Nebraska Staats-Anzeiger. (Lincoln, Nebraska) 1880-1901, September 14, 1893, Image 9

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    Ein Kampf in den küften.
Von S,gnir Ricardo.
Seit vierzehn Tagen befand ich mich
in Pr,..buig, wo ich. im Vereis mit
dem Gatten meiner Äoujtne, mich 13
Gymnastik an dem an einem ausfiel
gevden Luftballon hängenden Trapez
produzirt.
Mein Engagement, welches ich bis
dahin in Paris inne gehabt, hatte ich
aufgegeben, well mich ein Brief meiner
ousine fo sehr um sie besorgt gemacht
hatte, daß ich beschloß, ,u ihr ,u eilen,
um für längere Zeit in ihrer Nähe sein
l'i können.
Meine Äouslne war als elternloses
Kind in meinem Vaterhause erzogen wor
den, und ei innige Geschmisterliebe
hatte sie und mich ftetS verbunden; wir
wurden zusammen groß, wir erlernten
zusammen da schmierige Metier der
Akrobaten und wir waren, so lange meine
Eltern, die einen eigenenZirkuS besahen,
lebten, bei diesen zusammen thätig.
Dann, alS der schnell aufeinander fol
gende Tod meiner Eltern eintrat, blieben
wir noch einige Zeit bei einander, um
nach wenigen Wochen Jeder für sich die
Lausbahn unseres Berufe einzuschlagen;
das heißt von einem ZirkuS zum anderen
d e verick, eden ten Vxit zu ve ucoen. in
lebhafter Briefwechsel hielt uns über
unsere gegenseitigen Schicksale auf dem
Lausenden: und s erfuhr ich denn eine
TageS, daß sich meine Kousine mit einen,
Kollegen verübt hatte und vaiv zu vet
rathen gerachte.
Ich hatte von dem Verlobten meiner
Kouflnt bis dahin nur in seiner Eigen
schaft als Künstler vernommen; während
mir sein Charakter, da eS ja gar kein
Interesse für mich hatte, gänzlich unöe
konnt war.
Jebt befleißigte ich mich naturlich,
hierüber genaue Auskunft zu erhalten;
doch leider war daS, was ich über ihn
erfuhr, so nachtheilig, daß ich meine Cou
sine ernstlich vor diesen Menschen warnen
mußte.
Er sollte ein roher, jähzorniger, ge
walttbätiaer Mensch sein. Leider nütz
ten meine Warnungen jedoch nicht im
Geringsten, und ein halbes Jahr später
war die Ehe vollzogen.
Auch jetzt blieb ich mit meiner Cousine
in lebhaftem Briefwechsel, auS dem mit
der Zeit hervorging, daß meine Befürch
tungen leider nur zu sehr eingetroffen
waren, und meine Cousine nicht nur daS
erhoffte Glück nicht gefunden sondern
sogar tn Beryäitmiie omeingeraiyen
war, die geradezu besorgnißerregend
waren. Ihr Gatte verspielte daS, aS
er und sein Weib verdienten, und um
Allem die Krone aufzusehen, hatte er
sich gar dem Trunke ergeben. DaS AlleS
erfahr ich durch Collegen, die bald hier,
bald doit Engagement in der Welt hat
ten, und auf diese Weise mit dem Ehe
paar zusammengekommen waren.
Von meiner Cousine erhielt ich trotz
meiner Bitte um aussührliche Berichte
nur ganz kurze Mittheilungen."' Aber
so wenig diese Berichte enthielten, so
sehr verstand ich es, zwischen den Zeilen
zu lesen: Meine liebe, gute Lucie war
unglücklich. DaS stand seft bei mir, und
einem plötzlichen Entschlüsse Folge ge
bend, löste ich eines Tages mein En
gagement, setzte mich auf die Eisen
bahn und fuhr von Paris nach Peters
bürg. ES war ein schöner, herzlicher Em
fang, den mir Lucie bereitete: das arme
Weib warf sich, laut aufschluchzend, mir
an die Brust, und aus jeder ihrer Be
egungcn konnte ich sehen, wie froh, wie
herzlich froh sie über mein Kommen war.
Aber nicht eine Klage kam über ihre Lip
pen;, doch das wär auch überflüssig
gemesen. Ich sah genug I
Um so lange wie möglich in der Nähe
meiner Cousine sein zu können, schlug ich
deren Gatten vor, mit ihm zusamme., zu
arbeiten, und da dieser gerade einen Ne
benmann suchte, der eS mit ihm unterneh,
men wollte, an einem unter einem Ballon
hängenden Doppeltrapez zu arbeiten, so
waren wir bald einig.
Vierzehn Tage, lang vor der ersten
Vorstellung übten wir unS ein; da wir
beide gewandte tüchtige Akrobaten waren,
so waren wir bald genug zusammen ein
gearbeitet. Inzwischen verkehrte ich mit Lucie in
meiner alten, zutraulichen Weise, welche
sie ebenso erwiderte. Wir gaben uns
ganz der Freude, nach so langer Zeit der
Trennung wieder beisammen sein zu dür
sen, hin, und achteten hierbei gar nicht
darauf, wie Richard, so hieß der Gatte
meiner Cousine, unS mit argwöhnischen
Blicken verfolgte. Mir sollte erst später
auf eine entsetzliche Weise klar erden,
wie tief sich die Eifersucht in diesen tücki
schen Mann hinein gewühlt hatte.
Der Tag unserer ersten Vorstellung
war herangekommen. Eine zahllose Men
schenmengc hatte in dem großen Garten
etablissement, in welchem der Aufstieg
vor sich gehen sollte, Platz genommen und
mit großem Interesse wurden die Vorbe
reitungen zu unseren Produktionen ver
folgt. Endlich ar der Ballon gefüllt,
wir begaben unS, mit beifälligem Klat
schen von der Menge begrüßt, in die
Mitte des Rondells, tn welchem der Bal
lon, an Stricken von mehreren Leuten ge
halten, schwebte, ergriffen das Trapez
und begannen zu arbeiten. Dann er
scholl von Seiten Richard! das Kom
mando: Los, und majestätisch stieg daS
Luftschiff in die Höhe.
Während die Zuschauermenge unter
uns klatschte und Beifall zurief, stiegen
wir an dem Trapez, unsere Eoolutionen
ausführend, immer höher und höher, bis
wir endlich den Augen des Publikums so
weit entschwunden waren, daß es unsere
Leistungen nicht mehr beobachten konnte,
DieS veranlagt ur,S, unsere Produktiv
ncn einzustellen und indem nur eS unS
Nr
Jahrgang 14.
auf dem Trapez so bequem wie möglich
machten, stiegen wir mit dem Ballon
immer höher in die klare, durchsichtige
Lust hinaus.
ES 'st ein etqenthümllcheS Geiuhl.
mit einem Luftballon aufzusteigen. DaS
sanfte, durch keine Erschütterung bettn
trächtigte AuswIrtSstreben bringt zuerst
die Täuschung hervor, daß man sich nicht
von der Erde entferne, sondern, daß
diese unter Einem versinke. Dann, wenn
man zu dem Bewußtsein kommt, daß
man dennoch den Wolken zustrebt,
kommt eine eigenthümliche Stimmung
auf. Der Lärm, welcher unten auf
der Erde herrscht, hat eirnm eigenthüm
lichen Geräusch Platz gemacht. Das
Donnern und Poltern gleicht einem Rau
schen, und jetzt, nachdem die Spitzen
elv t ocr vos ten Thurme unter einem
verschwunden sind, klingt es nur wie ein
leises, zartes Flüstern von der Mutter
Erde herauf, deren Söhne hoch über ihr
im blauen Aether schweven.
Ich hatte mich meinen Gedanken hin,
gegeben und ganz vergessen, daß Richard,
nur durch ein in der Mitte des Trapez
angebrachtes Tau getrennt, neben mir
saß, als dieser, mich aus meinen Träu
men reißend, plötzlich ein Gespräch mit
mir begann.
'.Du bist ja ganz in Gedanken versun
ken; Du denkst wohl an sie?"
.An sie?
.Ja, an sie!
.Ich verstehe Dich nicht."
.Aber ich Dich um so besser., Glaubst
Du, ich habe nicht bemerkt, wie Du
Lucie, meinem Weib, nachstellst? Und
wie sehr Du vom Glück bei dieser Treu,
losen begünstigt bist?'
.Ist daS Dein Ernst?
, .Ja, eS ist mein Ernst, blutiger,
wahrer Ernst!'
.Du bist wahnsinnig!
.Nicht im Geringsten. Aber entschlaf
sen, mich an Euch zu rächen. WaS wohl
Deine Lucie sagen wird, wenn sie
erfahrt, daß Du gerade oberhalb des
Stromes abgestürzt und ertrunken bist.
Ich schrack zusammen. WaS hatte die
ser Mensch vor? Wollte er ein Ver
brechen an mir verüben?
Ich hatte diesen Gedanken kaum auS
gedacht, als er auch schon auf dem Tra
pez stand und mit einem scharfen Messer,
welches er bis dahin verborgen hatte, daS
tau an meiner Wette durchschnitt, so daß
sich die Seite der Griffftange, auf mel
cher ich saß, mit einem Ruck senkte.
Mit einem Schlag war mir daZ Ge
fährliche meiner Lage klar: Richard
wollte mich von dem Trapez stürzen
Aber ebenso schnell hatte ich mich gefaßt
und mit aller mir zu Gebote stehenden
kraft klammerte ich mich an das Mittel
tau des Trapez und schnell schwang ich
mich in die Höhe, so daß ich mich meinem
Feinde gegenüber befand. Vor allen
Dingen hieß ti, diesem das Messer zu
entreißen. Denn wenn ich auch nicht zu
fürchten brauchte, daß er mir damit zu
Leibe gehen wollte, schon deßwegen nicht,
weil, wenn man meinem Leichnam gesun
den hätte, die Wunden an diesem ihn
verrathen hatten, so konnte ich dennoch
nicht wissen, ob er nicht am Ende, wenn
sich der Siez vielleicht auf meine Seite
geneigt hätte, in seinem grenzenlosen
Haß mir damit den Garaus gemacht
hätte, Zudem, ich gestehe es aufrichtig.
befand ich mich in einer fo entsetzlichen
Lage, da es mir wohl kein Mensch ver
denken wird, wenn ich mit aller Kraft
danach strebte, in den Besitz dieser Waffe
zu gelangen; schon deswegen, um mir
damit meinen fürchterlichen Gegner vom
Leibe zu halten.
Es entstand daher ein fürchterliches
Ringe um dc Meger, welches mein
Gegner in der hocherhobenen rechten
Hand hielt, und mir ledes Mal, wenn
ich darnach griff, mit dem Stiel desselben
einen Schlag versetzte. Ich war aller
dingS kräftiger und auch gewandter als
mein Gegner; aber wenn eS diesem ge
lingen sollte, mich auf den Kopf zu schla
gen und mich zu betäuben, dann wäre ich
verloren. Ich hätte unbedingt in die
Tiefe stürzen müssen. Zweimal hatte
cr bereits-nach meinem Kopf geschlagen
und jedesmal war eS mir gelungen, den
chlaa zu pariren. Da endlich gelang
es mir, sein rechtes Handgelenk zu ergrei
fen. Ich preßte und drückte mit aller
Gewalt, um meinen Feind zu veranlas
sen, das Messer fallen zu lassen; aber
vergebens. Plötzlich packte ich meinen
Feind, ehe er sich dessen versehen konnte,
an der Kehle. Ich stand jetzt auf der
Stange des Trapez ohne anderen Halt
als an meinem Gegner. Aber das war
genügend. So . lange er sich festhielt,
war auch ich in Sicherheit, da ich mich
ja an ihn avgeklammt hatte; und ich
hielt fest. Immer fst?r und feste,
prißte ich meine Finger um seinen
Haik; ein Röcheln drang daraus her
vor, da? immer schwächer wurde und
plötzliche sank er bewußtlos in sich zu
sammen. Ich war gereitet. Mit einem schnei
len Griff, ehe eS in die Tiefe fallen
konnte, entriß ich ihm das Messer, zerrte
hn mit faß übermenschlicher Anst, cngung
an mich heran, so daß ich ihn um den Leib
fassen konnte, rutschte dann soweit an die
5
Beilage zum Nebraska StaatS-Anzeiger.
Seite, auf welcher ich gesessen hatte, und
ergriff mit meinen Füßen das herunter?
hängende Seitentau. Dann schnitt ich
dieses schnell ab, zog eS zu mir hinauf
und band meinen Feind damit fest, so daß
er nicht abstürzen konnte. Dann öffnete
ich die Ventilklapxe deS Ballons, und
mit einem auS tiefster Brust kommenden
Seufzer der Erleichterung ließ ich das
GaS ausströmen. Als wir endlich
wieder auf der Erde angelangt waren,
war mein erster Weg zumPolizeikommif
sar deS kleinen OrteS, dem ich in stiegen
der Hast erzählte, was mir passtrt.
Dann überließ ich dem kopfschüttelnd,
Herrn meinen Gefangenen und etlie nach
Petersburg.
Eine unbeschreibliche Aufregung ent
stand, als mein Adenteuer bekannt
wurde, und von allen Seiten stürmte
man auf Lucie ein, sich von ihrem Gatten
scheiden zu lassen. ,
Sie hatte diese? nicht nöthig. Nach
wenigen Tagen war Richard auS dem
Gefängnisse auSgebrochen und aus Nim
menviederfehen entflohen. Nach zwei
Jahren erhielten wir die Mittheilung,
daß Richard in Amerika von einem Cow
bov, mit hem er in einen Streit gerathen,
erschlagen worden war.
Lucie war erlöst! Sie ist heute die
Gattin eines wohlhabenden Zirkusbe
sitzers, der sie auf Händen trägt, wäh
rerid ich, von einem Zirkus in den aride
reu ziehend, ein echtes Vagantenleben
führe.
Der Iuftizrath.
Criminal-Geschichte von M a r K r e tz e r.
Juftizrath Krummholz war noch ein
Rechtsanwalt der alten Schule, zu der
er selbst diejenigen rechnete, die .nicht
alles annahmen, d. h. nicht nur solche
Fälle von vornherein ablehnte, die ihnen
völlig aussichtslos erschienen, sondern es
auch mit ihrer Würde nicht vereinbar
fanden, Sachen zur Bearbeitung und zur
Vertretung ihrem Aktenstander emzu
reihen, von deren. Unreinheit sie sich auf
den ersten Blick, oder während der ersten
Unterredung überzeugt hatim. ,
yunggejeue geblieben, hakte er zwar
seine kleinen Schrullen, ar aber seiner
Biederkeit und seines guten Herzens
wegen allgemein beliebt. Er halte einen
Neffen, den einzigen Hinterbliebenen
Sehn seiner als wenig begüterte Wittwe
gestorbenen Schwester, der zugleich sein
Mündel war. Dieser Neffe, der im
Alter von 19 Jahren stand, den er lange
Zeit hindurch wie seinen eigenen Sohn
betrachtet hatte, und der früher zu seinem
einzigen Erden auSersehen war, bildete
den einzigen großen Kummer seines Da,
seins.
Er war völlig auS der Art geschlagen.
hatte die leichtsinnigsten Streiche gemacht
und ar emes tages so tief gesunken,
daß er in einem Juwelierladen bei Ein
kauf eines unbedeutenden Gegenstandes
einige werthsolle Diamantringe entssn
bete, uni mit dem Erlös feinen verfchwen
oerlschen Pasflonm nachgehen zu können,
was ihm das immerhin reichliche Taschen
geld nicht gestattete. Als der Justizralh
davon erfuhr und sofort den Verlust er
setzte, war es zu spät. Man hatte be
reits Anzeige gemacht, und die Folge da
von w.r, vag )tui Neffe wegen einfachen
Diebstahls zu einer Gesänanißftrafe ver
urtheilt wurde. Er konnte nur noch da
für sorgen, daß so wenig als möglich da-
von in die Oeffentlich'ett kam.
Der Justizrath trug feinen Schmerz
um den Beriorenen mit stiller Trauer.
Als derselbe jedoch auö dem Gefängniß
entlassen wurde, nahm er sich feiner an
und brachte den scheinbar Reuigen bei
einem Freunde, der eine Großhandlung
in Leipzig hatte, als Buchhalter unter.
ine eit lang dielt der lunqe Mann
sich gut, plötzlich aber wurde der Justiz
rath von feinem Freunde telegraphisch
nach Leipzig gerufen. Sein Neffe hatte
einen Gcldbrief unterschlagen und den
Inhalt binnen ganz kurzer Zeit verjubelt.
Der Onkel deckte den Verlust. Dann
aber, nach einem fürchterlichen Auftritt,
überließ er den Unverbessertichen feinem
Schicksale, indem er ihm das nöthige
Reisegeld nach Amerika gab.
Ein ganzes Jahr hatte er von dem
Verlorenen nichts gehört. Es war an
einem Dezimbernachmittaae, kurz vor
Weihnachten, als der Jusitzrath in seinem
Arbeitszimmer faß.
Die isprech stunden waren bereits vor-
über, als der Bureauoorsteher hereintrat
und noch einen Mann meldete, der den
errn Justizrath persönlich in einer
dringenden Anael:g:nhett zu sprechen
wünschte.
Nach wenigen Minuten stand der Ver
lorene vor seinem Onkel. Er sah tx
untergekommen und verwahrlost aus und
trug auf seinen Zügen die beutlichen
Spuren eines wüsten Lebenswandels.
Der Juftizrath hatte unmittelbar vorher
erst feine Photographie in Händen ge
habt, und so überwog im Augenblick die
Fmde des Wiedersehens alle anderen
Bedenken. Er, streckte ihm die Hand
entgegen rnd war ganz der Men'ch, der
sein weiches Gemüth nicht verleugnen
kann. Dann, als er ihn r,äher betcach-
MMgMI,
tete, war er erschüttert. Trotzdem nahm
er eine strenge Miene an und fragte.
woher er komme.
Direkt au dem Gefängniß, lautete
das zaghafte Bekenntniß. Er hatte eine
Uhr gestohlen, feine That auch ohne
Weiteres eingestanden und sich verurthei
len lassen. Der Rest von Scham, den
er noch befaß, hatte ihn abgehalten, sich
seinem Onkel u nähern, tun war er
mitten im Winter herausgekommen und
wußte nicht wohin.
Der Juftizrath fühlte hundert Stiche
auf einmal in feinem Herzen, bewahrte
aber keine Ruhe.. Dann sagte er:
.Weißt Du auch, wag Dir bevorsteht,
wenn Du zum dritten Male auf die
Anklagebank kommst? DaS Zuchthaus
winkt Dir!
Und als sein Neffe or ihm niedersiel,
seine Knie umsing und wirklich' noch
Thränen bereit hatte, unter denen er end,
liche Besserung versprach, war der Alte
wieder bezwungen.
.Wohlan, sagte er. .Weihnachten ist
nahe. Ich will den letzten Versuch ma
chen um deS Andenkens Deiner todten
Mutter willen!
Aber von jetzt an wollte er ihn ganz
um sich haben, um mit strenge d
Rettung zu vollführen. Er klingelte
nach dem Bureauvorfteher und wieg ihn
an: .Stellen Sie den jungen Mann von
morgen ab als Schreiber ein. Wir
sprechen noch darüber. Dann andte
er sich wieder an den Neffen, nachdem sie
ohne Zeugen waren: Auner meiner
Wirthschasterin hat Niemand eine Ah-
nung davon, in welchem Verhältniß Du
zu wir stehst. Du wirst in dem Hinteren
Zimmer ganz allein arbeiten, von früh
bis spät; Du wirft nur Deinen Lebens
unterhalt bekommen und Dich so zurück-
haltend als möglich benehmen. Dafür
verlange ich wählend eines Jahres un
verbrüchlicheS Schweigen darüber, baß
Du mein Neffe bist. Wenn Du diese
Probe bestehst, dann wollen wir weiter
reden. Bist Du damit einverstanden,
gut weigerst Du Dich, so gehst Du so
von hier weg, wie Du gekommen bist.
Jedes Band zwischen uns Beiden ist dann
zerrisscn. Das Ende wird die Land
straße sein."
Er sagte unter Thränen zu. Ein
ganzes Vierteljahr lang hielt er sich
musterhaft. Der Juftizrath war in sei
nem Innern hocherfreut; äußerlich aber
blieb er derselbe eiserne Mann, um fein
Ziel zu erreichen. Da wollte es der
Zufall, daß der alte Herr eines Tages
über Land mußte und sich auch genöthigt
sah, die Nacht auf dem Gute zuzubrin
gen. Der andere Morgen brachte ihm
die bitterste Enttäuschung seines Lebens.
Während seiner Abwesenheit waren dem
Bureauvorsteher plötzlich drei einzelne
Hundertmarkscheine und vier Zwanzig
markstücke fortgekommen, die er kurz vor
Schluß des Bureaus eingenommen hatte.
Stark beschäftigt, merkte er den Verlust
erst, als er als Letzter anwesend war und
die Kasse verschlteßtn wollte. Rathlos
in seiner Aufregung wollte er schon
gehen, als er unter dem Stuhle, auf dem
der Kanzlift, der die Notariatscopien
unter sich hatte, zu sitzen pflegte, ein
blankes Goldstück entdeckte. Er sträubte
sich zuerst gegen den in ihm aufsteigenden
Verdacht, dann aber hielt er es für's
Beste, sofort zur Polizei zu fahren und
bei dem betreffenden Kavzlisten eine
Haussuchung vornehme zu lassen. Man
sand ihn nicht vor und mußte sich bis
zum kommenden Tage gedulden.
DaS Wunderbare war, daß am andern
Morgen der Kanzlist sowohl als der
Neffe pünktlich wie immer auf ihrem
Platze zu finden waren. ' Der Justizrath
ahnte sofort den Zusammenhang. Als
er den Verlorenen unter vier Augen vor
sich haiit und ihn scharf in'S Gebet nahm.
leugnete dieser AlleS. Unter Thränen
behauptete er, es diesmal nicht gewesen
zu sein. Im Bureau that der Kanzlist
seinem Vorgesetzten gegenüber dasselbe.
Ein Schreiberlehrling behauptete, den
Stillen dahinten' mehrmals am Pulte
gesehen zu haben, während der Bureau
Vorsteher im anleren Zimmer gewe
sen sei.
Lange überlegte der Justizrath; dann
siegte sein Gerechtigkeitsgefühl zu Gun
sten eines unschuldig Verleumdeten. Er
ließ seinen Neffen verhaften und in das
UntcrsuchungSgefängniß abführen. Dort
besuchte er ihn mehrmals, um ein Ge
ständniß zu erlangen. Immer aber
erhielt er die gleiche Antwort.
Trotz dieser Verstocktheit übernahm der
Justizrath die Vertheidigung. Sein
ganzes Streben ging dahin, den Neffen
vor dem Zuchthaus zu bewahren. Wirk
lich erreichte er auch, daß sein Neffe nur
zu einer Hastftrafe verurthcilt wurde.
Der Justizrath ging hinauß, ohne den
Lerurtheilken eines Blickes zu würdigen.
Eist in der Droschke überließ er sich sei
nem Schmerz. Einige Stunden später,
als er wieder in seinem Zimmer saß, trat
der Kanzlift zu ihm herein und bekannte,
das Geld vom Pulte genommen zu
haben. Er sei bis zu jenem Tage immer
ehrlich gewesen, er hübe aber drückende
Schulden gehabt und sei im Augenblick
ver Verblendung unterlegen. Seiü Ee-
No. 17.
wissen zwinge ihn, einen Unschuldigen
nicht länger leiden zu sehen.
Der Justizrath war Minuten lang
starr und sprachlos. Dann besann er
sich nicht lange. Er ließ da Geständniß
in Gegenwart seines Substituten und
sämmtlicher Bureauarbeiter wiederholen
bestieg mit dem Kamlisten eine Droschk!
und fuhr nach dem Criminalpalast in
Moabit, wo er den Selbftdenuncianten
dem Untersuchungsrichter übergab und
bei der Staatsanwaltschaft sofort die
Aufnahme des alten Verfahrens bean
tragte.
Er kam für feinen Neffen zu spät,
denn dieser hatte sich, gleich nachdem man
ihn abgeführt hatte, tn seiner Zelle er
hangt.
Gepeinigt von Seelenqual, wie nie in
seinem Leben, trat der Justizrath den
Heimweg an. Zu Hause angelangt
schluchzte er wie ein Kind. Dann, be
ruhigter, erging er sich in Betrachtungen
über die wunoer amen Nathlel und nu
sälligkeiten dieses Lebens. Es gab doch
Dinge zwischen Himmel und Erde, von
denen seine Juristerei sich nichts träumen
lieg.
ÄN vielem oenv vuev ein Witz am
Stammtisch leer. .
Zwei Tage später vermachte er sein
ganze Vermögen dem Verein zur Ret
tung entlassener Strafgefangener. . . .
Katzeugefchret und Bogelgesaug
Wenn doch die Amerikaner bedächten,
daß sie rn ihren Garten und Parkan
lagen nur zwischen Singvögeln und
Katzen zu wählen haben; beide zusam
men können nun einmal nebeneinander
nicht eriftiren. Wenn einmal fo ein
liebeö Miezekätzchen trotz wiederholter
Züchtigung mit dem Vogelraud fort,
fährt, so hilft eben nichts mehr als
Pulver und Blei; denn sobald einmal
ein Kater Vogelfleisch geschmeckt hat,
so schwankt er zwischen dem Entschluß,
ob er lieber einen Vogel oder eine Maus
fressen wolle, gerade so lange, wie wenn
unser einer zwischen einer Flasche guten
Weines - der scheußlich schmutzigen
reltungswassers zu wayten hat. Vieler
orts wird sehr viel für die Vogelfütte,
rung im Winter gethan; wenn dann da
durch die Vögel recht zutraulich geworden
sind, so läßt man es ruhig geschehen, daß
die räuberischen Katzen der ganzen Herr,
lichkeit ein Ende bereiten.
Biete muteivsooue ceun, oic in
Thränen ausbrechen, wenn ihrem KStz
chen Jemand auS Versehen den Schwanz
zwischen die Thüre klemmt, empfinden
nicht daS mindeste Mitleid, wenn das
liebe Biest etwa die Mutter einer Sing-
oogelfamilie geraubt hat und so die junge
Brüt einem jammervollem Hungertode
prersgiebt. Man wende uns nicht ein.
die Katze sei immer ein nützliches und un-
nützliches ' Hausthier. Das mag in
früheren Jahrhunderten der Fall ge
mesen sein, als die Wohnungen vermöge
ihrer Bauart den Mäusen überall
Schlupf und Lustwinkel gewährten, und
als man noch keine gut konstruirten
Mausefallen und kein sicheres und ge-
sahrlos anzuwendendes MSusegist kannte.
Heute ist dies Alles anders, und
dürften heute 90 Proz. sämmtlicher
Katzen als Lukuswaare tarnt werden.
Wenn aber ein Hausbesitzer nicht selbst
im Stande ist, sich der Mäuse zu erweh
ren, sondern wenn er dazu ein Thier zu
Hülfe nehmen mutz, fo sorge er doch da-
für, daß seme lebendige Mäuse alle wirk
lich ihrer Bestimmung und ihrem Ramm
gemäß ein HauS'hier bleibe. Sobald
aber dieses Hausthier in fremden Höfen
und Garten, in Geldern und Waldern
auf Raub ausgeht und die Landwirthe,
Logelfreunde und Jäger schädigt, hört es
eben auf ein Hausthier zu sein; eS ist
dann ein Raubthier und soll alS solches
getödtet werden.
Der schaden, oen eine vogetrauoertiche
Katze anrichtet, übersteigt ihren Nutzen
bei Weitem. Denn sobald einmal die
Vögel durch die Katzen gefressen oder ver
scheucht worden sind, nimmt das Unge,
ziefer erfahrungsgemäß enorm Überhand,
und dif'Baumgärten, die Gemüsepflan
zungen, wie die Felder und Wälder sind
an solchen Orten dem verderblichen Zer
ftörnngswerk der vielen schädlichen In
sckten preisgegeben. ga 'Z ZU schweigen
von den nächtlichen Katzenmusiken, welche
die Schläfer nach des Tages Mühen nicht
zur Ruhe kommen lassen. Leider giebt
es viele Leute, welche sich freuen, wenn
in ihrem Baumgarten ein Dutzend Katzen
herumstreichen; sie bedenken nicht, daß
sie sich selbst am meisten dadurch schaden,
da die nützlichen Vögel sich nicht an solch
gefährlichen Orten ansiedeln.
Auch der Jäger kann von den Katzen
nur das Schlimmste erzählen; eine ei,:
zige räuberische Katze vernichtet oft in
weitem Umkreis den ganzen Bestand an
jungen Hasen und an den dem Landwirth
so äußerst nützllichen Rebhühnern.
Lumrnä Summanirn: die wenigen
guten MauSkatzen mögen am Lcbcv
bleiben, Respekt vor ihnen: aber über
die schädlichen Freß-, Raub und Vogel
katzen sei daS Todesurtheil ausgesprochen.
Wer will auch im Ernst einer Katze das
echt ' eingeräumt wissen, die Höfe
zu beschmutzen und überall, auch aus
fremden Grund und Boden, die nütz,
lichen Singvögel zu vernichten! Deshalb:
Tod der Katzenbrut!
Ueber da Xtttn der Seetzu,
bringt die französische Zeitschrift ML
Vie eontemporaine" einen Artikel, der
eine Anzahl ganz neuer Beobachtung
über da Leben dieser eigenartige Thier
enthält. Herr Oustalet, ein französischer
Gelehrte, hat die Thiere hauptsächlich im
BehringSme beobachtet, und entwirft
von ihrem Familienleben die folgende
Schilderung. In der Zeit om 1. bis
II. Juni sammeln sich die alte Mäno
chen sch aarenweise ans den Tribilosinseln
und lassen sich am Strande nieder, um
die Ankunft der Weibchen abzuwarten.
Die kräftigeren unter ihnen nehme die
besten Plätze ein und zwingen die minder
starken sich im Hintergrund zu halten.
Jeder einzelne (Seehund harrt geduldig
auf seinem Platze und vertheidigt ihn mit
der größten Energie. Vom 12. Juni ab
erscheinen die Weibchen, zuerst in kleine
ren TruppS, später in dichten Schaaren,
begleitet von ihren Jungen auS dem vor
hergehenden Jahre. Alsbald nach ihrer
Ankunft erden sie von den Männchen
in Empfang genommen und in ihre
Schlupfwinkel getrieben, wobei eS vor
kommt, daß besonder? kräftige Thiere
b zu IS Weibchen für sich in Anspruch
nehmen. Wie bei den Hirschen in der
Brunstzeit, so finden auch hier oft heiße
Kämpfe statt. .
Ehe sie handgemein erden, scheinen
die Kämpfer sich gegenseitig herauSzufor
dern, fte stürzen auf einander lo, werfen
die Köpfe zurück, machen hüpfende Be
megungen, schreien, brüllen, schnauben
und sperren den Rachen auf, um ihre
furchtbaren Hauer zu zeigen. Alsdann
beißen sie wüthend auf einander loS und
zerreißen sich die Pelze und die Schwimm
süße, wobei nicht selten auch ein Fetzen
Fleisch mit verloren geht. Fühlt sich
einer der Kampfenden besiegt, so schleppt
er sich hinkend, nicht selten auch geblendet
davon. Sein siegreicher Gegner aber
baut ihm goldene Brücken, er ist eine vor
nehme Natur, und nie wird es ihm ein
fallen, an dem wehrlosen Feinde sein
Muthchen zu kühlen. Die Weibchen
bringen bald nach ihrer Ankunft ein ein
zigeS Junges zur Welt, und von diesem
Tage an lasse ihnen ihre Herren und
Meister größere Freiheit. Sie gehe
häufig in'S Wasser, und wenn sie zurück
gehen, wissen sie ihre Jungen unter tau
send anderen, welche sie gleichzeitig und
scheinbar in denselben Tönen anschreien,
ganz genau zu unterscheiden. Die Mävn
chen dagegen bleiben bis Ende Juli, also
nahezu drei Monate, beständig am Lande.
Während dieser Zeit nehmen sie keinerlei
Nahrung zu sich, fondern zehren lediglich
von ihrem Fette, so daß sie gegen Ende
der Saison vollständig erschöpft und ab
gemagert sind. Gegen Ende Juli be,
ginnen die Kolonien sich zu entvölkern,
man sieht nur noch einzelne Weibchen mit
ihrer Nachkommenschaft, die sich i
Schwimmen übt, bis sie gegen Ende des
Herbstes in der Lage ist, den Männchen
auf ihren Wanderungen zu folgen.
Viaenthümliche Rache.
Als der rustfche Feldmarschall Kutu
sow, nach der Flucht Napoleons I. al
Sieger in Wilna einzog, bat der Direk
tor der dortigen polnischen Schauspiel,
gesellschaft ihn, eirt Stück zur Feier die,
fes TageS aufführen z dürfen. Kutufow
lehnte dies ab, verlangte aber, daß der
Direktor jenes Stück auf die Bühne
bringe, welches er am Tage des kmxwui
der französischen Truove batte
aufführen lassen, ein Stück voll bitterer
Anspielungen auf die Russen und voll
kriechender Lobhudeleien gegen Napoleon.
Die demüthigen Gegenvorstellungen des
Direktors blieben erfolglos, er mukte
gehorchen. Am Abend fand sich der
Marfchall in Begleitung seines ganzen
GeneralstabeS im Theater ein. um durcb
seine Gegenwart etmatge Tumulte z
verhindern. Bei icdem Sake, der eine
Lobeserhebung auf Napoleon enthielt,
die mit seiner Flucht in schneidendem
Gegensatze stand, klatschte Kutuso den
Schauspielern und Schauspielerinnen
lauten Beifall zu. Alle Anwesende
folgtem seinem Beispiele, und wohl nie
hat eine Bühnengesellschast den ibr ausll
ten Beifall mit so gemischten Gefühlen.
ausgenommen, wie die Wilnasche - an
lenem Abend. Angstschweiß trat den
Darstellern aus die Stirne bei jedem
Worte, das sie deklamirten. und dock
wagten sie nichts wegzulassen aus Furcht,
wegen Ungehorsam bestrast zu werden.
was ihnen für diesen ftall anaekündiat
war.
Dem
österreichische General vo
Sport
bezeichnete einst ein Minister in einer
Konferenz, welcher Leopold I. selbst bei
wohnte, auf der Karte von Ungarn einen
Punrk mu oen Worten: .vier, err
General, müssen sie mit der Armee über
den Strom gehen. Der bezeichnete
Punkt war aber die Stromenae. eine
Strecke mit siebzehn Wirbeln und Stru
dein. Der alte Krieger ergriff in der
Hitze eine Papierscheere mit goldenem
Griff, schlug den Minister gewaltig aus
den Zeigefinger, der den Uebergangs
punkt andeutete und rief: .Ja, wenn
Eu Ercellenz verfluchter fftnaer eine
Brücke wäre! Leopold lachte belustigt und
überließ eS dem General, über die
Donau zu gehen, an welchem Punkt er
wolle.
Anglaublich.
Schneider: .Hier bringe ich den be
stellten Anzug. Kostet achtzig Mark'.'
Studiosus: .Warten Sie. ich will
Ihnen den Betrag gleich zahlenl
Schneider: .Herr! Zum Narre
halten lasse ich mich nicht!