Die Schnecdraut. I. Früh und mit ungewöhnlich Slrenge nie Heuer d Winter hereingebrochen. Echo den ganzen Tag hatte eine hestiger Schneesturm getobt und dauerte mit un orschzch,kr Wuth auch am Abend fort. In dem Winkel einer einfenftrigen Dach ftub lag eine kranke Frau gebettet, roöh rend ihre erwachsene Tochter am Tisch mit Häkelarbeit beschäftigt war. Von Zeit ,n Zeit warf sie ihre Arbeit auf den Tisch und trippelte, die Hände reibend, in der Stube herum, denn schon seit Vor mittag ar da Feuer im Ofen erloschen. Die und da Aechen der Kranken wur den die einzigen, da schmerzliche Schmei gen in den ärmlichen Raum unterbrechen, den Laute geivesen sein, wenn nicht der brausend Nordsturm unaufhörlich Sal ven rieselnden Schnee gegen da Fenster geschleudert hätte. Den Kops etwa emporhaltend, frug jetzt die ranke mit schmacher Stimme: ,Bift du noch nicht fertig mit der Spitze, Klara?' .Längst wäre ich fertig, Mutter, ober du siehst, wie ich mich mit meinen steifen Fingern quäle. Nur noch eine Vier telstunde Geduld l" Endlich war da Mädchen mit der Ar ieit zu Ende. Sie wickelte die Spitzen ein, legte sie in ihr Körbchen und trat dann an da Bett der Mutter. Du gute Kind seufzte diese, indem sie ihre magere Hand der Tochter reichte. .Wenn du nur die Sachen heute Abend noch Io wirst, e ist schon so spät." Da Mädchen antwortete nichts. .Binde dir da Tuch recht fest um den Kopf, wickle die Hände in die Schürze horch wie e braust ! Du wirft recht srie nn o könnte ich nur erst wieder auf siehe l" .Also Holz, Kaffee, Brod, Semmel und Wurst? .Ja, ja! Aber eile, mir ist so schwach zu Muthe I Lösche aber so lange die Lampe auS, damit kein Oel unnütz verbrennt." .Nein, Mutter, da geht nicht; wenn dich in meiner Abwesenheit etwa über kommen sollte, dann könntest du dir ja gar nicht helfen." .Ich erde versuchen zu schlafen." .Nein, Mutter, ich lasse die Lampe brennen, e werden wohl auch noch ein paar Pfennige für Oel dabei herauskam men." Al Klara auf die Straße trat, schau derte sie zusammen. Weit und breit kein lebendes Wesen l Wer hätte sich auch bei folchem Wetter vor die Thüre gewagt! Und als ob der eisige Sturm seine Wuth nur an dem einen Opfer hätte auSlassen ollen, peitschte er ihr den gefrorenen feinen Schnee in3 Gesicht und in die Augcn, daß ihr fast Hören und Sehen erging. Außer einem Stück trockenen Brodes hatte Klara den ganzen Tag nicht ge geffen und dabei unausgesetzt angestrengt gearbeitet wa Wunder, daß sie eine muthlese Stimmung überkam; dazu die leichte Kleidung l Ueberdie mahnt sie die eben vom Thurme herab tönende siebente Stunde, daß die Zeit, wo man Handar beiten bei Privatleuten zum Verkauf an bieten könnte, vorüber sei. Einen Augenblick stand sie zögernd da, aber der Gedanke an die kranke Mutter in der kalten Dachkammer droben legte allen Bedenken Schweigen auf. E muß fein I Sie zog ihr Tuch fester um den Kopf und beschleunigte ihre Schritte. Jetzt machte sie vor einem großen Hause Halt. Sie schaute zu den hell er leuchteten Fenstern empor da wohnte Frau B., die ihr schon öfter Arbeiten ab ? kauft. Sie faßte sich ein Herz und ltngelte. .Ich möchte Frau B. sprechen." ,WaS wünschen Sie denn?" .Ich muß selbst mit ihr reden." .Aber ich viuß ihr doch mittheilen, weöhalb Sie kommen." .Ich wollte ihr noch einmal Spitzen anbieten." .So spät !' .Ach bitte, meine Mutter ist noch im mer krank. " .Ich will'S ihr sagen, warten Sie!" Der Bescheid lautete abschlägig. Frau B. bedauere seh:, aber sie habe ihr schon di letzten Handarbeiten au Rücksicht auf ihre kranke Mutler abgekauft, sie misse nicht, was sie mit den Sachen be ginnen solle. In ähnliche Meise wurde Klara an drei, vier anderen Thüren abgeviesen. WaS sollten die Leute auch Sachen kaufen, deren sie nicht bedurften? DaS konnt ihnen Niemand verübeln. - Klara fühlte dies nur zu gut, und das Bewußtsein, als Bettlerin da zu stehe, ahm ihr den Rest von Muth. ES flimmerte ihr vor den Augen, Schwindel ergriff sie und sie fank"am Fuß einer Laterne nieder. Te? trockene, gefrorene Schnee wirbelte zu einer dich tn Wolke empor. Einige Windstöße und Klara war in der weißen Hülle be graben. S II. Wagen rollten vorüber, Fußgänger eilten vorbei, alles in größter Hast, denn das Wetier war zu abscheulich. Hätte auch Jemand ahnen können, daß da in der istgen Hülle ein armes Menschenkind begraben liege? Auch ein Schutzmann ging vorbei. Er hatte feinen gewöhn lichen Dienstschritt etwa beschleunigt, denn heute Abend gab eS ja fast keinen Verkehr, e ar nichts zu beobachten, an konnte ihm also nicht verübeln, daß r eilte, in d:S warme Wachtlocal zu kommen. Aber horch, was war das? Durch das Geheul des Sturmes und da? Geriescl dS Schnees hatte das geübte Ohr deZ öffentlichen Wächters noch einen andern Tou unlerschiedea ein Stöhnen und Aechen, ganz in der Nähe, hinter ihm. Er blieb stehen und schaute sich um. Nicht I Er blickte nach den nächsten Fen ftern empor, ob da vielleicht der Ton h; gekommen Alle natürlich fest ver schloffen l Schon wollte er sich zum Wei tergehea wenden, als er am Fuß der Laterne einen dunklen Gegenstand ge wahrt. Er trat näher. Ein Mensch! Eine weibliiZk Gestalt! Halb in Schnee vergraben ! Er hob sie empor, klopfte den Schnee von ihren Kleidern und hielt ihr Gesicht gegen die Laterne. Wie bleich! Wie leidend der Ausdruck! Er lehnte fein Ohr nach ihrem Munde sie athmete noch, aber wie eisig Gesicht und Hände! Aber nun schnell nach dem Wachtlokal, da glücklicherweise nicht fern war. Hier rapportirle der Schutzmann, nach-, dem er dir Verunglückte auf eine Bank gelegt. Der Wachthabend stellte seine Beobachtungen an. Sie athmete zwar, aber alle Anzeichen einer tiefen Ohnmacht gaben sich kund. .Ein Fläschchen Hoffmannstropfen au der Adlerpolheke l" befahl der Wacht habende. Während der Schutzmann sich zur Ausführung feine Auftrages entfernte, befeuchtete der Wachthabende Nasenflügel und Lippen des Mädchen mit Brannt wein und rieb ihr damit Schläfe und Pul ein. Die Lippen zuckten zwar, fönst gab das Mädchen aber keine Lebens zeichen von sich. Bessere Wirkung thaten die Hoffmannstropfen, die mit staunenS werther Promptheit zur Stelle waren. Schon nach den ersten Befeuchtungen mit dem belebenden Geist schlug Klara die Augen auf. Sie erhob' sich, schaut mit wirrem Blick um sich und stieß einen Schrei aus. Wie war sie in die HSnd der Polizei gerathen?! Rasch suchte man sie zu beruhigen und bot ihr etwas Branntwein an, den sie aber von sich ieS. Auf die Frage deS Wachthabenden wollte sie anfangs nicht antworten und erst nach dem begütigen den Zureden der Polizeileute gab sie, unter Hinweis auf den Inhalt ihres Körbchens, Aufklärung. Name, Alter, Stand, Wohnung wur den notirt, worauf der Wachthabende dem Lebensretter Schmidt war fein Name befahl, da Mädchen nach ihrer Wohnung zu begleiten. Der Schutzmann mußte da Mädchen führen, so schwach fühlte sie sich. Auf der Straß angekommen, brach sie in heftiges Weinen au. .Meine Mutter! Meine arme Mut ter ! E hat schon acht geschlagen und ich wollte in einer halben Stunde wieder zu rück sein! Und nichts, um sie zu erwär, men und zu stärken!" .Was kosten die Spitzen, Fräulein? Ich kaufe sie Ihnen ab, ich schenke sie. . . meiner Frau zu Weihnachten, ji, das macht sich gut. . . Nun, wa kosten sie?" Damit hatte der Schutzmann sein Portemonnaie au d:r Tasche gezogen und ar stehen giblieben. O nein!" sagt das Mädchen, daS sich nicht dtnken konnte, aS solche Leute mit fo feinen Sachen anfangen würden. .Sie haben mir da Leben gerettet und nun wollen Sie auch noch mein Wohl thäter erden? Nein, ich ill sehen, daß ich die Spitzen noch sonst loswerde." .Da geht nicht, Fräulein ! Ich darf Sie ja iit fortlassen, ich muß Sie direkt nach Ihrer Wohnung bringen. Ich abe ja darüber meinen Rapport zu er atten." .Ich muß aber doch Holz, Kaffee, Brod, Semmel und Wurst einkaufen, mit leeren Händen darf ich nicht nach Hause kommen, " .Ebendarum! Warum so viel Um stände. Fräulein?" .Sie brauchen doch die feinen Spitzen gewiß nicht." ,Wa kosten sie ich schenkt sie ich hab' e Ihnen ja gesagt!" .Nun denn, eine Mark I' Eine Mark! So viel Urtheil hatte der Schutzmann auch, daß dieser Preis viel zu niedrig war. Er biß sich auf die Lippen, um eine Gemüthsbewegung zu bcmetgern. .Abgemacht!" sagte er dann .Wer nun warten Sie hier in der Nähe, ich gehe in den Laden und kaufe die Sachen, denn in meine Begleitung werden Sie sich dort nicht gerne blicken"lassen." Der Schutzmann trat ein. .Ei hal de Pfund Kaffee, ein Viertel Zucker, ein Viertel Butter, eine geräucherte Wurft, sechs Semmeln, zwei Bündel Holz, schnell, es ist eine Hundekälte, ich muß machen, daß ich nach Hause komme." .So, etwas in Papier einschlagen, etwas Bindfaden drum! Kostet? Hier! Gute Nacht!" Der Ladendiener blick. dem Schutz mann ob feiner überstürzenden Eilfertig keit oerduzt nach. Bevor Schmidt aus der Hausthür trat, lüftete er da Packet an einer Seite und sieckte ein Markstück in die Kaffee düte. Nu geschwind nach Jhrcr Wohnung, e ist alles in Ordnung!" An der Hausthür angekommen, wollte Klara dem Schutzmann das Packet ab nehmen und sich verabschieden. .Ja, daö geht so nicht, Fräulein ! Ich muß Sie an Ort und Stelle abliefern, bedenken Sie, daß ich rapportiren muß." .Was wnd aber meine Mtter sagen!? Sie wird zu Tod schrecken, wenn Sie mitkommen!" .Ja so. Ihre Mutter!" .Sie ist sehr krank, wie lange schon das hat uns in unseren Verhältnissen ganz zurück gebracht." .Aber bis an die Stubenthür muß ich, damit ich wenigstens einen Blick hinein werfen kann." .Dann müssen Sie aber ganz leise auftreten, damit meine Mutter nichts merkt." Gesagt, gelhan. AI Klara eintrat, sah die Mutter sie groß an. .Lange ausgeblieben," meinte sie. .Ich konnte die Sachen ist nicht an den Mann bringen, bi ich sie endlich doch noch loS wurde." .Wer kaufte sie?" .Nun, Frau Frau Simon!" Klara wandte da Gesicht ab, sie fühlte, daß die Nöthe ihr in die Wangen trat. Sie schnür! da Packet auf, nahm da Holz heraus und schickte sich an, daS Feuer zu schüren. .Und wieviel erhieltest Du?" .Zwei Mark fünfzig Pfennige." .Und wa kosten die Sachen?" .Zwei Mark sünfzig Pfennige." .Also nicht erübrigt?" .NtchtS." Lustig flackerte jetzt da Feuer im Ofen. Ktara setzte Wasser bei und frug die Mutter, ob sie nicht schon eine Semmel mit Butter essen wolle. .Ein halbe ,n der Zeit esse ich, da wird da Wasser wohl kochen. Iß doch auch einen Bissen!" Klara nahm die ander Hälft der Semmel und schnitt in Stückchen Wurst ab. Während sie aß, öffnete sie die Kaffeedüte. Ein Gegenstand, der einen hellen Klang von sich gab, siel zu Beden. ,Wa ist das. Klara? Du sagtest, daß du nichts erübrigt, und da fällt ja ein Markstück.... Du weißt nicht, wie S In die Dllle gekommen? .... Nun das ist doch fonderbsr, der Krämer wird'S doch nicht hineingesteckt haben! Wie kommst du mir überhaupt fo merkwürdig vor! Ganz verstört siehst du aus, du bist auch nicht allein die Treppe hinaufge kommen .... Ich hörte flüstern auf dem Gang, und auch, al du die Thüre öffnetest. Und warum machtest du die Thüre nicht sofort wieder zu? Du wur best auch verlegen, alS du sagtest, Frau Simon habe die Sachen gekauft. Nun, Klara? ES wäre daS erste Mal in deinem Leben, daß du mich belogen hättest, oder belügen wollttest, denn daS Lügen ver stehst du einmal nicht." Nun bekannte Klara den ganzen Sach verhalt, den sie, um di kranke Mutter nicht in Aufregung zu versetzen, hatte verschweigen wollen. DaS einzig Wahr an deiner Geschichte ist also, daß du nicht gewußt, wie die Mark in die Düte gekommen. Die hat der Schutzmann hineingesteckt! Du wirft die Mark zurückgeben, denn solche Leute können ihr Geld selbst gebrauchen." III. Ganz eigenthümliche Gefühle waren es, welche den Schutzmann bewegten, als er nach beendetem Dienste feine Wohnung betrat. Schmidt war keineswegs ver heirathet, sondern Junggeselle. Daß er die Spitzen seiner Frau schenken olle, war nur eine Nothlüge, hinter der er sein Mitgefühl verbergen wollte. Er war zwar einst verlobt gewesen in seinen zwanziger Jahren, er hatte aber das Ver hältniß abgebrochen, weil seine Braut sich gelegeytlich flatterhaft benommen. Seitdem war er in halber Weiberfeind geblieben und endlich, als er das Schma benaltcr erreicht, war ihm daö weibliche Geschlecht auch gleichgiltig geworden. Au diesem Grunde wurde er auch oft von feinen, College geneckt, und um so mehr, als er durch Erbschaft in den Besitz eines Vermögens gelangt ar, das ihm gestattet hätte, als Rentner z leben. Aber der Dienst war ihm lieb geworden und zu einem müßigen Leben hätte er sich nicht entschließen können. In Gedanken versunken, hatte Schmidt sich an den Tisch gesetzt. DaS Abend brod, daS ihm die HauSwirthin wie ge wöhnlich hatte hinsetzen lassen, rührte er nicht an. Vor ihm lag die Papierrolle mit den Spitzen. Mechanisch öffnet er da Päckchen und musterte den Inhalt mit einer Genauig keit, al wenn er Kenner dieser Waare sei, abwohl er davon bisher nie in Stückhen in der Hand gehabt, viel wem ger denn näher betrachtet hatte. Endlich stand er auf und nachdem er eine Zeitlang im Zimmer auf nnd ab gegangen war, blies er die Lampe auö und legte sich zu Bett. Aber kein Age that er zu, jede Stunde hörte er schlagen, erst gegen Morgen duselte er unter unruhigen Träumen etwas ein. Eine weibliche Gestalt führie ihn auf einen dunklen Gang, und als sie eine Thüre öffnete, strahlte ihm der helle Kcrzcnschein eines WeihnachtsbaumeS entgegen. Darunter stand eine Bahre und auf derselben lag, den Kranz im Haare, eine Leiche. ES war Klara. Schmidt rieb sich heftig die Auge und erwachte. Vom Kirchthurm schlug eS fünf. Er stand auf und bereitete, wie er seit Jahren gewohnt war, auf dem Spi rttuökochcr seinen Kaffee. .Na, wie sehen sie denn auS, Schmidt?" fragte der Wachthabende, als er den Dienst antrat. .Wenn ich nicht wüßte, daß sie' sozusagen im Mäßigkeitsoerein wären, fo würde ich denken, daß sie die Nacht durchgekneipt. Ist ihnen nicht wohl?" ,O doch! Hab: nur schlecht geschlafen, macht weiter nichts!" AIS Schmidt seine ersten Gänge been det, rief er einen ihm als zuverlässig und verschwiegen bekannten Dienftmann zu sich. .Hier sind vierzig Mark", sagte er, .die ich von einem Wohlthäter, der nicht genannt sein will, für eine arme, kranke Wittwe erhalten habe, die in der Färber ftraße Nr. 24 eine Dachkammer bewohnt; Frank heißt sie. Der Wohlthäter hat bestimmt, daß für das Geld zwei warme Unterröcke und eine Kapuze gekauft wer den das wird ungefähr dreißig Mark ausmachen. Was sie von dem Gelde übrig behalten, wickeln sie in Papier und steck: es In die Kapuze. Von den Sa chen lassen sie sich eine quittirte Rechnung ausstellen und bei der Wittm lassen sie diesen Scheia unterschreiben. Beide muß ich an den freundlichen Geber ablie fern, damit er die Gewißheit hat, daß nach seinem Willen verfahren ist. In einer Stunde bin ich wieder hier, ua die Scheine in Empfang zu nehmen. Wer ihnen den Auftrag rtheilt hat, darüber haben sie sowohl im Laden, al auch bei der Empfängerin strengste Stillschwet gen zu beobachten. Daß ich später nur nicht erfahre, daß sie geplaudert S würd ihnen nicht von Nutzen fein!" Nach iner Stunde traf Schmidt den Dienftmann wieder am Platze. .Sind das aber sonderbare Menschen!" sagte dieser, als er di Scheine ablie feite. .Andere Leute freuen sich, wenn ihnen eine Wohlthat erwiesen wird, aber hier daS gerade Gegentheil. Ich glaube, wenn di Alte nicht krank im Bette gele gen, sie hätte mich an die Lust gesetzt. Sie raisonnirte wie ein Rohrspatz, die Tochter setzte sich in eine Ecke und weinte. Wer sich denn um sie zu kümmern habe, fuhr sie heraus, hätten bis jetzt noch nicht gebettelt u. f. w. Nur mit Mühe konnte ich die Frau dazu bringen, daß sie der Tochter gebot, den Schein zu unterschreiben. Ob sie denn nicht wisse, meinte ich, daß es stille Wohlthäter gebe, die besonders ge gen Weihnachten Geschenke vertheilten, ich hätte schon mehr solcher Aufträge vollzogen. Es gäbe einen Verein, der eS sich zur Aufgabe gestellt, Leute, welche dergleichen Geschenke verdienten, auösin big zu machen u. f. w. Na, ich ar frvh, als ich wieder fort war." .Hier, für ihre Mühe," sagte Schmidt, indem er sich zum Gehen wandte. Der Dienftmann schaute dem Poli, zistcn verwundert nach. Er hielt als Lohn in Markstück in der Hand. Schmidt fetzte seine Dienftgänge fort. Keineswegs aber zeigte sein Gesicht die Befriedigung, die eine gute That zur Folge zu haben pflegt, er schaute viel mehr niedergeschlagen und mürrisch drein. Dazu mochte ja auch die schlaflos ver brachte Nacht beitragen. Ader einigen Bekannten, die ihm begegneten, schien es, als ob der sonst so aufmerksam und dienstbeflissene Beamte zerstreut sei. IV. Einige Tag darauf nahm Schmidt Nachmittags Urlaub. Er warf sich in Civil, holt seinen Cylinder hervor und zog schwarze Handschuhe an. Sein Weg führte ihn nach der Behausung der Wittwe Frank. AIS r die vier Treppen hinausstieg, mußte r ein paar Mal einhalten. Der Athem stockte ihm in der Kehle, fein Herz klopfte hörbar. Wenn mir jltzi nur NUrnar.k begegnet, wenn es nur gut geht, dachte er. Jetzt stand er vor der Thür, aber er zögerte, anzuklopfen. .Wer ist da?" rief cs von innen. Er münschter konnte dein Harrenden nichts kommen; er klopfte an. , Herein! " .Guten Tag, Frau Frank! Ich bin der Schutzmann Schmidt, wollte mich 'mal nach Ihrem Befinden erkundigen." Die Alte schaute den Mann verwun dert an. Dazu brauchte er sich doch nicht in Sonntagsstaat und in Civil zu wer fen! Doch schnell gefaßt sagte sie: .DaS ist schön, daö freut mich! Schade, daß Klara nicht da ist, sie könnte Ihnen wenigstens ein GlaS Bier holen. Bitte, setzen Sie sich zu mir an' Bett, damit ich Ihnen wenigstens die Hand drücken kann." Schmidt athmete auf. ES geht gut, dachte er. Sie ist in guter Laune und ird mit sich reden lassen. .Sie haben fo viel an unö gelhav," sagte die Alte, deS Polizeimanns Hand drückend. .Sie haben meiner Tochter das Leben gerettet! Sie haben" hier stockte sie; sie dacht an das vor einigen Tagen eingctroffene reiche Ge schenk, von dem sie mit richiizem Instinkt die Quelle errieth, sie durfte sich freilich nichts merken lassen, doch setzte sie hinzu: .Wenn Sie sich unsertwegen nur nicht be raubt haben!" .O, nicht im Geringsien, ich bin er mögend." ,WeS macht denn Ihre Frau? Haben Sie auch Kinder?" Schmidt zucki zusammen, als wenn ihn etwas gestochen. Es geht schief, dachte er. .Mein Frau? .... Ich bin ja gar nicht rerheirathet!" .Nicht verheirathet?!" erwiderte die Kcanke, indem sie sich halb ausrichtet und Schmidt scharf ansah. .Wie kommt S deun, daß Sie mein:r Tochter sagten, Sie wollten die Spitzen für Ihre Frau kaufen?" O weh! Daran hatte Schmidt gar nicht mehr gedacht! Er stotterte einig Entschuldigung und mxfah! sich bald. Am Ende ift s gut, daß s so gekom men, dachte r. die Treppe langsam hin absteigend. Ich stand im Begriff, eine riesige Dummheit zu begehen. So kann man doch nicht mit der Thür in Haus fallen. Ich habe ja auch noch gar nicht mit Klara gesprochen! Jetzt müssen aber andere Hebel in Bewegung gesetzt werden. Als Klara nach Hause kam, gab die Mutter ihr zu rathen, wer da gewesen. Natürlich dachte sie in diesem Falle am allerwenigsten an ihren Lebensretter. Sie erschrak daher, als die Mutter eS ihr sagte, noch mehr aber, als sie hörte, er sei noch nicht verheirathet. .Deinen Lebensretter in Ehren, aber ein sonderbarer Mensch und ein Mensch, der eS mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ift er doch. Gelogen hat er in jedem Falle und Du weißt, wie ich daS Lügen hass!" O nähme diese Qual doch ein Ende, dachte Klara, als sie sich schlaflos auf lh rem Lager wälzte. Der erste Gang, den Schmidt nach der Visile bei der Frau Frank unternahm, war zu feinem Vorgesetzten, der damals, als er Klara gereitet, die Wache hatte. Er war ihm mehr Freund a! Vorgesetz, ter. auch war er mit der Wittwe Frank bekannt, :shalb er damali auch keinen Anstand genommen hatte, Klara ohne Weitere nach Hause zu schicke. Run, a giebt' iiVeueS? Ich dachte, Sie wollte verreisen!" Kurz und bündig, wie ine militärische Meldung, trug der Schutzmann sein An liegen vor. So und so! Sie erden mir diese Bitte doch nicht abschlagen, wo ich so ab scheulich hineinzexurzelt bin." .Bewahre", erwiderte der Wachtmei, ster mit verschmitztem Lächeln. .Mit dem größten Vergnügen vielmehr, und gleich heute, wenn Sie wünschen." .Nein, heule nicht! Da wäre zu starker Tabak. Morgen ist auch noch Zeit." .Gut! Also morgen. Wie kommt e aber, lieber Schmidt, daß Sie sich der Willwe Frank rft vorstellen mußten? Di Frau muß! Sie doch kennen, da Sie Austrag hatten, die Trchter an Ort und Stelle abzuliefern, und Sie haben ja auch in dem Sinxe rapportirt!" .Bitt zu ntschuldigen, aber unter so bewandten Umständen!" .Na gut! Aber auf Ihr Kerbholz muß ich e doch bringen; da ist aber ein Sache für sich und hat mit der Sen dung bei der Wittwe Frank nicht zu schaffen." Die Sendung bei der Wittwe lief bei solcher Vertretung glatt b. Am andern Abend war Schmidt bereits im Besitze de Jawortö, und daß Klara nicht nein sagte, wird die freundliche Leserin schon aus ihrem ganzen Verhallen geschlossen haben. Am Weihnachtsabend war die Ver lobung, bei der natürlich der Vermittler nicht fehlen durfte. .Ich hatte gleich gesehen, was los war," sagte dieser, als die Stimmung etwa? in Fluß gekommen. .Seit jenem Abend war mein Schmidt ein ganz er ändert Mensch, die Klara Halle e ihm angethan, da war nichts mehr zu wollen. " Uno sich erhebend, brachte er einen launi gen Toast aus auf das Wohl der Schnee braut und des Schnecbräutigamö. .Aber Sie sollen das Lügen lassen!" rief mit komischem Eifer Frau Frank, die, in einem bequemen Lehnstuhl ge bettet, dem Feste beiwohnte. .Ja," pflichtete der Wachtmeister be, .und Strafe muß sein, lieber Schmitt, da kommen Sie einmal nicht vorbet. Für den bewußten Rapport zahlen Sie zehn Mark in die Armenkasse." .Mit Vergnügen, und noch zehn Mark in die Armenkasse," wider Schmidt. .Und Klara zahlt für ihre Lüge auch zehn Mark." .Ja, mit Geld glauben Sie jetzt alles gut machen zu können?" meinte die Alte, zum Wachtmeister geweridet. .Wenn sie sich nur bessern I " Als Frau Frank am andern Nachmit tag von den Brautleuten aus dem Gaft Haufe, wo die Verlobung gefeiert worden, nach ihrem Stübchen zurückgeleitet wurde, fand sie dasselbe ganz neu ausstaffirt, vom Bett bis zum Ofen und dem Küchen geräth, vom Stuhl bis zum Tisch und Her Kommode. .Sie hatten ja unwiderruflich erklärt, Mutter, daß Sie auf dem Ihnen einmal lieb gewordenen Stübchen bleiben woll ten," sagte der Tochtermann, .und da sollten Sie eS auch gemüthlich haben." Sein letzter Schuß. Bon Emil Gött (,Zreiburg in Br.). .Na, und Sie, HsrrOberft, schweigen Sie sich grundsätzlich über ihre Jagd abenleuer aus, oder haben Sie ni ge jagt?" fragte im Alt-Herrenstübchen des Kasinos ein kleinen mitteldeutschen Residenz der herzogliche Forstmeister se'n Gegenüber. .Wie? Sie wissen nicht, daß der Herr Oberst noch nie eine Flinte in die Hand genommen hat?" warf ein Guts besitz! in. .Sie irren, Herr Baron!" saite trocken der alte Oberst z. D., eine frische Ci gane anzündknd. .Wie, Sie hätten doch? Das erfte Wort, das ich davon höre!" gab jener zurück. .Sogar recht eifrig!" fügte der Oberst ruhig hinzu. .Nun fo geben Sie doch einmal etwas zum besten!" nahm der Forstmeister wie der aus, ,eS darf ja auch etwas gelogen sein, nur nicht zu dick!" fetzte er schall hast hinzu; er war selbst der stärkste La keiner in der Runde. .Ich wüßte nur wenig, ja eigentlich nichts so LuftixeS, wie die Herren lieben!" entgeanete der Oberst. .Pah, eS darf auch traurig fein, nur schießen Sie auch einmal mit etwas los. Auf eine Thräne soll S mir nicht ankam men!" drängt der andere weiter. Man lächelte um den Tisch, nur der Obnft blieb ernft. .Traurig!" meinte er, nun traurig und den Herren vielleicht auch einiger maßen interessant dürfte wenigstens ein Vorfall sein, bei dem ich meinen letzten Schuß that. .Den letztat Schuß? Erzählen, zäh len!' tönte eS im Kreise. Der Herr Oberst sah eine Weile nach denklich vor sich hin, gelassen mit der Hand eine Rauch motte von feinem ver wetterten Antlitz scheuchend, wie einen Schleier von seinem Gedächtniß. Die andern warteten geduldig. End lich begann er: ES war nach sechSund sechzig. Ich std damals al4 Hcuvt' mann in Preußich-Hesscn, klein: lang weilige Garnison, deren Hauptverguü gütigen die AuSflüße nach Frankfurt oder Kassel und die Ausübung deS fogenann ten edlen Waidr! waren, dem ich eifrig oblag und fast die ganze dienstfrei Zeit widmete. D Wildsiand ar nicht besonder. Man schoß eben, wa turn germaßen schußbar war. der Km; st des Vergnügen halber. Ja, deS Vcrzr.Z gms." Sein Gesicht wurde r.:ch um einen Schatten düsterer. Nach sekundenlanger Pause ahm er wieder auf. .Ich ar nicht gerade in .Schießer" im ganz gemeinen Sinne de Wortes; aber ich ar doch einer. Damals wußt, ich' nicht, aber heute. Ich habe zu viel geschossen, viel zu viel. Bi der letzte Schuh kam. Er aihmete hörbar schwerer, ruid die Worte kamen wie auZ gedrücktem Herzen. .Ich ar an einem schönen Spätlom merlae durch di Buchenwälder de Lahnlhal gestreift, die Flinte auf dem Rückm, meinen Teckel an der Leine. Vor den Lauf ar mir noch nich!S gekam men, und e war mir fast gleichgilt: kaum daß ich noch manchmal dran dachte, daß ich eine Büchse trug. Da ich über eine Lichtung schritt, klang ein Lockruf über mir. Zwei Holztauben flogen wie im Spiel durch die warme dufksatte Lust. Mein Teckel hob sich bellend nach ihnen. DaS reizte mich. Ganz mechanisch, gedankenlos nahm ich die Flinte von der Schulter, gedankenlos, und hol! eine vsn den leiden da droben herunter. Zwanzig Schritte von mir stürzt sie, mit den Flügeln schlagend, aber bald verendend. Ich legte nochmal an, auf die andere, mied ohne an etwas Besonderes dabei zu denken. Da, ich hntt sie noch nicht auf dem Korn, da schoß sie von selbst, laut schreiend, wie ich noch nie ein ähnliche? Geschöpf habe schreien hören, herunter; sich auf die verendende Gefährtin wer send, mit ausgebreiteten Schwingen, und wehklagend, wie ein menschlich Wesen um einen todten Lieben, dem eS helfen möchte und doch nicht mehr kann. Es war der Täuberich, fein sterbendes Weib chen liebkosend! Mir aber war's als ob Ich in namcn loses Verbrechen begangen HSt!e. . Und diesen Jammer, den ich ve, schul det. ich konnte ihn nicht mit ansehen. Ich wzndte mich wi zur Flucht. Äver die klagende Stimme des MLnn chens verfolgte mich, und ich kam mir schändlich feige vor. Ich kchrte mich dem Pärchen wieder zu, und immer noch klagte daö arme Thier in haltlosem Schmerze um seine Geliebte. Qualvoll schnitt es mir in'ö Herz; ja, Thränen des Mitleids, der Scham, der Wu!h stiegen mir in die Augen, Den Jammer nicht schauen, nicht helfen und nicht fliehen können! Wag thun! Die Flinte reiß' ich an die Backe und eS war ein Stück Selbstmord ! schoß auch ihn todt. Ab eS war mein letzt Schuß auf der Jagd I Meine Batterie hab' ich durch de großen Krieg geführt pom Eröff nungSjagen bei Wörth zum Kesseltreiben von Sedan und bis zum Hallali am Mont Valerien auf ein Tb aber hab' ich nie mehr angelegt. Ich mag auch die Jagd nicht mehr!" Der Oberst schwieg. Tiefe Ruhe lag über dem Raum. D Forstmeister räusperte sich, um in befreiendes Wort zu sagen. 2l)er fand den Muth noch nicht dazu. Es war eine nachdenkliche Geschichte. Vi Studeuten.Ulk. Vin stark angeheitert Studenten wandeln, spätnöchtlich von einem Bier commers kommend, Arm in Arm, die Rockkragen deS kühlen Nachtwindes ae gen hochgeschlagen, in fidelster Stimmung ihren Buden zu. .Donner und Doria!" schreit plötzlich der Commiliton Schnabel, .seht, dort in der Villa brennt noch Licht, und die Thür steht spcrraiizelizzeit auf. Brüder, das ist ein Fingerzeig zu einem Haupt ulk! Wir machen dem in dem Haus wohnenden Philister unsere Visite; viel leicht finden wir bei ihm noch einen Tropseii Trin!bares." Der geistvolle Einfall des Corpsbru ders findet selbstverständlich bei den Uebrigen freudigen Anklang und wird sofort zur Ausführung gebrach!. Sie schleichen durch den Hausflur; am Ende desselben schimmert ihnen aus einer Thürspalte Licht entgegen. Die vier Angesäuselten torkeln ohne Weiteres in das Zimmer und befinden sich in dem durch ein Nachilampe matt erhellten Schlafgcmach d auf Besuch weilenden dicken Schwiegermutter des Villenbc fltzers, welche durch den Lärm jäh aus dem Schlaf gerissen, sich mit entsetztem Gesicht aufrichtet und, die Studenten mit den ausgtschlageien Rockkragen in dem herrschenden Zwielicht für Einbrecher haltend, jammernd ausruft: .Ach, meine Herren, bitte, lussen Sie mich leben!" .Mit Vergnügen!" erwiderte sich ver beugend Schnabel und im selben Augen blick schall: es aus den vier sangeSkundi gen Bierkehlen: .Hoch soll sie leben! Hoch soll sie leben! Dreimal hoch II!" Ttt tälttftt Tag. Daß der 21. Juni der längste und der 21. Dezember der kürzeste Tag ift, dar über sind die Gelehrten einig, finden es aber erheblich schwieriger, dem kältesten Tag einen bestimmten Datum zu geben. Slatistijche Berechnungen, die sich auf eine lange Reihe von Jahren erstrecken, stellen fest, daß gemeinhin der 14, I, nuar als der kälteste Tag zu deirachie sei. Diese Rolle spielt er a.ich in den von der Geschichte festgehallem Fast zeilkn, wieioehl auch hier manche 21b weichungen statt finden. Zuweilen koir.mt der kälteste Tag im Dezember, zuivcen im Februar vor. (