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About Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901 | View Entire Issue (Jan. 25, 1894)
Der arme Trnls. Novelle von H. H. ?mftctt. Er war in einer ärmlichen Hütte ge ioren, fit in dem großen Herrenhaus, (fr mußte nicht von seinem Bater; sie ar tie Tochter Grim von Stogli und dn hatte nur die einzige Tochter. Beide urden an demselben Tage getaust; er wurde Trul genannt, weil man ihm doch einen Namen geben mußte; sie erhielt den Namen Borghild. weil stet die erflge. borene Tochter in der Familie seit dreißig GeschlechtSfolgen s geheißen worden. Beide weinten, al der Pfarrer ihre Häupter mit dem Weihwasser besprengte. Seine Mutter suchte ihn zu beruhigen, errSihete verlegen und sah schüchtern um sich; die Frau dagegen, welche Borghild trug, hob diese in ihren Armen so hoch e nging, daß sie jeder sehen konnte und der Pfarrer lächelte huldreich und alle rwesenden sagten, daß sie nie ein schö err, Kind gesehen. Da, war der Ein zug Beider tn Leben, er al ein Kind der Kümmerniß. sie al die Tochter eine mächtigen HaufeS. Sie wuchsen zusammen auf. Sie hatte runde Backen und sröhliche Augen und ihre Lippen waren röther al die rothe Rose. Er war schmlchtig gebaut, sein Gesicht schmal und blaß und seine Augen hatten einen sonderbaren, starren Blick, al sZnnen sie über ein dunkle, leben, lange Räthsel, dessen Lösung sie nicht zu finden hofften. Am Strande, wo sie spielten, kamen und gingen die Wellen und ihr murmelnde Rauschen schien au eiter Ferne zu kommen. Borghild lachte laut, klatschte mit den Händen und warf Steine in da Wasser, während er bleich und schweigsam dasaß und nach den großen, weißbeschwingten Seevögeln schaute, die in dem blauen Ocean de Himmel schwebten. .Möchtest du wohl dort in der Tiefe ie grüne Waffer leben?' fragte sie ihn eine Tage, al sie nebeneinander saßen und die Eiderenten beobachteten, welche schwammen und tauchten und köpf unter im Seegra standen. .Ich möchte e wohl antwortete er, .wenn du mit mir gingest.' .Nein, ich gehe nicht mit kreischte sie: ,e ist kalt und naß drunten im Waffer und ich würde die Bänder an meinem neuen Mieder verderben. Aber wenn ich älter und größer bin, dann ru, dere ich mit den jurigen Burschen hinüber uach dem Kirchhof, und dort traut mich der alte Pfarrer und ich trage die große silberne Brautkrone, die meine Mutter getragen, al sie getraut wurde. .Und darf ich mitgehen?' fragte er schüchtern. .Ja, du darsft mein Boot lenken und mein Steuermann fein, oder weißt du, du kannst mein Bräutigam sein, wenn du da lieber willst.' .Ach ja, ich will lieber dein Bräutigam sein!' Und er sah sie mit einem langen, sonderbaren Blicke an, vor dem sie bei naik ängstlich wurdk. Die Jahr serglngrn und ehe Borghild sich' versah, war sie zur Jungfrau her angewachsen. Der Flaum an Trul' Wange wurde rauher, er begann auch zu kmpftnden, daß er kein Knabe mehr war. Wenn die Sonne niederging und di Seebrise in den dichten Kronen der hohen Fichte rauschte, begegneten sie sich oft zufällig am Quell, am Strand, auf dem See! (Alm). Und je öfter sie sich trafen, desto mehr hatten sie sich zu sagen; natürlich war sie e, die da Plaudern verrichtete; er schaute sie an mit seinen großen, verwunderten Augen und horchte. Einmal erzählte sie ihm von den Bur schen, die mit ihr an dem Sonntag? Vergnügen zu Haug tanzten, da meinte sie zu bemerken, daß fein Gesicht sich tiefer verfärbte und daß er beide Fäuste ballte und sie in die Taschen steckte. Da gab ihr zu denken, und je mehr sie nachdachte, desto neugieriger wurde sie. Er verstand die Geige gut zu spielen, wie, wenn sie ihn aufforderte, zu kommen und auf der Festlichkeit zu fiedeln, die ihr Vater zum Beschlusse der Ernte zum Besten gab? Sie beschloß e zu thun, und er, der nicht wußte, was sie bewog, willigte mit saurer Miene ein. Hinterher fiel ihr ein, daß sie ein boshaste Spiel getrieben, aber wie die meisten Mädchen find, e kam ihr nicht in den Sinn, sich darüber Gedanken zu machen; sie schüt, telte e ab und stimmte ein Lied an: .Ueber die Wellen bläst der Sturm, wind voll Grau, die Wellen, die blauen, sind de Meermanns Hau, da Lied klingt so schaurig, so schaurig.' Die Ernte war reich ausgefallen und da Erntefest sollte gleichen Schritt mit der Ernte halten. Da breite Skogli. Hau prangte in voller Beleuchtung, denn es war schon spät im September. Di langen schlanken Talgkerzen in den vielarmigen Leuchtern schienen matt in dem dichten Nebel und warfen nur einen schwachen Lichtschimmer durch die Dunkel hett. Alle Augenblicke trat ein Gast ein, die Flammen der Kerzen flackerten und kämpften, sich gegen die Zugluft aufrecht zu erhalten. Auch Bsrghild' Muth stieg und sank mit der flackernden Bewe gung der Flammen, die gegen den Wind stritten. So oft die Thürklinke klap. perle, spannte sich ihr Blick und forschte nach Trul, und einen Augenblick wünschte sie. daß sie sein Geficht nimmermehr er, blicken möchte, und im nächsten sah sie gespannt nach der Thür. Jetzt kam er; er legte seine Geige auf eine Bank, ging mit harmloser Miene zu ihr hin und bot ihr die Hand. Sie zögerte, den Gruß zu erwidern, doch al sie den tiefen Zug von Betrübniß in sei nen Mienen gewahrte, drängte da Herz sie mit großer Zärtlichkeit nach ihm. mit einer Zärtlichkeit, wie man fie für ein kranke Kind empfindet, da ohne Hoff nng auf Genesung leidet. Sie legte ihre Hand in die seinige; da lag sie eine Weile regungslos, denn keine von Beiden wagte sich der Wonne hinzugeben, bieder rblick de Andern entzündete. Al sie dle Hand zurückgehen wollte, faßte er sie mit raschem Drucke und sagte mit auf flammender Stimme: .Dein Anblick, Borghild, stillt den Hunger, der an meiner Seele nagt. Hüte dich, Borghild, mit einem Leben zu spielen, wenn e auch nur ein werth lose ist! E lag eine hoffnungslose Traurigkeit in diesen Worten, daß sie heftig erschrak; dieselben rissen eine verborgene Tiese in ihrem Herzen auf und sie schauderte vor ihrem Frevelmuth, den sie darin erkannte Wie konnte sie da Leid, da fie ihm zu gefügt, wieder gut machen? Wie konnte sie die Wunde heilen, die fie geschlagen? Ein Anzahl Gäste nähert fich, sie zu begrüßen, unter ihnen Svvert Stein, ein trotzig blickender junger Mann, der sie während de Sommer öfter zum Tanze geführt. Er hakte in vierschrötige Ge ficht, grobe Züge und inen ungeheuren Wulst zottiger Haare. Sein Geschlecht war weit bekannt wegen der schlagfertigen und dreisten Zunge. .Kühl ist dein Willkommen, Borg hild von Skogli,' rief er, .aber wa ein zögernde Herz nicht darreicht, kann eine kecke Hand ergreifen, und wa man mir nicht bietet, da nehme ich dann unge heißen!' Mit diesen Worten schlang er seinen Arm um ihr Hüften, schwang fie vom Boden und fetzte sie mitten in dem Ge lasse nieder. Trul stand und sah mit großen und verwunderten Blicken zu. Er bemühte sich besten, den Prahlhans zu verachten, aber er endete damit, ihn zu beneiden. .He Fiedler, stimme an ein Weile, die durch Mark und Bein dringt I' schrie Syvert Stein; er stampfte den Boden mit den Hacken und schwenkt den Körper nach dem Takte eine lebhaften Tanze. Trul verfolgt Beide mit den Augen; auf einmal sprang er mit jähem Ruck empor, ein wilder Gedank flammte in seiner Brust auf; doch mit Anstrengung faßte er sich, faßte nach seiner Geige und ließ eine schmermüthige Weise ertönen. Dann legte er da Ohr dicht an da In ftrument, al ob er einer lebendigen, darin verborgenen Stimme lausche, ließ den Bogen sausend über die Satten sah, ren, daß e wirbelte und jauchzte und mit berückender Fröhlichkeit tönte, doch immer schrillte e wie ein Aufschrei des Schmerze dazwischen. Und die Ruhe, die auf dem schwarzen Estrich schlum merte, wurde lebendig und regsam bei den bezaubernden Klängen, alle Pulse in der weiten Halle schlugen rascher und jede Auge erglühte in kühnerem Feuer. Jetzt hub eine starke ManneLftimme cn zu singen, nach dem Takte der Geige: .Komm, liebliches Mädchen, uno tanze mit mirl O hoi, hol' Und eine klare, t.tH'rafct Stimme onlwortete: .So gerne tret' ich u n Tanze mit dir! O hol. hol' Truls kannte die Stimme nur zu gut, e waren Svvert Stein und Borghild, die in Lied sangen. Da Lied war zu Ende. Die erhitz ten, schnaufenden Tänzer schwärmier zu Zweien und Dreien über den Flur und ließen die großen Trinkhörner von Hand zu Hand gehen. Trul saß in seinen Winkel und drückte mit seinen Armen ii Geige an die Brust, nur irnt C!äJB zu thun, denn er hatt eine entsetzliche Furcht vor sich selber Furcht vor den Getan ken, die sich in ihm zu regen begannen, Furcht vor der That, die denselben folgen könnte. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, aber er fühlte kaum, daß seine Finger sie berührten. Ihm war, al ob etwa in ihm ersterben, al ob eine Saite in seiner Brust gesprungen wäre und der Sprung ihm die Ueberlegung und di, Stimme geraubt hätte. Jetzt schlug er die Augen auf und sah Borghild vor fich flehen; fie hatte die Arme in die Hüfien gestemmt, ihre Augen blitzten von ungewöhnlichem Feuer und in ihren Mienen lag ein Zug wie Mischung von Ueberrnuth und Mit leid. .Ah. Borghild, du bist's?' sagte er heiser. ,Wa willst du von mir? Ich dachte, tu wärst mit mir zu Ende.' .Du bist ein närrischer Kauz,' ent gegnete fie mit erzwungenem Lachen. .Der Zweig, der nicht biegen will, muß brechen!' Sie drehte fich rasch aus den Hacken um und verschwand in dem Gedränge, Lange saß er und grübelte über ihre Worte nach, allein der Sinn derselben blieb ihm unverständlich. War er der Zweig, mußte er biegen oder brechen? Nach und nach stemmte er di Hände auf die Knie, erhob fich langsam und unsicher rmd wankte mit schweren Tritten zu der Thür. Die kühle Nachtluft, meinteer, würde ihm wohl thun. Die Gedanken wachsen kräftiger in freier Natur, unter dem weiten Himmelszelte. Weißer Ne bel wogte über den Feldern und ließ da tiefere Thal wie einen weißen See er scheinen, dessen Nähe man empfindet, wenn man ihn auch nicht sieht. Und au dem Nebel streckten die düsteren Fichten warnend ihre Finger gen Him mel und der Mond schwamm groß und ruhig zwischen den silbernen Wolken Inseln. Er schritt eine Weile rüstig vorwärts und indem er an die Pein zurückdachte, die er soeben mpfunden, fand er seinen Schmerz thöricht und unvernünftig. Eine verzweifelte Lustigkeit ergriff ihn; immer noch wußt er nicht, wohin ihn sein Fuß trug; fein Kopf wirbelte, sein Puls schlug fieberhaft. Ungefähr halb, wegs zwischen dem Forst und dem Her renhauS, da, wo da Feld fich steiler hin anzog, befand fich ein Gebüsch von Bir ken, deren schlanke Stämme gespenstisch weiß in dem Mondschein schimmerten. Trul fühlte etwa in sich, da ihn an trieb, den gangbaren Pfad zu verlassen; der Eingabe folgend, senile er auf die Birken zu. Ein sonderbarer Ton, gleich dem Stöhnen eine Jammernden, drang zu seinen Ohren. Er war gar nicht ver wundert darüber; er befand sich in einer Stimmung, in der er über nicht ver wundert wäre. Wenn der Himmel mit dem Mond und allen Sternen zu ihm niedergesunken wäre, so hätte er da ganz in der Ordnung gesunden. Indem er so durch den Nebel schaute, unterschied er di Umrisse einer mensch lichen Gestalt. Mit drei großen Schritten erreichte Trul die Birke. Am Fuße derselben saß Borghild, sich hin und her weisend und jämmerlich weinend. Ohne ein Wort zu sagen, fetzte er fich a ihre Seite und versuchte einen Blick in ihr Geficht zu thun; aber fie verbarg e vor ihm und fuhr fort zu schluchzen. Und doch war kein Zweifel, daß e Borghild war vor einer Stunde noch so fröhlich, so übermüthig und trotzig, j?tzt zu seinen Füßen kauernd und wei nend wie ein Kind mit bedrängtem Her jen. .Borghild', sagt er endlich, sanft den Arm um fie schlingend, .du und ich. wir spielten miteinander, al wir Kinder waren.' .Ja, Trul,' antwortete sie, mit Thränen ringend. .Und wir wuchsen zusammen auf. ver lebten manche srohe Stunde miteinan der.' .Manche, manche frohe Stunde!' Sie erhob ihr Haupt und er zog sie dichter an sich. .Aber seitdem habe ich dir großes Un recht gethan,' begann sie nach einem Weilchen. .Nicht, wa nicht ungeschehen wer den könnte,' faßte er sich ein Herz zu sagen. E währte bei Borghild lange, bis ihr Gedanken ein feste Gestalt an nahmen, und al die endlich geschah, hatte sie nicht dm Muth, ihren Wor. ten Ausdruck zu geben. Gleichwohl empfand fie die ganze Zeit über ein sehn süchtiges Verlangen, vor dem ihr Ge, wissen schauderte, wie vor einem Ver, brechen; sie rang erfolglos mit ihrer Verzagtheit, bis die Verzagtheit die Oberhand erhielt. .Ich bin froh.' daß du kamst,' ftam melke sie. .Ich wußte e. daß du kom men werdest. Ich fühlte da Bedürf niß, dir etwa? zu sagen.' .Und wa ist da, Borghild?' .Ich wollte dich bitten, mir zu ver, zeihen....' .Dir verzeihen. . . .' Er sprang auf, als hätte ihn ein Stich gestochen. .Und warum nicht?' flehte fie in wim merndem Tone. .O, Mädchen, du weißt nicht, wa du begehrst!' rief er mit einem Ernste, der sie beben machte. Hätte ich mehr als dies einzige Leben zu opfern doch du liebkosest mit der einen Hand und schlägst Wunden mit der andern. Lebe wohl, Borghild, hier gehen unsere Wege auseinander I ' Er wandte ihr den Rücken zu und bezann den Abhang hinunter zu steigen. .Um des Himmels willen, TrulS, bleib!' schrie sie auf und streckte die Arme flehend nach ihm auS. Rede, o m'r?ille!!' Kit einem Sprunge war er wieder an ihrer Seite, neigte sich zu ihr und flüsterte mit heiserem, leidenschaftlichem Wispern das Geheimniß seine HerzenS in ihr Ohr. Einen Augenblick sah sie ihm groß in die Augen, dann, in wenigen hastigen Worten, gestand sie ihm ihre Liebe, gelobte ihm Treue, AlleS, AlleS l Und in der stillen Sommernacht entwar fen sie den Plan, miteinander zu flüchten in ein größeres, freie Land, wo die Lorurtheile der alten Welt der Bereinü gung de Armen mit dem Reichen keinen Zwang entgegensetzten. Sie wollten in Geduld und Schweigen bis zum Früh ling warten, dann kommen die frischen Winde von der See und mit ihnen die Zugvögel, welche in der Brust der Nor weger die Wanderluft wecken, und die amerikanischen Schiffe, die so manchen sinkenden Muth beleben, dem ermüdeten Arme neue Spannung einflößen und Hoff nung bem verzagenden Herzen. Während der Winterszeit bekamen sich Truls und Borghild selten zu sehen. Im Kirchspiel ging ein Gerücht und nach dem Weihnachtöfeft wurde als gewiß er, zählt, ds stolz Skoglier Mädchen sei dem Sybert Stein zur grau versprochen. Man war allgemein der Meinung, daß die beiden Familiendie Sache ausgemacht, wenigsten Borghild keine Stimme dabei gehabt hätte. Andere wollten wissen, sie hätte sich rundweg geweigert, einen An trog von dieser Seite anzuhören, und al sie gefunden, daß Widerstand ve geben sei, hätte sie drei Tage und drei Nächte geweint und Essen und Trinken verwci gert. Andere wieder nannten derartiges Gerede ein eitle Geschwätz. Borghild saß indessen allein in ihrem Gtebelsenster und ließ den sehnsucht volle Blick nach der See schweifen. Die Gletscher begannen zu glitzern, die Bäche schwollen an, die Knospen im Walde quollen und große weiße Segel schimmerten am sernen westlichen Hort zonte. Wenn Trul, der arme Schlucker, wie ihn Spötter hießen, eine beachtenSwerthe Person in dem Thale gewesen wäre, so würden die Gevatterinnen Plaudertaschen eS nicht übersehen haben, daß er eines schönen Tage seine Kuh, seine Flinte und seinen Hund verkaufte. Er that sechzig Silberthaler in einen ledernen Beutel und nähte denselben fest an den Gürtel, den er um den Leib trug. In der Rächt darauf hörte man Jemanden wie närrisch in dem Birkenwald über dem Skoglihau spielen. Bald klang e wie wehmüthige Klagen, dann wie kecke, trotziges Lachen, und nun wieder versank e in ein herzbrechendes, peinvolle Wim mern, und die Leute, die e hörten, be kreuzten fich und flüsterten ein Vater unser. Borghild saß an dem Giedelfenstcr und horchte lange auf die zauberischen Melodien. Milttrnacht kam, aber fie regt fich nicht. Mit dem Schlage der MitternachtSstundt hörte da Spiel auf. Au den Fenstern der Hall und der Küche strömte Licht hinau in den Nebel; die Finsterniß stand draußen dicht wie eine Mauer; drinnen aber waren die Mägde und die Knechte beschäftigt, zu backen, zu waschen und zu brauen, denn in acht Tagen sollte eine Hochzeit gehalten werden auf dem Hose. Die Woche verging und der Hochzeit, tag erschien. Trul hatte die ganze Nacht kein Auge zugethan. Mit dem Morgengrauen schlenderte er hinab die Bucht entlang and sah hinau auf den stillen Fjord, wo weiß beschwingte Seevögel tn weit gezo genem Bogen um die nackten Klippen schwärmten. Hoch über de kreisenden Schaaren segelte ein Meeradler in dem blauen HimmelSraume und schnell wie ein Gedanke schoß er hinab auf einen Heilbutt, der S wagte einen Blick nach der aufgehenden Sonne zu werfen. Der mächtige Fisch zuckle einen Augenblick auf dem Wasserkamme, dann mit einem ge wältigen Schlag seine Schwänze, der den Adler pfeifend durch die Luft jagte, tauchte er unter die Oberfläche. Der Raubvogel stieß einen lauten Schrei au, flatterte mit krampfhaften Schlägen feiner breiten Flügel, und für einige Minuten entzog eine dichte Wolke herbeiströmender Enkev und Möoen und kreischender Adler den Kampf der Beobachtung. AI die Vögel auseinander flogen, war der Meeradler verschwunden und die Fluthen glänzten wieder ruhig in der Morgen sonne. TrulS stand lange und starrte mit ver lornem Blick auf da Schauspiel und allerlei sonderbare Gedanken wirbelten ihm durch da Hirn. .Halloh, Fiedler!' schrieen ein paar Burschen, die gekommen waren, die Hoch zeitöboote flott zu machen. .Du bist früh auf den Beinen heute! Hier ist eine Schaufel. Komm' und hilf uns die Boote sauber aueschöpfen.' TrulS nahm die Schaufel und sah fie an, al ob er in seinem Leben kein solches Ding gesehen. Er arbeitet aus Leides kräficn, ohne recht zu sssenwaS er that, aber feines übergroßen Elend war er immerfort eingedenk. Um die zehnte Stunde bewegte sich der HochzeilSzug den Anhang hinunter zum Fjord. Svvert Siein, der Bräutigam, stampfte den Boden mit festem, hüpfen dem Schritte und richtete manch' Wort an die Braut, die mit niedergeschlagenen Augen an seiner Seit ging. Sie trug die erbliche Brautkrone auf dem Haupte und die kleinen Behangstücke an dem Rande derselben klapperten und klingelten bei jedem Schritte. Flintenschüsse und laute Freudenrufe erschollen zu ihrer Ehre, al sie den Fuß tn das Boot setzte; doch sie hob die Wimpern nicht und blieb still. Eine kleine Kanone, ebenfalls ein Erbstück tn dem Hause, wurde in die Mitte de BooteS geschafft und Trul mit fe'ner G ige nihm feine,, Sitz im Schnabel des Schiffe. Eine einzelne große Wolke, goldfarbig gesäumt, aber mit dem Wetterftrahl in ihrem Schoße, schwebt am Himmel und warf ihren Schatten auf das Brautschiff, al es von dem Ufer abstieß, und der Schatten siel auch auf da Antlitz der Braut, und als diese das Angeflch! er hob, fuhr die Mutter des Bräutigams, die ihr gegenüber saß, erschrocken zurück, denn Borghild'S Mienen wrren hart, als wären fie aus Stein geschnitten, in den Augen hing stumme HoffnungSloflgkeit. Der Schatten der Wetterwolke aus einer beginnenden Lebensbahn das war ein böse Anzeichen und die Ahnung drückte auf die Herzen der Hochzeitsgäste; sie flüsterten mit unterdrückter Stimme und richteten Blicke des Bedauerns aus die Braut. Da ging dem Svvert Stein die Ge duld aus. .Alle Wetter!' schrie er, von seinem Sitze aufspringend. .Wo ist heute die Lust, die in der norwegischen Brust zu hausen pflegt? Meiner Treu, ich sehe nur finstere Mienen und unheimliche Blickc! He, Fiedler, laß Deine Saiten luftig er klingen! Keines von Deinen L'ichenbit terliedern, mein Bürfchlein, sondern eine fröhliche Weise, die Mark und Bein erweckt und das Herz im Busen hüpfen macht!' TrulS vernahm die Worte, hob lang sam, maschinenmäßig die Geige auS dem Kasten und setzte fie an daS Kinn, Sroert nahm unterdessen ein mächtiges stlberne Trtnkhorn an den Mund, rief seinen Gästen ein Prosit zu und leerte es di zur Neige. Aber die Wangen der Braut bleiben bleich und e war so still in dem Boot, daß Jeder seinen Aihemzug oeruahm. .Hei! Heute ist Svvert Stein Hoch zeitStag!' kreischt der Bräutigam, dem der Aerger zu Kopfe stieg. .Laßt un sehen, ob die eherne Stimme der Kanone meine Gäste au ihrer Schläfrigkeit auf zurütteln vermag. Er nahm die glimmende Lunte und brachte sie an das Zündloch der Kanone, Ein langer Donnerhall rollte über den Spiegel des Wassers und vielfältig ließ da Echo der fernen Gletscher ihn wider klingen. Ein schwaches Hurrah ertönte auf dem nächsten Boote, doch auf dem Brautfchiffe antwortete kein Laut. Svvert riß das Puloerhorn aus seiner Tasche, schlug ein wilde Gelächter auf und schüttete den ganzen Inhalt des Horn in die Mündung der Kanone. .Nun mag der Murrteufel sich in Acht nehmen!' brüllte Svvert und sprang auf die Ruderbank. Da ließ di Geize de Spielmann eine leise murmelnde W:is uö.ien, wie flüsternder Wellerschlag, der am sandigen User sich bricht. Borghild schlug die Augen auf; ihr Blick begegnete dem de Fiedler. .Ah,' wisperte fie für sich. ,e gefiele mir besser. Dein Bräutigam zu sein.' Und si sah sich im Geiste al ein klei ne rosenwangige Mädchen an seiner Seite fitzen, fünfzehn Jahre mochten e her fein oder sechzehn. Da Spiel de Geiger gewann Feuer von dem Glänze, der ihr Antlitz er leuchtete, in rauschenden Klängen schil derte di fröhliche Kinderzeit, jubelte mit muthwilligem Scherz durch das flille Thal, wallte mit den Heerdea auf den Weiden der Berge, huschte wie eine Fo relle zur Abendzeit im plätschernden Bache durch alle diese Spielarten rann ein warmer Zug jugendlicher Aufrichtig, feit und inniger Ergebenheit und der Frost thaute von ihrem Herzen, denn sie empfand, daß die Alles ihr galt, ihr ganz allein. Und es däuchte sie wunder voll schön, diese lange, treu ergebene Leben, da in Sorge und Freude, tn Sonnenschein und Nebel, in Gut und Schlecht so unwandelbar an ihr hing. Die Hochzeitsgäste reckten die Köpfe in die Höhe und ein Gemurmel des Beifall zoz über das Gewässer. .Bravo!' rief der Bräutigam. .End, lich wenigsten sind die Zungen gelöst!' Da Auge des Geiger Trul weilte mit zärtlicher Betrübniß auf der Braut. Da quollen von den Saiten lichlhelle, lebhafte Accorde, zart glühend wie die duftende Rose und lieblich wie der Schmelz der Lilie des Thale, und die Töne schwollen zu kräftig aufblühendem Leben und erhoben sich zu stürmender Fülle, bi sie auf dem Punkte schienen, zu zerspringen, da wieder brachen sie zu. sammen und versanken zu leisem, un tröstlichem Wispern. Einmal noch wall ten sie auf und streckten flehend die Arm auS, und wieder rangen sie in jammern, der Verzweiflung, flohen mit ernstem, warnendem Aufschrei, nahmen noch ein mal die Stimm auf, weinten, schauder tn und wurden stumm. .Hüte dich, mit einem Leben zu spie, len, und wenn eS auch nur ein werihloseS ist!' seufzte die Braut leise. Die Hochzeitsgäste klatschten in die Hände und ihr Jubel wallke stürmisch in die Lüfte. Die Wanzen der Braut glühten in seltsamem, fieberhaftem Feuer. Der Geiger stand auf in dem vordersten Winkel deS Bootes, feine Augen flamm, ten und er strich die Satten mit ver zücklcr Luft und die Luft eriitterte von zauberhaften Melodien. Den Gesang der Geige vermag keine menschliche Zurge zu schildern, aber die Braut verstand, waS er meinte; ihr Busen flog in heftt, gem Wogen, ihre Lippen zitterten, in krampfhaftem Schauder, fie brach in Thränen auS. Ein dufterer Argwohn schoß durch den Sinn deS Bräutigams. Er warf einen scharfen Blick nach der weinenden Borg hild, dann suchte sei Auge den Geiger, der immer noch nach ihr schaueud dastand und mit halbem Wahnsinn in Blick und Geberde die Saiten ertönen ließ. .Du verwünschter Schuft!- kreischte Syoert und sprang in inem Satze über zwei Bänke hinweg nach dem Platze, wo Trul sich befand. Dies geschah fo unerwartet, daß TrulS keine Zeit halte, an seinen Schutz zu denken; so streckte er nur die Hand aus, in der er die Geige hielt, um den Streich abzuwehren, den er drohen sah. Aber Svvert riß ihm das Instrument aus der Hand und fegte damit gegen die Kanone. Und eS fügte sich, daß er gerade da? Zündloch traf. Mit einem furchtbaren Krach flog etwa? Schwarzes durch die Luft und weißer Dampf brodelte über das Braut schiff. Der Bräutigam stand bleich und verdonnert. Zu seinen Füßen lag Borg hild lag einen Augenblick wie leblos, dann richtete sie sich matt auf den Ellern bogen empor und ein dunkelrother Strom schoß aus ihrer Brust. Der Rauch verzog fich. Keiner sah, wie eS geschah, aber im nächsten Augen, blicke lag TrulS auf den Knien an Borg, hild's Seite. Svvert hatte in seiner Wuth das Pulverhorn in die Kanone faZen lassen, der überladene Schuß hatte mit dem selöen Borghild durchbohrt und der abze kennte Pfropfen des H?rnS TrulS tödt lich getroffen. .Es war ein Leben ohne Werth, Ge liebte!' flüsterte er zärtlich. .Nun ist'S zu Ende!' Und mit seiner letzten Kraftanftrengung nahm er si: in seine Arme, wie man eia liebeS Kind aufhebt, drückte einen Kuß auf die blassen Lippen der Sterbenden und stürzte fich mit ihr in die Fluth. Wie Blei sielen Beide in die See. Ein Wirbel weißer Blasen quoll an die Ober stäche des Wasser. Laute Wehgeschrei erhob fich von den Booten des Hochzeitszugcs und ehe der Tag zu Ende ging, erfüllte e da Thal; doch alles Jammern brachte Trul, den armen Geiger, und Borghild, die Braut, nicht wieder ins Leben. mn historisches ZUUtt. Gewöhnlich beschuldigt man nur das Mittelalker der Anwendung grausamer Todesstrafen, allein auch spätere Zeiten waren nicht ganz frei davon. Einen Be leg dafür bewahrt das Museum zu Paris in Gestalt eine? menschlichen Skeletts, da durch schwarze Brandflecke und die eigenthümliche Stellung, die man ihm gegeben hat, die Aufmerksam, keit aller Besucher auf sich zieht. Die Geschichte desselben ist folgende: Als Napoleon Bonapirte 1708 den Feldzug gegen Aegrzpten unternahm, war eS Jean Baptiste Kleber, einer seiner ausgezeich elften Generale, dem er die Oberleitung der Truppen übergab, und Kleber wus! diese Vttttauea glänzend zu rechlferti gen. Er begleitete Napoleon nach Sy rien, focht an der Spitze der Aoanigaibe vor Jaffa bei Sed Jura, am Berge Ta. bor und bei Abukir, eroberte schließlich, da rebellische Kairo wieder und erfocht am 20. März 1800 den glänzenden Sieg von Heliopoli. wodurch ganz Aegizx'en auf' Neue in die Gewalt der Franzosen kam. Allein diese Schmach entzünde!? in der unterjochten Nation einen glühen, den Haß gegen die Ueberwinder und eirk zum Priesterstande bestimmter Jüngling. Namen SuleimaneI.Halebi, entschloß fich. sein Volk zu rächen. In dieser Ab sicht mischte er fich unter da Gefolge de Obergeneral und kam so in die Gärten de Paläste Murak Be? in Kairo, wel. chem Kleber beiwohnte. Eine Taze e war am 14. Juni 1800 stand der General aus der Terrasse, al Suleiman, anscheinend mit einer Bittschrift, zu ihm trat. Während aber Kleber dieselbe dem Unbekannten abnahm, stürzte dieser mit gezück tem Dolch auf ihn lo und verfehle ihm vier Stiche, wovon der erste bereit tödt lich war. Für den ersten Augenblick ent kam Suleiman, aber schon am Abend wurde er gefänglich eingebracht. Kle ber'S Nachfolger, Menou, fetzte sofort in Kriegsgericht nieder und schon am vierten Tage wurde das Urlheil der fürchterlichsten Strafe über den Mörder ausgesprochen und vollzogen. Sie be stand darin, daß ihm eia spitzer Pfahl durch den Leib getrieben wurde, nachdem seine rechte Hand über Kohlenfeuer bi auf den Knochen verbrannt war. Vo der fanatischen Idee beseelt, seinem La terlande einen großen Dienst erwiesen zu haben, ertrug übrigen Suleiman dies rau'amen Martern mit großer Stand aftigkeit und dankt bi aus den lebten Augenblick seinem Gott und Propheten für die gelungene That. Die verkohlt Hand an dem Skelett, welche später nach Pari gebracht und im dortigen Museum (diheilung für vergleichend Anatomie) aufgestellt würd, fällt Jeder mann in die Augen. Tt Vortheile des Tabaks. In wissenschaftlichen Kreisen bescbäf tigt man sich soeben mit einer sehr merk, würdigen und interessanten Schrift, welche der italienische Arzt Professor Tasstnari jüngst über die Wirkung de Nikotin auf die Bakterien veröfftlicht hat. E ist vielleicht noch erinnerlich, daß Professor Wernike in Deutschland die Aufmerksamkeit aus den Umstand ge, lenkt hat, daß bei der l.tzten Cholera Epidemie in Hamburg, welche täglich Hunderte von Opfern au allen Ständen forderte, in den dortigen Tabakfabriken ein im Verhältniß zu ihrer Gesammtzahl unglaublich geringe Prozent von Tabak ardeitern an Cholera erkrankte, und e lag wohl nahe, diese Thatfache mit der Beschäftigung derselben in Zusammen hang zu bringen. Er fabrizirie also zur Probe Cigarren au Tabakblättern, die in iner wässerigen LZsung von Cholera, bacillen getränkt worden waren und legte sie in einen Brutkasten bei einer Tempera, lur, wo sonst die Bacillen schnell gediehen. Aber eS zeigte sich nicht von einer Ver mehrung oder Entwicklung der in die U garrenblälter übertragenen Cholerakeime, im Gegentheil, e blieben die so xräpa, rirten Cigarren vollständig bakterienf'. Desgleichen gelang eS, mit wässerigen Aufgüssen von TabakblLltern die Ent wtcklung der Cholerakeime auf sonst guten Nährboden zu verhindern, sodaß nun die Voraussetzung, daß daS Nikotin eS gewesen, welches bei den Arbeitern die Infektion verhinderte oder doch erschwerte, durch das Erperiment vollständig gestützt und begründet war. Professor Tasstnari unternahm e noch, nachdem die Wirkung de Nikotin in wässeriger Lösung auf diese Weise sestge. stellt war, auch die Wirkung der ver dampften Produkte desselben, deS Cigar renrauche zu untersuchen. Wirkt denn auch die Cigarre, wie wir sie rauchen, ebenso mikrobicid, will sagen bakterten tödtend, wie der mäßige Aufguß derfel ben? Durch zahlreiche Versuche ge langte Tasstnarr zu der Ueberzeugung, daß auch der Rauch, zumal der dunkeln, gebeizten Cigarren, ausgesprochen bak terientöbtend sei und auf den Erreger der Cholera aeiatica besonders entwicklungS hemmend wirke. Und zwar fei diese mikrobenmörderifcheWirkung aller Wahr scheinlichkeit noch eine Eigenschaft der bei dem Verglimmen der Tabakblätter sich entwickelnden flüchtigen chemischen Sub stanzen, als welche unter anderen Butter säure, Essigsäure. Phenolsäure erschei nen. Läßt man nämlich in einen kleinen Glaskolben, in dessen Innerem Kulturen de Cholerabacillu eingeschlossen sind, den Rauch von Tabaklätlern hineingrö men, au welchem zuvor die Essigsäure, Buttersäure, Phenolsäure u. f. f. auöge schieden worden ist, so hat der Rauch keine antiseptische und die Fäulnis hin dernde Wirkung, während im gegenlh,li. gen Falle die Bacillen von dem Rauch ersterben, welcher Erfolg somit nur den ermähnten flüchtigen Substanzen zuju schreiben ist. Deßhalb verdient auch der Tabak Be rücksichkigung überhaupt al ein vorzüg licht Mittel für die'Hugiene de Mundes. In der Mundhöhle gesunder Menschen wurde der sogenannte Diplococcu Pneumoniae, der al Erreger der Lun genentzündung gilt, nachgewiesen, und Kaninchen, denen eine solche Mundflüsfig keit unter die Hat gespritzt wurde, gin gen unter den Erscheinungen einer hesti gen Infektion zu Gnade, genau so wie nach der Jijekiion der giftigen Neincul turcn deS fiüher ermähnten Pneumoni coccus. Ein Mittel von so antisextischer Wirkung wie der Tabakrauch ist also ge wiß nicht al unwichtig zu betrachten.