in dem westrussischen, an Oesterreich
grenzciidcn Goiivcrncmciit Podolicn an
nehmen.
Dort ziehen dic größeren Knaben aus
den ärmeren Familien am Weihnachts
abend zu den Gehöften der reichen
Bauern, um eine Art Krippcnspicl auf
zuführen. An dcr Spitze dcö Zuges
geht einer dcr Knaben mit dem Stern
der drci Könige. Derselbe ist in erheb
licher Größe aus einem mit Zcng oder
weißem Papier überzogene Holzgcstell
gefertigt. Inwendig bcfindct sich eine
Lampe oder ein Licht, auswendig ein
Podolischcr Weihnachtübrauch.
Bild, das eine Szene auö dem Leben
Jesu darstellt. Dcr Träger dcS StcrnS
wird von einem Hcllcbardcnträgcr ge
leitet. Hinter dicsc Beiden folgt ein
Dritter, welcher cin Puppentheater auf
dein Rücken trägt, sowie einige Andere,
die beim Spiele und Gesang mitwirken.
Kommen sie au daö Haus cincö wohl
habenden Gcmcindemitglicdcs, so skiin
mcn sic an dcr Thür einen Gesang an,
in dem sic um Einlaß bitten, dcr ihnen
stctS gewährt wird. Sie stellen dani!
in dcr Stube das Pnppcnthcatcr auf
und gcbcn auf demselben cin kurzes
Krippcnspicl zum Beste, daö sic mit
ihren Gesängen begleiten. Am Schluß
werden alürlich die übliche Gaben er
beten, zu deren Fortschassnng fürsorg
licher Weise von dc anderweitig nicht
belasteten Theiliichmern Säcke mitgc
bracht worden sind, denn meistens besie
he dic Spende in Backwcrk und 'c
bcnsmittcln. Tic Wrihnarhtsschwcstcrn (Wurs
cle la NakiviU') stud ein isi:i zu Ba
lciicc gestifteter und in Südsrankicich
vcrbrcttcter Orden, bestimmt, armen
Mädchen uiieutgcllliciicn Unterricht in
den Elcmcntai kciii.knisscn und weiblichen
Arbcitcn zu ertheilen. . ,
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