Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, March 01, 1894, Image 9

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!j.- -
5in Duft.
Tiiet1f.it von tc. Mit.
Nun ist der Brief endlich geschrieben!
Der Brief, den sie fett cintsi Jahre hin
uZgeschobe. sei! einem Jihr in schlaf
losen Sticht sich aulzedacht und hin und
hn überlegt hat:.
E bettelt sich nicht so leicht, wenn
man inst frei und stolz gewesm.
der rt muß ja sein: D, bitterste
Noth steht hinter ihr, nah und drohend
und zwingt und dringt sie vonvlrt.
Seit föns,eha Jahre hat sie lhr Leben
mit Stunde'ngebea gefristet; bescheiden,
zuletzt armselig genug, Sie hatte der
Schule entwachsene Mädchen in seiner
Handarbeiten unterrichtet, zugleich fran
zöstsche Konversation mit ihnen getrieben
und, wenn ti gewünscht Binde, auch
ihren historischen und literarischen Kennt
mssen ei wenig nachgeholfen. Ansang
mar man in reckt vielen Familien froh
gewesen, die müßigen Töchter inen Nach,
mittag lang gut aufgehoben z wissen,
und Fräulein . Watdftetten. I klang
doch so hübsch, wenn die Kinder bei der
adeligen Dam Untkrricht nahmen
hatt inen großen Zulauf gehabt. Aber
ihr Schülerinnen wechselten rasch: die
einen verheirateten sich, Andere verloren
die Luft, sich weiterzubilden; an manche
traten ernster Anforderungen heran.
EZ mußt alljährlich neuer Nachwuchs
kommen, wenn ihr Stpbchen, ihre Kaff
nicht leer bleiben sollten. Allmälig war'
nun immer spärlich geworden; schließ,
lich hatte sich kein einzige mehr einge,
funden.
Die konnte den jungen Mädchen nicht
verdenken, daß sie nicht mehr gern di
vier Treppen zu ihr heraufstiegen. In
ihrer klein Behausung war Alle so
alt geworden: di Möbel, die Tapet, di
Diele und si selbst. Ja, alt und
altmodisch'. Ja der .Frauen Zeitung
kamen mit jeder Nummer neu Handar
deilkn, neue Stiche, über die sie nicht
Bescheid mußte. Si besann und mühte
sich oft stundenlang übnsolch fremdem
Muster; sie verstand e nicht; die Augen
versagten den Dienst. Ach, waren
nicht Mo die Augen müde, auch die ganze
Person todtmüde. Sie hatt längst
bemerkt, daß die übermüthigen Kinder
entweder heimlich über sie kicherten oder
in den Konversationsstunden vor Lang
weile glhntm. Wie si sich auch an
strengte, sich in di Interessen dieser
lcbenilufligen, jungen Geschöpf, dnen
noch so viel rosig Illusion durch den
Kopf schwirrte, einzuleben sie bracht
c nicht mehr fertig wie früher. Sie
wir ihrer sonnigen Wett zu weit ent
rückt.
All im Herbst Niemand mehr gekom,
men, auch jede Annonce in der Zeitung
erfolglos geblieben war, hatt sie ver
sucht, sich mit Handarbeiten durchzuschla
gen. Aber auch dazu war sie veraltet:
viel zu langsam, viel zu peinlich genau.
Da Geschäst zahlt nur di Quantität,
und st verdiente kaum genug, um
trockene Brod zn kaufen.
Si hat ich Verwandte. Man würde
ihr, schon um ihre Namens willen, ein
eine Unterstützung nicht verweigern,
wenn st ihr Noth fchildkrt. Und dn,
och war sie vor diesem Schritt zurückge
bangt, immer und immer wieder. Bis
ihr nun keine Wahl mehr blieb: Betteln
der Verhungern.
ES ist ihr ordentlich leichter zu Muthe,
feit die Wort aus dem Papier siehe, IS
fji das Schwerste nun schon überwunden.
Ob ihr Nicht, die schön Frau von
Waidstetten. die sie zuweilen in ihrem
eleoernten Wagen durch die Stadt fahren
t'ilj, wohl zu ihr kommen, bei ihr Um
schau halten wird? Kaum. Sie müßte
sich ja schämen, wenn der gleiche Name
auf verwandtschaftliche Beziehungen zwi
fchen ihr und dn armen, alten Lehrerin
in der Mansarde schließen ließe. ES war
viel wahrscheinlicher, daß min ihr durch
die Post oder durch einen Diener eine
Summ zuschickt.
Odr würde man si auffordern, sich
abzustellen und selbst da Almosen abzu
holen?
" Ei Zittern fliegt ihr durch den
schmächtigen Körper.
Dann kommen ihr jene kleinen, fürn
merlichen Bedenken, die der Fluch der
erschämten Armuth sind. Wa wild sie
anziehen, um nicht mißtrauisch von der
Treppe fortgeschafft zu erden. Ein
DankeSbesuch blieb ihr ja sür alle Fälle
nicht erspart. DaS schwarze Kleid ging
ja noch an, wenn sie eS gründlich durch
dürftet und bügelte. Aber der abge
putzte Sammethut gab ihr mit seinen
Knittern, mit dem grünlichen Anstrich tu
nen geradezu verwahrlosten Anstrich.
Wenn sie ihr Spitzentnch darüber binden
würdel ES war noch ihr Bestes, ein
Ueberbleibsel au einer schöneren Zeit.
Sie öffnet ein Schubfach und nimmt
die sorgfältig in Seidenpapier gewickelten
Sgitzen aus einer verschlossenen Karton
schachte! mit dem verblichenen Bilde einer
Schäferin.
Ein feiner Duft strömt ihr entgegen.
' O dieser Veilchengcruch l Da weht sie
tn, wie Jugend, wie Heimalh. So
lanoe. lange war das Alle todt, ver
klungen! Und hier hier blieb noch ein
lebendiger Hauch der Vergangenheit
zurück.
Der treue, liebe JriSduft'. Wa er ihr
für Erinnerungen vor die Seele zaubert.
Sie hatte die Spitzen an jenem Abende
getragen, als sie unter einem leisen Früh,
UuzSregm mit Robert aus dem Theater
nach Haus gegangen war. Im dunklen
Hausflur all sie ihm die Hand gedrückt,
hatt er das Tuch zurückgeschoben und den
Mund herabgebeugt auf ihr Haar mit
scheuer Zärtlichkeit, und zum ersten Male
fcas süße Wort gesagt:
.Meine Anna!'
Aber nicht blo di seligen Stunden
ihre kurze Brautstände dämmern in
Der
Jahrgang 14.
ihr wieder hervor aul dem Grau der öde,
langen, Jahr. Die leisen Duftwelleri
wecke auch alt Schmerze wieder.
Wie dann der Krieg gekommen war !
Wie er al österreichischer Offizier hatt
fortziehe müsse nach Italien. Ach, sie
sieht plötzlich wieder da trübe, gute trau,
rige Gesicht unter der Mililärmätze. wie
e sich beim Abschiede noch zum Wage,
senfter herauSgebeugt hatte, mit einem
Gruße, al, ahnte er sein Schicksal! Mit
diesem Tuche da in ihrer Hand hat sie
ihm nach gewinkt.
E waren enisetztiche Wochen gewesen,
während sie ihn draußen wTjtt, im
Felde, in jeder Minute zitternd vor eine?
Gefahr für sein geliebte! Haupt. Sie
vermag förmlich da bange Herzklopsen
jener Nächte nachzufühlen. Jetzt, nach
jo langer Zeit, will ihr jere Erregung,
jene nimmer ruhende Angst, fast wie
Glück erscheine zu dem. was später kam.
Sie hatt doch noch eine Menschenseele,
um die sie zittern durste. Sie war mit
ihrem fürchtenden, sorgenden Herren be
theiligt an der Entscheidung, die zwei
Völker in Spannung erhielt. Ihr Leid
bebte durch unzählige Frauenseelen: ihr
Jammerschrei fand ein Echo unter Tau
senden.
Ach, nun war sie seit Jahren aZein und
elend, ohne Zusammenhang mit der
Menschheit draußen. Das alte, schwarze
Tuch l E hatte all ihr Thräne mit.
angesehen, als dann die Nachricht ge
kommen war: Robert fei todt, gefallen
in der Schlacht bei Magenta. Si hatte
sich die Spitze fest und dicht um den
Kopf geschlungen, weil ihr leuchtend
blondes Haar ihr förmlich wie Hohn er,
schienen war in ihrer Trauersttmmung.
Auf ihrer Seele war der düster
Schleier jahrelang haften geblieben. Da
mal war sie noch oerhältnißmäßig jung
gewesen, kaum fünfundzwanzig. So
mancher, der ia ihrem Elternhaus aus
und einging, hatt ein warme Wort für
sie gehabt und jenen bittenden, oerftänd
nißsuchenden Blick, de sie kannte
au Robert'S Auge. Mit wahrem
Graue war sie jeder Annäherung au
dem Wege gegangen. Wen sie nur
einmal eine Stund lang wieder lachen,
ihre Trauer auf Momente vergessen
konnte, dann hatte st sich nachher ge
schämt, wie eines Treubruch gegen den
Todte.
Aber sein Bild war blässer und blässer
geworden; die Zeit hatte darüber hinge
wischt und ihr nicht? gelassen al einen
Schatten, den sie nicht mehr zu fassen
vermochte. Nun war sie erschrocken vor
der Leer in ihrem Herzen und hatte ge
hungert nach neuer Lieb, sich krank ge
sehnt nach einem eigenen Heim, nach
Pflichten, nach Mutterglück.
Es war zu spät gevefen! Da ver
blühte Mädchen, das kranke Eltern zu
pflegen hatte, das den unaufhaltsamen
Verfall der Familie herankomme sah,
war nicht dazu angethan, die Phantasie
eine ManneS gefangen zu nehmen.
Ihr Vater, ein höhkrer Bankbeamter,
hatte ein recht ansehnliches Gehalt be
zogen, und ihr LebenSsührung einen vor
nehmen Anstrich gehabt. Sie waren alle
großmüthige Naturen, mit offenen Her
zen und offenen Händen. Ihr Bruder,
der am meisten auf den adeligen Namen
pochte und sich als Eavalier zeigen wollte,
hatte dem Wohlstand der Familie die
erste Bresche geschlagen, die nie wieder
ausgebessert werde konnte. Er war so
früh gestorben. Sie durfte dem Todten
nicht mehr grollen l
AlS der Vater die Augen geschlossen,
war so gut wi nicht! vorhanden gewesen.
Ihre Mutter hatte zum Glück die Stunde
nicht erlebt. An sie allein, an das ein,
same alte Mädchen, war die Frage heran
getreten: Was nun?
Sie hält noch immer be Kopf auf das
Tuch herabgebeugt und fächelt sich lang
begrabene Empfindungen wach und
schlürft mit geschlossenen Augen den legten
Hauch in sich ein, der ihr von dem Ju
gendglück übrig geblieben ist.
Dann plötzlich fällt ihr Blick aus den
vollendeten Brief.
Sie war der Gegenwart entrückt ge
wesen und hatt sich auf ihr alteS Selbst
besonnen. Nun fühlt sie erst, wie mürbe
sie geworden vom Leben; wie ihr Stolz
sich lengsam, allmählich abgebröckelt
hatte.
Schamroih über ihre eigenen demüthi
gen Bettelworte, schlägt sie die Hände
vor das Gesicht.
.Sie soll wirklich die Hand nach Al
mosen ausstrecken? Bei den reichen Ver
wandten, zerknirscht imVorzimm stehen,
warten, biS man für sie Zeit findet, die
mitleidlosen Blicke der Dienstboten er
tragen, die gnädige Herablassung der
Herrin? Nein! nem! So tief darf sie
sich nicht erniedrigen! Si kann e nicht!
Sie will eS nicht! Lieber Hunger !
Aber eS ist ja nicht blos Hunger
allein, mag ihr droht. Sie wird auch
frieren eS ist so bitterlich kalt draußen,
und der Kohlen-Vorrath geht zu Ende.
Und da Allerfchlimmfte sie wird
ihren HauSleuten zum ersten Male die
Miethe nicht bezahlen können. Wenn
man ihr kündigt, wohin soll sie dann?
Wohin?
Verzweifelt preßt sie die Stirn an ihr
Sonntagsgast.
Beilage zum Nebraska Ltaats-Anzeiger. No. 41.
kleine Fenster, an dem in der kalten
Rachtluit sich schon die Eiiblumen an,
setzen.
Ach, wenn sie ur todt wäre! Wenn
man nur einschlafen könnte und nie mehr
erwachen! Ei Zucken fährt ihr durch den
Körper und ihr Hard krimv sich fest
auf das Fenfterfim.
Einschlafen!
Da unten, wo die Häufe? enden, wo
über den hohen, bereiften Bäumen der
weiß Nebel aufsteigt, liegt der Stadt,
park. Wenn sie sich da unten aus eine
Bank fetzte und zu schlafen versuchte!
Sie hatte oft gehört, laß Menschen ia
einer Wintervacht im Freien geblieben,
am Morgen erstarrt aufgefunden worden
waren.
Von der Straße herauf hörte man tat
Knirsche der Räder aus dem hartzefto,
renen Boden.
Der Frost ist bitter gesug. Aber
würde der Nordwind sie wirklich zur
Ruhe einlullen, der Schlaf sie nicht im
Stiche lassen?
Ein flackernder Glanz ist in ihr: Au
gen, a'.Z sie da! Schubfach öffnet und
nun hastig mit zitternde Händen sucht.
E muß da doch irgendwo da Fläschchen
mit de Kirschlordeertropfen liegen, die
ihr der Arzt einmal verschrieben hatt.
Zum Sterben war'S wohl nicht genug.
Aber eS würde reichen für einen festen
Schlaf, wenn sie es auf eine Zug leerte!
Jn'S Feuer mit dem Brief! Jn'S
Feuer! E bleibt noch ei Weg. eh sie
betteln g:ht!
Auf den verglimmenden Kohlen flammt
da Blatt empor! Die letzte Helle, die
letzte Wärme! Ei Todtenopser.
Im Stadtpark steht eine verwitterte
Steivbank unter dem alten Weidenbaum,
der gespensterhaft sein knorrige Aeste
emporftreckt. Ein Arm dej Flusse zieht
hin vorüber träge nu?, mit zischen
dem Geräusch. Die Eisschollen, die auf
den Wellen treiben, brande stoßweise e
da hartgefrorene Ufer.
In dem weiten, weiße, frostgebann
tk Park wallt nu in großen Zügen, in
phantastische Gestalten, der Nebel.
Seine Schleier umhülle di infam
Gestalt, die sich zusammenkauert, zum
Todcsfchlaf. Keine Menschenseele
ringsum : kein Lebewesen. Tiefe, grad,
ähnliche Stille. Nur ein paar Sterne
blitzen kalt durch das winterliche Dunst
meer.
Gegen Morgen rieselt seiner Schnee
herab und bedeckt die Stewbank und den
abgetragenen Mantel, mit dem die alte
Lehrerin sich umhüllte wie ein sterbender
Römer mit seiner Toga.
AI man sie im Sonnenschein unter
dem Wetdcnbaum findet und den glitzern
den Schnee von ihrem starre Gesichte
abstreift, liegt ergebener Friede aus ihren
Zügen.
Ein Luftzug bewegt das Spitzenluch,
das sie um den Kops geschlungen hat,
und leiser Veilchenduft weht um die
regungslose Gestalt.
Tante .
Die Geschichte einer Bsrlodung. Nach de:n
Fcanz)sischkn von Wi'.h. fctUent&a'..
I. ,
Ich habe sie in Amsterdam i einer
mir befreundeten Familie kenne gelernt.
DaS ganze Hau nannte sie .Tante ES'.
Ihr richtiger Name, glaube ich, war
Estelle oder Esther. Sie stand an de?
Grenze der Sechzig ; aber nur ihre voll
ständig weißen Haare verriethen ihr
Alter. Sie hatte eine feine, runzellose
Haut, einen lebhaften, feurigen Blick,
prächtige Zähne, die sie mit ntschuldba
rem Kokeltire stets gern zeigte. Sie
mußie einmal sehr hübsch gewesen sein,
ja, sie wac eS sogar noch. Und mit die
sem tadellosen Aeußern verband sich eine
nie rastende Thätigkeit.
Die lebhaften Augen, die gewandte
Sprache, die kurzen aber bestimmten Be
wegungen, der schnelle Gang, AUeS den
tete darauf hin, daß die flinke, in allen
Satteln gerechte fechzigiährige Frau ein
Leben der Arbeit und der angestrengtesten
Thätigkeit hinter sich hatte.
Und das war in der That so. Tante
ES hatte lange Jahr .einen Handel"
betrieben. Was sagt: ich. sie hatte?
Sie betrieb ihn noch und war unvermeid
lich auf dem Pcften, wenn eS etwas zu
verdienen gab.
II.
Denn Tante E befaß kein Willig
nen. Obwohl sie sich oerhältnißmäßig
gut durch' Leben schlug, halte si doch
stets in vollständiger, allerdings unab
hängiger, aber wl gefegt, vollständiger
Armuth gelebt. Nie hatte sie Jemand
um die geringste Kleinigkeit gebeten.
Um sie zu veranlassen, alle vierzehn Tage
an unserem Mittagsmahl Theil zu neh
men, bedurft eS dringender Bitten.
Dann kam si in ihrem grauwollenen
Kleid (Sommer und Winter trug sie
dasselbe Kleid) mit den gekräuselten
Manschetten und den kleinen Volants am
Rocksaume. Gewöhnlich brachte sie de
Kindern etwa zum Naschen mit, bei
Tisch' ziigl sie sich äußerst aufgeräumt
und heiler, und wenn man sich ach ihren
.Geschäften' erkundigt, meinte sie, sie
ginge recht gut.
Und dabei waren sie doch herzlich un
bedeutend, die .Geschäfte' der Tante E!
Die arme Alte wohnt in einem Ke!
ler, einem jene? gräßlichen, feuchte und
ungesunde Amsterdamer Keller, ao ma
zu seinem größten Erstaunen ziemlich
sauber Läden vorfindet. Di Fenster
dieser Gewölbe bilden Auslagen von
Früchten, Schuhwaaren, Fischen, Bött
ch erarbeiten, kurz, alle möglichen, wa
man sich nur denken kann. Ja einem
solche Keller hauste Tante E, und zwar
betrieb sie hier einen kleinen Handel mit
Schreibmaterialien. Um in dkse Pracht,
bau, de? di ungefähre Größe ine Vo
gelkäfig hatte, zu gelangen, mußte man
zwanzig Stufen hinunterfteigen. Man
erblick: dann inen kleinen, ganz kleinen
Tisch, der di Stelle eine Ladentische
vertrat, in dem drei bis vier Karton
lagen, eben so viele Rie Briefpapier in
verschiedenen Formaten, in einem alten
andschuhkaften lagen Stahlfedern,
Znsekiele und schlechte Bleistifte im
lieblichen Durcheinander; dazu noch sechs
Flaschen Tinte und vier Lineale. Da
wa? Alles. Allzulange Zeit brauchte sie
mit der jährlichen Aufnahm des Jnoen
tarS nicht zu verschwenden. In guten
Monaten verdiente Tant E ihr zwölf
biS fünfzehn Gulden.
Abend verwandelte sich der Lade in
eine Speisesaal, Nachts wurde er zum
Schlafzimmer. Auf dem Ladentisch speiste
sie, und in einem Schranke, auf dessen
einzige? Querleiste man eine Matratze
niederlege konnte, schlief sie.
Ja dieser unterirdischen Höhle lebte si
nun schon seit 40 Jahren, als ich sie ken
nn lernte. Und sie lebt da ganz for
qenfrei und anständig, hatte keinen
Pfennig Schulden, ja sie verstand es so
gar. zu sparen und sich eine .Mitgift'
zurückzulegen.
Der? Tant Es hatte einen Bräuti
am.
III.
Bevor ich nun weiter erzähle, muß ich
erst ei paar Worte über die i Holland
üblichen Verlobungen sprechen.
Findet in junger Holländer das Ideal
seiner Träume, erscheint besagtem Ideal
der junge Mann annehmbar, find die
Familien einverstanden, so müssen die
beiden Leutchen erst einen Brautstand
von ei biS drei Jahren durchmachen.
Von diesem Augenblick an leben die
künftigen Galten, als gehörten sie sich
schon seit längerer Zeit an. Sie können
ohn jede Ehrendame, ohne den geringsten
.Schutz' überall hingehen, wo si nur
wollen. !
Als Tante E 13 Jahre alt war. hatte
fie ihrer Familie eines TageS den Mann
ihrer Wahl vorgestellt.
Er war Kleinkaufmann wie sie, d. h.
er war noch keiner, denn Tante Es besaß
doch ine Laden, einen Tisch, Kartons
mit Papier und einen alten Handschuh,
kästen mit Stahlfedern, mährend ihr
Auserwählter keinen Laden sein eigen
nannte. Oder wenn doch, so war er so
klein, daß er ihn in die Tasche stecken oder
unter den Arm nehmen konnte.
Karl so hieß er war Zigarren
Händler, aber nicht etwa einer jener
Großkaufleute, die ihre Waare direkt von
den Plantagen uä der Havanna de
ziehen. Sein .fliegender' Laden be
stand aus einer Kiste, in der sich, bevor
sie fein Eigenthum geworden, hochfeine
RegaliaS befanden und in die er nun,
nicht ohne innere Scham, feine Drei
Pfennig Zigarren packte. Er verkaufte
feine Waare dem Publikum unterster
Klasse, hatte- fte! nur 100-20 Stück
auf einmal oorräthig und brauchte, um
dieselbe unterzubringen, immer vierzehn
Tag.
Dieser Handel brachte ihm nicht ein
mal das ein. wa seine Verlobt mit
ihren Bleistiften, Federn und Papier
verdiente.
Trotzdem wollten sie heirathen, und
zwar war eS eine Heirath aus ,Nei
ging, den sie liebten sich.
Es war aber auch eine Konoenienzhei,
rath, denn die .gesellschaftliche und so
ziale Stellung' der beiden war oollkom
men gleich.
Gleichzeitig war ti auch eine Ver
nunftsheirath, denn sie wollte nicht eher
beirathen, bevor sie nicht eine bestimmte
Summe zurückgelegt, mit der sie ohne
allzu große Schwierigkeiten einen Haus,
stand begründen konnten.
IV.
Tante Es hatte erklärt, ti: Hochzeit
würde stattfinden, wenn sie Beide ein
Vermögen von 1000 Gulden aufweisen
konnten. DaS war das Wenigste, wo
mit fie sich inen größeren Laden miethen
konnten. Doch sollte der Zigarnnhandel
mit dem Papiergeschäft vereinigt werden;
auch der Schrank sollte seine? eigent
lichtn Bestimmung zurückgegeben und
nicht mehr als Schlafkabinet benutzt
werden.
Von dem Tage ab, da fie sich mit Karl
verlobte, ging in Tant Es eine Um
Wandlung vor. Sie, di fast vom frühen
Morgen bis zum späten Abend wi ine
Lerche getrillert und der di Nachbarn
einstimmig ihren heiteren Sin zum Vor
wurf machte, sie wurde ernst und schwer
mülhig.
Man sah, wie sie ur och ei Ziel
vor Augen hatte: Geld verdiene. Nicht?
kam ihrem Eifer und ihrer Arbeitwuth
gleich, abgesehen von Karl, der e ih?
darin noch zuvorthat.
Aber ei wa? nicht leicht. Der Groß
Handel verschlang Alles. Ihr gemein
samen Anstrengungen hatten kein be
sondere Resultat. Er sucht theuer
Zigarren aa den Man zu bringen,
während sie da damal in Mode kom
mevde Büttenpapier bei ihre Kunde
einzubürgern sucht. Aber diese dop
pelte Spekulation schlug fehl und
fehlte nicht viel, so wäre der kleine
Papierhandel und das Zigarrengeschäft
an den theueren Sorten zu Grunde ge,
gangen.
.Wir dürfen nicht übereilen," sagte
sie, .und können unS nicht in zmeifel
haste Spekulationen einlassen. Was
man hat. das kennt man, was man aber
neu einführen will, kennt mag nicht.
Warte wir! Mit de? Zeit wird eS un
schon gelingen!'
V.
Und fie warttten. Der Muth nd
die Hoffnung verließen sie richt. Und
AbendS, wenn sie hinter dem Ladentisch
saßen und er sie entzückt betrachtete, baa
ten sie Luftschlöss? und ntwarfen Herr,
lich ZukunftSpläne. Bald wa? e ein
Kommode au Mahagoni, di ? in
in Magazin in de? Caloerftraat ge
sehen, bald wieder bildete den Gegen
stand der Unterhaltung die Erziehung
der Kinder.
EmeS Abends hatte sie, wie sie sagte,
einen Einfall.
.Weißt Du, was wir thun müßten?
Du wirft sagen, ich sei unvernünftig,
aber eS ift ine fir Idee von mir.
Wir sollte un beide ei LotterielooS
kaufen.
Gesagt, gethan. Mit bebendem Her
zen sahe sie dem Tag der Ziehung ent
gegen. Am Vorabende de großen Er,
eignisseS sagte Karl zu seiner Braut:
.Wenn ich morgen ia einer Kutsche
oorgefahren komme, ift unser Nummrr
mit dm große Laos gezogen!'
Am nächsten Tag war Tant ES
schon shr früh auf dem Posten. Wie
ungeduldig sie war! Jedesmal, wenn
ein Wagen vorüberfuhr, bekam sie Herz,
klopf. Glücklicherweise fuhren nicht
allzu viel durch daS dunkle Gäßchen.
Und doch wirbelt: ihr der Kopf. Sie
fühlt, sie werde ganz blaß. Endlich
hielt ein Fiaker vor der Thür.
Im Inner de? WagenS bemerkte sie
Karl. Bei feinem Anblick durchsauften
tausend Gedanken ihr Hirn. Endlich
hielt sie daS so lang ersehnte Glück in
Händen, denn eS war ja gar keine Frage,
sie hatte in der Lotterie gewonnen.
Karl kam ja vorgefahren. Schließlich
lief sie an den Wazenschlag, der lang
sam geöffnet wurde, und starrte in das
todtenblasse, entstellte Gesicht ihres Bräu.
tigamS.
,WaS haft Du?' fragt fie zitternd.
.Haben wir gewonnen?'
.Nein,' erwidert er, .aber ich habe
mir das Bein gebrochen.'
VI.
Sie pflegte ihn sorgsam, räumte ihm
ihre Schrank ein und begnügte sich mit
einem Stuhl. Als er wieder hergestellt
war, nahm er seine Cigarrenhandel
wieder aus.
Und so gingen Jahr aus Jahr dahin
und mit ihnen zerfloß eine Hoffnung
nach der andern. Doch die Beiden ließen
den Muth uicht sinken, sie bemerkten
eS nicht, daß ihre Haare sich bleichten
und ihr Körperkräfte innre: mhr ab
nahmen.
Sie war sechzig, er war siebzig Jahre
alt. Tante ES war krank, aber sie sagte
eS nicht. Sie fühlte sich sehr schwach,
beherrschte sich aber, um ihrem Geschäft
weiter vorstehen zu können. Im Allge
meinen hatte sie auch wenig Schmerzen,
klagte niemals und dachte nicht daran,
einen Arzt zu konfultiren.
Eines TageS fühlt sie sich so schwach,
daß sie Karl bat, da zu bleiben, der für
einen Kunden 5 Cigarre fortbringen
sollte. Sie sprach viel und trotz ihrer
Krankheit war sie vertrauensseliger als
je. In den langen Jahren hatte die
beiden Verlobten wirklich eine Summe
Geldes erspart. E fehlte ihnen a den
kausend Gulden ur noch die Hälsle ; da
war für ihre felsenfeste Hoffnung ine
Kleinigkeit.
Die Nacht brach herein ; es war eine
linde Sommernacht. Tante E fühlte
sich wchl, wie sie sagte.
.Ich hab ine Idee,' meinte sie.
.Wir find jetzt doch schon alt. E ist
wahrscheinlich, daß wir keine Kinder ha
den werden. Wolle wir unS nicht schon
verheirathe ; wir besitzen ja genug.'
Er fand das sehr vernünftig. Wozu
auch noch länger warten! Ja, ja, so
sollte S fein ! Si hatt feine Hand er
griffen, hielt si ia der ihr;n und schloß
,ann di Auge.
,E ist gut, wir sprechen morgen aei
ier darüber.' sagte er.
Sie antwortet nicht.
Er ging langsam und sacht vo ihrem
Bette fort, den er glaubte, sie schliefe.
Aber sie a? todt.
v:i.
Ll ich räch Amsterdam zurückkehrte,
sah ich bei meinem Freunde eine ltrn,
aber rüstige Herrn in Trayerkleidung.
Das war der Bräutigam ooa Taute
E. Die Verwandte de? arme Fr
ha!a th bei sich aufgevomme,
pflege ihn auf da liebevollste. Er ge.
hört zur Familie.
Ht !
Unter diese? veSerfchrrft tritt Dr.
med. I. RuffStuttga?t für da Grüße
auf der Straße durch Hutabnehmen et
und sucht gleichzeitig die Ursachen aufzu
deck, die zu? vorzeitige Kahlköpsigkett
führ. Kahlköpfig F?auea treffe an
untt? Tausenden kaum eine, kvährend die
Glatze ode? wenigsten schwacher Haa?,
bestand bei Männern fast ehe? Regel al
Ausnahme fei. Nach Ruff Ansicht ist
die verschiedene Behandlung der Kopf
haa? feiten der beiden Geschlechter die
Ursache für diese auffällige Erscheinung.
Pflege und Bedeckung der Kopfhaar
unserer Kinde? beiderlei Geschlecht, siu?
bi zu ihrem Eintritt in da fchulpftich
tige Alter di gleichen, aber auch der
Haarwuchs ift der gleiche. Erft jetzt be.
Sinnt eine ungleiche Behandlung : dem
lkädchen geben wi? mit dem leichte
Hütchen eine zierlichen Aufputz, dem
Knabe mit dem schweren, luftdichte
Filz einen Haartödte?! Täglich
wird da um den Schädel ein Ring gelegt,
der stundenlang aus die Stelle, wo er
fest anliegt, einen Druck ausübt und
außerdem ein hohles Dach bildet,
Luft nd Licht abschließt und eine Tem,
peratur erzeugt, die wesentlich höher ift,
al die des Gesicht, und die durch die
Haare al schlecht: Wärmeleiter dort
auch nach dem Abnahme de Hute noch
aufgespeichert bleibt.
Allgemach verliert so de? Haarbode
seine Treibkraft die Haare werde
dünner, stehen weit? von einander ab
und schließlich ist die Kahlköpsigkeit da.
Bet Mädchen und Frauen kann der Hut
niemals diese verheerende Wirkung haben
niemal liegt er hie? sa dicht und
gleichmäßig cm allen Stellt a, daß er
zu einer Umschnürung de? Kapfhaut, d.
h. de Haarboden führen kann. ' Mit
dem Kopshaar verlieren wir aber nicht
bloS einen Schmuck, fondern gleichzeitig
auch einen Schutz, dessen Werth nicht mit
dem für die Kopfhaut allein erschöpft ift,
sondern der sich von ausgesprochenem
Nutzen für die Oekonomie de Gesammt
organtSmu erweift.
Gründlich dlamrrt.
Madame Catalani wurde einst zu?
Hoftafel in Weimar beigezogen und er
hielt ihren Platz nebe Altmeister
Goethe, wodurch die Sängerin ganz hu
sonder! ausgezeichnet werden sollt. Ma
dam Catalani hatt aber keine Idee vo
de? Existenz eines Goethe, und nu? feine
imposante majestätische Gestalt und die
Ehrfurcht, mit der man ihn behandelte,
veranlaßte fte, ihren anderen Nachbar zu,
fragen, wer dieser Herr sei.
,DaS ist der berühmt Goethe!'
,Bh so!' sagt die Catalani, .aber ich
bitte Sie, e fällt mir gerade uicht ein
. . : .welche Instrument spielt er?'
.Da ist kein Musiker,' sagte d?
fällig Nachba?, .?? ift in Dichte? der
Dichte? von .WcrtherS Leiden'; Sie
haben doch um HimmelZwillku fchcm
etwas von ihm gelesen!'
.Ja, ja, jetzt erinnere ich mich,' sagte
die Catalani, und sofort wendete si sich
an Goethe mit den Worten: .Ach, mein
Herr, Sie haben keine Idee, welche ine
Verehrerin de .Werther' ich bin!'
Goethe antwortete mit leichter Ver
beugung für diese schmeichelhafte kom.
pliment.
.Roch in meinem Leben,' fuh? die
lebhaste Dame fort, .habe ich nicht herz
lich? lachen müssen, als bet de? Erftauf
führung in Pari. Es ift eine ganz
kapital Farce, und si war auch immer
sehr gut besucht.'
.Wadam,' antwortet Goeth e?
staunt, .Wirther in Farc' ....
Nun ja,' antwortete di Catalant,
.ich schwör Ihnen, ich habe noch nie so
gelacht, ja, ich muß noch jetzt lache,
wenn ich daran denke; es ist aber auch
komisch.'
E stellte sich bald heraus, daß Ma
dame Catalani von einer schlecht Paro
die de .Werther' sprach, worin die Se,
timentalttät de Romans ins Lächerliche
gezogen wurde. Den gonze Abend war
Goethe mißgestimmt, Madame Catalani
aber verlor ihren ganzen Kredit nd
wurde zu keine? Hoftafel meh? zuge
zogen. 1 i
Er mnß es w'ffen. ;
Söhnchen (seine , Schularbeiten
machend): .Jetzt weiß ich nicht, heißt 3
le coenr ode? Ia cöeur?' 1
Papa (Restaurateur) - Bei dieser Kälte
heißt es Likör.' '
Thssrie und prins.
.Sehe Sie die Dame, die jetzt ge
rade am Billetfchalter steht? Da ift die
bekannte Weiberrechtlerin aus Chicago.
.DaS hätt' ich mir denken könne.
ES stand eine ganze Reihe von Herren
am Schalter, aber sie nöthigte Alle, ihr
als Dam Platz zumachn.'
Entgegenkommen.
.Was rechnen Sie für da Ausziehen
eine Zahnes?'
.Einen Dollar, Fräulein; bim
Dutzend mach' ich eS billiger.'
passend.
Aeltliche Jungfrau: .Meine Berlo.
bungSanzeige muh ich doch jetzt bekannt
machen. Wie schreibe ich da?'
Reffe (boshaft): .Unlieb sersvätetl'