Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, December 07, 1893, Image 9

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    Line WohItlzZtigkeits vorfiel
lung.
m Opijobt aus Counob I Sieben.
8 war am Weihnachtsabend vor
vielen, vielen Jahren. Den ganzen Tag
hatte bittere Kälte geherrscht und wäh,
rend der Dämmerung stieg au dem trS
den, hochgeschmeStcn Fluh ein weißer
Nebel empor, welch die Ufer und die
Nachdarftrahen in eine beloah undnrch
fichtige Wolke hallte, aus alle Gegen.
Znde ringsherum wirre, phantastische
Schatten warf, und sie in unheimlich
groteske Ungethllme verwandelte, die den
verspäteten Nachtschwärmer erschreckten
und ihm die Sehnsucht nach seinem Heim
wachriesen. Die Uhr der Rot Dame
Kirche schlug acht, aber der Glockentov
klang dumps und erweckte kein Echo.
Am linken SeineUfn war, mit AuS
ahme der Hauptverkehrsadern, so ziem
lich Alle verlassen und in der lang,,
engen Rue Mazarin, hinter dem Institut
de France, waren kaam ein Dutzend
Menschen zu sehen und auch diese beachte
ten nicht einen hochgewachsenen alten
Mann, der sich mühsam gegen den Quai
schleppte, von Zeit zu Zeit stehen blieb
und vor Kälte schauerte, weil n offenbar
nicht genug rast besaß, um gleichzeitig
zu schauern und sich fortzubewegen. Er
lehnte sich schwersällig auf einen dicken
Stock und sein linker Arm preßte einen
länglichen Gegenstand, der in ein Tuch
gewickelt war, krampshaft an den Leib.
Er war in sehr dünne Kleider gehüllt
und repräsentirte thatsächlich da gescho
rene menschliche Wesen, welche vom
Winde nicht mild behandelt wird, wie
unter ähnlichen Umstände da Lamm.
Tommeibeinkleider, ein alter abgenützter
Rock, der bis an daS Kinn zugeknöpft
was, höchst wahrscheinlich um das Nicht.
Vorhandensein eine HemdeS zu mas
sinn die war Alle, mag ihm Schutz
bieten sollte gegen die scharfe, eisige
Feuchtigkeit, welche seinen wallenden
weißen Bart und sein Haar benetzte, das
theilweise durch einen tief auf die Augen
herabgezogen, n weichen Schlapphut be
deckt war. Dieser Hut sollte ihn offen
bar vor dem Erkanntwnden schützen, ob
gleich ihm vielleicht nicht Bessere hätte
zustoßen können, al eben erkannt zu
werden.
Al der alte Mann daS SeineUfer
erreichte, blieb er einen Augenblick wie
unschlüssig stehen, dann ging er über den
Pont-des-Art, ohne nach link oder
rechts zu schauen; vielleicht wäre daS
Wasser eine zu starke Versuchung gerne
sen, um .allem Elend ein Ende zu ma
chen", und dieser Versuchung wollte er
nicht unterliegen. Er durchschritt die
Place du Canouffel und da Labyrinth
von übelriechenden Gäßchen, die damals
den Trnllerienpalaft vom Palai Royal
trennten, und gelangte endlich in das
Centrum de eleganten Paris, denn vor
einem halben Jahrhundert konnte die
ehemalige Residenz der CardinSle Riche
lieu und Mazarin noch al solches gelten.
St war gleichsam geblendet vom Glänze
deS Lichtes und betäubt von dem Lärm
der unterhaltungssüchtigen Menge und
machte einigemale die Runde um den
.Garten, als ob er unfähig gewesen wäre
oder nicht gewagt hätte, einen Entschluß
zu fassen.
Endlich blieb er unter dem hölzernen
Schutzdache an der Ecke einer immer stark
besuchten Paffage stehen, lehnte sich an
die Wand, stellte seinen Stock neben sich
und begann den Gegenstand, den er unter
dem linken Arme trug, aus dem bunten
Tuche auszuwickeln. ES war eine Violine
sammt Bogen. Nachdem er die Saiten
sorgfältig untersucht hatte, legte er da
Tuch zusammen, warf eS auf seine linke
Schmier und begann das Instrument zu
stimmen. Doch die erst' Töne der
melancholischen und sentimentalen Ro
manze, die er anstimmte, lockten ein
Paar respektSlose G ffenjungen hnbci,
die ihn erbarmungslos auslachten und
frech verhöhnten. Der arme Mann hörte
auf zu spielen, sank auf eine Treppen
siufe nieder, legte die Geige aus seine
Knie, murmelte dumpf vor sich hin:
.Großer Gottl ich habe mein Kunst ver
lernt 1" und ein krampfhaftes Schluchzen
entrang sich feiner Brust.
So saß er einige Minuten da. als am
anderen Ende der Paffage drei, äugen
scheinlich angeheiterte junge Männer
singend erschienen. Sie schmetterten aus
ooller Kehle ein Eouplet, welche sich zu
jener Zeit bei den Schülern des Pariser
Konservatorium einer großen Populari
tät erfreute. Sie sahen den alten Geiger
nicht, denn der Eine stolperte über dessen
ausgestreckte Bem, der Andere stieß ihm
den Hut vom Kopfe und der Dritte fuhr
erschrocken zurück, als de? alte Mann stolz
aber doch verzagt aufstand.
ES thut uns sehr leid, mein Herr,
aber wir haben Sie nicht gesehen. Ich
hoffe, wir haben Ihnen nicht wehe ge
lhan?' sagte dieser Letztere.
.Nein, Sie thaten mir nicht wehe',
antwortete der alte Mann, während er
sich bückte, um seinen Hut aufzuheben,
ab der Andere kam ihm zuvor und übn
reichte ihm denselben. Da blickte er
auch zugleich daS Instrument in dn Hand
des GreiseS.
.Sie sind in Musik, mein Herr?'
frug er den Alten sehr höflich.
.Ich war eS einst', seufzte der alte
Mann, und zwei schäme Thränen ricsel
ten über seine abgemagerten Wangen,
Die jungen Leute bemerkten die und
traten näh an ihn han.
.WaS ist Ihnen?' frugen sie zugleich.
.Fühlen Sie sich unwohl und können
wir etwa für Sie thun?'
Dn alte Mann schmieg einen Augen
blick und dann streckte n ihnen seinen
Hut entgegen, mit einem Blick, der einen
Stein hätte erweichen müssen.
.Schenken Sie mir eine Kleinigkeit,
um GottkSwillen', lispelte n kif. .Ich
Der Sonntagsgast.
Jahana 14. Beilage zum Rebraska Ttaats-Anzeiger. No. 29.
kann mir metn Brot nicht mehr mit vm
nem Instrumente verdienen; meine Ftn
ger ftnd steif geworden und meine Tochter
stirbt vor EntkrSstung und Roth.'
Jetzt war an den jungen Männer die
Reihe, zu schweigen. Ihre Geftcht
verriekhen Verwirrung, und vieleicht
zum ersten Male in ihrem Leben fühlten
sie Scham, ja sogar Ager üb ihre
Armuth. Alle Drei wühlten in ihren
Taschen herum, ab da Resultat dieser
Untersuchung war ein klägliche; da ge
sammte Kapital von Zweien ut ihnen
betrug sechzehn Sous (beiläufig 8 Hel
ler), d Dritte zog nur ein Stack Kolo
phonium hervor, einen Gegenstand, d
bei einem Geigenspieln tmmn vor
räthig ist.
.Mit sechzehn Sou ist nicht geholfen,
meine Freunde, wir brauchen mehr, viel
mehr, um unsnem Kollegen z hei
fen. Wir müssen energisch an die Arbeit
gehen. Du, Avolf, ergreife die Bioli,
um Gustav zu begleiten, ich wnde unter
dessen mit dem Hute die Runde machen.'
Die Borbereitungen wurden im Hand
umdrehe getroffen; die Rockkräge auf
gestülpt, die Haare übn die Stirne ge
strichen und die Hüte über die Augen
gezogen, um nicht erkannt zu werden.
Der junge Mann, d diese Hilfsaktion
angeregt hatte, gab hinauf das Zeichen
zum Beginn.
.E ist heute dn Christa!nd, Adolf.'
sagte n; .thue Dein Bestes und ver
gk'sse nicht, daß der Allmächtige sich heute
ganz gut rit den Zuhörern befinden
kann!
Und Alolf that wirklich sein Beste;
deuu kaum klangen die ersten Töne deS
.Karneval von Venedig', als sich rings
herum all Fenster öffneten und mit cnt
zückten Zuhörern füllten, während unten
in den Gsllnien und Gärten de Palais
Royal die Spaziergeher flehen blieben,
als ob sie versteinert gewesen wären,
oder znm mindesten ihre Schritt mäßig
ten und sich der Menge anschlösse, die
sich allnrälig um die Gruppe sammelte.
Und als di letzten' Töne verhallten,
brach ei frenetisch Beifall au und der
Hut des alten Mannes füllte sich rasch
nicht nur mit Kupfergeld, sonder auch
mit Sillermünzen.
Die drei jungen Männer ließen die
Begeisterung nicht kalten, im nächsten
Augenblick ertönten die Saiten der Bin
line wiedn, aber iieömal begleiteten sie
die wunderbar süße, reine und klangvolle
Stimme Gustav's, der die beliebte Ca.
valine an dn .Weißen Dame' sang
und seine Zuhörer gnadezu b zauberte.
Mittlerweile venmhrte sich die Zuhörn
schaft ganz außerordentlich, und a!s der
Sänger zu singen aufhörte, .regnete es
Geld' im vollsten Sinne de Worte, fo
daß der junge Arrangeur des Conzertes
Mühe hatte, die Geldstücke aufzulesen.
Ab n war entschlossen, eine gute Ein
nahm zu sichern und fuhr unermüdlich
fort, zu sammeln.
.Noch ei Stück,' flüsterte r seinen
Freunten zu, .und dann wird genug
sein. Du, Adolf, kannst neben Deinem
Violinspiel auch Deinen Baß hören las
sen, ich will die Partie de Bariions
fingen, und Du, Gustav, mein wacker
Tenorist, muht uns noch einige von Dei,
nen mundnlieblicheg Tönen zum Besten
gtben. Der Himmtl wird sich öffnen
und di gebratenen Lnchen wnden dem
alten Manne in den Mund fliegen.
Tragen wir da Trio au .Wilhelm
Tell' vor, das soll der Schluß sein, nd
vngeßt nicht, daß wir nicht nur u
Barmhnzigkeit singen wollen, sondern
auch dem Konservatorium Ehre machen
müssen.'
Diese Mahnung war unnöthig. d
künstlerische Geist der jungen Männer
hatte bereilS die Flügel entfaltet und
trotz dn seltsamen Manche würden
vielleicht sagen, demüthigenden Um
stände, unt welchen diese Konzert zu
Stand kam, sangen und spielten sie, ie
sie im späteren Lben vielleicht nie gesun
gen und gespielt haben, wenn auch das
kritischste Publikum Europa an ihrem
Gesänge und an ihrem Instrumente hing;
sie galvanifirten selbst den allen Mann,
der ansang auf dn Treppenstufe sitzen
blieb, un aber seinen Stock griff und
da Trio in einer Weise dirigirte, die
den gewandte nd gewiegten Muftker
verrieth. Er ftand hoch afgichtet da
und seine Augen, die vor einer Hilden
Stunde noch so matt und trübe waren,
glänzten vor innn Aufregung; r wer
wie verklärt und die jungen M5n fühl,
ten. daß fl den, Winke ine Meisters
gehorchten.
D Aufführung war zu Ende, die
Menge zerstreute sich langsam, und in
einzelnen Gruppen wurde die Episode
stark kommenttrt. .Da sind keine
Straßevmuflkanten,' sagten die Einen,
.sie haben zu frische Stimmen.' .Ge
wiß sind es keine Straßenmuflkanten',
sagten die Anderen, eS handelt sich um
eine Wette, oder eS ging ihnen knapp zu
sammen, und sie wollten sich Geld für
ihr Wkchnachls-Soupcr verdienen.'
.Nun, ste habm auch ihr Ziel erreicht',
meinte ein der Zuhörn, .denn sei
Student hält mehr Geld, al man eS
glauben würde. Ich sah, deß einige
Herren Goldstücke hineinwarfen."
So war e auch; d Hut enthielt eine
oerhältnißmäßig große Summe, die wohl
habenden und kunstsinnigen Leute aus
dem Auditorium forschte nicht nach den
Motiven dn al krvsoo-Uutnhaltung, sie
wollten nur ihren Betfall bethätig und
waren freigebig, und al man da bunte
Tuch ausbreitete, im di Hinnahme hin
einzuschütten, ftand dn eckte Mann sprach
loS vor Erstaunen und Freude da.
.Eure Namen ! sagt mir Eur? Namen,
damit ich dieselben noch af meinem
Todtenbette segnen nd meine Tocht
sie in ihr tägliche Gebet einschließen
könne.'
.Mein Name ist d Glaube,' sagte
d fte Jüngling.
.Mein Name ist d Hoffnung', sagte
dn Zweite.
.Mein Name ist die Liebe', sagt dn
Dritte, der sich den finanzielle Erfolg
des UntnnehmenS angelegeu sein lieh.
.Und Ihr kennt nicht inmal meinen
Namen,' seufzte d alle Manu. .Ich
hätte ja der erstbeste Spitzbube sein kön
nen. Mein Name ist Chepner, ich bin
ein Elsässer und dirigirte zehn Jahre
lang das Orcheftn dn Slraßburgn
Oper. Ich hatte doch die Ehre, die erst
Aufführung von .Wilhelm Tell' zu
leiten. Seitdem ich meine Heimath oer
ließ, hat mich daS Unglück verfolgt. Ihr
habt mein Leben und das Leben meiner
Tochter gnettet. denn dank Euch, werden
wir jetzt zurückkehren könen. Meine
Tochter wird in dn heimathlichen Lust
ihre Gesundheit wiedn gewinnen und
unter meinen Landsleuten wnde auch ich
meinen Platz finden, um Dasjenige zu
lehren, was ich selb auszuführen nicht
mehr im Stande bin. Euch ab sag
ich: Ihr werdet einst groß unter den
Größten sein.'
.Amen!' nwidten die junge Män
n und führten den alten Musik liebe
voll auf die Straß, wo sie sich vo ihm
mit einem letzten Händedrvck veradschie
beten. Ab trotz ihrer Bemühungen, sich un
kenntlich zu machen, wurden sie deunvch
von inem Zuhörer konnt, der die Epi
sode weit erzählte.
Der Rame des jungen Biolinspls
war Adolf Hermann, der Rame txs Teno
rissen war Gustao Roger und der Arran
geur der Wohlthäligkeitsvorfttkung, der
auch das Geld einsammelte, hieß Charles
Gormod.
Die Prophezeiung des alten Musikers
ging in Ersüllung. T. B.
Lin hartnäckiger Geschworener.
Aus bem amerikanischen Leben. Von
M. Hiche.
ES war im fnne Westen. Die Jury
hatt sich znr Berathung üb das Schul,
big zurückgezogen, obgleich da Zurück
ziehen nach Lage kr Sache nur ine
Form sein konnte. Bon Anfang der
Verhandlung an 1'2 zum Schwsz hatten
sich die Beweise gegen de A?geklgt''i!
stetig gehäuft, und nach dn letzten Zeu
genvernehmung konnte kein Zweifel mehr
darüber sein, daß Robert Sullivan vor
sätzlich und kalten Blute Jack Wild
ermordet. Der Thatbestand war kurz
folgend: Robnt, oder wie r vntrau
lich genannt wurde, Bob Sullivan, war
in trunkenem Zustande von Jack Wilder,
einem professionellen Spieln, seine letz
ten Cent beraubt worden. Als Sulli
van am nächsten Morgen machte, schwor
er in Gegenwart verschieden Pfonen,
Wild zu tödten, wenn er ihm da Geld
nicht herausgeben würd, um welche n
ihn betrogen. Mit dies auögesproche
nen Absicht begab er sich auf den Weg,
den Jack, au einer Nachbarstadt hehn
kehrend, passtren mußte, und am andneo
Tage wurde die Leiche deS Spieln mit
einem Messn in d Brust euf diesem
Wege gefunden. Sullivan mußte zuge,
stehen, daß er mit seinem Gegner au
demselben Ort eine stürmische Zusam
mevkunft gehabt, behauptete aber, sich
friedlich von ihm getrennt zu haben, da
Wilder ihm die Kückzab des Gelde
versprochen. Der Indizienbeweis lieh
nicht den geringsten Zmeisel an dn Schuld
Sullivan'S zu, dieser wurde trotz seine
Leugnen gefänglich eingezogen und selbst
sein Bntheidiger war rnlich entrüstet
über die Zähigkeit, mit welch sein
Klient feine Unschuld betheuerte.
DaS Geficht in die zittrrnden Hände
vergraben, saß dn Gefangene ans ein
hölzernen Bank. Nicht weit von ihm
lehnte sein elende Weib, Todesangst im
Blick der Augen, in jedn Bewegung des
magnen Körper verrathend, einen
kränklichen Säugling im Arm. Dn
Richter beschäftigte sich mit seinen Akten,
athcmlose Schweigen herrschte in dem
dumpfen Gerichtslokal, selbst d Säug
ling hatte sein klägliches Schreien ringe
stellt, und da Summen einer großen
gliege, die sich in einem Spinnennetz g;
fangen, unterbrach allein die Stille,
Allmählich erhob flch ein ungctuldigeS
Murmeln, die Menge wurde unruhig,
und dn Richter entsandt den Sheriff,
um die Geschworenen zur Eile zu mah.
nen.
.Wir sind noch nicht einig,' erwidnte
dn Obmann auf die Meldung deS Be
amten, .elf von uns stimmen für' Hän,
gen, nur Conwav will nicht davon
missen. Er sagt, Sullioan sei unschuldig
und will lieb bi zum jüngsten Tage
hin sitzen, al inen Zollbreit nachzu
geben.' Gile Conway, der Mann, dessen
Hartnäckigkeit die unliebsame Vnzöge,
rung nursachte, saß etwas abseits von
den Uebrige. Die braunen Lederbein
kleidn nd dn eiche Filz kennzeichnete
ihn als Farmer; aber auch ohn di an
spruchslose, jetxr Stuhnhaftigkeit fnne
Kleidung mußte seine Erscheinung die
Erinnerung an di frischen Winde und
den goldenen Sonnenschein de freien
Landleben wecke. Von Kopf di zu
den Füßen schien sei Gestalt ebenmäßig
gefärbt zu sein, denn Augen, Haare,
Haut und Bart zeigten dasselbe tiefe
Braun, und nur die Furchen in dem
energische, scharfgeschniltenen Gesichte
ließen erkennen, daß er nicht mehr jung
war. Di ärgerliche Ungeduld sein
Genossen mußte ihn nicht stören, denn
den Filzhut weiter au dem Geftcht schie
bend uud sich bequemer in dem hölzernen
Sessel zurücklehnend, bemnkte er lang
sam: .Nein, Freunde, ich ade nie die
Hand dazu bieten, einen Menschen auf
solche Beweise hm dem Galgen zu
überliefern, und wir wollen nicht weiter
darüber streiten, ich gebe nicht nach.'
,Da ist ab thöricht Eigensinn,'
ließ sich einer der Geschworenen verneh
men, .sür uns ist's klar wie die Sonne,
daß Sullivan der Mörder ist, jed
Mensch mit gesunden Sinnen muß eS
einsehen, und nur Ihr allein fitzt da
wie ein Klotz nd wollt nichts dazon
hören!'
.Das ist's eben,' erwidnte Conwav,
.für Euch genügen zufällige Umstände,
um einen Menschen zu hängen, hättet
Ihr aber erlebt, vaS ich nfahrcn,
würdet Ihr vielleicht anders urtheilen.
Ich bin kein großer Erzähln, aber laßt
mich Euch einen Fall berichten .ich
werde mich kurz fassen' der Euch er
klären wird, warum ich einen jungen
Burschen, den ich von Kindheit auf
kenne, nicht hängen sehen will, und noch
dazu für etwas, das er wahrscheinlich
nicht gethan hat.
.Ihr alle wißt, daß ich al jungn
Mensch von S0 Jahren von hin fortging
und mich in einer ferne Gegend an
siedelte. Nun, dicht neben meiner Farm
wohnte ein gemisser Jim Saundns,
wen dies auch nicht fein richtiger Name
ist, der gleich mir sein Glück machen
wollte nd mit mir bald ein Hz und
eine Seele wurde. Nach einig Zeit
gedachte sich Jim zu vnheirathe und
brachte in Kurzem das hübscheste kleine
Ding in sein Heim, welche man auf
Meilen in der Runde sehen konnte. Sie
besaß dichte, blondes Haar, da ihr
weit übn die Schultern siel, große blaue
Augen und di Stimme eine BögleinS,
und Jim nun, er meint, etwa!
Schönne gSd'S nicht auf der weiten
Mit. Buch sie schien ihm zu Anfang
gut zu Hn, cllkin ZpZ.'cr stellt; sich her
auS, daß Beid nicht zu einander paßten.
Sie war wohl zu entschuldigen, denn das
Leben, da sie jührte, mußte ihr, die an
hübschen Kleidern und Tändelkram Ver
gnkgrn fand, hart und öde erscheinen,
und Jim besaß nicht so viel, um ihre
Wünsche zu befriedigen, wenn auch
Tag und Nacht arbeitete. Vielleicht
wär mit der Zeit noch Alle gut gewor
den, doch eines Tages traf Jim mit
einem Manne zusammen, den er früher
gekannt, und der sich Jim'S Heim durch
aus ansehen wollte. Er begleitete ihu
denn auch nach Hanse, und es war ein
Unglückstag für Jim, als der Fremdling
de Fuß über feiue Schwelle setzte.
Kaum hatte n Milk gesehen, so besaß
nicht Andere mehr Interesse für ihn,
nd fte war ein Weib und stolz auf
die Bewunderung des seinen Städters.
E gelang ihm, sich den Beiden so ange
nehm zu mache, daß sie ihn baten, zur
Rächt zu bleiben, und gegen Morgen
wurde er krank odn stellte sich auch nur
fo. Jedenfalls pflegten sie ihn, und von
ei Wetterrkis konnt keine Rede sein.
So blieb n da. saß von Kissen gestützt
in dem großen Schaukelftuhlund tändelte
mit Millv. indessen Jim bei der Arbeit
war. Dies ahnte nichts Böse und
hätte eh an seinen Herrgott als an
Willy gezweifelt, bis er einesTages, müde
und hungrig heimkehrend, entdeckte, daß
ihn sein Weib, da Weib seine Herzen,
verlassen und mit dem Manne geflohen
war. den für seinen Freund gehalten!
Zuerst glaubte er wahnsinnig werden zu
müssen, AlltS drehte sich mit ihm im
Kreise, große blutige Flecke tanzten vor
seine Augen und neckend: Stimmen
nannten ihn lachend einen Narren. Nur
eins war ihm klar, er mußte sie verfolgen
bis ans End der Welt, um den Mann
zu tödten, der ihm sein Liebste gestohlen.
Aber vergebens spürte er ihnen nach, sie
verschwanden immer wieder, wenn er sie
gefunden zu haben glaubte, und als sein
Geld zu Ende war, hatte er sie ganz ver
loren. Da kam er wieder zur Besinnung,
verkaufte seine Farm und kehrte in die
Heimath zurück, um zu warten denn
er wußte, laß früher ob später der Tag
der Rache kommen würde. Und während
n wartete, ' arbeitete , wurde reich,
und Niemand ahnte, daß n einstmals ein
Weib besessen, n hatte Frieden.
Zwanzig Jahre spätn kam endlich seine
Zeit. Auf einsamem Ritte traf n den
Mann, den er so lang Jahr gesucht,
und Beid erkannten sich gleichzeitig. Der
falsche Freund wurde schnebleich, er riß
sein Pferd hnum nd wandte sich zur
Flucht, jedoch vergebens l Jim war be
reitS hnabgesprungen, hatte ihn am Halse
gepackt und schneller al ich es z zäh
len vermag, lag der Schuldige am Bo
deu, während Jim. das Messn in d
Hand, auf feiner Brust kniete. .Wo ist
Millv sag's, od ich schneid Dir Dein
teuflische Herz au dem Leib.' Wie
eine Ratte im Loch schaute ihn der
Bursche au, sah den Tod m Jim' Augen
und wußte, daß ihm Lügen nicht nützen
würde. .Sie ist todt, würd krank, al
wir New York erreichten. Ich ließ
sie dort und eine Woche spät ist sie ge
ftorben!' .Du verdienst, wie eine
Schlange getödtet zu wnde, ab ich
habe rechtschaffen gelebt und will mit
Gotte Hilfe ehrlich sterben. Drum zieh
Dein Messn und vergiß nicht, daß einer
von UN auf dem Platze bleiben muß.'
Dann ließ er ihn aufstehen und sie
kämpften miteinander. Ihre Krä fte moch
ten wohl gleich sein, doch Jim dachte an
MillyS infame End und kämpfte wie
ein Tig, und bald lag der Mann, der
zwischen ihn uud sie gekommen, starr
und steif, mit dem Messer in der Brust,
am Boden und schaute mit verglasten
Augen zum Himmel auf.
Und nun kommt der Theil meiner Ge
schichte, den ich Euch al warende Bei
spiel erzählen will, wenn Ihr mied ein
mal so rasch bei d Hand sein solltet
Jemanden auf einen bloßen Jndizienbe
weis hin schuldig zu sprechen. Al man
die Leiche sand, dachte Niemand an Jim,
denn Jeder hielt einen antxren Mann für
den Thätn, einen Mann, d alldingS
die Abficht ausgesprochen hatte, dem Tod,
ten anS Leben zu gehen, und der fein
Alibi nicht beibringen konnte. So wurde
d Andere gefangen genommen, und
Jim hörte zum ersten Male von dem
Verdachte, dn auf den Unschuldigen ger
fallen, als man ihn zu der Gerichts
fitzung als Geschworenen einberief. Er
hatte nie daran gedacht, sich dem Gerichte
zu stellen, denn sein Feind war in ehr,
lichem Kampfe gefallen, und er war stolz
auf seine That. Was hatte da Gesetz
damit zu thu? Millv Ramen sollte
nicht vor Richter und Geschworenen be
schmutzt den, vor Menschen, die sie
nicht jung und unschuldig gekannt hatten,
wie er sie im Herzen trug. Auch war
überzeugt, daß der Gesänge freige
spreche den müsse, nd dann ent
schloß sich, nichts zu sagen, wenn es
irgend angehen würde. Als die Sitzung
eben begann, sprachen die Beweise fo sehr
f ege den Angeklagte, daß auch Jim ihn
ür schuldig gehalten hätt, wenn nicht
gewußt, daß er selbst d Thäter gewesen.
Ihm vergingen die Sinne, n sah nichts
mehr, dachte nichts mehr, bis sich mit
den anderen Geschworenen im Bera
thungSzimmn befand, und Alle außn
ihm den Mann hängen lasse wollten,
der unschuldig war. Da kehrte ihm der
Anstand zurück, er stimmt gegen sie,
und al sie sein Gründ wissen wollten,
zählte er ihnen die Geschichte, die Ihr
eben gehört.'
GileS Conwav schwieg nd schaute
ernst und ruhig in die Augen sein Zu
hör, die flch m ihn geschaart hallen
und von allen Seiten umgaben.
.Und ws geschah mit Jim?' fragte
der Obmann endlich.
.Ich weiß S nicht,' gab n langsam
zur Antwort, .noch ift S nicht ntschie
den, denn Jack Wild war dn Mann,
der mit Will entfloh, und ich bin es, dn
ihn getödtet hat.'
Der Zug ach dem Wtflen.
Von EmaU, Rasch.
Dm aufVksamnen Beobachter d
Natur muß die äußerst intnessante That
sacht aufftoßen, daß alleS Lebende einem
unwiderstehlichen uud unwillkürlichen
Dränge folgend, dem Westen zuwandert.
Sogleich fällt uns von den Thinen die
Wanderratte (,MuS Decumanus') mit
ihrem ausgesprochenen Wandertrieb ein.
Daher dn Name .Wanderratte'. Bom
östlichen Asien kommend, langte diese un
tervehmende Reisegesellschaft zu Anfang
deS IS. Jahrhunderts in Europa an.
Gewaltig Schaaren diefeö GesindelS er
gössen sich über Europa; und in ganz
Zügen strömten diese schwarzen Gesellen
dn Rordse und dem Atlantic zu, den sie
bei zünftig Fahrgelegenheit übnschrit
tcn. Ein andern Vntretn deS ausge
sprochene ReisebedürfnisseS mit der
Richtung .Weftend' ift die Wanderdrof,
sei (TurouS migratorius), die ihre Hei
math in Nordamerika hat. Sie tritt
von hier aus ihre Reise nach dem Westen
an, geht über die BehringSflraße und
drwgt dann in di? alte Welt ein. B
qem macht eS sich die ursprünglich ten
glüssen deS östlichen Suropa angehörte
Wanter-Muschel (Drevosera xoivmor
xha), welche ihrem Wandertrieb dadurch
Rechnung trögt, daß sie sich gelegentlich
al blinder Passagier an Schiffe) Flöß
u. f. w. setzt nd ihre Reis nach dem
Westen ganz gemüthlich ohne groß .
ftrtnguug mzcht. Seit Anfang dies,
Jahrhundt ift sie in allen größere
Slröne de westlichen Europa zu finde.
Auch die Wandkrheuschrecke (Acrtdtn
migratoriu) hat ihre eigentliche Hk
malh im Oft, und ihre rhenerb
Schwärme richt sich stet nach de
Wege.
Der wahr Vertreter des rastlos
Streb ud Drängen nach brat
Weste ift jedoch dn Mensch selb.
.Homo Migratoriu' könnt ma ih
füglich n,en! Schon zu Olim Zeit
schlug d groß Bölka ström d Artn
vom Hochland von Iran an sei
Weg ach dem Westen ein. Den gleich
Zug nach dem Westen traten di Skothe
und spät di Hunne an.
Es drängt sich nun un di Frage ems
wie dies unbewußte, unwillkürliche
Trieb z klären ist. Ich entsinne mich
da, eine Tage in ein Droschke gefah
ren zu sei, di von inem melancholi
schen. lebensmüden Gaul gezogen würd,
der in gemächlichem Trab einherschun
kelte. Unmittelbar vor ihm fuhr ei
Kalesche, dnen edle Zugthikr in ei
unNSrliche Anfall von Leben, und
Schaffensfreudigkeit in eine schnelln
Gangart überging, und unwillkürlich
trottete auch mein Gaul, de stier
Blick auf die Füllung de Vorderwagens
gnichtet, im lebhaftesten .stifstm.
einherl Diese Beobachtung hab ich späte,
häufig gemacht und habe ich mich auch
analoger Fälle erinnert. Jedn whi
schon inmal bemerkt haben, daß wir
unserem Bordnmanne förmlich in all
Gangarten unbewußt nachlaufe, wen
wir gcrade in Hedanken versunken ftnd.
Nun beschreibt die Sonne täglich ihre
scheinbar vo Osten nach Westen gerich
tete Bahn und, wie in der Hvpnos das
Medium flch unwillkürlich gedrungen
fühlt, dem Hypnotiseur zu folgen, wi
die Pflanze sich d Sonne bezw. dem
Lichte zuwendet, und die Wolke dem
Lichte zuflattert, so zeigen fast all leben
den Wesen da unwiderstehliche Streb
der Sonne, dem Quell aller Kraft, und
der Schöpferin nd Erhalter in alle
Leben, wie einem Kompaß zu folgen.
Der ,rft Verdienst.
Kais Franz v. Oestnreich bekam on
seinem Schwiegnfohne, dem Kais o
Brasilien, zwei Wilde zum Geschenk,
welche dem Publikum, unentgeltlich na
türlich, im Hofgarten gezeigt wurden.
Ein Gcnnal von Sch.-Ztg., welch fich
zum Besuche in Wien befand, ging in
Morgens früh nach dem Hofgarten, m
diese Wilden zu sehen. Da n sich nicht
zurechtfinden konnte, fragte n einen auf
der Erd knieende und Blumen pflücken
den Mann nach dem Aufenthalteorte dn
Wilden nd drückte dem freundlich,
alten .Gärtnn', ohne ihn anzuseh,
einen Silberzwavzig in die Hand. Ans
dem Rückwege betrachtete er seinen Weg
weiser genau und kannte in ih
den Kaiser Franz. Todtenblaß und stot
ternd vor Aufregung, suchte er sich z
entschuldigen. .Keine Entschuldig
nöthig, mein liebn General' tt
ruhigte ihn dn gütige Monarch .ab
nix da den Zwanziger geb i nöt mir
der her I E iS eh das erste Geld, wa
i für meine Wilden einnehm'!'
iebstollheU.
Ein hübsches Mädchen von Bioi hatt,
eine Anzahl Liebhab, die um
schwärmten. Jüngst befand si fich mit
vinen derselbe auf dem Dampfschrsi.
Die allzu vielen Huldigungen würd,
ihr schließlich lästig, allein die Wahl that
ihr weh. Deshalb wandte sie sich an,
den CapitSn um inen Rath. Räch
einigen Augenblicken de Besinnens sagt
n ihr: .Glauben Sie mir, werfe Ek
sich ins Wasser und gebe Sie dann Ih
Hand Demjenigen, der Sie au dem
Wassn ziehen wird.' DaS junge MSd-
chen befolgte sofort diesen weise Rath
und stürzte fich übn Bord in Wassn.
Sofort springen ihr drei Liebhaber ach
und rette sie. Neu Verlegenheit und
neues Gesuch an den Capitän um sei
guten Rath. .Nun wohl,' sagte n,
.heirathcn Sie Den, der Ihnen nicht z
Hilfe geeilt ist, er ift von den Vinen dn
am wenigsten dumme.'
Erfreuliches Resultat.
Ein ZnchthauSdirector hat nach ein
langen Reihe von Jahren endlich den er
sehnten Orden bekommen. Er läßt
sämmtliche Sträflinge antreten, und
spricht zu ihnen: .Wie Ihr seht. Haie
ich durch Allerhöchst Huld und Gnad,
einen Orden mpfangen l Ich erkenne
abn gerne an, daß dies nicht durch mein
Verdienst allein, sondern durch uns ge
meinsames Zusammenwirken erreicht vor
den ist! Kann ich doch mit inniger Freude
konftatiren, daß seit meiner Amts
föhrung die Zahl der Striif.
ling von vierhundert auf
siebenhundert angewachsen,
ift, woraus Ihr wie ich stolz
sin könnt!'
Immer Geschäftsmann.
.Amalt, waS haben wir erleben rnüf
sen!'
.Ja um'S Himmelswillen, a ift
denn geschehe?'
.Der Buchhalter, der Schurk', hat
uns unsere Tochter vefraudtrt!'
Ueberraschender Erfolg.
.Mir scheint gar, Du lnnft itali,
nisch?'
.Das weißt Du nicht? Schon seit
lechz Monaten; ich halle mir ja et.
Meister!'
.Und hast Du schon Erfolge zu VN"
zeichnen?'
,O freilich er spricht schon so zinn,
lich deutsch!'